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Überarbeitetes Versuchsskript, Version 2.7.1, H.E. Hoster, Mai 2008 Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene V 10 Puls-NMR Kernmagnetische Relaxation Kurzbeschreibung: In diesem Versuch wird verdeutlicht, wie sich chemische, mechanische und dynamische Eigenschaften der lokalen Umgebung eines Protons auf dessen magnetisches Relaxationsverhalten auswirken, also auf die Wiederherstellung eines Gleichgewichtszustandes nach einer äußeren Störung. Diese ist im Falle von Puls- NMR ein hochfrequentes magnetisches Wechselfeld, welches einerseits bewirkt, dass (i) die (energetisch nicht gleichwertigen) Ausrichtungen der Protonenspins nicht mehr der Gleichgewichtsverteilung entsprechen, und andererseits dass (ii) die Gesamtheit der Spins selber nach dem Puls ein von außen messbares hoch- frequentes magnetisches Wechselfeld erzeugt. Die Geschwindigkeit, mit der die beiden Abweichungen wieder verschwinden, wird durch die Relaxationszeiten T 1 und T 2 beschrieben; deren Messung und Interpretation ist Gegenstand des Versuchs. Konkret werden Veränderungen von T 1 und T 2 in Flüssigkeiten (i) in Gegenwart gelöster paramagnetischer Substanzen, sowie (ii) als Funktion von Viskosität und Temperatur quantitativ untersucht.

V10 NMR 2 7 1 - Universität Ulm · Impuls-NMR-Spektrometer“ des Praktikums Physikalische Chemie der ... Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene,

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Überarbeitetes Versuchsskript, Version 2.7.1, H.E. Hoster, Mai 2008

Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene

V 10

Puls-NMR

Kernmagnetische Relaxation

Kurzbeschreibung: In diesem Versuch wird verdeutlicht, wie sich chemische, mechanische und

dynamische Eigenschaften der lokalen Umgebung eines Protons auf dessen

magnetisches Relaxationsverhalten auswirken, also auf die Wiederherstellung eines

Gleichgewichtszustandes nach einer äußeren Störung. Diese ist im Falle von Puls-

NMR ein hochfrequentes magnetisches Wechselfeld, welches einerseits bewirkt,

dass (i) die (energetisch nicht gleichwertigen) Ausrichtungen der Protonenspins nicht

mehr der Gleichgewichtsverteilung entsprechen, und andererseits dass (ii) die

Gesamtheit der Spins selber nach dem Puls ein von außen messbares hoch-

frequentes magnetisches Wechselfeld erzeugt. Die Geschwindigkeit, mit der die

beiden Abweichungen wieder verschwinden, wird durch die Relaxationszeiten T1 und

T2 beschrieben; deren Messung und Interpretation ist Gegenstand des Versuchs.

Konkret werden Veränderungen von T1 und T2 in Flüssigkeiten (i) in Gegenwart

gelöster paramagnetischer Substanzen, sowie (ii) als Funktion von Viskosität und

Temperatur quantitativ untersucht.

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Vorwort Dieses Versuchsskript wurde im Jahr 2006 neu verfasst, um auf der einen Seite die beschriebenen Messaufgaben an die tatsächlich an den mittlerweile im Praktikum durchführbaren Experimente anzupassen, und auf der anderen Seite das für den Versuch notwendige Wissen in möglichst kompakter Form zusammenzufassen. Eine lesenswerte und übersichtliche Darstellung der wichtigsten Grundzusammenhänge findet sich neuerdings aber auch in der vierten Auflage des Atkins (auch in der deutschen Fassung).

Die verschiedenen Erläuterungen, Herleitungen und Grafiken in der vorliegenden Anleitung, sofern sie nicht vollständig neu formuliert bzw. erstellt wurden, stammen aus drei Hauptquellen:

Versuchsskript „Kernmagnetische Relaxation – Puls NMR“ des Physikalisch-Chemischen Fortgeschrittenenpraktikums der Universität Ulm (alte Version)

Versuchsskript „Gepulste Kernspinresonanz“ des Physikalischen Praktikums für Fortgeschritte der Universität Bayreuth (mit freundlicher Genehmigung durch Herrn Professor Dr. Ernst Rößler)

Versuchsskript „Messungen der Spin-Relaxationszeiten T1 und T2 mit einem Impuls-NMR-Spektrometer“ des Praktikums Physikalische Chemie der Universität Jena (mit freundlicher Genehmigung durch Herrn Priv.Doz. Dr. Reinhold Gade)

Versuchsskript „Gepulste Kernresonanz (Puls-NMR)“ des Fortgeschrittenen-praktikums Physik der Universität Osnabrück (mit freundlicher Genehmigung durch Herrn Dr. Hans-J. Reyher)

In der Überarbeitung im Jahr 2008 wurde das durchzuführende Messpensum erneut vollständig überarbeitet und stärker auf quantitative Ergebnisse fokussiert.

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1 Aufgabenstellung und Versuchsdurchführung 1.1 Zielsetzung:

In diesem Praktikumsversuch sollen die Grundlagen der Kernmagnetischen Reso-nanz, wie sie in der Laborpraxis eingesetzt wird, anhand einfacher Modellexperi-mente verdeutlicht werden. In der Chemie gehört NMR-Spektroskopie zu den am häufigsten verwendeten Analyseverfahren. Mittels Puls-NMR können jedoch nicht nur Molekülstrukturen aufgeklärt werden, man kann damit auch viel über die nähere Umgebung der jeweiligen Moleküle erfahren, insbesondere auch über die Dynamik ihrer eigenen Bewegung sowie der sie umgebenden Moleküle. Versuchen Sie, beim Studium des Versuchsskriptes und der Zusatzliteratur Antworten auf die folgenden Fragen zu finden:

Wie verhalten sich einzelne Kernspins quantenmechanisch in einem Magnetfeld?

Wie lässt sich das Verhalten einer größeren Menge Kernspins thermodynamisch beschreiben? Welches ist ihr Gleichgewichtszustand?

Wie kann man sich Kernmagnetische Resonanz mikroskopisch vorstellen?

Wie geschieht die Anregung, und was ist das eigentliche Messsignal?

Worin steckt die Information über die Molekülstruktur, und wie lässt sie sich gewinnen?

Welche Rolle spielen Pulse und Pulsfolgen?

Was lernt man aus den Messsignalen über die nähere Umgebung der untersuchten Kerne auf atomarer Skala, sowie über das Medium, in welchem sich die jeweiligen Atome und Moleküle befinden?

1.2 Versuchsdurchführung

1.2.1 Apparatur

Der Versuch wird an einem Bruker minispec 20 MHz Puls-NMR durchgeführt. Alle Messungen werden vom PC aus gesteuert, Ihr Assistent wird Sie in die Handhabung der Software einweisen. Die Probenaufnahme ist mit einem externen Thermostaten temperierbar; alle Probenröhrchen sollten vor der Messung im Wasserbad des Thermostaten aufbewahrt werden um sie stets messbereit zu haben. Es steht ferner ein Messröhrchen mit eingebautem Thermofühler zur Verfügung, mit welchem die Temperatur der Probenaufnahme gemessen wird.

1.2.2 Erste Tests mit reinem Wasser

Das Spin-Gitter-Relaxationsverhalten lässt sich bereits recht gut beobachten, indem man mit festen Zeitabständen 90°-Pulse einstrahlt und jeweils die Amplitude des FID

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beobachtet. Nach 3-4 Pulsen stellt sich ein stationärer Wert ein. Tragen Sie diesen in ein Messprotokoll ein, und zwar für Pulsabstände zwischen 0.3 s bis 20 s.

Was können Sie über T1 bereits aus diesem Experiment lernen? Welche Konse-quenzen ergeben sich für die einzustellenden Wartezeiten im nachfolgenden Versuchsteil?

1.2.3 Langlebigkeit von Spinzuständen in reinem Wasser

Messen Sie zunächst für die Wasserprobe, die Luftdicht in das Glasprobenröhrchen eingebettet ist, die Spin-Gitter-Relaxationszeit T1 mit der Inversion-Recovery-Methode. Achten Sie darauf, dass die entsprechenden Wartezeiten hinreichend groß eingestellt werden.

Geben Sie nun eine kleine Menge destilliertes Wasser in eins der mit Gewinde versehenen Glasprobenröhrchen und messen Sie abermals T1. Gibt es einen Unterschied?

Messen Sie die Spin-Spin-Relaxationszeit T2 mit Hilfe einer Carr-Purcell-Sequenz. Achten Sie darauf, dass der insgesamt beobachtete Zeitraum lang genug ist. Versuchen Sie im Anschluss, die gleiche Messung mit der Hahn’schen Spin-Echo-Methode mit variierter Verzögerungszeit durchzuführen. Welche Unterschiede ergeben sich und warum?

Erzeugen Sie ein wiederholtes Spin-Echo mit einer Wartezeit von 1000 ms und τ=50ms. Sie wissen, dass die Wartezeit eigentlich zu kurz gewählt ist. Nehmen Sie nun einen oder zwei Krümel Kupfersulfat mit der Pinzette und lassen Sie diese ins Wasser fallen. Spätestens nach etwas Schütteln sollten Sie einen Effekt sehen. Beschreiben und erklären Sie diesen.

Messen Sie nun T1 und T2 für diese Probe.

1.2.4 Quantitative Analyse der Rolle paramagnetischer Verunreinigungen

In diesem Versuchsteil soll der starke Einfluss paramagnetischer Verunreinigungen auf die Spin-Gitter- und die Spin-Spin-Relaxation demonstriert und auch quantitativ analysiert werden. Aufgrund der vergleichsweise kurzen nötigen Wartezeiten (siehe Seiten 27 und 30) können an diesen Proben viele Messungen in kurzer Zeit durch-geführt werden.

Messaufgabe. Die ‚Relaxivität’ eines der Metallionen Fe3+, Mn2+, Cu2+, oder Cr3+ soll ermittelt werden. Stellen Sie für eines dieser Metallsalze fünf verschiedene Lösungen mit Konzentrationen Ihrer Wahl her; die Konzentration sollten sich jeweils etwa um einen Faktor 3-10 unterscheiden. Füllen Sie jede Lösung (Konzentration bitte sorgfältig ins Messprotokoll eintragen) in eines der fünf Röhrchen ab und stellen Sie die Röhrchen ins Temperierbad. Messen Sie für jede Lösung jeweils T1 und T2 und tragen Sie die Werte in eine Tabelle ein. Speichern Sie auch jeweils die Originaldatensätze. Messen und notieren Sie auch die Temperatur des Proben-kopfes. Wählen Sie zwei Lösungen aus, die sich besonders gut vermessen ließen,

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und messen Sie diese parallel zur nächsten Messreihe bei zwei weiteren Temperaturen.

Auswertung.

1. Tragen Sie 1/T1 und 1/T2 gegen die Konzentration auf.

2. Führen Sie zur Bestimmung der Relaxivitäten RT1 und RT2 jeweils eine lineare Regression durch. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse qualitativ und quantitativ mit den Daten im Anhang (eventuell müssen Sie hierfür eine andere Auftragung wählen).

mögliche Diskussionsthemen. Welche Eigenschaften der Metallionen könnten maßgeblich für ihre unterschiedlichen Relaxivitäten sein? Für welche praktischen Anwendungen von NMR könnte der starke Effekt von Metallionen auf die Relaxationszeiten wichtig sein?

1.2.5 Einfluss von Viskosität und Temperatur auf die Relaxationszeiten

Die Relaxationsprozesse in Flüssigkeiten werden stark von den Rotations- und Translationsbewegungen der Moleküle beeinflusst, an denen sich die angeregten Protonen befinden, und von denen sie umgeben sind. Diese Bewegungen ändern sich mit Viskosität und Temperatur der untersuchten Flüssigkeiten. Dies soll durch Untersuchung von Wasser, Glycerin, sowie vier Glycerin-Wasser-Mischungen bei jeweils drei Temperaturen verdeutlicht werden.

Messaufgabe. Stellen Sie drei verschiedene Glycerin-Wasser Mischungen Ihrer Wahl her. Sie sparen Zeit in der Auswertung, wenn Sie Massenprozente wählen, die in der Viskositätstabelle im Anhang explizit vorkommen. Die Massenprozente können Sie am präzisesten durch Einwiegen herstellen. Notieren Sie die Zusammen-setzungen und füllen Sie die Mischungen in saubere, beschriftete Messröhrchen. Füllen Sie außerdem ein Messröhrchen mit reinem Glycerin. Stellen Sie die fünf Messröhrchen ins Temperierbad, zusammen mit einer reinen Wasserprobe. Sobald die sechs Proben die richtige Temperatur haben, messen Sie bitte T1 und T2 und tragen Sie die Werte (einschließlich Messungenauigkeit!) in das Messprotokoll ein. Wiederholen Sie diese Messreihe bitte für zwei weitere Temperaturen (Bereich: 5°C-60°C) Ihrer Wahl.

