Varuna Holzapfel - Das Hexeneinmaleins

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    Varuna Holzapfel

    Das HexeneinmaleinsWeg einer Einweihung

    Du mut verstehn!Aus Eins mach' Zehn,Und Zwei la gehn,Und drei, mach gleich,So bist Du reich.Verlier die Vier!Aus Fnf und Sechs,So sgt die Hex',Mach Sieben und Acht,So ist's vollbracht:Und Neun ist EinsUnd Zehn ist keins.

    Das ist das Hexeneinmaleins.

    Das Hexeneinmaleins ist ein alter schamanistischerEinweihungsweg, bei dem 'Hexen' - die weisen Frauenund Mnner eines Stammes - Schritt fr Schritt in dieMysterien eingefhrt wurden. Diese vorchristlicheReligion sollte durch die Inquisition ausgelscht werden,weshalb dieser Weg verschlsselt wurde.

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    Varuna Holzapfel

    Das Hexeneinmaleins

    Weg einer Einweihung

    Smaragd Verlag

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    Erstausgabe Smaragd Verlag, Neuwied, Oktober 1997Covergestaltung: DTP Graphikdesign HUBER, BoppardSatz: DTP-Service-Studio, Bad HnningenDruck: Kossuth AG, BudapestSmaragd Verlag, Obergraben 30, 56567 NeuwiedISBN 3-926374-54-312345/0100999897

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    Ich bin die, die zwischen den Welten wandelt.Ich komme aus dem Nichts

    und gehe ins Nirgendwo.Und mit jedem Schritt, den ich mache,entfernt sich mein Ziel weiter von mir,denn der Weg ist in mir.Hier und dortund gestern und morgenist immer dasselbe.Denn ich bin im Zentrumzwischen den Unendlichkeiten.

    Wlwa Rebana

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    Fr meine Ahnen und Ahninnen, die mich zu dergemacht haben, die ich heute bin.

    Fr die alten Gtter und Gttinnen.

    Fr die Hterinnen der alten Wegeund fr alle,die die alten Kulte und Rituale nicht vergehen lassen.

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    VORWORT..............................................................................6

    DAS HEXENEINMALEINS...................................................8DIE HTTE AM FUE DES BERGES ...........................................8DER SCHO DER GROEN MUTTER........................................12DER RUF DER GTTIN ...........................................................16DIE EINWEIHUNG..................................................................21DAS RITUAL..........................................................................26DER FLUG DER SEELE ...........................................................32

    DAS TOR ZUR ANDEREN WELT..............................................39EIN ALTER INITIATIONSWEG .......................................47

    GOETHESFAUST....................................................................47DES RTSELS LSUNG..........................................................49DIE SIEBEN SCHRITTE ...........................................................51

    DER TANZ DER GTTER .................................................79

    NACHWORT.........................................................................84

    QUELLENVERZEICHNIS..................................................87

    LITERATURVERZEICHNIS..............................................89

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    VORWORT

    Es war an Samhain im Jahre 1991, als ich meineschamanistische Initiation erhielt.

    Ich nahm die Hexenkruter ein und bewegte mich imRhythmus der Musik, als ich pltzlich das Gefhl hatte, danoch jemand bei mir wre. Ich sah mich um und erblickte eineGestalt, die von innen zu leuchten schien. In ihrer Hand hielt

    sie ein geffnetes Buch, das sie mir hinhielt. Ich blickte hineinund sah Zahlen und Zeichen vor meinen Augen tanzen.Obwohl ich nicht viel erkennen konnte, wute ich auf einmal,da ich die Lsung eines alten Rtsels vor mir hatte.

    Es war das Einmaleins der Hexe, das Hexeneinmaleins, dassich hier vor mir offenbarte und sein Geheimnis preisgab, denEinweihungsweg einer schamanistischen Religion, die durch

    die Inquisition ausgelscht werden sollte.Zum Glck hatte dieser alte Weg berlebt, da sich niemand

    auf die wirr erscheinenden Zeilen des Verses einen Reimmachen konnte.

    Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.Es war die Art zu allen Zeiten,Durch Drei und Eins und Eins und DreiIrrtum statt Wahrheit zu verbreiten.So schwtzt und lehrt man ungestrt;

    Johann Wolfgang von Goethe hat das Hexeneinmaleins inseinem Werk Faust benutzt und es damit bis in die heutigeZeit gerettet.

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    In jeder Gesellschaft, in der es Schamanen gibt, gab, bzw.gibt es bestimmte Wege zur Bewutseinserweiterung,

    sogenannte Ausbildungswege. Durch die Verteufelung deralten Riten und Religionen in diesem Kulturkreis, bevor diemoderne Religion des Christentums, teilweise mit Gewalt, hierEinzug hielt, ging vieles von dem alten, wertvollen Wissenunserer Vormtter und -vter verloren. Wissen, das wir heuteso dringend bentigen wrden. Wissen, das wahrscheinlichverhindert htte, da die Menschen sich von Mutter Erdeabgewandt haben.

    Einige Menschen, die erkannt haben, wie wichtig dieses alteWissen in der Welt von heute ist, nehmen lange mhsameReisen auf sich, um irgendwo, in Indien, Amerika, Afrika,Australien, auf Menschen zu treffen, die ihnen die altenWeisheiten mitteilen.

    Andere bezahlen Unsummen fr Seminare, in denen sie imSchnellverfahren zum Schamanen ausgebildet werden sollen.

    Doch der Beruf des Schamanen erfordert lebenslanges Lernensowie eine natrliche Begabung. Der Weg des Schamanenbedeutet Erkenntnis durch Leiden. Das sollte sich jeder klarmachen, der diesen Weg beschreiten mchte. DasHexeneinmaleins braucht keinen Guru, keinen Fhrer. Es kannhilfreich sein, jemanden zu haben, der den Weg bereitsgegangen ist und der jetzt als Begleiter fungiert, notwendig istes allerdings nicht. Jeder kann alleine damit arbeiten.

    Damit dies mglich ist, ist es jetzt an der Zeit, da dasHexeneinmaleins wieder dahin zurckkehrt, von wo es kam.Zurck in den Scho der alten Religion.

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    DAS HEXENEINMALEINS

    Die Htte am Fue des Berges

    Eines Morgens erwachte Aria. Es war ein warmerFrhlingstag. Gestern war die Mutter mit ihr bei der Schamaningewesen, und diese hatte beschlossen, da sie jetzt alt genugwre, um die Prfung zu bestehen. Gleich am nchsten Tagsollte sie sich auf den Weg machen.

    Dieser Tag war heute. Aufgeregt stand Aria auf und lief zurMutter, die gerade das Frhstck zubereitete. Die Mutter ktesie herzlich, hielt sie eine Armeslnge von sich weg undbetrachtete sie: Jetzt wirst du bald eine Frau sein. Dann gingsie hinber zur Wand und ffnete eine alte Truhe.

    Als sie sich wieder umwandte, hielt sie in der Hand einenLedergrtel und das Messer, das fr Aria zu ihrer Geburt

    angefertigt worden war.Dieses Messer war der einzige Gegenstand, den sie auf der

    Suche nach ihrer Kraft, so nannten es die Alten, mit sich fhrendurfte. Sie mute eine Zeitlang in die Wildnis, um dort ihreKraft zu finden. Whrend dieser Zeit durfte sie nicht reden undnur das essen, was die Natur freiwillig gab. Das Messer solltenur zum Bau einer Htte benutzt werden, gettet werden durfte

    mit ihm nicht.Aria nahm die Sachen schweigend entgegen. Die Mutter

    machte eine segnende Geste ber ihr und brachte sie zumAusgang des Hauses.

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    Aria trat hinaus auf den freien Platz, um den sich die Huserder Dorfbewohner gruppierten. Hinter dem Dorf schlngelte

    sich ein kleiner Pfad eine Anhhe hinauf, wo das Haus derSchamanin stand. Hinter ihrem Haus war der Zugang zurHhle, zum Scho der groen Mutter, den normalerweise nurdie Priesterinnen und Priester betreten durften.

    Aria sah zum Haus der weisen Frau hinber und erinnertesich wieder an die Anweisungen, die ihr gestern gegebenwurden: Gehe in die Richtung auf die Sonne zu, dann wirst duzum heiligen Berg kommen. An seinem Fue ist eine Quelle,die von einem Hain umstanden wird. Betrete diesen Ort mitEhrfurcht, denn er ist heilig. Hier wirst du dich nun aufhalten,bis der Sichelmond erscheint. Du darfst nichts tten und keinFleisch essen. Die einzige Nahrung, die du zu dir nehmendarfst, ist die, die dir die Groe Mutter freiwillig gibt. Auch dasWasser aus der Quelle darfst du trinken. Vergi aber nicht, derHterin der Quelle, einer Nymphe, zu danken.

    An diese Worte dachte sie, als sie sich jetzt der Sonneentgegenwandte und ihren Weg begann.Sie war schon ziemlich lange gewandert. Erst durch den

    Wald, dann, durch eine Steppe und dann wieder durch einenWald.

    Sie war hungrig und durstig, wollte aber erst rasten, wenn sieden heiligen Berg gefunden hatte. Die Schatten wurden krzerund die Sonne erreichte ihren hchsten Stand. Da sah sie denheiligen Berg am Horizont auftauchen. Je nher sie kam, destodeutlicher wurden seine Umrisse. Ja, er sah wirklich aus wieein schlafender Drache.

    Vllig erschpft erreichte sie den Fu des Berges, trank vondem klaren Quellwasser, nachdem sie der Hterin gedankthatte, legte sich unter einen alten Baum und schlief ein.Morgen wrde sie die Htte bauen und die Gegend

    kennenlernen.

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    Am nchsten Morgen erwachte sie mit knurrendem Magen.Alles tat ihr weh und sie sehnte sich nach Hause, nach ihrer

    Mutter. Doch sie hatte wenig Zeit, Heimweh zu empfinden. Sieging zur Quelle, dankte und trank das khle Wasser. Dannmachte sie sich daran, aus abgestorbenen sten und Zweigeneine kleine Htte zu bauen, die ihr als Schlafplatz dienen sollte.

    Als die Htte fertig war, machte sie sich auf die Suche nachBeeren, die sie heihungrig verzehrte.

    Mit den Tagen gewhnte sie sich an das Hungergefhl.Manchmal jedoch fhlte sie sich wie von einem Nebeleingehllt, der ihre Umgebung in ein eigenartiges Lichttauchte.

    Eines Tages wurde sie mit einem merkwrdigen Gefhlwach, das sie den ganzen Vormittag ber nicht mehr loslie.Gegen Mittag hrte sie aus den Bschen ein Gerusch, das nurvon einem sehr groen Tier stammen konnte. Angst berkamsie. Sie war allein in der Wildnis. Niemand konnte ihr helfen.

    Doch tief in ihrem Inneren wute sie, da sie sich dieserAngst stellen mute. Sie bewegte sich auf das Gebsch zu, alses sich pltzlich teilte und der Kopf eines Wolfes zumVorschein kam.

    Erneut berfiel Aria Angst, als das ungewhnlich groe Tierauf sie zukam und vor ihr stehenblieb.

    Aria sah den Wolf an, blickte ihm direkt in die Augen undsah, da sie tiefschwarz waren. Auf einmal schien es ihr, alswrde sie die Stimme des Wolfes in ihrem Kopf hren. Habkeine Angst. Ich bin, wonach du gesucht hast. Ich bin deineKraft. Ich habe dich schon lange beobachtet. Aus dir wirdeinmal eine sehr geachtete Frau werden und deshalb sollst duden Namen Akina tragen, das bedeutet 'die Hterin der Kraft'.

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    Aria nickte mit dem Kopf als Zeichen, da sie verstandenhatte und blickte den Wolf erneut an. Die Augenfarbe schien

    sich gendert zu haben, denn sie war jetzt grau. Auch dieStimme in ihrem Kopf war verstummt.

    Sie schttelte den Kopf. Hatte sie am hellichten Tagegetrumt? Die Begegnung hatte sie verwirrt. Als sie nochmalsden Wolf ansehen wollte, war dieser verschwunden.

    In der folgenden Nacht hatte sie einen seltsamen Traum. DieSchamanin kam zu ihr und lchelte sie an: Ich sehe, du hastdein Krafttier gefunden, Akina. Es ist an der Zeit, da duzurckkehrst, denn schon bald wird dich der Ruf der Mondinereilen.

