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Hörspiel Feature Radiokunst Freistil Back to Mono Mehr als nur ein Kanal Von Olaf Karnik und Volker Zander Produktion: Deutschlandfunk 2021 Redaktion: Klaus Pilger Erstsendung: Sonntag, 08.08.2021, 20:05 - 21:00 Uhr Regie: Thomas Wolfertz Es sprechen: Justine Hauer und Daniel Berger Ton und Technik: Eva Pöpplein und Oliver Dannert Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

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Hörspiel Feature Radiokunst

Freistil

Back to Mono

Mehr als nur ein Kanal

Von Olaf Karnik und Volker Zander

Produktion: Deutschlandfunk 2021

Redaktion: Klaus Pilger

Erstsendung: Sonntag, 08.08.2021, 20:05 - 21:00 Uhr

Regie: Thomas Wolfertz

Es sprechen: Justine Hauer und Daniel Berger

Ton und Technik: Eva Pöpplein und Oliver Dannert

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein

privaten Zwecken genutzt werden.

Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige

Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz

geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar -

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Sound: Meeresrauschen, Wellen am Strand, Radiorauschen

O-Ton Götz Alsmann: Ah, ja. Hallo, Hallo! Das klingt ja schön nach Mittelwelle.

Naja. Genau. Ich höre mich aber selber nicht auf meinem Monitor. … Jetzt. Jetzt, ja.

O-Ton Götz Alsmann: Früher wurde ja der Unterschied zwischen Mono und Stereo

so erklärt, dass Stereo einem das Gefühl gab, mitten im Orchester zu sitzen. Und ich

erinnere mich an einen alten Witz von damals, wenn jemand sagen würde: ‚Stereo ist

wie im Orchester zu sitzen.’ und der Gesprächspartner sagt: ‚Wieso? Ich setze mich

nie mitten ins Orchester.’

Sound: Radiorauschen wird zu Meeresrauschen

O-Ton Tobias Levin: Aber jetzt, jetzt bist Du drauf. Und dann hab ich so komische

Kopfhörer, die klingen ganz toll, aber sie machen den Klang nur auf einem Ohr.

Begründung: Da sind wir ja schon fast beim Thema Mono. Ja, früher war das beim

Telefon doch auch so.

Sprecherin: “Back to Mono - Mehr als nur ein Kanal“, Feature von Olaf Karnik und

Volker Zander

O-Ton Grace Schwindt: Viele meiner Arbeiten fingen eigentlich mit einem

Telefongespräch an.

O-Ton Julia Kursell: Ich glaube, dass Mono im Prinzip gar nicht existiert (lacht).

O-Ton Matthias Günther: "Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage."

O-Ton Götz Alsmann: Mono ist für mich der zentrale Höreindruck.

O-Ton Christopher Kirkley: Less about the fidelity and more about the feeling

O-Ton Helmut Philipps: Mono heißt "nur". Ich könnte es jetzt noch schreiben, auf

Griechisch.

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O-Ton Matthias Günther: Einer. Einzeln. Ein Einweg. Eine Einwegkommunikation

würde ich fast sagen.

O-Ton Florian Sievers: ein Strahl, der auf einen gerichtet ist.

O-Ton Matthias Günther: Stereo hat ja zwei Kanäle und Mono ist ein Kanal.

O-Ton Tobias Levin: Was ist aus Mono geworden? Da müsste man erst mal sagen:

Wo kam Mono denn her?

O-Ton Matthias Günther: Eine interessante Grundvoraussetzung, wenn man über

Mono spricht, also einer spricht und jemand anders hört zu. Oder einer sendet und

jemand anderes empfängt. Oder wir sitzen vor einem Gerät und hören zu. Mono.

Und Stereo funktioniert dann etwas komplizierter. Etwas dialogischer,

interessanterweise.

O-Ton Götz Alsmann: Ich verstehe den ästhetischen Reiz von Stereo einfach nicht.

Ich begreife nicht, warum ich die wunderbare phonetische Wand, die mich per Mono

erreicht, eintauschen soll, gegen so ein Hin- und Hergeflirre, gegen künstliche

Räume.

Sound: Radiorauschen wie Mittelwelle. Meeresrauschen, Wellen am Strand

Sprecherin: Als Mitte der 1960er Jahre die Stereoanalage und die Stereo-

Schallplatte marktfähig wurde, musste für das, was vorher durch einen Lautsprecher

geschickt worden war, ein neuer Begriff gefunden werden: Mono. Mit Mono

bezeichnete man das Alte, Gestrige und Eindimensionale. Stereo hingegen sollte

leuchtend für High-Fidelity, Räumlichkeit und technischen Fortschritt stehen. Dort, wo

auf einem Tonband eine Spur war, waren nun zwei Spuren. Dort, wo eine Nadel eine

Rille mit nur einer Spur abgetastet hatte, konnte sie auf einmal rechts und links

unterscheiden. Dort, wo einst für Sprache und Musik ein Lautsprecher ausgereicht

hatte, mussten jetzt zwei Lautsprecher zugleich erklingen. Doch Mono war nie weg.

Mono überlebte in Stereoland. Mono sitzt fest in der Mitte zwischen den zwei

Lautsprechern unserer Wohnzimmer, Autos und Kopfhörer. Und Musikkulturen wie

Hip Hop und Techno oder ganz besonders alle Formen von retroaktiven, also in die

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Vergangenheit gerichteten Musikstilen sind bis heute mono-phil. Und Stereo ist heute

auf dem Rückzug. Die großen Doppel-Lautsprecher unserer Stereoanlagen

verschwinden aus den Wohnzimmern. Die Musik der Popcharts wird für

Smartphones mit winzigen Mono-Lautsprechern geschrieben. Und sogar

Philharmonien und Konzerthäuser lernen um, und reduzieren ihre Soundanlagen

zurück zu mono. Mono kommt zurück und prägt unsere Kultur. Mehr denn je.

Sound: Unter Wasser

O-Ton Florian Sievers: Ich bin, als ich in Köln gewohnt hab, ab und zu schwimmen

gewesen im Rhein tatsächlich.

Sprecherin: Florian Sievers, Musikjournalist und Kurator, Berlin.

O-Ton Florian Sievers: Also, wenn Du so eine geschützte Bucht hast, kannst Du

das ja machen wegen der Strömung. Und das ist ein Wahnsinnsgeräusch, wenn man

untertaucht, weil, Du hörst halt den Fluss mahlen. Also Du hörst wirklich wie der so

Steine bewegt und Wasser. Also das ist ein unglaubliches Rauschen und Dröhnen.

Das ist wirklich so ein Drone, der da erzeugt wird. oder auch so was wie SunnO))) als

Musik. Also so was, wo Du wirklich einen krassen Klangraum hast, der, ja, Dich

einfach nur umpustet. Ja, wie so die vorgeburtliche, ursprüngliche Musik von

Blutrauschen in der Plazenta. Das ist der erste Sound, den Du hörst. Dieses endlose

Mahlen und Rauschen.

Musik: SunnO))) plus Rauschen, The Stooges „I Wanna Be Your Dog“,

O-Ton Florian Sievers: Mit diesen Ästhetiken: Rock, Soul, Jazz erst mal. Später

Punk, Hip Hop, Techno. Es ist es ja auch extra was Rohes, was Primäres, so was

Rausgehauens. Also früher ging es nicht anders. Jetzt hast Du quasi die Wahl. Und

wenn Du diese Wahl triffst, dann ist es halt eben absichtlich so ein bisschen

hingeworfener und vielleicht nicht ganz so ausgefeilt.

O-Ton Florian Sievers: Klar ist es bei vielen Musikgenres, wenn die auftauchen, war

es – bevor sie bis jetzt digitale Werkzeuge hatten – ja immer so, dass szg. die ersten

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Tools, die verfügbar waren, meistens einfacher waren und die Leute

gezwungenermaßen Mono-Musik gemacht haben, weil sie einfach sich auch keine

anderen Geräte leisten konnten oder keine anderen Aufnahmetechniken. Von daher

war das auch immer etwas, was so mitgelaufen ist.

