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Valentin Platzgummer Theorie des Komischen

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THEORIE DES KOMISCHENBasierend auf dem Film Keystone Cops, „Das Straßenrennen“ 1913

Von Valentin PlatzgummerAlle Rechte vorbehalten

©2000 Valentin Platzgummer, Wien

THEORIE DES KOMISCHEN - KEYSTONE KOPS „STRAßENRENNEN“ 1

Das Straßenrennen 1

Komik durch Zufall 4

Komik durch Mechanisierung 4

Komik durch Wiederholung 5

Komik durch Inversion 6

Komik durch Kontrast 6

Komik durch Distanzierung 7

BIBLIOGRAPHIE 8

Theorie des Komischen - Keystone Kops „Straßenrennen“

Das Straßenrennen

Versuch einer Annäherung an den Stummfilm der Mack Sennett Truppe „Keystone Kops“ -DasStraßenrennen- vermutlich 1913 mit den theoretischen Apparat von Henri Bergson und Vischer.Die Geschichte des Films ist rasch erzählt: ein Autorennen findet statt, es beginnt mit demStartschuß und endet mit einem Kuß einer sportbegeisterten, die einen der Rennfahrer freudigbegrüßt. Dazwischen liegt eine temporeiche Fahrt, gespickt mit allerlei Hindernissen undScherzchen, die sich die Rennfahrer boshafterweise gegenseitig zuführen. Oberstes Primataber ist und bleibt das Tempo, im Film realisiert durch den rasanten Schnitt. Auf metaphorischerEbene parodiert der Streifen die wachsende Geschwindigkeit der aufkommendenIndustrialisierung in Amerika, dessen Leidtragende natürlich all jene Einwanderer sind, die dasLand in Scharen überschwemmen, und für die der amerikanisch Traum immer nur ein Traumbleiben wird. Das Kino gilt ihnen, dem Proletariat der amerikanischen Gesellschaft als einzigzugängliche Vergnügungsform, die sie sich leisten können. Man flieht für kurze Zeit dem herbenAlltagsleben, und findet dort eine verkehrte Traumwelt vor. Dies macht wohl den Erfolg derKeystone Kops aus, eine Parodie auf die Repräsentanten des Staates, vor denen sich dieEinwanderer nicht erwehren können. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß dasheterogene Einwanderergemisch aus allen möglichen Teilen Europas: Italien, Irland,Deutschland, Spanien, Polen, Rußland u.v.a. der amerikanisch gesprochenen Sprache nichtmächtig war, und somit hilflos den Gepflogenheiten ausgeliefert war. Die Film- Kops hingegensind dumm, tolpatschig und absolut keine Gefahr für die Bevölkerung und noch dazu waren siestumm, alles war für alle leicht verständlich. Brandlmeier beschreibt den Erfolg derSennetttruppe folgendermaßen: »Das zeitgenössische Kino karikierte er [Mack Sennett] inGenreparodien. Das Maschinenzeitalter griff er auf in der Mechanisierung, der Verdinglichung,dem Geschwindigkeitswahn. Die abstrakte Freiheit des modernen Individuums Ließ er in der

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Absurdität, im Chaos, im Grotesken kulminieren. Alles dies schloß er zusammen in einemexzellenten kinematographischen Stil aus Action und halsbrecherischer Geschwindigkeit,trompe L‘ œil und einer seltsamen Poesie der Gags. […] Dem Tempo seiner Komödien wir dieSprache fremd und die großindustrielle Organisation der Filmindustrie der 30er Jahre erst recht.[…] Auf die Frage nach dem Tonfilm antwortete er bitter: „kenne ich nicht. Ich kann mich nichterinnern jemals einen guten Satz im Film gehört zu haben.“«1 Ebenso wie Sennett selbst hatkeiner seiner Schauspieler den Tonfilm überlebt, von Chaplin mit Great Dictator einmalabgesehen. Dies wird aufgrund der ungeheuren Gagdichte verständlich, Sprache hemmt denFluß der Geschwindigkeit so profund, daß eine neue Form der Komödie gefunden werdenmußte und wurde – die „Screwball Comedy“, deren verbaler Schlagabtausch fast schon wiederjene atemberaubende Geschwindigkeit erreichte wie die alten Stummfilmklassiker.

