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FV 09 Weinheim Bayer 05 Uerdingen (2:4 n.V.), Hertha BSC Berlin (1:7), SpVgg 07 Ludwigs- burg (2:1 n.V.) und VfL Osnabrück (1:3) im DFB-Pokal vertreten. Berühmtester Sohn der Weinhei- mer ist der Hohensachsener Fritz Walter, der von 1976 bis 1981 beim FV 09 spielte und später mit dem VfB Stuttgart deutscher Meister wurde. Mitte/Ende der 80er-Jahre spielte Weinheim vor 1000 bis 1200 Zuschauern, schon kurz nach dem Pokalsieg gegen den FC Bayern 1990 kamen nur noch 470 Fans im Schnitt. 1997 musste der Verein Insolvenz anmelden und ging in die TSG 1862 Weinheim über zur TSG 62/09. Heute sehen noch durchschnittlich 120 Zuschauer die Verbandsligaspiele. Der FV 09 Weinheim wurde 1909 gegründet und gehörte schon seit den 50er-Jahren immer wieder der höchsten deutschen Amateurliga an. Meister der 1. Amateurliga Nord- baden wurde er 1963, 1970 und 1978, wo 09 in der Aufstiegsrunde zur 2. Liga am späteren Aufsteiger SC Frei- burg, SSV Ulm und SSV Reutlingen scheiterte. Meister der Oberliga Baden-Würt- temberg wurde Weinheim 1988, scheiterte bei den Aufstiegsspielen aber an Mainz 05, Viktoria Aschaffen- burg und der SpVgg Unterhaching. 1975 und 1990 gewann der FV 09 den badischen Pokal, war auch schon vor dem Bayern-Spiel gegen Verlorene Helden Am heißesten Tag des Jahres 1990 schickt der FV 09 Weinheim den FC Bayern Mün- chen in die Hölle. Ein Oberligist wirft den deutschen Meister aus dem DFB-Pokal. Das 1:0 ist Fluch und Segen zugleich: Die Nullneuner machen Weinheim für kurze Zeit zum Nabel der Fußballwelt – und verschwinden sieben Jahre später aus dem Vereinsregister. Es ist der Anfang vom Ende. Von unserem Redaktionsmitglied Anja Treiber I m Sepp-Herberger-Stadion herrscht Chaos. Nach dem Schlusspfiff im DFB-Pokal- spiel stürmen Weinheimer Fans den Platz, die provisorisch aufgestellten Absperrungen sind kein Hindernis. Die Zuschauer haben an diesem 4. August 1990 vor allem ein Ziel: Nullneun-Torwart Matthias Arnold. Der damals 26- Jährige ist einer der Helden der 1:0- Sensation gegen die Startruppe aus Bayern. Ihn hievt die Menge in die Höhe, während die Bayern-Spieler vom Platz schleichen. Autogramm- wünsche werden nur spärlich erfüllt, ihre Trikots behalten die Bayern lieber an. Nichts wie ab in die Kabine nach dieser Schmach. als die Mannschaft noch zum Essen kam. Nur nicht an die- sem 4. August. Im Herberger-Stadion sind Zelte für die VIPs aufgebaut und Mager eilt von einem Spon- sor zum nächsten. „Das war ja eine ein- malige Gelegenheit, für uns zu werben.“ Zwar sei im Zelt auch ein Tisch für die Mannschaft reser- viert gewesen, doch die ist nirgends zu sehen. „Es herrschte das reinste Cha- os. Hinz und Kunz standen plötzlich in der Kabine. Ich war ja Trubel nach dem Gewinn der deut- schen Meisterschaft mit dem VfB Stuttgart schon gewohnt. Aber der war damals kontrolliert. Bei uns wa- ren mit dieser Situation alle total überfordert“, erinnert sich Hans- Peter Makan. Und Siggi Olscha (Bild oben) pflichtet ihm bei: „Keiner wusste wohin. Irgendwann kam dann der Anruf vom ZDF und die Einladung für Schwechi und den Trainer ins Aktuelle Sportstudio. Da bin ich dann mit. Was der Rest der Mann- schaft gemacht hat, weiß ich nicht.“ Der Technische Angestellte der Stadt Mannheim ergattert als einzi- ger Spieler ein Bayern-Trikot. „Aber nur, weil ich in der Kabine direkt zu Klaus Augenthaler bin, den ich von der Jugendnationalmannschaft kannte.