Musik: Billy Childish and The Stuckists „Anachronism In The U.K.“

O-Ton Florian Sievers: Ich mag so dieses Retro Ding nicht so gerne, so ein

Beigeschmack, sondern ich bin dann schon eher modernistisch. Aber es kann halt

auch was Cooles sein, was mir sympathisch ist. Also ich finde es auch ein Statement

und halt eben auch eine sympathische Verweigerungshaltung vielleicht. Und gerade

heute, wo Du jetzt so High-Tech-Super-Quad-Stereo-Surround-Sound machen

kannst, ist es extra "Scheiß auf euch." Also es ist halt so eine Punkhaltung. Wir

wollen das einfach. Und rausrotzen. Und Punk kann ja auch für elektronische Musik

gelten als Haltung oder für Hip Hop oder so, wenn es einfach was Rohes ist, was

Primäres.

Musik: Billy Childish and The Stuckists „Anachronism In The U.K.“

O-Ton Florian Sievers: Aber es hat auch für mich gleichzeitig so ein bisschen den

Beigeschmack von Retro und so ein freiwilliger Schritt zurück, was für mich auch mal

so ein bisschen so ein First World Problem ist oder First World Spielerei, weil ich

weiß mit meinen Erfahrungen in afrikanischen Ländern, dass das natürlich so ist,

dass jeder dort die beste Technologie nutzen möchte, die verfügbar ist und niemand

würde freiwillig extra Scheiße klingen, also so würden die das halt sehen, also extra

schlecht klingen. Ich finde es ist so ein Luxus Ding fast schon geworden, obwohl es

früher ja eine Frage der Notwendigkeit war, Mono aufzunehmen, weil es einfach nix

anderes gab.

Sprecherin: Die Wahrnehmung von Mono zu beschreiben, ist tatsächlich keine

leichte Aufgabe.

O-Ton Julia Kursell: Mir scheint, dass "Stereo" leichter zu definieren ist.

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Sprecherin: Julia Kursell, Leiterin des Instituts für Musikwissenschaften an der

Universität Amsterdam.

O-Ton Julia Kursell: Die Stereoton-Herausgabe setzt voraus, dass Sie eine Anlage

haben, dass Sie zwei Lautsprecher haben, dass Ihnen diese zwei Lautsprecher

einen virtuellen Punkt vorgaukeln, von dem aus Sie etwas hören, oder vielmehr, noch

besser gesagt, dass Ihnen die beiden Lautsprecher einen Punkt vorgeben, an dem

etwas zu hören ist. Und Mono kann das alles nicht.

Musik: Stereo Ping Pong

O-Ton Julia Kursell: Räumlich-Hören ist sehr viel mehr, als nur ein Ereignis an

einem bestimmten Punkt im Raum zu lokalisieren:

Musik: Stereo Ping Pong

O-Ton Julia Kursell: Das einzelne Ohr hat ja eine sehr eigenartige Form. Und diese

Form ist dazu da, den Klang zu filtern, der eintrifft. Also, ob etwas von oben kommt

oder von unten kommt, das hören wir, weil unser Ohr so eine asymmetrische Form

hat.

Sound: Waldstimmung, Vogelrufe, frühlingshaft

O-Ton Julia Kursell: Auch mit nur einem Ohr hören wir schon räumlich. Mit beiden

Ohren hören wir auf andere Weise räumlich. Unsere beiden Ohren sind auf einer

sehr frühen Ebene verschaltet. Der Input, den man an einem Ohr bekommt, wird mit

dem Input, den das andere Ohr empfängt, schon bevor die Nerven beim Gehirn

eintreffen, miteinander gekoppelt. Das geschieht auf einer Ebene, die

entwicklungsgeschichtlich alt ist. Das ist insofern sinnvoll, wenn man sich vorstellt,

dass Tiere und Menschen natürlich die räumliche Information über Geräusch

brauchen. Wir wollen wissen, woher kommt ein Geräusch, das wir hören.

Sound: Waldstimmung, Vogelrufe, frühlingshaft

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Musik: “Stereo Ping Pong”

O-Ton Julia Kursell: Soweit zum räumlichen Hören. Jetzt ist natürlich Stereo-Hören

etwas anderes als Räumlich-Hören. Stereo-Hören heißt, sie haben "zwei

Lautsprecher" und nicht "zwei Ohren". Sie sitzen mit ihren beiden Ohren vor einem

Ausgabegerät, das ihnen zweimal Signale ausgibt, die beide dasselbe Hörereignis

betreffen.

Musik: „Waldstimmung“ und “Stereo Ping Pong” klingt aus, kurze Stille

Sprecherin: Die ersten Konzepte für Stereophonie waren schon Ende der 1930er

Jahre zuerst in England, dann in Deutschland entwickelt worden. Der Übergang von

Mono zu Stereo im großen Stil begann dann Mitte der 1950er Jahre und wurde als

technische Innovation im Technikzeitalter gefeiert. Stereo-Schallplatten sollten nun

als das Maß aller Dinge in der Schallplattenindustrie etabliert werden – womit auch

eine kostenintensive Aufrüstung bürgerlicher Wohnungen mit Stereoanlagen und

Stereo-Schallplattenspielern verbunden war. Nicht selten traf so ein modernisierter

Datenträger auf ein altes mono-Abspielgerät.

O-Ton Götz Alsmann: Für Stereo war kein Geld da.

Sprecherin: Götz Alsmann, Entertainer und Radiomoderator.

O-Ton Götz Alsmann: Ich habe mich nur gewundert, dass es Singles gab, die auf

dem uralten Bertelsmann-Schallplattenspieler meiner Eltern, der irgendwie

erbschaftsmäßig an mich weitergereicht wurde als ich 10 war, dass ich da bestimmte

Singles nicht komplett drauf hörte, bei denen das Gitarrensolo entweder ein anderes

war als das, was ich im Radio gehört hatte, oder es war gar nicht erst zu hören, oder

es war ein Sänger nicht mehr wirklich zu hören, weil ich so eine vermaledeite Stereo-

Single gekauft hatte. Dann hab’ ich irgendwann eine Stereo-Truhe von einem

Großonkel geerbt, die aus den 50er-Jahren war. So richtig so ein Ding mit

magischem Auge und allem drum und dran. Und das hatte zwei Stereo-

Lautsprecher, die aber direkt nebeneinander befindlich waren hinter einer Gobelin-

Abdeckung. Ja, und der Stereoeffekt war dann tatsächlich erfahrbar, wenn man mit

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dem Kopf genau bis zum Gobelin vorstieß und den Kopf zwischen diese beiden

Lautsprecher hielt.

O-Ton Tobias Levin: Dieses Logo von His Masters Voice, einer englischen

Plattenfirma, ist eben so, dass ein Hund vor einem Grammophon sitzt und die

Stimme seines Herrchens oder Frauchens anhört.

Sprecherin: Tobias Levin, Musikproduzent, Hamburg

O-Ton Tobias Levin: Und diese Monoquelle deckt sich quasi mit dem Übertrager.

Das heißt, da gibt es einen Master, einen einzelnen Menschen. Ich würde das jetzt

als Mono-Maschine mal kurz bezeichnen, die in eine Mono-Maschine

reingesprochen, aufgenommen wird, die durch eine Mono-Maschine hörbar gemacht

wird. Das heißt eine Mono-Maschine-Mensch wird durch eine Mono-Maschine-

Grammophon hin zu dem Empfänger, in diesem Fall fast schon ein

Befehlsempfänger, denn es ist ja ein Hund, hingeleitet und dafür ist die Monophonie

komplett ausreichend. Was dann ja auch ausgiebig unter anderem von den

Nationalsozialisten genutzt wurde, weil sie den sogenannten Volksempfänger auch

genutzt haben, um genaugenommen eine Mono-Nachricht zu schicken, nämlich die

Ideen einer Diktatur. Das hat komplett ausgereicht, diese Mono-Form zu nutzen. Das

heißt, dafür brauchte man im Prinzip nur eine Mono-Maschine.

Sound: Radiorrauschen wird zu Meeresrauschen

O-Ton Julia Kursell: Die Hörforschung wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts von

Hermann von Helmholtz auf ein neues Fundament gestellt. Und was Helmholtz

gemacht hat, war, sich ganz radikal auf die Position des Ohrs zu versetzen und sich

zu fragen: Was kommt denn da eigentlich an? Was hat der einzelne Hörer, wenn

Schallwellen aufs Ohr treffen eigentlich für eine Information?