Sennett hat 1912 sein Keystone Studio eröffnet, nach einer dreijährigen Lehrzeit bei demFilmpapst der damaligen Zeit, bei Griffith. Von diesem hat er viel gelernt, wie er selbst bestätigt.Die Ideen für seine Slapstickfilme aber stammen aus seiner Zeit vor dem Film, er war unteranderem im Zirkus und im Varieté. Vor allem sollten die französischen Filmkomödien Vorbilderfür Sennett werden. Viele seiner Filmideen sind schon früher bei Max Linder durchexerziertworden. Neu an Sennett aber sind das unbeschreibliche Tempo und der exakte Schnitt. DieArbeitsmethode der Keystone-Production ist mittlerweile legendär. Jede Außergewöhnlichkeit inder Stadt wurde ausgenützt, das Filmteam und die Schauspieler dorthingeschickt, ein Handlungunterwegs improvisiert. Das unerläßliche Begleitmaterial wurde im Studio nachgedreht, fertigwar ein Film. So konnten sehr schnell und vor allem billig eine große Stückanzahl von Filmenproduziert werden, und der stetig steigende Bedarf an neuen Filmen gedeckt werden.

Wenden wir uns jetzt den Elementen der Komik zu, was ist überhaupt Komik, wie entsteht sie,und wieso kann überhaupt ein Film komisch sein. Zur Behandlung dieser Fragen habe ich zweifundamentale Texte zur Theorie der Komik herangezogen. Theodor Friedrich Vischer (1807-1887), Hegelschüler hat in seiner philosophischen Schrift über die Ästhetik auch über die Komikausgelassen, die ich hier in aller Kürze vorstellen möchte:

Vischer stellt einen Dreiklang der Negationen auf:

• Das Schöne: Einklang der Idee mit der Form. (Interesseloses Wohlgefallen bei Kant!)• Das Erhabene: Verrat der Idee an die Form, deren erste Steigerung im furchtbaren liegt• Das Komische: hintergehen der Form an die Idee.Ein Mißklang des Schönen, das Häßliche tritt auf, wenn zwischen Idee und Tatsächlichkeit eineDiskrepanz besteht, z.B. in den sog. Hybridwesen genannt, die Amphibien, der Affe (alsdegenerierte menschl. Form)

Wesentlich in der Theorie Vischers ist die Form in Verhältnis zur Idee, darauf fußt seine Theorieder Komik. Der eingangs erwähnte Dreiklang der Negationen baut sich folgendermaßen auf:»Das Komische ist Negation einer Negation. Die erste Negation ist das Erhabene, und ebendiese wird im Komischen negiert.[…] Im Erhabenen sagte die Idee zum Bilde: ich bin in dir dasGeltende, nicht du. Im Komischen sagt das Bild zur Idee: du brauchst mich, du bist nichts außermir, ich bin du.«2 Damit liegt klar, daß Erhabenheit und Komik eng beieinander liegen. Was aberist nun Erhaben; alles tragische, alles pathetische und letzten Endes alles Böses istdementsprechend erhaben. Nach der einfachen Gleichung von Vischer sind diese Werte auchbeliebig ins Komische umkehrbar. Als Beispiel: Ein Berg gilt als Erhaben, da er die Dimensiondes menschlichen übersteigt. Ist er ein ausbrechender Vulkan, der eine Stadt vernichtet wird erzum Furchtbaren; in seiner Funktionsnegation, wenn man ihn mit einem Korken verschließt,wird dieser komisch. Gleiches gilt für Gegenstände, die sich künstlich in den Zustand derErhabenheit erheben wollen, z.B. Frösche die sich aufblasen, Hochstapler etc. »[…] unter den