    Am nchsten Morgen verabschiedete Aria sich von derQuelle und dem Berg und machte sich auf den Weg zurcknach Hause. Sie dachte ber das nach, was ihr die Schamaninim Traum gesagt hatte. Der Ruf der Mondin wird dich bald

    ereilen. Die Frauen hatten gesagt, da man danach eine Frausei. Aber auch schon jetzt fhlte Aria sich nicht mehr alskleines Mdchen. Sie hatte ihr Krafttier gefunden und einenneuen Namen erhalten.

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    Der Scho der Groen Mutter

    Aria ist wieder da! Ein Mdchen, das am Dorfrand gespielthatte, erblickte sie zuerst und rannte nun auf den Dorfplatz.Arias Mutter trat vor ihre Htte, um ihrer Tochterentgegenzugehen.

    Von der kleinen Anhhe herab kam die Schamanin mit denjungen Priesterinnen und Priestern. Die Mutter umarmte ihreTochter und kte sie. Dann sah sie sie ernsthaft an: Ich sehe,

    du hast gefunden, wonach du gesucht hast. Schon bald wirst duin den Kreis der Frauen aufgenommen werden, dann wirst dunicht mehr meine kleine Tochter sein, sondern meineSchwester. Auch die Schamanin war jetzt bei Aria angelangtund begrte sie.

    An diesem Abend schlachtete die Mutter eine Ziege und luddie Nachbarn zu einem Willkommensmahl ein. Sie saen langeums Feuer herum, und die Mnner und Frauen erzhlten alte

    Sagen ber den heiligen Berg und die Geister des Waldes.

    Am nchsten Tag stand Aria sehr frh auf, um mit ihrerMutter zu frhstcken. Danach sollte sie zur Htte derSchamanin kommen, denn es war Brauch, da die Mdchen inder Zeit zwischen ihrer Suche und dem Ereilen des Rufes derMondin bei der weisen Frau wohnten, die sie in den Dingenunterrichtete, die eine Frau wissen musste.

    Jeden Tag nun lernte Aria die alten Weisheiten. Sie lernte dieverschiedenen Kruter kennen, wo sie wuchsen und wofr mansie wie zubereiten mute. Sie lernte den Lauf der Sterne unddie Gesetze der Groen Mutter. Zuletzt wurde sie in dieWandlungsmysterien des Blutes eingefhrt.

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    Dann, eines Tages, war die Zeit der roten Mondingekommen. Aria erwachte mit einem leichten Unwohlsein. Die

    Schamanin sah sie prfend an: Der Ruf der Mondin hat dichereilt. Sie schlug die Decke zurck und Aria sah, da Blutzwischen ihren Schenkeln war. Jetzt war ihr Unwohlseinvergessen, sie wute, da heute der entscheidende Tag war.Die Schamanin brachte ihr eine Schssel mit Wasser. Zitterndvor Aufregung nahm Aria die Schssel entgegen. Sie wuschsich das Gesicht, die Hnde und zuletzt wusch sie das ersteBlut ab. Dann gab sie der weisen Frau die Schssel zurck.Diese murmelte einige Worte darber, tat Hafer und Gerstehinein und streute die Krner im Kreis vor der Htte aus. Dannrief sie die Priesterinnen zu sich, um das Ritual vorzubereiten.Die Priesterinnen stimmten jetzt einen alten Gesang an, der denFrauen im Dorf den besonderen Tag verkndete. Dort brachpltzlich eine rege Ttigkeit aus, denn die Frauen begannenjetzt mit den Vorbereitungen fr das Fest.

    Arias Mutter hrte den Gesang und ging zu der Truhe, in dersie die Kleidung fr ihre Tochter aufbewahrte, die sie in denvergangenen Tagen angefertigt hatte. Es waren Kleider fr eineFrau. Sie nahm sie aus der Truhe und strich mit ihren Hndenber den feinen Stoff. Dann wickelte sie sie zu einem Bndelzusammen und brachte sie zur Htte der Schamanin. Diesenahm sie schweigend entgegen.

    Aria durfte den ganzen Tag lang die Htte nicht verlassen,und voller Aufregung hrte sie dem geschftigen Treiben undden Geruschen, die aus der Hhle drangen, zu.

    Am Abend wurde sie von einer Priesterin abgeholt. Diesefhrte sie an der Hhle vorbei zu einer kleinen Anhhe, woeinige Priesterinnen und die Schamanin sie erwarteten. Einkleines Feuer brannte, und die Frauen stimmten eineneintnigen Gesang an. Neben dem Feuer war eine enge

    Felsspalte.

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    Die Priesterinnen entkleideten Aria und die Schamanin sprach:Nun ist die Zeit gekommen, von der Kindheit Abschied zu

    nehmen, um eine Frau zu werden. Aria, das Kind, mu sterben,damit die Frau leben kann.

    Aria zitterte, als die weise Alte ihre Kleidung dem Feuerbergab und ihr befahl, in die Felsspalte zu kriechen.

    Es war feucht und glitschig im Scho der Groen Mutter.Aria kroch mhsam den engen dunklen Schacht hinunter undbekmpfte ihre Angst. Sie kam nur sehr langsam vorwrts,doch in der Ferne sah sie ein Licht und sie hrte die Spracheder Trommeln. Einige Frauen stieen Schreie aus, als lgen siein Kindesnten. Dann kam Aria immer nher und eineFrauenstimme rief ihren neuen Namen.

    Aria kroch kopfber aus dem Schacht, sie war berall mitLehm bedeckt. Zwei Frauen empfingen sie und wuschen siemit klarem Wasser.

    Feierliche Ruhe kehrte ein, als die Schamanin auf sie zutrat,

    ihr eine Schale mit Milch reichte und zu ihr sprach: Nimmden Trank des Lebens, Zweimalgeborene. Das Mdchen ist tot.Akina, die Frau, ist aus dem Scho der Groen Mutter geborenworden. Den Segen der Gttin mit dir!

    Aria sah sich in der groen Hhle um, die sie vorher noch niebetreten hatte. Bilder waren an den Wnden von vielerleiTieren. Auch Handabdrcke sah sie, groe Spiralen, undberall waren die Symbole der Groen Gttin, Herrin berLeben und Tod, und die des gehrnten Jgers abgebildet.

    Eine Priesterin reichte der Schamanin jetzt das Bndel, dasAkinas Mutter morgens vorbeigebracht hatte, und Akina wurdeangekleidet. Eine Frau nach der anderen trat jetzt vor und gabihr den rituellen Begrungsku.

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    Dann geleiteten die Priesterinnen sie aus der Hhle undzogen mit ihr hinunter zum Dorf, wo die anderen Frauen und

    die Mnner und Kinder schon auf sie warteten.Bis tief in die Nacht hinein wurde getrommelt, getanzt,

    gesungen, gegessen und getrunken. Aria, das Mdchen, warjetzt Akina, die Frau.

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    Der Ruf der Gttin

    Die Monate gingen dahin.Akina wohnte wieder in der Htte ihrer Mutter, aus der sie

    erst am Tage nach der Geburt ihres Kindes ausziehen wrde,denn es war Brauch, da die Frauen eigene Htten bekamen,sobald sie Mutter wurden. Doch noch war es nicht so weit.

    Akinas Krper vernderte sich zusehends. Aus demschlaksigen Mdchen wurde eine wohlgeformte junge Frau.

    Die jungen Mnner des Dorfes warfen ihr immer fterverfhrerische Blicke zu. Ein junger Mann erregte ihrbesonderes Interesse, Txaro, der Sohn der Nachbarin, einerKusine ihrer Mutter.

    Sie hatten als Kinder fter zusammen gespielt. Als seine Zeitkam, verlor Akina ihn aus den Augen, da die Knaben, wenn siezum Mann heranreiften, das Dorf verlieen, um in einemanderen Dorf zu wohnen, zu lernen und zu arbeiten und erst

    nach ihrer Mannwerdung zurckzukehren. Auch sie erhieltendabei einen neuen Namen.

    Akina bemerkte, da Txaro sich ebenfalls verndert hatte.Seine Gestalt war krftiger geworden und seine Stimme wardie eines Mannes. Auch sein Verhalten hatte sich gendert.Aus dem frher so frechen, vorlauten Knaben war ein ruhigerernsthafter Mann geworden. Auch er hatte Prfungen auferlegtbekommen, bevor er zum Mann wurde.

    Als sich Akinas und seine Blicke trafen, huschte ein Lchelndes Wiedererkennens ber sein Gesicht, um sogleich demAusdruck der berraschung Platz zu machen. Akina erging esgenauso.

    Jetzt, da sie beide erwachsen waren, konnten sie nicht mehrso unbeschwert miteinander reden, wie in ihrer Kindheit. IhrVerhalten war nach bestimmten Regeln festgelegt, an die sich

    die jungen Mnner und Frauen zu halten hatten.

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    Auch wuten die beiden nicht den Namen des anderen, und dieNamen der Kindheit waren tabu.

    So lchelten sie sich nur jedesmal an, wenn sie sich irgendwobegegneten. Und das geschah sehr hufig, da die kinderlosenMnner und Frauen innerhalb des Dorfes dieselben Aufgabenhatten. Sie gingen auf die Jagd oder bestellten die Felder. Siehalfen ihren Eltern bei der Zubereitung des Essens oder holtenWasser und Feuerholz.

    Eines Tages, als Akina wieder auf dem Weg zur Wasserstellewar, begegnete ihr Txaro erneut. Auch er war auf dem Wegzum Wasser, und so gingen sie schweigend nebeneinander her.

    Kurz vor der Wasserstelle, die von ppigem Grn umstandenwar und von einem Bach gespeist wurde, der sich pltscherndber eine Felswand ergo, die neben dem kleinen Teichaufragte, wurde der Weg schmaler, und wie zufllig berhrtensich ihre Hnde. Akina durchfuhr ein prickelndes Gefhl derWrme. Sie blickte Txaro an, sah direkt in seine dunklen

    Augen und bemerkte, da er hnliches fhlte. Langsam, fastzgernd bewegten sich ihre Gesichter aufeinander zu. Sanftsprte Akina seine Lippen auf den ihren. Seine Handstreichelte zrtlich ihr Haar, als er sie mit sich ins Wasser zog.Dort umarmten sie sich und Akina hatte das Gefhl, als wresie endlich nach Hause gekommen.

    Die Sonnenstrahlen brachen sich in den Wassertropfen, dieihre Krper benetzten. Akina bog den Kopf zurck und lchelteTxaro an: Sie nennen mich jetzt Akina. Txaro erwiderte ihrLcheln: Als ich dich wiedergesehen habe, habe ich michsofort an dich erinnert, obwohl du dich verndert hast. Du bistviel schner als frher. Auch du hast dich verndert, aberauch ich habe dich wiedererkannt. Welchen Namen trgst dujetzt? Ich erhielt den Namen Tarane.

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    Pltzlich muten beide lachen. Die Anspannung war vonihnen gewichen. Wie ausgelassene Kinder tobten sie

    zusammen in dem khlen Wasser.Als sie beide mde waren, legten sie sich nebeneinander auf

    den warmen Erdboden und lieen sich von der Sonne trocknen.Gegen Abend fllten sie die Wasserkrge und gingen heim.Von nun an trafen sie sich fter und tauschten Erfahrungen

    aus, die sie in der langen Abwesenheit voneinander gemachthatten.

    So lernten sie sich immer besser kennen, und ihreanfngliche Verliebtheit wurde zu einer tiefen Liebe, was auchden anderen Dorfbewohnern nicht verborgen blieb.

    Schlielich entschlossen sich Akina und Tarane,zusammenzuleben. Nach altem Brauch mute dieser Entschluin der monatlichen Versammlung des Dorfes verkndetwerden, um zu prfen, ob Einwnde dagegen bestanden, weilschon andere Verpflichtungen eingegangen worden waren.

    War dies nicht der Fall, erklrte sich die Versammlung mitdem Entschlu des Paares, zusammenzuleben, einverstandenund jeder Partner bekam einen Paten, bzw. eine Patin zugeteilt,die sie bei eventuell auftretenden Problemen um Rat fragenkonnten. Innerhalb der ersten drei Jahre konnten sich diePartner jederzeit voneinander trennen, die Kinder blieben dannbei der Mutter. Erst nach Ablauf dieser Probezeit wurde dasoffizielle Hochzeitsritual abgehalten.

    Endlich war der Tag der neuen Mondin gekommen, an demdie Versammlung stattfinden sollte. Akina und Tarane trafensich abends vor der Htte und gingen gemeinsam zumVersammlungshaus.

    Als sie eintraten, waren die brigen Dorfbewohner schonversammelt.

