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Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen sowie Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Mannheim z. Hd. Christina West [email protected] 05. August 2013 Utopie im Grünen Neue Urbane Landwirtschaft und ihre utopischen Implikationen Toni Karge Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung Humboldt-Universität zu Berlin Urban Gardening ist derzeit in aller Munde. Ob Süddeutsche oder BZ – die Berichte über dieses neue Phänomen sind zahlreich. Die wissenschaftliche Literatur charakterisiert Urbane Landwirtschaft als gesellschaftliches Projekt, das über reine Gartenarbeit hinausgeht. Neben sozialen Aspekten (insb. in Gemeinschaftsgärten) stehen vor allem ökologisch-ökonomische Abgrenzung zum gesellschaft- lichen Mainstream im Vordergrund. Urbane Gärten sind politische Projekte. Ihren Anfang hatte die Gartenbewegung in US-amerikani- schen Auseinandersetzungen um Nutzung städtischen Freiraums – gegen Bodenspekulation und gegen Verwahrlosung. Die Kritik an kapitalistischen Verwertungsmechanismen städtischen Bodens wurde um genuin städtische Themen (Partizipation, Right to the City, neue Urbanität), aber auch globale Gerechtigkeitsthematiken erweitert, wie die Verteilungskämpfe um Ressourcen (Energie, Wasser, auch Upcycling), die Industrialisierung der Landwirtschaft (Saatgutmonopole, Neokolonialismus, Land Grabbing) oder konsumkritische Haltungen (Slow Food, Sortenvielfalt und Biodiversität, Permakultur, Transition Town). All dies fügt sich zu einem Bild von unangepassten, entrückten Orten lokaler Identität in sich globali- sierenden Städten. Sie umweht der Hauch von visionären Ideen für eine nachhaltigere Zukunft. Inwie- weit sind Urbane Gärten tatsächlich Orte real existierender Utopien? Hilfreich ist hierbei eine Betrachtung historischer Utopien – mit einem gärtnerischen Blick. Morus (1516) und Campanella (1623) betonten die Landwirtschaft in ihren Konzeptionen und entwarfen selbstversorgende Städte. Für die Frühsozialisten Fourier und Owen galt der Leitgedanke Morus fort, jedem Haus einen Nutzgarten zuzuordnen. Auch für die utopischen Arbeiten in Reaktion auf die Industrialisierung Europas waren Gärten ein wichtiges Element. Von Dohna-Poninska (1874) und Howard (1898/1902) zeigen die Auseinander- setzung mit Stadt und Land. Während Ebenezer Howard in Gärten nicht viel mehr als Gestaltungs- elemente in seiner Vision der Städte von Morgen sieht, geht Adelheid von Dohna-Poninska auf die Wirkung von Gartenarbeit ein und entwirft Arbeitersiedlungen, die durch Gartenarbeit disziplinieren und die Aufrechterhaltung von Sitte und Moral garantieren sollen. Leberecht Migge (1919) hat die Möglichkeit von funktionierender Selbstversorgung schließlich eindrücklich demonstriert und gilt heute als Vorbild der Urban-Gardening-Bewegung in Deutschland. Toni Karge Stadtforschung und Stadtentwicklung Oudenarder Straße 1, 13347 Berlin tel: +49 151 2751 3715 mail: info@tonikarge.de - 1 -

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Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen

sowie

Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Mannheim

z. Hd. Christina West

[email protected]

05. August 2013

Utopie im Grünen Neue Urbane Landwirtschaft und ihre utopischen Implikationen

Toni Karge Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung

Humboldt-Universität zu Berlin

Urban Gardening ist derzeit in aller Munde. Ob Süddeutsche oder BZ – die Berichte über dieses neue Phänomen sind zahlreich. Die wissenschaftliche Literatur charakterisiert Urbane Landwirtschaft als gesellschaftliches Projekt, das über reine Gartenarbeit hinausgeht. Neben sozialen Aspekten (insb. in Gemeinschaftsgärten) stehen vor allem ökologisch-ökonomische Abgrenzung zum gesellschaft-lichen Mainstream im Vordergrund.

Urbane Gärten sind politische Projekte. Ihren Anfang hatte die Gartenbewegung in US-amerikani-schen Auseinandersetzungen um Nutzung städtischen Freiraums – gegen Bodenspekulation und gegen Verwahrlosung. Die Kritik an kapitalistischen Verwertungsmechanismen städtischen Bodens wurde um genuin städtische Themen (Partizipation, Right to the City, neue Urbanität), aber auch globale Gerechtigkeitsthematiken erweitert, wie die Verteilungskämpfe um Ressourcen (Energie, Wasser, auch Upcycling), die Industrialisierung der Landwirtschaft (Saatgutmonopole, Neokolonialismus, Land Grabbing) oder konsumkritische Haltungen (Slow Food, Sortenvielfalt und Biodiversität, Permakultur, Transition Town).

All dies fügt sich zu einem Bild von unangepassten, entrückten Orten lokaler Identität in sich globali-sierenden Städten. Sie umweht der Hauch von visionären Ideen für eine nachhaltigere Zukunft. Inwie-weit sind Urbane Gärten tatsächlich Orte real existierender Utopien?