Sound: Meeresrauschen

O-Ton Julia Kursell: Und dann sagt er: Das ist ein ganz erstaunliches Phänomen,

dass wir alle diese Schallwellen so gut analysieren können, denn es wäre so, wie

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wenn man durch ein Rohr aufs Meer schaut und an der Wellenbewegung schließen

kann, wo kommen denn diese Wellen her? Im Optischen sieht/versteht man’s sofort.

Sound: Meeresrauschen

Musik: Strawinsky Mass – Kyrie

O-Ton Julia Kursell: Wenn wir einen oder mehrere Schallerzeuger hören, dann

wissen wir eigentlich zunächst mal noch nicht, ob das einer oder mehrere

Schallerzeuger sind. Das müssen wir üben. Hören muss man lernen.

Musik: The Beatles “Sgt. Peppers Lonley Hearts Club Band”

O-Ton Julia Kursell: Das Hören muss erlernt werden, sagt Hermann von Helmholtz.

Man muss lernen: Hier ist z.B. eine Distanz. Oder hier gibt es unterschiedliche Orte,

oder, ja, ich bin in einem Raum, der so und so ist.

Musik und Sound: Strawinsky “Mass – Kyrie“ vermischt mit The Beatles “Sgt.

Peppers Lonley Hearts Club Band” [nur das Stimmen des Orchesters am Anfang mit

Atmo, bricht ab], zudem Vogelstimmen

O-Ton Julia Kursell: Also, wo befinde ich mich? Wer ist um mich herum? Wer ist

wichtig? Was ist wichtig? Das sind die Dinge, die man zu unterscheiden lernt, wenn

man hören lernt.

Musik: The Beatles “I saw her standing there” [nur das Einzählen in Mono]

Musik: The Beatles “Taxmann” [nur das Einzählen und Husten in Stereo]

O-Ton Julia Kursell: Und dann kommen aber natürlich auch diese kulturellen

Faktoren hinzu. Und da wiederum sind wir einem Hören ausgesetzt, dass mit

bestimmten Hilfsmitteln stattfindet. Zum Beispiel, wir können mit Kopfhörern

umgehen, wir können mit einer Stereo-Anlage umgehen. Und man kann auch sehr

oft folgendes Phänomen antreffen: Leute sind an eine bestimmte Schallausgabe

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gewöhnt und die beginnen sie dann auch zu mögen. Sprich die technischen

Bedingungen, unter denen man hört. Die werden dann auch beim nächsten Hören

vorausgesetzt, die technischen Bedingungen, mit denen wir Hören lernen, prägen

uns ganz massiv.

Musik: The Beatles “Taxman” (Revolver, 1966) [George Harrisson Lead Stimme, nur

rechter Kanal des Split-Stereo Mixes]

“Let me tell you how it will be /

There's one for you, nineteen for me” [bricht ab]

O-Ton Matthias Günther: Also alles, was mit Mono und Stereo zu tun hat in meiner

frühen Jugend, in meiner Kindheit, hängt auch immer mit den Beatles zusammen.

Sprecherin: Matthias Günther, Dramaturg am Thalia Theater, Hamburg

O-Ton Matthias Günther: Alles hing immer mit den Beatles zusammen. Das lief am

meisten.

Musik: The Beatles: “Please, Please, Me” (im Hintergrund)

O-Ton Matthias Günther: Es gab in unserem Haushalt exakt drei Beatles-Platten.

[berichtigend] Vier! Also, es war aber vor allem das rote und das blaue Album. Beide

sind ja Compilations, die später erst entstanden sind, von denen ich immer fest

ausgegangen bin: Das sind die Beatles Platten. Und dann gab es noch eine dritte:

Das weiße Album.

Musik: The Beatles “Revolution 9”

O-Ton Matthias Günther: Irgendwann tauchte mein Bruder auf, der also wirklich

älter, fast zehn Jahre älter ist als ich, mein zweitältester Bruder. Und dann hatte er

"Abbey Road". Ja? Und… und legte Abbey Road auf.

Musik: The Beatles „Here Comes the Sun“ (Mono)

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O-Ton Matthias Günther: Und da passierte was total Komisches, weil die zweite

Seite, die funktionierte nicht so richtig. Also auf diesem komischen Mono-

Plattenspieler. Also irgendetwas stimmte da nicht. Und jedenfalls dann legte er das

auf die Anlage meiner Eltern – die hatten die Stereoanlage – und dann kapierten wir

auf einmal: Diese Platte funktioniert anders.

Musik: The Beatles „Here Comes the Sun“

O-Ton Matthias Günther: Und dann, das war bei dem Song "Here Comes The

Sun". Das war total komisch. Da gab es auf der einen Seite den Chor und auf der

anderen Seite die Solo Stimme. Und das war ne ganz merkwürdige Erfahrung. Und

dann wusste ich auf einmal, es gibt so etwas, was Stereo sein soll, ja. Da hab ich

irgendwie Stereo kapiert.

Musik: The Beatles „Here Comes the Sun“

O-Ton Matthias Günther: Und das führte zu etwas ganz Lustigen, einige Jahre

später. Und da diente mir nun… bei der Stereoanlage war… – und zwar der

Stereoanlage meiner Eltern – da konnte man tatsächlich sozusagen links und rechts.

Und dann bei “Here Comes the Sun” hab ich dann versucht mit meinem einfachen

Kassettenrekorder selber zu singen "Here Comes the Sun" und die Musik kam nur

aus dem einen Lautsprecher. Also, ich hab praktisch die Leadstimme weggestellt.

Das waren solche Versuche – merkwürdigerweise – Musik herzustellen. Mit Hilfe von

der Möglichkeit weil es Stereo gibt und man eine Seite wegdrehen kann. Also, das

war etwas ganz wichtiges.

O-Ton Matthias Günther: Ich soll jetzt hier jetzt "Here Comes The Sun", als älterer

Mann? (singt) „Here comes the sun / Doo-da-doo-doo, / Here comes the sun, / Oh,

Yeah“ Also so, ne, also in dem Stil …

Musik: Hortense Ellis „Secretly“

O-Ton Helmut Philipps: Leute haben mir erzählt aus ihrer Kindheit, Sound Systems

haben immer eine große Faszination gehabt. Das war da, wo Jamaica pulsiert hat.

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Musik: Hortense Ellis „Secretly“

Sprecherin: Der in Dortmund beheimatete Toningenieur und freie Autor Helmut

Philipps beschäftigt sich neben seiner Arbeit als Tontechniker für Live-Produktionen

intensiv mit den Musikkulturen der karibischen Insel Jamaika und ihren globalen

Einflüssen auf zeitgenössische Popkulturen. Um jamaikanischen Dub und Reggae

ranken sich viele Mono-Mythen.

O-Ton Helmut Philipps: Also wollten die Kinder da auch hin. Und dann sind sie dem

Geräusch gefolgt, eines Sound Systems, aber sind nie angekommen, weil immer,

wenn der Wind sich gedreht hat, haben sie ein anderes Soundsystem gehört. Ist ja

klar. Mal kommt von da was und dann, kommt der Wind, plötzlich von da was. Also,

das ist wie ein Labyrinth. Und die haben mir erzählt, dass sie als Kinder teilweise

wirklich herumgeirrt sind, wenn sie nicht wussten, wo das Soundsystem steht und

haben es nicht gefunden.

Musik: Hortense Ellis „Secretly“

O-Ton Helmut Philipps: Die Frage, ob im Dub und in der Reggae-Kultur Mono eine

Rolle spielt. Nein, spielt sie nicht, genauso wenig wie sie eben im Soul und im Rock

und was weiß ich nicht alles. Es gab keine Alternative dazu und die Alternativen

kommen dann, als sie eben auch Mischpulte haben.