Messen Sie für jede Temperatur auch die Amplitude des FID für reines Wasser (immer mit gleichem ‚gain’!).

Ferner sollten bei jeder Temperatur für die Metallsalzlösungen mit höchster und niedrigster Konzentration T1 und T2 bestimmt werden.

Auswertung.

1. Überprüfen Sie, ob die Temperaturabhängigkeit der FID-Amplitude von H2O mit der Frequenz des NMR-Spektrometers (20 MHz) vereinbar ist. Verwenden Sie Gleichung (2-6-14).

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2. Prüfen Sie für reines Glycerin, ob die T1-Werte bei verschiedenen Temperaturen zur Kurve im Anhang passen.

3. Berechnen mit Hilfe der Tabelle im Anhang (vermutlich Interpolation notwendig!) die Viskosität für jede der Glycerin-Wasser-Mischungen bei jeder im Versuch getesteten Temperatur.

4. Tragen Sie T1 gegen η doppellogarithmisch auf und vergleichen Sie mit dem Diagramm im Anhang. Hinweis: Sie können diese Literaturkurve ihrem eigenen Diagramm hinzufügen. Die nötige Formel steht oben rechts im Diagramm.

5. Tragen Sie T1 gegen η/T doppellogarithmisch auf. Streuen die Punkte nun weniger?

6. Testen Sie, ob ähnliche Auftragungen Gesetzmäßigkeiten für T2 ergeben.

7. Tragen Sie T1 und T2 für die Metallsalzlösungen doppellogarithmisch gegen die Viskosität von Wasser bei den verschiedenen Temperaturen auf. Lässt sich ein Trend ablesen?

8. Bestimmen Sie für die Metallsalzlösungen RT1 und RT2 für die verschiedenen Temperaturen. Sind die beiden Konstanten temperaturabhängig? Ist vielleicht der Quotient RT1/RT2 temperaturunabhängig?

mögliche Diskussionsthemen. Wie empfindlich reagieren die Relaxationszeiten auf Änderungen der Viskosität? Ist NMR ein geeignetes Verfahren, um Viskositäten quantitativ zu messen? Ergibt sich ein schlüssiges Gesamtbild für die Zusammen-hänge zwischen T1,2, Viskosität und Temperatur? Welche Rolle spielt die Temperatur bei den Metallsalzlösungen? Die leichter nachvollziehbare Größe ist offensichtlich T1. Warum wird in der Praxis trotzdem viel häufiger T2 gemessen, obwohl die Daten-interpretation hier komplizierter ist?

Diese Fragenliste ist nicht verpflichtend. Entscheidend ist, dass Sie Ihre Daten qualitativ und quantitativ diskutieren – welche Aspekte Sie dabei besonders beleuchten, können Sie in Absprache mit Ihrem Betreuer entscheiden.

2 Theoretische Grundlagen 2.3 Klassische und quantenmechanische Sichtweise

Bei der Betrachtung der NMR werden zwei verschiedene Modellvorstellungen benutzt, zwischen denen in vielen veröffentlichten Herleitungen oft hin- und her-‚geschaltet’ wird, je nachdem welches Phänomen man gerade mathematisch beschreiben will. Zum einen betrachtet man quantenmechanisch den einzelnen ‚Spin’, der gegenüber einem äußeren Feld nur bestimmte Orientierungen einnehmen kann (für das Proton: genau zwei), definiert durch seine z-Komponente. Einer Kon-vention zur Folge definiert man das verwendete Koordinatensystem stets so, dass ein äußeres Magnetfeld parallel zur z-Achse verläuft. Die Orientierungen der Spins sind energetisch nicht gleichwertig, also gibt es Unterschiede in den Besetzungs-

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zahlen und Möglichkeiten, durch Wechselwirkung mit äußerer Strahlung zwischen den Niveaus hin- und her zu schalten.

Zum anderen betrachtet man die Magnetisierung eines Gesamtsystems, also eines größeren Ensembles von Einzelspins. Diese Magnetisierung kann man sich als einen Vektorpfeil im dreidimensionalen Raum vorstellen, der in eine beliebige Richtung zeigen kann und sich im auch bewegen kann. Der Pfeil ist die Vektorsumme aus den einzelnen ‚Elementarmagneten’, also den Kernspins. Für das einfache Energie-niveauschema ist nur deren z-Komponente betrachtet worden, welche ja auch für die Wechselwirkung mit dem äußeren Magnetfeld entscheidend ist, wohingegen x- und y-Koordinate quantenmechanisch ‚unscharf’ sind und auch energetisch keine Rolle spielen. Für die Energie des Gesamtsystems ist ebenfalls nur die z-Komponente der Gesamtmagnetisierung entscheidend, für den Vorgang der Wechselwirkung mit äußerer Strahlung jedoch, der für die praktische Anwendung von NMR-Techniken wichtig ist, spielen x- und y- Komponente der Gesamtmagnetisierung sehr wohl eine Rolle.

Sind zu einem gegebenen Zeitpunkt x- und y-Komponente dieses Gesamtvektors von null verschieden, bedeutet dies, dass zwar für jeden einzelnen Spin x- und y-Komponente unscharf sind, dass aber in der Gesamtheit der Spins bestimmte Richtungen etwas häufiger vorkommen und damit die Summe der x- und y-Komponenten von Null verschieden machen.

2.4 Kurze Übersicht: Störung des Gleichgewichts als zentrales Prinzip

Für die Messungen im Rahmen des folgenden Praktikumsversuchs und generell für die Anwendung von NMR gilt das gemeinsame Prinzip, dass für die jeweilige Mes-sung die im jeweiligen System enthaltenen Spins aus ihrer thermodynamisch günstigsten Ausrichtung, also aus dem Gleichgewicht, gebracht werden. Unmittelbar nach dieser Störung des Gleichgewichts können dem System Signale entnommen werden, in welchen die lokalen Larmorfrequenzen enthalten sind, also insbesondere auch die in der NMR-Spektroskopie verwerteten Informationen (chemische Verschiebung und Feinstruktur).

Diese Signale klingen rasch ab. Dies liegt zum einen an feinsten Unterschieden zwischen den lokalen Larmorfrequenzen, zum anderen aber auch an Wechsel-wirkungen der Spins untereinander und mit ihrer Umgebung. Beide Phänomene werden im Rahmen der so genannten T2-Messungen untersucht.

Einen vergleichbaren Einfluss hat auch die Bewegung der betrachteten Spins innerhalb eines inhomogenen Feldes, weshalb mittels NMR in geeigneten Fällen auch Messungen von Transportphänomenen (z.B. Selbstdiffusion) möglich sind.

Schließlich beeinflusst die Störung vor allem auch die Magnetisierung in z-Richtung, also parallel zum äußeren Feld. Diese strebt unmittelbar nach der Störung ihren Gleichgewichtszustand wieder an, was wiederum nur durch Wechselwirkung der

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Spins mit ihrer Umgebung möglich ist. Die Relaxationszeit T1, welche die für das Wiedererlangen des Gleichgewichtes typische Zeitkonstante ist, erlaubt damit ebenso wie T2 Rückschlüsse über die lokalen Eigenschaften der untersuchten Probe. Die folgenden Betrachtungen beginnen mit der Beschreibung des Gleichgewichts.

2.5 Energieniveaus und Kern-Zeeman-Effekt –

quantenmechanische Sichtweise

Generell hat jeder Atomkern mit von Null verschiedenem Spin (z.B. H oder 13C) ein magnetisches Moment, d.h., er stellt einen magnetischen Dipol dar, dessen Ausrichtungen gegenüber einem äußeren Magnetfeld sich energetisch unterscheiden. Allgemein gilt für die Energie eines magnetischen Dipols µr (anders als im ‚Wedler’ verwenden wir in diesem Skript µ anstatt m für das magnetische Moment, um den Unterschied zur Quantenzahl m herauszustellen) in einem äußeren Magnetfeld 0B

r die Beziehung

θµ−=⋅µ−= cosBBE 00

rrrr (2-5-1) sie ist also minimal für einen parallel zum Feld ausgerichteten Dipol und maximal bei antiparalleler Ausrichtung.

Der magnetische Dipol erfährt außerdem durch das Magnetfeld eine Kraft, welche ihn in die energetisch günstigste Position zu drehen versucht. Dieses ist zentral für die halbklassische Betrachtung des gleichen Phänomens, die weiter unten erfolgen wird. In nebenstehender Abbildung ist die Energie von µr als Funktion von θ skizziert.

Für den Zusammenhang zwischen Drehimpuls Ιr

und Magnetischem Dipolmoment gilt allgemein

Ιγ=µrr

, γ= gyromagnetisches Verhältnis. (2-5-2)

Um weitere Rechnungen zu vereinfachen, wird das Koordinatensystem stets so gewählt, dass das äußere Magnetfeld in positive z-Richtung zeigt. Damit vereinfacht sich das Skalarprodukt in (1) zu

0z0z BBE µ−=µ−=r

, (2-5-3)

wobei µz die z-Komponente von µr ist (Der Einfachheit halber wird in den weiteren Betrachtungen der Betrag von 0B

rmit B0 bezeichnet).

Aus Gleichung (2-5-2) folgt, dass

µz = γ Ιz. (2-5-4)

Br

µrθ

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Ι=2

Ι=1/2

Die Quantenmechanik schränkt die Orientierung Ιr

auf diskrete Kegel ein ( Richtungsquantelung, siehe Abbildung), die gekennzeichnet sind durch

Ιz = ћ mΙ, (2-5-5)

mit mΙ= -Ι, -Ι+1, … , Ι.

Ι bezeichnet hierbei die Drehimpulsquantenzahl, welche außerdem den Betrag des Drehimpulses gemäß

| Ιr

|=ћ [Ι(Ι+1)]1/2 (2-5-6)

bestimmt (wird an dieser Stelle nicht benötigt).

Die Energie E kann dann die folgenden diskreten Werte annehmen:

E = - ћ γ mΙ B0,

mit mΙ= -Ι, -Ι+1, … , Ι. (2-5-7)

Für den Spezialfall des Protons, für welches Ι=½ und damit mΙ=±½ gilt, folgt die wichtige Formel

Richtungsquantelung von Drehimpulsen

E = m½ ћ γ B0 (2-5-8)

Damit kann der Spin des Protons genau zwei energetisch unterscheidbare Zustände einnehmen, welche durch die Magnetquantenzahl mΙ = ±½ gekennzeichnet werden, und deren Energiedifferenz genau

∆E= ћ γ B0 beträgt. (2-5-9)

Das gyromagnetische Verhältnis hat beim Proton etwa den Wert 2,675·108/(T·s). Die Bedeutung dieses Wertes in der Praxis wird erst im folgenden Abschnitt deutlich werden.

Um die Zahl der in diesem Skript verwendeten Größen der Übersicht zuliebe zu begrenzen, verzichten wir auf die Einführung der auch oft in diesem Zusammenhang erwähnten Größen Landé-Faktor g und Bohr’sches Magneton µ und verweisen auf die Literatur.

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Gleichgewichtszustand

Die Protonenspins sind damit Teil eines thermodynamischen zwei-Niveau-Systems, so dass sich das Verhältnis der Besetzungszahlen der beiden Niveaus nach der Boltzmann-Statistik berechnen lässt:

γ−=

∆−==

α

β

=

−=

Ι

Ι

kTBexp

kTEexp

NN

NN

0

m

m

21

21 h (2-5-10)

Konvention: α-Spin ↔ Spin parallel zu 0Br

↔ mΙ=+½

β-Spin ↔ Spin antiparallel zu 0Br

↔ mΙ=-½

Unter Beachtung der Vorzeichen in Gleichungen (2-5-1), (2-5-3) und (2-5-7) ist damit der Zustand mit mΙ=+½ energetisch niedriger und folglich etwas höher besetzt. Beispiel: Für B0 = 1 Tesla, ∆E =1,76.10-7 eV, T = 300 K:

Nα/Nβ = 1,00000681, also Besetzungsdifferenz Nα-Nβ= 0,00000681

Aufgrund der großen absoluten Teilchenzahlen (~1022) und der damit auch sehr großen absoluten Besetzungszahldifferenzen (~1017) ergeben sich trotz der kleinen relativen Besetzungsdifferenz messtechnisch nutzbare Magnetisierungen. Man beachte: die Besetzungszahldifferenz wächst linear mit der Stärke des äußeren Feldes B0 und sinkt mit steigender Temperatur.