1 Brandlmeier, Filmkomiker, S. 322 Vischer, S. 374

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Gesichtspunkt des Erhabenen fällt: erhaben ist jetzt alles, was irgendeine, wenn auch an sichunmerkliche Erwartung und Spannung erregt.«3 Damit erhalten wir ein weiteres Merkmal vonKomik, durch den Verlauf einer Handlung spitzt sich eine Erwartungshaltung zu, die nichteingehalten wird; eine umständliche und festgeschnürte Verpackung suggeriert - der Inhaltmüsse äußerst wichtig sein, wenn sich der Inhalt als ein schnöder Teller herausstellt, wirkt diegesamte Szene komisch. Insofern definiert sich die erwartete Statur des Menschen alserhaben, (da aufrecht und damit dem Tierreich überlegen). Ist diese deformiert, oder in ihrererwarteten Bewegungsabfolge gestört, entsteht sofort ein Regreß der menschlichen Seinsformund wird dadurch komisch.

Tiere können ebenso komische Wirkung haben, wenn auf ihr Wesen menschliche Seinsformenprojiziert werden können. So wird das Pferd in Keystones Polospieler zum menschl. Spieler unddadurch wirkt das Pferd komisch. »Der wahre Stoff des Komischen eröffnet sich jedochallerdings erst mit dem Erhabenen des Subjekts. Hier tritt überall die zum komischennotwendige Einstellung ein, wo das Selbstbewußte durch das Unbewußte, wovon es umgebenund womit es selbst behaftet ist, in der Strenge des Zusammenhangs seiner Tätigkeitenunterbrochen wird.«4 Wichtig dabei ist die Unterstreichung auf Subjekt. Wenn ein Figur mit einerihr nicht bekannten Umgebung konfrontiert wird, ergeben sich notwendigerweise komischeEffekte, und zwar für alle jene Zuschauer, die um die verletzten Regeln wissen; die Figur ist imHinblick der Regeln naiv und kann deshalb die Komik nicht erkennen. Gleiches gilt wenn derdenkende Geist naiv auf die umgebende Welt reagiert und sie in einer Art und Weise auffaßt,die sie nicht ist, z.B. Don Quijote, der sich als Ritter sehend, die Windräder als Monsterbehandelt. Oder eine ältere Dame betrachtet ihren Hund als ihr Kind und behandelt diesen wieman normalerweise ein Kind behandelt.

Die zweite Schrift ist von Henri Bergson (1859-1941) „das Lachen“. Es handelt sich hierbei umeinen kurzen Essay über die Entstehung von komischen Momenten. Zentral bei Bergson istdabei der Begriff des „Mechanischen“ im Gegensatz zur Anmut alles Lebendigen, derGegensatz wird unter Komik durch Mechanik noch genauer beschrieben. Mit seiner Analysedes mechanischen hat Bergson einen zentralen Nerv der filmischen Komödie genau getroffen,ist doch Film die mechanischtes, weil am meisten von technischen Apparaturen abhängigste,aller Darstellenden Künste.

Erläutern wir zunächst die wichtigsten Begriffe:

• Burleske: [ital. Burla= Posse, Spaß] von derber Komik, derbkomisches Improvisationsstück

• Gag: [engl. Knebel, übertr. Sinne -> Eingeschobenes] durch technische Tricksherbeigeführte komische Situation, witziger Einfall.5

Hierbei handelt es sich um ein Element , ein Teil eines Ganzen

• Komik: Worte, Gesten, ein Situation, eine Handlung von einer erheiternden, Lachenerregenden Wirkung.6

• Komödie: [griech. komoidia = Gesang bei einem frohen Gelage] dramatische Gattung, in dermenschliche Schwächen dargestellt u. Konflikte heiter überlegen gelöst werden.7

Stellt das Ganze dar, dessen Elemente Gags, oder Handlungsläufe mit komischer Struktursein können.

