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Verfassungsrechtliche Aspekte der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht: Zum persönlichen Existenzminimum Author(s): Hartmut Söhn Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 46, H. 2 (1988), pp. 154-171 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40912167 . Accessed: 14/06/2014 15:20 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.34.79.192 on Sat, 14 Jun 2014 15:20:15 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Verfassungsrechtliche Aspekte der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht: Zum persönlichen Existenzminimum

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Verfassungsrechtliche Aspekte der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit imEinkommensteuerrecht: Zum persönlichen ExistenzminimumAuthor(s): Hartmut SöhnSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 46, H. 2 (1988), pp. 154-171Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40912167 .

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Verfassungsrechtliche Aspekte der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht:

Zum persönlichen Existenzminimum von

Hartmut Söhn

1. Einleitung

Als Konrad Littmann im Jahre 1970 das Leistungsfàhigkeitsprinzip „verabschiedete"1, hatte die (neuere) Diskussion2 in der Steuerrechtswis- senschaft gerade begonnen3; und erst in den letzten Jahren wurden die Konturen des Leistungsfáhigkeitsprinzips als eines rechtlichen Besteue- rungsgrundsatzes mit einer spezifischen Zielrichtung (Inhalt) zunehmend schärfer. Das ist einmal auf eine intensive Debatte im steuerrechtlichen Schrifttum zurückzuführen4 und zum anderen und insbesondere auf eine

1 K. Littmann: Ein Valet dem Leistungsfàhigkeitsprinzip, in: H. Haller u.a. (Hrsg.): Theorie und Praxis des finanzpolitischen Interventionismus, Festschrift für Fritz Neumark zum 70. Geburtstag, Tübingen 1970, S. 1 1 3 f f . Zu Geschichte und Bedeutung des Leistungsfáhigkeitsprinzips vgl. zuletzt D. Birk: Das Leistungsfàhigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983, S.6ff., 32ff., 43 ff., sowie D. Pohmer und G. Jurke: Zur Geschichte und Bedeutung des Leistungsfáhigkeitsprinzips unter besonderer Berücksichtigung der Beiträge im Finanzarchiv und der Entwicklung der deutschen Einkommensbesteuerung, in: Finanzarchiv, N.F., Bd. 42, 1984, 445 ff. jeweils m.w.N.

2 Das Leistungsfàhigkeitsprinzip war zwar in Art. 134 Weimarer Reichsvertassung verankert („Alle Staatsbürger ohne Unterschied tragen im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei") und als „oberster Besteue- rungsgrundsatz" (O. Bühler: Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, Leipzig 1929, Anm. zu Art. 134) für den Gesetzgeber bindend (G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 1 1. August 1919, Berlin 1933, Art. 134 Anm. 4), postitive Folge- rungen im Einzelfall sollten aber aus dieser „als zu unbestimmt gefaßten" Verfassungsbe- stimmung nicht ableitbar sein (O. Bühler: Kommentierung zu Art. 134 WV, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) : Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. 2, Berlin - Mannheim 1930, S.313 [317]). Rechtlich weitgehend unergiebig auch noch O. Bühler und G. Strickrodt: Steuerrecht, Bd. 1, Allgemeines Steuerrecht, 1. Halbband, Wiesbaden 1959, S. 205 ff.

3 Vgl. insbesondere K. Tipke: Steuerrecht - Chaos, Konglomerat oder System /, in: Steuer und Wirtschaft, 1971, S.2 (7, 14f, 16f.); ders.: Steuerrecht, 1. Auflage, Köln 1973, S. 19.

4 Vgl. z. B. D. Birk: Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der bteuernormen, a.a.O., passim; ders.: Zum Stand der Theoriediskussion in der Steuerrechtswissen-

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Verfassungsrechtliche Aspekte der Einkommensbesteuerung 155

„geänderte" bzw. jedenfalls konkreter und stringenter gewordene Recht- sprechung des Bundesverfassungsgerichts5, die den Gesetzgeber nicht nur allgemein zu einer leistungsfähigkeitskonformen Besteuerung verpflichtet, sondern konkrete verfassungsrechtliche Anforderungen postuliert6, die die legislatorische Gestaltungsfreiheit zurückdrängen und das Leistungsfähig- keitsprinzip verfassungsrechtlich absichern. Hierbei stand und steht die Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit im Einkommensteuer- recht im Mittelpunkt.

2. Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit: Allgemeines

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es ein grundsätzliches, in Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankertes Ge- bot der Steuergerechtigkeit, daß die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet ist. Das gilt insbesondere für die Einkom- mensteuer; denn das Einkommensteuerrecht ist auf die Leistungsfähigkeit

schaft, in: Steuer und Wirtschaft, 1983, S. 293 ff. ; E.-W. Böckenförde: Steuergerechtig- keit und Familienlastenausgleich, in: Steuer und Wirtschaft, 1986, S.335ff.; P.Kirch- hof: Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Besteuerung nach der finanziellen Leistungs- fähigkeit, in: Steuer und Wirtschaft, 1985, S.319ÍT.; ders.: Die Einkommensteuer als Maßstab für die Kirchensteuer, in: Deutsche Steuer-Zeitung, A, 1986, S.25ff; ders.: Kommentierung des §2 EStG in: P. Kirchhof und H. Söhn (Hrsg.): EStG-Kommentar (Loseblatt), Köln - Heidelberg 1986ff., §2 Rdnr. A 126 ff; J. Lang: Familienbesteue- rung, in: Steuer und Wirtschaft, 1983, S. 103 ff; ders.: Verfassungsmäßigkeit des rück- wirkenden Steuerabzugsverbots für Geldstrafen und Geldbußen, in: Steuer und Wirt- schaft, 1985, S. 10 (12ff); ders.: Reformentwurf zu Grundvorschriften des EStG, Köln 1985, S.21, 68 ff.; H. Söhn: Sonderausgaben (§10 EStG) und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, in: Steuer und Wirtschaft, 1985, S.395 (400ff); ders.: Abzug von Rentenversicherungsbeiträgen als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG) und Ertrags- anteilsbesteuerung von Leibrenten (§22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG), in: Steuer und Wirtschaft, 1986, S. 324 ff ; ders. : Kommentierung des § 10 EStG, a. a. O., § 10 Rdnr. A 17; K. Tipke: Neuordnung der Familienbesteuerung, in: Steuerberaterkongreß-Report 1983, S.39 (41 ff); ders.: Bundesverfassungsgericht zum Unterhaltsabzug, in: Steuer und Wirtschaft, 1985, S.78f ; ders.: Steuerrecht, 11. Auflage, Köln 1987, S.59ff; K. Tipke und J. Lang: Zur Reform der Familienbesteuerung, in: Steuer und Wirtschaft, 1984, S. 127 ff.; K. Vogel: Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsauf- wendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein, in: Steuer und Wirtschaft, 1984, S. 197 ff. ; W. Zeidler: Verfassungsrechtliche Fragen zur Besteuerung von Familien- und Alterseinkommen, in: Steuer und Wirtschaft, 1985, S. 1 (3 ff.). 5 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (im folgenden zitiert als „BVerfGE"), Bd. 61, S.319 (344 ff.); Bd. 66, S.214 (223 ff.); Bd. 67, S.290 (296 ff.); Bd. 68, S. 143 (152); BVerfG v. 15.7.87, in: Neue Juristische Wochenschrift, 1988, S. 127. 0 K. Vogel: Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a. a. O.

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des einzelnen Steuerpflichtigen hin angelegt7. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen für die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer8 : - Die Besteuerung darf erstens nicht bereits auf die (Brutto-)Einnahmen,

sondern - grundsätzlich - erst auf die (Rein-)Einkünfte ( = Marktein- kommen) zugreifen (Besteuerung nach der objektiven Leistungsfähig- keit; objektives Nettoprinzip; berufliches Nettoprinzip9).

- Zum zweiten muß eine Beeinträchtigung der individuellen (subjektiven) wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch unvermeidbare (zwangsläufi- ge, indisponible) Privatausgaben die Bemessungsgrundlage vermindern (Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit; subjektives Net- toprinzip; privates Nettoprinzip10). Oder mit den Worten des Bundesver- fassungsgerichts : Aus dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfä- higkeit ergibt sich jedenfalls „auch", daß solche Ausgaben einkommen- steuerrechtlich von Bedeutung sein müssen, die außerhalb der Sphäre der Einkommenserzielung - also im privaten Bereich - anfallen und für den Steuerpflichtigen indisponibel sind11. §12 EStG will und könnte dies nicht in Frage stellen; „Durchbrechungen" dieses Abzugsverbots sind zwingend, soweit die Leistungsfähigkeit durch zwangsläufige private

7 BVerfGE Bd. 43, S. 108 (120); Bd. 47, S. 1 (29); Bd. 61, S. 319 (343 f.); Bd. 66, S.214 (222 f.); Bd. 67, S.290 (297); Bd. 68, S.143 (152); BVerfG v. 15.7.87, a.a.O.