Umschalten zwischen den Zuständen durch Strahlung

Analog zu den Übergängen zwischen den verschiedenen elektronischen Zuständen im Atom, die durch äußere elektromagnetische Strahlung der passenden Energie an-geregt werden können, sind auch Übergänge zwischen den 2Ι+1 verschiedenen Orientierungen eines Kerns mit Gesamtspin Ι induzierbar. Während in der Elekt-ronenhülle die Übergänge durch Wechselwirkung mit Strahlung vom Infrarotbereich bis hinein in den Röntgenbereich stattfinden, genügen bei der Kernspinresonanz aufgrund der kleinen Energieunterschiede jedoch schon Radiowellen. Selbst bei den größten technisch realisierbaren Feldstärken (etwa 20 Tesla) liegen die entsprechen-den Frequenzen noch im MHz-Bereich.

2.6 Relaxationsprozesse – Teil 1

Longitudinalrelaxation – Analogon zum radioaktiven Zerfall

Die Relaxation eines Kernspinsystems in einem äußeren Magnetfeld folgt einer einfachen Kinetik erster Ordnung, ähnlich wie ein radioaktiver Zerfall. Die Wahr-scheinlichkeit für einen einzelnen Übergang hängt von der näheren Umgebung des jeweiligen Protons ab, und ist im Idealfall einer homogenen Probe und eines homo-genen Feldes für jeden Kern gleich. Anders als beim einfachsten Modell für eine chemische Reaktion mit einer Kinetik erster Ordnung ist der Endzustand beim Spinsystem nicht die vollständige Umwandlung des betrachteten ‚Eduktes’ in ein ‚Produkt’, sondern das thermodynamisch günstigste Verhältnis von α zu β Spins

Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 11

(Gleichung 2-5-10). Für die Anschauung ist es am einfachsten, sich das Verhalten der idealisierten Probe nach einem Transfer aus einem Feldfreien Raum in das Magnetfeld B0 vorzustellen. Auf den Mechanismus der Relaxation hingegen soll an dieser Stelle noch nicht näher eingegangen werden.

So lange die Probe sich außerhalb des Feldes befindet, sind die Kernspinniveaus energetisch entartet, also Eα=Eβ. Damit sind beide Kernspinorientierungen gleich wahrscheinlich, womit für die Besetzungszahldichten (Spins pro Volumeneinheit)

Nα=Nβ=N/2 (2-6-1)

folgt und sich für die z-Komponente der Magnetisierung (=Gesamtdipolmoment pro Volumeneinheit) ergibt:

Mz=Nα(½µNgN)+Nβ(-½µNgN)=0 (2-6-2)

Nach Einbringen der Probe in das statische Magnetfeld B0 zum Zeitpunkt t=0 ist die Entartung der Kernspinniveaus aufgehoben, d.h. es gilt jetzt nach Gleichung 2-5-9

Eα<Eβ und Eβ-Eα= ∆E=ћ γ B « kT (2-6-3)

Da die Energiedifferenz klein ist gegenüber kT werden zwischen den Kernspin-niveaus thermische Übergänge induziert (genauere Beschreibung folgt weiter unten), deren Kinetik den folgenden Ratengleichungen 1. Ordnung gehorcht:

dt

)t(dN)t(Nk)t(Nk

dt)t(dN β

ββαααβα −=+−= (2-6-4)

Hierbei wurden für die beiden Spinumkehrprozesse die Geschwindigkeitskonstanten kαβ und kβα eingeführt, von denen an dieser Stelle noch nichts Näheres bekannt ist. Die Rechnungen vereinfachen sich, wenn man die Besetzungszahldifferenz n(t) einführt

n(t)=Nα(t)-Nβ(t) (2-6-5)

und außerdem die folgenden einfachen Zusammenhänge berücksichtigt:

N= Nα(t)+Nβ(t) (2-6-6)

Nα(t)= ½ [Nα + Nβ + Nα - Nβ]

Nα(t)= ½ [N + n(t)] (2-6-7)

und analog Nβ(t)= ½ [N - n(t)] (2-6-8)

Für die zeitliche Veränderung von n(t) folgt mit Gleichung (2-6-4):

)t(n)kk(N)kk(dt

)t(dnαββααββα +−−= (2-6-9)

Da die zeitliche Ableitung von n im thermischen Gleichgewicht verschwindet, kann aus Gleichung (2-6-9) der folgende Ausdruck für den Gleichgewichtswert von n aufgestellt werden (der Gleichgewichtswert sei mit n∞ bezeichnet):

Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 12

αββα

αββα∞

αββα

αββα∞ −

+=⇔

+−

=kkkk

nNkkkk

Nn (2-6-10)

Unter Verwendung der Größe n∞ vereinfacht sich Gleichung (2-6-9) damit zu

)kk)(nn(

)t(n)kk(kkkk

n)kk(dt

)t(dn

αββα∞

αββααββα

αββα∞αββα

+−=

+−−+

−= (2-6-11)

Führt man ferner in der Form αββα += kkT11

die wichtige Größe der Spin-Gitter-Relaxationszeit T1 ein, welche allgemein die Geschwindigkeit der Einstellung der Gleichgewichtsmagnetisierung entlang des äußeren Feldes beschreibt, so erhält man schließlich den Zusammenhang

1T

nndt

)t(dn −= ∞ . (2-6-12)

Im betrachteten Falle wurde die Probe zum Zeitpunkt t=0 frisch in das Magnetfeld gebracht, so dass Anfangs noch beide Spinniveaus gleich besetzt sind:

Nα(0)=Nβ(0)=½ N

⇔ n(0)=0

Damit ergibt sich für die Differentialgleichung (2-6-12) die einfache Lösung

−=

∞1Tt

e1n)t(n (2-6-13)

deren Gültigkeit sich leicht durch Einsetzen in (2-6-12) überprüfen lässt. Der Verlauf einer solchen Kurve ist rechts skizziert. 0 2 4 6

0,0

0,5

1,0

n/n

t

8

Aus Gleichung (2-5-10) ist bereits bekannt, dass

∆−=

α

β

kTEexp

NN

.

Berücksichtigt man wieder, dass ∆E« kT, so erleichtern folgende Näherungen die weiteren Rechnungen: exp(-x)≈(1-x) & (2+x)-1 ≈ ½ für kleine x.

Damit lässt sich die relative Besetzungsdifferenz n∞/N wie folgt abschätzen:

kT2E

)N/N1(N)N/N1(N

Nn ∆≈

+−

=αβα

αβα∞ (2-6-14)

Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 13

Bis zu dieser Stelle wurde der Magnetismus nur zur Berechnung der Energien der beiden Spinzustände benötigt, die übrige Herleitung erfolgte analog der Kinetik einer Gleichgewichtsreaktion. Um nun die Magnetisierung als Funktion der Zeit aus den Besetzungszahlen ausrechnen zu können, benötigt man den Zusammenhang zwischen Protonenspin und magnetischem Dipolmoment (vgl. Gleichung 2-5-2):

srr γ=µ (2-6-15)

(Im Unterschied zu Gleichung 2-5-2 wird hier nicht mehr ein allgemeines Dipolmoment, sondern bereits explizit der Protonenspin betrachtet.)

Entscheidend für das Verhalten der gesamten Probe (oder etwas abstrakter: des Spinensembles) ist das Gesamtdipolmoment pro Volumeneinheit, die mit dem Erwartungswert des magnetischen Dipolmomentes wie folgt zusammenhängt:

µ⋅= rrNM (2-6-16)

Damit gilt insbesondere für die einzelnen Komponenten von Mr

:

Mx=N·<µx>

My=N·<µy>

Mz=N·<µz>

In diesem Abschnitt wird nur die z-Komponente betrachtet, die ausschließlich vom den Besetzungszahlen sowie den Werten der z-Komponenten der beiden Spinorientierungen abhängt (vgl. Gleichung 2-5-5):

Mz=Nα(γ½ћ)+Nβ(-γ½ћ)

=½ћ γ(Nα-Nβ)=½ћ γ n

Zeitabhängig ergibt sich damit Mz(t)= ½ћ γ n(t) und mit Gleichung 2-6-13 Mz(t)= M∞ [1-exp(-t/T1)], wobei M∞= ½ћ γ n∞ (2-6-17)

den Gleichgewichtswert der z-Magnetisierung bezeichnet, dem der Relaxations-prozess zustrebt.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Magnetisierungskomponente Mz ihrem thermischen Gleichgewichtswert annähert, ist proportional zu 1/T1 und kann als Charakteristikum der untersuchten Probe angesehen werden. Die für verschiedene Materialien ermittelten T1-Werte erstrecken sich dabei über den Bereich von Mikrosekunden bis zu einigen Sekunden.

Um den Charakter dieses Prozesses zu verstehen, betrachten wir die Energiedichte u (Energie pro Volumeneinheit) des Kernspinsystems.

Für die Energie eines einzelnen Spins gilt je nach Orientierung (vgl. Gleichung 2-5-8)

Eα= -½ ћ γ B0 & Eβ= +½ ћ γ B0 ,

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so dass sich die Energiedichte u(t) in Analogie zur Magnetisierung folgendermaßen aus den Besetzungszahlen Nα und Nβ berechnet:

u(t) = EαNα(t)+EβNβ(t)

u(t) = -½ ћ γ B0[Nα(t)-Nβ(t)]

= -½ ћ γ B0 n(t)

Mit der Definition E0 = ½ ћ γ B0 n∞ und n(t)=n∞[1-exp(-t/T1)] (Gleichung 2-6-13) folgt

u(t) = -E0[1-exp(-t/T1)] (2-6-18)

Aus der letzten Gleichung geht hervor, dass im Verlauf der Gleichgewichtseinstellung die Energie des Kernspinsystems abnimmt (vgl. nebenstehende Skizze), d.h. Energie aus dem Spinsystem an dessen Umgebung abgegeben wird. Das umgebende Medium wird dabei aus historischen Gründen als „Gitter“ und der Prozess folglich als Spin-Gitter-Relaxation bezeichnet, auch wenn die Probe eine Flüssigkeit oder ein Gas ist.

-E0

0 t

u(t)

Der Mechanismus der Spin-Gitter-Relaxation eines herausgegriffenen Kernspins beruht darauf, dass durch die thermische Bewegung von Kernmomenten in seiner Nachbarschaft ein oszillierendes B-Feld erzeugt wird, das Spinübergänge dieses Kernspins induziert, wenn im zeitabhängigen B-Feld auch Frequenzen auftauchen, die dicht genug bei der Larmorfrequenz ωL liegen. Befinden sich paramagnetische Ionen im Lösungsmittel, so tragen auch weiter entfernte und damit insgesamt mehr Moleküle zum oszillierenden B-Feld bei, da das magnetische Dipolmoment des Elektronenspins um drei Zehnerpotenzen größer als das der Kernspins ist. Damit vergrößert sich die Amplitude jenes oszillierenden Feldes und damit auch die Übergangswahrscheinlichkeit, womit T1 kleiner wird. Dies wird weiter unten noch im Detail diskutiert. Im folgenden Abschnitt muss zusätzlich zum einfachen 2-Niveau-System ein halbklassisches Bild der Magnetisierung hinzugezogen werden, um einerseits die Wechselwirkung mit äußeren Feldern und andererseits das Wesen und die Relaxation der transversalen Magnetisierung verstehen zu können.

2.7 Klassische Sichtweise der Magnetisierung – Vektorbild

Für ein Zwei-Niveau-System (Ι=½) ist eine klassische Behandlung im so genannten Vektorbild möglich. Durch Wechselwirkung des angelegten 0B

r-Feldes mit dem

magnetischen Moment Ιγ=µrr eines Kernspins entsteht ein Drehmoment, also eine

zeitliche Änderung des Drehimpulsvektors:

dtdBD 0

Ι=×µ=r

rrr (2-7-1)

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Hierbei bezeichnet Ιr

den Drehimpulsvektor (Im Falle des Kernspins könnte man diesen auch mit s

rbezeichnen, jedoch ist Ι

r für die nachfolgenden Betrachtungen

geeigneter, da allgemeiner)

Das Kreuzprodukt (auch Vektorprodukt) darf nicht mit dem Skalarprodukt verwechselt werden. Letzteres ergibt als Wert eine skalare Größe (also eine einfache reelle Zahl), die umso größer ist, je kleiner der Winkel zwischen den betrachteten Vektoren ist, und für zueinander senkrecht stehende Vektoren zu Null wird. Das Kreuzprodukt von µr und 0B

r hingegen ergibt einen Vektor, der senkrecht auf µr und

0Br

steht, und dessen Länge sich nach Dr

= |µr | | 0Br

| sin β berechnet, wobei β der Winkel zwischen µr und 0B

rist. Sie wird also maximal für µr ⊥ 0B

r.