“ Fünf, sechs Spieler seien später noch im Seeblick aufgetaucht, glaubt Mager sich zu erinnern. Ma- kan geht zum Essen auf den Markt- platz, aber auch dort ist „Business as usual“. Nach der Pokalsensation Auch Kapitän Siggi Olscha nicht. Der hatte sich den deutschen Meis- ter zusammen mit FV-09-Trainer Lothar Strehlau drei Tage zuvor noch beim 5:0-Supercupsieg gegen den 1. FC Kaiserslautern ange- schaut. „Nach dieser Galavorstel- lung war uns eigentlich klar, dass es schon ein Erfolg sein würde, wenn wir nicht zweistellig verlieren. Und selbst nach dem 1:0 dachten wir: Schön, aber die Bayern kommen noch.“ Das fasst Trainer Lothar Strehlau in Worte. In seiner Kabinenanspra- che zur Halbzeit ruft er: „Wer sagt denn, dass wir jetzt kommen müs- sen?! Die Bayern, die müssen jetzt kommen. Die kommen wie die Hummeln!“ Doch auch Hummeln sind träge in der Gluthitze. Bei Ma- nager Siegfried Mager (Bild unten), der sich auf der Bank eine Zigarette nach der nächsten anzündet, reift langsam aber sicher die Erkenntnis, dass es etwas werden könnte mit der Pokalsensation. „Ich habe immer mal wieder rüber- geschaut zu Jupp Heynckes und Uli Hoeneß. Der hat reingerufen: Jetzt geht’s los, Leute! Aber die Leute konnten einfach nicht. Stefan Effen- berg, quasi ja ein Albino, kam mit hochroter Birne raus. Mitte der zweiten Halbzeit hab ich zum Trai- ner gesagt: Lothar, das Ding gewin- nen wir!“ Für den heute 65-Jährigen war dieser Tag, neben den Aufstiegs- spielen zur 2. Bundesliga 1988, der aufregendste in den fast 20 Jahren seiner Tätigkeit bei den Nullneu- nern. Als Wirt des Gasthauses „See- blick“ am Waidsee war er zunächst nur Fan, dann Betreuer, Pressewart, Spielleiter und Manager. Und meist auch Gastgeber nach den Spielen, schicken die Fernseh- sender ihre Teams noch einmal los, um Weinheim im Ausnahmezustand zu fil- men. Doch die ziehen unver- richteter Dinge wieder ab, von Fußballeuphorie ist nichts zu spü- ren. Weinheim eben. Makan erinnert sich daran, dass im Vorfeld der Partie zu jedem Trai- ning ein anderes Filmteam anreiste. Noch heute trifft sich der Mann, der aus der 09-Talentschmiede stamm- te, mit Mager, Gernot Jüllich und Co. montags zum Nullneuner-Treff in der Speisegaststätte Schmitt. Es ist ein letztes Relikt aus vergange- nen, aber längst nicht vergessenen Zeiten. Wenn er an den größten Weinheimer Triumph denkt, dann eben auch an die chaotischen Um- stände. „Ich hatte in meiner Lotto- Annahmestelle in Mannheim be- stimmt 150 Karten verkauft. Ein paar Tage nach dem Spiel musste ich die Vereinsverantwortlichen erst einmal darauf aufmerksam ma- chen, dass ich das eingenommene Geld ja noch hatte. Das hatte bis da- hin noch keiner bemerkt.“ Keine Feier, keine Siegprämien Eine Feier für die Mannschaft gibt es an diesem 4. August 1990 nicht. Siegprämien übrigens auch nicht. Die hatte im Vorfeld natürlich kei- ner ausgehandelt. „Wir konnten das gar nicht richtig auskosten und ha- ben uns in alle Winde zerstreut. Ob- wohl wir damals ein super Team wa- ren“, sagt Olscha. Überhaupt sei der Sieg gegen die Bayern zwar emotional gewesen, als wesentlich größeren Erfolg empfin- det die Mannschaft aber den Erfolg im badischen Pokal über den da- mals übermächtigen 1. FC Pforz- heim und seinen Trainer Bobby Jo- vanic. Ohne Trainer Strich – gegen ihn hatte die Mannschaft rebelliert – und ohne fünf Stammspieler, die entweder verletzt waren oder schon in Urlaub weilen, treten die Null- neuner auf neutralem Platz in Rei- chenbach an. Das mit drei Jugendspielern er- gänzte Team „frisst Gras“ und zwingt den haushohen Favoriten 2:1 in die Knie. „Das war die schönste Feier, die wir je hatten bei 09. Da hat die ganze Mannschaft im Seeblick zusammengesessen, bis tief in den Morgen, als Wolfgang Daffinger kam und den Pokal zum zehnten Mal füllte“, sagt Mager. Für