8 Vgl. insbesondere J. Lang: Verfassungsmäßigkeit des rückwirkenden Steuerab- zugsverbots für Geldstrafen und Geldbußen, a. a. O., S. 10 (14ff., „Sachgesetzlichkeiten" bzw. „Ordnungsprinzipien").

9 Vgl. statt vieler J. Lang: Familienbesteuerung, a. a. O., S. 103 (105) m. w. N. Ab- weichungen sind nicht überhaupt ausgeschlossen, bedürfen jedoch einer sachlichen Rechtfertigung (J. Lang : Verfassungsmäßigkeit des rückwirkenden Steuerabzugsverbots für Geldstrafen und Geldbußen, a. a. O., S. 10 [16]; K. Vogel: Zwangsläufige Aufwen- dungen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a.a.O., S. 197 [199] m.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG; zuletzt BVerfG v. 15.7.87, a.a.O.).

10 Vgl. bereits K. Tipke: Steuerrecht - Chaos, Konglomerat oder System?, a.a.O., S.2 (16f.); ferner D. Birk: Altersvorsorge und Alterseinkünfte im Einkommensteuer- recht, Köln 1987, S. 15 f.; E.-W. Böckenförde: Steuergerechtigkeit und Familienlasten- ausgleich, a.a.O., S. 335 ff.; J. Lang: Familienbesteuerung, a.a.O., S. 103 (106); ders.: Verfassungsmäßigkeit des rückwirkenden Steuerabzugsverbots für Geldstrafen und Geldbußen, a.a.O., S. 10 (12 ff.); P. Kirchhof: Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, a. a. O., S. 319; H. G. Ruppe: Die Abgrenzung der Betriebsausgaben/ Werbungskosten von den Privatausgaben, in: H. Söhn (Hrsg.) : Die Abgrenzung der Betriebs- oder Berufssphäre von der Privatsphäre im Einkommensteuerrecht, Köln 1980, S. 103 (105); H. Söhn: Sonderausgaben (§ 10 EStG) und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, a. a. O., S. 395 (400 ff.) ; ders. : Kommen- tierung des § 10 EStG, a.a.O., §10Rdnr. A 17; K. Tipke: Neuordnung der Familienbe- steuerung, a.a.O., S.39 (47 ff.); ders.: Steuerrecht, 11. Aufl., a.a.O., S.302ff.

ii BVerfGE Bd. 61, 319 (344); Bd. 66, S.214 (223); Bd. 67, S.290 (297); Bd. 68, S. 143 (152f.); BVerfG v. 15.7.87, a.a.O.

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Ausgaben gemindert wird12. Unabweisbare Aufwendungen in der Pri- vatsphäre sind negative Faktoren der Bemessungsgrundlage13. Sie ge- hören nicht zu den Kosten der individuellen privaten Lebensführung/Le- bensgestaltung, sondern liegen diesen voraus14. Ihre Abzugsfáhigkeit verwirklicht keine Sozialpolitik und ist weder eine „Steuervergünsti- gung" noch ein „Steuervorteil" o.a., sondern berücksichtigt eine redu- zierte subjektive Leistungsfähigkeit. Daß Ausgaben nicht im Zusammen- hang mit der Einkommenserzielung entstehen, sondern im Bereich der „Einkommensverwendung" anfallen, schließt folglich eine zwingende (den Gesetzgeber verpflichtende) steuerliche Berücksichtigung noch nicht aus. Die Trennlinie liegt erst zwischen unvermeidbaren (zwangsläu- figen, indisponiblen) Privatausgaben und sonstigen (disponiblen) privaten Aufwendungen. Nur das frei verfügbare, der privaten Lebenshaltung und dem individuellen Konsum „frei" zugängliche Einkommen ist be- steuerbare Leistungsfähigkeit. Soweit unvermeidbare Privatausgaben fi- nanziert werden (müssen), ist das eingesetzte Einkommen kein für den staatlichen Steuerzugriff disponibles (verfügbares) Einkommen (mehr), sondern indisponibles Einkommen15.

3. Zur Entwicklung der Rechtsprechung des Bundes- verfassungsgerichts16

Die verfassungsgerichtliche Judikatur entnimmt den Grundsatz der Be- steuerung nach der Leistungsfähigkeit aus einem in Art. 3 Abs. 1 GG veran- kerten Gebot der Steuergerechtigkeit17. Was daraus konkret für die Be- steuerung folgt, blieb anfangs weitgehend offen. Das Bundesverfassungsge-

12 Vgl. - zu §12 Nr. 2 EStG - BVerfGE Bd. 66, S.214 (215 f.); Bd. 67, S.290 (296) sowie allgemein H. Söhn: Kommentierung des §10 EStG, a.a.O., §10 Rdnr. A 18; DERS.: Sonderausgaben (§10 EStG) und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, a.a.O., S. 395 (401 f.).