    Auch die Schamanin und einige Priesterinnen und Priester

    hatten sich eingefunden.

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    Akina und Tarane traten vor den Rat der Alten undverkndeten ihren Entschlu. Die Sprecherin des Rates stand

    auf: Ist irgend jemandem hier bekannt, ob Akina oder Taranesich schon jemand anderem versprochen haben, dann mge erjetzt sprechen. Niemand erhob Einwand, als die Frau fortfuhr:Dann sei hiermit verkndet, da Akina und Tarane ein Paarsind. An Akina und Tarane gerichtet, beendete sie ihre Redemit den Worten: Der Segen der Groen Mutter sei mit euch!Dann bekamen die beiden ihre Paten zugeteilt. Anschlieendwurden die blichen Dinge besprochen, die fr das Dorfwichtig waren.

    Als die Versammlung beendet war, begab man sich zumDorfplatz, um dort das abschlieende Neumondfest zu feiern.Einige Dorfbewohner berreichten Akina und Tarane kleineGeschenke.

    Spt in der Nacht, als das Feuer heruntergebrannt war, wurdedas Paar zu der Hochzeitshtte geleitet, in der alle ihre erste

    gemeinsame Nacht verbrachten, die sich einander versprochenhatten.Dann waren sie endlich allein. Akina zog Tarane zu sich

    heran und kte ihn. Langsam ffnete sie ihr Gewand und liees zu Boden fallen. Tarane kte ihren Mund und ihre Brste.Danach kniete er sich vor ihr nieder und kte ihre Fe, ihreKnie und ihren Scho.

    Akina lie sich auf das Bett gleiten, das in der Mitte derHtte stand. Jetzt entkleidete sich auch Tarane und legte sichneben sie. Seine Hnde streichelten ihren ganzen Krper, derihn voller Sehnsucht erwartete. Noch nie waren sie sich sonahe gewesen. Ihre Erregung steigerte sich immer mehr.Pltzlich wurde der Innenraum der Htte in ein gleiendesLicht getaucht. Erschrocken hielten Akina und Tarane inne undblickten die Gestalt an, die inmitten des hellen Lichtes stand.

    Beide erkannten die Gttin, die jetzt zu sprechen begann:

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    Akina! Tarane! Ich mchte, da ihr mir beide dient.Vergeudet nicht eure Jungfrulichkeit fr einen kurzen

    Moment. Ihr seid fr Hheres bestimmt. Lange schon habe icheuch beobachtet. Ihr habt eine groe Aufgabe zu erfllen. Gehtmeinen Weg! Dann erlosch das Licht und die Gttinverschwand.

    Verwirrt blickten sich Akina und Tarane an. Vlligverunsichert zogen sie sich an und liefen zur Htte derSchamanin. Wenn ihnen jetzt jemand weiterhelfen konnte, wares die weise Frau.

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    Die Einweihung

    Die Schamanin hrte ihnen lange zu, bevor sie zu redenbegann: Die Gttin hat Anspruch auf euch erhoben, denGrund wei nur sie allein. Ihr knnt ihrem Weg folgen, oderihr entscheidet euch dagegen. Doch wisset, da niemandseinem Schicksal entkommen kann. Wie dem auch sei, dieEntscheidung liegt bei euch.

    Akina und Tarane dachten lange ber die Worte der

    Schamanin nach. Als der Morgen graute, hatten sie sichentschieden. Sie wrden den Weg der Gttin gehen.Fr die beiden bedeutete das, da sie sich nun ein Jahr und

    ein Tag lang nicht sehen wrden. Sie umarmten und ktensich ein letztes Mal zum Abschied, dann machte sich Akinaschweren Herzens auf den Weg zum Haus der Priesterinnen,das sie von nun an nicht mehr verlassen durfte, bis zum Tagder Initiation.

    Tarane ging in das Haus der Priester.Als Akina ankam, wurde sie schon von der Schamanin und

    einigen Priesterinnen erwartet, die sie zu dem Raum fhrten, indem die Novizinnen bis zu ihrer Einweihung schliefen undwohnten. Sie waren auch fr die Arbeiten im Hauseverantwortlich und halfen bei der Herstellung von Opfer- undRucherschalen sowie bei der Zubereitung der Kerzen, die frdie Rituale benutzt wurden.

    In den ersten Wochen vermite Akina den Geliebten sehr,und in den Nchten wlzte sie sich unruhig hin und her undkonnte vor Sehnsucht nicht einschlafen. Aber die Botschaften,die Tarane und sie sich gegenseitig zukommen lieen, lindertenihren Trennungsschmerz ein wenig, obwohl ihr seinekrperliche Nhe sehr fehlte.

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    Doch die Arbeit, die die Tage ausfllte, und die alten Mythen,die abends erzhlt wurden, lenkten sie von ihrem Kummer ab,

    und mit der Zeit ging es ihr wieder besser.

    Nachdem sie etwa ein halbes Jahr im Haus der Priesterinnenverbracht hatte, begann fr sie der Unterricht in den geheimenKnsten. Stundenlang sa sie nun vor einer Wasserschale undversuchte, ihren Geist empfnglich zu machen fr dieVisionen, die aus dem Wasser emporstiegen.

    Anfangs fiel es ihr sehr schwer, sich zu konzentrieren, dochdann, eines Tages, sah sie fr einen kurzen Augenblick dasGesicht Taranes, das sich auf der Wasseroberflche spiegelteund ein Gefhl der Freude durchzuckte sie.

    Von nun an gelang es ihr immer hufiger, Bilder im Wasserwahrzunehmen.

    Inzwischen war fast ein Jahr vergangen, und der Tag der

    Initiation rckte immer nher.Unterdessen war Akinas Zweites Gesicht so weit entwickelt,da sie fast tglich Kontakt mit Tarane hatte, und die mentaleVerbindung zwischen ihnen wurde immer intensiver.

    Dann jhrte sich der Tag ihres Einzuges in das Haus derPriesterinnen, und ihr letzter Tag als Novizin brach an.

    An diesem Tag wurde sie von allen Pflichten entbunden undblieb fr sich alleine. Morgens hatte die Schamanin ihr gesagt,da sie unter einem Schweigegebot stand und sich darber klarwerden sollte, ob sie dem Haus der Mutter dienen wollte.

    Akina kannte die Aufgaben, die auf sie als Priesterinzukommen wrden, und tief in ihrem Inneren wute sie, dasie stark genug war, die Prfungen, die ihr noch auferlegtwerden wrden, zu bestehen.

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    Als die Schamanin sie am Abend wieder aufsuchte, um ihrenEntschlu zu hren, wute sie, da ihre Entscheidung endgltig

    war. Nachdem sie ihre Wahl, der Gttin zu dienen, derSchamanin verkndete, lchelte diese: Ich habe auch nichtsanderes von dir erwartet. Dann bist du also bereit, zu sterbenund zu leiden? Nachdem Akina diese Frage bejaht hatte,fhrte die Schamanin sie in einen Nebenraum der Kulthhle.

    Hier wrde Akina nun die nchsten vierundzwanzig Stundenohne Nahrung und in absoluter Dunkelheit, zusammen mit denanderen Einzuweihenden, in vlligem Schweigen verbringen.

    Akina versuchte, den Raum mit ihrem sechsten Sinn zuerfassen, und sie sprte Taranes Anwesenheit. Auer ihnenwaren noch zwei oder drei andere Personen hier.

    Um sie herum war alles still. Nur ab und zu hrte manWassertropfen, die in einem der Gnge von der Hhlendeckefielen, und dessen Echo sich an den Wnden brach.

    Akina verlor jedes Zeitgefhl in der Finsternis, die sieumgab.Sie legte sich auf den Boden und schlief ein.

    Als sie wieder wach wurde und sich langsam tastend aufrichtete, hatte sie den Eindruck, als ob Lichter undNebelfetzen vor ihrem Gesicht tanzten, und sie nahm Umrissevon verschiedenen Gestalten wahr. Es schien, als wrde ihreMutter ihr zulcheln, dann sah sie Taranes Gesicht vor sich,wie er ihr aus der Wasserschale entgegenblickte. Dann wiedersah sie nur bunte Flecken.

    Akina wute nicht, ob es noch Tag oder schon wieder Abendwar. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit hinein, aberauer dem Echo der fallenden Wassertropfen und denAtemzgen der anderen hrte sie nichts.

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    Akina bekam Angst und ihr Herz schlug schneller. Es istalles in Ordnung, versuchte sie sich einzureden. Sie atmete

    tief durch, und langsam nahm das Angstgefhl ab.Auf einmal hrte sie Stimmen, die aus der Kulthhle

    drangen, wo die Priesterinnen und Priester alles fr das Ritualvorbereiteten. Nun konnte es nicht mehr lange dauern.

    In der Hhle begannen die Trommler, sich jetzt einzuspielen.Ab und zu hrte sie die Schamanin, deren Stimme auf- undabschwoll, und den Chor der Eingeweihten.

    Dann kamen Schritte nher. Eine Hand griff nach AkinasArm. Sie fhlte, wie ihr eine Binde um die Augen gelegtwurde. Die Person zog sie hinter sich her und die Stimmenwurden immer lauter. Dann verstummten sie. Akina wurde aufden Boden gezogen, wo sie sich hinkniete. Dann wurde dasTuch von ihren Augen entfernt.

    Das helle Licht nicht gewohnt, blinzelte Akina und blickteauf die Frau, die vor ihr stand.

    Es war die Schamanin, doch ihr Gesicht schien seltsamverndert. Es war jung und alt zugleich und wirkte sehrwrdevoll. Auch schien sie viel grer und majesttischer zusein. Ein inneres Leuchten ging von ihr aus und Akina begriff,da hier die Gttin vor ihr stand. Bist du bereit, mir zu dienenund dich ganz mir zu weihen? Akina bejahte. Daraufhinkamen zwei Frauen auf sie zu. Die eine begann, ihr die Haareabzuschneiden und gab sie der anderen, die sie in einenTonkrug legte, den sie der Gttin bergab.

    Danach wurde Akina bedeutet, sich auf den Boden zu legen.Die Gttin schritt auf sie zu und begann, eine eigenartige

    Melodie zu summen.

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    Dann legte sie ihre Hand auf Akinas Stirn. Akina fhlte, wiesie eine merkwrdige Schwche berfiel, dann war ihr, als

    verlre sie das Bewutsein.

    Akina wute nicht, ob sie wach war oder trumte. Sie sah,da die Gttin mit einem Messer in der Hand auf sie zukam.Starr vor Schreck und unfhig sich zu rhren, nahm Akinawahr, da sie regelrecht zerstckelt wurde, doch fhlte siekeinerlei Schmerzen. Erneut schwanden ihr die Sinne.

    Als sie wieder zu sich kam, bemerkte sie, da alle in einemKreis um sie herum standen. Akina fhlte sich seltsam. So, alsob ihr linkes Bein und ihr rechter Arm nicht ganz zu ihrgehren wrden. Verwirrt blickte sie die Gttin an, die zu ihrsprach: Erhebe dich, meine Tochter und sei von nun an meinePriesterin.

    Die Trommeln und der Gesang setzten wieder ein, als dieGttin Akina das Spiel bergab, das fr sie gefertigt worden

    war. Man nannte es auch das Buch der Weisen, da in seinenSymbolen die Wege eines jeden Menschen aufgezeichnetwaren.

    Danach reihte sie sich in die Gruppe der tanzenden Mnnerund Frauen ein. Unter ihnen war auch Tarane, der vor ihrinitiiert worden war, und das erste Mal seit langer Zeitumarmten sich die beiden wieder.

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    Das Ritual

    Seit Akina und Tarane initiiert worden waren, sahen sie sichwieder tglich. Die lange Zeit der Trennung hatte beide reifergemacht, und auch die Erfahrung der Initiation hatte ihreSpuren hinterlassen. Ihre Liebe war auf eine harte Probegestellt worden und hatte sich dadurch vertieft.

    Obwohl die beiden fters das Bedrfnis versprten, sicheinander vllig hinzugeben, war da doch immer etwas, was sie

    zurckhielt. So begngten sich Akina und Tarane damit,einander zu spren, indem sie sich aneinanderschmiegten undZrtlichkeiten austauschten, so wie sie es schon frher getanhatten.

    Akina und Tarane wohnten weiterhin im Haus der Mutterund wurden gemeinsam mit den anderen unterrichtet. Sielernten die heiligen Gesnge und Tnze. Sie lernten, ihreseherische Gabe zu verbessern und wurden in verschiedenen

    Heilmethoden unterrichtet. Auch im Gebrauch des Buch derWeisen machten sie Fortschritte.