Musik: Hortense Ellis „Secretly“

O-Ton Helmut Philipps: Also gehen wir mal einen Schritt zurück, wenn Du Dir diese

alten Radiomischpulte anguckst, die eigentlich alle so aussehen wie Trafos von einer

Elektroeisenbahn mit so großen Bakelitknöpfen. Da ist "Panorama" nicht drin

vorgesehen, weil, es geht nur darum, die Eingangssignale in der Lautstärke zu

bearbeiten. In der Lautstärke! Klangregelung ist nicht vorgesehen und es ist auch

nicht vorgesehen, dass nach rechts oder links zu legen, weil, rechts oder links gibt es

ja noch gar nicht. Es gibt ja nur ein Signal und einen Lautsprecher. So hat man

gehört. Und in den Autos hat man einen Lautsprecher gehabt. Mono war die normale

Welt, bis es Stereo gab. Und deshalb heißt auch alle Musik, die in der Zeit produziert

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und aufgenommen worden ist, immer automatisch Mono. Das hat jetzt nichts, was

mit einer bewussten Entscheidung als Teil dieser Kultur zu tun hat. Es ist einfach nur

historisch.

O-Ton Helmut Philipps: Und dann, als es dann zwei Kanäle sind. Da hat eben die

jamaikanische Musik dieselben akustischen Effekte gehabt, wie wir es im Jazz oder

im Rock und in Rock'n'Roll in allen Musiken kennen, dass nämlich dieses

sogenannte Split-Stereo dann eine Rolle spielt. Auf der einen Seite ist die Musik, auf

der anderen Seite ist die Stimme. In der jamaikanischen Musik gibt es ja noch dieses

Versioning, das man also Playbacks öfter benutzt für verschiedene Sänger. Das

spielt in dem Zusammenhang auch noch eine Rolle, weil dann einfach die Musik

immer auf der einen Seite und der Sänger oder DJ/Toaster/Rapper darüber war

immer auf der anderen Seite.

Musik: Hortense Ellis „Secretly“

O-Ton Helmut Philipps: Und Leute, die in dieser Zeit in Jamaica waren, die sind

dann wiedergekommen, haben erzählt: ‚Es ist völlig verrückt, wenn Du da einen

Plattenladen gehst. Da steht ein Lautsprecher drinnen, ein Lautsprecher draußen.

Dann hörst Du draußen nur Stimmen und drinnen nur Musik.’ und haben das immer

als Teil der Kultur… Es ist aber nicht Teil der Kultur, sondern es war einfach Teil der

Technik der Zeit. Man darf so was nicht romantisieren, das ist einfach nur

Zeitgeschichte.

O-Ton Sound: „Klingelton von O-Ton Helmut Philipps:, eine Reggae Melodie“

O-Ton Helmut Philipps: Das war mein Klingelton

Musik: Boulez conducts Strawinsky „Petrushka“, 1. Satz [Anfang] (New York

Philharmonics, 1975)

Sprecherin: Ein Komponist klassischer Musik im 20. Jahrhundert, der sich Zeit

seines Lebens mit der besten Aufnahmequalität seiner Stücke beschäftigte, war Igor

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Strawinsky. Die Musikwissenschaftlerin Julia Kursell sieht in Strawinsky eine zentrale

Figur in Bezug darauf, wie wir Musikaufnahmen wahrnehmen.

O-Ton Julia Kursell: Strawinsky ist ein Komponist, dessen Musik gerne verwendet

wurde, wenn man die Leistungsfähigkeit von Tonwiedergabe und

Tonaufnahmeformaten demonstrieren wollte. Also Strawinskys Musik wurde zum

Beispiel auch von Pierre Boulez eingespielt, auf der ersten quattrophonischen

Tonaufnahme.

Musik: Boulez conducts Strawinsky „Petrushka“ (New York Philharmonics, 1975)

Musik: Strawinsky „Mass“ – Kyrie (Originalaufnahme von 1948, mit Knistern beim

Einsetzen der Nadel)

O-Ton Julia Kursell: Strawinsky hat eine Messe komponiert, von der mir scheint, er

war sich darüber sehr bewusst, dass er die eigentlich für einen Schallplattenspieler

komponiert und… Das heißt, Strawinsky hatte eigentlich eine Räumlichkeit vor

Ohren, und zwar nicht die Räumlichkeit der Kirche, in der man ja sehr viel Hall hat,

sondern die des Wohnzimmers. Mir schien Strawinsky hat diese Messe für eine

Wohnzimmerakustik komponiert.

Musik: Strawinsky „Mass“ – Sanctus

O-Ton Julia Kursell: Was er auch im Kopf hat, ist die Dauer einer Schallplatte. Also

die Messe-Sätze eignen sich hervorragend, um genau jeweils eine damalige

Schallplattenlänge zu bespielen.

Musik: Strawinsky „Mass“ – Agnus Dei

O-Ton Julia Kursell: Der Philosoph Peter Szendy hat das sehr schön formuliert In

seinem Buch "Höre(n) – Eine Geschichte unserer Ohren". Nämlich, er spricht von der

Plastizität des Hörens und davon, dass jemand, der eine Musik bearbeitet, eigentlich

auch sein eigenes Hören wiedergeben will. Wir könnten also sagen: Der Dirigent

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Strawinsky oder der Komponist Strawinsky, der seine Aufnahme überwacht, teilt uns

sein Hören mit.

Musik: Strawinsky „Mass“ – Agnus Dei (Schluss)

Musik: The Beatles „All You Need Is Love“

O-Ton Julia Kursell: Strawinsky und die Beatles haben gemeinsam, dass sie in der

gleichen Zeit operieren. Strawinsky und die Beatles operieren vor denselben

technischen Bedingungen. Und wenn wir mit Helmholtz sagen: Hören muss erlernt

werden, könnte man sagen: Bis zu einem gewissen Grade haben die Beatles und

Strawinsky hier das Hören unter den gleichen Bedingungen erlernt.

Musik: Sly & the Family Stone “Everyday People” (Schlagzeug hart rechts)

Sprecherin: Für den Musikproduzenten und Tonstudiobetreiber Tobias Levin,

dessen Karriere Anfang der 1990er Jahre als Sänger und Gitarrist im Umkreis der

Hamburger Schule begann, stellt sich mit jedem neuem Studio-Projekt die Frage wie

man die Intensität und Dramaturgie einer Musik auf zwei Lautsprecher verteilt.

O-Ton Tobias Levin: Als Walkmen aufkamen, also tragbare Kassettenrekorder

durch die Gegend geschleppt wurden und ich eine Kassette von Sly & The Family

Stone gehört habe und da eben das Schlagzeug einfach hart rechts zu hören war…

ein ungefähr so angenehmes Gefühl wie, naja, wenn man nur auf einem Ohr was

hört … und das hab ich einfach kopiert.

Musik: Sly & the Family Stone “Everyday People” (Schlagzeug hart rechts)

Musik: Cpt. Kirk &. „Puscher“

O-Ton Tobias Levin: meine Band damals, „Capt. Kirk &.“, diese Gruppe hat das

genutzt, um damit zu musizieren, also um Aufmerksamkeit in ihrem Song zu erregen

mit so einem Mittel. Das ist einfach eine gewisse Spielerei und gleichzeitig ist es ein

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dramaturgisches Mittel, also um eine bestimmte Dramaturgie aufzubauen. Es ist aber

kein besonderes Bewusstsein von Stereo gewesen, muss ich auch dazu sagen.

Musik: Cpt. Kirk &. „Puscher“

O-Ton Tobias Levin: Denn sogenanntes echtes Stereo, das wussten wir gar nicht,

was das ist. Wir waren möglicherweise wirklich der Meinung, dass Stereo entsteht,

wenn ich irgendetwas hart rechts pane, also ganz stark in den rechten Kanal lege

oder hart links. Ich habe unserem Produzenten damals, Chris von Rautenkranz, den

hab ich gebeten, alles Mögliche auf Seiten zu drehen, wo man das vielleicht nicht

erwartet hätte. Ich habe ihn gefragt: Können wir den Bass nach links drehen?

Können wir nicht das Schlagzeug nach rechts drehen? Kann das nicht hierhin? Kann

das nicht dorthin? Und er argumentierte: Wenn wir das machen, verlieren wir den

sogenannten Mono-Druck. Wir verlieren das, was auf beiden Boxen gleich laut ist

und damit in der Mitte steht. Und er hat das dann so akzeptiert und fing dann an,

damit rumzuexperimentieren, etwas nach links und rechts zu drehen.