13 K. Tipke: Neuordnung der Familienbesteuerung, a.a.O., S.39 (45 f.). 14 E.-W. Böckenförde: Steuergerechtigkeit und Familienlastenausgleich, a.a.O.,

S. 335 (336). is BVerfGE Bd. 61, S. 319 (349); ungenau insoweit BVerfGE Bd. 66, S. 214 (222). Vgl.

ferner K. G. Deubner: Abschied vom Bagatellprinzip, in: Neue Juristische Wochen- schrift, 1985, S.839f.; K. Tipke: Bundesverfassungsgericht zum Unterhaltsabzug, a.a.O., S.78f.; W. Zeidler: Verfassungsrechtliche Fragen zur Besteuerung von Familien- und Alterseinkommen, a.a.O., S. 1 (3 ff.). i6 Vgl. dazu insbesondere K. Vogel: Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a.a.O., S. 197 (198ff.)m.w.N.

17 BVerfGE Bd. 43, S. 108 (120); Bd. 61, S.319 (343 f.); Bd. 66, S.214 (223); Bd. 67, S.290 (297 f.); Bd. 68, S. 143 (152 f.).

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rieht hat sich zwar seit 196918 verstärkt mit dem Leistungsfáhigkeitsprinzip als „Basis" der Bemessungsgrundlage (insbesondere) im Einkommensteuer- recht befaßt, jedoch zunächst auf eine Festlegung konkreter verfassungs- rechtlicher Anforderungen verzichtet und dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden. Zu einer „reinen Verwirklichung dieses Prinzips" sei der Gesetzgeber „von Verfassungs wegen nicht verpflich- tet"^, im Kinderfreibetragsbeschluß v. 23. 11. 197620 formuliert das Ge- richt erstmals den für die weitere Entwicklung entscheidenden Satz, es sei „ein grundsätzliches Gebot der Steuergerechtigkeit, daß die Besteuerung nach der (wirtschaftlichen) Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird", und stellt ferner (erstmals) fest, daß „auch die nur einzelne Steuerpflichtige treffende Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen ... ein besonderer, die Lei- stungsfähigkeit der Eltern beeinträchtigender Umstand" sei und der Ge- setzgeber „diese unabweisbare Sonderbelastung ohne Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit nicht außer acht lassen" dürfe. So vielversprechend die- se Konkretisierung war, insgesamt blieb die Entscheidung (noch) zwiespäl- tig. Denn der Senat wiederholt zugleich die (nicht begründete) These, daß das Leistungsfáhigkeitsprinzip nicht „rein" verwirklicht werden müsse, be- hauptet - unter Hinweis auf finanzwissenschaftliche Untersuchungen - eine „Vieldeutigkeit" des Leistungsfähigkeitsprinzips und verneint i. E. eine Be- schränkung des Steuerzugriffs auf das disponible Einkommen21. Der Staat könne (deshalb?) die Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern durch Unterhaltsverpflichtungen steuerlich unberücksichtigt lassen, wenn er Kin- dergeld zahle. In der „Hausgehilfinnenentscheidung"22 findet sich eine ähn- lich halbherzige Argumentation.

Die „Wende" zu einer stringenteren Auslegung und Handhabung des rechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzips beginnt mit dem Urteil zur Besteue- rung alleinerziehender Eltern23. Denn das Gericht entnimmt nunmehr dem Leistungsfáhigkeitsprinzip eine Pflicht des Gesetzgebers, zwangsläufige Privatausgaben steuerlich (durch Reduzierung der Bemessungsgrundlage) zu berücksichtigen; unvermeidbare Privatausgaben minderten das be- steuerbare Einkommen, die Steuer dürfe nur auf disponibles Einkommen

i» Zur früheren Rechtsprechung vgl. K. Vogel: Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a. a. O., S. 197 (198f.).

19 BVerfGE Bd. 27, S. 58 (68). Vgl. ferner BVerfGE Bd. 34, S. 103 (1 15 ff.); Bd. 43, S. 1 (8 ff.).

20 BVerfGE Bd. 43, S. 108 (120 ff.). 2i Ebenda, S. 108(119). 22 BVerfGE Bd. 47, S. 1 (24). Vgl. dazu auch K. Vogel: Zwangsläufige Autwendun-

gen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a.a.O., S. 197(199).

