59
Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege-Perspektiven Gesund bleiben im Krankenhaus? Jung bleiben im Altenheim? Altwerden mit Kindern? Herbst 2016

Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

  • Upload
    phamque

  • View
    217

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

Verband für Anthroposophische Pflege e.V.

Pflege-Perspektiven

Gesund bleiben im Krankenhaus?Jung bleiben im Altenheim?Altwerden mit Kindern?

Herbst 2016

Page 2: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

Impressum

Vertrieb und Bestellung

Verband für Anthroposophische Pflege e.V.Haberschlaiheide 1/215 70794 FilderstadtTelefon (0711) 7 35 92 19Telefax (0711) 7 35 92 20E-Mail: [email protected] www.vfap.de

Mitglieder mit E-Mail AdresseBitte teilen Sie uns Ihre E-Mail Adresse mit bzw.deren Änderungen. Dann können wir Sie preisgünstiganschreiben bei speziellen Aktionen oderInformationen, für die ein eigener Postversand nichtgerechtfertigt ist. Ebenso ist die Kontaktaufnahmebei eventuellen Fragen dadurch erleichtert.

Jede Autorin und jeder Autor ist für den Inhalt desArtikels selbst verantwortlich. Nachdrucke undVervielfältigungen von Orginalbeiträgen, auch dasFotokopieren oder Übersetzungen sowie die Über-nahme auf elektronische Datenträger sind nur mitausdrücklicher Genehmigung der Redaktion gestattet.

Bitte senden Sie nur maschinengeschriebene Manuskripte zu, wenn möglich per E-Mail oder Datenträger!

Redaktion dieser AusgabeMarko Roknic, Olaf Dickreiter,Matthias Giese, Sabine Schmitt

E-Mail:[email protected]

Redaktionsschluss 201715.09.2017

Erscheinungsweise1 x jährlich

TitelGesund bleiben im Krankenhaus?Jung bleiben im Altenheim?Altwerden mit Kindern?

TitelbildThomas Würsten, Die Mobilar CH

Layoutholtmann’s Büro für Medienarbeit

DruckKooperative DürnauIm Winkel 1188422 DürnauTelefon (07582) 93 00 [email protected]

Page 3: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

1Pflege-Perspektiven Herbst `16

Inhalt

VorwortMatthias Giese

Aus der GeschäftsstelleSabine Schmitt

Schwerpunkthema: Gesund bleiben im Krankenhaus?Jung bleiben im Altenheim? Altwerden mit Kindern?

Gesund PflegenOlaf Dickreiter

Interview mit Torsten KleinerMarko Roknic

„… wie dich selbst“Bernhard Deckers

Lasst mir ZeitCarola Edelmann

Interview mit Heike SommerOlaf Dickreiter

AltenpflegeDorothea von Heynitz

Interview mit Dr. Michaela GlöcklerOlaf Dickreiter

Der Arbeitsalltag, Politik und Meditation in der PflegeRolf Heine

Interview mit Götz W. WernerOlaf Dickreiter

Wenn wir Räume pflegen, geben wir – doch das was wir nach Außentun, wirkt auch zurück.Linda Thomas

3

5

6

11

15

17

20

23

25

27

31

32

Page 4: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

35

37

41

44

46

48

51

53

56

2 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Inhalt

You with me – eurythmieNoemi Böken

BerichteExpertentreffen 2016 in LohelandSophia Knabe

Treffen Junge PflegeDie vier Äther – wie wirken die Bildegesten?Sophia Weinberger

Pflegeausbildung an der Filderklinik gleicht zum Jubiläum ihren Namenan breit gefächerte Ausrichtung anUrsula Vollmer

LiteraturForm, Leben und Bewusstsein (Dr. Armin Husemann)Matthias Giese

PflanzenbetrachtungBaldrianEkkehard Böhm

Termine

Fort- und Weiterbildungen

Beitrittserklärung

Page 5: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

3Pflege-Perspektiven Herbst `16

Vorwort

„Was könnten Sie denn tun, damit es Ihnen gut geht?“

Mit dieser ganz einfachen Frage begegnet Thea Bauriedl, Professorin fürKlinische Psychologie an der Maximilians-Universität München, Menschenaus sozialen Berufen. Warum? Weil diese wie sie sagt, ständig an den Be-dürfnissen anderer orientiert sind. Wer aber an den Brennpunkten der Ohn-macht Dienst tut, läuft auch Gefahr immer wieder selbst ohnmächtig zuwerden. Schon 1983, in der Zeit meines Zivildienstes in der ambulanten Al-tenpflege, fragte der Münchner Psychologe Wolfgang Schmidbauer in sei-nem gerade erschienenen Buch: “Helfen als Beruf – Die Ware Nächsten-liebe“ kritisch: „Kann ein Mensch wirklich acht Stunden am Tag liebevolleZuwendung geben?“

Ein Charakteristikum unserer Profession scheint aber auch zu sein, dass wiruns allzu oft alleine wähnen in dem Bemühen, für „den Nächsten“ da zu seinund „Gutes“ zu tun. Das Leben zu pflegen gehört scheinbar nicht zu denIdealen einer Gesellschaft, in der Selbstoptimierung zum Zauberwort mutiertist. Die Ausbreitung eines ausufernden Selbstbezogenheitstrends auf allenLebensfeldern lässt kritische Beobachter unserer Zeit schon vom „Zeitalterdes Narzissmus“ sprechen. Gehört diese Zeit-Krankheit zur Individualisie-rung? Kenne ich den Narziss in mir? Worin „spiegele“ ich mich gerne? Wer-beindustrie und Massenmedien züchten in der Tat mit ihrer Sehnsuchtssti-mulierung nach Macht, Ruhm, Schönheit, Reichtum und Erfolg narzisstischeCharaktereigenschaften geradezu heran. Ganze Industriezweige verdienenunvorstellbar viel Geld damit, eine pathologische Ichbezogenheit voranzu-treiben. Will und darf ich in so einer Zeit überhaupt noch nach mir fragen –nach dem, was mir gut tut? Bin ich da nicht auch „egoistisch – narzisstisch“unterwegs? Eine gültige Antwort auf diese Frage wird nur schwerlich mög-lich sein, wenn ich nicht bereit bin, an dieser Stelle tiefer zu fragen: Was sindmeine „höchsten“ Vorbilder? Die „Philosophie der Freiheit“ von Rudolf Stei-ner gipfelt in der Aussage: „Man muss sich der Idee erlebend gegenüberstel-len können, sonst gerät man unter ihre Knechtschaft“. Mit anderen Worten:

Liebe Mitglieder und Freunde des Verbandesfür Anthroposophische Pflege e.V.!

Page 6: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

4 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Vorwort

Ideale bergen auch eine Destruktivität in sich, wenn ich „Werden“ mit „Sein“verwechsele.

Was gibt meinem Leben Sinn? Was ist das Wesentliche? Was erhält mich ge-sund? Wo liegen meine Kraftquellen? Was motiviert mich für meinen Beruf?Was will ich tun, damit es mir gut geht? Und: Wie finde ich „das Gute“ inmeinem Leben, in meiner Arbeit, in mir, im Nächsten?

Unseren Autoren und Interviewpartnern sei für ihre Mitarbeit ganz herzlichgedankt. Ihre sehr persönlichen Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnissezu lesen, macht Freude und Mut. Lebensfreude und Erkenntnismut, den Fra-gen weiter ernsthaft nachzugehen in dem Bemühen, eigene Antwortenimmer besser – Zukunft gestaltend, zu leben.

Herzlich grüßt Sie,

Ihr

Matthias Giese

Page 7: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

5Pflege-Perspektiven Herbst `16

Sabine Schmitt

Liebe Mitglieder,

wir freuen uns sehr, dass so viele Artikel den Weg zu uns gefunden haben, umdiese Ausgabe reich mit Inhalt und Seiten zu füllen.

In der letzten Septemberwoche starteten wir einen E-Mailaufruf zur Mitar-beit und Neugestaltung der Pflege-Perspektiven. Ansprechpartner hierfür istOlaf Dickreiter, in Zusammenarbeit mit Nathanael Dreißig und EkkehardBöhm. Wenn Sie Interesse an einer Mitarbeit haben, melden Sie sich hier inder Geschäftsstelle.

In dieser Ausgabe gibt es keinen Bericht der Mitgliederversammlung, da wirIhnen in der ersten Maiwoche 2016 einen Brief über das Projekt „NetzwerkAnthroposophische Pflege“ und das Protokoll der Mitgliederversammlungvom 09.04.2016 per Post haben zukommen lassen. Wie Sie feststellen konnten, stehen neue Aufgaben beim Verband und hier inder Geschäftsstelle an – es ist und bleibt alles in Bewegung.

„Im Herbst steht in den Gärten die Stille für die wir keine Zeit haben.“Victor Auburtin

Nehmen wir uns die Zeit, um gesund in Bewegung zu bleiben, für die Men-schen und Dinge, die uns am Herzen liegen.

Mit herzlichen, herbstlichen Grüßen

Sabine SchmittGeschäftsstelle

Aus der Geschäftsstelle

Page 8: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

6 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Wenn ich am Ende einer Schicht zurückblicke, gibt es für mich drei ver-schiedene Gefühlsstimmungen, die immer wieder auftreten: Erste Ge-fühlsstimmung: Heute lief es richtig gut! Ich habe zack-zack die Not-wendigkeiten erledigen können, habe es geschafft, auch innerlich ganzbei den Patienten zu sein, habe deren zentrale Bedürfnisse erkannt undkonnte diesen beikommen. Zugegeben: Diese Schichten sind selten. Siesind manchmal auch eher kurze Zeitabschnitte. Zweite Gefühlsstim-mung: Oh, an der und der Stelle, habe ich mich eigentlich mit Dingenaufgehalten, die nicht notwendig waren. Ich habe hier und da und insge-samt dann einiges an Zeit vertrödelt. Natürlich versuche ich mir das aus-zureden und sage mir, das dieses und jenes Gespräch ja auch mal wichtigwar und man kann sich ja auch nicht immer ganz konsequent struktu-riert verhalten und man ist ja auch ein Mensch und keine Maschine …Wenn ich ehrlich bin, war es aber (in meinem Fall) vertrödelte Zeit. Zuge-geben: Diese Schichten sind häufiger. Dritte Gefühlsstimmung: Ich warrichtig gut. Ich habe zack-zack die anfallenden Dinge erledigt, ich konnteauch innerlich ganz bei den Patienten sein, ich habe zum Teil erkannt,was diese wirklich brauchen, hatte gute therapeutische Ideen … Ich hatteaber überhaupt nicht den Rahmen, die nötigen Bedingungen die mir er-möglichten, dass ich das auch wirklich durchführen kann. Es waren ein-fach zu viele Bedürfnisse gleichzeitig. Ich war vor zahlreiche Dilemmatagestellt, in denen sich nicht sagen ließ: Ok, das ist jetzt wichtiger, unddas darf auch heute einmal ruhen. Es war beides wichtig und ich musstetrotzt dem auf Eins verzichten! Nicht ich, sondern die Patientin mussteauf etwas verzichten, das WICHTIG gewesen wäre! Wichtig wie eine wür-dige Sterbebegleitung, einen seelischen Beistand nach einer Diagnose,eine wichtige Mobilisation, eine Anwendung, ein „Essenanreichen“ undDinge, die man sich gar nicht getraut zu sagen: Wichtige Medikamente,die ich vielleicht vergessen habe, verwechselt habe. Blutzuckermessun-gen, extreme Vitalparameter, Dinge, die mir dann nach Feierabend sie-dend heiß einfallen und ich nochmal schnell anrufen auf Station. DieseSchichten sind auch häufiger und sie lassen mich laut aufschreien. So

Olaf Dickreiter

Gesund Pflegen

Page 9: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

7Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

laut, dass es möglichst alle hören: Patienten, Kollegen, Vorgesetzte,Freunde, und so weiter. Es fällt auf, dass das eher unangenehme Gefühlnach dem Arbeitstag dadurch entsteht, dass ich nicht das tun kann, wasich eigentlich für richtig halte. Es sind äußere, oder innere Faktoren, diemich von dem eigentlich „Not – wendigen“ abhalten, abbringen, oder ab-lenken. Dabei ist anzumerken, dass die Not, die nicht gewendet werdenkann, teilweise erheblich ist. Darüber gibt es viele Berichte und jede Pfle-gekraft kennt eigene Beispiele zur Genüge. Die Auswirkungen, die diesesDefizit bei den Pflegenden bewirken, sind dabei erheblich: Die Krank-heitstage, das hohe Burn-Out-Risiko, die Fluktuation, die Abwanderungin andere Länder sind ebenso hinreichend thematisiert und erhoben. Diegroße RN4cast Studie 2011 (www.RN4CAST.eu) zeigt dazu viele interes-sante Zahlen. Sie zeigt zum Beispiel, dass die Zufriedenheit mit der Be-rufswahl bei der Mehrzahl der Pflegekräfte in Deutschland überwiegendhoch ist. Die Meisten Pflegekräfte mögen also ihren Beruf. Sie sind dage-gen jedoch mit ihrem Arbeitsplatz sehr unzufrieden. Die überwiegendeMehrzahl empfiehlt darum den Beruf auch nicht weiter.

