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192 Fortschritte der Kieferorthopgdie Bd. 25 I-I. 2 (1964) Aus der Universit/itsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, XVIund- und Kieferkrankheiten (Direktor: Prof. Dr. Dr. K. Sehuchardt), Kamburg Variabilitiit der Kinnform bei anatomisch korrektem GebiB ~) :Yon Erich Hausser, Hamburg Mit 9 Abbildungen in 14 Einzeldarstellungen Die Form yon Stirn, Nase, Lippen und Kinn bestimmen die Charakteristik des Gesiehtes und in besonderem MaBe den Verlauf des Proffls, das yon der Art der Ausprggung dieser prominenten Teile des Gesichtes in vieler Hinsicht beein- fluBt wird. Ein hannonischer Pro~lverlauf ist jedoch nicht nur yon einer gfinstigen Relation der einzehlen Gesichtsbausteine untereinander abh/~ngig, sondern hat auch ein ausgewogenes Verh/~ltnis yon Mittelgesicht und Untergesicht zur Vor- aussetzung, wobei dem Kinn und seiner Ausprggung eine besonders groBe Bedeu- tung zukommt. Wenn aueh die Vorstellungen fiber das Sch6nheitsideal, unab- h/ingig yon den dutch Alter, Geschlecht und Rasse bedingten Verschiedenheiten, im Laufe der Zeiten einen beaehtlichen Wandel erfahren haben und eine /istheti- sehe Beurteilung des Gesichts nie ganz frei yon subjektiven EmpFmdungen sein diirf*e, so wurde doeh die Bildung des Kinns stets als ein besonderes Charakteristi- kum for das Gesicht des Mensehen angesehen, denn die Form des Unterkiefers vermag den gsthetisehen Einch'uck des Gesichtes und des Proffls in bestimmter Weise zu beeinflussen. Dieser EinfluB des Kinnbereiehs auf die .:~sthetik des Ge- siehtes besteht in gleieher Weise beim geraden Vorgesieht oder Rfiekgesieht, und auch bei einem Winkelpro~l wird der/isthetische Eindruck des Profilverlaufs durch die Form des Kinnbereiehs beeinfluBt. Das Kinn ist der mehr oder weniger welt vorspringende, vordere Teil des Unterkiefers, der in Form einer unterschiedlich stark ausgepr/~gten Rundung am Untergesieht den ~bergang yon der Unterlippe fiber die Supramentalfalte in den oberen Teil des Ha.lses bildet. Dieser ~'bergang yon der vertikalen in die horizontale Richtung am Untergesicht ist allerdings nhr beim Mensehen mit der Bildtmg eines Kinns dureh einen mehr oder weniger ausgepr/igten, vorspringenden kn6ehernen Anteil des Unterkieferk6rpers verbunden. Zur Klgrung der Besonderheiten der Kinnbildung darf der vordere Tell des Unterkiefers jedoch nieht ffir sich allein betrachtet werden, sondern ist eine Unter- suchung im Zusammenhang mit der Form des ganzen Unterkiefers und seiner Weichteilbedeekung erforderlieh, da GebiB, Muskeln, Haut, Sehnen, B&nder, Ge- f~iBe und Nerven dureh ihre Funktion die Form und den Aufbau des Unterkiefers in mannigfaeher Weise beeinfiussen k6nnen. Die Form des Unterkiefers zeigt in der morphogenetischen Ordnung, ausgehend yon der einfaehsten GebiB- und Kieferbildung beim Haifiseh, einem der pri- mitivsten Knorpelfisehe, eine weitgehende, gesetzm/iBige Abhgngigkeit yon der Stellung des Gebisses zur Unterkieferbasis, indem mit einer Ver/inderung der 1) Referat, gehalten auf der Wissenschaftlicheu Jahrestagung der,,Deutschen Gesellschaft ftir Kieferorthop~idie" yore 21. bis 24.5. 1964 in Salzburg.

Variabilität der Kinnform bei anatomisch korrektem Gebiß

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192 Fortschritte der Kieferorthopgdie Bd. 25 I-I. 2 (1964)

Aus der Universit/itsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, XVIund- und Kieferkrankheiten (Direktor: Prof. Dr. Dr. K. Sehuchardt), Kamburg

Variabilitiit der Kinnform bei anatomisch korrektem GebiB ~)

:Yon Erich Hausser, Hamburg

Mit 9 Abbildungen in 14 Einzeldarstellungen

Die Form yon Stirn, Nase, Lippen und Kinn bestimmen die Charakteristik des Gesiehtes und in besonderem MaBe den Verlauf des Proffls, das yon der Art der Ausprggung dieser prominenten Teile des Gesichtes in vieler Hinsicht beein- fluBt wird. Ein hannonischer Pro~lverlauf ist jedoch nicht nur yon einer gfinstigen Relation der einzehlen Gesichtsbausteine untereinander abh/~ngig, sondern hat auch ein ausgewogenes Verh/~ltnis yon Mittelgesicht und Untergesicht zur Vor- aussetzung, wobei dem Kinn und seiner Ausprggung eine besonders groBe Bedeu- tung zukommt. Wenn aueh die Vorstellungen fiber das Sch6nheitsideal, unab- h/ingig yon den dutch Alter, Geschlecht und Rasse bedingten Verschiedenheiten, im Laufe der Zeiten einen beaehtlichen Wandel erfahren haben und eine /istheti- sehe Beurteilung des Gesichts nie ganz frei yon subjektiven EmpFmdungen sein diirf*e, so wurde doeh die Bildung des Kinns stets als ein besonderes Charakteristi- kum for das Gesicht des Mensehen angesehen, denn die Form des Unterkiefers vermag den gsthetisehen Einch'uck des Gesichtes und des Proffls in bestimmter Weise zu beeinflussen. Dieser EinfluB des Kinnbereiehs auf die .:~sthetik des Ge- siehtes besteht in gleieher Weise beim geraden Vorgesieht oder Rfiekgesieht, und auch bei einem Winkelpro~l wird der/isthetische Eindruck des Profilverlaufs durch die Form des Kinnbereiehs beeinfluBt.