Der Drehimpuls ist über das gyromagnetische Verhältnis Ιγ=µrr mit dem magnet-

ischen Moment verknüpft. Daher folgt, analog zu einem schweren Kreisel im Gravita-tionsfeld, dass das magnetische Moment µr um das 0B

r-Feld gemäß der Gleichung

0Bdtd

dtd rr

rr×µγ=Ιγ=µ (2-7-2)

mit der Kreisfrequenz ωL (Larmorfrequenz) präzediert, d.h., seine Drehachse dreht sich wiederum um eine weitere Achse, die schräg zu ihr selbst steht.

Da die zeitliche Änderung von µr einerseits senkrecht

auf 0Br

und damit zur z-Achse, und andererseits auch senkrecht zu sich selber stehen muss, beschreibt der Vektor µr eine Kegelfläche und seine Spitze (‚Pfeil-ende’) eine Kreisbahn. Die Präzession wird durch den Vektor Lω

r beschrieben, welcher in der Dreh-achse liegt, und um welchen die Drehung konven-tionsgemäß entgegen dem Uhrzeigersinn erfolgt (vgl. Abbildung rechts). Analog gilt für die makroskopische Magnetisierung M

r:

0i

0i BMBV1

dtMd rrrrr

×γ=×µγ= ∑ (2-7-3)

Mr

ist also beschrieben als die Vektorsumme aller beitragenden einzelnen Magneti-sierungen iµr und führt ebenfalls eine Präzessionsbewegung aus.

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Rotierendes Koordinatensystem – Pulse als mitgeführtes Feld 1Br

’ Zur weiteren Beschreibung erweist es sich als nützlich, ein um die z-Achse rotierendes Koordinatensystem RKS einzuführen, dessen Einheitsvektoren mit zzyx e'e,'e,'e

rrrr= bezeichnet

werden sollen. Dieses dreht sich zusammen mit der Magnetisierung M

r bezüglich des (ruhen-

den) sog. ‚Laborsystems’ um die z-Achse, es ist also mit dem ‚normalen’, ruhenden Koordi-natensystem über die Larmorfrequenz Lω

r verknüpft (siehe Abbildung rechts).

Folglich ruht der Vektor Mr

’ in diesem rotierenden Koordinatensystem. Dement-sprechend muss das Magnetfeld 0B

r’ ‚aus Sicht’ des rotierenden Koordinatensystems

ebenfalls verschwinden, denn ansonsten müsste Mr

’ eine Präzessionsbewegung um dieses Feld durchführen. Dass das Magnetfeld ‚verschwindet’ bedeutet, dass es mit keinem Messgerät nachgewiesen werden kann, welches sich ebenfalls mit dem Koordinatensystem bewegt.

Dies allgemein nachzuweisen, würde an dieser Stelle zu weit führen, man kann es jedoch noch an einem weiteren einfachen Beispiel veranschaulichen: Eine bewegte Ladung würde in einem Magnetfeld auf eine Kreisbahn abgelenkt, deren Analyse Rückschlüsse auf das ablenkende Feld zuließe. Rotiert der Beobachter jedoch mit der zu dieser Bahn gehörigen Kreisfrequenz, so ruht das Elektron wieder, folglich muss er schließen, dass es auch kein Magnetfeld gibt.

Das rotierende Koordinatensystem ist äußerst hilfreich wenn man die Änderung der Magnetisierung durch die Einstrahlung von magnetischen Wechselfeldern verstehen möchte, also das, was man als Kernspinresonanz bezeichnet.

Einen einfachen Zugang bietet die ‚Aufgabe’, die z-Magnetisierung umzudrehen. Das würde im ‚Besetzungszahlenbild’ eine Vertauschung von Nα und Nβ ( Besetzungs-inversion) und im ‚Vektorbild’ eine Inversion der z-Koordinate von M

r bedeuten. Da

die z-Koordinaten von ruhendem und rotierendem Koordinatensystem gleich sind, ist dies gleichbedeutend mit einer Drehung von M

r’ um 180°. Diese findet im rotierenden

Koordinatensystem statt!

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Um eine Magnetisierung Mr

’ zu drehen, benötigt man ein äußeres Feld 1Br

’, welches senkrecht auf M

r’ steht. M

r’ verändert sich dann gemäß

'B'Mdt

'Md1

rrr

×γ= , (2-7-4)

d.h., der Vektor Mr

’ dreht sich mit der Kreisfrequenz 1ωr ’=-γ 1B

r’ um das Feld 1B

r’. 1ωr ’

ist hierbei wiederum eine Larmorfrequenz, allerdings hat sie nichts mit der Larmor-frequenz Lω

r zu tun.

Sie beschreibt die langsame Drehung des Vektors Mr

’ im rotierenden Koordinatensystems, also bildlich gesprochen aus Sicht eines Beobachters, der auf einem Drehstuhl sitzt, welcher sich wiederum mit Lω

r dreht. Lω

r liegt, wie erwähnt, üblicherweise im >1 MHz-Bereich, während in der Praxis typische Werte von 1ω

r eher einen Faktor 10 darunter liegen. Um die Magnetisierung M

r’ um genau 180° zu drehen, muss

das Feld genau für eine Dauer von τ180°=180°/ Lω

r eingeschaltet sein.

Aus Sicht eines nicht-rotierenden Beobachters stellt sich also die Aufgabe des 180°-Pulses so dar, dass für eine Zeitdauer τ180° ein Feld 1B

r eingeschaltet werden muss,

welches der Präzessionsbewegung der umzuklappenden Magnetisierung Mr

exakt folgt, so dass es aus deren Sicht ein ruhendes Feld ist. Verwendet man andere Einschaltzeiten τ, so erhält man entsprechend andere Winkel, um welche die Magnetisierung gedreht wird (z.B. nur um 90° beim sog. 90°-Puls). Allgemein berechnet sich der Kippwinkel nach α= Lω

rτ = γ| 1B

r|τ (siehe Abbildung) .

Somit können im RKS mit Hilfe von Pulsen im Radiofrequenzbereich (kurz: RF-Pulse) definierter Dauer und Phasenlage die magnetischen Momente und damit auch die makroskopische Magnetisierung gedreht werden. Dabei wird - für vorgegebenen Drehwinkel - eine möglichst kurze Pulslänge τ, also ein möglichst großes B1-Feld an-gestrebt, da dies nach der Unschärferelation der Anregung eines breiteren Frequenz-spektrums entspricht.

In der Praxis werden für die verschiedenen Pulse nicht tatsächlich rotierende Felder erzeugt, sondern senkrecht zum Hauptfeld 0B

r eingestrahlte Wechselfelder 1B

r der

Form 1Br

= 1Br

0 [cos(ωLt+φ)]. (φ bezeichnet hier die an dieser Stelle nicht weiter wichtige Phase des Wechselfeldes, die nicht zwingend = 0 ist, da ansonsten 1B

r in jedem Fall seinen

Maximalwert bei t=0 annehmen müsste.)

Dieses linear oszillierende Wechselfeld 1Br

hat auf die Magnetisierung Mr

’ im rotierenden Koordinatensystem die gleiche Wirkung wie ein kreisendes Feld. Dies liegt daran, dass sich einerseits ein zirkulares Feld aus zwei linear oszillierenden Feldern zusammensetzt, die senkrecht zueinander stehen und eine Phasenver-

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schiebung von 90° zueinander haben, und andererseits ein linear polarisiertes Feld gleichbedeutend ist mit zwei zirkular polarisierten Feldern gegenläufiger Dreh-richtung. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden deutlich werden.

Ein in der xy-Ebene gegen den Uhrzeigersinn rotierendes Feld 1Br

- mit der Kreisfre-quenz ωL würde beschrieben durch

ωω

=−

)tsin()tcos(

B)t(BL

L011

r (2-7-5)

Die Drehung eines Feldes 1Br

+ mit dem Uhrzeigersinn wird beschrieben durch die betragsmäßig gleiche Kreisfrequenz mit umgekehrtem Vorzeichen, also durch -ωL. Unter Beachtung von sin(-x)=-sin(x) und cos(-x)=cos(x) erhält man

ω−

ω=

ω−ω−

=+

)tsin()tcos(

B)tsin()tcos(

B)t(BL

Lrot1

L

Lrot11

r

Die additive Überlagerung der beiden rotierenden Felder ergibt dann:

ω−

ω+

ωω

=)tsin()tcos(

B)tsin()tcos(

B)t(BL

Lrot1

L

Lrot1

ges1

r

ω=

ω−ωω+ω

=0

)tcos(B2

)tsin()tsin()tcos()tcos(

B)t(B Lrot1

LL

LLrot1

ges1

r

Damit hat 1Br

ges nur noch eine x-Komponente und kann geschrieben werden als

1Br

ges=B1 cos (ωLt) xer

, (2-7-6)

wobei B1=½B1rot gesetzt wurde.

Von den zwei zirkularen Komponenten, aus denen das linear oszillierende Feld besteht, tritt nur eine nennenswert mit den Protonen in Wechselwirkung, nämlich diejenige, die sich im gleichen Drehsinn bewegt wie die Präzession eines einzelnen Spins (vgl. Abschnitt 2.7). Dies ist aus Sicht eines Beobachters im rotierenden Koordinatensystem leicht zu verstehen: für diesen ruhen sowohl der eigentlich präze-dierende Spin als auch die mit diesem rotierende Komponente 1B

r+. Die gegenläufige

Komponente 1Br

- ist aus dieser Sicht jedoch ein Hochfrequenzsignal mit der Frequenz 2wL. Dessen Einfluss auf den präzedierenden Einzelspin mittelt sich zeitlich heraus, so dass der Effekt eines linear oszillierenden Feldes in der Tat gleich dem eines im richtigen Drehsinn rotierenden ist. Daher genügt eine einzige Spule für die Erzeugung des Hochfrequenzsignales (siehe Abbildung auf der folgenden Seite).

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Detektierbares Signal

Was geschieht nun mit der Magneti-sierung nach einem 90°-Puls? Vernach-lässigt man zunächst Relaxationsef-fekte, bleibt die Magnetisierung M

r’ im

RKS unverändert, d.h. im Laborsystem findet eine Präzession um die z-Achse statt. Details werden im Abschnitt zur Spin-Spin-Relaxation beschrieben. Wichtig ist die Rolle dieser rotierenden Magnetisierung für den eigentlichen Messvorgang: In einer Spule, die senk-recht zum äußeren Magnetfeld 0B

r steht

und die auch zur Einstrahlung der RF-Pulse dient, induziert die magnetische Flussänderung, hervorgerufen durch die präzedierende Magnetisierung, ein Wechselstrom.

Schematische Zeichnung eines Puls NMR-Gerätes. Sende- und Empfangsspule sind getrennt eingezeichnet, sind aber oft identisch.

Dieser ist das Messsignal in allen Anwendungen der Kernspinresonanz, egal ob es um Spektroskopie oder Relaxation geht.

2.8 Relaxationsprozesse – Teil2

Bislang sind die Kernspins als isoliert betrachtet worden. Dies ist aber nur in seltenen Fällen eine gute Beschreibung. Häufig wechselwirken die Kernmomente direkt mit-einander (z. B. über dipolare magnetische Kopplungen) bzw. mit ihrer Umgebung (z.B. durch die sog. chemische Verschiebung oder quadrupolare Wechselwirkung). All diese Mechanismen führen in erster Näherung zu einer charakteristischen, von lokalen Parametern wie Nächste-Nachbar-Abstand, Orientierung des lokalen Wech-selwirkungstensors zu 0B

r, usw. abhängigen weiteren Aufspaltung der Energie-

niveaus, die ausgenutzt werden kann, um eben diese Parameter zu bestimmen. Auf-grund endlicher Temperatur und der damit verbundenen Bewegung der Atome und Moleküle treten neben statischen Feldern auch zeitabhängige Wechselwirkungen auf, die in einer dementsprechend zeitabhängigen Störungsrechnung behandelt werden. Daraus ergibt sich, dass durch diese Wechselfelder induzierte Übergänge eine Relaxation des Spinsystems von angeregten Zuständen (z. B. nach einem Puls) in das thermische Gleichgewicht ermöglichen. Prinzipiell lassen sich Relaxations-phänomene in zwei Gruppen einteilen: (a) die bereits diskutierte Spin-Gitter- oder longitudinale Relaxation, die mit einem Energietransfer vom Spinsystem zum Rest des Systems, auch Gitter genannt, verbunden ist und (b) die Spin-Spin- oder transversale Relaxation, bei der dieser Energieübertrag fehlt und die allein durch eine Entropiezunahme im Spin-System gekennzeichnet ist. Diese wird im folgenden diskutiert werden.