    An einigen Tagen besuchte Akina ihre Mutter, dieinzwischen zum Rat der Alten gehrte. Dann saen die beidenFrauen stundenlang zusammen, und die Mutter erzhlte ihrGeschichten aus ihrer eigenen Kindheit. Auch ber ihren Vater,der whrend einer Jagd ums Leben gekommen war, erfuhrAkina eine Menge. Sie war damals noch zu jung gewesen, umsich an ihn zu erinnern, und ihre Mutter wollte nicht viel berihn reden, da sie die Erinnerung daran schmerzte.

    Doch jetzt, da sie alt war, wute sie, da Akina ein Rechtdarauf hatte, mehr ber ihn zu wissen.

    Akina geno diese Nachmittage bei ihrer Mutter sehr, dochnoch mehr geno sie es, mit Tarane zusammen zu sein.

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    Eines Tages, als sie mit Tarane unterwegs war, um Kruterzu sammeln, holte sie eine junge Frau ein, die ihr ganz

    aufgeregt zu verstehen gab, da ihre Mutter nach ihr verlangte.Akina und Tarane rannten so schnell wie sie nur konnten zur

    Htte von Akinas Mutter. Die Schamanin war bereits dort. Alsdie beiden eintraten, drehte sie sich nach ihnen um. In ihremGesicht stand der Ausdruck des Bedauerns, als sie sich zuAkina wandte: Ich habe alles versucht, doch hier versagenmeine Krfte. Ihre Zeit ist gekommen. Trnen liefen Akinaber das Gesicht, als sie sich am Bett ihrer Mutter niederkniete.Die Mutter strich ihr die Trnen fort. Kind, mach es mir nichtso schwer, zu gehen. Du wutest, da es eines Tages so weitsein wrde. Sie ist gekommen, um mich zu holen und ich habekeine Angst. Denke immer daran, da ich dich liebe und folgedeinem Herzen. Sei sicher, da wir uns wiedersehen.

    Dann warf sie noch einen Blick auf Tarane, der inzwischennhergekommen war und seinen Arm um Akina gelegt hatte.

    Sie lchelte beide an. Dann starb sie.Schluchzend warf sich Akina in Taranes Arme, whrend dieSchamanin ihre Trommel schlug, um dem Dorf zu verknden,da Akinas Mutter tot war. Nach einer Weile wandte sie sichan Akina und gab ihr zu verstehen, da es jetzt Zeit wre, dieTrauerzeremonie vorzubereiten.

    Einige Priesterinnen brachten Quellwasser, in das bestimmteKruter eingelegt waren, damit Akina an ihrer Mutter dierituelle Waschung vornehmen konnte. Danach wurde ihrKrper in das beste Gewand gekleidet, das in der Htte zufinden war, und Akina legte ihr den Schmuck an, den sieimmer getragen hatte.

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    Die nchsten drei Nchte wrde Akina zusammen mit Taranein der Htte die Totenwache halten. Whrend dieser Zeit

    bereitete die Schamanin zusammen mit den Priesterinnen undPriestern die Begrbniszeremonie vor, die am dritten Tagabgehalten werden sollte.

    Als der Tag gekommen war, kamen die Nachbarn mit einerTrage zur Htte und betteten die Tote darauf. In einem langenZug ging es nun zur Begrbnissttte. Unmittelbar hinter derTrage ging Akina, die in einer Kiste die Habseligkeiten derToten sowie ihre Haushaltsgegenstnde trug, denn alles, wasdie Tote besessen hatte, wurde ihr mit ins Grab gegeben. AlsAkinas Mutter beerdigt worden war, trat jeder, der sie gekannthatte, vor und erzhlte, was er ber die Verstorbene wute.

    Zuletzt trat die Schamanin vor, die die Gtter beschwor, dieTote liebevoll auf die andere Seite hinberzugeleiten und sieebenso liebevoll dort zu empfangen.

    Nachdem dies geschehen war, begannen alle mit dem

    rituellen Leichenschmaus, in dessen Verlauf noch vieleGeschichten ber die Tote erzhlt wurden.Akina trauerte noch lange Zeit um ihre Mutter, doch dank

    Taranes Hilfe begann sie, wieder Spa am Leben zu haben.Besonders halfen ihr die langen Gesprche und seineZrtlichkeiten ber den Verlust hinweg.

    Nach einiger Zeit jedoch bemerkte Akina, da Tarane sichmehr und mehr von ihr zurckzog. Auch ihre gemeinsamenUnternehmungen wurden seltener. Als sie versuchte, ihndaraufhin anzusprechen, reagierte er bekmmert und gab ihr zuverstehen, da er nicht darber reden drfe.

    Akina fing an, sich Sorgen um ihn zu machen. Alle ihreVersuche, mental zu ihm vorzudringen, miglckten, und ihrschien, als wren alle seine Gedanken von einer Mauer

    umgeben.

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    In ihrer Sorge um Tarane suchte sie die weise Frau auf. Diesenickte, als sie den Grund fr Akinas Besorgnis erfuhr: Tarane

    befindet sich zur Zeit in einer Phase der Priesterausbildung, dievon ihm hchste Konzentration verlangt. Er wird auf einebesondere Aufgabe vorbereitet. Mehr darf ich dir dazu nichtsagen. Gib ihm Zeit, und dringe nicht weiter in ihn!

    Akina hielt sich an diese Anweisung, doch es tat ihr weh, zusehen, wie der Geliebte ihr mehr und mehr entglitt.

    Eines Tages erffnete er ihr, da er sie fr lngere Zeit nichtmehr sehen knne, seine Aufgabe wrde es verlangen. Akina,die die Antwort der Schamanin noch im Ohr hatte, blieb nichtsanderes brig, als diese erneute Trennung zu akzeptieren, undtraurig begab sie sich zum Haus der Priesterinnen.

    Noch am selben Abend verlangte die Schamanin, sie zusehen. Mit ernstem Gesicht begann sie zu reden: Akina, als dudich entschlossen hast, dem Haus der Mutter zu dienen,

    wutest du, da dich noch viele Prfungen erwarten wrden.Du wurdest erwhlt, das hchste Ritual durchzufhren. Akinaerschrak. Sie fhlte sich innerlich nicht bereit dazu, diesePrfung zu bestehen. Doch sie hatte ihren Schwur geleistet, derGttin zu dienen, und sie mute die Konsequenzen auf sichnehmen. Die weise Frau bemerkte ihre Unsicherheit: Habkeine Angst. Du wirst auf deine Aufgabe gut vorbereitetwerden.

    Schon am nchsten Tag begann die Schamanin, sie auf dashchste Ritual vorzubereiten. Schritt fr Schritt wurde Akinanun in das Mysterium der heiligen Hochzeit eingefhrt.

    Dann war der groe Tag gekommen. Als die Sonne ihrenhchsten Stand erreicht hatte, wurde Akina von jngerenPriesterinnen in klarem Wasser, dem wohlriechende Essenzen

    beigesetzt worden waren, gebadet.

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    Dann kleideten die Frauen sie in ein weies Gewand aus einemso feinen Stoff, wie ihn Akina noch nie gesehen hatte. Ihr

    frischgewaschenes Haar wurde sorgfltig gekmmt, und aufihren Kopf setzten sie eine Krone aus jungen Birkenzweigen.

    Einige Zeit spter kam die Schamanin hinzu und stellte ihrdie Rituelle Frage: Willst du die Liebe, die schmerzt? Akinabejahte die Frage. Daraufhin wurde sie in die Kulthhlegeleitet, wo das Fest schon in vollem Gange war.

    Als Akina eintrat wurde sie freudig begrt. Dann setztenerneut die Trommeln ein. Immer schneller und schneller wurdeder Rhythmus, und alle Anwesenden wirbelten in ausgelassnerStimmung um Akina herum. Die Augen einiger Tnzer warenweit aufgerissen ins leere gerichtet. Sie befanden sich inTrance. Auch Akinas Bewutsein begann, sich zu verndern,doch noch musste sie sich unter Kontrolle halten.

    Dann wechselte der Trommelrhythmus und am Hhleneingang

    erschien eine Gruppe von Priestern, die in Tierfelle gekleidetwaren. In ihrer Mitte erblicket Akina Tarane, von dem einemajesttische Ausstrahlung ausging.

    Immer nher und nher kamen die Mnner, bis Tarane ganzdicht vor Akina stand. Seine Pupillen waren stark geweitet, undin der Tiefe seiner Augen glomm ein blaues Licht.

    Seine machtvolle Ausstrahlung zog Akina in ihren Bann. IhreSinne begannen zu schwinden, als er sie durch die Reihe derekstatisch tanzenden Mnner und Frauen mit sich zog und indie Nebenhhle fhrte. Die Anweisungen der Schamanin, diesie bekommen hatte, als sie in das Mysterium eingeweihtwurde, schossen ihr durch den Kopf, als sie ihr Gewand auszogund auf den Boden fallen lie.

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    Dann gab sie sich dem Gehrnten hin. Als er in sie eindrang,berlie Akina sich der Trance, die sie bis dahin unterdrckt

    hatte. Wie aus weiter ferne hrte sie ihren Schrei wiederhallen,dann schlugen die Wellen ber ihr zusammen, und sie warnicht mehr sie selbst.

    Als sie wieder zu sich kam, tanzte sie mit Tarane in mitteneiner Massen von Leibern. Sie blickent sich in die Augen undAkina konnte Taranes Gedanken hren. Es war wie damals, alsihr der Wolf begegnete.

    Akina und Tarane waren eins, verbunden durch die heiligeHochzeit. Ihre Hochzeit!

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    Der Flug der Seele

    Einige Wochen nach der heiligen Hochzeit stellte Akina fest,da das Ritual nicht ohne Folgen geblieben war. Sie hatte einKind des gehrnten Gottes empfangen.

    Freudig erzhlte sie es Tarane und der Schamanin, diedaraufhin vorschlug, da sie beide von nun an in der Htte vonAkinas Mutter wohnen sollten. Beide stimmten ihr zu, und sozogen Akina und Tarane in die Htte, die lange Zeit Akinas

    Zuhause gewesen war.Die Tage vergingen. Da Akinas Mutter tot war, unterrichtete

    Taranes Mutter Akina in allem, was fr eine werdende Mutterwichtig war. Auch die Schamanin unterwies sie im Gebrauchder Kruter, die ihr Kraft und Strke verleihen sollten. Siezeigte Akina auch diejenigen Pflanzen, die whrend derSchwangerschaft tabu fr sie waren, da sie das

    heranwachsende Leben gefhrden konnten.Tarane kmmerte sich rhrend um sie und sorgte dafr, da

    sie mglichst die beste Nahrung zu sich nahm. Seine Mutterbrachte ihr tglich frische Milch, und Akina blhte von Tag zuTag mehr auf.

    Eines Tages jedoch wurde Akina nach dem Essen unwohl.Obwohl sie sich einen Krutertee zubereitete und sich hinlegte,wollte das Gefhl nicht von ihr weichen. Als sie auch nochSchmerzen im Unterleib bekam, lief Tarane zum Haus derMutter, um die weise Frau herbeizuholen. Als diese eintrat,hatten bei Akina schon Blutungen eingesetzt. Bleich vorSchreck sah sie die Schamanin an. Ich verliere mein Baby!,brach es unter Trnen aus Akina heraus, Bitte, hilf mir! DieSchamanin bereitete einen Krutersud, den sie Akina einflte.

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    Dabei fiel ihr Blick auf die Kruter, die Akina zum Wrzenverwendet hatte. Sie hatte versehentlich Gelbknopfkraut unter

    das Gewrz gemischt, und diese Pflanze hatte das Einsetzender Blutungen ausgelst.

    Die Schamanin ging mit Tarane vor die Htte. Ich kannleider nichts fr sie tun. Ich habe ihr etwas zur Beruhigunggegeben, sie wird jetzt erstmal schlafen, wenn sie wach wird,bereite ihr einen Aufgu aus diesen Krutern. Sie gab ihm einKraut, dessen Bltter wie kleine Herzen aussahen. Dannversprach sie noch, am Abend wiederzukommen, um nachAkina zu sehen.