Ralf Kohl, den Mann, der den damaligen Stürmerstar Brian Lau- drup quasi ins Abseits stellt, ist die Partie gegen die Bayern der Beginn seiner Bundesliga-Karriere. Der Sulzbacher, der in der TSV-Jugend aufwächst, dann über den FC Ober- Abtsteinach und Amicitia Viern- heim nach Weinheim wechselt, nimmt 1991 die Offerte des SC Frei- burg an, dem er drei Jahre in der 2. und sechs Spielzeiten in der 1. Liga die Treue hält. Bis zu seinem Karrie- reende 2001. Da gibt es den FV 09 schon nicht mehr. 1997 verschmel- zen die insolventen Weinheimer mit dem ungeliebten Stadtrivalen TSG 1862 zur TSG 62/09. Die fußballerische Identität je- doch kam ihm mit der Insolvenz sei- nes FV 09 abhanden. Das Sepp-Her- berger-Stadion hat er seit Gründung der TSG 62/09 nicht mehr betreten. „Ich bin halt ein Nullneuner.“ Das sieht Weinheims Stürmerlegende Thomas Schwechheimer, der fast seine komplette aktive Karriere für 09 spielte, genauso. „Ich habe nichts gegen die TSG. Aber das ist nicht mein Verein.“ So verloren, wie die Pokalhelden nach dem Schlusspfiff damals wa- ren, so verloren haben sie sich längst untereinander. In der vergangenen Woche erhielten sie eine Einladung der TSG 1862 zur Kerwe. Immerhin eine kleine Geste für die Elf, die Weinheim weltweit in die Schlagzei- len brachte und dem FV 09 zum größten Triumph seiner Geschichte verhalf. Kurz vor dem freien Fall. w Im Online-Archiv des ZDF gibt es ein Video aus der Weinhei- mer Kabine mit Strehlaus Halb- zeitansprache: www.zdf.de/ ZDFmediathek/beitrag/video/ 1935160/Die-Bayern-kommen- wie-die-Hummeln- Weiteres Interview mit Thomas Schwechheimer auf Seite 27 Also geht es für den Bayern-Fan nach Hause zur Familie und mit dem FV 09 fortan bergab. Aus dem Jahrhundertspiel können die Ver- antwortlichen keinen langfristigen Nutzen mehr ziehen. Der Saisonetat war im Vergleich zu den Vorjahren schon von knapp einer Million auf „nur“ noch 350 000 DM ge- schrumpft. Das Bayern-Spiel, das eigentlich Gelder hätte in die Ver- einskassen spülen sollen, stellt sich für die Vereinsverantwortlichen als Nullnummer heraus. „Bis die Umsatzsteuer und die Zusatztribüne bezahlt war, der DFB und die Bayern jeweils ihr Drittel abbekommen hatten und wir auf- grund unseres korrekten Schatz- meisters wirklich alle Einnahmen auch angegeben hatten, blieb am Ende nichts mehr übrig. Bis auf un- gefähr 10 000 Mark, die uns die Bay- ern nach Abrechnung aller Kosten wieder zurückgeschickt hatten“, er- innert sich Siegfried Mager, damals 8000 Mark für die Übertragung der Partie bekommen zu haben. „Heute sind es 350 000 Euro.“ Geld bleibt also keines hän- gen, dafür laut Mager viele Menschen, die fortan mitreden wollen. „Menschen, die ich zuvor noch nie gesehen hatte, viele Besserwisser, die mir mein En- gagement letztlich verleidet haben.“ 1992 kehrt Mager seinem FV 09 letztlich den Rücken, betreibt sein Restaurant noch weiter, ehe ihn ein Schlaganfall 2002 in die Knie zwingt. Nie mehr ins Stadion Heute lebt er mit seiner Frau Ingrid, einem Hund und zwei Katzen zu- rückgezogen in Ober-Liebersbach, die beiden Kinder sind erwachsen und außer Haus. Mager stammt zwar aus Waibstadt und ist Fan von 1899 Hoffenheim, wo er heute noch zum Friseur geht und dort bis vor Kurzem immer wieder auf Firmino traf. Sein Herz hat er jedoch an Weinheim verloren. „Das ist meine Stadt.