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26 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 27 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE Banales Schild mit grossem Namen Francine Höner-van Gogh öffnet die Haustür ihrer Blockwohnung in Spreitenbach AG. Malt sie so genial wie er? Ist sie so irr wie er? Und hat sie etwa all die Auktions-Millionen geerbt? Vincent van Goghs Urgrossnichte FRANCINE HÖNER-VAN GOGH lebt in der Schweiz. Und lästert über ihren berühmten Verwandten. Van Gogh aus Spreitenbach PORTRÄT

Van Gogh aus Spreitenbach - von Marcel Huwyler · verwandt zu sein» van GoGHs urGrossnicHte ... Francines Vater, Schauspieler von Beruf, arbeitete als Requisiteur an der ... Vincent

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Banales Schild mit grossem Namen Francine Höner-van Gogh öffnet die Haustür ihrer Blockwohnung in Spreitenbach AG.

Malt sie so genial wie er? Ist sie so irr wie er? Und hat sie etwa all die Auktions-Millionen geerbt? Vincent van Goghs Urgrossnichte Francine Höner-van GoGH lebt in der Schweiz. Und lästert über ihren berühmten Verwandten.

Van Gogh aus Spreitenbach

Porträt

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Text marcel Huwyler Fotos kurt reicHenbacH

Man geht fast in die Knie: ein echter van Gogh! Ehrfürchtig bestaunt man das Porträt ei­

ner Frau. Und – das meint die Besitzerin doch nicht ernst? – sogar anfassen dür­fe man das Bild, sagt sie und erlaubt einem, die Farbnarben zu befühlen. Ein­fach so. Himmel, ein echter van Gogh!

Doch dann kommen Zweifel: Der sonst so kraftvolle Pinselstrich des Meisters ist bei diesem Werk zahm und flächig, dafür der Bildausschnitt frecher als bei jedem anderen seiner Porträts. Und trotzdem – in der linken unteren Ecke beweists die Signatur: «Van Gogh» prangt da in hingepinseltem Weiss! Daneben die Jahrzahl «80». 80? 1880? In dem Jahr fing der Meister doch erst mit Malen an? Ein Frühwerk, derart reif?

Die Besitzerin geniesst die Ver­wirrung. «1980 ist gemeint», erklärt sie

«Ja glauben Sie, es sei an-genehm, mit einem Kranken verwandt zu sein»van GoGHs urGrossnicHte

32 Pinsel heisst dieses Bild von Francine Höner. Früher kopierte sie Vincents Werke – für 3000 Franken.

schliesslich in einer charmant kehligen Mischung aus Schweizerdeutsch und Holländisch, ein Selbstporträt sei das: «Die Frau auf dem Bild bin ich!» Und man beachte doch bitte – die Dame deutet mit ihren pinsellangen, altersge­fleckten Fingern auf das Gemälde – die Form der Nase, der Backenknochen, überhaupt dieses spitze Gesicht! «Na, sehen Sie es auch? Gell, ich ähnle ihm!»

Ihm – Vincent van Gogh, Maler, Ge­nie, Wahnsinniger. Vincents Urgrossva­ter hatte einen Bruder. «Dieser Bruder war mein Urgrossvater», erklärt die Dame mit dem silbern schimmernden Haar. Francine Höner, im Dezember wird sie 86, wohnt in einem Hochhaus mit 111 Wohnungen in Spreitenbach AG und ist eine echte geborene van Gogh!

«vincent van Gogh hat schlecht gezeichnet, wie ein Sonntagsmaler!», spottet Francine. «Und seine Gemälde – na ja – einige sind interessant, andere ganz lustig!» Wie bitte: interessant, ganz

lustig? «Sie glauben mir nicht?» Jetzt ist die Holländerin aber gereizt! Sie angelt einen Van­Gogh­Bildband aus dem Re­gal, blättert, sucht und stochert mit dem Zeigefinger derart energisch auf den Fo­tos herum, wie Urgrossonkel Vincent es mit dem Pinsel beim Malen seiner «Land­schaft mit Olivenbäumen» tat. «Da, wie er die Vase gemalt hat – eine Katastro­phe.» Auch das «chliine blöde Öhrli» hier, sei viel zu nahe an die Nase gesetzt. «Oder das Auge dort und erst dieser Mund – falsch, falsch, ganz falsch!»

wie sie so dasitzt, erregt, fiebrig der Blick, das Kinn energisch hervor­gestreckt – plötzlich glaubt man erahnen zu können, wie er war, dieser Vincent van Gogh, der zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Zorn, Euphorie und abgrundtiefer Traurigkeit balancierte. «Ja glauben Sie, es sei angenehm, mit einem Kranken verwandt zu sein?»

Besitzergreifend sei Vincent gewe­sen, weiss Francine, schizophren, chole­

risch, heissblütig und sehr einsam. «Und dass er sich mit 37 Jahren umbrachte, macht die Sache auch nicht besser.»

Das selbstmörderische liege übrigens in der Familie, sagt Francine Höner­van Gogh und erzählt von einem ih­rer Brüder, der sich das Leben nahm, vom Suizid des Onkels, von ihrer Schwester, die einen Selbstmordversuch hinter sich hat, und sogar ihr Ehemann, Arthur Höner, liess sich vom van­goghschen Fluch anstecken! «Vor sieben Jahren brachte sich mein Mann um.» Warf sich vor einen Zug. Bei Zürich. «Nach 35 Jahren Ehe.»