Das Kinn ist der mehr oder weniger welt vorspringende, vordere Teil des Unterkiefers, der in Form einer unterschiedlich stark ausgepr/~gten Rundung am Untergesieht den ~bergang yon der Unterlippe fiber die Supramentalfalte in den oberen Teil des Ha.lses bildet. Dieser ~'bergang yon der vertikalen in die horizontale Richtung am Untergesicht ist allerdings nhr beim Mensehen mit der Bildtmg eines Kinns dureh einen mehr oder weniger ausgepr/igten, vorspringenden kn6ehernen Anteil des Unterkieferk6rpers verbunden.

Zur Klgrung der Besonderheiten der Kinnbildung darf der vordere Tell des Unterkiefers jedoch nieht ffir sich allein betrachtet werden, sondern ist eine Unter- suchung im Zusammenhang mit der Form des ganzen Unterkiefers und seiner Weichteilbedeekung erforderlieh, da GebiB, Muskeln, Haut, Sehnen, B&nder, Ge- f~iBe und Nerven dureh ihre Funktion die Form und den Aufbau des Unterkiefers in mannigfaeher Weise beeinfiussen k6nnen.

Die Form des Unterkiefers zeigt in der morphogenetischen Ordnung, ausgehend yon der einfaehsten GebiB- und Kieferbildung beim Haifiseh, einem der pri- mitivsten Knorpelfisehe, eine weitgehende, gesetzm/iBige Abhgngigkeit yon der Stellung des Gebisses zur Unterkieferbasis, indem mit einer Ver/inderung der

1) Referat, gehalten auf der Wissenschaftlicheu Jahrestagung der,,Deutschen Gesellschaft ftir Kieferorthop~idie" yore 21. bis 24.5. 1964 in Salzburg.

E. Hausser, Variabilit~t der Kinnform bei anatomisch korrektem GebiG 193

Zahnstellung aueh die Form des Unterkiefers eine Umwandlung erf/~hrt. Diese Umwandlung der Kieferform wird yon W e s t e n h 6 f e r als eine Anpassung yon Form und Funktion angesehen, die auf Grund der mechanischen Einwirkung des Gebisses auf den Kieferknochen eintritg. Beim Krokodil ist im Zusammenhang mit der Einw/trtskippung der Z/ihne eine Verwachsung beider Kieferh/ilften mit einer Verst/irkung der Synostose des Unterkiefers vorhanden, w/~hrend beim Hund, Pferd und Sehwein mit der Auswartskippung der Zahne eine Atrophie des vor- deren Unterkieferanteils ehlgetreten ist. Bei dem Unterkiefer des Affen, der be- sonders hoch ist, besteht dutch eine Basalplatte eine anteriore innere Versteifung, die yon W e s t e n h 6 f e r als ein Schutz gegen ein Auseinanderbreehen bei der funk- tionellen Beanspruchtmg gedeutet wird. Bei einer Einw/irtskippung des Gebisses fehlt dagegen diese Versteifung des Unterkiefers durch eine Basalplatte.

Von den Primaten haben weder die niederen Affen noch die Anthropoiden am vorderen Rand des Unterkiefers eine Kinnbildung, wenn auch beim jungen Gorilla der vordere Unterkieferrand bereits eine Form aufweist, die dem Kinn des diluvialen Menschenkiefers sehr stark ~ihnelt. Es fehlt aber aueh beim Neubritan- nier ein Kinnvorsprung, wie auch der Unterkiefer yon M a u e r vorne sanft ab- gerundet ist und keine besondere Kinnbildung aufweist. Erst beim rezenten Men- schen, insbesondere beim Europfier, ist dagegen eine eindeutige Kinnbildung als Vorsprung am vorderen Rand des Unterkiefers vorhanden. Die ausgepr/igte Kinn- bildung als Neuerwerbung des Hominiden soll nach der funktionellen Entstehungs- theorie yon W e s t e n h 6 f e r durch den Scherenbift und die senkrechte Aehsen- stellung der Zi~hne bedingt sein. Beim ScherenbiG und senkrechter Zahnstellung erfolgt die Wirkung auf den Unterkiefer yon oben innen in schr/~ger Richtung naeh unten auBen; dadurch entsteht eine kn6cherne Verstgrkung am Unterkiefer, die als Kinn in Erscheinung tritt. Die Kinnbildung des Menschen wird daher yon W e s t e n h 6 fe r auf diese funktionellen Beziehungen zwischen dem Gebift und der Unterkieferform zurfickgeffihrt.