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Transversalrelaxation – Analogon zum Gleichlauf von Uhren

Durch einen 90°-Puls kippt die makroskopische Magnetisierung in die x-y-Ebene und beginnt um das 0B

r-Feld zu präzedieren. Tatsächlich zerfällt jedoch, zusätzlich zur

Spin-Gitter-Relaxation, die Phasenbeziehung der einzelnen Kernspins im Laufe der Zeit aufgrund von fluktuierenden Feldern. Es kann für t→∞ keine Magnetisierung senkrecht zu 0B

r existieren, da es keine statischen Feldkomponenten senkrecht zu

0Br

gibt. Die durch den RF-Puls erzwungene Quermagnetisierung muss deshalb zerfallen. Dieser Zerfall wird durch die transversale bzw. Spin-Spin-Relaxationszeit T2 charakterisiert und ist ein irreversibler Prozess.

Die Quermagnetisierung soll anhand eines anschaulichen Spezialfalles illustriert werden. Im Gleichgewicht zeigt der Magnetisierungsvektor M

r der Probe genau in z-

Richtung, was auch für den Vektor Mr

’ im rotierenden Koordinatensystem gilt. Durch einen 90°-Puls wird M

r’ in die xy-Ebene gekippt. Im rotierenden Koordinatensystem

ruht er, wie oben diskutiert, womit er im ruhenden Koordinatensytem eine Dreh-bewegung wie ein Uhrzeiger ausführt, und zwar mit der Kreisfrequenz ωL. Könnte man die Spin-Gitter-Relaxation abschalten, würde M

r’ in dieser Ebene bleiben.

Aufgrund der Spin-Spin-Relaxation würde der Betrag von Mr

’ dennoch abnehmen, was darauf zurückzuführen ist, dass die Gesamtmagnetisierung M

r’ bzw. M

r die

Vektorsumme der magnetischen Momente aller Protonen darstellt.

Nach einem 90°-Puls zeigen von diesen zwar gleich viele in positive wie in negative z-Richtung, womit Mz verschwindet, die x- und y-Kompo-nenten sind jedoch nicht mehr gleichmäßig in alle Raumrichungen verteilt, sondern sie laufen nun zu einem gewissen Anteil in Phase (siehe Abbildung rechts).

Wieder auf den Gesamtvektor bedeutet dies: Die Länge von Mr

bzw. Mr

’ ändert sich durch den 90°-Puls nicht und betrug im Gleichgewicht |M

r|=|M

r’|=Mz=M∞. Es wird

also bildlich das, was vorher an Spin-Überschuss in eine Richtung vorhanden war, um 90° in die xy-Ebene gekippt, wo sich dann eine rotierende Magnetisierung einstellt, die beschrieben wird durch

ω−

ω= ∞

0)tsin(M)tcos(M

)t(M L

Lr. (2-8-1)

Diese rotierende Magnetisierung kann jedoch prinzipiell ‚ins Nichts’ verschwinden, denn sie lebt ausschließlich vom ‚Gleichschritt’ der einzelnen beitragenden Kernspins. In der Regel ist die nicht einheitliche Larmorfrequenz der Protonen ein dominierender Beitrag zum raschen Abklingen der rotierenden Magnetisierung: zwar

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rotieren die Spins zu Beginn in Phase, je stärker die Vielfalt der Frequenzen jedoch ist, umso schneller klingt das FID-Signal wieder ab.

Die Frequenzenvielfalt kommt einer-seits durch chemische Verschiebun-gen, was in der NMR-Spektroskopie ausgenutzt wird, und andererseits durch Inhomogenitäten im Magnet-feld. Letztere ist in den allermeisten Fällen eher ein Störfaktor. Weiter unten wird jedoch gezeigt werden, dass Signalverluste aufgrund uneinheitlicher Frequenzen durch Er-zeugung eines ‚Echos’ wieder rückgängig gemacht werden können.

Reversibler Anteil des Phasenverlustes im Spin-system: unterschiedliche Larmorfrequenzen

Die eigentliche Spin-Spin-Relaxation bezeichnet hingegen irreversible Prozesse, bei denen Spins durch Wechselwirkung mit ihrer Umgebung den Phasenbezug zum Rest des Ensembles verlieren und somit nicht mehr zum Gesamtsignal beitragen. Da sich hierbei die Gesamtenergie des Spinsystems (die nur von der z-Komponente ab-hängt) wie auch des Gitters aber nicht ändert, sondern nur die Kohärenz innerhalb der Spinsystems verloren geht, spricht man auch von einem Entropieprozess.

Empirisch lässt sich die Kinetik der Spin-Spin-Relaxation ebenfalls über eine Relaxationszeit beschreiben, die in diesem Falle mit T2 bezeichnet wird. Sie beschreibt die Abnahme der kreisenden Magnetisierung in der folgenden Form:

Mxy(t)=M∞exp(-t/T2), mit Mxy=|Mr

|=|Mr

’| (2-8-2)

Zusammen mit der zeitlichen Entwicklung der z-Magnetisierung nach einer Störung, die durch

Mz(t)= M∞ [1-exp(-t/T1)] (2-8-3)

beschrieben wird, erhält man damit den wichtigen Ausdruck für das zeitliche Verhalten des Vektors )t(M

r:

−−−ω−

−ω=

−−−ω−

−ω= ∞

)]T/texp(1[)T/texp()tsin()T/texp()tcos(

M)]T/texp(1[M

)T/texp()tsin(M)T/texp()tcos(M

)t(M

1

*2L

*2L

1

*2L

*2Lr

(2-8-4)

Beachten Sie, dass in diesen Gleichungen nicht T2 sondern T2* für die Abnahme der

Transversalmagnetisierung verwendet wurde. Wie beschrieben tragen zwei Prozesse hierzu bei, von denen einer reversibel (uneinheitliche Frequenz) und einer irreversibel (Spin-Spin-Relaxation) ist. Fasst man den Signalverlust als kinetischen Prozess auf, für den zwei parallel ablaufende und voneinander unabhängige

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‚Reaktionen’ verantwortlich sind, so addieren sich die Reaktionsraten. In diesem Falle sind dies die Kehrwerte der zugehörigen Relaxationszeiten, die mit Trev und T2irrev bezeichnet werden seien. Damit gilt:

irrev2rev

*2 T

1T1

T1 += (2-8-5)

Es sei abermals unterstrichen, dass die eigentlich interessante Messgröße, die von Spin-Spin-Wechselwirkungen abhängt, die Relaxationszeit T2irrev ist, die ab sofort nur noch verkürzt als T2 bezeichnet wird.

Häufig wird im Zusammenhang mit detektierten NMR-Signalen von Real- und Imaginärteil gesprochen. Dies ist nur eine Zusammenfassung der x- und y-Komponente von )t(M

r zu einer einzigen komplexen Zahl gemäß der Formel

Mxy(t)=Mx(t) + i My(t). Mit Gleichung 2-8-4 folgt dann

Mxy(t) = exp(-t/T2)·[cos(ωLt)-i·sin(ωLt)]

= exp(-t/T2) exp (-iωLt) (2-8-6)

Achtung: Anders als in Gleichung (2-8-2) beschreibt Mxy(t) hier nicht mehr nur die Amplitude, sondern das gesamte Signal der rotierenden Magnetisierung.

Gleichungen 2-8-4 und 2-8-6 beschreiben eine Spiralförmige Bewegung der Transversalkomponente der Magnetisierung, wie sie in den beiden untenstehenden Abbildungen skizziert ist.

Realteil (x-Komponente) und Imaginärteil (y-Komponente) der Transversalmagnetisierung

Projektion der zeitlichen Entwicklung der Magnetisierung in die xy-Ebene

Bezieht man nun weiterhin noch die z-Komponente mit ein, die sich gemäß Gleichung 2-8-3 wieder der Gleichgewichtsmagnetisierung M∞ nähert, so kann man das geometrische Bild der Relaxation noch vervollständigen. In der untenstehenden Abbildung ist der Spezialfall T1=T2 nach einem 90°-Puls skizziert: Der Vektor )t(M

r

verfolgt eine sich in einem Gipfel zuspitzende Spiralbahn.

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Zeitliches Verhalten von )t(Mr

in allen drei Raumkoordinaten für den Spezialfall T1=T2.

2.9 Erkenntnisgewinn aus dem Relaxationsverhalten

Vollständig isolierte Spins würden keine Relaxation zeigen. Damit es zu Relaxations-erscheinungen kommen kann, muss vielmehr die Möglichkeit bestehen, dass die Spins Energie austauschen können.

Energieaustausch innerhalb des Spinsystems ermöglicht den Abbau von Phasenzusammenhängen (Kohärenz) innerhalb des Gittersystems, was durch die oben diskutierte Spin-Spin-Relaxationszeit T2 quantitativ beschrieben wird. Hier bleibt die Energie des Spinsystems in der Summe erhalten, die Entropie nimmt jedoch zu.

Energieaustausch zwischen dem Spinsystem und seiner Umgebung (dem ‚Gitter’) ermöglicht die Rückkehr der Spins in ihre Gleichgewichtsverteilung (siehe Seiten 8 und 10), was durch die Spin-Gitter-Relaxationszeit T1 quantifiziert wird. Im Gegensatz zu anderen molekularen Freiheitsgraden (IR, UV-VIS, …), bei denen Energieabgabe vorwiegend durch spontane Emission erfolgt, ist die Quantenenergie der NMR-Übergänge so gering, dass spontane Prozesse praktisch keine Rolle mehr spielen. Spin-Gitter-Relaxationsprozesse sind demnach immer stimulierte Emissionsprozesse. Solche stimulierten Emissionen werden durch entsprechende Frequenzen aus verschiedenen stochastischen Magnetfeldfluktuationen induziert.

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Relaxation durch rotatorische Diffusion

In Flüssigkeiten besonders wichtig sind (isotrope) rotatorische Diffusionsprozesse. Eine auf diesen Prozessen basierende Theorie für die Relaxation von Kernen mit Spin ½ wurde bereits 1948 von Bloembergen, Purcell und Pound abgeleitet und ist als BPP-Theorie bekannt. Ihre genaue Herleitung würde an dieser Stelle zu weit führen, daher sollen an dieser Stelle die Grundideen und die resultierenden funktionalen Zusammenhänge beschrieben werden.

Die Bewegung der Moleküle impliziert eine Bewegung der Kerne zueinander, so dass das Magnetfeld, welches am Ort eines bestimmten Kernes von den Kernen seiner Umgebung erzeugt wird, nicht konstant ist sondern signaltechnisch ein ‚Rauschen’ darstellt. Dabei spielt die Translation eine geringere Rolle als die Rotation, da Kerne im gleichen Molekül naturgemäß für längere Zeit vergleichsweise dicht beieinander liegen und damit am ehesten einen Einfluss aufeinander ausüben können, der sich nicht einfach ‚herausmittelt’. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass die Kerne ihre bevorzugten Spinorientierungen jeweils relativ zum äußeren Feld einnehmen, die Molekülachsen hingegen spielen dann keine entscheidende Rolle.

Man stelle sich z.B., wie in nebenstehender Abbildung skizziert, einen kurzen Stab vor, bei dem an jedem Ende jeweils ein Kompass befestigt ist. Auch wenn man diesen Stab drehte, zeigten die Kom-passnadeln immer entlang der Nord-Süd-Achse. Da Magnetfelder aber Dipolfelder sind, hängt die Wechselwirkungsenergie mit benachbarten Dipolen nicht nur vom Abstand der Dipole, sondern auch vom Winkel zwischen Distanzvektor und Dipolvektor ab. Die gegenseitige Beeinflussung der Kompassnadeln wäre damit eben-falls von der momentanen Orientierung des Stabes abhängig, und bei ständiger Drehung würden die beiden Nadeln für einander leichte Wechselfelder erzeugen.

Wären die Nadeln nun Protonen, und träfen diese Wechselfelder die Larmorfre-quenz, so könnte die Spins jeweils aufgrund gegenseitiger Beeinflussung umklap-pen. Damit wäre der kinetische Kanal für die Einstellung des Gleichgewichtes geschaffen. Zentraler Gegenstand der BPP-Theorie ist nun die ‚Häufigkeit’, mit der bei eigentlich zufälliger Molekularbewegung die Larmorfrequenz ωL ‚getroffen’ wird. Etwas exakter (aber immer noch vereinfachend) ausgedrückt: Ihr Anteil im Rausch-spektrum der zufälligen Fluktuationen, der sich über eine Fouriertransformation ermitteln ließe.