Hilfreich ist hierbei eine Betrachtung historischer Utopien – mit einem gärtnerischen Blick. Morus (1516) und Campanella (1623) betonten die Landwirtschaft in ihren Konzeptionen und entwarfen selbstversorgende Städte. Für die Frühsozialisten Fourier und Owen galt der Leitgedanke Morus fort, jedem Haus einen Nutzgarten zuzuordnen.

Auch für die utopischen Arbeiten in Reaktion auf die Industrialisierung Europas waren Gärten ein wichtiges Element. Von Dohna-Poninska (1874) und Howard (1898/1902) zeigen die Auseinander-setzung mit Stadt und Land. Während Ebenezer Howard in Gärten nicht viel mehr als Gestaltungs-elemente in seiner Vision der Städte von Morgen sieht, geht Adelheid von Dohna-Poninska auf die Wirkung von Gartenarbeit ein und entwirft Arbeitersiedlungen, die durch Gartenarbeit disziplinieren und die Aufrechterhaltung von Sitte und Moral garantieren sollen. Leberecht Migge (1919) hat die Möglichkeit von funktionierender Selbstversorgung schließlich eindrücklich demonstriert und gilt heute als Vorbild der Urban-Gardening-Bewegung in Deutschland.

Toni Karge Stadtforschung und Stadtentwicklung

Oudenarder Straße 1, 13347 Berlin tel: +49 151 2751 3715

mail: [email protected]

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Es zeigt, dass Gärten und die mit ihnen verbundene Selbstversorgung schon immer Teil von utopischem Denken waren. Es soll anhand der genannten Beispiele erörtert werden, welche Kriterien die urbanen Gärten in diesen Utopien erfüllen und für welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorstellungen sie in diesen Konzepten stehen.

In den Ländern des globalen Südens ist urbane Gartenarbeit weniger Utopie, denn gelebte Realität, da sie eine Strategie im Kampf gegen Armut ist. Insbesondere in Nordamerika und Europa sind urbane Gärten aber, wie oben ausgeführt, ein Ausdruck zahlreicher politischer Zielstellungen. Diese gipfeln im inoffiziellen Motto der Gartenbewegung: „Eine andere Welt ist pflanzbar!“, dem Titel einer Dokumentar-filmreihe der nomadisch lebenden Filmemacherin Ella von der Haide über urbane Gärten weltweit.

Die Vorstellungen der Gartenbewegung sind jedoch nicht pragmatische Ziele, auf deren Erreichen konse-quent oder gar linear hingearbeitet wird. Gartenaktivist_Innen sind sich durchaus bewusst, dass formu-lierte Ziele eine Vision, eine Utopie, darstellen, zu der ein einzelnes Gartenprojekt nur einen kleinen Teil beitragen kann. Inwieweit können die Initiativen daher als Orte in einem globalen Netzwerk von lokalen Utopien gesehen werden, außerhalb derer die kritisierten Prozesse von gesellschaftlicher Ökonomisie-rung, Globalisierung etc. weiter ablaufen.

Wie Cojocaru (2012) außerdem zeigt, wohnt den zuvor genannten historischen Utopien ein großer Auto-ritätsanspruch inne, der keine (oder kaum) andere Ausformungen von Gesellschaft zulässt und den heute gültigen Konzepten einer und freiheitlichen Gesellschaft zugegen läuft. Inwieweit laufen die politisch-ge-sellschaftlichen Strömungen der ‚Neuen Urbanen Landwirtschaft’ Gefahr – da sie sich im Spannungsfeld von Utopie und gesellschaftlicher Vielfalt bewegen – uneingeschränkte, womöglich autoritäre Haltungen auszuprägen?

Literatur und Quellen

Campanella, Tommaso (1623/2013): The City of the Sun. A Poetical Dialogue between a Grand-master of the Knights Hospitallers and a Genoese Sea-Captain, his guest. Englische Übersetzung des Projekts Gutenberg, zuletzt aufgerufen am 25. Juli 2013: http://www.gutenberg.org/files/2816/2816-h/2816-h.htm.

Cojocaru, Mara-Daria (2012): Die Geschichte von der guten Stadt. Politische Philosophie zwischen urbaner Selbstverständigung und Utopie. transcript, Bielefeld.

Howard, Ebenezer (1902/1946): Garden Cities of To-Morrow. Herausgegeben von F. J. Osborn, Erstau-flage 1902, Faber and Faber, London.

Migge, Leberecht (1919): Jedermann Selbstversorger. Eine Lösung der Siedlungsfrage durch neuen Gartenbau. Diederichs, Jena.

Morus, Thomas (1516/2013): Utopia. Deutsche Übersetzung des Projekts Gutenberg, zuletzt aufgerufen am 3. August 2013: http://gutenberg.spiegel.de/buch/1321/1.

Müller, Christa (Hg.) (2011): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. oekom, München.

von der Haide, Ella (2003-2012): Eine andere Welt ist pflanzbar! Dokumentarfilmreihe, zuletzt aufge-rufen am 28. Juli 2013: http://eine-andere-welt-ist-pflanzbar.urbanacker.net/4-0-dokumentarfilme.html.

von Dohna-Poninska, Adelheid (als Arminius) (1874): Die Großstädte in ihrer Wohnungsnoth und die Grundlagen einer durchgreifenden Abhilfe. Duncker & Humblot, Leipzig.

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