Sound: Samuel Beckett „Das letzte Band“ (Martin Held)

Sprecherin: 1958, als das tragbare Mono-Tonbandgerät gerade erst auf den Markt

gekommen ist, veröffentlicht der irische Dramatiker Samuel Beckett das

Einpersonenstück, „Krapp’s Last Tape“ (auf Deutsch „Das letzte Band“), hier zu

hören in der Aufführung mit Martin Held unter der Regie von Beckett selbst aus dem

Jahr 1970. Ein alter Mann, Krapp begegnet im Alter mit Hilfe seiner 30 Jahre alten

Tonbänder seinem jüngeren Selbst.

O-Ton Matthias Günther: Mono im Theaterzusammenhang ist bei mir sofort die

Assoziation Monolog, Monodram. Und die Aufschlüsselung ist in folgender Weise,

dass wir ja aus der dramatischen Literatur den Sprechakt des Monologs kennen. Ein

Schauspieler/eine Schauspielerin wendet sich, oder besser gesagt, eine Figur

wendet sich an ein Publikum und spricht. Das ist aber ein Selbstgespräch. Spricht zu

sich selbst. Reflektiert.

Sound: Samuel Beckett „Das letzte Band“

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O-Ton Matthias Günther: Samuel Beckett hat ein Stück geschrieben, in dem ein

älterer Mann Bänder abhört, Spulen abhört, Tonbänder, die er in viel jüngerer Zeit

aufgezeichnet hat. Dazwischen liegt eine größere Zeitspanne. Und er hört sich noch

einmal an, was er damals formulierte und er kommentiert das. Und das Interessante,

was Beckett überhaupt betreibt, ist, dass er ja Erinnerungsräume in all seinen

Stücken schafft. Erinnerungs-Echoräume. Eine Figur spürt etwas nach, was einst

war. Und das Besondere an diesem Stück von Beckett ist eigentlich, dass dieses

ältere Ich sich dazu verhält. Er verhält sich aber so dazu, dass er über den Idiot, der

er damals war, aus heutiger Sicht spottet.

Sound: Samuel Beckett „Das letzte Band“

O-Ton Matthias Günther: Dazu neigt der Mensch, also auf seine eigene

Vergangenheit, spöttelnd, zurückzuschauen und sie revidieren zu wollen. Zum Glück

können wir das nicht. Zum Glück können wir nicht revidieren. Das ist ein großer

Vorteil. Aber wir können die Vergangenheit kommentieren. Und er hat aber aufgrund

der Situation, dass er nun mal das Band angestellt hat, dass das Band jetzt läuft.

Und wenn er das Band stoppt, dann ist der Dialog gestoppt bzw. der Monolog in

seinem eigenen Kopf mit sich selbst.

Sound: Samuel Beckett „Das letzte Band“

Sprecherin: Zur Monophonie-Selbsterfahrung gehört, die eigene Stimme aus einem

Lautsprecher zu hören. Götz Alsmann betrachtet das mit spielerischer Gelassenheit

durch seine langjährige Erfahrung als Sänger, Entertainer und Radiomoderator.

O-Ton Götz Alsmann: Meine Stimme im Radio ist eigentlich nur die Fortsetzung

meiner Singstimme. Ich bin es ja als Sänger gewohnt, sehr nah ans Mikrofon zu

gehen, weil ich von Hause aus eher ein leiser Sänger bin und das haben andere

sicherlich auch so gemacht, Nat King Cole oder Charles Brown oder Mel Tormé.

aber, es war wahrscheinlich eine unwillkürlich auftauchende Idee.

Musik: Nat King Cole „Nature Boy“

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O-Ton Götz Alsmann: Okay, also das ist meine normale Moderationsentfernung

zum Mikrofon. Ich würde sagen, 15 bis 20 cm. Wenn ich jetzt noch näher herangehe,

dann klingt es natürlich noch intimer. Und aufgrund der brüllenden Lautstärke in

meinem Kopfhörer bin ich gehalten, noch leiser zu sprechen, noch tiefer zu

sprechen. Je mehr ich mich allerdings vom Mikrofon entferne, so wie jetzt, desto

schwieriger wird es, das durchzuhalten. Und jetzt werde ich etwas machen, was eine

Zumutung ist für alle, aber ich mache es trotzdem. Ich nehme meinen Kopfhörer mal

ab. Und jetzt habe ich überhaupt keinen Kopfhörer auf und jetzt spreche ich

eigentlich so, wie ich normal spreche. Und das kann niemand wollen.

Musik: Nat King Cole “Nature Boy”

O-Ton Götz Alsmann: So was ist eine Frage des Gefühls, aber vor allen Dingen

auch der Tagesform. Sie müssen sich vorstellen, wenn man jetzt richtig nah rangeht

und möchte einen besonders schönen, intimen musikalischen Moment kreieren,

möchte vielleicht auf eine besondere Art und Weise auf das nächste Stück

hinweisen, dazu hinleiten, dann kann es doch passieren, dass ganz komische

Geräusche mitkommen. Und deswegen ist es auch da schon angebracht, einen

gewissen Abstand zu halten, um das zu neutralisieren. Aber klar, man kann sich

natürlich auch zusammenreißen und kann sagen: "… und jetzt singt Nat King Cole

seine unsterbliche Fassung von ‚Nature Boy’."

Musik: Nat King Cole “Nature Boy”

The greatest thing you'll ever learn

Is just to love and be loved in return

O-Ton Götz Alsmann: Es ist schon so, dass die Stimme im Prinzip Mono ist, aber

sie ist nicht unbehandelt. da heutzutage ja die Nachrichten von bestimmten Sendern

auch klanglich der dargebotenen Musik angepasst werden, mögen sie zwar in Mono

sein, werden aber mit allerlei Equalizer und Veränderungsmechanismen mit

irgendwelchen Schichten überlegt, überspielt. Da schwappt ein technischer Tsunami

über das dargebotene Nachrichtenkonvolut. Die Nachrichten im Deutschlandfunk

klingen wirklich so, wie die Nachrichten in einem ganz alten Hörspiel klingen: sauber,

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schön, tief, sonor, seriös. Aber die selben Nachrichten klingen bei einem privaten

Rundfunksender vollkommen überdreht. Weil man dort etwas macht, dass die

Sprechstimmen dort technisch dem Gesamtsound der Musik und der

Musikmoderation angepasst wird.

Sound: Ausschnitt aus dem Film „Only a Free Individual Can Create a Free Society"

von Grace Schwindt (2014)

O-Ton Grace Schwindt: Und das hat natürlich auch sehr viel mit Telefongesprächen

zu tun und wie ich eben die deutsche Geschichte untersucht habe durch diese

Telefonate… oder das damit angefangen hat zumindest.

Sprecherin: Die in Frankfurt aufgewachsene und heute in London und Amsterdam

lebende Künstlerin Grace Schwindt entwickelt die Text- und Bildgrundlagen ihrer

Film- und Bühnenarbeiten u.a. aus Telefongesprächen. Die ganz spezifische „Mono-

Situation“ eines Telefonats und der Umgang mit der oft verhärteten „Mono-Richtung“

in den Erzählungen traumatisierter Menschen werden in ihren überraschenden

Inszenierungen wirksam.

O-Ton Grace Schwindt: Also zum Beispiel "Only a Free Individual Can Create a

Free Society", was ein Film ist. Der fing an 2009 mit einem Telefongespräch mit

einem Taxifahrer, der eben, ja, ein ehemaliger Aktivist war, sagen wir mal, in

Frankfurt. Und, ja, mit dem ich mehr oder weniger aufgewachsen bin. Und seine

Gespräche eben mitbekommen habe als Kind.

Sound: Ausschnitt aus dem Film „Only a Free Individual Can Create a Free Society"

von Grace Schwindt

O-Ton Grace Schwindt: Er war Taxifahrer am Flughafen Frankfurt und ist dann

eben relativ weit rausgefahren immer. Und ist dann auf der Rückfahrt, zurück zum

Flughafen ohne Fahrgäste, hat er dann eben gesagt: "Okay, jetzt habe ich Zeit."