Zentrale Größe für das zeitliche Verhalten der rotierenden Moleküle und damit auch für den Beitrag der ‚wirksamen Frequenzen’ ist die so genannte Korrelationszeit τ. Leider gibt es für diese Größe keine unmittelbar anschauliche Darstellung. Eine Hilfsvorstellung ist vielleicht die zeitliche Veränderung einer Wolke oder einer Rauch-säule. Innerhalb sehr kurzer Zeitabstände wird man kaum Veränderungen an der

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äußeren Form feststellen können. Je länger man jedoch die Wolke sich selbst überlässt, umso mehr wird sie sich von ihrer anfänglichen Gestalt entfernt haben. Die Korrelationszeit könnte man sich in diesem Falle vorstellen als die Zeit, innerhalb der sich die Wolke nur so weit verändert hat, dass man gerade noch den Bezug zwischen momentaner Gestalt und anfänglicher Form erkennen kann. Die Geschwindigkeit der Veränderungen und damit die Korrelationszeit τ werden wiederum von solchen Eigenschaften des Mediums wie zum Beispiel der Viskosität abhängen, welche die Beweglichkeiten innerhalb der Materie bestimmen. Dies gilt insbesondere auch für die Rotationsbewegung von Molekülen, deren Korrelationszeit in diesem speziellen Fall mit τrot bezeichnet wird. Diese Größe kann man sich nur abstrakt als ein Maß für die Zeitskala vorstellen, auf der sich ein System signifikant verändert, dessen Dynamik von ungeordneten Rotationsbewegungen bestimmt wird. Sie ist leider nicht unmittelbar ein Maß für die ‚Umlaufzeit’ der Rotation einzelner Moleküle.

Man kann mittels Fouriertransformation zeigen, dass die Spektraldichte J(ω), welche den Beitrag der verschiedenen Frequenzen zur lokalen Magnetfeldfluktuation darstellt, in der folgenden Form mit τrot zusammenhängt:

J(ω)=τrot/[1+(ωτrot)²]

Auch wenn diese Formel der Kompaktheit halber hier nur als Faktum erwähnt werden kann, ist intuitiv nachvollziehbar, dass die Relaxationsprozesse schneller verlaufen, wenn J(ωL) (Spektraldichte für die Larmorfrequenz) besonders hoch ist, d.h. 1/T1 und 1/T2 sollten mit J(ωL) wachsen. In der BPP-Theorie wurde zusätzlich noch gezeigt, dass auch der Wert von J bei der doppelten Larmorfrequenz [J(2ωL)] besonders mit einfließt, und im Falle von T2 zusätzlich auch noch J. Dies wird durch die nachfolgenden beiden Formeln ausgedrückt:

)]2(J2)(J5)0(J3[

2K

T1

)](J4)(J[KT1

LL2

LL1

ω+ω+=

ω+ω=

mit 6

4220

r103

4K λ⋅

πµ= h .

Hierbei bezeichnet K die Kopplungskonstante für die homonukleare Dipol-Dipol-Wechselwirkung. r ist der Kernabstand und ωL die Larmorfrequenz. Setzt man hier den oben gezeigten Ausdruck für J(ω) ein, so ergeben sich die Formeln

τω+

τ+τω+

τ+τ=

τω+

τ+τω+

τ=

2rotL

rot2

rotL

rotrot

2

2rotL

rot2

rotL

rot

1

)2(12

)(153

2K

T1

)2(14

)(1K

T1

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Der Zusammenhang zwischen den Relaxationszeiten T1 und T2 und τrot ist somit nicht trivial. Für sehr kleine τrot ergeben sich allerdings in jedem Fall kleine Werte für beide Zeiten, für sehr große ebenfalls, da dann die Nenner der Brüche stärker wachsen als die Zähler. Ein Maximum der Relaxationsrate 1/T1 ergibt sich somit für ωLτrot≈0.616 (die Zeitkonstante T1 hat dort also ein Minimum).

Die Formeln können für große und kleine τ außerdem signifikant vereinfacht werden. Man unterscheidet die beiden Grenzfälle

1. „slow motion“ für ωLτrot»1:

rot

2L1

K2T1

τω⋅= und rot

2 2K3

T1 τ⋅= sowie

2. „extreme narrowing“ für ωLτrot«1:

2

rot1 T

1K5T1 =τ⋅⋅=

Es wird sich in der Tat zeigen, dass für sehr dünnflüssige Substanzen T1 und T2 nicht weit auseinander liegen.

Ein Molekül in einer Flüssigkeit kann näherungsweise als kleine Kugel mit Radius r betrachtet werden, die sich in einer homogenen Substanz der Viskosität η befindet. Dann gilt der (an dieser Stelle nicht einfach herzuleitende) Zusammenhang

Tk

1r34 3

rotηπ=τ (k=Boltzmannkonstante).

Er besagt in Worten, dass die Korrelationszeit τrot linear mit dem Volumen der Kugel und mit dem Verhältnis von Viskosität zu Temperatur wächst.

Für große Temperaturen bzw. nur wenig viskose Flüssigkeiten kann damit der ‚extreme narrowing’-Fall angenommen werden. Es gilt dann

T

~T1

T1

21

η≈

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das zeitliche Verhalten der Relaxation nach einer Störung der Gleichgewichtsmagnetisierung von zwei Relaxationszeiten bestimmt wird, von denen die eine Energieaustauschprozesse zwischen Spinsystem und Gitter beschreibt (Spin-Gitter-Relaxationszeit, T1), während die andere den Ver-lust der Phasenzusammenhänge von Spins durch Wechselwirkungen innerhalb des Spinsystems beschreibt (Spin-Spin-Relaxationszeit, T2). Die Länge dieser Relaxa-tionszeit hängt stark von den physikalischen (z.B. Viskosität, Aggregatzustand,…) und chemischen Eigenschaften der untersuchten Substanzen ab, was im Folgenden in ein paar ‚Faustregeln’ zusammengefasst ist:

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• in leichtbeweglichen Flüssigkeiten unterscheiden sich T1 und T2 kaum (motional narrowing, extreme narrowing) und liegen im Bereich einiger Sekunden;

• in viskoseren Substanzen und in Festkörpern können T1 und T2 mitunter um mehrere Zehnerpotenzen voneinander abweichen, wobei die T1-Werte mitunter weit länger sind als in Flüssigkeiten. T2 hingegen ist umso kleiner, je ’starrer’ die betreffenden Kerne im Molekül gebunden sind;

• in der Umgebung von stark gekrümmten Oberflächen (poröse Medien) ist die Beweglichkeit der jeweiligen Moleküle herabgesetzt. Für das ‚Frequenz-spektrum’ der ungeordneten Bewegungen hat dies die gleiche Konsequenz wie eine erhöhte Viskosität des Mediums. Für die im Rahmen des Versuchs untersuchten Flüssigkeiten sinkt die Relaxationszeit mit steigender Viskosität bzw. steigendem Anteil von Molekülen, die sich dicht vor Oberflächen befinden;

• in Gegenwart von paramagnetischen Substanzen verringern sich die Werte von beiden Relaxationszeiten (eventuell um viele Zehnerpotenzen);

Aufgrund der aufgezählten Zusammenhänge sind NMR-Relaxationszeiten inzwi-schen in vielen Bereichen zu wichtigen Materialparametern geworden, die wesent-liche Beiträge zum Verständnis der Wechselwirkungen sowohl innerhalb der Mole-küle als auch zwischen den Molekülen leisten können. Für viele technisch oder medi-zinisch bedeutsame Systeme gibt es auch heute noch keine vollständig befriedigen-den Theorien über deren NMR-Relaxationsverhalten, weshalb einschlägige Messungen und theoretische Ansätze zu ihrer Interpretation hier immer noch Gegenstand der aktuellen Forschung sind.

2.10 Relaxation in Gegenwart paramagnetischer Verunreinigungen

Die Entdeckung, dass ein geringer Anteil paramagnetischer Ionen in der zu unter-suchenden Substanz die Kernrelaxationsrate 1/T1 drastisch steigern kann, war ein wichtiger Punkt in der Geschichte der NMR und führte zu einem genaueren Ver-ständnis der Relaxationsprozesse in Flüssigkeiten und Festkörpern.

Der Effekt rührt wiederum von einem stark flukturierenden lokalen Feld am Ort der Protonen her. Dessen Quellen sind im magnetischen Moment der Elektronenhüllen der paramagnetischen Ionen zu finden. Diese Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen den Protonen und z.B. Cu2+-Ionen ist intermolekular, d. h. neben der Orientierung (vgl. vorangegangener Abschnitt) ändert sich auch der Abstand der beiden beteilig-ten Partner. Da das Elektron ein ca. 1000-mal größeres magnetisches Moment als ein Proton hat, ist leicht einzusehen, warum schon ein geringer Anteil paramag-netischer Verunreinigungen, wie z. B. O2 oder Cu2+, deutliche Veränderungen der longitudinalen Relaxationszeit der Probe verursacht. Wiederum ist der Gesamteffekt der Relativbewegungen von Protonen und paramagnetischen Molekülen ein zufäl-

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liges ‚Rauschen’, welches je nach Materialeigenschaften größere oder kleinere Frequenzanteile im Bereich der Larmorfrequenz enthält.

Wenn mehrere voneinander unabhängige Relaxationsprozesse wirksam sind, setzt sich die gesamte gemessene Relaxationsrate additiv aus den Beiträgen der einzel-nen Prozesse zusammen (vgl. auch Transversalrelaxation). Für eine wässrige Lösung mit paramagnetischen Ionen gilt:

OH1

para1

ges1

2T1

T1

T1 +=

Dabei ist OH1

2T die Relaxationszeit der Protonen in dem zur Lösung verwendeten Wasser. Sie beträgt in unserem Fall 3.2 ± 0.2s und wird durch die Dipol-Dipol-Wechselwirkung mit bereits im Wasser vorhandenen paramagnetischen Verun-reinigungen, insbesondere durch gelösten Sauerstoff verursacht. Die Relaxationsrate (1/T1

para) ist proportional zur Konzentration der zugefügten paramagnetischen Ionen cpara:

paraTpara1

cRT

11

=

Für T2 gilt entsprechend:

paraTpara2

cRT

12

=

Die Relaxivitäten RT1 und RT2 hängen von der jeweiligen Substanz ab. Aufgrund dieser einfachen linearen Zusammenhänge kann NMR-Relaxation auch zur Konzentrationsbestimmung paramagnetischer Verunreinigungen in einer Flüssigkeit eingesetzt werden. Wenn Sie den Begriff ‚Relaxivität’ in eine Suchmaschine eingeben, werden Sie feststellen, wofür der Einfluss paramagnetischer Substanzen auf das Relaxationsverhalten außerdem noch nützlich sein kann.

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2.11 Messverfahren

2.11.1 Spektrum der Larmorfrequenzen – Gegenstand der NMR-Spektroskopie

Die Resonanzfrequenz der Atomkerne wird nicht allein durch das äußere Magnetfeld, in dem sich die Probe befindet, sondern auch durch die unterschiedliche chemische Umgebung der Atome innerhalb der Moleküle mitbestimmt. Man spricht in diesem Falle von der ‚chemischen Verschiebung’. Je nach der untersuchten Kernart liegen die chemischen Verschiebungen im Bereich von einigen wenigen ppm (parts per million), wie z.B. beim Proton bzw. 1H, bis zu mehreren Promille (bei schweren Kernen, z.B. 207Pb). Die Existenz der chemischen Verschiebung bildet die Basis der Kernresonanzspektroskopie, die heute eines der wichtigsten Mittel zur Struktur-aufklärung in der Chemie darstellt (vor allem für organische Verbindungen). Außer zur Strukturaufklärung kann NMR-Spektroskopie auch zur Analyse von Substanz-proben eingesetzt werden. Die spektroskopischen Anwendungen der NMR haben sich in den letzten 20 Jahren zu einem sehr vielfältigen und kaum mehr überschau-baren Gebiet entwickelt.

