Verantwortung als Freimaurer

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  • 8/9/2019 Verantwortung als Freimaurer

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    Logenhaus: Ischernstrasse 25, 4528 Zuchwil Postadresse: Postfach 401, 4502 Solothurn

    Ein weiteres Problem ist das Fehlen einer einheitlichen Hierarchie von Werten. Da Zielkon-

    flikte in komplexen Systemen die Regel sind, werden Verantwortungsethiker unterschiedli-cher Schulen bzw. philosophischer Richtungen oder Kulturen also zu vollkommen unter-schiedlichen Ergebnissen kommen, je nach dem, welche Teilaspekte der Folgen des Handelnssie wie gewichten oder anderen vorziehen.

    2.Die Quellen unserer Verantwortung2.1. Welche Bedeutung haben unser Gelbde, die "alten Pflichten" und die Bundesver-

    fassung?

    Im Gelbde versprechen wir feierlich, unsere Pflichten als Mensch, namentlich als Teil der

    Gemeinschaft eines Staates (kodifiziert in den Gesetzen), einer Familie (berliefert in denTraditionen und der Moral) und des Freimaurerbundes (kodifiziert in den alten Pflichten undder Bundesverfassung), mit erhhtem Eifer, also gewissenhafter als der Durchschnitt, zu er-fllen1. Hinzu kommt die Selbstverpflichtung auf die Ideale des jeweiligen Grades, in demdas Gelbde abgelegt wird2. Letzteres hat den Charakter einer Erinnerung daran was es heisst,Freimaurer zu sein.

    Ein Gelbde hat die hchste Form von Verbindlichkeit, die sich unter ehrenhaften Mnnerndenken lsst. Allerdings: werden Novizen unvorbereitet damit konfrontiert, wird man nur einehalbherzige Zustimmung unter dem Druck der Erwartung im Ritual erwarten knnen. Es istdaher erforderlich, bereits vor der Aufnahme die Inhalte sinngemss mit den Suchenden zu

    besprechen. Aber auch die beste Vorbereitung und die verbindlichste Form kann die Einhal-tung der Verpflichtungen nicht garantieren; dies ist allein Ausdruck des Charakters eines je-den Bruders3.

    Das Gelbde ist aber nicht nur (Selbst)Verpflichtung, sondern auch Leitschnur fr unser Han-deln. In Zeiten moralischen Umbruchs oder dem viel zitierten Wertewandel sollte ein Blick indas Gelbde Sicherheit geben, wie das eigene Verhalten auszurichten sei. Dies wre verant-wortungsvolles Handeln im oben definierten Sinn. In Instruktionen sollte daher die Interpreta-tion vertieft werden.

    2.2. Welche Bedeutung haben Ethik, Tugend, Menschenwrde, Demokratie, Grund-rechte, FM-Lehrgebude, Humanitt, die Menschenpflichten des IAC, Inter Ac-

    tion Coucil" (Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Leben, Gerechtigkeit und So-

    lidaritt, Wahrhaftigkeit und Toleranz, gegenseitige Achtung und Partnerschaft),

    ?

    Dies ist eine unvollstndige Sammlung von Begriffen und Systemen, die versuchen, Grund-werte oder Ideale zu definieren. Meist sind sie zueinander kompatibel und ergnzend. Ohne

    1 Das Gelbde lautet nicht in allen Logen gleich.2 Toleranz, Selbsterkenntnis, Bekmpfung der Leidenschaften und Ausfhrung des Guten gegenber den Mit-menschen, Streben nach Wahrheit und dem Ideal sittlicher Vollkommenheit durch Selbstveredelung, Wirken fr

    geistige Bildung sowie fr Freiheit des Gedankens und fr den Frieden.3 An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der Meister gelobt, diese Pflichten hher zu achten als ... (die Brr.Meister mgen sich erinnern).

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    dies hier nher zu begrnden stellen wir die These auf, dass sich das freimaurerische Werte-

    system als Basis gut eignet und dass es lohnt, sich ergnzend mit anderen Systemen zu be-schftigen, sei es, um sich zustzliche Anregungen zu holen, sei es, um in der Gegenberstel-lung von Werten und dem Nachdenken darber die Erkenntnis zu schrfen und zu vertiefen.