Man könnte die Missstände noch lange weiterführen. Es zeigt sich inallen Bereichen, dass die Pflegekräfte weder politisch, noch in ihrem täg-lichen Handeln selbstbestimmt sind. Sie werden von „außen“ mit Regelnin ihrem Handeln begrenzt und lassen sich begrenzen. Ein treffendes Bei-spiel ist PKMS (Pflegekomplexmaßnahmen Score). Der PKMS ist einge-führt worden, mit dem sehr wohlmeinenden Ziel, die Leistung der Pflegein einem bestimmten Bereich transparent und damit abrechnungsgerechtdarzustellen. Leider ist dabei die Wichtigkeit der Patientenförderungnicht berücksichtigt worden: So verdient man mit einem schwerstpflege-bedürftigen Patienten am meisten, solange dieser auch schwerstpflege-bedürftig bleibt. Sobald er zu mobil wird, können bestimmte Tätigkeitennicht mehr abgehakt und demnach auch nicht mehr bezahlt werden. DieFolge ist: Der Patient wird so lange wie möglich Bspw. 7-mal am Tag zuzweit gelagert, ob es sinnvoll ist oder nicht. Hier zeigt sich die katastro-phale Konsequenz, wenn, wie es oft üblich ist, an einem runden Tischetwas über Tätigkeiten entschieden wird, die weit entfernt sind von derHandlung. Bedenklicher wird es aber, wenn der Handelnde diese fachlichfalsche Tätigkeit ausführt, selbst wenn ihm bewusst ist, dass er stattdessen,

Page 10: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

8 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

die Eigenbewegung des Patienten fördern sollte (Immobilität bedeuteteine immense Einschränkung sämtlicher Lebensbereiche und ist zudemhoher Risikofaktor für das Entstehen zahlreicher Erkrankungen). Neben-bei arbeitet hier die Pflegekraft auch noch unentgeltlich, denn nir-gendwo sind wirklich Stellen oder Gehälter dieser zusätzlichen Tätigkeitangepasst worden. Versuchen sie doch einmal ihrem Automechaniker zusagen, er möge bitte zusätzlich noch ihr Auto putzen. Er wird das gernetun, aber auch mit einer saftigen Rechnung. Einer Pflegekraft genügt es,wenn man ihr sagt: Da bekommen „wir“ mehr Geld! Professionell“ Pfle-gende arbeiten in vielen Bereichen weder zielführend noch sinnvoll. Eswerden häufig Anordnungen unreflektiert, unhinterfragt, blind ausge-führt. Ein Patient bekommt einen Senfwickel, weil es im Leitfaden fürPneumonie steht. Was aber, wenn in Folge dieser Anwendung sich derZustand des Patienten derart verschlechtert, dass er kurzzeitig intensiv-pflichtig wird?

Im Herzen wohnt

In leuchtender Helle

Des Menschen Helfersinn1

Der Mensch hat in seinem Herzen ein Organ, das wahrnehmen kann, wo eszu helfen gilt. Wenn er „professionell“ wahrnimmt, so nimmt er es nicht imdunklen Unterbewusstsein war, sondern in leuchtenden Helle: Mit hellemBewusstsein. Sehr oft, wenn von Bewusstsein in der Seele gesprochen wird,wird von Licht gesprochen: Mir geht ein Licht auf. Im Grundsteinspruchheißt es:

Nachtdunkel hatte ausgewaltet,

Taghelles Licht erstrahlte in Menschenseelen2

Man darf also davon ausgehen, dass in dem Mantra, dass Rudolf Steiner denprofessionell Pflegenden zum Arbeiten gab, dass es hier bei leuchtenderHelle um das Leuchten des Bewusstseins geht.

Page 11: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

9Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

Im Herzen wirket

In wärmender Macht

Des Menschen Liebekraft1

Jesus fragt seinen „Patienten“ in Lukas 18: Was willst Du das ich Dir tue.

Es geht bei der Liebekraft ganz um den Anderen und um mich. Es kann,wenn es ganz um den Anderen geht und um das, was er von mir braucht ei-gentlich gar nie um fern von diesem Menschen formulierte Reglementsgehen. Das ist es was professionelle Pflegende spüren und weshalb siemanchmal auch resignieren in unserer aktuellen Wirklichkeit.

Und nun zum Willen:

So lasst uns tragen

Der Seele vollen Willen

In Herzens – Wärme

Und Herzens = Licht1

Es heißt nicht den ganzen Willen, oder den kompletten, oder den gesamtenWillen. Mit was ist der Wille dann eigentlich gefüllt? Im Grundsteinspruchwird deutlich, dass sich diese beiden Qualitäten: Die Herzenswärme und dasLicht vereinigen in der Christussonne. Wenn wir das in unseren Willen auf-nehmen, was sich geistig auf der Erde verwirklichen will, was sich inkarnie-ren will, dann kann der letzte Teil der sogenannten Schwesternmeditationwahr werden:

So wirken wir das Heil

Den Heilbedürft ‘gen

Aus Gottes Gnadensinn1

Es ist also nicht nur so, dass der Profession der Pflege zu wenig Wertschät-zung entgegengebracht wird, dass es mehr Gehalt geben müsste, dass es

Page 12: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

10 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

bessere Arbeitsbedingungen geben müsste um den Beruf attraktiver zu ma-chen. Es ist so, dass die Pflegekräfte autonom werden müssen, dass sie Be-dingungen fordern können, die Heilung ermöglicht! Es geht also auch umdas Wohlergehen der Pflegekräfte, damit echte Heilung kranker Menschengeschehen kann. Dafür müssen Pflegekräfte reflektiert, ihr Handeln fachlichbegründend, sinnvoll handelnd eintreten,

das gut werde, was wir aus Herzen gründen,

was wir aus Häuptern zielvoll führen wollen (2).

Olaf Dickreiter

1 Rudolf Steiner in „Beiträge zur Entwicklung der Anthroposophischen Pflege1921-2003“; Ermengarde de la Housaye, Rolf Heine (Hrsg.), Förderstiftung An-throposophische Medizin Medizinische Sektion am Goetheanum 2005

2 Rudolf Steiner in „Der Grundstein“, Zeylmanns van Emmichoven, F.W. 1999, Ver-lag Freies Geistesleben

Literatur:

Page 13: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

11Pflege-Perspektiven Herbst `16

Marko Roknic

Lieber Torsten, Du hast nach Deiner Ausbildungviele Jahre als Gesundheit- und Krankenpflegergearbeitet. Du warst 9 Jahre lang Pflegedienst-leiter im Paracelsus-Krankenhaues in Unterlen-genhardt.Diese Aufgabe hast Du auf Grund eines Burnoutbeendet und kamst nach einer Auszeit von 3Monaten vor 4 Jahren in die PsychosomatischeRehaklinik Sonneneck, wo Du seitdem als Team-und Pflegedienstleiter tätig bist. Wie hast Du es geschafft, Dein Burnout zuüberwinden?

Torsten Kleiner: Lieber Marko, wenn ich an die Zeit damals denke und dannschaue, in welcher Lebenssituation ich inzwischen bin, dann spüre ichgroße Dankbarkeit. Ich hatte das Glück, dass ich noch rechtzeitig die Reiß-leine gezogen habe. Die Erschöpfung war noch nicht so groß, dass ich ineinen Krankenstand geriet. Ich hatte die ganze Zeit beruflich noch „funk-tioniert“. Aufgetreten waren die klassischen Symptome des Burnout, wieSchlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Nervosität, Dünnhäutigkeit, Lustlosigkeit… Ich fühlte mich in einer ausweglosen Situation, hatte das Erlebnis ineinem Tunnel zu stecken, in dem es keine Perspektive für mich gab. Ichliebte meine Aufgabe, stellte mich ganz hinein. Und da sagte ich mir „dumusst doch …“, „wer soll es denn sonst machen?“, „du hast keine Alterna-tive“ usw. So dauerte es dann doch über ein Jahr von dem Tag an – es warein Freitagabend im Februar 2011 – an dem ich meiner Frau sagte, dass ich„nicht mehr will und kann“, bis ich tatsächlich meine Tätigkeit im Paracel-sus-Krankenhaus beendet habe. Ich bin dankbar darüber, wie der Ablöse-prozess dann von statten ging. Es fand sich ein passender Nachfolger, ichkonnte ihn einarbeiten – die Stafette übergeben – und mir wurde ein sehrschönes Abschiedsfest bereitet. Es war mir wichtig, dass ich „im Guten“gehe.

Interview mit Torsten Kleiner

Torsten Kleiner

Page 14: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

12 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Marko Roknic

Als ich die Kündigung einreichte, wusste ich noch nicht, wie es für mich be-ruflich weitergehen wird. Ich wollte am Liebsten ganz aus der Pflege heraus,zumindest keine Leitungsfunktion mehr übernehmen. Ich habe dann ver-schiedene Möglichkeiten ausgelotet und war sehr froh, als du mir die Zu-sage für die Rehaklinik Sonneneck gabst. Und da startete ich dann doch,entgegen meiner Planung, als Teamleiter und deine Vertretung als PDL.In der Phase der Neuorientierung habe ich mir Hilfe von einem Coach ge-holt. Es war mir wichtig, dass ich mir klar wurde, wie es zu meinem Burnoutkam und wie ich ein erneutes Auftreten vermeiden kann. Diese Arbeit hatsich gelohnt. Da ging es um das Auflösen von tief sitzenden Mustern. Ganz wichtig für meine Gesundung war die dreimonatige Auszeit im Früh-jahr 2012, in der ich alleine eine Reise nach Portugal machte. Ich bekam dieMöglichkeit nördlich von Lissabon in einem Häuschen am Meer zu wohnen.Schon die Autofahrt dorthin war ein besonderes Erlebnis. Ich fühlte michfast so frei wie nach dem Abitur. Auffallend war für mich, wie anders ich dieWelt wieder wahrnahm. Die Freude am Essen, an der Natur, an der Kultur …ich erlebte eine Leichte, eine Erleichterung. Im Garten des Häuschenskonnte ich bildhauerisch arbeiten. Ich war damals im 2.Jahr meiner berufs-begleitenden Bildhauerausbildung an der Edith Maryon Kunstschule. Ich binmir im Nachhinein sicher, dass mir diese Ausbildung den Weg für den Um-bruch bereitete. Es öffneten sich durch die schöpferische Arbeit innereTüren, was mir den Mut zu diesem Schritt gab.Die Arbeit in der Rehaklinik war dann nicht zu vergleichen mit der Situationin einer Akutklinik. Ich genoss es sehr, hier wieder in den TherapeutischenProzess eintauchen zu können. Die heilsame Atmosphäre der Einrichtungwirkte auch positiv auf meine Gesundheit. Ich würde sagen, dass es danndoch immerhin 3 Jahre gedauert hat, bis ich wieder ganz in meine Kraftkam – das hätte ich nicht gedacht. Ich weiß nun, was ein „empfindlichesNervenkostüm“ ist.

Könntest Du erzählen, wie Du jetzt mit Belastungen und Überlastungenumgehst, was Du für Dich tust? Aus welchen Quellen regenerierst Du Dich?

Torsten Kleiner: Zunächst versuche ich, dass ich möglichst nicht in einetiefe Erschöpfung komme. Ein erster Schritt war, dass ich den Beschäfti-gungsumfang auf 80% reduzierte. Das muss aber nicht auf Dauer so blei-ben. Ich spüre nun viel schneller, wenn ich überlastet bin. Das war damals

Page 15: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

13Pflege-Perspektiven Herbst `16

Marko Roknic

das Problem – ich hatte nicht auf die Signale des Körpers gehört. Zeitwei-lige Belastungen gehören zum Leben, bringen uns auch weiter. Aber wirmüssen spüren, wenn es zu viel wird. Und dann ist der nächste Schritt, dasswir aktiv werden: Ausgleich suchen, Gestalten von Ruhe- und Entspan-nungsmöglichkeiten, wohltuende Körperarbeit verrichten, die belastendeSituation bearbeiten, zielführende Gespräche führen usw. Für mich ist dieKunst eine sehr schöne Möglichkeit in eine aufbauende Stimmung zu kom-men. Ich kann beim künstlerischen Tun ganz in eine andere Welt eintauchenund alles drum herum vergessen. Aber auch die Arbeit im Garten ist mireine große Hilfe. Wichtig für mich ist auch das Zusammensein und der Aus-tausch mit meiner Frau. Wie erleichternd kann es sein, wenn es einen Men-schen gibt, dem man seine Sorgen anvertrauen kann und mit dem man ge-meinsam nach Lösungen suchen kann.

Was tust Du, wenn Du wahrnimmst, dass jemand aus Deinem Team„völlig überlastet“ ist?

Torsten Kleiner: Dadurch, dass ich nun ganz im Pflegealltag integriert bin,habe ich ein konkretes Bild der Belastungssituation. Das war im letzten Kran-kenhaus nicht der Fall. Da traf mich die Aussage „ich bin völlig überlastet“mitten ins Herz. Ich empfand – als der Verantwortliche für den Pflegebereich– Mitleid für den Kollegen und erlebte bei mir ein Defizit, wenn ich die Si-tuation nicht ändern konnte. Das hatte mich immer sehr belastet. Da hätteich mir selbst mehr gesunde Distanz gewünscht. Das ist übrigens ein sehrwichtiges und spannendes Thema für Leitungsverantwortliche. An der Reha-klinik ist es nun anders. Ich weiß, dass Belastungssituationen eher aus Grün-den entstehen, die unabhängig von der Arbeit sind. Da ist von Grund auf einanderes Eingehen auf den Kollegen gefragt. Das ist nun zunächst der Blickauf mich selbst gewesen: was macht das mit mir? Darauf muss ich als Be-reichsverantwortlicher auch schauen. Da geht es um die eigenen Muster.Die andere Frage ist die, was ich für den Kollegen tue. Da ist man oft in derZwickmühle. Welche Einrichtung ist stellenmäßig so gut ausgestattet, dass sieohne weiteres auf einen Mitarbeiter verzichten kann? So einfach mal nachHause schicken geht nicht. Ich finde es gut, wenn der Kollege die Situationerkennt und Hilfe von außen z.B. bei einem Arzt sucht. Ich würde den Kolle-gen bei diesem Schritt unterstützen. Eine Krankschreibung ist ein Dokument,auf das man objektiv reagieren kann. Mir ist es aber gleichzeitig wichtig, dass

Page 16: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

14 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Marko Roknic

ich vom Kollegen eine Rückmeldung bekomme über das, was ihn belastet undich mit ihm Lösungsansätze erarbeiten kann. Da kann man dann auch mitdem Thema Muster konfrontiert werden, nämlich mit denen des Kollegen.