Bei den ersten Experimenten zur NMR-Spektroskopie wurde das Sättigungsver-halten der Spins bei dauerhafter Einstrahlung von Radiowellen untersucht, deren Absorption durch die Probe als Funktion der äußeren Magnetfeldstärke gemessen wurde (oder es wurde bei konstantem äußeren Feld die Frequenz variiert). Dieses so genannte ‚continuous wave’ (CW)-Verfahren machte die Aufzeichnung detaillierter Spektren sehr zeitaufwändig, weshalb heute fast ausschließlich mit Puls-NMR gearbeitet wird. Für deren Entwicklung wurde Professor R.R. Ernst im Jahr 1991 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Das Prinzip lässt sich vereinfacht so zusammen-fassen: Ist ein eingestrahlter Radiofrequenzpuls hinreichend kurz, so ist seine Frequenz (analog der Heisenberg’schen Unschärferelation) nicht exakt bestimmt, sondern umfasst ein gewisses Spektrum höherer und niedrigerer Frequenzen. Folglich kann er mit allen Spins in Wechselwirkung treten, deren Larmorfrequenzen dicht genug an der ‚mittleren’ Frequenz liegen.

Wie bereits erwähnt, gibt es unmittelbar nach einer geeigneten Anregung ein in der xy-Ebene rotierendes Magnetfeld, welches entlang der x- oder der y-Achse als sinusförmiges Wechselfeld gemessen wird. Das schnelle Abklingen dieser Oszillation (bezeichnet als FID = free induction decay) ist in erster Linie eine Konsequenz der unterschiedlichen Larmorfrequenzen, die zum einen eine Folge der chemischen Verschiebungen innerhalb der Moleküle sind, zum anderen aber auch von gerät- oder probenbedingten Magnetfeldinhomogenitäten herrühren (siehe obige Diskus-sion zu T2

* und T2). Trotz seines raschen Abklingens lässt sich das Wechselfeld über eine Fouriertransformation auf seine Frequenzbestandteile hin analysieren (siehe Abbildungen). Das Resultat ist das aus der Strukturaufklärung geläufige NMR-Spektrum der jeweiligen Probe, welches dann auf der Frequenzachse einen Peak zu jeder auftretenden Larmorfrequenz aufweist. Dies gilt allerdings nur, wenn das

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Frequenzspektrum nicht durch zusätzliche Feldinhomogeniäten verfälscht ist, welche günstigstenfalls zu leichten Peakverbreiterungen führen würden, im ungünstigeren Fall zu einer ‚Verschmierung’ des gesamten Spektrums.

FID-Signal bei nur einer Larmorfrequenz Fouriertransformierte des FID-Signals

FID-Signal bei Überlagerung mehrerer chemisch verschobener Larmorfrequenzen

Fouriertransformierte des FID-Signals von Ethanol, Frequenzen auf δ-Skala dargestellt

In der NMR-Spektroskopie ist es üblich, die relative Frequenzverschiebung im Vergleich zur Larmorfrequenz der äquivalenten Protonen in Tetramethylsilan (TMS) auf der sog. Deltaskala darzustellen: δppm =106 (ν - νTMS)/νTMS

2.11.2 Pulsfolgen zur Messung des Relaxationsverhaltens

Aus dem FID allein, für dessen Erzeugung ein einziger Puls genügt, lassen sich in der Praxis die Relaxationszeiten T1 und T2 nicht oder nur unzureichend genau bestimmen. Zwar ist in jedem Fall das Messsignal ein von präzedierenden Spins erzeugtes rotierendes Magnetfeld, welches wie der FID als Wechselstromsignal an der Detektorspule gemessen wird, dem jeweiligen Messzeitpunkt gehen jedoch klar definierte und an das jeweilige Problem angepasste Pulsfolgen voraus. In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten dieser Pulsfolgen kurz vorgestellt, beginnend mit denjenigen zur Bestimmung von T1. Zentrales experimentelles

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Problem ist, hier, dass die Magnetisierung parallel zum Hauptmagnetfeld B0 nicht direkt messbar ist.

Pulsfolgen zur Bestimmung von T1 - allgemein

Alle Verfahren zur Bestimmung von T1 beruhen darauf, dass das thermodynamische Gleichgewicht der Spinorientierungen und somit der Magnetisierung durch einen oder mehrere Pulse gestört wird – schließlich beschreibt die Relaxation ja gerade die Wiederherstellung dieses Gleichgewichtes. Dieser Wiederaufbau der Gleichgewichts-magnetisierung wird als Funktion der Zeit beobachtet, wobei wiederum Pulse oder Pulsfolgen notwendig sind, um die zu jeweils interessierenden Zeitpunkt erreichte Magnetisierung ‚auszulesen’. Die eigentlichen Messsignale bestehen ja stets nur aus in der xy-Ebene rotierenden Feldern, deren Amplitude jedoch keine Aussage über die z-Magnetisierung zum Zeitpunkt der Messung selbst erlauben. Was man sich bei den Pulsfolgen zu Nutze macht ist die Tatsache, dass die Anfangsamplitude des FID-Signals unmittelbar nach einem 90°-Puls proportional zur vorherigen z-Magneti-sierung ist. Bildlich kann man sich vorstellen, dass der Vektorpfeil, der im Gleichge-wicht ruht und parallel zur Magnetfeldrichtung zeigt, durch den 90°-Puls in die xy-Ebene gekippt wird und dort dann mit der Larmorfrequenz rotiert. Natürlich wird genau in diesem Moment die z-Magnetisierung wieder gestört, so dass danach die Relaxation nicht weiter verfolgt werden kann. Dieses Problem wird gelöst, indem das gleiche Experiment mehrfach hintereinander durchgeführt wird, und zwar i) bei gleicher Anfangsmagnetisierung M0 = Mz(t=0) und ii) mit wachsend größeren Warte-zeiten τ zwischen anfänglichem „Störungspuls“ (also einstellen von M0≠M∞) und nachfolgendem 90°-Puls zum ‚Auslesen’ der jeweils wiedererlangten z-Magneti-sierung. Um stets die gleiche Anfangsbedingung zu haben, muss jede Pulsfolge im Gleichgewichtszustand starten, weshalb vor jedem Durchgang eine Wartezeit von 5·T1 einzuhalten ist. Damit dauern Relaxationsmessungen an langsam relaxierenden Proben nicht nur deshalb länger, weil längere Zeiträume beobachtet werden müssen. Unterschieden werden die jeweils verwendeten Sequenzen durch den Puls oder die Pulse zur Wiederholten Einstellung von M0.

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90°-τ-90°-Methode

Diese Methode ist nur anwend-bar, falls T2 « T1 ist. Mit dem ersten 90°-Puls wird die Mag-netisierung in die x-y-Ebene gedreht. Nach einer Zeit t = τ wird durch einen zweiten 90°-Puls die in positiver z-Richtung neu aufgebaute Magneti-sierung in der Detektionsebene nachgewiesen, da ein direkter Nachweis entlang der z-Achse nicht möglich ist. Ist T2 « T1 erfüllt, sollte es vor diesem zweiten Puls bereits keine transversalen Magnetisierungs-anteile mehr geben. Der im Anschluss beobachtbare FID besitzt eine Anfangsamplitude, die dem Wert Mz(t = τ) propor-tional ist (vgl. Gl. 2-8-2). Es gilt (vgl. Gl. 2-6-17 und 2-8-2)

Mz(t)= M∞ [1-exp(-t/T1)].

Bestimmung von T1 mit der 90°-τ-90°-Methode

Die Messung von Mz(t) für verschiedene Zeiten, d. h. durch Variation des Pulsab-standes τ erlaubt die Bestimmung von T1. Dabei ist es notwendig, vor der Wieder-holung einer Pulsfolge jedes Mal eine Wartezeit von mindestens 5·T1 einzulegen. Erst nach dieser Zeit befindet sich das System wieder annähernd im Gleichgewichtszustand (vgl. Abbildung). Statt des FID kann auch ein Signal ausgewertet werden, welches zur Anfangsamplitude des FID proportional ist, nämlich ein Spin-Echo (siehe unten). Dieses muss dann immer in einem festen Abstand nach dem 2. 90°-Puls erzeugt werden.

180°-τ-90°-Methode

Dieses auch Inversion-Recovery-Methode genannte Verfahren findet bei Systemen mit T1≈T2, wie z. B. in Flüssigkeiten, Verwendung. Durch einen 180°-Puls wird die Gleichgewichtsmagnetisierung Mz = M∞ in Richtung der negativen z-Achse gedreht und die Anfangsbedingung lautet Mz(0) = - M∞. Da die Magnetisierung parallel zur z-Achse in dem verwendeten Aufbau keine direkt messbare Größe ist, wird im zweitem Schritt der Impulsfolge nach der Zeit t = τ die zu diesem Zeitpunkt vorhandene z-Magnetisierung mit einem 90°-Impuls in die x-y-Ebene gedreht („Schnappschuss” der

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z-Magnetisierung). Der zeitliche Verlauf von Mz(t) lässt sich wieder aus einer Folge von Experimenten mit anwachsendem τ konstruieren.

Die zeitliche Veränderung der z-Magneti-sierung verhält sich dann wie folgt:

Mz(t)= M∞ [1-2·exp(-t/T1)]

(Faktor 2 wegen Mz(0) = - M∞)

Die Bedingung Mz(0) = - M∞ ist in der Praxis nicht einfach zu realisieren, da sich Inhomogenitäten des B1-Feldes (also des eingestrahlten Pulses) störend bemerkbar machen. Es gilt allerdings mit hinreichender Genauigkeit Mz(t→∞) = M∞ . Aus der Steigung der logarithmisch aufgetragenen Kurve M∞-Mz(t) lässt sich schließlich T1 bestimmen. Das System muss, wie bei der 90°-τ-90°-Methode, vor Beginn der nächsten Teilmessung in das Gleichgewicht zurückgekehrt sein, d. h. eine entsprechende Wartezeit von mindestens 5·T1 muss wieder eingehalten werden. Die somit teilweise sehr langen Messzeiten sind unvermeidbar für T1≈T2.

Da die Magnetisierung durch die Nulllinie verläuft, wird dieses Verfahren auch ‚Zero-Crossing’-Methode genannt.

Spin-Gitter-Relaxation nach 180°x’-Puls: Vektormodell und zeitlicher Verlauf

nx90°-τ-90°-Methode

Diese Methode stellt sicher, dass zur Zeit t = 0 jegliche Magnetisierung in z-Richtung verschwunden ist. Damit lassen sich die sonst nötigen Wartezeiten zwischen zwei Pulsen vermeiden. Voraussetzung hierfür ist wiederum T2 « T1 (mit T2 « τ « T1). Dazu wird eine Serie von 90°-Pulsen eingestrahlt, die folgende Aufgabe hat: Der erste Puls dieser Serie dreht die Magnetisierung aus der z-Richtung in die xy-Ebene. Allerdings könnte diese Drehung aufgrund eines Justierfehlers (z. B. ungenau einge-stellte Pulslänge) unvollständig sein. Daher wird, nachdem alle transversale Magneti-sierung zerfallen ist (Wartezeit >5T2 aber deutlich kürzer als T1), ein zweiter 90°-Puls angelegt, der jetzt die eventuell noch in z-Richtung verbliebene Magnetisierung in die xy-Ebene dreht. Weitere 90°-Pulse vergrößern diesen Effekt und schließlich wird jede Magnetisierung über die schnelle T2-Relaxation zerstört. Alle Zeeman-Niveaus sind dann gleichbesetzt, d. h. gesättigt, daher auch der Name Sättigungsfolge (saturation–recovery). Nach Zerstörung der Magnetisierung wird wieder zu einer Zeit

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t = τ nach dem Ende der Serie ein 90°-Nachweispuls angelegt und durch ihn die seit der Sättigung neu entstandene Magnetisierung Mz(t = τ) gemessen.

Man kann unmittelbar danach wieder eine 90°-Pulsserie zur Sättigung einstrahlen und dadurch einen wohl definierten Anfangszustand für alle Teilmessungen er-zeugen, ohne 5·T1 warten zu müssen. Jede „Erinnerung” des Systems an die vorher-gehende Teilmessung wird eliminiert. Durch Inkrementieren des Parameters τ wird der Verlauf von Mz(t) bestimmt. Die durch die Sättigung mögliche Zeitersparnis ist besonders bei Messungen langer longitudinaler Relaxationszeiten T1 (sofern T2 « T1) wichtig.

Auswertung von T1-Messungen

In allen drei genannten Verfahren erhält man die Magnetisierung als Funktion der Zeit. Im einfachsten Fall ist dies nur die Anfangsamplitude des FID, etwas indirekter aber ähnlich effektiv ist die Auswertung des Echos (siehe unten). Für die 180°-τ-90°-Methode muss jedoch auch das ‚Vorzeichen’ der Amplitude, also die Phase des Signals, bekannt sein. Hier kommt dann nur noch die Auswertung des FID in Frage und zwar mit einem phasensensitiven Detektor. Die beiden im Praktikum ver-wendeten Geräte arbeiten zur T1-Bestimmung unterschiedlich, Details besprechen Sie bitte mit Ihrem Assistenten.