Aus dem Ablauf der Entwicklungs- und Wachstumsvorg~nge folgert dagegen B o 1 k, daft im Zusammenhang mit der phylogenetischen Riickbildung des mensch- lichen Gebisses bei der ontogenetischen Entwicklung eine diskontinuierliche Ver- 1/tngerung yon Basalbogen und Alveolarbogen entsteht, die zu einer Khmbildtmg f/ihrt. Im Gegensatz dazu ist A d l o f f jedoch der Ansieht, daft lediglich die Incur- ratio mandibulae eine unmittelbare Folge der Riickbildung der Z~hne im vor- deren Bereieh des Unterkiefers ist, da der basale Teil des Unterkiefers nieht den zeitlieh versehiedenen Einfl/issen der Waehstumsvorg/tnge im Alveolarfortsatz unterliegt. A d l o f f weist aueh darauf hin, dab die Kinnbildung beim rezenten Mensehen naeh einem Vergleieh mit dem Unterkiefer des Homo Heidelbergensis und des Sinanthropus Pekinensis nicht in der yon W e i d e n r e i e h angenommenen Weise dureh eine lingualwfirts gerichtete Drehung der unteren Frontz/~hne ent- standen sein kann, wenn aueh der strukturelle Aufbau und die Ausbildung des Unterkieferk6rpers bis zu einem gewissen Grade yon der Bezahnung und der bei der Funktion entstehenden Beanspruchung des Unterkiefers dureh den Kau- druek abh/ingig ist. Sehlieftlieh ist aueh v. d. B r o e k der Ansieht, dab die Gr6fte der Z/thne bei der Entstehung der Form des Unterkiefers keine ausschlaggebende Rolle spielt, w/thrend W e b e r der Vermindermlg der Zahngr6fte dagegen eine Bedeutung beimiBt.

Die Form und die GrSfte des Unterkieferk6rpers k6nnen allerdings erhebliche Untersehiede aufweisen. Es lassen sich aber fiir den Unterkiefer, wie Mar t i r t fest- stellte, weder aus den absoluten Zahlen noeh aus den Indizes bestimmte Rassen-

194 Fortschritte der Kieferorthop~idie Bd. 25 K. 2 (1964)

untersehiede ermitteln, obwohl im Vergleich zum Europ/ier die Papua und Mikro- nesier einen langen und die Chinesen einen auffalletld kurzen Unterkieferk6rper haben. Die mensehliehen Unterkiefer aus der Diluvialzeit weisen jedoeh alle be- trgehtliehe Gr6gendimensionen mit einer Variabilitgt der Unterkieferl/inge yon 90 m m bis 126 mm (Mar t in ) auf.

Auf Grund eingehender Untersuehungen des strukturellen Aufbaus des Unter- kiefers glaubt W a l k h o f f , dab die Entwieklung des Kinnvorsprungs des Mensehen irt engem Zusammenhang mit der Funktion der am vorderen Teil des Unterkiefers ansetzenden Mundboden- und Zungenmuskulatur steht. Insbesondere soll die ver- mehrte Muskelt';itigkeit dutch (lie sieh beim Menseh immer mehr entwiekelnde Spraehe die Kinnbildung urs~ehlieh beeinflussen, w/ihrend in der phylogenetisehen Entwieklmlg die Gr6ge des Kiefers mit den Z'/ihnen eine Reduzierung erf/ihrt. Diese phylogenetisehe Reduktion kann jedoeh nieht allein zu einer Kinnbildtmg fiihren, denn beim Spy-Kiefer mit seinen kleinen Zghnen ist ebenso wie beim Sehip- ka-Kiefer mid den Funden yon Krapina, die groge Z/ihne haben, kein Kinn vor- handen, w/thrend der Kiefer yon Predmost groge Z/ihne hat und ein ausgepr~gtes. wenn aueh kleines Kinn mit einer starken Ausbildung der Trajektorien des Mus- eulus genioglossus besitzt.

Dem Einwand yon F i s c h e r , dab die Spraehfunktion keinen Einflug auf die Entstehung der Kinnbildung und der yon W a l k h o f f als funktionelle Folgeer- seheinung gedeuteten Trajektorien haben kann, da naeh r6ntgenologisehen Unter- suehungen aueh bei Mensehen, die nieht spreehen k6nnen, die gleiehen Trajekto- rien in der Kinngegend vorhanden sind, begegnet W a l k h o f f mit dem Hinweis auf deft dutch diese Trajektorien gegebenen Beweis fiir die Konstanz der in der phylo- genetisehen Reihe erworbenen funktionellen Eigensehaften, da aueh der Taub- s tumme ein Kinn hat. l]ber die Entstehung der mensehliehen Kinnbildung beste- hen somit noeh immer weitgehende Meinungsuntersehiede, es gilt jedoeh auf Grund der bisherigen praehistorisehen Seh/idelfunde als erwiesen, dal~ die Kinnprominenz eine Neuerwerbung der Hominiden ist, da nut der rezente Menseh einen ausge- prggten Kinnvorsprung hat.