    Akina machte sich schwere Vorwrfe, weil sie nicht besseraufgepat hatte. Sie htte die gefhrlichen Kruter nicht in derHtte aufbewahren drfen, dann wre es nicht dazugekommen. Tarane versuchte, sie zu trsten, doch Akinavergrub sich immer tiefer in ihrem Schmerz. Dagegen war auch

    seine Liebe machtlos.Akina wollte keinerlei Nahrung mehr zu sich nehmen, undnachts weinte sie sich in den Schlaf. Tarane sah hilflos zu, wiesich ihr Zustand mehr und mehr verschlechterte. All seineBemhungen, sie aus ihrer Apathie zu reien, warenvergeblich. In seiner Not flehte er die Gttin um Hilfe an.

    Eines Nachts hatte Akina einen Traum, in dem ihr die Gttinerschien. Was geschehen ist, ist geschehen. Du kannst es nichtmehr ndern. Hr auf, zu trauern, Akina! Es gibt noch so vieleAufgaben, die auf dich warten. Ihre Hand streichelte berAkinas Haar, dann verschwand die Gttin. Als Akina amnchsten Morgen erwachte, fhlte sie sich besser. Taraneblickte sie erstaunt an, als sie ihm nach langer Zeit wiederzulchelte. Erleichtert umarmten sie sich.

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    Tag fr Tag ging es Akina wieder besser. Auch dieSchamanin war erleichtert darber, da Akina ber den Verlust

    hinweg war.Eines Tages erffnete sie Akina, da es jetzt an der Zeit

    wre, ihre Ausbildung fortzusetzen. Akina sollte im Flug derSeele unterrichtet werden.

    Zuerst sollte Akina sich der Zweiheit von Krper und Seelebewusst werden, um sich dann in Trance von ihrem Krper zulsen.

    Diese bungen forderten hchste Konzentration von ihr, undso manches Mal, wenn der Versuch ergebnislos verlaufen war,verlie sie der Mut. Doch Tarane, der ebenfalls in diesenDingen unterrichtet wurde, und die Schamanin untersttzten siein ihren Bemhungen.

    Dann, eines Tages, als sie wieder ihre ganze Energie

    zusammennahm, um den Austritt herbeizufhren, hatte sieErfolg. Ein Gefhl der Leichtigkeit berkam sie, und sie sahihren Krper auf weichen Fellen in der Htte liegen. DieSchamanin sa, in meditativer Haltung versunken, neben ihrauf dem Boden.

    Als sich Akina von der Szene abwandte, bemerkte sie, dadie weise Frau ebenfalls ihren Krper verlassen hatte und jetztneben ihr stand. Die beiden Frauen grinsten sich an. Jetzt hastdu es geschafft, sagte die Schamanin zu ihr. Obwohl sie ihreLippen nicht bewegte, konnte Akina ihre Worte deutlich hren.Fr's erste la es genug sein. Nun kommt es darauf an, wiederin den Krper zurckzukehren.

    Akina betrachtete ihren Krper. Er schien ihr so vllig fremd,wie sie ihn so leblos da liegen sah.

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    Die Anweisungen der weisen Frau kamen ihr wieder in denSinn, und sie begann, sich auf ihren Krper in allen

    Einzelheiten zu konzentrieren.Das nchste, was sie wahrnahm, war, da sie wieder auf dem

    Bette lag.Von nun an fiel es ihr immer leichter, ihren Krper zu

    verlassen. Zusammen mit der Schamanin begab sie sich nun anandere Orte. Auch die heilige Quelle, an der Akina ihremKrafttier begegnet war, suchten sie auf. Manchmal benutztensie auch Tiere, um zu einem anderen Ort zu gelangen.

    Dann war es soweit. Akina sollte zum ersten Mal alleineausfliegen. Die Schamanin wrde nur eingreifen, wenn Akinanicht mehr zurckfinden sollte. Aufgeregt lie sich Akina aufdem Platz nieder, von dem aus sie schon fter ihre Reisenbegonnen hatte. Dann begab sie sich in Trance und verlieihren Krper.

    Auf den Schwingen eines Adlers reiste sie, und unter sich sah

    sie die Landschaft dahinfliegen. Sie kam zu dem heiligen Bergund berflog ihn, weiter und immer weiter, bis sie in eineGegend kam, in der sie nie zuvor gewesen war. EineRauchsule fesselte ihr Interesse, und sie flog auf eineLichtung zu.

    Was sie dort sah, erschtterte sie zutiefst. Mnner inseltsamen Gewndern mit ausrasierten Haarkrnzen fllten einegroe, stmmige Eiche. Andere rissen heilige Statuen um undverbrannten sie im Feuer, whrend wieder andere die Leute mitWaffengewalt zurckdrngten, die versuchten, sie an ihremTun zu hindern. Akina sprte die Atmosphre derVerzweiflung und des ohnmchtigen Hasses, die die Gruppevon Mnnern und Frauen umgab, die der Zerstrung ihresHeiligtums tatenlos zusehen mussten.

    Aufs hchste beunruhigt, machte sich Akina auf den

    Rckweg, um der Schamanin Bericht zu erstatten.

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    Diese war nicht sonderlich berrascht, denn auch sie hatteschon seit einiger Zeit Visionen empfangen, die ihr hnliche

    Bilder zeigten. Doch sie wute, da fr das Dorf keinerleiGefahr bestand.

    So nickte sie nur, als sie Akinas Bericht vernahm undberuhigte sie. Deine Priesterinnenausbildung ist nun beendet.Nun weit du alles, was ich dir beibringen konnte. Allesweitere liegt nun in den Hnden der Gtter.

    Akina hatte whrend der Jahre ihrer Ausbildung alles gelernt,was eine Hohepriesterin wissen mute. Sie kannte die heiligenTnze, Gesnge und Mythen. Sie wute, wie die Ritualedurchgefhrt werden muten, um die Gtter zu erfreuen. Siewar in den geheimen Knsten unterrichtet worden und wutesie anzuwenden. Sie hatte alle ihre Sinne geschrft. Auch dieHeilkraft der Pflanzen war ihr bekannt, und jetzt beherrschtesie auch die hohe Kunst des Reisens auf dem Wind.

    Die Schamanin war sehr zufrieden mit Tarane und ihr, dennsie waren beide ihre besten Schler gewesen. Nun sollten siedie hchste Weihe empfangen, um die Nachfolge der weisenFrau anzutreten, die sich von nun an nur noch der Heilkunstwidmen wollte. Akina und Tarane sollten die Ausbildung derPriester und Priesterinnen bernehmen und den Ablauf derZeremonien leiten.

    Doch zuvor muten sie vor allen Eingeweihten die Prfungablegen, die zeigen sollte, ob sie fr das Amt der hchstenPriester geeignet waren. Dieser Test war so angelegt, da ernur zu bestehen war, wenn Akina und Tarane ihrebersinnlichen Fhigkeiten einzusetzen wuten.

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    Whrend die Schamanin die Prfung fr die beidenvorbereitete, hatten einige Priester und Priesterinnen die

    Aufgabe, Akina und Tarane mental abzuschirmen, um zuverhindern, da diese von der Art des Tests erfuhren.

    Als es Abend wurde und sich alle in der Kulthhleeingefunden hatten, trat eine Frau auf die beiden zu undverkndete die Art des Tests. Tarane sollte einen Gegenstandausfindig machen, den die Schamanin im Laufe des Tagesirgendwo verborgen hatte. Akina hatte die Aufgabe, die Seeleder Schamanin zu finden, die sich an einen geheimen Ortbegeben hatte, whrend ihr Krper, bewacht von zweiPriesterinnen, in der angrenzenden Hhle lag.

    Tarane fllte eine Schale mit Wasser und konzentrierte sichdarauf, den Ort zu sehen, an dem die Schamanin etwasversteckt hatte. Unterdessen begab sich Akina ebenfalls inTrance, um ihren Krper zu verlassen. Sie hoffte, da ihre

    Sinne geschult genug waren, um die silbrig leuchtende Spurwahrzunehmen, die eine Seele auf ihrer Wanderschafthinterlt.

    Nach einiger Zeit erhob sich Tarane und begab sich nachdrauen. Bald darauf kehrte er zurck und hielt triumphierendeinen Stein hoch, der mit Runen markiert war.

    Wenig spter kehrte auch Akina von ihrer Reise auf. demWind zurck. Als sie sich erhob, trat auch die Schamanin ausder Nebenhhle in die Kulthhle. Sie identifizierte den vonTarane gefundenen Stein als den von ihr verborgenen undgratulierte beiden zur bestandenen Prfung.

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    Dann wandte sie sich an die Anwesenden. Vor euer allerAugen haben Akina und Tarane die Prfung abgelegt und

    bewiesen, da sie wrdig sind, das Amt der Hohenpriesterinund des Hohenpriesters zu bekleiden. Sie befahl beiden,vorzutreten. Dann legte sie ihnen den Halsschmuck um, der dieInsignien der Macht ihres hohen Amtes reprsentierte. Akinaerhielt einen silbernen Halsreif, Tarane einen goldenen.Anschlieend segnete die Schamanin den Kelch mit demheiligen Wasser und lie beide daraus trinken. Dann erhob siesegnend ihre Arme. Mgen die Gtter euch schtzen und euchdie Macht verleihen, als hchste Priesterin und hchsterPriester weise und gerecht zu handeln. Der Segen der Gttersei mit euch!

    Die Trommeln setzten ein, und das Fest zu Ehren von Akinaund Tarane begann. Sie hatten jetzt die verantwortungsvolleAufgabe der Hohenpriesterin und des Hohenpriesters.

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    Das Tor zur anderen Welt

    Akina und Tarane hatten die Ausbildung der jungen Priesterund Priesterinnen bernommen und waren nun fast tglich imHaus der Mutter, um die Fortschritte ihrer Schler zubegutachten. Inzwischen war Akina wieder schwangergeworden, und sie und Tarane freuten sich sehr auf das Kind.

    Eines Tages, als Akina gerade mit den Vorbereitungen fr

    das Frhlingsfest beschftigt war, berfiel sie ein Schmerz, derwie eine Welle ber ihren Krper lief, und sie sprte, wie dasFruchtwasser an ihren Beinen herunterrann. Akina winkte eineltere Priesterin zu sich heran und bertrug ihr die Aufgabe, frdie Vorbereitung zu sorgen. Dann schickte sie eine anderePriesterin zur Schamanin und begab sich in ihre Htte.

    Einige Zeit spter traf auch die Schamanin mit Taranezusammen ein.

    Sie breitete ein weiches Schaffell auf dem Boden aus. Dannbereitete sie einen Tee aus wohlschmeckenden Krutern, denalle gemeinsam einnahmen. Von Zeit zu Zeit stand Akina aufund ging in der Htte hin und her. Gegen Abend kamen dieWehen fter und strker und whrend der Nacht steigerten siesich. Als die Schamanin gegen Morgen feststellte, da dieGeburtsphase jetzt begann, beschwor sie die Gttin herab, umAkina beizustehen.

    Dann wies sie Tarane an, sich auf den Boden zu knien, soda Akina sich in hockender Stellung auf das Fell setzenkonnte, wobei Tarane sie sttzte. Unterdessen hatten sicheinige Frauen vor der Htte eingefunden und sangen denrituellen Geburtsgesang, wobei sie bestimmte Kruterverbrannten, um die bsen Geister daran zu hindern, demNeugeborenen zu schaden.

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    Akina berlie sich ganz den Anweisungen der weisen Frauund dem Rhythmus der Geburt, der in gewaltigen Wellen durch

    ihren Krper lief.Dann war das Kind da. Die Schamanin nabelte das winzige

    Wesen ab, legte es auf den Boden der Htte und hielt es dannin die Luft, um es den Gttern zu weihen. Dann gab sie esAkina, die es an ihre Brust legte, wo es auch sofort zu trinkenbegann. Es ist ein Mdchen. Erschpft sah Akina ihr Kindund Tarane an. Nachdem ihre Tochter getrunken hatte, gabAkina sie Tarane, und dieser trat mit ihr vor die Htte undzeigte dem Neugeborenen die Sonne, den Wald und das Dorf.

    Als er wieder mit seiner Tochter in die Htte trat, hatte dieweise Frau Akina ins Bett gelegt und flte ihr eine strkendeSuppe ein. Dann reichte Tarane der neuen Mutter das Kind.Glcklich streichelte Akina ihre Tochter und sah Tarane an.Sie soll Shana heien. Dann schlief sie erleichtert ein.

    Akina und Tarane kmmerten sich liebevoll um ihre kleine

    Tochter. Tagsber nahm Akina sie mit in das Haus der Mutter,denn sie hatte den Unterricht wieder aufgenommen, nachdemsie sich von den Strapazen der Geburt erholt hatte. So wuchsShana heran.