• Slapstick [engl. Pritsche slap= Schlag u. stick= Stock] burleske Einlage, grotesk-komischerGag, wobei meist die Tücke des Objekts als Mittel eingesetzt werden.

3 Vischer, S. 3774 Vischer, § 159, S. 3835 Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 19836 Duden7 Duden

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Komik durch Zufall

Das Komische entwickelt sich immer in einen Rahmen von Abhängigkeiten, das komischeSubjekt ist niemals in seiner Entscheidung frei, wäre es das, würde das Subjekt zur Freiheiterheben und wäre somit erhaben, also nicht komisch. Wenn Chaplin in moderne Zeiten denSchraubenschlüssel hinwerfen würde und gehen würde, wäre dies ein Akt der Entscheidung,und damit nicht komisch. Er erliegt dem Delirium. Das komische determiniert sein Subjekt unteranderem mittels des Zufalls, der im Gegensatz zum Erhabenen nicht in das Bild integriertwerden kann. Der Zufall steht in Opposition mit dem Handelnden Subjekt. Ein Stein, der einemHelden ab Kopf fällt, würde die Heldenhaftigkeit des Betreffenden sofort in Frage stellen, es istkomisch. Ein ins Bild zu integrierender Zufall des Erhabenen ist beispielsweise der Speerstichin die einzig verwundbare Stelle Siegfrieds, die Schulter.

Damit zusammen hängt Pathos und falsches Pathos, »wie leicht das Erhabene derLeidenschaft dem Komischen verfällt, geht daraus hervor, daß bei dieser Form von demsittlichen Gehalte noch abgesehen wird. Es darf nur etwas eintreten, was ihre Furchtbarkeitnimmt und zugleich ein Mißverhältnis zwischen Gewalt der Erregung und ihrem Gegenstandeaufdeckt, so ist die komische Brechung vorhanden.«8 So ist Zorn keineswegs lustig, vor allemwenn sein Zustandekommen erklärt wird, Jähzorn aber, aus heitrem Himmel ist komisch.Gleiches gilt für ein leidenschaftliches Liebesspiel, das durch eine Mücke sein jähes Endefindet.

Komik durch Mechanisierung

Ebenso wie Bergson betont auch Vischer die Entstehung des komischen Effekts durch dieMechanisierung der Bewegung: »Das Komische ist hier das Eindringen eines mechanischen,da ein solcher Mensch einem Werkzeuge gleicht, das immer wieder gewaschen und immerwieder beschmutzt wird, die mathematische Gewißheit, die Konsequenz der Inkonsequenz.«9

Bergson leitet den Grund für komische Wirkung vollkommen aus der Mechanisierung desHandelns ab: »Komisch sind die Haltungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichenKörpers genau in dem Maß, wie uns dieser Körper an einen gewöhnlichen Mechanismuserinnert.«10 Analog zu Vischer geht er von der Schwerelosigkeit der Seele aus, welche in derStofflichkeit des Körpers eingesperrt ist. Die Seele nun ist per se anmutig – da schwerelos - derKörper aber unterliegt im Gegensatz dazu der Schwerkraft und funktioniert nach mechanischenGesetzen. Je mehr man den Mensch sein mechanisches Unterworfensein ansieht, desto weiterentfernt er sich von der Anmut und wendet sich dem komischen zu.

Vischer beschrieb die Bergsonsche Anmut mit Schönheit, das bei ihm die Erscheinung derEinheit von Idee und Form ist. »Diesem Gesetze entsprechend erzeugt sich im Schein daß einEinzelnes, in der Begrenzung von Zeit und Raum Daseinendes seinem Begriffe schlechthinentspreche, daß also in ihm zunächst eine bestimmte Idee und dadurch mittelbar die absoluteIdee vollkommen verwirklicht sei.«11 Bergson erkennt die Verletzung der Anmut durch dasMechanisch direkt als Komisches, wohingegen Vischer den Zwischenschritt des Erhabeneneinführt. Bergson schickt seien Theorie zwei wesentliche Punkte voraus:

• Es gibt keine Komik außerhalb dessen, was wahrhaft menschlich ist. Landschaften, TierePflanzen an sich können nicht komisch sein, es sei denn über sie wird eine menschlicheFolie gelegt, sie werden anthropologisch gesehen, z.B. das Pferd ersetzt einenmenschlichen Mitspieler.