Der erste Hinweis auf das Vorhandensein besonderer, kleiner Knoehensub- stanzen in der Symphyse des Kinns eines Neugeborenen-Kiefers erfolgte yon E y s - son (1695). Erst etwa 250 Jahre spgter hat Mies , obwohl sieh zahlreiehe Unter- sueher ( H a e n l e , K u m p h r y , H u n t e r , v. KSl l ike~ ' , M e e k e l , R u y s e h u. a. A.) mit der Entwieklm~g und den Waehstumsvorggngen des Unterkiefers besehgftig- ten, erneut die in der Symphyse des mensehliehen Unterkiefers vorhandenen Kn6ehelehen entdeekt und sie als Ossieula mentalia bezeiehnet. Bei der Unter- suehung yon 26 Neugeborenen-Seh/ideln fand M ie s im allgemeinen j eweils 2 der- artige Kinnkn6ehelehen, w/ihrend A d a e h i nut bei 82% der untersuehten Fglle das Vorhandensein yon zumeist 2, oft abet aueh yon 3 oder noeh mehr Kinn- kn6ehelehen feststellen konnte. Die Ossieula mentalia h/ilt aueh T o l d t fiir ein stets vorhandenes, besonderes Charakteristikum der Kinnbildung, yon der er an- nimmt, dab sie eine Folgeerseheinung der mensehliehen Seh/idelentwieklung ist, indem der Unterkiefer mit der Kinnprominenz unter dem Einflug der Funktion eine zweekmfigige Gestaltung und Vervollkommnung erfiihrt.

Auf Grund yon Untersuehungen mit Hilfe der Spaltlinienmethode h/ilt H e n - ke l die Kinnkn6ehelehen des mensehliehen Unterkiefers fiir eine primitive und prim/ire Bildung, denn aueh bei Negerkindern mit einer Prognathie und einem fliehenden Kinn sind stark ausgebildete Kinnkn6ehelehen vorhanden. Aueh der Unterkiefer des Neandertalers weist in der Knoehenstruktur eharakteristisehe

E. Hausser, Variabilitgt der Kinnform bei anatomisch korrektem GebiB 195

Zeichen f/ir die :amlage yon Kinnkn6chelchen trotz des fliehenden Kfims auf. W e s t e n h 6 f e r vermute t daher, dab bei den fossilen Mensehen mit Kopfbil3 die Kinnbildung nur verdeckt ist und erst die gewandelte Gebil3ftmktion die Kinn- prominenz in Erseheinung treten 1/igt. Die vergnderte funktionelle Beanspruchung des Unterkiefers beim rezenten Mensehen erfordert dagegen naeh Ansieht H a e k - kers eine Verstgrkung am Kinn, er n immt daher an, dab die Entstehung der Kinn- kn6ehelehen funktionell bedingt ist. Aus der Knoehenstruktur, insbesondere der Bildung der Kinnkn6ehelehen, sehliel~t sehliel31ich W e s t e n h 6 f e r , dab der Kie- fer des Mensehen sieh niemals aus dem Affenkiefer entwickelt haben kann, und es viel wahrscheinlieher ist, dab der Affenkiefer aus dem Mensehenkiefer entstand.

Die phylogelmtisehe Entwicklung der Form des mensehliehen Unterkiefers unterliegt vielfaehen Einflfissen, die allerdings in ihrer Bedeutung fiir die Entste- hung des Kinns beim rezenten Mensehen untersehiedlieh bewertet werden. Die Bildung einer Kinnprominenz stellt beim rezenten Mensehen jedoeh ein eharak- teristisches Merkma[ des Unterkiefers dar, dessen Ausbildung in der Erbmasse des Einzelnen verankert ist. Die individuelle Erseheinungsform des Kinns kann aber aueh noeh dutch verschiedene andere endogene und exogene Faktoren beein- flutlt werden, die dureh (tie Beeinflussmlg der ontogenetisehen Entwieklung zu einer unterschiedliehen Mani]~estation der Grundform der Khmbildung, die dureh die erbliehe Gebundenheit der Kinnform im Genotyp best immt ist ( K o r k h a u s , P f a n n e n s t i e l , R i t t e r ) , fiihren. Weiterhin bestehen aueh zwisehen der indivi- duellen Kinnform und dem Gebil3, besonders der Stellung der Zghne zur Unter- kieferbasis, bestimmte Zusammenh~nge und soll insbesondere die Kinnprominenz eine Abh/ingigkeit yon der Aehsenstellung der Frontztthne aufweisen.

Es wurde daher an Hand eines gr613erml Untersuchungsmaterials mit anato- miseh korrektem GebiB in Anlehnung an die Untersuehungen yon D u y s e n s bei 13 bis 17 Jahre alten Kindern zu klgren versueht, wie sieh vom 6. bis 20. Lebens- jahr die Kinnform bei optimalen Gebil3verhgltnissen entwickelt. Diese Quer- sehnittsuntersuehungen sollen aueh einen Einbliek in die waehstums- und ent- wieklungsbedingten Ver/tnderungen im Untergesieht vermitteln, um auf diese Weise aueh zu einer Klgrung der verschiedenen Fragen der Genese der h~divi- duellen Kinnbildung beitragen zu k6nnen.