“ „Das 1:0 gegen die Bayern war si- cher das schönste Erlebnis meiner Amateurzeit. Bis dahin war es, bis auf Hans-Peter Makan, ja für jeden der größte Erfolg seiner Karriere. Realisiert habe ich das wirklich erst nach dem Abpfiff“, sagt der Mann, der zwischenzeitlich auch schon Scout für Werder Bremen war, mitt- lerweile aber mit vollem Körperein- satz in seinem Freiburger Sportge- schäft gefragt ist. In Sulzbach bei seinen Eltern ist er regelmäßig, auf den Sportplätzen der Region dage- gen nicht mehr. Was nach dem Schlusspfiff gegen die Bayern kam, daran kann sich Kohl (Bild links) nicht mehr erin- nern. „Und das muss heißen, dass wir danach als Mannschaft nicht großartig gefeiert haben. Schade, dass das so auseinanderfiel, wobei das in Freiburg nicht anders ist.“ Keine Lust aufs Sportstudio Für Siegtorschütze Thomas Schwechheimer (Bild rechts) war die Feier so oder so gelaufen. Als der Anruf vom ZDF und die Einladung ins „Aktuelle Sportstudio“ nach Mainz kommt, lehnt die 09-Ikone zunächst dankend ab. „Ich wollte lieber mit den Jungs feiern. Denn es war klar, dass nichts mehr los sein würde, wenn ich erst mal wieder zu- rück war.“ Mit einem geliehenen T- Shirt und einer knallbunten Bermu- da läuft Schwechi gemeinsam mit Coach Lothar Strehlau im Sportstu- dio ein. „Ich hatte schließlich nichts Ge- scheites zum Anziehen dabei, die Einladung kam ja unerwartet“, sagt er. Nach kurzem Gespräch in Mainz grüßt er noch „seine liebe Frau da- heim“, ehe es wieder zurück an die Bergstraße geht. „Und es war wie befürchtet: Als wir um 0.30 Uhr wie- der ankamen, war da keiner mehr.“ Wie in der Stadt übrigens auch nicht. Schon kurz nach dem Abpfiff ebbt die kurzzeitige Fußballeupho- rie wieder ab und Weinheim kehrt wieder zum Alltag zurück. Unsere Bilder zeigen von links oben nach rechts unten: die Kapitäne Siggi Olscha und Klaus Augenthaler bei der Begrüßung, Jürgen Kohler beim angeblichen Foul an Stefan Baumann, Thomas Schwechheimer beim daraus resultierenden Elfmeter gegen Raimond Aumann sowie beim anschließenden Jubel mit Ralf Kohl und Kollegen, FV-09-Trainer und Manager Siegfried Mager und Lothar Strehlau, Bayern-Chef Uli Hoeneß und Trainer Jupp Heynckes, den Schlusspfiff sowie die Menge, die 09-Torwart Matthias Arnold auf Händen trägt. FOTOS: JÜRGEN FISCHER, JUTTA PFEIFFER, JÜRGEN WEIDNER, WERNER WIND, MARCO SCHILLING, SIMON HOFMANN Derweil scharen sich die Kame- rateams von ARD, ZDF, SWR, RTL & Co. um Weinheims meist un- bekannte Kicker. Thomas Schwech- heimer beispielsweise. Der hält mit 30 Treffern aus der Saison 1982/83 zwar auch heute noch den Rekord als bester Oberliga-Torjäger, doch seit diesem ersten Augustsamstag 1990 wird ihn jeder nur noch als den Schützen zum 1:0 gegen Weltmeis- ter Raimond Aumann kennen. „Als der Schiri Elfmeter pfiff, der ja im Übrigen keiner war, war es völ- lig klar, dass Schwechi schießen würde“, erinnert sich Hans-Peter Makan (Bild links), der einsti- ge Zimmerkolle- ge des Weinhei- mer Ausnahme- stürmers. „Dass der den rein macht, daran hatte keiner Zweifel.“ Und Schwechi macht das Ding: Ganz trocken schickt er die Num- mer 1 der Münchener ins falsche Eck und es heißt 1:0 für den FV 09. Der Mann – zumal Bayern-Fan – kann sein Hirn einfach zur richtigen Zeit ausschalten. „Ich hatte ja nichts zu verlieren. Hätte ich ihn nicht ge- macht, wäre mir auch keiner böse gewesen“, sagt Schwechheimer. „Und außerdem: Gegen die Bayern hätten wir an dem Tag auch so ge- wonnen. Die waren einfach platt.“ Eigenartige Stimmung Im Herberger-Stadion herrscht den- noch eine eigenartige Stimmung. Viele der 10 000 sind eigentlich ge- kommen, um vor allem die Bayern mit ihren fünf Weltmeistern Au- mann, Augenthaler, Pflügler, Reuter und Kohler zu sehen. Der Jubel beim 1:0 in der 27. Minute ist herz- lich, aber kurz. Denn noch denkt keiner daran, dass es das schon ge- wesen sein könnte. 25 JAHRE WEINHEIMER FUSSBALLWUNDER 29 Dienstag 4. AUGUST 2015 WN/OZ