Oder wenn dann immer so Strecken von mindestens einer halben Stunde bis eine

Stunde, wo ich ihn dann interviewen konnte und er am Autofahren war.

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Sound: Ausschnitt aus dem Film „Only a Free Individual Can Create a Free Society"

von Grace Schwindt

O-Ton Grace Schwindt: Und warum das für mich sehr Mono (lacht) ist, diese

Situation, ist, dass ich eben die Person an einem Ohr habe und es… ja, und dann

das andere Ohr wirklich in dem Raum ist, wo ich eben bin. Ich war in meinem Studio,

in meinem Atelier in London. Und von meinem Atelier in London hab ich die Stadt

überschaut, Und er, weil er oft im Taunus usw. in die Hügel, kleine Berge von

Frankfurt und Umgebung gefahren ist, kam… die Landschaft wurde auch ein

wichtiger Teil von diesem Gespräch, weil er oft kommentiert hat. „Oh, die Luft ist hier

schön, ich mach mal kurz das Fenster auf“ usw., „Oh, jetzt kommt ein Tunnel“ und

eben sein Blick auf die Stadt über Frankfurt … Also, da ist mir auf jeden Fall sehr

stark gekommen, diese Idee von Mono und eben auch dann Stereo, und wirklich

diese zwei verschiedenen Mono-Wahrnehmungen von zwei verschiedenen Orten,

aber gleichzeitig (lacht) eben.

Sound: Ausschnitt aus dem Film „Only a Free Individual Can Create a Free Society"

von Grace Schwindt

O-Ton Grace Schwindt: Ja, und die andere Sache, die für mich sehr interessant ist

mit Mono, ist eben wirklich zu überlegen ist die Richtung. Also das Mono sozusagen

diese eine Richtung ist. Wenn man das jetzt weiterspinnt, diese Idee von Richtung,

hat es für mich auch viel damit zu tun wie Geschichte von Generation zu Generation

übertragen wird. Und wie, jetzt z.B. in Bezug auf die deutsche Geschichte, wie viele

Fragen nicht beantwortet werden. Diese Unterbrechung von dieser monologen

Mono-Richtung, von dieser Geschichtserzählung – das interessiert mich sehr, sehr

stark für die Arbeit und, finde ich auch, es ist eine sehr wichtige Herangehensweise

um zu versuchen, dass irgendeine Heilung stattfindet. Also, weil immer zu sagen,

niemand wusste davon oder nicht auszusprechen oder nicht zuhören zu können,

weil's so schrecklich ist, dass das irgendwie unterbrochen werden muss und

angehalten werden muss auch. Und für mich ist es ganz interessant, mit Mono

darüber nachzudenken, also, dass es diese Richtung, dass es diesen Strom gibt, der

dann eben angehalten werden kann oder unterbrochen werden kann und dann

weitergeht.

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Musik: Les Filles de Illighadad “Telilit”

O-Ton Christopher Kirkley: So I'm going to start recording now, I hope that's good,

yeah. OK. OK, cool. Yeah. So. So

Sprecherin: Der Musikverleger Christopher Kirkley und sein in Portland, Oregon,

beheimatetes Label „Sahel Sounds“ haben sich auf die zeitgenössischen

Musikkulturen in West-Afrika und der Sahelzone spezialisiert. Dort spielt das

Smartphone eine ganz zentrale Rolle.

Musik: Les Filles de Illighadad “Telilit”

O-Ton Christopher Kirkley: When I hear “Mono”… Well, in my work it's just how

music is produced or shared.

Musik: Les Filles de Illighadad “Telilit”

O-Ton Christopher Kirkley: I originally fell into this work deciding to do field

recordings. When I first started Sahel Sounds the idea was to just travel. Just to get

out and travel around West Africa. Because it was a part of the world I was musically

interested in. because there wasn't a lot of music coming out from Mali or Niger, that

wasn't sort of filtered through a Western producer. So I brought along a little

handheld field recorder and started to travel around to meet musicians and record.

Übersetzung: Begonnen hat alles damit, dass ich Fieldrecordings machen wollte.

Ich wollte einfach reisen. Einfach los und durch Westafrika reisen, weil mich die

Musik in diesem Teil der Welt interessierte. Einfach um mit dieser Musikszene in

Kontakt zu treten, weil die Musik aus Mali oder Niger, die ich bis dahin kennenlernen

konnte, immer gefiltert war durch westliche Produzenten. Also besorgte ich mir einen

kleinen tragbaren Field Recorder und begann damit herumzureisen, um Musiker zu

treffen und sie aufzunehmen.

Musik: Les Filles de Illighadad “Telilit”

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O-Ton Christopher Kirkley: A lot of the recordings that I was recording on my field

recorder were, of course, stereo recordings, but while I was traveling around, I had

this moment when I’d be doing field recordings I noticed that in addition to myself

holding up a microphone, a lot of the people around would be holding up their cell

phones and they would also recording. And so I started to think about the cellphone

as almost like a secondary source of collecting. if I could tap into this network of

music recorded on cell phones, it would give me access to like a much larger body of

work.

Übersetzung: Mein Field Recorder machte natürlich Stereoaufnahmen, aber

während meiner Reisen bemerkte ich irgendwann, dass nicht nur ich ein Mikrofon in

der Hand hielt, sondern auch viele andere Leute ihre Handys in der Hand hielten, um

damit Aufnahmen zu machen. Und so fing ich an, über das Handy als eine weitere

Quelle für meine Sammlung nachzudenken. Wenn es mir gelingen würde, dieses

Netzwerk von Musikaufnahmen, die mit Handys aufgenommen wurden, anzuzapfen,

würde mir das einen Zugang zu viel mehr Werken verschaffen.

O-Ton Christopher Kirkley: So I started to download music from people's cell

phones and archived, this sort of, you know, cell phone recordings. And I would say

that was my really foray into Mono, right? Because a lot of this stuff was recorded

directly on a phone. It was often really like lo-fi, different formats, like 3gp formats or

very like low-bit rate mp3s. And there was certainly something about it that equated

everything, it just sort of flattened it out, you know. So if you were listening to

something that was this lo-fi mono field recording on a phone, regardless of where it

was taken from, it brought everything together, right.

Übersetzung: Also fing ich an, Musik von den Handys der Leute herunterzuladen

und zu archivieren. Oft waren es wirklich Lo-Fi-Aufnahmen, wie 3gp-Formate oder

Mp3s mit sehr niedriger Bitrate. Und das hatte natürlich etwas, das alles

gleichgemacht hat. Alles war gleich flach. Wenn man sich also etwas wie ein Lo-Fi-

Mono-Fieldrecording auf einem Telefon anhört, unabhängig davon, woher sie

stammt, bringt das alles zusammen.

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Sprecherin: Auch in der Live-Musik spielt Mono inzwischen eine immer wichtigere

Rolle. Der Toningenieur Helmut Philipps spricht hier aus Erfahrung:

O-Ton Helmut Philipps: Und dann kommt noch hinzu, dass wir viel in

Philharmonien und Theatern und solchen Häusern spielen. Da hast Du einen ganz

großen Anteil von Direktklang. Das heißt, ich muss den Direktklang mir anhören und

was dazu schieben. Also vieles kommt direkt aus der Bühne, gerade vom

Schlagzeug auch.

(die Idee dahinter) 41:30

O-Ton Helmut Philipps: Wie geht man mit Lautsprechern um in Räumen, die

eigentlich nicht für Lautsprecher gemacht worden sind? Es gibt eine Erkenntnis: Der

Raum ist immer stärker als die stärkste Anlage. Der Raum besiegt dich immer. Du

musst dich einfach den Vorgaben dieser Räume anschließen.

O-Ton Helmut Philipps: Was aber inzwischen z.B. auch durch moderne Technik

wie diese Line Arrays ist, … sagt dir was? Line Arrays –Nein?– sind diese

Lautsprecheranlagen, die so wie Bananen aussehen, Naja, da sind ja so Schachteln

mit Lautsprechern, die man genau ausrichten kann. Also da wird genau gerechnet.