Welche Vision für Prävention von Burnout in einem Team hast Du?

Torsten Kleiner: Ich bin überzeugt, dass wir Bereichsverantwortlichen einenwichtigen Beitrag leisten können, indem wir Einfluss auf die Arbeitsatmo-sphäre und Teamkultur nehmen. Inwieweit gebe ich den Kollegen Raum zur ei-genen Entwicklung und Entfaltung? Hüte ich mich davor die Ansprüche zuhoch zu hängen? Vermeide ich es überengagierte Mitarbeiter auszunutzen?Lebt eine gute Fehlerkultur? Fördere ich eine Wertschätzung eines jeden voninnen heraus? Gebe ich den Kollegen ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen? Von betrieblicher Seite kann eine Prävention so aussehen, dass von den Ver-antwortlichen dafür gesorgt ist, dass der Betrieb wirtschaftlich gut aufge-stellt ist und das Zukunftsorientierung gewährleistet ist. Es müssen außer-dem aus dem Verständnis der Notwendigkeit Instrumente wie Supervisionund Teamentwicklung finanziell unterstützt werden, wie auch eine entspre-chende Ausstattung mit Personal und Arbeitsmitteln bestehen. Wie wichtigist es, dass der Mitarbeiter das Gefühl und das Wissen hat, dass er eine sinn-volle und erfolgreiche Arbeit leistet. Der Betrieb muss gesund sein.Letztendlich trägt auch der einzelne Mitarbeiter Verantwortung dafür, dassein Burnout vermieden wird. Dazu fallen mir folgende Themen ein: Selbst-erkenntnis, Selbstfürsorge, Kommunikationsfähigkeit, Selbstwertschätzung,gesunde Lebensführung, Wissen um Quellen der Lebenskräfte, Gestaltungdes sozialen Umfelds, Einstellung zur Arbeit und deren Stellenwert.Lieber Marko, das Thema Burnout ist ein sehr umfassendes. Ich habe aufDeine Fragen aus meiner persönlichen Betroffenheit heraus geantwortet.Da sind bestimmt noch viele Aspekte anzufügen. Auf jeden Fall reicht esnicht aus, wenn an den Stellenschlüsseln und Gehaltsstrukturen gedrehtwird. Da sind tiefergehende Fragen zu bewegen. Und je nach dem bedeutetdas Arbeit. Aber die lohnt sich.

Lieber Torsten, vielen Dank für Deine persönlichen Antworten und dieHinweise auf die Dimensionen des Thema Burnout für uns alle in derPflege Tätigen.

Das Gespräch führte Marko Roknic

Page 17: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

15Pflege-Perspektiven Herbst `16

Bernhard Deckers

Man kennt die Geschichte:

„Es ging einmal ein Mensch von Jerusalem hinunter nach Jericho und fiel indie Hände von Räubern …“

Was macht in diesem Fall den Samariter zum Helfer, zum Nächsten?

1. Er hält sich nicht an irgendeinen Gruppen-Verhaltenskodex.

2. Er lässt sich bewegen (in Bewegung versetzen) von dem Schicksal desVerletzten („… bekam er Mitleid mit ihm …“).

3. Er ergreift Maßnahmen der ersten Hilfe / Wundversorgung.

4. Er übernimmt den Transport und sorgt für eine nachhaltige Weiterver-sorgung.

Was qualifiziert den Samariter?

Er verfügt offenbar über eine innere Freiheit, die ihn schwingungs- undhandlungsfähig macht. Er verfügt über ein „Fachwissen“, eine Handlungs-kompetenz. Und er findet eine Lösung, die ihn zugleich in die Lage versetzt,seine Reise fortzusetzen.

Diese Geschichte erscheint wie ein ökologisches Modell: es wird für alles ge-sorgt, sozusagen ganzheitlich, und auch der Helfer verausgabt sich nicht,vielmehr sorgt er dafür, dass auch er seines Weges gehen kann – so wie dieanderen auch.

Ich vermisse in unserem Pflegeberuf diese Ausgeglichenheit. Wir verausga-ben uns (welches Bedürfnis erfüllen wir uns damit?). Und müssen wir immerandere (das System etc.) dafür verantwortlich machen, wenn wir nicht mehr

„… wie dich selbst“

Page 18: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

16 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Bernhard Deckers

können? Mir scheint, dass der erste Teil („Liebe deinen Nächsten“) in der Tra-dition unseres Berufes absolut dominiert. Dahingegen haben wir noch garnicht verstanden, wie der zweite Teil („… wie dich selbst“) zu erfüllen ist.Stattdessen quälen wir uns mit dem Gedanken, immer noch nicht das Idealerreicht zu haben. Es fehlt an der Balance zwischen diesen beiden Teilen –der Nächste und Ich –. Es kann nicht darum gehen, in Egoismus zu verfallen.Denn das wiederum macht unfrei.

Warum steht in all den Pflegebüchern gar nichts über diese „Technik derLiebe“?

Und ist es nicht Ziel einer jeglichen menschlichen Begegnung, zu sich selbstzu finden?

Ich kenne keine bessere Formel hierfür als diese: „Ich werde am Du“ *

Bernhard Deckers

* Martin Buber: Ich und Du. Reclam, Stuttgart 2008

Literatur:

Page 19: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

17Pflege-Perspektiven Herbst `16

Carola Edelmann

so lautet ein Motto von Emmi Piklers Lebenswerk. Die ungarische Familien-ärztin entwickelte in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in Budapest ausder Beobachtung der Bewegungsentwicklung des kleinen Kindes herausPrinzipien, die Kindern helfen sich in jeder Beziehung gesund zu entwickeln. Als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin arbeite ich seit nunmehr 25Jahren bei der Häuslichen Kinderkrankenpflege e.V. Stuttgart. Wir betreuenkranke Kinder und ihre Eltern zu Hause, in ihrer vertrauten Umgebung. Esgeht uns nicht nur um eine optimale medizinisch pflegerische Versorgungdes Kindes, sondern auch darum, die Eltern so zu begleiten, dass sie gestärktin ihrer elterlichen Kompetenz dem Kind in seiner speziellen LebenssituationSicherheit geben können.

Lasst mir Zeit – das klingt schon fast revolutionär in einer Zeit, wo mankaum noch Zeit für die Pflege findet. Viele pflegefremde Aufgaben und derMangel an Kolleginnen erschweren den Pflegealltag in der stationären undhäuslichen Pflege. Allzu bekannt sind uns Situationen, in denen der Patientund wir einfach funktionieren müssen. Eine heilende Pflege durchzuführenerscheint aussichtslos. Zurück bleiben dann unzufriedene Patienten undAngehörige und uns geht es nicht anders. Wie ist es dennoch möglich so zupflegen, wie in den „Pflegeperspektiven“ vom Sommer 2014 beschrieben:Pflege, die gut tut – dem zu Pflegenden, wie dem Pflegenden?

In meiner langjährigen Berufstätigkeit als Kinderkrankenschwester, sei es inder Klinik oder in der Häuslichen Kinderkrankenpflege, begleitet mich dieArbeit von Emmi Pikler nun schon seit fast 30 Jahren und ist zu meinem in-neren Leitfaden geworden. Gelingt es mir diese Prinzipien immer wiederneu umzusetzen, kann ich erleben, dass das Kind freudig „miteinsteigt“ unddie Pflege heilend wirken kann. Dies hat auch eine positive Auswirkung aufmeine innere Kraft und Entfaltungsmöglichkeit als Pflegende. Deshalb ist esmir ein Anliegen die wesentlichen Prinzipien von Emmi Piklers Lebenswerkvorzustellen. Dazu zählen neben dem „Zeit lassen“ die Achtung des Men-schen als einmalige Persönlichkeit und die Verlässlichkeit in der Beziehung.

„Lasst mir Zeit“,

Page 20: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

18 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Carola Edelmann

Machen wir uns grundsätzlich bewusst, dass das Kind von Geburt an mitseiner ganzen Persönlichkeit anwesend und wahrnehmend – ganz Sinnesor-gan – ist, wird es uns zur Selbstverständlichkeit auch unser Handeln daraufeinzustellen. So, dass wir bei jeder Begegnung das Kind bei seinem Namennennen und mit Blickkontakt mit ihm reden. Dass wir ankündigen und umsein Einverständnis bitten für das, was wir gemeinsam mit ihm vorhaben, seies die Durchführung der Körperpflege oder eine therapeutische oder dia-gnostische Maßnahme. Geben wir dem Kind Zeit mitzumachen, dann stärkenwir das Kind in seiner Kompetenz selbst aktiv und wirksam sein zu könnenDamit fühlt sich das Kind ernst genommen und es wird ihm leichter fallenzu kooperieren. Es fühlt sich gesehen, kann sich öffnen, mitmachen undsich mitteilen. Wir werden dadurch das kleine Kind immer besser verstehenund zugleich staunen lernen. Dabei können immer wieder besondere Mo-mente entstehen.

Von so einem Moment möchte ich aus meiner Arbeit in der Häuslichen Kin-derkrankenpflege berichten: Ein 2jähriges Mädchen mit einer akuten Pneumonie war sehr krank undschwach und musste sich von mir einen Senfmehlwickel anlegen lassen.Doch die Familie, einschließlich des großen Bruders, half tüchtig mit und siespürte sichtlich, dass sie danach mehr Kraft zum Atmen hatte. Ich war dabeimich zu verabschieden, da schaute sie erst mich an und dann auf mein Ste-thoskop, das noch am Bettende lag und teilte mir ohne Worte mit, dass iches nicht vergessen solle. Glücklicherweise habe ich ihren Blick gesehen undverstanden. Ich bedankte mich bei ihr und sie, die richtig krank war, strahlteüber das ganze Gesicht.

Um solch eine Atmosphäre des Vertrauens entstehen zulassen und die Pfle-gesituation zur Quelle gemeinsamer Freude werden zu lassen ist es notwen-dig in Bezug auf die Art und Weise wie wir pflegen einheitlich zu sein, einegesunde Tagesstruktur aufzubauen und eine innere Haltung zu haben, diemöglichst unbeeinflusst bleibt von unseren persönlichen Stimmungen.Fühlt sich das Kind dadurch gesehen bzw. verstanden, kann es loslassen undeine gewisse Zeit für sich sein, um das Erlebte zu „verdauen“. Wir könnenuns dann anderen Aufgaben zu wenden, das Kind aber stets im Bewusstseinhaltend, damit der innere Beziehungsfaden nicht abreißt.

Page 21: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

19Pflege-Perspektiven Herbst `16

Carola Edelmann

Mit der Aufforderung „lasst mir Zeit“ ist nicht gemeint, dass wir für diePflege mehr Zeit benötigen – sondern dass wir durch unsere geistige Prä-senz mit dem zu Pflegenden und unserem Handeln eine Einheit bilden. Da-durch kann pflegen heilend wirken.

Wenn wir diese Qualitäten der Achtsamkeit, der Verlässlichkeit und desZeitlassens auch den Eltern und Angehörigen unserer Patienten und letzt-endlich auch unseren Kollegen entgegenbringen können, entsteht sichereine neue Kraftquelle für unsere Arbeit und vielleicht auch das Gefühl Zeitfür die Pflege zu haben.

Carola EdelmannGesundheits- und KinderkrankenpflegerinExpertin für anthroposophische Pflege

Emmi Pikler, Friedliche Baby – zufriedene Mütter, Herder Verlag, FreiburgEmmi Pikler, Anna Tardos: Miteinander vertraut werden, Arbor VerlagMonika Aly: Mein Baby entdeckt sich und die Welt, Kösel Verlag

Literaturhinweis:

Page 22: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

20 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

Heike Sommer ist 47 Jahre alt und verheiratet.Sie ist seit 1991 Krankenschwester, Expertin fürAnthroposophische Pflege seit 2010 und Team-verantwortliche auf der Gynäkologie im Gemein-schaftskrankenhaus Herdecke.Sie wird von ihren Kolleginnen und Kollegen sehrbewundert für ihre große Ausdauer, dafür, dasssie trotz diesen Bedingungen in unserem heuti-gen Gesundheitssystem ihren Beruf gerne aus-führt und sich ihre Kraft und Gesundheit auf be-merkenswerte Weise erhält.

Wir haben Sie gefragt, ob Sie uns etwas darüber erzählen kann.

Liebe Frau Sommer, können Sie uns erzählen, wie Sie persönlich mitden Herausforderungen im Pflegeberuf umgehen? Zunächst, in wel-chem Bereich arbeiten Sie?

Heike Sommer: Seit fast 25 Jahren arbeite ich bereits als Krankenschwesterund werde bald volljährig auf der Gynäkologie.In der ganzen Zeit habe ich unterschiedlichste Stationen, Fachgebiete undArbeitsweisen kennengelernt und Gefallen daran gefunden stets auf demLaufenden zu bleiben. Mich fort- und weiterzubilden und nicht nur im ei-genen Saft zu schmoren, ist wichtig für Hirn, Motivation und Zufriedenheit.

Wie können Sie sich erholen? Wo bekommen Sie Ihre Kräfte her?