Seit diesem Tag kann Francine nicht mehr malen. Wie blockiert seien Geist und Herz, «es geht einfach nicht mehr». Die vorher so energische Frau wirkt jetzt zerbrechlich und sehr müde. Das Malen fehle ihr, sagt sie, erzählt dann, wie sie früher Porträts malte und ihre Bilder ausstellte. Gemalt habe sie schon immer. Schon als Mädchen. Damals, in den 20er­Jahren in Amsterdam.

Hochhäuser statt Sonnenblumenfelder Francine im Atelier. Seit dem Tod ihres Mannes malt sie nicht mehr.

Nase und Backenknochen wie Vincent Francine mit ihrem 1980 gemalten Selbstporträt.

Porträt

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Porträt Porträt

Francines Vater, Schauspieler von Beruf, arbeitete als Requisiteur an der Kunstakademie Amsterdam. Dort «lieh» er sich Farbe und Papier aus und brach­te es seinen acht Kindern mit nach Hau­se. «Acht Kinder waren wir», betont Francine, «ein Bruder war Künstler, der hat sich umgebracht, genauso wie mein Onkel, der …», sie fasst sich an den Kopf, «ach, das habe ich ja schon erzählt.»

1946, gleich nach dem krieg, arbeitete Francine in Amsterdam als Ma­niküre für Männer. Dort feilte sie einem Schweizer («er hatte ein Bäuchlein und stammte aus Horgen») die Fingernägel. Er meinte, es sei Liebe, sie nennt es heu­te «Techtelmechtel» und, etwas weniger charmant, «Sprungbrett in die Schweiz». Kaum in Zürich angekommen, trennte sie sich vom «Bäuchlein»­Freund und lernte Arthur Höner kennen. Und lieben.

stammbaum Der van GoGHs

Adrianus van Gogh Geboren 1803

Buchhalter und Stuhlmacher

Adrianus Johannes Jacobus van Gogh

Geboren 1853, Advokat

Albert van Gogh Geboren 1885Schauspieler

Francine van Gogh Geboren 1923

Künstlerin

Vincent van Gogh Geboren 1789

Pfarrer

Theodorus van Gogh Geboren 1822

Pfarrer

Vincent Willem van Gogh Geb. 1853, gest. 1890

Kunstmaler

Francine aus dem Aargau. Ihr Urgrossvater und Vincents Urgrossvater waren Brüder.

Vincent Der Holländer gilt als «erfolgreichster Versager der Kunstwelt».

«Die Liebe meines Lebens», sagt Fran­cine und schweigt dann minutenlang.

Frau Höner-van Gogh wäre viel lieber eine Höner-rembrandt oder noch besser: eine Höner­Picasso. «Picas­so, jaaa, das war ein Maler, ein Genie, ein richtiger Mann!» Und reich war er. Von den Millionen, die Vincents Bilder heute erzielen, hat Francine nie auch nur einen Batzen gesehen. «Mir schnurzegal», sagt sie und lacht übertrieben laut; ihre Be­trübtheit von vorhin ist wie weggeblasen. Sie wird gar übermütig. Jeder van Gogh habe einen Vogel – irgendwie. Sie kichert und öffnet die Schlafzimmertür. Da flat­tern zwei Wellensittiche vogelfrei im Raum herum. Einer orangefarben, der andere gelb – wie Vincents «Sonnenblu­men». Dazu hallt Opernmusik durchs Zim­mer, Radio DRS 2, den ganzen Tag. «Wir drei lieben Klassik», sagt Francine.

Die grosse Van­Gogh­Ausstellung in Basel mag sie nicht besuchen. Nein, nein, sooo schlecht seien Vincents Ge­mälde nun doch wieder nicht, beschwich­tigt Francine und versucht ihre «Sonn­tagsmaler»­Verurteilung von vorhin zu relativieren. Doch, doch, Vincent sei na­türlich ein Superstar, «sein skandalöses Leben und Sterben haben ihn erst rich­tig berühmt gemacht». Aber nach Basel, nein, dorthin will Francine nicht. «We­gen der Bilderrahmen! Diese kitschigen, verschnörkelten, prunkvollen und pom­pösen Rahmen, die seine Werke umran­ken sind furchtbar.» Vincent rahmte sei­ne Bilder mit schlichten Holzleisten. «Das da in Basel hätte ihn angewidert!»

sie schüttelt sich theatralisch, so fest, dass sich ihr Haarknoten löst. Langes silbernes Haar wallt ihr über Kopf und Schultern – und erinnert an die Schleierwolken auf Vincents «Kornfeld mit Zypressen». Francine schüttelt sich wieder und wieder, lacht und lacht. Schliesslich packt sie ihr Haar, bändigt es zu einem Knoten. Und fixiert es – eine echte geborene van Gogh hat eben im­mer nur Malen im Kopf – mit einem Farbstift.

«Die Van-Gogh-Ausstellung in Basel ist furchtbar – wegen der kitschigen Bilderrahmen»Francine Höner-van GoGH

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