    Als sie ein Jahr alt war, starb die Schamanin. Sie war inletzter Zeit immer schwcher geworden und lie sich nur nochselten sehen. Wenn sie ihre Htte verlie, mute sie von zweiPriesterinnen gesttzt werden.

    Akina besuchte sie sehr oft und brachte ihr das Ntigste. Siesorgte auch dafr, da immer eine junge Priesterin in der Httewar, die der weisen Frau helfend zur Hand ging.

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    Als die Schamanin ihre Augen fr immer schlo, war dies eintrauriger Tag fr das ganze Dorf. Akina und Tarane, die an

    ihrem letzten Tag bei ihr waren, vermiten ihre weise Lehrerinsehr, doch sie hatten nicht viel Zeit, um sie zu betrauern, da siedie Begrbniszeremonien vorbereiten muten.

    Am Tag ihrer Beerdigung kamen auch Menschen ausanderen Drfern, denn die weise Frau war bis ber die Grenzenihres Dorfes hinaus bekannt und geachtet gewesen.

    Eines Nachts trumte Akina von ihr. Sie lud Akina in ihreHtte ein und zeigte ihr eine Truhe. Als Akina diese ffnenwollte, verschwand die Truhe und Akina erwachte.

    Dieser Traum wiederholte sich mehrmals, und Akina sprachmit Tarane darber. Danach stand ihr Entschlu fest. Sie wollteversuchen, in die Anderswelt zu reisen, um die Schamaninaufzusuchen, denn sie war berzeugt davon, da diese einewichtige Botschaft fr sie hatte. Akina wute, da ihre

    Fhigkeiten nicht ausreichen wrden, um in die Schattenweltzu gelangen. Sie mute die Pflanzen der Gtter anwenden, umber die Grenze zu gelangen.

    Tarane, der wute, wie riskant der Gebrauch der heiligenPflanzen war, versuchte, Akina von ihrem Plan abzubringenund bat sie, noch mal darber nachzudenken.

    In der folgenden Nacht hatte Akina erneut einen Traum, indem ihr die Schamanin erschien. Wir brauchen dich, Akina!Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.

    Am nchsten Tag erzhlte Akina Tarane ihren Traum. Ichglaube, es wre falsch, dich von deinem Vorhabenabzubringen. Ich sehe nun, da du tun mut, was sie von dirverlangen. Schweren Herzens stimmte sie ihm zu. Sie wutenicht, was sie erwartete. Vor Jahren einmal, so hatte es ihnendie Schamanin einst erzhlt, hatte ein Priester die heiligen

    Pflanzen benutzt, um in die Anderswelt zu reisen.

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    Als er wieder zurckkam, hatte sich sein Wesen vlliggendert. Er redete wirres Zeug und hatte seine seelische

    Balance verloren. Wenige Monate spter starb er in geistigerUmnachtung. Die Pflanzen der Gtter kommen zu euch, wenndie Zeit reif dafr ist. Sie knnen euch den Weg in dieAnderswelt zeigen, doch seid gewarnt, Licht und Schattenliegen auf diesem Weg nahe beieinander, hatte ihnen dieweise Frau damals gesagt.

    Akina und Tarane kannten die Pflanzen, die fr das Ritualerforderlich waren, und sie wuten auch, wie sie zuzubereitenund anzuwenden waren.

    In den nchsten Wochen sammelten sie die Kruter, die dannin der Sonne getrocknet und mit Hhnerfett zusammen zu einerPaste verarbeitet wurden.

    Bei der nchsten schwarzen Mondin verabschiedete Akinasich von Tarane und Shana und begab sich in die Htte der

    Schamanin, wo sie schon von zwei Priesterinnen erwartetwurde. Sie begannen das Ritual mit dem Gedenken an dieToten und flehten die Gtter um Schutz fr Akinas Reise an.Dann entkleidete sich Akina, und die Priesterinnen rieben siemit dem Fett ein. Akina legte sich auf die Schlafsttte. Dannlieen die Priesterinnen sie allein.

    Nach einer Weile sah Akina ein schwarz gekleidete Gestalt inder Htte. Bist du bereit, dein Leben aufzugeben und zusterben? Akina begann, zu zittern. Von jetzt an gibt es keinZurck mehr. Es wird fr dich kein Morgen mehr geben.Sobald du einschlfst, schlfst du fr immer! Akina bekamAngst. Todesangst. Sie wollte nicht sterben. Tarane und Shanabrauchten sie doch! Schweigebadet wlzte sie sich hin undher. Du mut sterben!, fuhr die Stimme fort. Panik berfielAkina. Sie durfte nicht einschlafen. Durfte nicht!

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    Die drohenden Worte der schwarz gekleideten Gestalt drhntenin ihrem Kopf. Schlielich fiel sie in einen leichten Schlaf.

    Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich in einem dunklenRaum, oder war das gar kein Raum? Es schien ihr, als stndesie vor einer Brcke, die ins Nirgendwo fhrte. Sie sahniemanden, doch sie hrte eine Stimme. Dies ist der Ort, woja nein und nein ja ist. Willst du die Brcke berqueren?Akina berlegte. Sie wollte hinber, aber wie sollte sieantworten? Ja! Wirklich nicht? Nein! Gut, dann gehund wisse, alles ist egal, es gibt keinen Unterschied!

    Als Akina die Brcke betrat, begann diese, sich zu drehen.Schneller und immer schneller wirbelte sie herum, bis Akinabeinahe die Sinne schwanden.

    Dann sah sie die Schamanin auf sich zukommen. Ich binfroh, da du dich entschlossen hast, den gefhrlichen Weg zuwagen. Sie fhrte Akina zu einem kleinen Teich und lie sie

    hineinschauen. Die Bilder, die aus dem dunklen Wasseremporstiegen, lieen Akina erzittern. Sie sah, wie dieHeiligtmer der Gtter zerstrt wurden. Die Menschen wurdengezwungen, sich einem anderen Glauben zu unterwerfen.Diejenigen, die weiterhin die alten Kulte feierten, wurdenverfolgt und vertrieben. Dann sah Akina Feuer, in denenMenschen und Tiere verbrannt wurden. Entsetzt wandte siesich ab. Die Tage der Gtter sind gezhlt. Es werden vieleMnner kommen, die den Menschen einen neuen Glaubenbringen. Wenn sie euch nicht berzeugen knnen, werden sieeuch zwingen. Der Kampf hat schon begonnen. Bald werdensie berall sein, und alles, was an unsere Gtter erinnert, wirdzerstrt werden. Deshalb habe ich dich gerufen. Du hast diegroe Aufgabe, unser heiliges Wissen zu verschlsseln, so dasie es nicht finden knnen. Es wird offen vor ihren Augen

    liegen, aber sie werden es nicht sehen.

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    Das ist die einzige Mglichkeit, um den alten Weg zu schtzen.Wenn die Zeit wieder bereit sein wird fr das alte Wissen,

    werden die Gtter die Mysterien offenbaren, und die altenWege werden sich wieder zeigen. Gehe nun, und erflle deinSchicksal! Die Schamanin umarmte Akina und sie fhlte, wieeine gewaltige Energie in sie flo. Dann stand sie, wie in hellesLicht getaucht, da.

    Als sie wieder erwachte, lag sie in der Htte. DiePriesterinnen sahen sie verwundert an. Akinas Augen strahltenin berirdischem Glanz, und sie war von tiefer Harmonieerfllt. Die Kraft der Schamanin war auf sie bergegangen. DiePriesterinnen berichteten ihr, da Tarane sich groe Sorgen umsie gemacht habe, da sie drei Tage lang wie tot da gelegenhatte.

    Akina begab sich sofort zu ihrer Familie und erzhlte Taraneund Shana von ihrer Begegnung mit der weisen Frau. DieVisionen verschwieg sie zunchst. Sie wrde Tarane und den

    anderen spter davon berichte. Jetzt wollte sie sich erst einmalausruhen.Am nchsten Tag erwachte sie sehr frh. Der Auftrag der

    Schamanin ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Die einzelnenStationen ihres Initiationsweges kamen ihr in den Sinn. Dabeifiel ihr Blick auf das Buch der Weisen und auf einmal wutesie, wie sie den Weg verbergen konnte.

    Sie setzte sich hin und begann zu schreiben:

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    Du mut verstehn!Aus Eins mach' Zehn,

    Und Zwei la gehn,Und Drei mach' gleich,

    So bist Du reich.

    Verlier die Vier!Aus Fnf und Sechs,

    So sagt die Hex',

    Mach Sieben und Acht,So ist's vollbracht:

    Und Neun ist Eins,Und Zehn ist keins.

    Das ist das Hexeneinmaleins.

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    Endedes

    1. Teils

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    EIN ALTER INITIATIONSWEG

    GoethesFaust

    Als Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust schrieb, hatteer noch Zugang zu verschiedenen Zauberbchern desMittelalters.

    Goethe kam zu seinen ... Studien auf dem Gebiet der ...

    magischen Traditionen sehr frh, durch den Einflu desFruleins von Klettenberg. ... Zusammen lasen nun die beiden... die umfangreichen Bcher des Paracelsus, van Helmont,Welling. Ausdrcklich erklrt ... Goethe, da er diese seineArbeiten auf dem verfemten Gebiet sehr heimlich betrieb ...1

    Goethe hat sich im brigen sehr genau mit der Zauberweltum die Lager des fahrenden Volkes beschftigt, wenn er auch

    ... etliche Stellen ber die entsprechenden berlieferungen inseinem Sptwerk tilgte .2

    Sehen wir uns nun die Szene in Goethes Faustan, in der dasHexeneinmaleins auftaucht. Faust und Mephistophelesbefinden sich in der Hexenkche, in der Faust den magischenTrank bekommen soll, der ihn verjngt.

    Die Hexe zieht einen Kreis, in den sie verschiedeneGegenstnde hineinstellt und liest aus einem Buch vor.

    Du mut verstehn!Aus Eins mach Zehn,Und Zwei la gehn,

    Und Drei mach' gleich,So bist Du reich.

    Verlier die Vier!

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    Aus Fnf und Sechs,So sagt die Hex',

    Mach Sieben und Acht,So ist's vollbracht:Und Neun ist Eins,Und Zehn ist keins.

    Das ist das Hexeneinmaleins.3

    Hierauf wird sie von Faust und Mephistophelesunterbrochen, wobei Mephistopheles noch einmal auf das Buchanspielt. Ich kenn' es wohl, so klingt das ganze Buch; ich habemanche Zeit damit verloren, denn ein vollkommenerWiderspruch bleibt gleich geheimnisvoll fr Kluge wie frToren ... 4 Daraufhin fhrt die Hexe fort, aus dem Buch zuzitieren.

    Die hohe Kraft

    Der Wissenschaft,Der ganzen Welt verborgen!Und wer nicht denkt,

    Dem wird sie geschenkt,Er hat sie ohne Sorgen.5

    Mit diesen Zeilen wird darauf hingewiesen, da hinter demunverstndlichen Hexeneinmaleins eine tiefe Weisheitverborgen liegt, die nur derjenige finden kann, der nicht danachsucht.

    Die Beschreibung der Szene weist ebenfalls darauf hin, dadiese Zeilen aus einem Zauberbuch stammen, wahrscheinlicheines der Bcher, die der junge Goethe im Verlauf seinerStudien auf dem magischen Gebiet gelesen hat.

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    Des Rtsels Lsung

    Das Hexeneinmaleins gibt genaue Anweisungen, wie dasRtsel zu lsen ist. Die Lsung liegt im Wortlaut desdreizehnzeiligen Verses (Dreizehn ist eine Mondzahl und warden vorchristlichen Religionen heilig). Wenn wir alle Zeilendurchnumerieren und dann so verfahren, wie die Anleitunglautet, erhalten wir folgendes:

    1. Du mut verstehn!2. Aus Eins mach Zehn, (den 1. Satz an 10. Stelle)3. Und Zwei la gehn, (den 2. Satz streichen)4. Und Drei mach' gleich, (den 3. Satz an 3. Stelle lassen)

    5. So bist Du reich.6. Verlier die Vier! (den 4. Satz streichen)7. Aus Fnf und Sechs, (aus dem 5. Satz

    8. So sagt die Hex', unddem 6. Satz)9. Mach Sieben und Acht, den 7. und den 8. Satz machen)

    10. So ist's vollbracht:11. Und Neun ist Eins, (den 9. Satz an l. Stelle)12. Und Zehn ist keins. (den 10. Satz an 0. Stelle)13. Das ist das Hexeneinmaleins.