F/Jr die Untersuehung standen die Fernr6ntgen-Profilaufnahmen yon 188 Ju- gendliehen im Alter yon 6 bis 24 Jahren zur Verffigung. Entspreehend der Gebil3- entwieklung wurden die Probanden in 4 Altersgruppen unterteilt. Die erste Alters- gruppe umfaBte die Kinder im Alter yon 6--9 Jahren, da sich in dieser Zeit der Frontzahnweehsel vollzieht, in der zweiten Altersgruppe vom 10. bis i3. Lebens- jahr erfolgt der Seitenzahnwechsel und bei der drittml Altersgruppe yon 14. bis 17. Lebensjahr ist der Zahnweehsel beendet und beginnt die Nutzperiode des blei- benden Gebisses. Mit der vierten Altersgruppe, den fiber 18 Jahre alten Probanden sollte naeh AbsehluB des Zahnweehsels die eigentliehe Nutzperiode des bleibenden Gebisses erfal3t werden, wobei wghrend dieser Zeit auch noeh die Einstel |ung des Weisheitszahnes erfolgen kann. Von den 188 Probanden entfielen 37 auf die erste, 38 auf die zweite, 55 auf die dritte und 58 auf die vierte Altersgruppe.

Die Auswertung der Fernr6ntgen-Profilaufnahmen erfolgte dureh die l%st- stellung des Abstandes best immter anthropologiseher Punkte voneinander und dureh die Bestimmung der ~Vinkelgr613en, die sieh am Sehnit tpunkt der Verbin- dungsstreeken der anthropologisehen Punkte ergaben. So wurden bei den einzelnen Fernr6ntgen-Profilaufnahmen die Abstgnde Gonion-Gnathion, Gonion-Pogonion, Pogonion-Artikulare gemessen. Das AusmaB des Kinnvorsprungs wurde durch

196 i l~ortschr tte der Kieferorthop~idie Bd. 25 It. 2 (1964)

Feststellung des Abstandes des Pogonions yon einer Senkreehten vom B-Punkt (Supramentale) auf die Unterkieferbasis bestimmt. Die Weiehteildieke ergab sieh aus dem Abstand des Hautpunktes yon dem Knoehenpunkt am Pogonion. Als Untergesiehtsh6he wurde die Entfernung der Sehnit tpunkte einer Verbindung yon Nasion-Pogonion mit der Oberkiefer- und Unterkieferbasis verwandt. Die Aehsenstellung der unteren Frontz/ihne ergab sieh aus dem Winkel zwisehen Zahn-

aehse und Unterkieferbasis.Wei- �9 ' .:" :"

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Abb. 1. Schematische Darstellung der Auswertung der Fernrfntgen-Profila ufnahmen

terhin wurde (tie Gr6fte des Win- kels SNPg gemessen (Abb. 1).

Aus den auf diese Weise festgestellten eephalometrisehen Streekenmaften und Winkel- grSften wurde f/ir jede Alters- gruppe der Mittelwert best immt und die Standardabweiehung bereehnet (Abb. 2). Weiterhin wurde mit Hilfe des t-Testes auf dem 1 ~ der VerlgBlieh- keit geprfift, inwieweit zwisehen den in den einzelnen Alters- gruppen gefimdenen Mittelwer- ten ein signifikanter Untersehied besteht. Die Untersuehung, ob zwisehen dem Kinnvorsprtmg und den anderen festgestellten Beso~derheiten des Aufbaus des Gesiehtsseh//dels in den einzel- nen Altersgruppen eine Korre- lation besteht, erfolgte mit Hilfe der Korrelationsreehnung dureh die Bereehnung der Produkt- Moment-Korrelation. Die Gr6fte des erreehneten Korrelations- koef~zienten gibt in Abhgngig- keit yon der Fallzahl Aufsehluft fiber die St/trke des morpholo- gisehen Zusammenhangs zwi-

sehen den beiden untersuehten Werten, wobei die Wahrseheinliehkeit eines zuf/tl- ligen Ergebnisses dureh die zahlenm/iBige Errnittlung der Signifikanzgrenze (an Hand der Tabelle) ausgesehlossen wird.

Der Kinnvorsprung weist naeh den Mittelwerten in den Altersgruppen eine stetige Vergr6fterung bis zur IV. Altersgruppe auf, wobei der Durehsehnittswert der I I I . und der IV. Altersgruppe nahezu gleieh groft sind. Die Priifung der Signi- fakanz dieser Gr6Benzunahme des Kinnvorsprungs zeigt zwisehen den einzelnen Altersgruppen - - auger zwisehen der I I I . und IV. Altersgruppe - - eine hohe Signi- ftkanz der gefundenen Durehsehnittswerte. Es n immt demnaeh die Grfge des Kinnvorsprungs bis etwa zum 18. Lebensjahr zu. Diese Feststellung deekt sigh aueh weitgehend mit den Untersuehungsergebnissen fiber die waehstums- und entwieklungsbedingten Vergnderungen des Unterkiefers yon E n low und H a r r i s, die auf Grund von histologisehen Untersuehungen fanden, daft die Kinnprominenz

E. Hausser, Variabilit/it der Kinnform bei anatomisch korrektem GebiB 197

sich in der Zeit vom 4. bis 12. Lebens j ah r durch Umbauvorg&nge und per ios ta les K n o e h e m v a e h s t u m am vorderen Tell des Unterk ie fe rs vergr6ger t . Zwisehen den P robanden m/tnnl iehen und weibl iehen Gesehleehts bes t eh t bei den Durehsehn i t t s - wer ten des K innvor sp rungs in allen Al t e r sg ruppen nur eine sehr geringe, s ta t i s t i seh

Kinnvorsprung

SN Pg

Untergesi~t~6he

4r UKB

Oo - Pg

6o-Gn

Ar- Pg

Weichtei/dicke

Kinn: Oo-Pg

/(inn: Ar-Pg

I n=37

14 r

6,0 1,3

80,5 3.3

58,4 3,6

87.4 7,5

64.2 3,2

61,6 3,1

91,0 4,4

10,8 1,3

9,4 2.1

6,5 1,3

// n =38

M

Z2 1,4

82,9 2.9

61,9 4,1

82,4 4,9

71,1 3.2

67,3 3,5

I00,8 4,5

10,2 1,5

10,1 1.9

7,1 1,3

Abb.2. l~Iittelwerte und Standardabweiehung

Altersgruppe

I

]]

l l I

IV

r)

37

38

55

58

d'+~.