Für die ersten 5 Reihen ist das, für die zweiten, für die dritten und so weiter. Und die

schicken nicht so viel Konfusion in den Raum. Und eine ganz interessante Sache im

Zusammenhang mit Mono ist eben auch noch: Ich bin mal von Kollegen. Ich bin ja

Dortmunder. Und da haben mich die Kollegen angerufen und gesagt: ‚O-Ton Helmut,

wir haben was Neues ausprobiert. Lass dich mal bitte drauf ein.’ ‚Ja, was denn?’ ‚Wir

hängen nur noch eine Banane rein.’ Also Mono. ‚Wir machen nur noch eine Mono-

Abnahme.’ Und das ist die Lösung. Das ist des Rätsels Lösung. Und dann hab ich im

Gewandhaus gespielt und da war dann eine Technikfirma, die uns betreut hat. Die

wollten unbedingt vorher mit mir reden, um mir etwas zu erzählen und ob ich mir das

vorstellen könnte. So, die kamen dann auch mit der Mono-Idee. Ich sagte: 'Ja, klar.

Ich weiß es aus Dortmund.' Es ist die geilste Idee. Und in Bochum macht man das

inzwischen auch. Und Du gehst auch nur Mono raus auf dem Pult. Kein Zuhörer

merkt das. Keiner!

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Musik: Jan Delay „Lächeln“, 2021

Sprecherin: Da tanzbare Pop-Musik heute in Stereo abgemischt wird und auf

heimischen Stereoanlagen, in Diskotheken, aber auch auf kleinsten

Handylautsprechern ihre Wirkung entfalten muss, spielt die Rückbesinnung auf Mono

eine zentrale Rolle. Musikproduzent Tobias Levin erklärt das an einem Beispiel:

O-Ton Tobias Levin: Ich hab mal ein sehr schönes Gespräch mit Jan Delay geführt.

Da hatte ich ihm ein Wurlitzer Keyboard für eine Aufnahme geliehen und wir sind uns

irgendwo zufällig wieder begegnet. Und er hat nochmal gesagt "Danke für das

Wurlitzer Keyboard. Das klang super." Und dann ging ein Gespräch los, indem er

erzählte, dass auch die Plug-ins für die Wurlitzer Keyboards, also die virtuellen

Varianten davon, auch schon ganz toll klingen. Und ich sagte: ‚Ja, das klingt total

super. Das hab ich auch schon gehört.’ Und er sagte: 'Manchmal geht's auch gar

nicht darum, dass man so viel Atmosphäre hat.' Und dann kamen wir auf George

Benson zu reden und auf dieses Album "Give Me The Night" Bruce Swedien, ganz

viele echte Stereo-Signale wurden verteilt und eine wundervolle Räumlichkeit, ein

klasse Argument für Stereophonie. Und Jan sagte: „Das ist wundervoll, diese Musik

von George Benson z.B., aber man kann sie nicht auflegen, ja. Hat zu wenig Druck.“

Also, das fällt total ab gegenüber anderen Songs, modernen Popsongs, die so sicher

auf Mono gemischt worden sind, dass man sicher geht, dass immer beide Boxen mit

der gleichen Energie ihre Pappen bewegen. Und dann fügte er mit seiner

wunderbaren Stimme hinzu, dass er sich genau so seine Platte vorstellt: ‚Nur Pegel!

Null Atmosphäre!’ Und da habe ich sehr gelacht. Und er hat natürlich auch gelacht.

Es war ein bisschen ironisch. Also: „Nur Pegel! Keine Atmosphäre!“ bedeutet, dass

Du keine Energie verschwendest, die rechts und links in den Boxen ist. Sondern Du

nutzt nur die Mono-Mitte. Und je mehr Du rechts und links in den Boxen hast, also je

mehr Stereophonie Du rechts und links hörst, desto weniger Kraft hat natürlich diese

Mono-Mitte.

Musik: Jan Delay „Lächeln“, 2021

O-Ton Tobias Levin: Und als ich ihn das nächste Mal dann wieder traf und meinte:

‚Na, Hallo, Jan, nächste Platte, ist sie fertig? Und ist es genauso geworden: „Nur

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Pegel, Null Atmosphäre“?’ Hat er so verschmitzt gelächelt und hat gesagt: „Haben

wir nicht hingekriegt.“ Und es ist natürlich lustig, weil, man kann nicht ohne

Atmosphäre arbeiten.

Musik: DJ Lag

Sprecherin: In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut hat der Berliner

Musikjournalist Florian Sievers 2020 das Buch „Ten Cities“ veröffentlicht. Darin geht

es um urbane Club-Kulturen zwischen 1960 und 2020. Ein starker Akzent des

Buches liegt auf dem Musikgeschehen in afrikanischen Städten wie Nairobi, Kairo,

Johannesburg oder Lagos.

O-Ton Florian Sievers: In dem Buch, was wir veröffentlicht haben gerade zur

Geschichte der Clubkultur in 10 Städten –5 in Afrika, 5 in Europa, "Ten Cities" – ist

einer der wesentlichen Faktoren, der sich durch die 5 afrikanischen Städte zieht und

von Kairo ganz im Norden bis Johannesburg, in Südafrika, ganz im Süden. Dass die

Leute improvisiert Musik hören, also gar nicht so sehr mehr in offiziellen Discos, das

ist eher was für Leute, die wohlhabend sind oder zumindest so erscheinen wollen,

sondern, dass die Musik natürlich improvisiert draußen gehört wird. Also so wie

früher auch auf Jamaica schon mit Sound Systems, aber diese Sound Systems oft

dann einfach nur als Klangquelle ein Handy haben, wo das dann eingestöpselt ist

oder vielleicht sogar nur über Bluetooth irgendwie. Und das wird dann einfach

darüber abgespielt. Und die Klangqualität ist dann erst mal zweitrangig. Auch das

Mono-Stereo-Spektrum. Das ist alles scheißegal. Hauptsache das wummst

ordentlich. Manchmal wummst es auch noch nicht mal, sondern erstaunlicherweise

ist die Musik dann auch total blechern. Also so, wie es halt so klingt, wenn man so

was so abspielt und vor allem auch so ein so low-res-mp3 auf eine große Leinwand

aufbläst. So. Aber das ist dann eigentlich egal. Ich denke dann auch immer, die

Leute denken sich quasi vielleicht auch ein bisschen einen Teil dazu, wie es vielleicht

gemeint ist, also der Klang gemeint ist. Also man kann auch so Musik hören, also

auch Spaß haben und tanzen.

Musik: Abba Gargando "Tarha Lamon Ines"

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O-Ton Christopher Kirkley: We've released compilations of music collected from

phones. And so increasingly Internet has sort of entered the scene. We've been

using mobile technology to send and receive files. So it's been easier to contact

musicians as well.

Übersetzung: Wir haben zuerst Compilations mit Musik veröffentlicht, die wir von

Telefonen gesammelt hatten. Und nach und nach hat sich das Internet immer mehr

durchgesetzt. Wir konnten das mobile Internet nutzen, um Dateien zu senden und zu

empfangen. Und damit wurde es einfacher mit Musikern in Kontakt zu treten.

O-Ton Christopher Kirkley: In 2018 we recorded an album from musician Aba

Gagondo. He's a Tuareg guitar player. And at the time, there was a conflict in the

north of Mali and Aba was from Timbuktu, but he had to evacuate and he was living

in the refugee camps in Mauritania at the time. We had talked about doing an album

and recorded something. But due to the situation, he was sort of stuck in this camp,

deep in the desert in between Mauritania and Mali. And there's not much out there.

But he did have his phone and he had a Casio keyboard with a little drum machine

on it. And so I suggested that he records something there in the camps on his phone,

and he could just send me the files over WhatsApp. So we did that and and then

produced a record from these recordings.

Übersetzung 2018 haben wir ein Album mit dem Tuareg Gitarristen Abba Gargando

aufgenommen. Zu der Zeit gab es einen Konflikt im Norden von Mali. Abba kam aus

Timbuktu, war evakuiert worden und lebte zu der Zeit in den Flüchtlingslagern in

Mauretanien. Und wir hatten vor seiner Flucht darüber gesprochen, ein Album zu

machen und etwas aufzunehmen. Aber aufgrund der Situation saß er in diesem

Lager fest, tief in der Wüste zwischen Mauretanien und Mali und da gibt es so gut

wie gar nichts. Was er aber hatte, war sein Telefon und ein Casio-Keyboard mit einer

kleinen Drum-Machine. Und so schlug ich vor, dass er dort in den Camps etwas mit

seinem Telefon aufnimmt, und er mir die Dateien einfach über WhatsApp schickt.