V erlorene Helden - Lokalsportpreis

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Page 1: V erlorene Helden - Lokalsportpreis

FV 09 WeinheimBayer 05 Uerdingen (2:4 n.V.), HerthaBSC Berlin (1:7), SpVgg 07 Ludwigs-burg (2:1 n.V.) und VfL Osnabrück(1:3) im DFB-Pokal vertreten.

� Berühmtester Sohn der Weinhei-mer ist der Hohensachsener FritzWalter, der von 1976 bis 1981 beimFV 09 spielte und später mit dem VfBStuttgart deutscher Meister wurde.

� Mitte/Ende der 80er-Jahre spielteWeinheim vor 1000 bis 1200Zuschauern, schon kurz nach demPokalsieg gegen den FC Bayern 1990kamen nur noch 470 Fans im Schnitt.

� 1997 musste der Verein Insolvenzanmelden und ging in die TSG 1862Weinheim über zur TSG 62/09. Heutesehen noch durchschnittlich 120Zuschauer die Verbandsligaspiele.

� Der FV 09 Weinheim wurde 1909gegründet und gehörte schon seitden 50er-Jahren immer wieder derhöchsten deutschen Amateurligaan.

� Meister der 1. Amateurliga Nord-baden wurde er 1963, 1970 und 1978,wo 09 in der Aufstiegsrunde zur 2.Liga am späteren Aufsteiger SC Frei-burg, SSV Ulm und SSV Reutlingenscheiterte.

� Meister der Oberliga Baden-Würt-temberg wurde Weinheim 1988,scheiterte bei den Aufstiegsspielenaber an Mainz 05, Viktoria Aschaffen-burg und der SpVgg Unterhaching.

� 1975 und 1990 gewann der FV 09den badischen Pokal, war auchschon vor dem Bayern-Spiel gegen

Verlorene HeldenAm heißesten Tag desJahres 1990 schicktder FV 09 Weinheimden FC Bayern Mün-chen in die Hölle. EinOberligist wirft dendeutschen Meisteraus dem DFB-Pokal.Das 1:0 ist Fluch undSegen zugleich: DieNullneuner machenWeinheim für kurzeZeit zum Nabel derFußballwelt – undverschwinden siebenJahre später aus demVereinsregister. Es istder Anfang vom Ende.Von unserem RedaktionsmitgliedAnja Treiber

Im Sepp-Herberger-Stadionherrscht Chaos. Nach demSchlusspfiff im DFB-Pokal-spiel stürmen Weinheimer

Fans den Platz, die provisorischaufgestellten Absperrungen sindkein Hindernis. Die Zuschauerhaben an diesem 4. August 1990 vorallem ein Ziel: Nullneun-TorwartMatthias Arnold. Der damals 26-Jährige ist einer der Helden der 1:0-Sensation gegen die Startruppe ausBayern. Ihn hievt die Menge in dieHöhe, während die Bayern-Spielervom Platz schleichen. Autogramm-wünsche werden nur spärlicherfüllt, ihre Trikots behalten dieBayern lieber an. Nichts wie ab indie Kabine nach dieser Schmach.

als die Mannschaftnoch zum Essen kam.

Nur nicht an die-sem 4. August. ImHerberger-Stadionsind Zelte für die VIPsaufgebaut und Magereilt von einem Spon-sor zum nächsten.„Das war ja eine ein-malige Gelegenheit,für uns zu werben.“Zwar sei im Zelt auchein Tisch für die Mannschaft reser-viert gewesen, doch die ist nirgendszu sehen.

„Es herrschtedas reinste Cha-os. Hinz undKunz standenplötzlich in derKabine. Ich war jaTrubel nach demGewinn der deut-schen Meisterschaft mit dem VfBStuttgart schon gewohnt. Aber derwar damals kontrolliert. Bei uns wa-ren mit dieser Situation alle totalüberfordert“, erinnert sich Hans-Peter Makan.

Und Siggi Olscha (Bild oben)pflichtet ihm bei: „Keiner wusstewohin. Irgendwann kam dann derAnruf vom ZDF und die Einladungfür Schwechi und den Trainer insAktuelle Sportstudio. Da bin ichdann mit. Was der Rest der Mann-schaft gemacht hat, weiß ich nicht.“Der Technische Angestellte derStadt Mannheim ergattert als einzi-ger Spieler ein Bayern-Trikot. „Abernur, weil ich in der Kabine direkt zuKlaus Augenthaler bin, den ich vonder Jugendnationalmannschaftkannte.“

Fünf, sechs Spieler seien späternoch im Seeblick aufgetaucht,glaubt Mager sich zu erinnern. Ma-kan geht zum Essen auf den Markt-platz, aber auch dort ist „Business asusual“. Nach der Pokalsensation