Heike Sommer: Nach anfänglichen 100 % habe ich vor einigen Jahrenmeine Arbeitszeit auf 80% reduziert und verzeichne einen deutlichen Qua-litätszuwachs in allen Bereichen meines Lebens.Meine Speicher füllen sich nun besser und nachhaltiger in meiner freienZeit. So bin ich auch bereit mal einige Überstunden zu machen oder einzu-

Interview mit Heike Sommer

Heike Sommer

Page 23: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

21Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

springen. Als 100% Kraft ist das fast nicht möglich und eigentlich gar nichtzu verlangen. Meine freie Zeit gestalte ich vielfältig mit Sport und Faulenzen, Freundenund Familie, Gartenarbeit und Urlaubsreisen.Manchmal ist es schwierig Ausgewogenheit zwischen stressigen Diensten inallen drei Schichten herzustellen. Umso wichtiger ist es Zeiten des Nichts-tuns zu genießen – und das ganz ohne schlechtes Gewissen! Ich versuche meine Arbeit nicht als Belastung zu sehen und weiß, dassmeine Patientinnen nicht für unser Gesundheitssystem und die knappenZeitressourcen verantwortlich sind!Im Gegenteil, sie wissen es zu schätzen im größten Trubel ein Fußbad zu be-kommen – was sich ganz sicher positiv auf ihr gesamtes Befinden auswirktund damit auch auf ihre und meine Zufriedenheit. Manchmal ist der Spagat zwischen den unterschiedlichen Anforderungengroß:Von der Versorgung palliativer Patientinnen – die wir oft bis in den Tod be-gleiten – über die Pflege rund um die OP, bis hin zu Schwangeren undWöchnerinnen.Doch genau dieses Spektrum macht die Arbeit für mich rund und reizvoll:Von der Geburt bis zum Tod pflegen zu dürfen. Das empfinde ich als etwasBesonderes, dass durch die unterschiedliche Arbeit an sich schon für einegewisse Ausgeglichenheit sorgt, wie sich alles im Leben ausgleicht.

Wie gehen Sie im täglichen Arbeiten mit Ihren Kräften um?

Heike Sommer: Für mein Leben auf Station ist mir wichtig, dass ich nichtalles selber machen muss: Ich kann delegieren und tu´s auch.Ich bin nicht unersetzlich und muss mich nicht um alles kümmern, tuemeine Aufgaben aber verantwortungsvoll.Wenn mal nicht alles 100%ig läuft, dann bin ich auch mit weniger zufrie-den. Ich kann nicht mehr rausholen als drinnen steckt.Wenn auch nicht immer, so liebe ich doch meinen Beruf, tue das, was ichtue gerne und von Herzen. Verbiege mich nicht um Standards zu genügenund äußere das was nicht gut, sondern verbesserungswürdig ist. Im Laufe der Zeit habe ich immer wieder Fort- und Weiterbildungen, Seminareund Bildungsurlaube zu den Themen, Gesundheit, Bewegung, Stressabbau, …

Page 24: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

22 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

besucht. Sehr nachhaltig ist da die Arbeit mit dem anthroposophischen ArztPaul Wormer.Von seinem mit dem gesamten Team durchgeführten Seminar "Stressmana-gement/Vitalitätsmanagement" zehren wir alle heute noch.Auch das ist entscheidend wichtig:Motivation und Wertschätzung durch den Arbeitgeber zu bekommen, dererkennt wie wichtig gesunde Mitarbeiterinnen sind und der solche Semi-nare fördert.

Liebe Frau Sommer, Herzlichen Dank für das Interview!

Heike Sommer: Gerne und liebe Grüße aus Wuppertal.

Das Interview führte Olaf Dickreiter

Page 25: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

23Pflege-Perspektiven Herbst `16

Dorothea v. Heynitz

Neulich trafen wir uns bei einer Kollegin, die schwer erkrankt ist und wirsprachen über „alte Zeiten” die etwa 15 Jahre zurückliegen. Da war einegroße Heiterkeit und Leichte! Die Menschen, die natürlich alle längst ver-storben sind, wurden in unseren Herzen lebendig und es berührte mich,wie intensiv, wie genau wir uns gemeinsam erinnerten: an die Gestalten,die Gesten, die Stimmen, die Atmosphäre in den persönlich eingerichtetenZimmern, die Erlebnisse, z.T. auch sehr unterschiedliche, die wir mit diesenMenschen hatten.Ein Beispiel möchte ich gerne erzählen: Frau B. war in vielerlei Hinsichtsehr speziell. Sie war keine Frau, bei der das Herz gleich warm wird. Seit-enlange Beschwerdebriefe in ihrer schönen gestochenen Handschrift seheich vor mir, ein großes Misstrauen aufgrund vieler erlebter Enttäuschun-gen stand oft wie eine Mauer um sie herum und ein Sammeltrieb, den wirja oft bei Menschen erleben, die die „schwere Zeit” durchlebt haben, er-schwerte das Putzen in dem kleinen Zimmer. Immer wieder fanden wir inden Verstecken Besteck, Scheren, Kugelschreiber und was man eben imVorbeigehen in einem Pflegeheim so mitnehmen kann ….Als bei Tisch abgeräumt werden sollte, wollte sie einen kleinen Löffelnicht hergeben und schrie mit schriller Stimme: „das ist meiner, da istmein Name eingraviert.“ Wir reagierten gereizt, da sich solche und ähn-liche Szenen ständig wiederholten. Eine junge Praktikantin drehte denLöffel um und fragte heiter und fröhlich: „ach, war ihr Mädchenname ros-tfrei?“ Das gemeinsame Lachen erlöste uns alle.

Warum habe ich dieses Beispiel gewählt?In der gemeinsamen Erinnerung wurden die Menschen wieder lebendigund ihre Persönlichkeiten standen sehr konkret vor uns – auch in derProblematik. Aber in der Erinnerung fehlte all das, was den Alltag in derAltenpflege oft so mühsam, so anstrengend, so aufreibend macht: Dienst-plan, Krankmeldungen, Überforderung, wenn alle auf einmal etwaswollen, Ansprüche der Bewohner und deren Angehörige, MDK-Kontrollenusw. usw.

Altenpflege

Page 26: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

24 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Dorothea v. Heynitz

Das Besondere in der Altenpflege ist ja, dass wir die Menschen oft vieleJahre pflegen und betreuen, viele Feste feiern, schöne und schwere Zeitenmiteinander durchstehen. Jede und jeder bringt eine Seite in uns zumSchwingen – oft erfahren wir erst durch sie, dass wir diese Seite über-haupt auf unserem Instrument haben! Und gerade für die vielen jungenMenschen, die oft nur für ein Praktikum, oder soziales Jahr bei uns sind,ist die Begegnung mit den sehr alten Menschen eine Erfahrung und einSchatz, der für immer im dem berufsbiographischen Rucksack bleibt.Ich möchte nicht falsch verstanden werden, ich meine nicht, dass rück-blickend alles schön ist – aber es ist doch interessant, wie sich in der Erin-nerung das Wesentliche der Begegnung erhält.

Für viele Menschen die wir versorgen, ist die Erinnerung ganz dem Be-wusstsein verloren gegangen und sie können nicht darauf zurückgreifen.Das ist tragisch – das ist sicher auch oft eine Gnade. Nach dem Tod kannjeder Mensch auf sein Leben schauen und nichts ist verloren. Das istimmer wieder in den Tagen der Aufbahrung zu sehen und zu erleben.

Ich wünsche uns in der Altenpflege, dass wir Strukturen schaffen, die denArbeitsalltag erleichtern, dass wir genügend Mittel zur Verfügung haben,damit wir unsere Arbeit gut machen können. Ich wünsche uns die Leichteund den Humor, der in der Erinnerung so lebhaft anwesend war. Und ichmöchte mit dazu beitragen, dass wir die Bedeutung erfassen, was es heißt,so viele Menschen vor und nach dem Todesaugenblick versorgen und be-gleiten zu können.

Dorothea v. Heynitz ist Altenpflegerin undHeimleiterin des Albert-Kolbe-Heimes in Kassel

Page 27: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

25Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

Liebe Frau Glöckler, In den letzten 28 Jahrenwaren Sie als Leiterin der Medizinischen Sek-tion am Goetheanum gefühlt 20 von 30 Tagendes Monats in der Welt unterwegs, haben du-zende Bücher und Schriften veröffentlicht,hunderte Vorträge gehalten. Ihre Arbeitswo-che betrug meist 7 Tage mit nicht selten über100 Stunden.Was ist aus Ihrer Sicht das Zentrale um so einPensum leisten zu können?

Michaela Glöckler: Dass man die Arbeit gerne tut und sich für den Zusam-menhang mitverantwortlich fühlt, in dem sie steht. Dabei ist mir bewusst,dass ich von zwei Gefühlen spreche: „gerne“ und „verantwortlich“. Gefühlesind entscheidende Kraftquellen oder Krafträuber im Alltag. Ich bin dankbar, dass es mir immer wieder gelungen ist, mich auf die Arbeitzu freuen, unter den Belastungen nicht einzuknicken und die Regel, überdie ich in Vorträgen und Seminaren spreche, auch selber so gut es geht zubeherzigen: nämlich aufzupassen, wenn die positiven Gefühle schwächerwerden und die Liebe zur Sache nachlässt. Das sehe ich als Gefahr an undZeichen, mich zu besinnen, wo ich stehe und was ich tun muss, damit eswieder besser wird. Wenn ich aber ganz ehrlich bin, so muss ich sagen,warum ich dass so mache und machen will. Für mich ist das wichtigste imLeben, Menschlichkeit zu üben, menschlicher zu werden und aus dieserSuche heraus an den Sinn des Menschenlebens heranzukommen. Das hatmich auf den christlichen Schulungsweg gebracht, den ich zugleich als diebeste Hilfe und Grundorientierung für die helfenden und heilenden Berufeerlebe. Denn dadurch wird man unabhängig von äußerer Anerkennung inForm von Lob und Geld. Man tut aus sich heraus, was man für richtig fin-det und nimmt das eigene Leben und Schicksal mit seinen Hindernissenund Geschenken, den reichen Berufserfahrungen und Anforderungen als„sportlichen“ Schulungsweg der Selbstentwicklung an. Diese Einstellung

Interview mit Dr. Michaela Glöckler

Michaela Glöckler

Page 28: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

26 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

gibt Kraft, weil sie einen täglich dem „besseren Selbst“ ein wenig näherbringt.

Was empfehlen Sie Pflegekräften im Schichtdienst, um bei ständigerUnterbesetzung gesund pflegen zu können?

Michaela Glöckler: Es braucht eine zentrale Meditation – z.B. die Schwestern-meditation von Rudolf Steiner, an der man sich innerlich orientiert, sich wie-der findet und ordnet. Man kann aber auch selber für sich formulieren,warum man diesen Beruf gewählt hat und sich damit täglich neu identifizie-ren. Dieses „Brot des Lebens“, das aus guten Gedanken und liebegetragenenWorten besteht, ist unerlässlich. Es stiftet Identität, pflegt und stärkt sie. Dann hilft es, Geistesgegenwart zu üben und ganz bei dem zu sein, was ge-rade die Arbeit fordert. D.h. man sollte nicht in Momenten der Überforde-rung den Ärger über die Unterbesetzung, die wachsende Bürokratisierung,die unzureichende Bezahlung, das sich ausgenützt und unter Druck gesetztfühlen oder einen erlebten Mangel an Kollegialität in sich hochkommenlassen. Das schwächt und raubt einem den vorletzten Nerv. Darüber kannman bei guter Stimmung nachdenken, wenn man frei hat und mit ein paarKollegen zusammen sitzt, mit denen man vielleicht einen Vorschlag zur Ver-besserung der Lage ausarbeiten kann. Alles zu seiner Zeit und am richtigenPlatz ist das Geheimnis der Gesundheit ….Sicher kennt Ihr aber auch den Spruch, der viele Väter hat:„Gott gebe mir den Mut zu ändern, was ich ändern kann – Er gebe mir die Gelassenheit, zu tragen, was ich nicht ändern kann und dieWeisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“. Was man nicht ändern kann, raubt Kraft, wenn man es nicht tragen will.Was man ändern kann, jedoch nicht ändert – raubt ebenfalls Kraft. Jedochwach zu sein, das Leben zu nehmen wie es ist und jeweils das Beste aus derSituation machen zu wollen, gibt Kraft. Warum ist das so? weil Kraftzu-wachs dadurch entsteht, wenn ich mich mit etwas verbinde und verbundenfühle. Daher ist es auch so hilfreich, wenn man einen kleinen Arbeitskreishat, wo man mit Kollegen an gemeinsamen Fragen arbeiten und sich ge-genseitig unterstützen kann.

Vielen Dank für Ihre Antworten!