    2.3. Welche Bedeutung haben unsere eigene Selbstachtung und unser Idealismus alsSuchender?

    Der ernsthaft Suchende ist motiviert, Antworten zu finden. Die Eigenschaft, Suchender zusein und im Laufe der freimaurerischen Laufbahn auch zu bleiben ist eine starke Antriebs-kraft auf dem Weg der Vervollkommnung. Idealismus hilft uns bei der Prfung von Antwor-ten und schtzt uns davor, allzu schnell Antworten zu akzeptieren und Kompromisse einzu-gehen (-> das Lot).

    3.Vom Ausdruck unserer Verantwortung3.1. In welchem Umfeld sollten wir wirken?Diese Frage wird von unserem Gelbde eindeutig beantwortet: innerhalb der Freimaurerei,der Familie und des Staates.

    3.2. Wie wird unserer Verantwortung Rechnung getragen? Wie ist es von aussen er-kennbar? Soll es das sein?

    Wie eingangs erwhnt drckt sich unsere Verantwortung in der Bereitschaft und Fhigkeit

    aus, die Entwicklung des Umfelds (s.o.) im gewnschten Rahmen verlaufen zu lassen. Dergewnschte Rahmen wird im Gelbde definiert und lsst sich auf die Kurzformel bringen:

    Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden.

    Auch die von uns erwartete Verhaltensweise ist in den Gelbden und den Lehrinhalten derdrei Grade definiert:

    1. Das Fundament: Selbsterkenntnis; Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit sowie Aus-bildung unseres Gewissens (Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit)

    2. Entwicklung der Persnlichkeit: Selbstveredelung durch Bekmpfung der Leidenschaftenund ttige Menschenliebe

    3. Wirken im Umfeld: Verbreiten geistiger Bildung; Anwendung erworbener Klugheit; Tap-ferkeit in der Verteidigung der o.g. Grundwerte; Standhaftigkeit im Angesicht schwererPrfungen

    Erkennbar wird der Erfolg unserer Bemhungen dann, wenn die Grundwerte bedroht sind undwir aktiv dafr eintreten. Nicht an unseren Orden und Ehrenzeichen soll man uns erkennen,sondern an unseren Taten! Das Wirken als gutes Vorbild ist erwnscht, denn es schafftVerbreitung und ist so der Sache dienlich.

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    3.3. Vom Gleichgewicht aus Rechten und Pflichten. Wie verpflichtend ist "unsere Ver-antwortung" ? Gegenber wem?

    Wie beschrieben geht der Freimaurer eine Selbstverpflichtung innerhalb seiner Rolle in Bru-derschaft, Staat, Gesellschaft und Menschheit als Ganzes ein. Er ist letztlich nur seinem Ge-wissen verpflichtet, das ihn ermahnen sollte, seine bekundeten Pflichten zu erfllen.

    Eine wichtige Funktion hat aber auch die Gemeinschaft der Brder. Sie ist sich Sttze, er-mahnt und ermuntert im brderlichen Gesprch, im Ritual, durch das Vorbild Einzelner. Ineiner funktionierenden Gemeinschaft ist es mglich, Schwierigkeiten oder Pflichtverletzun-gen angemessen zu besprechen und Verbesserungen zu katalysieren. Fr das Funktionierender Gemeinschaft in diesem Sinne trgt jeder Bruder die Verantwortung wieder in oben defi-nierter Weise, unabhngig vom Amt.

    Welche Konsequenz folgt aus Erfllung oder Nichterfllung?

    1. Die unmittelbare Konsequenz trgt jeder selbst: wer die Gemeinschaft (FM, Familie oderStaat) zerstrt, sei es durch ungehrige Aktivitt oder durch Passivitt, enthebt sich derVorteile und Befriedigung, die eine funktionierende Gesellschaft bieten kann.

    2. ber unser Leben hinaus blickend erkennen wir, dass sich durchaus die Weltgeschichteals Resultat einer langsam voranschreitenden moralischen Entwicklung der Einzelnen undder Vlker, als eine Kultivierung der Rohigkeit (Kant) darstellt. Und dann verstehenwir, was Lessing in seinen Freimaurergesprchen meint, wenn er sagt: Die wahren [gu-

    ten] Taten [...] zielen dahin, um grtenteils alles, was man gemeiniglich gute Taten zunennen pflegt, [irgendwann] entbehrlich zu machen. Der Freimaurer begreift sich als Teileines Ganzen, eines bergeordneten Prinzips, das sich gleich der Natur selber entwickeltund das er als dessen Teil auch mitentwickelt. Er macht sich deshalb frei von dem Gedan-ken, alle mssten sich nach (moralischen) Gesetzen richten. Er ist weiterhin frei von Ge-danken, wie er sich einen Vorteil verschaffen knnte, indem er die Regeln bricht oder inwie weit er einen Nachteil htte, wenn andere, nur er nicht, die Regeln brechen. Diese tie-fe Einsicht, so vorhanden, macht das Nachdenken ber den Grad der Verpflichtung undber Strafe oder Belohnung obsolet.

