USA-Hexen

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  • 7/31/2019 USA-Hexen

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    W I C C A - K U L T

    Die Hexe von East Village

    In den USA sind auch neuheidnische Kulte staatlich anerkannt.Besuch bei einer bekennenden "Wicca".VON Eva Schweitzer | 22. Juni 2011 - 08:00 Uhr

    Scott Olson/Getty Images

    Anhnger des Wicca-Kultes um Reverend Don Lewis (links) in Hoopeston, Illinois.

    Starr, nur Starr, so wie Cher, ist eine Hexe. Sie lebt, fr eine Hexe vielleicht etwas

    ungewhnlich, im East Village in New York. Hier hausten einst Immigranten

    zusammengedrngt in berteuerten Bruchbuden, heute frequentieren Yuppie-Studenten

    von der New York University trendige Bars, ebenfalls berteuert. Starrs eigener Laden in

    der Ninth Street ist eher schmucklos, weie Wnde, Klappsthle um einen Tisch. Wenige

    Straen weiter gab es bis vor kurzen einen echten Hexenladen, mit Tinkturen, Krutern,

    Amuletten, Voodoo-Puppen, Heilkristallen, silbernen Pentagrammen, Pendeln, Tarotkarten,

    Hexenbesen und zwei Katzen, eine ganz wei, die andere schwarz. Jetzt sucht der Laden

    eine neue Bleibe. Aber mit solchen Moden, sagt Starr, habe sie nichts zu tun.

    Starr ist um die fnfzig, sie hat lange, lockige schwarze Haare, dunkle Haut, ein Dekollet

    wie eine Bedienung im Oktoberfestzelt und das selbstbewusste Auftreten einer Frau, die

    wei, dass sie eine echte Hexe ist. Sie gibt Kurse ber die Lehren der Wiccas, wie sich die

    Anhngerinnen der neuheidnischen Mysterienreligion nennen, aber heute zelebriert sie den

    vollen Mond, das gelbe Nachtgestirn mit den Geisterflecken, das ber Manhattan hngt.

    Zwei Dutzend Wiccas werden kommen, die meisten ltere Frauen. Aber an unserem

    hchsten Fest kommen Hunderte, sagt Starr. Das hchste Fest ist Samhain, oder, wie

    Nichthexen es nennen, Halloween.

    Starr wurde als Katholikin geboren, in Toronto, Kanada. Aber vor dreiig Jahren

    habe ich diese Religion gewhlt, sagt sie, denn eine Religion zu whlen ist Teil

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    des Erwachsenwerdens. Wicca, der Kult der Hexen, der sowohl weiblichen als auch

    mnnlichen Naturgttern huldigt, habe ihr am besten gefallen. Im brigen sei der Glaube

    der Wiccas nicht vollkommen verschieden vom Christentum. Was Christen Gebete

    nennen, nennen wir Zaubersprche. Sogar Thanksgiving feierten die Wiccas, nur an einem

    anderen Datum, zur Tag-und-Nacht-Gleiche im September. Und Feste wie Weihnachten

    oder Ostern htten ebenfalls ihre Entsprechung im Paganismus.

    In den USA sind auch Religionen anerkannt, die hierzulande mit groem Argwohn

    betrachtet werden und so ist Starr eine staatlich anerkannte Wicca-Priesterin. Dazu

    muss man nur eine Gemeinde nachweisen und eine Menge Papierkram erledigen, erklrt

    sie. Aber das war nicht immer so. Amerika wurde von Protestanten gegrndet, und noch

    immer sind mehr als 50 Prozent der Amerikaner evangelisch. Weitere 24 Prozent sind

    katholisch, drei Prozent gehren christlichen Sekten an und knapp fnf Prozent anderen

    Religionen. Etwa 16 Prozent sind nicht religis. Nur 0,4 Prozent aller Amerikaner hngen

    einem neupaganistischen New-Age- oder Hexenkult an, doch das sind gut eine Million

    Menschen. Daneben gibt es als kleinste Gruppe einige Hunderttausend Indianer, die die

    Religion ihrer Vorvter praktizieren.

    Dass Nichtprotestanten frei von Diskriminierung oder Zwangsbekehrung in den USA

    leben knnen, ist relativ neu: Die meisten Afroamerikaner sind deshalb evangelisch, weil

    ihre versklavten Vorfahren zwangsgetauft wurden. Noch im 20. Jahrhundert wurden

    indianische Kinder in Internate verschleppt, wo ihnen der Mund mit Seife ausgewaschen

    wurde, wenn sie zu ihren Stammesgttern gebetet hatten. Sogar die Anhnger der ersten

    originr amerikanischen Religion, die Mormonen, wurden anfangs verfolgt: Als Grnder

    Joseph Smith sie 1831 in Missouri um sich scharte, wurden sie per Staatsdekret vertrieben;

    Smith wurde spter gelyncht. Sein Nachfolger Brigham Young zog ins heutige Utah,

    damals Indianerterritorium, doch die US-Regierung schickte Truppen hinterher, um zu

    unterbinden, dass die Mormonen ihren eigenen Staat grndeten. Auch Katholiken und

    Juden wurden noch bis in die fnfziger Jahre diskriminiert.