Auch Kapitän Siggi Olscha nicht.Der hatte sich den deutschen Meis-ter zusammen mit FV-09-TrainerLothar Strehlau drei Tage zuvornoch beim 5:0-Supercupsieg gegenden 1. FC Kaiserslautern ange-schaut. „Nach dieser Galavorstel-lung war uns eigentlich klar, dass esschon ein Erfolg sein würde, wennwir nicht zweistellig verlieren. Undselbst nach dem 1:0 dachten wir:Schön, aber die Bayern kommennoch.“

Das fasst Trainer Lothar Strehlauin Worte. In seiner Kabinenanspra-che zur Halbzeit ruft er: „Wer sagtdenn, dass wir jetzt kommen müs-sen?! Die Bayern, die müssen jetztkommen. Die kommen wie dieHummeln!“ Doch auch Hummelnsind träge in der Gluthitze. Bei Ma-nager Siegfried Mager (Bild unten),der sich auf der Bank eine Zigarettenach der nächsten anzündet, reiftlangsam aber sicher die Erkenntnis,dass es etwas werden könnte mit der

Pokalsensation.„Ich habe immermal wieder rüber-geschaut zu JuppHeynckes und UliHoeneß. Der hatreingerufen: Jetztgeht’s los, Leute!Aber die Leute

konnten einfach nicht. Stefan Effen-berg, quasi ja ein Albino, kam mithochroter Birne raus. Mitte derzweiten Halbzeit hab ich zum Trai-ner gesagt: Lothar, das Ding gewin-nen wir!“

Für den heute 65-Jährigen wardieser Tag, neben den Aufstiegs-spielen zur 2. Bundesliga 1988, deraufregendste in den fast 20 Jahrenseiner Tätigkeit bei den Nullneu-nern. Als Wirt des Gasthauses „See-blick“ am Waidsee war er zunächstnur Fan, dann Betreuer, Pressewart,Spielleiter und Manager. Und meistauch Gastgeber nach den Spielen,

schicken die Fernseh-sender ihre Teams noch

einmal los, um Weinheimim Ausnahmezustand zu fil-

men. Doch die ziehen unver-richteter Dinge wieder ab, von

Fußballeuphorie ist nichts zu spü-ren. Weinheim eben.

Makan erinnert sich daran, dassim Vorfeld der Partie zu jedem Trai-ning ein anderes Filmteam anreiste.Noch heute trifft sich der Mann, deraus der 09-Talentschmiede stamm-te, mit Mager, Gernot Jüllich undCo. montags zum Nullneuner-Treffin der Speisegaststätte Schmitt. Esist ein letztes Relikt aus vergange-nen, aber längst nicht vergessenenZeiten. Wenn er an den größtenWeinheimer Triumph denkt, danneben auch an die chaotischen Um-stände. „Ich hatte in meiner Lotto-Annahmestelle in Mannheim be-stimmt 150 Karten verkauft. Einpaar Tage nach dem Spiel mussteich die Vereinsverantwortlichen ersteinmal darauf aufmerksam ma-chen, dass ich das eingenommeneGeld ja noch hatte. Das hatte bis da-hin noch keiner bemerkt.“

Keine Feier, keine SiegprämienEine Feier für die Mannschaft gibt esan diesem 4. August 1990 nicht.Siegprämien übrigens auch nicht.Die hatte im Vorfeld natürlich kei-ner ausgehandelt. „Wir konnten dasgar nicht richtig auskosten und ha-ben uns in alle Winde zerstreut. Ob-wohl wir damals ein super Team wa-ren“, sagt Olscha.

Überhaupt sei der Sieg gegen dieBayern zwar emotional gewesen, alswesentlich größeren Erfolg empfin-det die Mannschaft aber den Erfolgim badischen Pokal über den da-mals übermächtigen 1. FC Pforz-heim und seinen Trainer Bobby Jo-vanic. Ohne Trainer Strich – gegenihn hatte die Mannschaft rebelliert –und ohne fünf Stammspieler, dieentweder verletzt waren oder schonin Urlaub weilen, treten die Null-neuner auf neutralem Platz in Rei-chenbach an.

Das mit drei Jugendspielern er-gänzte Team „frisst Gras“ undzwingt den haushohen Favoriten 2:1in die Knie. „Das war die schönsteFeier, die wir je hatten bei 09. Da hatdie ganze Mannschaft im Seeblickzusammengesessen, bis tief in denMorgen, als Wolfgang Daffingerkam und den Pokal zum zehntenMal füllte“, sagt Mager.