    3.4. Welche Bedeutung hat unsere Verantwortung als Gegengewicht zu Macht?Macht verleiht die Kraft, Beschlsse durchzusetzen (-> das Schwert). Sie ist notwendig, umGerechtigkeit herzustellen. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass Macht korrumpiert, weil dieMasssysteme, nach denen der Mchtige seine Beschlsse ausrichtetet, sich verschieben. Er istumgeben und neigt dazu dies zu frdern von Hflingen und Ja-Sagern, die eine objektiveRckkopplung mit der Realitt verhindern. Es braucht daher immer ein Gegengewicht zurMacht, eine Kontrollinstanz die eingreift, wenn die operativen Machtmechanismen aus denFugen geraten. Der Freimaurer ist daher aufgerufen, den Reprsentanten der Gesellschaft(wiederum: FM, Familie, Staat) fr die Erfllung ihrer Aufgaben Macht zu verleihen und siein deren Erfllung zu untersttzen. Er hat aber auch die Pflicht, die Ausfhrung kritisch zuberwachen und bei unsachgemsser Amtsfhrung, insbesondere bei Verstssen gegen dieGrundwerte, seiner Verantwortung fr die Gemeinschaft in angemessener Weise gerecht zu

    werden.

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    3.5. Wo sind die Grenzen: wie erkennen und beurteilen wir, wann sich welches Enga-gement und das Eingehen von Unannehmlichkeiten / Gefahren lohnt bzw. wann esgeboten ist?

    Diese Frage ist von eminenter Wichtigkeit. Allzu oft lassen wir Dinge geschehen und beruhi-gen uns damit, nicht zustndig oder hilflos zu sein. Wir wenden uns ab und suchen einenAusgleich in den weniger beeintrchtigten Teilen unseres Lebens. Hier kann nur das brderli-che Gesprch mit Gleichgesinnten helfen herauszustellen, wann die Grenze erreicht ist, beider die subjektiv empfundene Unzufriedenheit ber die Beeintrchtigung von Gerechtigkeit,Freiheit, Frieden gross genug ist, um ausreichend Energie fr Vernderung der Umstnde zuschaffen. Grundstzlich gilt, dass je ernsthafter die freimaurerische Grundhaltung in einerPerson verankert ist, desto eher wird sie bereit sein sich einzusetzen, auch fr Andere, undsich den Unannehmlichkeiten auszusetzen, die dies mit sich bringt.

    Dabei spielt auch eine Rolle, wie sensibel ein jeder auf Signale aus der Umwelt reagiert undUnwohlsein bei seinen Mitmenschen registriert. Insbesondere Brder in Leitungsfunktionensind aufgerufen, ihre Fhigkeit zur Selbstreflektion ihrer Wirkung auf das Umfeld auszubil-den und Fehlentwicklungen zu korrigieren.

    4.Die Rolle der freimaurerischen Organisation bei der Wahrneh-mung von Verantwortung

    Die Freimaurerei ist traditionell auf die Vervollkommnung des Einzelnen ausgerichtet. DieStrukturen sind streng demokratisch. Es ist daher nicht blich, in den meisten Fllen auchexplizit nicht gewnscht, dass Logen- oder Grosslogenleitungen im Namen der Brder Hand-lungen oder usserungen ausserhalb der tradierten Bahnen vornehmen.

    Folglich lebt die Freimaurerei entgegen der Verschwrungs-Unterstellungen mancher Profa-ner in unwirksamer Zerstreuung (Lessing: Ernst und Falk). Doch ist dies nicht unbedingtgewollt, sondern nur in Kauf genommene Folge. Wnschenswerter wre ein Zustand, wie ihnGoethe in Wilhelm Meister formulierte:

    Doch was der Mensch auch ergreife und handhabe, der einzelne ist sich nichthinreichend. Gesellschaft bleibt eines wackeren Mannes hchstes Bedrfnis. Allebrauchbaren Menschen sollen in Bezug untereinander stehen, wie sich der Bau-

    herr nach dem Architekten und dieser nach Maurer und Zimmermann umsieht.