8 Vischer, § 162, S. 392f.9 Vischer, S. 42310 Bergson, S. 2611 Vischer, § 13, S.51

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• Das Lachen ist mit einer gewissen Empfindungslosigkeit verbunden. Das Lachen hat keinengrößeren Feind als die Emotion. Komik und Humor distanzieren den Lachenden immer vondem Verlachten, eine gefühlvolle Beziehung etwa Mitleiden oder mitfiebern zerstört denkomischen Effekt. Dieser Punkt problematisiert die komischen Melodramen der zwanzigerJahre.

Vischer benötigt eine derartige Prämisse nicht, da er den komischen Effekt als Negation desErhabenen definiert. Das Erhabene fängt uns kraft seiner Größe und Fürchterlichkeit vollständigin ihren Bann. Die Komik nun untergräbt das Erhabene genau in dem Punkt, so daß wir unsvom furchtbaren distanzieren können. Dies ist auch der Grund warum das abgrundtiefe Bösekomisch sein kann: »Aber auch die vollendete Bosheit verfällt dem komischen, wenn eine Reiheder Zerstörung, die ihr allerdings gelingen, abgesehen und die sittliche Weltordnung ins Augegefaßt wird, welche, selbst unzerstörbar, die Absicht der allgemeinen Zerstörung gegen denVerbrecher umkehrt, in welchem selbst sie zum voraus als unverlierbares Bewußtseingegenwärtig ist.«12 Das heißt, das Böse darf eine gewisse Zeitlang wüten, muß aber letztenEndes gegen die verbindliche Weltordnung verlieren, ansonsten bleibt das Böse Erhaben.Beispiele dafür sind die Reihe von Filmbösewichten, seien es nun in Bond- Filmen, inBatmanfilmen u.a.m. In unserem Fall sprengt einer der Rennfahrer die Böschung, um dieStraße zu blockieren. Normalerweise würde ein derartiger Akt eine Katastrophe auslösen undalles andere als komisch sein. Aber Sennett scheint Vischers Theorie gekannt haben: die Autosspringen in einem komischen Effekt über die Hindernisse drüber, nichts passiert. Gleiches giltfür jene Szene, in der einige Rennfahrer Hinweisschilder umdrehen, die auf eineStraßensprengung hinweisen. Ein Auto folgt prompt der neuen Beschilderung, gerät mitten insSprenggebiet. Staub wird aufgewirbelt, die Einzelteile fliegen durch die Luft, aber das Auto fährtweiter; es ist nichts passiert. Würden Köpfe und Hände auch noch durch die Luft segeln, sähedie Sache anders aus. Der komische Effekt würde sich in einen tragischen und damit nachVischer zum - Erhabenen wandeln. Doch auch dies läßt sich wiederum ins Komische kippen zulassen, es muß nur gelingen die tragische Schärfe zu brechen, wenn sich beispielsweise dieleblosen Körper wieder die Köpfe aufsetzen.