6,0

7,2

8,9

a,8

13

21

16

20

37

Ill n--55

M e

8,9 1,5

83,3 3, 4

65,6 4, 8

86,1 6,9

74,3 4,1

71.1 3,6

105,7 5.2

10.3 I, 4

12,0 2,1

8,4 1,4

IV n--58

M

8,8 1,9

84,5 4,0

71,2 6,2

83,0 6,3

78,0 5.1

74,4 5,0

112,7 6,0

ILl 7,8

11.2 2.3

7,8 7,6

der Gr6ge des Kinnvorsprungs

n .g_

6,0 16 6,0

7,4 22 7,0

9,1 27 0,7

8,0 21 6,7

Abb. 3. Mittehverte der Gr66e des Kinnvorsprungs bei m~innlichen und weiblichen Probanden

bedeutungslose Differenz. Die Auspr '3gung des K i n n s d/ irf te sich daher unabh/ in- gig yon dem Gesehleeht en~wiekeln (Abb. 3 u. 4).

Ein /ihnliehes Verha l ten wie die Durehsehn i t t swer te der Gr6[te des K h m v o r - sprungs zeigt aueh die Streeke Gonion-Pogonion in ihren Mit te lwer ten , deren

198 Fortschritte der Kieferorthop~die Bd. 25 H. 2 (1964)

Untersehiede zwisehen den einzelnen Altersgruppen ebenfalls eine hohe Signifi- kanz aufweisen. Zwisehen der Gr6ge des Kinnvorsprungs und dem Abstand Go-

/Dm Io, o -

g,0-

8,0-

7,0-

6,0-

5,0-

40-

3,0-

22-

7,0-

0

H .

y/) y/)

/ / /

i / /

I

/ / / / / /

///

/g

Abb. 4. Graphische Darstellung der Gr56e des Kinnvorsprungs der vier

Altersgruppen

nion-Pogonion besteht aber nur bei der Ge- samtheit aller F/~lle eine Korrelation mit einer beaehtenswert hohen Signifikanz, w/~h- rend in den einzelnen Altersgruppen nut eine geringe (II) oder fiberhaupt keine Korrelation zwisehen der Gr6ge des Kinn- vorsprungs und der Entfernung Gonion- Pogonion vorhanden ist (Abb. 5 u. 6).

Auch die an den Durchsehnittswel~en erkennbare, stetige Vergr6gerung des Ab- standes Gonion-Gnathion (Abb. 7) ist in ihrem Untersehied zwisehen den einzelnen Altersgruppen hoehsigniflkant. Bei einer Gesamtbetraehtung der F/ille besteht auch eine signifakante Korrelation zwischen dem Abstand Gonion-Gnathion und der Gr6ge des Kinnvorsprungs, in den einzelnen Alters- gruppen ergibt sich jedoch bei den Grup- pen I und I I I keine Korrelation. Zwischen der Gr613e des Kinnvorsprungs und der H6he des Untergesichtes, deren Mittelwerte ebenfalls in den Altersgruppen eine Zu- nahme mit hoher Signifikanz aufweisen, besteht sowohl bei der Gesamtbetraehtung der untersuchten F/ille als auch in den ein-

zelnen Altersgruppen -- auger in der Gruppe II , deren Wert nur wenig unter der Signifikanzgrenze liegt. - - eine signifikante Korrelat.ion.

Kinn vorsprung

SN Pg

Untergesichfsh6he

/7-/UKB

Go-Pg

Go-Gn

Ar-Pg

Weichteildicke

Kinn : Go -Pg

Kinn .' Ar- Pg

I .H

4.4.

4.+

I..III

4.+

+4.

§ 2 4 7

I . IV

4"4"

+4"

+4"

H..III

.4.§

+4"

II.. I V

4 .+

4"+

III." IV

§ 2 4 7

@ - § § - _

* § § §247 § 1 6 2 §247 §247

+§ § 2 4 7 § 2 4 7 § 1 6 2 § 2 4 7 § 2 4 7

++ § + + + + + § + +

- §247 § +§ § -

- + § § 2 4 7 - _ _

Abb.5. Ergebnis der Signifikanzbereehnung der Mittelwerte nach dem t-Test (+ signifikant, + + hoehsignifikant)

E. Hausser, Variabilitat der Kinnform bei anatomisch korrektem Gebi6 199

Weiterhin besteht zwischen den einzelnen Altersgruppen eb~e zwar unterschied- liehe, naeh der statistischen (Yberpr/ifung sber hoehsignifikante Vergr6Berung des Abstandes Artikulare-Pogonion. Mit der Gr6ge des Kinnvorsprungs st.eht diese

Altersgruppe I - IV n 188

Kinnvorsprung."