    Das nderte sich erst mit der Brgerrechtsbewegung der sechziger Jahre. Damit, und auch

    mit dem Feminismus und der New-Age-Mode, kamen die neuen Hexenreligionen nach

    Amerika. Die Wiccas als die bekanntesten dieser Hexen sehen sich in der Tradition der

    Kelten aus Irland, Wales und der Bretagne; tatschlich wurden sie erst 1954 neu entdeckt,

    und zwar von dem englischen Anthropologen Gerard Gardner, der von seinem irischen

    Kindermdchen inspiriert wurde. Seine Bcher lesen sich denn auch wie ein Amalgam aus

    Tolkien und Harry Potter.

    Doch bis zur rechtlichen Gleichstellung der Wiccas sollte es dauern: Erst in den

    Neunzigern erlangten die Paganisten Anerkennung, und im Jahr 2000 unterzeichnete US-

    Prsident Bill Clinton den Religious Land Use and Institutionalized Persons Act. Er erlaubt

    jeder Religion den Bau von Gotteshusern und gewhrt Strafgefangenen den Zugang zu

    einem Gottesdienst ihrer Wahl. Das Gesetz wurde von einer Koalition verschiedenster

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    Religionsanhnger eingebracht, darunter Orrin Hatch, Mormone und Republikaner, sowie

    Edward Kennedy, Katholik und Demokrat. Das war ein groer Fortschritt fr uns, sagt

    Starr, denn es gibt noch Amerikaner, die uns feindlich gesinnt sind. Auch George W. Bush

    mochte uns nicht. Bush, ein Methodist, der wiedergeborener Christ wurde, meinte einmal,

    der Glaube der Wiccas sei fr ihn keine richtige Religion. Seine Parteifreundin Christine

    ODonnell allerdings, die fr die Republikaner als Senatorin kandidierte, erzhlte in einer

    Talkshow, sie habe sich in ihrer Jugend als Hexe versucht und ein Mitternachtspicknick

    auf einem satanischen Altar zelebriert. Anschlieend warb sie mit dem Slogan Ich bin

    keine Hexe. Die Whler machte ihr Kreuzchen aber lieber woanders.

    Gedacht war Clintons Gesetz eigentlich fr die Wahrung der Rechte von Juden, Muslimen,

    Hindus oder Sikhs, aber bald beriefen sich auch Paganisten darauf. 2005 verklagten

    fnf Gefngnisinsassen den Staat Ohio: ein Wicca, ein Satanist, zwei Anhnger eines

    Odinkultes und ein satr satrs glauben, dass die weie Rasse die Schlammrassen

    niederhalten msse. Die fnf wollten ihre Rituale im Gefngnis praktizieren und bekamen

    recht. Wenig spter setzten sich auch Wicca-Soldaten der U.S. Army vor Gericht durch,

    die darauf bestanden, dass Grabsteine auf Militrfriedhfen ihr Symbol, den fnfzackigen

    Stern, zeigen drfen. Dass Paganisten gemeinsam klagen, heit aber nicht, dass sie

    sich einig sind. So grenzen sich die Wiccas ausdrcklich von den Satanisten ab, den

    Teufelsanbetern. Der Teufel ist eine christliche Erfindung, meint Starr, mit ihm haben

    Naturreligionen nichts zu schaffen. Auch innerhalb der Kulte bestehen Differenzen: So

    gibt es einerseits germanische, andererseits skandinavische satr, und die meisten Hexen

    grenzen sich vom weien Herrenrassenwahn ab.

    Ist Starrs Wahl nicht trotzdem ungewhnlich? Warum schliet sich eine schwarze

    Kanadierin einer Religion an, die auf irische Kelten zurckgeht? Starr schttelt den

    Kopf: Alle Naturreligionen haben Gemeinsamkeiten, ob sie nun aus Europa oder Afrika

    kommen, sagt sie. In den Naturreligionen gibt es keine Heilige Schrift, die Gtter und

    Geister sind mit Naturphnomenen wie den Gestirnen assoziiert. Vor allem aber erheben

    sie keinen Anspruch auf Allgemeingltigkeit. Starr sagt, ihre Kirche sei mit einem

    Schamanen vom Stamm der Sioux freundschaftlich verbunden, der komme einmal im Jahr

    vorbei und gebe Kurse.

    brigens sind die meisten Hexen in Amerika schwarz, auch die Berhmteste der Zunft, die

    Voodoo-Zauberin Marie Laveau, war Afroamerikanerin. Sie wurde im New Orleans der

    Franzosenzeit geboren und starb vor 130 Jahren. Sie soll Gelbfieberkranken mit Krutern

    und Liebeskranken mit Tinkturen geholfen haben. Ihr Grab auf dem St. Louis Cemetery

    in New Orleans ist noch immer mit Voodoo-Pppchen geschmckt, ebenso ihr Altar in

    einem Laden in den Bourbon Street. Nicht berhren, das bringt Unglck!, steht auf

    einem Schildchen. Wer wei, vielleicht war George Bush ja mal hier und hat die Warnung

    ignoriert.

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