Komik durch Wiederholung

Bergson fokussiert unsere Aufmerksamkeit auf die Wiederholung als ein komisches Mittel: »Woeine Wiederholung stattfindet, wo es eine vollständige Gleichheit gibt, da vermuten wir immereinen hinter dem Lebendigen tätigen Mechanismus. […] Hier ist Leben in die Richtung desMechanischen umgebogen worden, und das ist der wahre Grund Ihres Gelächters.«13 Zweierleiist darunter gemeint, erstens die Vervielfachung des komischen Objektes, in unseren Fall dieMehrzahl der teilnehmenden Autos; ein Wagen allein könnte nicht diesen Grad des Gelächtershervorrufen, wie diese Vielzahl. Zweitens die dramaturgische Wiederholung bereits bekannterSzenen in kleinen Variationen. In unseren Straßenrennen braust einer der Rennfahrer miteinem Fahrrad einen Autoreifen nach, den sein Wagen verloren hat, bei dieser Gelegenheitüberholt er alle anderen Autos (-> dieser komische Effekt wird später besprochen). Eineanaloge Szene dazu findet sich später, ein Auto eines der Fahrer hat sich selbständig gemachtund kurvt führerlos von dannen. Der Fahrer merkt dies und sprintet in einem seltsam,mechanischen Hüpfstil (-> vergl. Bergson komischer Effekt durch Mechanisierung derBewegung) seinem Auto nach. Wiederum überholt er die neben ihn fahrenden Autos. DieWiederholung unterstreicht den komischen Effekt. Sennetts Truppe scheint den komischenEffekt durch Wiederholung zu lieben, er zieht sich wie ein roter Faden durch den Film durch:sofort zu Beginn des Rennens schleppt eines der Wagen eine Hochtribüne mit zwei Männernmit (E10-E19) .Analog dazu durchschlägt ein anderer Wagen eine Bretterwand einen Hausesund schleift ein Bett mit einem Mann beladen mit sich mit. (E30-E35) Dieser Mann stürzt 12 Vischer, § 163, S. 39513 Bergson, S. 30

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purzelbaumschlagend (-> Mechanisierung) über einen Abhang hinunter und landet mit großenPlatsch im Wasser (E37-E38). Ein schwarzer Beifahrer bildet gleichsam das Echo zu dieserSzene (E94-E95), ebenso grotesk purzelt dieser den Abhang hinab.

Komik durch Inversion

Die agierenden Elemente der komischen Handlung tauschen ihre Rollen. »Stellen Sie sichbestimmte Personen in einer bestimmten Situation vor; dann kehren Sie diese Situation um undvertauschen die Rollen: das Ergebnis ist eine komische Szene. […] Wir lachen über denAngeklagten, der seinem Richter eine Moralpredigt hält.«14 Nun die Personen können unterUmständen auch technische Geräte sein, die plötzlich eigendynamisches Leben entwickeln. Inunserem Film muß ein Pilot einem verlorenen Reifen nachradeln (E58-E62); ein anderer mußseinem autonomen Auto nachhechten (E109-E110). Die dominierende Haltung des Menschenüber die Technik, in diesem Fall über das Auto ist einfach umgedreht worden, das Autodominiert über den Menschen; der komische Effekt bleibt nicht aus.

Humoristische Filme perpetuieren dies Element der Komik bis zum Exzeß durch, Rollentauschzwischen Männer und Frauen (Manche mögen’s heiß; Billy Wilder) kann dabei schon alsklassisch gelten. Wir kennen auch die Vertauschung von Eltern- und Kinderrollen, Mensch undTierrollen und vieles andere mehr. Dabei ist das Grundelement dieser Komik immer dieselbe,Wechsel der Sichtperspektiven.