Für Ralf Kohl, den Mann, der dendamaligen Stürmerstar Brian Lau-drup quasi ins Abseits stellt, ist diePartie gegen die Bayern der Beginnseiner Bundesliga-Karriere. DerSulzbacher, der in der TSV-Jugendaufwächst, dann über den FC Ober-Abtsteinach und Amicitia Viern-heim nach Weinheim wechselt,nimmt 1991 die Offerte des SC Frei-burg an, dem er drei Jahre in der 2.und sechs Spielzeiten in der 1. Ligadie Treue hält. Bis zu seinem Karrie-reende 2001. Da gibt es den FV 09schon nicht mehr. 1997 verschmel-zen die insolventen Weinheimer mitdem ungeliebten Stadtrivalen TSG1862 zur TSG 62/09.

Die fußballerische Identität je-doch kam ihm mit der Insolvenz sei-nes FV 09 abhanden. Das Sepp-Her-berger-Stadion hat er seit Gründungder TSG 62/09 nicht mehr betreten.„Ich bin halt ein Nullneuner.“ Dassieht Weinheims StürmerlegendeThomas Schwechheimer, der fastseine komplette aktive Karriere für09 spielte, genauso. „Ich habe nichtsgegen die TSG. Aber das ist nichtmein Verein.“

So verloren, wie die Pokalheldennach dem Schlusspfiff damals wa-ren, so verloren haben sie sich längstuntereinander. In der vergangenenWoche erhielten sie eine Einladungder TSG 1862 zur Kerwe. Immerhineine kleine Geste für die Elf, dieWeinheim weltweit in die Schlagzei-len brachte und dem FV 09 zumgrößten Triumph seiner Geschichteverhalf. Kurz vor dem freien Fall.

w Im Online-Archiv des ZDF gibtes ein Video aus der Weinhei-mer Kabine mit Strehlaus Halb-zeitansprache: www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1935160/Die-Bayern-kommen-wie-die-Hummeln-

� Weiteres Interview mit ThomasSchwechheimer auf Seite 27

Also geht es für den Bayern-Fannach Hause zur Familie und mitdem FV 09 fortan bergab. Aus demJahrhundertspiel können die Ver-antwortlichen keinen langfristigenNutzen mehr ziehen. Der Saisonetatwar im Vergleich zu den Vorjahrenschon von knapp einer Million auf„nur“ noch 350 000 DM ge-schrumpft. Das Bayern-Spiel, daseigentlich Gelder hätte in die Ver-einskassen spülen sollen, stellt sichfür die Vereinsverantwortlichen alsNullnummer heraus.

„Bis die Umsatzsteuer und dieZusatztribüne bezahlt war, der DFBund die Bayern jeweils ihr Drittelabbekommen hatten und wir auf-grund unseres korrekten Schatz-meisters wirklich alle Einnahmenauch angegeben hatten, blieb amEnde nichts mehr übrig. Bis auf un-gefähr 10 000 Mark, die uns die Bay-ern nach Abrechnung aller Kostenwieder zurückgeschickt hatten“, er-innert sich Siegfried Mager, damals8000 Mark für dieÜbertragung derPartie bekommenzu haben. „Heutesind es 350 000Euro.“

Geld bleibtalso keines hän-gen, dafür lautMager viele Menschen, die fortanmitreden wollen. „Menschen, dieich zuvor noch nie gesehen hatte,viele Besserwisser, die mir mein En-gagement letztlich verleidet haben.“1992 kehrt Mager seinem FV 09letztlich den Rücken, betreibt seinRestaurant noch weiter, ehe ihn einSchlaganfall 2002 in die Knie zwingt.

Nie mehr ins StadionHeute lebt er mit seiner Frau Ingrid,einem Hund und zwei Katzen zu-rückgezogen in Ober-Liebersbach,die beiden Kinder sind erwachsenund außer Haus. Mager stammtzwar aus Waibstadt und ist Fan von1899 Hoffenheim, wo er heute nochzum Friseur geht und dort bis vorKurzem immer wieder auf Firminotraf. Sein Herz hat er jedoch anWeinheim verloren. „Das ist meineStadt.“

„Das 1:0 gegen die Bayern war si-cher das schönste Erlebnis meinerAmateurzeit. Bis dahin war es, bisauf Hans-Peter Makan, ja für jedender größte Erfolg seiner Karriere.Realisiert habe ich das wirklich erstnach dem Abpfiff“, sagt der Mann,der zwischenzeitlich auch schonScout für Werder Bremen war, mitt-lerweile aber mit vollem Körperein-satz in seinem Freiburger Sportge-schäft gefragt ist. In Sulzbach beiseinen Eltern ist er regelmäßig, aufden Sportplätzen der Region dage-gen nicht mehr. Was nach dem