Die Fragen stellte Olaf Dickreiter

Page 29: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

27Pflege-Perspektiven Herbst `16

Rolf Heine

Über den unzureichenden Stellenschlüssel, nicht besetzte Stellen und über-durchschnittliche Krankheitsausfälle in den meisten Bereichen der Pflegeund über die Gefahren für Patienten, Bewohner, Klienten sowie die Mitar-beiter ist hinreichend gesprochen worden. Es ist niemandem gedient, dieszu beschönigen, es schadet zugleich dieses Lied immer von neuem zu sin-gen. Kaum jemand lässt sich von einer „Pflege am Boden“ beeindrucken,Überlastungsanzeigen führen zu keiner Entlastung. Politisch setzen sich der DPR und seine Mitgliedsverbände für valide Mitar-beiterbemessungs-instrumente ein. Kostenträger und die Deutsche Kran-kenhausgesellschaft sprechen sich dagegen aus. Ebenso scheut man Perso-nalmindestvorgaben und nur auf erheblichen politischen Druck hat mansich auf eine feste Patienten-Mitarbeiter-Relation in der Neonatologie ein-gelassen. Denn klar ist: Sowohl Mitarbeiterbemessungsinstrumente wieauch Personalmindestvorgaben werden die Kosten für den Pflegebereich er-höhen und damit den Verteilungsdruck zwischen den Berufsgruppen imKrankenhaus, der Pharmaindustrie und den Medizinprodukteherstellern. DieBereitschaft der Gesellschaft über die Kassenbeiträge mehr Geld in das Ge-sundheitswesen fließen zu lassen um alle Wünsche zu erfüllen ist sehr ge-ring. Es wird eine Machtfrage sein. Und da die Pflegenden bisher eine weitge-hend unpolitische Berufsgruppe sind, wird sich substanziell erst etwas än-dern, wenn Pflegende politischen Druck erzeugen. Möglicherweise werdenMitarbeiterbemessungsinstrumente aber schon sehr bald kommen. DieFrage ist, ob dann genügend Pflegende da sein werden, um die besserenStellenpläne zu besetzen? Wird der Kampf um Fachkräfte, dann zugunstender „Meistbietenden“ entschieden? Ein politischer Sieg würde so zur Nie-derlage. Vielleicht wird man sich einfach an den Pflegemangel (an Quantität undQualität) gewöhnen. Es gibt viele Indizien dafür: Wen bekümmert es, wennPatienten nicht regelmäßig Essen und Trinken erhalten, stundenlang innassen Windeln liegen, nicht aus dem Bett kommen, Medikamente verges-sen, Hygienevorschriften nicht eingehalten werden … Meist trifft es die

Der Arbeitsalltag, Politik und Meditation in der Pflege

Page 30: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

28 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Rolf Heine

schwachen, dementen Patienten, die sich nicht artikulieren können. Pfle-gebedürftigen wird man empfehlen, Angehörige mit ins Krankenhaus zubringen, um eine angemessene Pflege zu erhalten, zumindest außerhalbvon Intensivstationen. So nähert sich die deutsche Krankenhauswirklich-keit dem internationalen Standard an. Niemand will das. Diese Wirklichkeithat aber bereits begonnen. Hervorragende „Pflegenoten“ und „Zufrieden-heitsergebnisse“ bei Patientenbefragungen verschleiern diesen Befund. DerDankbarkeitsbonus der Zufriedenheitsbefragungen für die gutgemeinteHilfe schadet der Pflege, wie jede Droge.

Es ist der nüchterne Blick in die Wirklichkeit, der auch die Pflegenden aus ihrerkonstitutionellen politischen Verschlafenheit aufwecken muss. Das Anschauender Wirklichkeit ist Meditation. Nichts Anderes. Was braucht ein konkreter Pa-tient in einer konkreten Situation wirklich? (Was ist meine Vorstellung davon,was er braucht? Welche meiner Vorstellungen sind von Gewohnheiten oderÄngsten getrieben?) Was brauchen meine Kollegen wirklich von mir? In wel-chen Prozessen (Dokumentation, Absprachen, Standards) erkenne ich einenSinn? (Welche sind Krankheiten des sozialen Organismus?) Das Fragen in dieWirklichkeit ist schwerer als es auf den ersten Blick scheint. Meine Urteile imAlltag sind schneller als das stille Betrachten. Sie müssen es sein. Deshalb übeich urteilsarmes Anschauen, wo es still ist. Mit einem bunten Laubblatt, derHandschrift eines Freundes, einem Gedicht, einem Gebet. Was findet sichdort? Vielleicht Bewegung, Wärme, Licht, Nahrung wie in diesem Mantram:

Licht um michLicht erfülle michLicht stärke michLicht befreie michLicht stelle michAuf mich selberIch

R. Steiner; GA 268; S. 150

Meditation ist Anschauen der Wirklichkeit. Das Anschauen braucht Übung. DieÜbung stärkt meine Urteilskraft. Was ist wichtig, jetzt? Was wird von mir ge-braucht? Üben klärt den Blick. Der auf sich selbst gestellte Mensch ist frei. Er

Page 31: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

29Pflege-Perspektiven Herbst `16

Rolf Heine

erkennt und gestaltet was wirklich wichtig ist. Dabei kommen die Einfälle nurselten während der Meditation. Meist sind sie da, plötzlich wie erlösende Ant-worten auf lange drängende Fragen. Meditieren taugt weder zur Selbstberuhi-gung noch zur Weltflucht. Der Meditierende schaut vielmehr ins Zentrum desLebens; auf Not und Überforderung ebenso wie auf Schönheit und Wahrheit.Die zentrale Meditation für alle die heilen wollen, gab Rudolf Steiner in der so-genannten Wärmemeditation. Sie stellt die Frage nach dem „Guten“. Wir wür-den heute sagen, nach einem ethisch gerechtfertigten Handeln.

Vorbereitung: Wie finde ich das Gute?Kann ich das Gute denken?

Ich kann das Gute nicht denken. Denken versorgt mein Ätherleib. Mein Ätherleib wirkt in der Flüssigkeit meines Leibes. Also in der Flüssigkeit des Leibes finde ich das Gute nicht.

Kann ich das Gute fühlen? Ich kann das Gute zwar fühlen; aber es ist durch mich nicht da, wenn ich esnur fühle. Fühlen versorgt mein astralischer Leib. Mein astralischer Leib wirkt in dem Luftförmigen meines Leibes. Also in dem Luftförmigen des Leibes finde ich das durch mich existierendeGute nicht.

Kann ich das Gute wollen?Ich kann das Gute wollen. Wollen versorgt mein Ich. Mein Ich wirkt in dem Wärmeäther meines Leibes. Also in der Wärme kann ich das Gute physisch verwirklichen.

Ich fühle meine Menschheit in meiner Wärme.

Ich fühle Licht in meiner Wärme.(Achtgeben, das diese Lichtempfindung auftritt in der Gegend, wo das phy-sische Herz ist)

Page 32: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

30 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Rolf Heine

Ich fühle tönend die Weltsubstanz in meiner Wärme.(Achtgeben, das die eigentümliche Ton-Empfindung vom Unterleib nachdem Kopfe, aber mit Ausbreitung im ganzen Leibe geht.)

Ich fühle in meinem Kopfe sich regend das Weltenleben in meiner Wärme. (Achtgeben, dass die eigentümliche Lebensempfindung vom Kopfe nachdem ganzen Körper sich verbreitet)

R. Steiner, GA 268; Seite 296

Das Gute entsteht erst, wenn der Mensch handelt. Im Berufs- und FamilienAlltag. Im Einsatz für eine gute Patientenversorgung, im Hinwirken auf hin-längliche Rahmenbedingungen, so dass eine gute Pflege möglich ist. Im lie-bevollen „Nein-Sagen“, ebenso wie in der engagierten Mehrarbeit. „DemLiebenden schlägt keine Stunde“. Wer sich entzündet, erkältet nicht. Wereinen tieferen Sinn fühlt und „Nein-Sagen“ kann, brennt nicht aus.

Ein Meditierender ist ein politischer Mensch, weil ihm das Gemeinwohlebenso am Herzen liegt, wie das eigene – oder mehr noch.

Rolf Heine

Page 33: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

31Pflege-Perspektiven Herbst `16

Olaf Dickreiter

Lieber Herr Götz W. Werner, Ihre Arbeitswo-che beträgt meist 7 Tage, umfasst etwa 100Stunden. Sie haben zahlreiche Bücher veröf-fentlicht, haben unzählige Vorträge gehaltenund Sie haben eine große Familie der Sie ge-recht werden wollen: Was tun Sie um so einPensum leisten zu können?

Prof. Götz W. Werner: „Im Rhythmus liegt die Kraft, das habe ich beim Ru-dern gelernt. Und im Alltag gelingt vieles besser, wenn wir es rhythmischgestalten. Wie beim Schaukeln, da kann der richtige Rhythmus wie ein Ver-stärker wirken. Es geht darum Gegensätze in Einklang zu bringen und sichan den unwichtigen Dingen nicht zu verzetteln.“

Was empfehlen Sie Pflegekräften, die dem Schichtdienst, ständigerUnterbesetzung und vielen weiteren Belastungen ausgesetzt sind unddabei den Bedürfnissen und Nöten pflegebedürftiger Menschen ge-recht werden wollen?

Prof. Götz W. Werner: „Was viele Menschen in der Pflegearbeit leisten istwirklich beeindruckend. Das können wir gar nicht genug wertschätzen.Warum nehmen Menschen diese hohen Belastungen auf sich? Weil sie einenSinn darin sehen, sich um Ihre Mitmenschen zu kümmern. Sie verbinden sichmit ganzem Herzen mit diesen Aufgaben und das intensiviert die Sinnhaftig-keit im Leben. Die Frage offenbart einen Skandal und wir müssen anerkennen,dass wir die Rahmenbedingungen der Pflege- und Erziehungsarbeit deutlichverbessern müssen. Warum billigen wir heute dem Menschen, der unser Autorepariert mehr Wertschätzung und ein höheres Einkommen zu, als dem Men-schen, der sich um die Pflege unserer Kinder und Mitmenschen kümmert?“

Vielen Dank für die Antworten!

Die Fragen stellte Olaf Dickreiter

Interview mit Prof. Götz Werner

Prof. Götz Werner

Page 34: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

32 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Wir kommen täglich in Berührung mit den Elementen, sie sind um und inuns. Schön wäre es, dieses unmittelbare Erleben der Elemente im Alltag neuzu entdecken, zu lernen mit ihnen Freundschaft zu schließen.

In allen Aktivitäten sind die vier Elemente gegenwärtig. Die Elemente wer-den belebt von unzähligen lebendigen Elementarwesen und die Engel derElemente sind mächtige, großartige Wesenheiten. Wir sind uns dieses Ele-mentaren oft nicht genügend bewusst.In Zeiten der extremen Überforderung und Erschöpfung werden eher dienegative Wirkung der Elemente gespürt. Die Erdenschwere wird so intensiverlebt, dass es fast unmöglich wird, sich zu bewegen. Beim Wasser entstehtdas Gefühl des Aufgelöst seins, wie eine Wasserlache, die in alle Richtungenausfließt. Die Luft erzeugt eine starke Sehnsucht zu entfliehen, weit wegvon allen Pflichten des Alltags zu sein. Zu viel Wärme führt zu verzweifeltenWutausbrüchen die einen dazu treiben kann, etwas kaputt zu machen oderverletzende Worte auszusprechen.

Der pflegende Mensch aber, wirkt in allen vier Elementen und verwandelt sodie Erde und stellt ein Gleichgewicht her, das hilft, Denken, Fühlen undWollen auf eine gesunde, konstruktive Weise zu entwickeln. Es ist eine Tä-tigkeit, mit der wir uns ständig auf der Schwelle zur elementarischen, geis-tigen Welt befinden. Unser inneres Leben wird genährt und kann bereichertwerden, indem wir versuchen, Bewusstsein für die Elemente und das We-senhafte in den Elementen zu entwickeln. Wir können sie einladen, mit unszu arbeiten und für ihr Mitwirken danken.Es geht dabei nicht darum, die täglichen Aufgaben als ein „Allheilmittel“ zubetrachten, sondern ihre unterstützende Qualität in den Lebensbereichenzu erfahren:

als Wahrnehmungsübung,als Selbstwahrnehmungsübung,als Erziehungshilfe, vor allem im Willensbereich.

Linda Thomas

Wenn wir Räume pflegen, geben wir – doch das was wir nachAußen tun, wirkt auch zurück.

Page 35: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

33Pflege-Perspektiven Herbst `16

Linda Thomas

Wir können mit dem Üben ansetzten, indem wir versuchen im täglichen Tuneine Kraftquelle zu entdecken. Drei Tätigkeiten, die sich in Arbeits- und Le-bensablauf täglich wiederholen können eine Grundlage bilden:

Wir wachen jeden Morgen auf,wir essen jeden Tag,wir legen uns wieder hin zum Schlafen.

Eine unglaubliche Willensübung ist es, sobald man wach ist, sich auch tat-sächlich aufzurichten. Vor einer wichtigen Entscheidung, sagen wir oft: Ichwerde darüber schlafen. Jetzt, nach dem Erwachen, sobald ich aufrechtsitze, habe ich Gelegenheit nachzuspüren, ob tatsächlich eine Antwort ge-kommen ist. Dann danke ich, dass ich überhaupt aufgewacht bin. Als nächs-tes sitze ich einen Moment auf der Bettkante, mit beiden Füßen auf demBoden. Danach stehe ich bewusst mit dem rechten Fuß auf. Bei offenemFenster begrüße ich den Tag, die Natur, die Elemente und atme die Morgen-luft tief ein. Dann wasche ich Gesicht und Hände, versuche das Wasserwahrzunehmen. Was nimmt es weg? Was gibt es mir? Bin ich dem Wasserdankbar?

Dann kommt das Frühstück, oft der erste Moment für Gemeinsamkeit. Aberauch wenn man alleine isst, gibt es viele Übungsmöglichkeiten. Was gibt esauf dem Teller? Wie duftet es, welche Farben hat es? Esse ich ganz bewusstund langsam, mit Genuss und Dankbarkeit? Hantiere ich harmonisch undfast lautlos mit dem Geschirr oder klappert es ständig? Wasche und räumeich nachher gleich ab oder bleibt alles stehen?

Am Abend kommt die Vorbereitung auf das Schlafen selbst, wie das Sprich-wort sagt: „So wie man sich bettet, so liegt (schläft) man.“ Um einen wir-kungsvollen Übergang zu schaffen, ist ein Fußbad ein großer Genuss, vorallem wenn die Füße anschließend eingeölt werden. Hier wird jeder seineneigenen Weg finden. Eine ausgezeichnete Vorbereitung auf die Nacht ist es,wenn man den Raum aufmerksam anschaut. Es ist nicht ohne Bedeutung,womit ich mich und meinen Körper umgebe, wenn ich nachts „auf Reisegehe“. Liegt was auf dem Boden herum? Gibt es unerledigte Arbeit auf demSchreibtisch? Steht eine frische Blume auf dem Tisch?