Musik: Abba Gargando "Tarha Lamon Ines"

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O-Ton Christopher Kirkley: In 2020 we launched this project called "Music from

Saharan WhatsApp". And, yeah, the idea of the project was to have artists record

something on their phone and then send a small EP of five songs over WhatsApp. I

would host it online for a month and during that time, it was sort of a pay-what-you-

want Model. Right? And And so part of the idea of the project was this, you know,

being that we have this technology here, what can we do with it? How can we use it?

Because even though we have phones throughout West Africa and everybody has

Whats App technology, there's still this digital divide of artists being able to enter sort

of that global economy and participate in that. They're still cut out from that world.

Übersetzung: 2020 haben wir das Projekt "Music from Saharan WhatsApp"

gestartet. Die Idee des Projekts war, dass Künstler etwas auf ihrem Handy

aufnehmen und dann eine kleine EP mit fünf Songs über WhatsApp verschicken. Ich

habe sie einen Monat lang als Stream online gestellt und die Bezahlung dafür war

auf freiwilliger Spendenbasis. Und so war ein Teil der Idee des Projekts zu sagen, wir

haben diese Technologie, was können wir damit machen? Denn obwohl wir in ganz

Westafrika Handys haben und jeder die Whats-App-Technologie hat, gibt es immer

noch diese digitale Kluft, die es Künstlern dort unmöglich macht, an der globalen

Ökonomie teilzuhaben. Sie sind immer noch von dieser Welt abgeschnitten.

Musik: Abba Gargando "Tarha Lamon Ines"

O-Ton Christopher Kirkley: I mean, the project went really well. We raised, I think,

something like 20.000 Dollars for the artists over a year. I think we recorded some

really amazing material. And I'm doing records with some of the artists, that we sort

of demo-ed through this project because it was an open call as well to artists to get in

touch and to submit their proposals.

Übersetzung: Das Projekt lief wirklich gut. Wir haben für Künstler im Laufe eines

Jahres um die 20.000 Dollar gesammelt und ein paar richtig tolle Sachen

veröffentlicht. Und ich mache jetzt Platten mit einigen der Künstler, die wir über

dieses Projekt kennengelernt haben, denn es war auch ein offener Aufruf an

Kunstschaffende, sich zu melden und ihre Vorschläge einzureichen.

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O-Ton Christopher Kirkley: If artists everywhere do have access to the phones and

recording devices and increasingly now Internet, you know, why can't they just put

their music on Spotify? Why not? There's absolutely no reason, besides, you know,

economic apartheid. I mean, there's no reason.

Übersetzung: Wenn Künstler überall Zugang zu Telefonen und Aufnahmegeräten

und zunehmend auch zum Internet haben – warum können sie ihre Musik nicht

einfach auf Spotify einstellen? Es gibt absolut keinen Grund, außer wirtschaftlicher

Apartheid.

Sound: Waldstimmung, Vogelrufe, frühlingshaft, Kuckucksruf

O-Ton Julia Kursell: Wenn ich an meine Studierenden denke, dann höre ich vor

allem eines, nämlich, die möchten Schall körperlich erfahren. Und das bedeutet nicht,

dass sie sich vorstellen, dass dieser Schall an einem bestimmten Punkt im Raum ist,

sondern, dass ihr Körper richtig von den Schallquellen aktiviert wird. Und da hat man

dann sogar auch noch andere Rezeptoren als das Ohr. Da hat man kleine

Körperchen unter der Haut, die auch Vibrationen aufnehmen können. Und das sind,

glaube ich, die viel wichtigeren Signale, die die Musik heutzutage einem senden soll.

Man hat diese Erfahrung, dass man sich mit anderen Leuten in einem Raum

befindet, wo der Schall eine physische Erfahrung am ganzen Körper ist, zu der man

dann eben tanzt zum Beispiel.

Sound: Meeresrauschen

O-Ton Matthias Günther: Es gibt ja eine Sache, die wirklich auffallend ist, dass wir

in einer Welt leben, in der der Monolog sich auf eine andere Weise verstärkt hat, und

zwar durch das Handy, die Voicemail, die so eine Modeerscheinung ist. Du

bekommst heute nicht einfach einen Anruf und unterhältst dich im Dialog, sondern

bekommst eine Voicemail. Im Prinzip ein Monolog, der dich auffordert, auch einen

Monolog zu starten. Und das setzt ja erst einmal voraus ein monologisches Denken

und das monologische Denken bedeutet: Ich sende. Und ich bin nur am Senden.

Wenn Du mit Werbern sprichst, dann sagen die Werber dir: Du darfst selbst nicht so

viel Monolog halten, denn dein Gegenüber, deine Zielgruppe will selbst

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monologisieren. Sie wollen selbst Protagonisten werden, also all diejenigen, die in

den sozialen Medien unterwegs sind. Also der Monolog ist in einer fortschreitenden

Bewegung als Selbstgespräch hinaus gesendet in die Welt zum Monodram

umformuliert. Das heißt also, dass das Selbstgespräch, der Monolog nicht nur mir

selber dient oder auch nicht nur in einer Theateraufführung dazu dient, um die innere

Welt einer Figur genauer zu beschreiben, sondern er dient dazu, überhaupt in der

Welt sich selbst als solche, als Spielfigur zu positionieren.

O-Ton Tobias Levin: Ich sehe immer nur dieses Handy mit dem Mono. Ich sehe, ich

sehe diese Person vor mir, die vielleicht keinen Ort hat, aber da, wo sie das Handy in

der Hand hat, eben doch einen Ort hat. Und auch dafür reicht Mono komplett aus.

Das heißt, dafür reicht ein Handy komplett aus. Genauso wie früher eine einzelne

Stimme im Doo-Wop z.B. dafür ausgereicht hat. Interessant wird es jetzt, ob diese

Person es schafft, in eine Gesellschaft zu kommen. Das heißt, im Doo-Wop wurden

dann sozusagen fünf Stimmen da draus. Und dann gab es eben diese Vocal Groups,

die an der Ecke standen. Es ist also immer dann interessant, wenn ein Mono-

Instrument von mehr berichtet als von diesem Master das ist das Grammophon, vor

dem der Hund sitzt, dass hinter dem Mono-Gerät, hinter dieser Abspielmaschine,

hinter dieser Mono-Maschine nicht nur eine Ich-Maschine sich befindet, sondern

hoffentlich ein Orchester von Chick Webb, dass sich dahinter etwas verbirgt, was

wirklich Möglichkeiten sind und nicht, dass das so eine Art von selbstoszillierende

Schlaufe ist, die immer nur sagt: Ich kann es hier herstellen, aber ich komme nie raus

aus diesem einzelnen Etwas.

Musik: Chick Webb & His Orchestra „Liza“

Sprecherin: „Back to Mono – Mehr als ein Kanal“, Feature von Olaf Karnik und

Volker Zander. Mit dem Musiker und Moderator Götz Alsmann, dem Labelbetreiber

Christopher Kirkley, der Musikwissenschaftlerin Julia Kursell, dem Musikproduzenten

Tobias Levin, dem Toningenieur und Autoren Helmut Philipps, der bildenden

Künstlerin Grace Schwindt und dem Musikjournalisten und Kurator Florian Sievers.

Sie hörten Ausschnitte aus der Schallplatte „Martin Held spricht „Das letzte Band“

von Samuel Beckett“ unter der Regie von Samuel Beckett, nach einer Aufführung

des Schiller-Theaters Berlin, Deutsche Grammophon, 1970, sowie Auszüge aus dem

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Film „Only a Free Individual Can Create a Free Society“ von Grace Schwindt aus

dem Jahr 2014.

Es sprachen: Justine Hauer, Daniel Berger

Ton und Technik: Eva Pöpplein, Oliver Dannert

Regie: Thomas Wolfertz

Redaktion: Klaus Pilger

Produktion: Deutschlandfunk, 2021