Schlusspfiff gegendie Bayern kam,daran kann sichKohl (Bild links)nicht mehr erin-nern. „Und dasmuss heißen, dasswir danach alsMannschaft nicht

großartig gefeiert haben. Schade,dass das so auseinanderfiel, wobeidas in Freiburg nicht anders ist.“

Keine Lust aufs SportstudioFür Siegtorschütze ThomasSchwechheimer (Bild rechts) wardie Feier so oder so gelaufen. Als derAnruf vom ZDF und die Einladungins „Aktuelle Sportstudio“ nachMainz kommt, lehnt die 09-Ikonezunächst dankend ab. „Ich wolltelieber mit den Jungs feiern. Denn eswar klar, dass nichts mehr los seinwürde, wenn ich erst mal wieder zu-rück war.“ Mit einem geliehenen T-Shirt und einer knallbunten Bermu-da läuft Schwechi gemeinsam mitCoach Lothar Strehlau im Sportstu-dio ein.

„Ich hatte schließlich nichts Ge-scheites zum Anziehen dabei, dieEinladung kam ja unerwartet“, sagter. Nach kurzem Gespräch in Mainzgrüßt er noch „seine liebe Frau da-heim“, ehe es wieder zurück an dieBergstraße geht. „Und es war wiebefürchtet: Als wir um 0.30 Uhr wie-der ankamen, war da keiner mehr.“Wie in der Stadt übrigens auchnicht. Schon kurz nach dem Abpfiffebbt die kurzzeitige Fußballeupho-rie wieder ab und Weinheim kehrtwieder zum Alltag zurück.

Unsere Bilder zeigen von links oben nach rechts unten:die Kapitäne Siggi Olscha und Klaus Augenthaler bei der Begrüßung,

Jürgen Kohler beim angeblichen Foul an Stefan Baumann,Thomas Schwechheimer beim daraus resultierenden Elfmeter gegen Raimond Aumann

sowie beim anschließenden Jubel mit Ralf Kohl und Kollegen,FV-09-Trainer und Manager Siegfried Mager und Lothar Strehlau,

Bayern-Chef Uli Hoeneß und Trainer Jupp Heynckes,den Schlusspfiff sowie die Menge, die 09-Torwart Matthias Arnold auf Händen trägt.

FOTOS: JÜRGEN FISCHER, JUTTA PFEIFFER, JÜRGEN WEIDNER, WERNER WIND, MARCO SCHILLING, SIMON HOFMANN

Derweil scharen sich die Kame-rateams von ARD, ZDF, SWR,RTL & Co. um Weinheims meist un-bekannte Kicker. Thomas Schwech-heimer beispielsweise. Der hält mit30 Treffern aus der Saison 1982/83zwar auch heute noch den Rekordals bester Oberliga-Torjäger, dochseit diesem ersten Augustsamstag1990 wird ihn jeder nur noch als denSchützen zum 1:0 gegen Weltmeis-ter Raimond Aumann kennen.

„Als der Schiri Elfmeter pfiff, derja im Übrigen keiner war, war es völ-lig klar, dass Schwechi schießen

würde“, erinnertsich Hans-PeterMakan (Bildlinks), der einsti-ge Zimmerkolle-ge des Weinhei-mer Ausnahme-stürmers. „Dassder den rein

macht, daran hatte keiner Zweifel.“Und Schwechi macht das Ding:Ganz trocken schickt er die Num-mer 1 der Münchener ins falscheEck und es heißt 1:0 für den FV 09.Der Mann – zumal Bayern-Fan –kann sein Hirn einfach zur richtigenZeit ausschalten. „Ich hatte ja nichtszu verlieren. Hätte ich ihn nicht ge-macht, wäre mir auch keiner bösegewesen“, sagt Schwechheimer.„Und außerdem: Gegen die Bayernhätten wir an dem Tag auch so ge-wonnen. Die waren einfach platt.“

Eigenartige StimmungIm Herberger-Stadion herrscht den-noch eine eigenartige Stimmung.Viele der 10 000 sind eigentlich ge-kommen, um vor allem die Bayernmit ihren fünf Weltmeistern Au-mann, Augenthaler, Pflügler, Reuterund Kohler zu sehen. Der Jubelbeim 1:0 in der 27. Minute ist herz-lich, aber kurz. Denn noch denktkeiner daran, dass es das schon ge-wesen sein könnte.

25 JAHRE WEINHEIMER FUSSBALLWUNDER 29Dienstag4. AUGUST 2015 WN/OZ