Page 36: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

34 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Linda Thomas

Welche Bilder begleiten mich über die Schwelle, als Vorbereitung auf dieNacht? Z.B., wenn ich mir einen Kriminalfilm anschaue, weil ich „abschal-ten“ will? Im ersten Mysteriendrama1 spricht Capesius von seiner Geistes-öde, und fand Hilfe in Felicia Baldes Märchen. Dazu sagt er:

Ich frage nicht, woher sie ihre Worte hat.Ich denke dann an eines nur mit Klarheit,wie meiner Seele neues Leben fließtUnd wie hinweggebanntMir alle Seelenlähmung ist.

Das hat sich für mich bewährt. Diese Übungen helfen, im pflegenden Um-gang mit Räumen und Dingen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu un-terscheiden und auch das Wesenhafte zu erkennen.

Linda ThomasLeitung Allgemeine Dienste in der Klinik Arlesheim, 21 Jahre verantwortlichfür die Reinigung des Goetheanum in Dornach.Reinigungsfachfrau, Publikationen zum Thema Internationale Vortrags- undSeminartätigkeit.

1 Steiner, Rudolf: Mysterien Dramen I, Taschenbuchausgabe, Dornach 1973

Literatur

Page 37: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

35Pflege-Perspektiven Herbst `16

Noëmi Böken

Eurythmie, die soziale Kunst – so heißt es zumindest oft.Was genau ist in der Eurythmie möglich, wenn eine Gruppe von Menschensich miteinander im Sozialen bewegen?

In den ersten Schuljahren ist der Eurythmieunterricht vor allem dazu wich-tig, dass eine erste Klasse einen Klassengeist bildet und stärkt.Wie ist es in einem Betrieb, in einem Krankenhaus, in dem vor allem Men-schen zusammenarbeiten, die die Gesinnung haben, durch Pflege zu heilen?Ein gutes Team werden – aber wie? Was braucht es in einem guten Team?Dass jeder sein Bestes gibt?

Dass man selbst im Reinen ist mit seinen menschlichen Stärken aber auchseine eigenen Schwächen kennt. Aber auch innerhalb eines Teams die Stär-ken und Schwächen der Anderen einschätzen kann. Ein gutes Team zeichnetsich nicht nur dadurch aus, dass man sich gegenseitig schätzt oder gar mag,sondern, dass man Hand in Hand miteinander arbeiten kann. Dass die Ab-läufe ohne Reibung von der Hand gehen. Dass man einander zur Hand geht,im positiven Sinne von: eine Hand wäscht die andere!

In der Betriebseurythmie gibt es zahlreiche Kugelübungen. Das Hand-in-Hand-arbeiten kann da geübt und mit der Zeit sichtbar werden. Einerseitsim bildlichen Sinne, wie empfange ich die Kugel, wie übergebe ich das Emp-fangene weiter, andererseits, was ist mein Input im Gruppengeschehen, imSozialen.

Ein weiterer Schwerpunkt in der Zusammenarbeit ist die Führungsfrage.Wie kann ich als Vorgesetzter eine liebevolle Autorität sein? Wie begleiteich soziale Prozesse ohne negativ dazwischen zu funken? Wie übe ich, imProzess die Übersicht zu gewinnen?

In solchen Fragen wird die Betriebseurythmie wirklich spannend, denn dieseSozialstrukturprozesse kann man in den Gruppenformen, aber auch in den

You with me – eurythmie

Page 38: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

36 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Noëmi Böken

Kugelübungen, entdecken lernen. So kann die Betriebseurythmie eine so-ziale Heileurythmie werden.

Das erste eurythmische Wort, das „Halleluja“, wurde von Rudolf Steiner am22. Oktober 1912 gegeben, mit dem Zusatz: Ich reinige mich von allem, wasmich am Anblick des Höchsten hindert.

So kann die Betriebseurythmie ein Übungsfeld sein, in dem man das Geis-tige einer Gemeinschaft stärkt und man als Einzelner, als Team, oder als Kli-nik, eine positive Ausstrahlung in der Öffentlichkeit bekommt.

Noëmi BökenHeileurythmie in Zürich im Zentrum für integrative OnkologieBetriebseurythmistin an der Klinik Arlesheimwww.you-with-me.com

Page 39: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

37Pflege-Perspektiven Herbst `16

Berichte

Mitte Juni gab es in diesem Jahr in Loheland wieder ein Expertentreffen. Es war das vierte mal, dass das Loheland-Forum stattfand. Vom VfAP einge-laden waren alle Expertinnen und Experten für Anthroposophische Pflegeund für Rhythmische Einreibungen. Thema war „Die Ätherische Welt und der Ätherleib des Menschen.“

Freitag, 17.6.16Die gemeinsame Arbeit begann diesmal mit einem Beitrag von Rolf Heine.Ausgehend von dem Gedanken R. Steiners, dass unsere Denkkräfte verwan-delte Lebenskräfte sind, wurde der Frage nachgegangen, was lebendigesDenken sein kann. Wie kann Lebendigkeit beschrieben werden? Wie ist dieArt des Denkens, mit der Ätherisches erfasst werden kann, ohne dass es infesten Vorstellungen, Gedankenkonstrukten und Definitionen gerinnt understarrt? Durch Übungen aus der Projektiven Geometrie und der von R. Stei-ner gegebenen „Punkt-Umkreis-Meditation“ wurde das Thema vertieft. Eswurde deutlich, dass das Unsichtbare – das „nicht in Erscheinung tretende“– denken zu können, ein Zugang zur ätherischen Welt sein kann.

Im nächsten Beitrag berichtete Heidi Mahnke sehr bewegend und an-schaulich eine Erfahrung aus ihrem Kurs in komplementärer Pflege. Ausge-hend von der Frage einer Kursteilnehmerin, wie man denn nun Öl auf derHaut verteilen könne, zeigte sie, wie nur ein Tropfen Öl sich in der Handausbreiten kann, wie das Öl duftet, wirkt, erfrischt und belebt. Jeder Teil-nehmer bekam nun selbst einen Tropfen Öl. Durch diese kleine Geste ent-stand eine ganz besondere, sehr entspannte und gelöste Stimmung imKursraum. Interesse und Begeisterung waren geweckt worden! Und diesefreudevolle, positive Begeisterung übertrug sich dann später auf andereKollegen und die Patienten. Es war mit sehr wenig Substanz sehr viel er-reicht worden, die Lebenskräfte der Mitarbeiter erfrischt, genährt und ge-stärkt worden. Das macht deutlich, wie wichtig solche kleinen Gesten sind.Vielleicht ist nicht die große Menge an theoretischem Wissen über Wickelund Rhythmische Einreibungen relevant – eben das Wissen, das meist in

Bericht vom Expertentreffen 2016 in Loheland

Page 40: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

38 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Sophia Knabe

sehr engen, vorgegebenen Zeitspannen von Expertinnen vermittelt werdensoll – sondern genau solche seltenen Räume, um Erfahrungen machen zukönnen, um achtsam wahrnehmen und erleben zu können, und um sichselbst begegnen zu können und ganz „bei sich“ zu sein.

Am Abend wurden von allen Experten Anregungen zu vier Themen gesammelt: Neugestaltung des Internationalen Pflegekongress (Dornach, 2018)Fachweiterbildung Integrativ-naturkundl. Anthroposophische PflegeWo will die anthroposophische Pflege hin?Pflegerische Behandlungsinitiative!?Die Ideen zu dem Themen wurden dann vorgestellt und kurz diskutiert.

Samstag, 18.6.16Die erste Arbeitseinheit an diesem Tag begann mit einem Beitrag von OlafDickreiter über die vier Substanzen des Lebendigen, also den Wasserstoff,den Sauerstoff, den Kohlenstoff und den Stickstoff. Es folgten biochemi-sche Aspekte zum Natrium als Werkzeug des Astralleibes und dem Kalium,als Werkzeug des Ätherleibes. Auch aus dieser Perspektive wurde noch maldeutlich, dass der Mensch die Kräfte des Ätherleibes braucht, um denken zukönnen.Der nächste Beitrag kam von Dorothea v. Heynitz. Sie sprach über die siebenSakramente der Christengemeinschaft im Lebenslauf. Wenn wir als Pfle-gende eine Haltung dazu finden möchten, und die Sakramente mitgestaltenmöchten, dann sollten wir uns um eine grundlegende Kenntnis dieser spiri-tuellen Handlungen bemühen.Nach einer mit anregenden Gesprächen gefüllten Pause begann die nächsteArbeitseinheit von Monika Layer mit der Darstellung von Forschungszwi-schenergebnissen bezügl. der wissenschaftl. Definition von „Äußeren An-wendungen“, die zur Zeit von der FHS St. Gallen entwickelt wird. Die drin-gend notwendige Forschungsarbeit hat ja u. a. das Ziel, durch Vorlage vonWirksamkeitsnachweisen letzten Endes die Erstattung der anthroposophi-schen Pflegeleistungen durch die Kostenträger (z.B. Pflegekassen und Kran-kenkassen) zu erreichen. Es folgte anschließend ein Beitrag von Angelika Jensen über ganzheitlicheAspekte einer Pflegeberatung. Dabei wurde das „ökologische Modell“ vonMathias Bertram vorgestellt.

Page 41: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

39Pflege-Perspektiven Herbst `16

Sophia Knabe

Nach der Mittagspause trafen wir uns zu einer von Rolf Heine geleitetenExkursion in den sommerlichen Wald. Schwerpunkt war der Gesamtein-druck der Rhön-Landschaft, die Wahrnehmung der Lebenskräfte derBäume, u. als Heilpflanzen die Brennnessel und der Fingerhut.

Die nächste Sequenz begann mit einer Wahrnehmungsübung. Durch dasgleichzeitige Ertönen aller Konsonanten und Vokale des gesamten Alpha-bets wurde das Ätherische, der Ätherleib des Menschen, ein Stück weit sinn-lich spürbar und erlebbar gemacht. Es folgte ein Austausch über das Thema „Heilen und Pflegen – Pflege undTherapie“. Geleitet wurde das Gespräch von Rolf Heine. Der Abend war dann gefüllt mit szenischen Darstellungen aus GoethesFaust I, die mit Klaviermusik begleitet wurden. Der Tag wurde beendet mitKlängen der Rebab, einem seltenen Instrument. Die Rebab ist eine dreisaiti-gen Stachelfiedel, die im orientalischen Raum zu Hause ist.

Sonntag, 19.6.16Der Sonntag begann mit der Klassenstunde für Hochschulmitglieder bzw.mit dem Lesen aus dem Vortrag „Das Wiedererscheinen des Christus imÄtherischen“ (25.01.1910 Karlsruhe) von R. Steiner. Es folgte eine Arbeitseinheit über die ätherischen Qualitäten des Penta-grammes von Marko Roknic, der sich eine Sequenz über die rhythmischenAspekte zur Tagesgestaltung von Klaus Adams anschloss. Beide sind im Be-reich der psyhiatrischen und psychosomatischen Pflege tätig, wo die Ge-staltung des Tagesablaufes für die Patienten besonders relevant ist. Zum Schluss berichtete Rolf Heine über aktuelle gesellschaftliche, berufs-politische und wirtschaftlich Aspekte der anthroposophischen Pflege. An-gesprochen wurde z.B. die Hochschularbeit und der Umgang mit den Be-rufsgruppenmandren. Im nächsten Jahr wird es dazu eine Hochschultagunggeben, die nicht nur für Hochschulmitgliedersein wird, sondern auch fürMenschen, die damit ernsthaft arbeiten wollen aber keine Klassenmitglied-schaft haben.

Es wurde über die Arbeit des VfAP berichtet und über die großen Änderun-gen, die von den Mitgliedern in diesem Jahr beschlossen worden sind. Thema war auch die generalistische Pflegeausbildung.

Page 42: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

40 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Sophia Knabe

Das Lohelandtreffen endete mit einem Rückblick und einem Vorblick.Für mich waren es anregende und kraftbringende Tage, in einer sehr wert-schätzenden und wohlwollenden Atmosphäre. Ich fühle mich beschenktund gestärkt! Und ich habe wieder gespürt, wie wichtig es ist, dass geistigzu pflegen, was uns alle miteinander verbindet – durch die Pflege und dieAnthroposophie.