Komik durch Kontrast

Die Abteilung kann man wohl mit Fug und Recht als die filmischte Methode der Komikbezeichnen. Der Schnitt erlaubt Aneinanderreihung von verschiedenster Begebenheiten in einerRasanz und Eindringlichkeit, wie es in keiner anderen Kunstform möglich ist. Die Möglichkeiten,die der Schnitt bieten könnte, wurden aber schon vor der Erfindung des Films erforscht. Vischeräußerst sich zur Schaffung des Kontrastes: »Die beiden Glieder bilden einen Gegensatz, unddieser heißt, wenn dieselbe ästhetische Beleuchtung zwei gegensätzlich gespannteErscheinungen zugleich trifft, Kontrast. […] Sie müssen vielmehr plötzlich aufeinanderstoßen,und dieser Zusammenstoß erscheint als das Aufblitzen einer Helle, wodurch das Dunkel desErhabenen zu seinem Nachteile deutlich wird, indem ein geschärftes Auge seine Schwächen,das heißt die Unlösbarkeit der Idee von der Grenze, erkennt.«15 Zwei Dinge unterstreichtVischer, der Schnitt muß zwei konträre Dinge, die sich widersprechen zusammenbringen, jewidersinniger die beiden Opposita16 sind, desto komischer ist der Effekt. Der Widerspruch kannextrinsischer oder intrinischer Natur sein; extrinsisch meint die sich kontrastierenden Elementeentstammen der äußeren, der Umwelt, intrinisch meint, der Kontrast offenbart sich innerhalbeiner handelnden Figur. Das Straßenrennen wartet mit einem Kontrast extrinisscher Natur auf.Ein Wagen biegt um eine Kurve. Arbeiter tragen einen Baumstamm über die Straße, der Wagenknallt dagegen, viel Staub verhindert die Sicht auf das Geschehen; endlich legt sich der Nebelwieder, die Arbeiter torkeln noch ganz benommen vom Zusammenprall herum, jeder trägt abereinen Armvoll kleingehacktes Holz mit sich herum (E98-E99). ->Überrachsungseffekt. DasGanze hat das von Vischer geforderte Tempo. Man kann sich sehr wohl auch eine intrinischeLösung vorstellen. Dies ist eher Domäne der aufkommenden Charakterkomödien. Als Beispielsei hier Buster Keaton „Sherlock Jr.“ genannt, Buster spielt einen Filmvorführer, der selbstgerne einmal ein Detektiv sein möchte, also steigt er in den Film ein, den er gerade vorführt.Der laufende Film bildet gleichsam die visuelle Übersetzung des inneren Prozesses, demBuster unterworfen ist. Der Kontrast entsteht durch die figurale 1:1 Übersetzung des Wunschesin die Wirklichkeit.

14 Bergson, S. 6715 Vischer, § 173, S. 409f.16 vergl. Lessing, Laokoon, §23

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Es stellt sich nun die Frage, ob die zwei sich kontrastierenden Elemente zwingend in einemdramaturgischen Ablauf stehen müssen, oder ob beliebigen Elemente zusammen montiertwerden können. Die Komik findet in diesem Fall ihren Widerpart in der Verstörung, auf welchedie Zuseher mit Frustration reagieren. Finden zwei Szenen sich in einer Montage die überhauptnichts gemeinsam haben, außer ihrer zeitlich aufeinanderfolgende Reihung, wird der komischeEffekt notgedrungen ausbleiben und sich Frustration einstellen. D.h. Opposita meint dennochdie beiden dich kontrastierenden Elemente sollten doch miteinander in Bezug setzbar sein.

Jünger meint im Grunde ebenfalls die Untergrabung des Erhabenen durch einen unzulässigenTiefgriff, wenn er schreibt: »Der Unterlegene muß nicht nur den Streit beginnen, seineProvokation muß außerdem unangemessen sein. Sie muß einen Widerspruch in sichbegreifen. Dieser Widerspruch ist es, der den Streit zu einen nicht ernsthaften macht und soforterkennen läßt, daß er nicht ernsthaft gemeint ist, selbst wenn er subjektiv vorgebracht ist.«17 InWorten Vischers gesprochen meint dies, das Erhabene repräsentiert durch ein überlegenesSubjekt wird negiert durch ein unterlegenes Subjekt. Jetzt kann man einwerfen, gut aber das istdoch genau das Motiv des Kampfes David gegen Goliath und der ist alles nur nicht lustig. Dasstimmt, deswegen fügt Jünger hinzu, die Provokation muß unangemessen sein – dasschwächere Subjekt sollte gar keinen Grund haben. So wie kleine Kinder plötzlich auf ihreältere Schwester eindreschen beginnen, völlig grundlos, das ist dann komisch. Jünger betontweiters, was uns noch genauer interessieren wird, die Distanzierung als Voraussetzung derKomik.