SNPg 0,16

Untergesichtsh6he O, 61

~ UKB O, 25

Go-Pg O, 54

Go- Gn O, 59

Ar- Pg O, 58

Weichteildicke -0, 05

Kmn : Go - Pg O, 94

Kinn .' Ar-Pg O, 94

I g I[I IV 37 38 55 58

-0,16 0,18 0,09 -0,19

O, 46 O. 35 O, 57 O, 40

0,09 0.40 0,37 0.58

0,00 0,54 0, II 0,30

0,02 O, 55 O, 19 O, 42

0,34 0,39 0 ,27 0,27

-0,10 -0, 20 -0,27 -0,09

0,97 O, 97 O, 95 O, 95

0,97 O, 97 0,95 O, 97

Abb. 6. Ergebnis der Xorrelationsberechnung

m m Go-Gn

8 0

75

7O

65

60

55

mm Kinnvorspruog 14

13

t2

I t

10

9

8 ?

5

4 I i

3 I0 2 0

_ _

/

i L L L I ~ d I I I I A J [ I I 30 40 50 60 70 8 90 100 II0 120 130 140 150 160 770 I@0

Abb.7. Kinnvorsprung und Entfernung Go--Gn

i 190 Folle

~ 0 B

90 ~

80"

70"

60 ~

Fortschritte der Kieferorthop~idie Bd. 25 H. 2 (1964)

Abstandsvergr66erung Artikulare-Pogonion bei den Altersgruppen I I und IV-in einer statistiseh signiffkanten Korrelation, und die GrSBe des Kinnvorsprungs zeigt aueh bei der Erfassung aller Probanden eine statistiseh signifikante Korrela- tion zur GrSl3enzunahme des Abstandes Artikulare-Pogonion.

Die Weiehteildieke am Kinn ist naeh den Durehsehnittswerten bei allen Alters- gruppen ohne wesentliehe Untersehiede, wenn aueh eine geringe Zunahme yon der I. bis zur IV. Altergruppe gefunden wurde. Diese geringen Untersehiede zwi- sehen den Altersgruppen sind jedoeh statistiseh unbedeutend, und es besteht aueh zwisehen der GrSBe des Kinnvorsprungs und der Dieke der Weiehteildeeke keine statistiseh naehweisbare Korrelation. Die verh/~ltnism/iBig kleine Streuung der 5{ittelwerte weist aueh darauf hin, dag die Prominenz des Kinns yon der Dicke der Weiehteilbedeckung nut his zu einem gewissen Grade beeinflul3t wird.

.,r. /~7 LIKe

200

mm Kinnvorsprung 13

12

I I

/0 9

8

7 / 6 , / 4

10

/

/ /

f - l - -

/ F

I I I I I 20 30 40 50 6OF'dEe

Abb. 8. Kinnvorsprung und Achsenrichtung der unteren Frontz~ihne bei der IV. Altersgruppe

Die Gr6Be des ~Vinkels SNPg zeigt in den Durehschnittswerten der 4 Alters- gruppen efilen verh/~ltnism/~gig gleiehm/igigen Anstieg, die Streuung ist jedoeh beaehtenswert grog. Die Untersehiede zwisehen der Vergr6Berung des Winkels SNPg in den einzelnen Altersgruppen ist nur bei einem Vergleieh der beiden ersten mit der letzten Altersgruppe hoehsignifakant, wghrend zwischen der II . und I I I . Altersgruppe der Untersehied keine statistiseh naehwcisbare Bedeutung hat. Aueh zwisehen der Gr6Be des Kinnvorsprungs und der Gr66e des SNPg-Winkels besteht keine statistiseh beweisbare Korrelation. Die Vergr6gerung des Winkels SNPg steht daher in keiner eindeutigen Beziehung zur Entwicklung der Aus- pr/igung des Khms, sie ist vielmehr aueh dureh die allgemeine sagittale Ent- wicklungstendenz des unteren Gesichtsbereichs wShrend der ontogenetisehen Ent- wickhmg bedingt.

Die Achsenstellung der unteren Frontzfihne zur Kieferbasis zeigt bei den Pro- banden aller 4 Altersgruppen keine nennenswert gro6en Unterschiede, zumal (lie

E. Hausser, Variabilit~t der Kinnform bei anatomisch korrektem GebiB 201

errechneten Mittelwerte eine grol3e Streuung aufweisen. Auch die Uberprfifung der Signiftkanz der geringen Mittelwertsdifferenzen zwischen den einzelnen Alters- gruppen ergab, da ] die einzelnen Durchsehnittswerte keine nennenswerten Ver- schiedenheiten aufweisen. Die Achsenstellung der unteren Frontz~hne bleibt also nach der Einstellung der Schneidez~hne bis zur Nutzperiode des bleibenden Ge- bisses nahezu unver/~ndert. Zwischen der GrSIte des Kinnvorsprungs und der Ach- senstel]ung der unteren Frontz~hne besteht erst in der letzten Altersgruppe eine Korrelation. Dieses Ergebnis der Prfifung des Zusammenhangs zwischen der Aus- pr~gung des Kinns und der Stellung der unteren Frontz~hne dfirfte als ein Beweis

Z) b) C)

Abb. 9. Verschieden stark ausgepr~gter Kinnvorsprung a) klein 6 mm b) mittel 9 mm c) stark 13,5mm

lm ALter yon: 9 Jahren 12 Jahren 16 Jahren

daf/ir anzusehen sein, dab erst die endgiiltige Ausbildung des Kinns am Ende der Wachstums- und Entwicklungsvorg/~nge am Unterkiefer in einem bestimmten Verh/tltnis mit der Achsenstellung der unteren Schneidez~hne steht. Aus dieser morphologischen Beobachtung kann jedoch nicht ohne weiteres ein Hinweis auf die Kinnbildung abgeleitet werden (Abb. 8).