Sophia Knabe(Expertin für Anthrop. Pflege (IFAN),Verantwortliche Pflegekraft nach §71 SGB XI, StPDL, PTA) Freiburg, Juli 2016

Page 43: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

41Pflege-Perspektiven Herbst `16

Sophia Weinberger

erschiedene Berufsgruppen (Pflegende in Ausbildung, MedizinstudentInnen,Ärzte und Pflegende) aus Filderstadt, Tübingen und Heidenheim trafen sicham 24. Juni 2016, um gemeinsam am Thema der vier Ätherarten zu arbeiten.Mit einer kleinen Vorstellungsrunde und mitgebrachten Fragen z.B. „Wie kön-nen wir die Lebenskräfte stärken?“ begann unser gemeinsames Wochenendein den Räumen des Pflege – Bildungszentrums an der Filderklinik. Bereitsbeim Kochen und Abendessen begann ein reger Gedankenaustausch. Spontanwurde zum Thema auch unser Körper einbezogen, indem wir dem Wärmeät-her in einer Yogaübung mit Punkt und Kreis begegneten.Danach fanden der Abendvortrag, ein gemeinsamer Austausch sowie dieEinführung zum Thema „Junger Mensch, alter Mensch – Polaritäten der Le-benskräfte“ mit Lara Wolf (Assistenzärztin Pädiatrie, Filderklinik) statt. Um die Polaritäten gut wahrnehmen zu können, gab es einen kleinen Ab-stecher nach draußen. Dort schauten wir nach Pflanzen, die in sich beidePolaritäten tragen und so bezeichnend für das Alte und das Junge sind. Wozieht sich etwas zusammen, geht in das Verwelken, vertrocknet, verändertdie Farbe? Wo blüht etwas auf, wirkt kraftvoll und vital?Wie verhält sich dies bei uns Menschen? In welchem Lebensabschnitt findenwir das Aufblühen, wo das Zusammenziehen? Wir vergegenwärtigten uns, inwelcher Zeit etwas passiert, mithilfe des Lebensstrahls, der in die Jahrsiebteunterteilt ist. Das körperliche Wachsen, das Lernen und auch das Lehren – wieverändern sich die Vitalparameter? Und so konnten wir feststellen, dass dasAufblühen, das Wachsen, das Nach-oben-Streben, das „In-die-Knospe-und-Blüte-Kommen“ eher am Anfang des Lebens ihren Schwerpunkt haben, wäh-rend das Zusammenziehen, das „In-sich-Kehren“ eher charakteristisch für dasLebensende sind. Auch eine kurze Darstellung zu den Metallen Silber und Blei verdeutlichte unsschnell die Polarität in Bezug zu jung und alt. So ist das Silber mit seinen Ei-genschaften eher dem Lebensanfang verwandt, das Blei hingegen dem Le-bensende. Wir besprachen das großköpfige Kind, welches ganz in der Fantasie

Die vier Äther – wie wirken die Bildegesten?Interdisziplinäres Treffen der Jungen AnthroposophischenPflege und des Jungmedizinerforums24. – 26.6.2016, Filderstadt

Page 44: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

42 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Sophia Weinberger

zuhause ist, und das kleinköpfige Kind, welches für sein Alter sehr früh be-wusst ist und eher ein bisschen überwach. Hier können wir mit Blei/Silber-An-wendungen, einer geeigneten Nahrung (Wurzelgemüse/Früchte) und äußerenAnwendungen (Wärme/Kälte) die jeweilige Einseitigkeit helfen auszugleichen. Mit Sonnenschein begann der Samstag und nach dem Frühstück und mitProviant in der Tasche startete unsere Exkursion in das Eselsburger Tal beiHerbrechtingen/Heidenheim. Auch Kinder waren für diesen Ausflug einge-laden. Das Eselsburger Tal ist ein Naturschutzgebiet, durch das die Brenzfließt. Es ist gekennzeichnet durch seine vielen Wacholderheiden, Felsenund die vielfältigsten Blüten- und Farnarten. Am Anfang des Tals liegt der Weiler Eselsburg. In einem wunderschönen,neu hergerichteten Bauernhaus wohnt hier Anna-Lotta Rohmeyer (ehem.Stationsärztin der homöotherapeutischen Station im Klinikum Heiden-heim). Dort startete unsere Pflanzenbetrachtung mit den vier Äthern alsBildgesten im Pflanzenreich. Die vier Ätherarten: das Quellen/Keimen (Wär-meäther), das Spreiten (Lichtäther), das Gliedern (Klangäther/Zahlenäther )und das Begrenzen (Lebensäther). Diese Merkmale betrachteten wir an ver-schiedenen Blättern. Auch in den verschiedenen Wolkengebilden kann mandie Ätherarten erkennen. Mit Anna-Lotta Rohmeyer zusammen wanderten wir durch das Tal. Siezeigte uns die verschiedenen Pflanzen und die Heidelandschaft. Thymian-duft begleitete uns den ganzen Weg entlang. Man kann ihn in Massen wildwachsend dort finden. Auch Wundklee konnten wir betrachten. Und vorallem den Wacholder, welchen wir zeichneten und bestimmten, welcheÄtherarten dazu passen. Zum Abschluss des Tages bereiteten wir ein gemeinsames Abendessen vor.Das Feuer im Garten brannte schon, als ein starker Regenguss begann. Wirentschieden uns dennoch für das Grillen – im Backofen, was wunderbarfunktionierte. Es war ein reichliches und liebevoll zubereitetes Mahl, wel-ches auch den Kindern gut schmeckte. Zum Abschluss sangen wir noch einAbendlied, dem die Kinder aufmerksam lauschten. Am Sonntagvormittag hörten wir einen Vortrag von Armin Tourgau, Pfarrer derChristengemeinschaft in Stuttgart-Sillenbuch, über den moralischen Äther. Es gibt die vier Ätherarten. Zusätzlich gibt es eine neue ätherische Substanz,von den Alchemisten erkannt, den moralischen Äther. Um diesen ins Be-wusstsein zu holen, muss man an seinen Sinnen arbeiten und sich auf eine

Page 45: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

43Pflege-Perspektiven Herbst `16

Sophia Weinberger

Wahrnehmung konzentrieren, so, als ob man die Augen schließt und sichausschließlich auf das Hören konzentriert. Als zweite Stufe werden dieAugen wieder geöffnet, die Konzentration bleibt weiterhin beim Hören.Als erstes geht es hier darum, sein Gefühl zu einer bestimmten Situation,zum Beispiel der Angst, herauszusetzen; das Gefühl sozusagen aus seinemSeeleninnern herauszudrängen. Es hilft bei der Bewegung des Herausset-zens, der Empfindung eine Farbe zuzuordnen. Dabei entsteht eine Imagina-tion vor dem inneren Auge (Lichtprozess), sodass man nicht mehr von demGefühl beeinflusst wird. Und nun schaut man: Welche Farbe hat die herausgesetzte Empfindung?Welche Form? Das Gefühl bekommt eine eigene Existenz. Und der Raum, imKörper, dort, wo das Gefühl seinen Platz hatte, wird leer. Dieser leere Raumfüllt sich nun mit einem komplementären Gefühl. Gehen wir von einemKrankheitsgefühl aus, das nun herausgesetzt wurde, tritt in dem leerenRaum komplementär ein Heilungsgefühl ein. Schafft man es, dieses Kom-plementärgefühl (das Heilungsgefühl) auch herauszusetzen, zu dem Krank-heitsgefühl hinzu, entsteht ein Ruhegefühl. Das bezeichnet man als gesund.Dies ist der moralische Äther. Mit dieser inneren Ruhe kann man auf die Ausgangssituation schauen, sichselbst und auch beteiligte Personen betrachten. Oft ist dies zunächst mitSchmerz verbunden: Da ist etwas aus der Harmonie herausgefallen. Mankann jetzt schauen, wie man mit der entsprechenden Situation gerne um-gegangen wäre (moralische Fantasie). Diesen neuen „Plan“ kann man nunimmer wieder für sich „durchspielen“, um einer erneuten, ähnlich gelager-

ten Situation auf neue Weise zu begegnen. Mit diesem Eindruck des moralischen Äthersblickten wir auf unser Wochenende zurück. Eswar ein erfolgreiches, mit vielen Gedanken ge-fülltes Sommerwochenende, dessen Eindrückeund Nachwirkungen alle in ihren Arbeitsalltagmit hineinnehmen können.

Sophia WeinbergerKrankenschwester Neonatologie, Filderstadt

Page 46: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

44 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Seit zehn Jahren ruht die Ausbildung der Pflegefachkräfte an der Haber-schlaiheide auf drei gleichberechtigten Säulen, nun spiegelt sich diese „ge-neralistische“ Ausrichtung auch im Namen wider: Aus der Freien Kranken-pflegeschule ist das „Pflege-Bildungszentrum an der Filderklinik (PBZ)“geworden. Mit einer Rückschau auf das vergangene Jahrzehnt sind daskleine Jubiläum und die neue Bezeichnung gefeiert worden.

Weg von der klassischen Dreiteilung in Kranken-, Kinderkranken- und Alten-pflege, hin zu einer breiten Basisqualifikation für alle drei Berufsfelder – mitdiesem Modellprojekt hat die Pflegeschule im April 2007 eine Strukturreformin Angriff genommen. Damals startete der erste runderneuerte Ausbildungs-gang, der innerhalb von drei Jahren solide Kenntnisse in der gesamten Band-breite vermitteln soll und erst zum Ende hin die Richtungsentscheidung vor-sieht. Je nach persönlicher Neigung und voran gegangener Erfahrung indiversen Praktika bei Kooperationspartnern vom Hospiz bis zum ambulantenHilfsdienst können die Absolventinnen und Absolventen ihren künftigenSchwerpunkt selbst bestimmen.

„Auch Mediziner machen ihren Facharzt erst nach einem allgemeinen Stu-dium“, betonte die Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin, die „seit 50Jahren“ für bessere Rahmenbedingungen kämpft, wie sie in ihrem Impuls-vortrag sagte. Die ehemalige Professorin der Universität Witten-Herdeckehält die Trennung der Pflegeberufe für ein künstliches Konstrukt, über dasim Ausland gestaunt werde. Mehr als zwei Drittel der Ausbildungsinhalteseien ohnehin identisch, die generalistische Ausbildung erleichtere denWechsel und mache so den Pflegeberuf attraktiver.

Nachdem eine Evaluation der Hochschule Esslingen noch in den letztenZügen steckt, hat Monika Kneer, die stellvertretende Leiterin des PBZ, selbstein paar statistische Daten zusammengetragen. 107 Frauen und 17 Männerhaben demnach den reformierten Ausbildungsgang beendet. Sie warenmit durchschnittlich 23 Jahren gestartet und haben zwölf Nationalitäten

Ursula Vollmer

Pflegeausbildung an der Filderklinik gleicht zum Jubiläumihren Namen an breit gefächerte Ausrichtung an

Page 47: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

45Pflege-Perspektiven Herbst `16

Ursula Vollmer

vertreten. Aus den Rückmeldungen ergibt sich, dass 53 Absolventen weiter-hin in der Pflege tätig sind, elf sich momentan in Elternzeit befinden, zehnein Studium angeschlossen und 14 eine andere berufliche Richtung einge-schlagen haben. „Viele äußerten sich begeistert, andere sind hart aufge-schlagen“, berichtete Monika Kneer.

Immer noch gebe es Gegenwind, beispielsweise vonseiten mancher Kinder-ärzte oder der privaten Träger von Altenpflegeeinrichtungen.

Am PBZ hält man jedoch die abgrenzenden Berufsbilder für ein überholtesRelikt. Auch die Reform des Pflegeberufsgesetzes im Bund sehe die Zusam-menführung der Ausbildungsgänge vor. „Pflege ist mehr als nur einseitigeVerrichtung“, sagte Angelika Zegelin, „in der Pflege geht es immer gleich-zeitig um körperliche, seelische und soziale Aspekte.“ Diesen Gesamtzusam-menhang habe die Pflegeversicherung gründlich verkannt. Auch im Um-gang mit älteren Patienten laufe manches schief nach dem Motto:„Altenpflege kann jeder“. Für einen menschenwürdigen Umgang bedürfe esqualifizierter Fachkräfte, denn unterm Strich laute die Gleichung: „RichtigePflege spart Geld“.

Ursula VollmerRedakteurin der Stuttgarter Zeitung

© 28.07.2016 Filder-Zeitung

Page 48: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

46 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Das neue Buch des anthroposophischen Arztes Armin J. Husemann trägtden Titel: “Form, Leben und Bewusstsein – Einführung in die Menschen-kunde der Anthroposophischen Medizin“.

Aus Kursen, die der Verfasser seit 1993 für Medizinstudenten und Ärzte ander Eugen-Kolisko-Akademie in Filderstadt gibt, ist es hervorgegangen. DieFrüchte dieser Arbeit können jedoch für alle, die um ein lebendiges Ver-ständnis der menschlichen Wesenheit ringen, von größtem Wert sein.

Das Umschlagmotiv, ein Auszug aus einem Gemälde von Franz Marc mitdem Titel „Kämpfende Formen“, stimmt auf eine spannende Entdeckungs-reise durch das Reich der Mineralien, der Pflanzen, Tiere und des Menschenein. Ziel dieser Reise ist, den Menschen im Zusammenhang mit der Naturund seiner geistigen Herkunft sehen und verstehen zu können.„An vielen Beispielen wird illustriert, wie ein phänomenologisches Naturer-kennen zu einem Verständnis des menschlichen Organismus und seiner ver-schiedenen Krankheitsbilder führt – und wie sich von hier aus Wege zueinem ganzheitlichen Heilprozess erschließen.“ (Klappentext)

Das erste von sieben Kapiteln, überschrieben mit: “Form und Leben“ entwi-ckelt anhand von Phänomenen der Anatomie, der Physiologie und der Pa-thologie die funktionelle Dreigliederung des Menschen. Daraus werdenKrankheiten und Heilmittel auf einer ersten Stufe verständlich.In der Mitte des Buches findet sich unter der Überschrift: „Die Natur unddie Wesensglieder“ ein sprechendes Bild, welches die Herausforderung, mitder die menschliche Entwicklung verbunden ist, aufzeigt.„Ein einfacher Vergleich, der das Verhältnis der Wesensglieder veranschauli-chen kann, ist der Bau eines Hauses. Physisch sind die Baustoffe die auf derBaustelle bereitliegen: Steine, Zement, Kies, usw. Von sich aus fügen sie sichaber nicht zu Mauern, Fenstern etc.Die Arbeit der Bauarbeiter, die die physischen Stoffe zum Haus zusam-menfügen, ist dem vergleichbar, wie der Ätherleib dem physischen Leib