Komik durch Distanzierung

Beide Denker, Bersons und Vischer betonen die Wichtigkeit der Distanzierung des Zuschauersam Bühnen- bzw. Filmgeschehen. (vergl. dazu Bergson Prämisse 2 und Vischer doppelteNegation der Komik) Bekanntlich wirkt auf der formalen Filmebene die Nahaufnahme vonGesichtern sowie eine entsprechend lange Präsenz derselben auf der Leinwand eine großeRolle bei der Bildung von Identifikationsfiguren und damit verbunden: emotionale Einbindungder Zuschauer in das Bühnengeschehen. »Das Lachen hat keinen größeren Feind als dieEmotion.«18 Unser vorliegender Film, „Das Straßenrennen“ (verm. 1913) gibt diesbezüglichkeine Schwierigkeiten auf, die handelnden Personen bleiben vollkommen anonym, nicht einmaldie Gesichter werden uns in weiterer Folge vorgestellt. Der Film ist fast ausnahmslos, wie dasSzenenprotokoll von Markus Scharf eindringlich zeigt, in Totalen und Halbtotalenaufgenommen, verhindert diesbezüglich ebenfalls eine emotionale Bindung mit den Akteuren.Dies deshalb, da sie nicht als autonom handelnde menschliche Individuen agieren, sondern vieleher wie geschäftig wieselnde Ameisen, was wiederum deutlich das mechanische Elementihres Agens darlegt. Nur der Schluß zeigt uns zwei Figuren deutlich, einen der Rennfahrer unddessen Verlobte, die ihm mit einem Kuß freudig empfängt; aufgenommen in Halbnah, dieGesichter sind deutlich zu erkennen. Wir vermuten in dieser Einstellung einen verstecktenkomischen Effekt, Bergson schält ihn heraus: Maskerade und Schadenfreude. Beide Gesichtersind mit Öl verschmiert, das des Rennfahrers auf Grund der Fahrt, das des Mädchens, weil sieden verschmierten geküßt hatte.

In die gleiche Kerbe schlägt der Schweizer Dramatiker Dürrenmatt: »Das Komische muß unsnicht wie das Tragische, um auf uns zu wirken, das Komische wirkt auf uns, weil wir von ihmAbstand nehmen, unser Gelächter ist die Kraft, die den komischen Gegenstand von unswegtreibt.«19 Das aparte Verhalten zwischen Identifikation und Komik wird uns mit derHerausbildung der Charakterkomödie durch Chaplin, Keaton, Langdon und Lloyd nochKopfzerbrechen bereiten. Das Problem in Kürze zusammengefaßt ist: einerseits brauchen

17 Jünger, G.F., Über das Komische S.1518 Bergson, S. 1219 Dürrenmatt. Dramaturgisches und Kritisches, S. 170/171

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längere Filme Identifikationsfiguren, die eine Geschichte erleben und das Publikum mit ihrenAbenteuern mitreisen, auf der anderen Seite droht aber genau dadurch die Komödie in dasunlustige „Mitleiden“ zu kippen.

Bibliographie• Bergson, Henry; Das Lachen – Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Arche Verlag: Zürich

1972• Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Dudenverlag: Mannheim 1983• Giesen, Rolf, Lachbomben – die großen Filmkomiker. Wilhelm Heyne Verlag: München 1991• Roloff und Seeßlen, Klassiker der Filmkomik. B. Roloff Verlag: München 1976• Sennett, Mack; King of Comedy. Peter Davis LTD: London 1955• Toeplitz, Jerzy; Filmgeschichte 1896-1928. Henschelverlag: München• Vischer, Friedrich, Theodor; die Metaphysik des Schönen. Meyer und Jessen Verlag: München 1929