    10. So ist's vollbracht:9. Mach Sieben und Acht, (7+8)3. Und Zwei la gehn, (-2)8. So sagt die Hex',7. Aus Fnf und Sechs, (5+6)6. Verlier die Vier! (-4)5. So bist Du reich.

    1. Du mut verstehn!

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    Wenn man diesen Vers nun als mathematische Aufgabeauffat, lautet sie: Mach 7+8-2 (=13) aus 5+6-4 (=7). Mach 13

    Zeilen aus den 7 Schritten (verschlssele die sieben Schrittedes Weges in ein dreizehnzeiliges Gedicht). In der Lsung gibtes nur sieben Schritte, denn Zehn ist keins (auch die Siebenist eine heilige Zahl).

    Doch um welche sieben Schritte handelt es sich hier?Betrachten wir die Zahlenfolge des Lsungsverses, so erhaltenwir die Zahlen 9, 3, 8, 7, 6, 5 und l. Wenn man als Hexe eineheidnische Religion ausbt und sich traditionsgem auchmit psychologisch / spirituell analysierenden Praktiken, wiezum Beispiel dem Tarotspiel, auseinandersetzt, erhlt dieseZahlenfolge eine tiefere Bedeutung.

    Das Tarotspiel ist ein altes Kartenspiel, das zum Orakelnbenutzt wurde und wird. Die Herkunft der Karten liegt imDunkeln, von der Symbolik her vermutet man jedoch, da esbis auf gyptische Ursprnge hin zurckzufhren ist, da

    Wissenschaftler die Groe Arkana als gyptischeHieroglyphen-Bcher erkannt haben wollen.6 Laut Gebelinsind die 22 Karten der Groen Arkana ein altgyptisches Buch,nmlich das Buch Thoth, das aus den Ruinen der brennendengyptischen Tempel geborgen wurde.7 Mit Sicherheit sagenlt sich jedoch, da das Tarot seit dem 15. Jahrhundert zumWahrsagen benutzt wird.8

    Setzt man nun die Zahlenreihe des entschlsseltenHexeneinmaleinses mit den Karten der Groen Arkana inZusammenhang, erhlt man folgenden Weg:1. IX (Der Eremit), 2. III (Die Herrscherin), 3. VIII (DieGerechtigkeit), 4. VII (Der Wagen), 5. VI (Die Liebenden), 6.V (Der Hohepriester) und 7. I (Der Magier).

    Im folgenden werde ich nun aufzeigen, welche Bedeutungdiese Karten im Zusammenhang mit einem Initiationsweg

    haben.

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    Die sieben Schritte

    Der erste Grad im Hexeneinmaleins wird symbolisiert durchdie Karte IXDer Eremit.

    Betrachten wir die Karte genauer, sehen wir auf ihr einenalten Mann mit einem langen Bart, der in seiner linken Handeinen Stab und in seiner rechten Hand eine erleuchtete Laternetrgt. Der Mann steht auf einem hohen Berg, jenseits derVegetationsgrenze. Hinter ihm ist der Eingang einer Hhle zu

    erkennen, die von innen erleuchtet zu sein scheint. Links vonihm sitzen zwei Raben, und rechts von ihm liegt eine Sanduhr,in deren beiden Kammern der Sand gleichmig verteilt ist.

    Das Symbol des Berges bedeutet, da der Eremit ber denDingen steht, die das Leben der anderen Menschen ausmachen.Hier in der Einde ist er allein mit sich selbst.

    Die Sanduhr, die auf dem Boden liegt, deutet an, da Zeithier unwichtig ist. Da der Sand in beiden Kammern

    gleichmig verteilt ist, zeigt dieses Symbol auch, da sich derEremit zwischen den Zeiten befindet.

    Die beiden Raben zu seinen Fen sind in der germanischenMythologie dem Gott Wotan (Odin) zugeordnet und heiendort Hugin (Gedanke) und Munin (Gedchtnis). Wotan schicktsie aus, um die Menschen auszukundschaften, und sie erzhlenihm dann, was sie gesehen und gehrt haben, deshalb ist Wotanallwissend.9 Die Raben deuten an, da dem Eremiten nichtgleichgltig ist, was in der brigen Welt vor sich geht, nur, erbetrachtet die Welt von auen, da er sich bewut in die Wildniszurckgezogen hat.

    In der keltischen Mythologie sind die Raben der GttinMorrigan geweiht, die die dunkle Seite der dreifaltigen Gttinverkrpert. Als die Vgel der schwarzen Gttin deuten diebeiden Raben an, da der Eremit in der Einsamkeit auch

    seinem Schatten begegnet.

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    Die Hhle hinter ihm ist der Eingang zum Scho derGroen Mutter, in den sich der Eremit zurckbegibt, um die

    Wandlung zu erfahren, die ihn zum Weisen macht.Die erleuchtete Laterne in seiner Hand deutet an, da der

    Eremit seine Erleuchtung bereits erfahren hat und mit diesemLicht seine Umgebung erhellt, damit er seinem Weg sicherfolgen kann.

    Die Zahl Neun, die die Karte trgt, symbolisiert das In-sich-zurckziehen, das Suchen nach der Wahrheit in sich selbst.

    Im Weg der Hexe steht die Karte IX Der Eremit fr dieVisionssuche in der Wildnis, die am Anfang derSchamanenausbildung steht. Der Alte verkrpert ...Abgeschiedenheit ... Es geht hier ... um das Suchen vonWahrheit hinter den Bildern, und das erfordert Achtsamkeit,Sammlung, Askese, Fasten, Schweigen, Rckzug ... Dabeidringt er bis zu den Mysterien und in die tiefsten Abgrnde ...

    vor.10

    Von einigen Stmmen der amerikanischen Ureinwohnerwissen wir, da sich junge Menschen eine Zeitlang in dieWildnis begaben, bzw. begeben, um dort ihre Vision zuempfangen. Auch von einigen afrikanischen Stmmen istdieser Brauch bekannt. [Er] ist einer der wenigen Europer,die den Mut aufbrachten, sich schamanistischenBewutseinstechniken zu unterziehen; er machte sich auf, dieerste bung ... zu absolvieren: Fasten, Einsamkeit, Beten. 12

    Fr das heidnische Europa sind Anzeichen eines solchenBrauches in den Mrchen erkennbar. Der Eremit wird hierverkrpert durch die alte, weise Frau, die abseits von denDrfern in einer Htte im Wald wohnt. Genauso wie derEremit hat sie bewut die brige Welt hinter sich gelassen und

    betrachtet sie nun von auerhalb.

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    So, wie die Raben und der Hhleneingang auf der Karte IXDer Eremit, verkrpert auch sie die dunkle Seite der

    dreifaltigen Gttin, die der Heldin oder dem Helden hilft,Weisheit oder Kraft zu erlangen. Im Mrchen tritt diese Frauzumeist als die Hterin von Schtzen auf, die die Kraft, bzw.altes Wissen, reprsentieren. Diese Schtze werden dem jungenMenschen geschenkt, wenn er die Prfungen der Altenbestanden hat.

    In dem Mrchen Herzlieb und Walpurgis luft einWaisenknabe, Herzlieb, aus Angst vor den Schlgen seinerStiefmutter davon und verirrt sich im Wald. In einer felsigen,rauhen Gegend kommt er an ein kleines Huschen aus Moosund Stein. Dort wohnt eine alte Frau mit ihrem schwarzenKater. Sie nimmt Herzlieb bei sich auf, und er htet ihreZiegen. Abends erzhlt die Alte, die sich Mutter Walpurgisnennt, lehrreiche Geschichten und unterrichtet ihn in denGeheimnissen der Natur.

    Als Herzlieb lter wird, lt Walpurgis ihn zur Jagd gehen,wo er einer Prinzessin das Leben rettet. Beim nchsten Malsteht Herzlieb, mit Hilfe von Walpurgis' Zauberkraft, demVater der Prinzessin whrend einer Schlacht bei. Der Knig istHerzlieb deswegen dabei behilflich, das Erbe seines Vaters,dessen sich die Stiefmutter bemchtigt hatte, zurck-zugewinnen. Daraufhin wird Herzlieb mit der Prinzessinverheiratet. In seiner Hochzeitsnacht trumt er, da Walpurgisihn besucht und ihm viele Gefe mit Gold und Edelsteinenschenkt. Als er am nchsten Morgen aufwacht, erblickt ertatschlich die Reichtmer, die ihm seine Ziehmutter gebrachthat.

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    Auch in dem Mrchen Rapunzel ist ein Hinweis auf dieVisionssuche, bzw. Suche nach Wissen in der Einsamkeit,

    vorhanden. So wird Rapunzel in ihrem zwlften Lebensjahr ineinem Turm einquartiert, in dem sie wahrscheinlich von derZauberin in den geheimen Knsten unterrichtet werden soll.

    Leider sind viele Mrchen, die ber die Visionssuche jungerMenschen bei der weisen Alten im Wald berichten, der Zensurder Inquisition zum Opfer gefallen, so da aus der weisen Frau,die in geheimes Wissen einweiht, die alte bse Hexe wurde, dieKinder in einem Kfig mstet, um sie spter im Ofen zubacken.

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    Der zweite Grad im Hexeneinmaleins wird durch die KarteIII Die Herrscherin reprsentiert. Auf der Karte sehen wir eine

    junge Frau, die ein weies Kleid mit roten Blumen trgt. Aufdem Kopf hat sie eine Sternenkrone und in ihrer rechten Handhlt sie ein Zepter. Sie sitzt auf einem orangeroten Thron, anden ein herzfrmiger Stein gelehnt ist, auf dem das Zeichen frFrau abgebildet ist. Im Hintergrund sehen wir einen Wald, indem ein Bach fliet, der zu Fen der jungen Frau endet. ImVordergrund befindet sich unreifes Getreide, das noch wachsenmu, bevor es geerntet werden kann.

    Der Flu symbolisiert die Verbindung der Frauen zumWasser.

    Das unreife Getreide im Vordergrund weist auf den endendenFrhling hin, ebenso wie das Alter der Frau, das zeigt, da dieHerrscherin gerade erst ihrem Frhling, dem Kindesalter,entwachsen ist.

    Der orangerote Thron, auf dem die Frau sitzt, zeigt jedoch

    deutlich, da die Frau erwachsen ist, denn sie menstruiert. Dadas Kleid, welches sie trgt, aber wei mit roten Blumen ist,wird ersichtlich, da es sich hierbei um eine sehr junge Frauhandelt, die das erste Mal menstruiert. Die weie Gttin wirdzur roten Gttin.

    Somit steht die Karte III Die Herrscherin fr das jungeMdchen, das zum ersten Mal menstruiert. Ab diesemZeitpunkt ist sie biologisch eine Frau.

    Im Weg der Hexe bedeutet die Symbolik der Karte dieAufnahme des jungen Menschen in den Kreis derErwachsenen.

    Da bei Frauen der Eintritt in das Erwachsenenalter deutlichdurch die Menarche, die erste Regelblutung, gekennzeichnetist, steht hier die weibliche Karte.

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    In vielen Kulturen werden die Mdchen nach der erstenBlutung offiziell durch ein Initiationsritual in den Kreis der

    erwachsenen Frauen aufgenommen.Luisa Francia gibt eine Schilderung eines solchen Festes

    wieder, das bei den Makonde-Frauen in Ostafrika beobachtetwurde.

    Whrend alte Frauen den Tanzplatz des Dorfes mit Besensubern, sitzen die Novizinnen im Schatten eines Hauses amBoden und halten sich ihre Augen und Schlfen mit denHnden zu.

    Dann beginnt der Tanz von einigen Frauen, die ber denPlatz hin- und zurcklaufen. Danach stimmen sie ein Lied anund berqueren singend und hndeklatschend den Platz dreimal hin und zurck.

    Nach einem zweiten Lied werden die Kpfe der Novizinnenvon ihren Lehrerinnen mit Hirsebscheln geschmckt. Danachtanzen die Frauen in einer engen Reihe hintereinander, wobei

    sie ihre Hften kreisen lassen.

    Nach dem Tanz werden Geschenke herbeigebracht und dieNovizinnen werden mit Eiern bemalt. Danach werden dieMdchen neu eingekleidet und geschmckt.