Literatur

Form, Leben und Bewusstsein

Page 49: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

47Pflege-Perspektiven Herbst `16

Matthias Giese

die Form gibt. Die Bauarbeiterrichten sich bei ihrer Arbeit nachdem Plan des Architekten, dergeistig in der Vorstellung gestaltet,geplant und berechnet hat. DieseFunktion im Hausbau ist mit demAstralleib zu vergleichen. Man siehtvor sich, wie die Vorstellungen desArchitekten durch die Informatio-nen des Planes in den Ätherleib derBauarbeiter übergehen und sichzuletzt im physischen Ergebnis wie-derfinden. Wesenhaft Getrenntesdurchdringt sich in der Gestaltungdes Leibes. Der Bauherr hat denBauwillen, wählt den Architekten,

wählt die Baufirma und erklärt, bevor ein Plan entsteht, dem Architektenseine persönlichen Wünsche, die aus seiner Lebenslage, seinem Schicksalherrühren, wie groß seine Familie ist, ob er ein Musikzimmer oder eine Bi-bliothek haben will usw. Seine Rolle entspricht dem Ich im Menschenwesen.Wie im Organismus Krankheit dadurch entsteht, dass die Wechselwirkungder Wesensglieder nicht harmonisch stattfindet, so entstehen beim Hausbaudie Probleme, wenn z.B. die Verständigung zwischen Bauherrn und Architek-ten, zwischen Architekt und Baufirma nicht ausreichend funktioniert.“

Das letzte Kapitel, welches die Überschrift “Medizinisches Denken und ärzt-liche Moral“ trägt, gipfelt in dem Welt – und Menschenverständnis, dass le-bendige Ideen, gewonnen aus goetheanistischer Erkenntnispraxis, zu Idea-len werden können, die der Selbstbestimmung und Freiheit des Individuumdienen.Eine Vielzahl von außerordentlich lebendig geschilderten Fallgeschichtenaus der Praxis bringt im Verlauf des Buches ärztliche Wirksamkeit zum Aus-druck. Aber auch, welche Herausforderung in der Arzt-Patienten-Begeg-nung liegt, insofern sich der Arzt diesem Welt – und Menschenverständnisverpflichtet fühlt. „Der Berufsweg wird Schulungsweg, wird Initiationsweg.“

VK: 49 €, ISBN-13: 978-3-7725-1702-0,Erscheinungsjahr: 2015, Auflage: 1,Seiten: 391, Verlag: Freies Geistesleben

Page 50: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

48 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Matthias Giese

Die menschliche Fragefähigkeit, welche das eigene Verhalten und das derUmgebung „in Frage zu stellen“ vermag, zieht sich hierbei wie ein roterFaden durch die Kapitel.

Das mit vielen Zeichnungen und Abbildungen gestaltete Werk, zeugt vonder künstlerischen Gesinnung des Autors und einer daraus resultierendenbeweglichen Form des medizinischen Denkens. Zahlreiche Anmerkungen,Abbildungsnachweise und Literaturhinweise am Ende des Buches schaffenfür den Leser wertvolle Bezüge; machen aber auch deutlich, wie weit dasFeld der bearbeiteten Phänomene sich erstreckt.

Was hat mich an diesem Buch am meisten beeindruckt? Als Pflegepädagogekann ich sagen: Die Lehrart der beweglichen Form des Denkens! Ein „Reise-begleiter“ ist für mich dann gut, wenn ich auf dem Weg Schritt halten kannund gleichzeitig herausgefordert bin. Wenn mein Interesse geweckt und diePhänomene gleichsam zu mir zu sprechen beginnen. Dies ist dem Autor, derdabei bescheiden hinter seinem Werk zurücktritt, auf besondere Weise ge-lungen. Möge das Buch weite Verbreitung und Anwendung finden.

Matthias GiesePflegepädagoge – PBZ an der Filderklinik

Page 51: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

49Pflege-Perspektiven Herbst `16

Ekkehard Böhm

In den Monaten Mai bis September begegnen wir in den feuchten Stellender Wälder und Wiesen einem erhabenen Gesellen. Auf senkrechten Stän-geln, über die Pflanzen in seiner Umgebung ragend, leuchten die weiß-röt-lichen Blüten des Baldrians. Die einzelnen Blüten treten in den Hintergrundzugunsten von Trugdolden, die wie große Blüten erscheinen. Ein zarter Duftumhüllt die Pflanze. Der Stängel ist an den Knoten gefüllt, sonst aber hohl.Die sich gegenüberstehenden Blätter bestehen aus Fiedern. Diese sindschräg zur Blattebene gestellt – so verlässt das Blatt das flächenhafte undgreift in das Räumliche hinein. Der Spross ist in die Erde eingetaucht undbildet ein Rhizom mit einem dichten Wurzelgeflecht. Die getrocknetenWurzeln riechen intensiv. Der starke Geruch erfüllt den ganzen Raum undzeugt von der in die Wurzeln hinein gesammelte Lichtkraft. Die ganzePflanze hat sich in das feuchte kühle Erdreich hinein gesenkt und gleichzei-tig streckt sie sich weit dem Licht entgegen.

Das Seelische der Pflanzen istnicht mit ihnen verbunden, es„umhüllt“ das Pflanzenreich. Inder Blüte kommt es zu einersanften Begegnung und Farbe,Raum, Wärme und alle flüchti-gen Düfte entstehen. Beim Bal-drian aber dringt das seelischetiefer. Über den luftigen Sprossund den in den Raum greifen-

den Blättern steigt es ganz hinunter in das Dunkel der Erde und hinterlässtdort Stoffe die in die Blütenregion gehören. Hier im Wurzelreich herrschtnur scheinbar Ruhe und Dunkelheit. Millionen von Lebewesen tummeln sichin einer Handvoll Erde. Jede lebende Zelle strahlt Licht aus, nimmt Stoffeauf und gibt Stoffe ab. Alles berührt sich, steht in Verbindung – tauscht sichaus. Hier hinein, wo alles voller Leben und Begegnung ist, schickt der Bal-drian blütenhafte Wärme und Duft. Doch die wirklichen Blüten treten nicht

Baldrian, Valeriana officinalis

Page 52: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

50 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Ekkehard Böhm

in den Hintergrund. Von Insekten emsig bestäubt tragen sie mit Honig ge-füllte Aussackungen, bilden mächtige Blütenschirme und viele Samen. Dieerhabene Geradlinigkeit in der Gestalt, zeigt sich selbst in dem geradlinigenBau vom im Samen verborgenen Keim.

Werfen wir noch einen Blick auf den Namen. Der Gott Baldur, der Lenkerdes Sonnenwagens, war Namenspate. Unsere Urväter kannten schon die be-sondere Beziehung dieser Pflanze zum Licht. Im landwirtschaftlichen Kurswird der Baldrian, von Rudolf Steiner, als Hilfsmittel für den Dünger ge-schildert, sich dem Phosphor gegenüber richtig zu verhalten.

Valeriana gelingt es, das Astralische tief in sich hinein zu nehmen ohne zustark in die Einseitigkeit und Giftbildung zu fallen. Durch das der Pflanze in-newohnende Klare, Aufrechte und Lichttragende wird, das die ganzePflanze durchziehende Blütenhafte, gehalten.

So kann man vielleicht verstehen, warum gerade der Baldrian gut als Ein-schlafhilfe verwendbar ist. Dort wo das unruhige Seelische, wie in einem

Wasserstrudel, kühle endlose Gedan-kenschleifen hervorruft, kann Vale-riana Klarheit, Licht und Wärme indas Kreisen bringen und die Endlos-schleifen durchbrechen. Gedanken-und Seelenruhe breitet sich aus undder Mensch kann einschlafen.

Ekkehard Böhm

Page 53: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

51Pflege-Perspektiven Herbst `16

Termine

Termine Akademie

14. – 17.11.2016 Neuer Palliativ-Care-Kurs 2016/2017

01. + 02.12.2016 1. Modul Ganzkörpereinreibungen

30.01. – 03.02.2017 Start neuer Grundkurs Anthr. Pflege 2017

13. – 17.02.2017 Wickel- und Auflagenkurs 2017

30. + 31.03.2017 1. Modul Rhythmische Einreibungen 2017

Weitere Termine für unsere Fortbildungen finden Sie unterwww.vfap/akademie.de

Sonstige Termine

23. – 25.03.2017 Deutscher Pflegetag, Station Berlin, DPR

03. – 04.03.2017 Ausbildertreffen ExpertenInnen Rhythmische Einreibungen in Filderstadt

01.04.2017 Mitgliederversammlung VfAP e.V., Ort wirdnoch bekannt gegeben.

Termine

Page 54: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

52 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Termine

Deutscher Pflegetag 2017:Tickets jetzt mit 30 EUR Frühbucherrabatt

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder,

der Deutsche Pflegetag führt auch 2017 unsere Verbände zum wichtigstenBranchenevent in der Bundeshauptstadt zusammen: Vom 23. bis 25. März2017 tauschen sich in der STATION-Berlin Professionell Pflegende mit Poli-tikern, Wirtschaftslenkern und Spitzenvertretern der Gesellschaft aus.

Der Deutsche Pflegerat e. V. und die Schlütersche Verlagsgesellschaft entwi-ckeln für uns ein Kongressprogramm der Superlative: Mehr als 100 Ausstel-ler und 70 exklusive Fachvorträge laden dazu ein, im offenen Dialog die Zu-kunft der Pflege zu gestalten. Es geht um topaktuelle Themen wie z. B.:

• Personalbemessung in der Pflege• Digitalisierung in der Pflege• Kommunalisierung der Pflege• Die vielen Gesichter der Demenz

Wir freuen uns, wenn Sie in der STATION-Berlin dabei sind. Nicht vergessen:als Mitglied eines DPR-Mitgliedsverbandes profitieren sie vom maximalenRabatt von 30 EUR für ein 3-Tages-Kongress-Ticket auf den regulären Mit-gliedspreis bis zum 31.10.2016!

Alle Informationen zum Deutschen Pflegetag 2017 und die Möglichkeit zurkomfortablen Online-Buchung finden Sie unterwww.deutscher-pflegetag.de/tickets.

Page 55: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

53Pflege-Perspektiven Herbst `16

Fort- und Weiterbildungen

Herbst 2016 und Anfang 2017Rhythmische Einreibungen n. Wegman/Hauschka

Dozenten:Petra Roknic, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Expertinfür Rhythmische Einreibungen nach Wegman/HauschkaMarko Roknic, Gesundheits- und Krankenpfleger, Ausbilderfür Rhythmische Einreibungen nach Wegman/Hauschka

Kurs-Termine:Grundkurs I: 27. – 29. Januar 2017Grundkurs II: 24. – 26. Februar 2017

Aufbaukurs Ganzkörpereinreibung:5. – 7. Mai 2017Jeweils Freitag 16.00 – 20.30 Uhr

Samstag 9.00 – 18.00 UhrSonntag 9.00 – 13.00 Uhr

Wichtig:Grundkurs I, II und der Aufbaukurs bauen aufeinander auf!

Üb-Termine:Übnachmittag Organeinreibungen:Samstag, 24. September 2016, 14.00 – 18.00 Uhr

ÜbWochenende Teileinreibungen und Ganzkörpereinreibung:13. – 14. JanuarFreitag 16.00 UhrSamstag 17.00 Uhr

Fort- und Weiterbildungen

Page 56: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

54 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Fort- und Weiterbildungen

Übnachmittag für die Teileinreibungen:25. März 2017, 14.00 – 18.00 Uhr

Kursort für alle Veranstaltungen:Wird noch bekanntgegeben,voraussichtlich Rudolf Steiner-Haus, Starkenstraße 36,79104 Freiburg

Informationen und Anmeldung bei:LUKASPFLEGE e.V. Littenweilerstraße 2579117 FreiburgTel.: 0761 / 680 02 02Fax: 0761 / 680 02 01E-Mail: [email protected]: www.lukaspflege.de

Page 57: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

55Pflege-Perspektiven Herbst `16

Fort- und Weiterbildungen

Donnerstag, 09. Februar 201709.30 – 16.30 Uhr

Referate:Elke Zech Menschen mit Behinderung achtsam pflegenRolf Heine Pflegen kann jeder (der es will!) – Pflegegesten als Ausdruck

guten Willens!

Workshops zum Thema:Therapeutische Ansätze – Äußere Anwendungen im Alltag

• Wickel und Auflagen • Therapeutische Waschungen • Hand- und Fußbäder • Rhythmische Einreibungen• Heileurythmie• Sinnespflege • Ernährung

Ort:Camphill Ausbildungen, Berufsfachschule für Altenpflege und Altenpflege-hilfe, Siemensstraße 5, 70736 Fellbachwww.camphill-ausbildungen.de

Teilnahmegebühr:20 Euro

Anmeldung:bis 27.01.2017an [email protected]

Pflegefachtag in Fellbach

Pflege, die gut tut, AnthroposophischePflege im Alltag alter Menschen

Akademie für Pflegeberufean der Filderklinik

Page 58: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

56 Pflege-Perspektiven Herbst `16

Beitrittserklärung

Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zum Verband für Anthroposophische Pflege e.V.Die Satzung erkenne ich an.

Name

Vorname

Geburtsdatum

Straße

PLZ, Ort

Telefon

E-Mail

Berufsausbildung

Derzeitige Tätigkeit

Institution

Datum, Unterschrift

Der jährliche Mitgliedsbeitrag wird per Einzugsermächtigung von meinem Konto eingezogen.

Haberschlaiheide 1/215 70794 Filderstadt

Telefon 0711.7 35 9219Telefax 0711.7 35 92 20

[email protected]

Verband für Anthroposophische Pflege e.V.

Page 59: Verband für Anthroposophische Pflege e.V. Pflege …lindathomas.org/wp-content/uploads/2013/10/RB_VfaP_H_2016_web.pdf · 4 Pflege-Perspektiven Herbst `16 ... gibt es für mich drei

Verband für Anthroposophische Pflege e.V.

Haberschlaiheide 1/21570794 Filderstadtwww.vfap.de

Herbst 2016