Das Verh/~ltnis der Gr613e des Kinnvorsprungs zu der Entfernung Gonion- - Pogo- nion, das in den Durchschnittswerten fiir die einzelnen Altersgruppen hochsignifi- kant verschieden ist, weist auch eine hohe Korrelation mit der Gr613e des Kinn- vorsprungs auf, die ebenso wie die Korrelation bei dem Verh/iltnis der Gr613e des Kinnvorsprungs mit dem Abstand Art ikulare--Pogonion dm'ch die zweimalige Ein- beziehung der Gr613e des Kinnvorsprungs in das Berechnungsverfahren bedingt ist. 14 F o r t ~ h r i t t e der Kieferor thop~die Bd. 25 H. 2

202 Fortschritte der Kieferorthopadie Bd. 25 H. 2 (1964)

Aus der Untersuehung der Kinnform bei anatomiseh korrektem Gebil~ l~at sich somit ergeben, dab zwisehen der Gr6Be des Kinnvorsprungs und dem mor- phologischen Aufbau des Gesiehtssch~dels bestimmte, eindeutig nachweisbare Relationen bestehen. Diese Relationen sind aueh w/ihrend der ontogenetischen Entwicklung vorhanden. Zwischen der Achsenstellung der unteren Frontz~hne und der Gr6Be des Kinnvorsprungs 1/iBt sieh aber erst am Ende der Waehstums- und Entwicklungsvorg/inge eine eindeutige Korrelation feststellen. Dieses Unter- suchungsergebnis ist durch die Entwicklung der GrSge des Kinnvorsprungs, die eine stetige Zunahme zeigt, und die Achsenstellung der unteren Frontz~hne, die w/~hrend der gleichen Zeit keine nennenswerte Ver/inderung aufweist, bedingt. Die Auspr/igung des Kinns wird yon der Dieke der Weiehteilbedeekung im Laufe der ontogenetisehen Entwieklung nur unwesentlieh beeinfluBt, denn die Weieh- teildeeke bleibt nahezu unver/tndert, wenn aueh die individuelle Kinnform dureh (lie Dieke der Weiehteilbedeekung bis zu einem gewissen Grade eine Beeinflussung erf/ihrt. Der Profilverlauf, der in starkem Mage der Beeinflussung dureh die Kinn- bildung unterliegt, ist aber yon der Kinnprominenz noeh in anderer Weise als nur dureh ihre Auspr/igung abh/ingig, denn der EinfluB des Kinns auf das Proffl wird aueh dureh den Aufbau des Gesiehtsseh/idels, insbesondere die Lage der Kinn- prominenz zum Mittelgesieht im Zusammenhang mit der Einlagerung der Kau- organe in den Gesiehtsseh/idel und der individuellen Form der kn6ehernen Anteile des Kauorgans bestimmt (Abb. 9). Dabei sind die Gr6ge des Inklinationswinkels und des Kieferbasiswinkels sowie des Kieferwinkels yon besonderer Bedeutung, da ihre GrSgenverh/iltnisse, die aueh bei anatomiseh korrektem GebiB erheblieh vari- ieren k6nnen, nicht nur eine Vorlage oder R/icklage des Kinns in Relation zum Mittelgesicht bedingen k6nnen, sondern auch die Bestimnmng der GrSge des Kinnvorsprungs beeinflussen, da zwischen der Gr6Be dieser Winkel und der lest- stellbaren Kinnprominenz eine gewisse Abh~ngigkeit im Auswertungsverfahren besteht.

Das Kinn, das eine auBerordentlich interessante Bildung am vorderen Rand des Unterkiefers darstellt, unterliegt in seiner Manifestation auch bei anatomisch korrektem GebiB zahlreichen individuellen Variationen, die in engem Zusammen- hang mit dem morphologischen Aufbau des Gesichtsschs stehen. Zwischen der Gr6Be der Kinnprominenz und der Form des Sch/~dels sind daher auch bestimmte cephalometrische Korrelationen nachweisbar, die durch ihre statistische Signi- fakanz zugleich darauf hinweisen, dal3 die Kinnbildung nicht fiir sich allein be- trachtet, sondern nur im Zusammenhang mit dem individuellen Aufbau des Ge- sichtssch/idels, insbesondere des Untergesichtes beurteilt werden darf, um die genetischen und morphologischen Zusammenh/inge der Bildung des Kinnvor- sprungs kl/iren und in ihrer Bedeutung f/ir die Kinnprominenz bewerten zu kSnnen.

Schrifttum

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Anschrift d. Verf.: Prof. Dr. E ri c h Hausser, 2 Hamburg 20, Lenhartzstr. 9