Angenommen, es sei ein Datensatz vorhanden, der das gewünschte Signal als Funktion der Zeit enthält. Daran muss jetzt zur Bestimmung von T1 eine Funktion der Form Mxy(t)=M∞ [1-2·exp(-t/T1)] bzw. Mxy(t)=M∞ [1-exp(-t/T1)] angepasst werden. So lange die Summe in der Funktion enthalten ist, kann sie nicht durch Logarithmieren linearisiert werden. Dies ist jedoch möglich, wenn man jeden Messpunkt vom Wert M∞ abzieht. Man erhält dann die folgenden Wertereihen

M∞ -Mxy(t) = 2·exp(-t/T1) (180°-τ-90°) (2-11-1)

⇔ ln (M∞ -Mxy(t)) = ln (2) - t / T1

oder M∞ -Mxy(t) = exp(-t/T1) (90°-τ-90°) (2-11-2)

⇔ ln (M∞ -Mxy(t)) = - t / T1

In halblogarithmischer Darstellung lässt sich dann (1/T1) jeweils durch Lineare Regression bestimmen

Pulsfolgen zur Bestimmung von T2 - allgemein

Wie bereits beschrieben, nimmt der Betrag der transversalen Magnetisierungskom-ponente nach der Differentialgleichung dMxy/dt=-Mxy/T2 ab, was für ihr zeitliches Verhalten bedeutet, dass Mxy(t)=Mxy

0 exp (-t/T2). Für den Spezialfall eines 90°-Pulses gilt Mxy

0=M∞=Mz(t=∞)

Für ein homogenes Magnetfeld und ohne chemische Verschiebungen wäre schon das Abklingen des FID’s ausschließlich von der Spin-Spin-Relaxation bestimmt, so dass T2 kann direkt aus dem FID bestimmt werden könnte. Wie schon besprochen,

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führt die vorhandene Magnetfeldinhomogenität meist zu einer Verkürzung des FID, dessen Abfall dann durch T2

* bestimmt wird. Durch geschickte Pulsfolgen ist es jedoch möglich, diesen Effekt zu eliminieren.

Hahnsches Echo

Zur Veranschaulichung der Wirkungsweise des von Hahn im Jahr 1950 entwickelten Spin-Echo-Experiments dient die folgende Abbildung.

Im Gleichgewicht zeigt der Vektor ∞= MMrr

der makroskopischen Magnetisierung in Richtung der z-Achse. Ein 90°x’ -Puls bewirkt eine Drehung der Magnetisierung um die x’-Achse in die y’-Richtung des rotierenden Koordinatensystems. Es folgt ein Auf-fächern der Quermagnetisierung infolge der Feldinhomogenitäten (reversibler Pro-zess, s.o.) sowie ein Verlust der Phasenbeziehung durch die transversale Relaxation (irreversibler Prozess, s.o.). Durch beide Prozesse nimmt der Betrag der transversal-en Magnetisierung mit der Zeit ab. Nach einer Wartezeit t = τ wird ein 180°y’-Puls ein-gestrahlt. Aufgrund der Relativbewegung (unterschiedliche Präzessionsgeschwindig-keiten, deren Drehsinn von Pulsen unbeeinflusst bleibt) der Teilmagnetisierungen kommt es nach einer Zeit t = 2τ zur Refokussierung derjenigen Teilmagnetisierun-gen, deren Phasenbeziehungen erhalten geblieben, d. h. also noch nicht mit T2 irre-versibel zerfallen sind.

Der Einfluss einer statischen Mag-netfeldinhomogenität auf die Echoamplitude wäre dadurch elimin-iert und man würde einen Abfall der Amplitude ausschließlich durch irreversible Dephasierung gemäß T2 messen. Diffundieren allerdings die Moleküle (Selbstdiffusion) in einem inhomogenen Magnetfeld, ändern sich die Larmorfrequenzen der betroffenen Kerne während der Pulsfolge. Echoamplitude mit und ohne Diffusionseinfluss

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Fasst man alle Kerne mit gleicher Larmorfrequenz zu Beginn der Versuchs als ein Subensemble zusammen, so kann aufgrund der Diffusion die zugeordnete Teilmagnetisierung nicht vollständig refokussiert werden: Die Dephasierung geschieht mit einer anderen Geschwindigkeit als die Refokussierung, da der Kern nicht nur seinen Ort, sondern damit auch seine Resonanzfrequenz gewechselt hat. Dies führt zu einer Verkleinerung der Echo-Amplitude zur Zeit t = 2τ gemäß der Gleichung

γ−

−= 322

2

0xyxy DtG

121exp

TtexpM)t(M

D steht hier für den Selbstdiffusionskoeffizienten und G ist der Magnetfeldgradient. Die gemessenen transversalen Relaxationszeiten können dann je nach Diffusionsge-schwindigkeit und Feldgradient stark verfälscht sein. Um den Diffusionseinfluss auf eine T2-Messung möglichst zu minimieren, wird die im folgendem dargestellte Carr-Purcell-Folge eingesetzt.

Carr-Purcell-Folge

Im Jahre 1954 hatten Carr und Purcell zur wirkungsvollen Verminderung der Diffus-ionseinflüsse eine Idee. Sie modifizierten das Hahnsche Echo, indem sie einem 90°x’-Puls eine Serie von 180°x’ -Pulsen mit einem gleichen Pulsabstand 2τ folgen ließen, die immer wieder Echos erzeugen (vgl. Abbildung). Man erhält für die Amplitude des n-ten Echos zur Zeit t = 2nτ:

τγ−

−= 222

2

0xyxy DG

3texp

TtexpM)t(M

Wählt man τ hinreichend kurz, so dass 1)GDexp( 2223

t ≈τγ− , so lässt sich der Diffus-ionseinfluss eliminieren. Falls der Gradient des Magnetfelds bekannt ist, kann man auch den Diffusionskoeffizienten bestimmen, indem man ℓn(M) für festes t gegen τ² aufträgt und die Steigung der dabei erhaltenen Geraden bestimmt.

Die NMR ist eine der wichtigsten Methoden zum Studium der Selbst-diffusion, da hier keine besondere „Markierung” durchgeführt werden muss. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass anders als beim Hahn’schen Echo die Beobachtung des Relaxationsprozesses in einem Durchgang möglich ist, was zu einer deutlichen Verkürzung der Messzeit führt.

Durch Meiboom und Gill modifizierte Carr-Purcell-Folge. Der 90°-Puls und die 180°-Pulse sind um 90° phasenverschoben.

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Da sich bei der Carr-Purcell-Folge aber der Fehler aufgrund ungenauer Justierung des Drehwinkels für die verschiedenen 180°-Pulse aufsummiert (es können bis zu 1000 Pulse sein), wurde diese von Gill und Meiboom im Jahre 1958 noch etwas modifiziert. Sie führten eine Phasenverschiebung von 90° zwischen dem 90°-Puls und den 180°-Pulsen ein, so dass 180°y’- an Stelle der 180°x’-Pulse eingestrahlt werden. Diese Carr-Purcell-Meiboom-Gill-Folge (CPMG) eignet sich zur Messung von kurzen bis hin zu sehr langen Relaxationzeiten (T2»1s).

Die Bedeutung einer Phasenverschiebung um 90° bzw. den Unterschied zwischen 180°y’ und 180°x’-Pulsen kann man sich am ehesten klar machen, wenn man zum Uhrzeigermodell des rotierenden Koordinatensystems (Seite 16) zurückkehrt. Ein 180°y’-Puls bedeutet, dass die Magnetisierung um die y’-Achse gedreht wird und nicht um die x’-Achse. Dies bedeutet, dass das B1-Feld im rotierenden Koordinatensystem entlang der y’-Achse und nicht entlang der x’-Achse verläuft, wie bisher in den Abbildungen dieser Anleitung eingezeichnet. Er läuft damit um 90° voraus, bzw. er geht um eine Viertelstunde ‚vor’. Natürlich gibt es im rotierenden Koordinatensystem keine markierten Richtungen – entscheidend ist der Phasen-bezug der aufeinanderfolgenden Phasen: Der erste Puls (90°) kann im Prinzip willkürlich gewählt werden, z.B. als B1=B1cos(ωLt). Dann müssen jedoch der nächste Puls und alle weiteren von der Form B1= -B1sin(ωLt). Würde der erste Puls (im Geiste) fortgesetzt werden, so würde der zweite ihm zeitlich stets um 90° (bzw. π) vorauseilen.

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Anhang: wichtige Diagramme und Tabellen

-20 0 20 40 600.00

0.05

0.10

0.15

0.20

0.25

0.30

0.35

T 1/ s

T / °C

T1 für Glycerin als Funktion der Temperatur

empirische Kurve:T1= 0.018 - 2.3 e-4 T + 2.85 e-5 T2

- 4.8 e-7 T3 + 1.4 e-8 T4

Daten aus: Preissing et al., "Zur Deutung derProtonenspinrelaxation in Glycerin"Zeitschrift für Physik 246 (1971) 84-90

1 10 100 1000 100001

10

100

1000

T1= 2350 ms (η/mPa s)-0.77

T 1 / m

sη / (mPa s)

Abb. A1: T1 von Glycerin als Funktion der Temperatur mit empirischer Formel (zum Vergleich mit eigenen Daten)

Abb. A2: T1 von Glycerin-Wasser-Mischungen als Funktion der Viskosität des Gemisches. Aus: Bloembergen et al., „Relaxation effects in nuclear magnetic resonance absorption“, Physical Review 73 (1948) pp679

Tabelle: Viskosität verschiedener Glycerin-Wasser-Mischungen als Funktion der Temperatur Glycerin T / °C 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Massen-prozent T / K 273.15 283.15 293.15 303.15 313.15 323.15 333.15 343.15 353.15 363.15 373.15

0 1.792 1.308 1.005 0.801 0.656 0.549 0.469 0.406 0.357 0.317 0.284

10 2.440 1.740 1.310 1.030 0.826 0.680 0.575 0.500 – – –20 3.440 2.410 1.760 1.350 1.070 0.879 0.731 0.635 – – –30 5.140 3.490 2.500 1.870 1.460 1.160 0.956 0.816 0.690 – –40 8.250 5.370 3.720 2.720 2.070 1.620 1.300 1.090 0.918 0.763 0.66850 14.600 9.010 6.000 4.210 3.100 2.370 1.860 1.530 1.250 1.050 0.91060 29.9 17.4 10.8 7.19 5.08 3.76 2.85 2.29 1.84 1.52 1.2865 45.7 25.3 15.2 9.85 6.8 4.89 3.66 2.91 2.28 1.86 1.5567 55.5 29.9 17.7 11.3 7.73 5.5 4.09 3.23 2.5 2.03 1.6870 76 38.8 22.5 14.1 9.4 6.61 4.86 3.78 2.9 2.34 1.9375 132 65.2 35.5 21.2 13.6 9.25 6.61 5.01 3.8 3 2.4380 255 116 60.1 33.9 20.8 13.6 9.42 6.94 5.13 4.03 3.1885 540 223 109 58 33.5 21.2 14.2 10 7.28 5.52 4.2490 1310 498 219 109 60 35.5 22.5 15.5 11 7.93 691 1590 592 259 127 68.1 39.8 25.1 17.1 11.9 8.62 6.492 1950 729 310 147 78.3 44.8 28 19 13.1 9.46 6.8293 2400 860 367 172 89 51.5 31.6 21.2 14.4 10.3 7.5494 2930 1040 437 202 105 58.4 35.4 23.6 15.8 11.2 8.1995 3690 1270 523 237 121 67 39.9 26.4 17.5 12.4 9.0896 4600 1580 624 281 142 77.8 45.4 29.7 19.6 13.6 10.197 5770 1950 765 340 166 88.9 51.9 33.6 21.9 15.1 10.998 7370 2460 939 409 196 104 59.8 38.5 24.8 17 12.299 9420 3090 1150 500 235 122 69.1 43.6 27.8 19 13.3

100 12070 3900 1410 612 284 142 81.3 50.6 31.9 21.3 14.8

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Einfluss paramagnetischer Substanzen auf die Relaxationszeiten.

Aus: „Frequency dependence of MR relaxation times I. Paramagnetic ions“, Josef Vymazal et al., Journal of Magnetic Resonance Imaging 3 (1993) 637