    In der Gemeinschaft liesse sich mehr bewegen. Ergnzend zur heute blichen Definition derMaurerei als Selbstveredelung4 wurde in der Hoch-Zeit der Freimaurerei mehrfach folgendegemeinsame Vision formuliert:

    Wenn die Menschheit erst allgemein auf dem Standpunkt angelangt sein wird,welcher jetzt die Freimaurerei einzunehmen sucht, wenn jeder in seinem Mitmen-schen nur den Bruder sehen wird, wenn auch in der grossen Welt die idealen G-ter hher geachtet werden als die irdischen, wenn nicht nur Eigennutz, sondern dieLiebe auf Erden regieren wird, dann ist die Stunde da, in welcher der letzte Ham-

    4 siehe Grundstze der Schweizerischen Grossloge Alpina

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    merschlag im Tempel der Freimaurerei erschallen wird, weil das Werk beendet

    ist, an welchem wir jetzt noch zu bauen haben.5

    Doch die Freimaurerei auf ein gemeinsames Ziel hin zu vereinen scheint derzeit und warauch in der Vergangenheit unmglich. So hat die Idee des Vlkerbunds im 19. Jahrhundertin der ffentlichkeit kaum Fuss gefasst und der nationale berschwang berwog bei weitemdie Vision internationaler Bruderschaft. Erst der Krieg brachte die Menschen zur Besinnung.Spter nahm die Freimaurerei in Deutschland zwischen 1933 und 36 sogar praktisch wider-standslos ihre Auflsung hin. Mehrere zehntausend Maurer rumten ihre Tempel, weil sienicht in der Lage waren, einen Widerstand zu organisieren.

    Vielleicht liegt es daran, wie blicherweise die Strukturen verstanden werden: nicht als not-

    wendige Einrichtung, um Brder zu verbinden, sondern als Plattform fr mter und Ehrun-gen. Weniger Struktur und Hierarchie, dafr mehr Sinn und Austausch knnten uns gut tun.

    Es ist zu fragen, ob der zu verzeichnende Mitgliederschwund nicht auch eine Ursache in dergesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit der Freimaurerei hat.

    _____________________

    Die Freimaurerei steht auf drei Sulen:

    1. Der Weisheit. Sie gibt uns Gewissheit, mit unserem freimaurerischen auf dem richtigenWeg zu sein

    2. Gerechtigkeit muss aktiv vertreten und durchgesetzt werden. Nicht alles zu tun, was mg-lich ist, das ist sittliche Strke, die sichtbare Vorbilder braucht, wenn sie Verbreitung fin-den soll. Sich fr andere einzusetzen, damit unserem Anspruch an Liebe gerecht zu wer-den, braucht in vielen Fllen, in denen ttliche Nchstenliebe wirklich ntig ist, vor allemTapferkeit. Deshalb ist die zweite Sule, auf der die Freimaurerei ruht: Strke.

    3. Wir leben in Gemeinschaften. Sie funktionieren nur, wenn man sie pflegt. Deshalb ist diedritte Sule die der inneren Schnheit: Nchstenliebe, Rcksicht und Barmherzigkeit.

    Dies ist die Basis, die uns zum Bau des Tempels der Menschheit befhigt. Unsere Verantwor-tung liegt darin, aktiv daran mitzuwirken. Wenn jeder Bruder dieser Verantwortung nachk-

    me, und sei es nur im Kleinen, dann msste die Summe all dieser Bemhungen trotz der be-schrnkten Zahl von Freimaurern gigantisch sein. Und aller Ehren wert.

    Die Zukunft decketSchmerzen und Glcke.Schrittweis dem Blicke,

    Doch ungeschrecket,Dringen wir vorwrts.

    Goethe, Symbolum

    Andreas Stettin, Redner

    5 Otto Caspari (Prof. fr Philosophie und Mitglied der Loge Ruprecht zu den fnf Rosen, Heidelberg): Was istFreimaurerthum und was knnte seine Zukunft sein. Verlag Bruno Zechel, Leipzig, 1889. S. 196.