    Nun geht das Fest mit Singen und Tanzen weiter. DieEinzuweihenden tanzen mit den Frauen in einer Reihe im Kreisund bewegen sich dabei auf die Platzmitte zu. Dann lst sichder Kreis, und die Dorflteste stellt sich in die Platzmitte. Vorsie treten der Reihe nach alle Novizinnen und zeigen nun, wassie in der langen Einsamkeit des Unyago-Unterrichtes gelernthaben. Anschlieend wird der Tanz des ganzen Dorfes durcheine Frau eingeleitet.12

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    Auch in Deutschland hat es solche Einweihungsfeste vonjungen Frauen gegeben. Darauf weisen Berichte ber

    Frauenfeste hin, bei denen die Frauen mit entbltemUnterkrper ekstatische Bewegungen ausfhrten. Diese Festestanden auch in engem Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit,deren Beginn ebenfalls durch die erste Blutung der jungen Frauangezeigt wird.13

    Ein weiterer Hinweis darauf, da die erste Blutung einesMdchen den Abschlu einer Phase und den Beginn einerneuen kennzeichnete, hat sich in den Mrchen gehalten. DieseMrchen zeigen, da die Menarche in frheren Zeitenwichtiger genommen wurde als heute, wo die erste Blutungmeistens als unwichtiges Ereignis heruntergespielt wird und imAlltag untergeht.

    In den Mrchen taucht die erste Blutung der jungen Frauzumeist in verschlsselter Form auf, wie zum Beispiel in derGeschichte Jorinde und Joringel, in der es um einen Jungen

    und ein Mdchen geht, die sich sehr lieben. Eines Tages wirdJorinde von einer bsen Zauberin in einen Vogel verwandelt,den diese dann einfngt und mit auf ihr Schlo nimmt. Dort hatsie bereits viele Jungfrauen, in Vgel verwandelt, eingesperrt.

    Joringel wandert traurig umher und kommt in ein Dorf, indem er lange Zeit als Schfer ttig ist. Eines Nachts trumt ervon einer blutroten Blume, mit deren Hilfe er Jorinde befreienkann. Er sucht neun Tage, bevor er die Blume findet.Daraufhin begibt er sich zum Schlo der Zauberin und befreitJorinde.

    Jorinde wird hier, zusammen mit anderen Jungfrauen, voneiner weisen Frau, aus der die Zensur eine bse Zauberinmachte, einer Lehrzeit unterzogen. Als ihr die rote Blumegebracht wird, das heit, als sie zum ersten Mal menstruiert, istihre Lehrzeit zu Ende, und sie verlt die weise Frau.

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    Auch in dem Mrchen Dornrschen hngt die Lehrzeit desjungen Mdchen eng mit der ersten Regel zusammen

    (Dornrschen sticht sich an einer Spindel und fllt in einenhundertjhrigen Schlaf), nur da hier die Lehrzeit erst nach derersten Blutung beginnt. Beendet wird sie auch hier durch dasEintreffen eines jungen Mannes, der vorher ebenfalls durchPrfungen (Dornenhecke) beweisen mu, da er kein Kindmehr ist.

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    Der dritte Grad des Weges der Hexe drckt sich in derBedeutung der Karte VIII Die Gerechtigkeit (Ausgleichung)

    aus. Auf der Karte sehen wir eine Frau, die mit beiden Hndenein Schwert hlt, dessen Spitze in der Erde steckt. An ihremkronenartigen Kopfschmuck ist eine Waage befestigt, derenWaagschalen, in denen die griechischen Buchstaben A(Anfang) und , (Ende) zu sehen sind, sich rechts und linksvon der Hfte der Frau im Gleichgewicht befinden.

    Die ausgeglichene Stimmung, die die Karte ausstrahlt, wirdnoch dadurch verstrkt, da die Frau ihren Krper auf denZehenspitzen ausbalanciert. Vor ihrem Gesicht trgt die Gestalteine Maske.

    Maske, Waage und Schwert sind auch die Attribute vonJusticia, der Gttin der Gerechtigkeit. Die Maske vor ihrenAugen bedeutet, da Justicia sich nicht von uerlichkeitenblenden lt, sondern sich bei der Rechtsprechung nach ihrerinneren Stimme der Weisheit richtet.

    Die Schwertspitze, die bei dieser Karte in der Erde steckt, ...deutet auf das Gegengewicht im Weiblichen hin ..., das denharmonischen Ausgleich nicht nur im denkerischen Handelnerkennt, sondern ebensosehr in den tiefen Schichten desUnbewuten entdeckt. 14

    Die sich im Gleichgewicht befindende Waage symbolisiertdie spirituelle Balance, in der sich die Person auf der Kartebefindet. Die ganze Karte steht somit als Bild fr denAusgleich, ... der sich durch die Konzentration imGleichgewicht hlt. 15

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    Fr den Weg der Hexe bedeutet die Symbolik der Karte, dader Mensch, der diesen Initiationsweg geht, an diesem Punkt

    lernt, sich zu beherrschen und die Dinge unvoreingenommenzu betrachten. Das heit, er wird sich bewut, da verschiedeneAnsichten ber eine Sache gleichwertig sind. So erhlt er dieChance, zum Kern vorzudringen, wo ihm das wahre Wesen derDinge bewut wird.

    Das Erreichen des Grades, der durch diese Karte symbolisiertwird, befhigt den Menschen dazu, den alltglichen Dualismuszu berwinden und die damit verbundenen Vorurteileabzulegen, was ihm beim Erkennen der Wahrheit uersthilfreich ist. Hier offenbart sich auch eine der Bedeutungen desBegriffes der Zaunreiterin (tunridur), bzw. Heckenreiterin(Hagazussa), von dem sich das Wort Hexe ableiten lt.

    Die Hexe sitzt auf dem Zaun, der die Dualitten voneinandertrennt und verbindet beide zu einer Einheit. Sie ist die (Ver-

    )Mittlerin zwischen den Welten, weil sie, auf der Heckesitzend, ihre Balance hlt, die sie daran hindert, auf der einenoder anderen Seite herunterzufallen.

    Da dieser Schritt nicht besonders spektakulr ist und sich dieVernderung einer Sichtweise auch nur Schritt fr Schritt,zumeist unsichtbar fr die unmittelbare Umgebung, vollzieht,erscheint dieser Grad auf den ersten Blick als wenig wichtig.Die Erlangung dieser Sichtweise und der damit verbundeneninneren Balance ist jedoch eine wichtige Voraussetzung fr dieEinweihung in den nchsten Grad.Jemand, der die innere Balance nicht erreicht, wird niemalsber diese Stufe hinaus gelangen. An diesem Grad scheidensich die Menschen in diejenigen, deren Berufung imSpirituellen liegt, und in diejenigen, deren Berufung eher aufder weltlichen Ebene liegt.

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    Dieser Grad kennzeichnet auch das Ende des lichten Weges,der das Bewutsein nur oberflchlich verndert, sowie den

    Beginn des schattigen Weges, der tief hinab in die Urgrndeder Seele fhrt, wo sich die tiefgreifende Transformation desBewutseins vollzieht.

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    Der vierte Grad des Hexeneinmaleinses wird durch die KarteVIIDer Wagensymbolisiert.

    Auf der Karte ist ein Wagen abgebildet, der von zweiSphinxen, einer schwarzen und einer weien, gezogen wird.Auf dem Wagen steht der Wagenlenker, der von einerSternenkrone geschmckt ist. Die Schulterbltter an seinerRstung werden von zwei Mondsicheln, einer zunehmendenund einer abnehmenden, gebildet. Das Wagendach hnelteinem Baldachin, der mit silbernen Sternen verziert ist. ImHintergrund des Wagens ist eine befestigte Stadt zu sehen.

    Die beiden Sphinxen, die den Wagen ziehen, symbolisierendie dunklen und die hellen Mchte, zwischen denen derWagenlenker die Balance halten mu. Sie stehen auch fr diedunkle und die helle Seite der Magie.

    Die Sternenkrone des Wagenlenkers symbolisiert seinStreben nach hherem Wissen.

    Die beiden Mondsicheln drcken, genau wie die beidenSphinxen aus, da sich der Wagenlenker seinen Weg zwischenden Mchten des Lichtes und der Dunkelheit suchen mu, ohnebeide aus den Augen zu verlieren.

    Der Baldachin, wie auch das Verlassen der Stadt, zeigt, dader Wagenlenker die Wahrheit nur fernab der Zivilisation,unter freiem Himmel, sozusagen im Einklang mit der Natur,finden kann.

    In der Symbolik des Hexeneinmaleinses bedeutet dieseKarte, da der Mensch, der diesem alten Weg folgt, seinegewohnte Umgebung verlassen mu, um auf neuen, ihmunbekannten Pfaden, das Wissen zu erlangen, nach dem erstrebt.

  • 7/22/2019 Varuna Holzapfel - Das Hexeneinmaleins

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    Er mu seine ihm liebgewonnenen Vorstellungen undGedankenmuster aufgeben, seine vertraute Logik, die ihn

    bisher sicher gefhrt hat, hinter sich lassen und sich demNeuen, Unbekannten stellen, das jenseits seinerVorstellungskraft in den tiefen Urgrnden seiner Seeleverborgen liegt. Aus dem Licht des Tages mu er sich in dieDunkelheit der Nacht begeben, die viele Geheimnisse birgt, dienur durch die Gttin selbst enthllt werden knnen, derenAspekt, unter anderem, auch die Mondin ist.

    Die Karte VII Der Wagen bezeichnet somit eine Initiation, inder der Adept durch symbolischen Tod und die Wiedergeburtnher an die Quelle der gttlichen Kraft herangefhrt wird.Hierbei wird er eingeweiht in das Wissen um die Anwendungdieser Kraft, im Einklang mit den Gesetzen der Natur.

    Ob diese Initiation durch eine Glaubensgemeinschaft, durcheine Einzelperson oder durch hhere Wesen geschieht, ist fr

    den Adepten zunchst unerheblich. Er wird in die Mysterieneingeweiht, die nicht jedermann zugnglich sind, und er wirddurch das Nacherleben seines eigenen Todes und deranschlieenden Wiedergeburt offen fr Vorgnge, die sichjedem rationalen Denken entziehen.

    Mit dieser Einweihung in einen Kreis von Wissenden beginntdie eigentliche Ausbildung des Schamanen.

    Naturgem sind diese Initiationsrituale nicht jedermannzugnglich.

    Maya Deren beschreibt in ihrem Buch die Aufnahme einesGlubigen in einen hheren Grad der spirituellen Gemeinschaftinnerhalb der Voodoo-Religion.

    ... Den ersten Abschnitt bildet die krperliche und spirituelleReinigung.... Danach zieht sich der Kandidat fr einige Tagevon der Welt zurck... Er meditiert und badet hufig.

  • 7/22/2019 Varuna Holzapfel - Das Hexeneinmaleins

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    Krper und Geist werden von der Vergangenheit gereinigt, under befindet sich wieder im Zustand ursprnglicher Unschuld.

    Als unschuldiges Geschpf begibt er sich zum Anfang desLebens zurck. In diesem ... Zustand steht er unter dem SchutzAyizans ... Sie ist die psychische Gebrmutter, das spirituellemtterliche Prinzip. Die Riten der spirituellen Geburt werdenunter ihrer Schutzherrschaft vollzogen. Hierauf folgt eineSchilderung des Rituals, welches ihr zu Ehren abgehalten wird,um ihren Schutz fr die rituelle Geburt zu erlangen. Am Endedieser Zeremonie wird der Novize gebadet und in ein weiesLaken gewickelt, als sei es ein Leichentuch. ... In diesemStadium ist das vergangene Leben des Kandidaten gestorben,das was hinter ihm liegt, ist vollstndig ausgelscht. In diesemZustand hchster Reinheit... wird allmhlich das neue Wesenempfangen. Vier Tage nacheinander wird der Krper desNeophyten ... mit l eingerieben. ... Und dann findet dieZeremonie der ersten spirituellen Differenzierung statt... Zuerst

    wird die Schutzgottheit bestimmt, das heit: die gttliche Kraft,die dieses Wesen vor allen anderen erfllt. Das Wesen desNovizen wird nun rituell mit der Schutzgottheit verschmolzen.Es handelt sich hierbei um eine Vermengung des kosmischenLoa mit der unmittelbar vom Bewerber stammendenLebenskraft ... Nun wird die neugeschaffene Seele von zweiKindern getauft... Dieser Name ist ein Geheimname ..., welcherdie Essenz des Selbst dieses Individuums enthlt und daherbewahrt werden mu. Danach ruft man den ... [Schutzgott] inden Kopf dieser neugeschaffenen Seele; sobald dieser dortseinen Platz eingenommen hat, gibt man