23 BVerfGE Bd. 61, S.319 (344 ff.).

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zugreifen. Die - gegenteilige - Kinderfreibetragsentscheidung24 wird zwar nicht revidiert, aber relativiert und insbesondere festgestellt, daß eine steuerliche Regelung, die der verminderten Leistungsfähigkeit alleinerzie- hender Eltern Rechnung trage, den besonderen Aufwand „in der tatsäch- lich entstandenen Höhe als Minderung des Einkommens" berücksichtigen müsse25. Daß einer Minderung der Leistungsfähigkeit durch staatliche Transferleistungen entsprochen werden könne, ist jedenfalls keine frei wählbare Alternative mehr26. Der sog. Abzugsgrenzenbeschluß vom 22. 2. 198427 setzt die „neue Linie" fort und folgert aus dem so konkretisier- ten rechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzip, daß für die steuerliche Berück- sichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen keine realitätsfremden Grenzen gezogen werden dürften28. Daß der Gesetzgeber nicht zu einer „reinen" Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips verpflichtet sei, wird (endgültig) nicht mehr wiederholt29, ebensowenig, daß eine durch unvermeidbare Privatausgaben eintretende Verminderung der subjektiven Leistungsfähigkeit steuerlich ignoriert und durch staatliche Transferleistun- gen ersetzt werden dürfe. Die Beschlüsse v. 4. 10. 198430 (zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen an den geschiedenen Ehegatten), v. 17. 10. 198431 (Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern) und v. 15.7. 198732 (zwangsläufige Unterhaltsleistungen an den getrennt lebenden Ehegatten) bestätigen diese Grundsätze.

Wie das Bundesverfassungsgericht seine „neue" Position weiter entwik- keln wird, bleibt abzuwarten33. Eines steht aber jedenfalls außer Frage: Die von einzelnen Vertretern der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre aufge-

24 Vgl. FN 20. 25 BVerfGE Bd.61,S. 319 (355). 26 K. Vogel (Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen -

müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a.a.O., S. 197 [200]) meint, dieser Gedanke sei offenbar aufgegeben worden.

27 BVerfGE Bd. 66, S.214ff. 28 BVerfGE Bd. 66, S.214 (223). » Schon im Alleinerziehenden- Urteil (BVerfUfc Bd. 61, S. 3191t.) dürtte diese Ihese

stillschweigend fallen gelassen worden sein (K.Tipke: Neuordnung der Familienbesteue- rung, a.a.O., S.39 [42]; K. Vogel: Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unter- haltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a.a.O., S. 197 [203]).

30 BVerfGE Bd. 67, S.290 (297 f.). 31 BVerfGE Bd. 68, S. 143 (152 f.). 32 Neue Juristische Wochenschrift, 1988, S. 127. 33 K. Vogel (Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen -

müssen realitätsgerecht abziehbar sein, a. a. O., S. 197 [200]) verlangt zu Recht Zurück- haltung und Augenmaß, um nicht Gefahr zu laufen, daß das BVerfG „vorgeschobene Positionen" teilweise wieder zurücknehme. Vgl. auch die restriktiv formulierte Stellung- nahme des (neuen) Präsidenten des BVerfG R. Herzog: Leitlinien und Entwicklungs- tendenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Steuerfragen, in: Steuerberater-Jahrbuch 1985/86, S.27 (40).

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stellte Behauptung, daß Leistungsfähigkeit im Bereich der Einkommen- steuer die Summe der Einkünfte ( = Markteinkommen) und nicht das zu versteuernde Einkommen sei, daß es keine subjektive Leistungsfähigkeit gebe und daß es sich bei den abziehbaren Privatausgaben nur um Modifika- tionen des Steuertarifs handle, die der Gesetzgeber aus sozial- oder gesell- schaftspolitischen Gründen zulasse34, ist verfassungsrechtlich „vom Tisch". Sie mag ökonomische Gründe für sich haben, ist jedoch rechtlich nicht haltbar35.

4. Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit als rechtlicher Besteuerungsgrundsatz

4.1. Zur Zielrichtung: Allgemeines Nicht erst die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-

gerichts verdeutlicht, was das rechtliche Leistungsfähigkeitsprinzip weder leisten kann noch leisten will: Es liefert keinen „konkreten Maßstab" für eine „gerechte Verteilung der Steuerlasten auf alle Steuerpflichtigen" oder die „zulässige" Einzel- oder Gesamtsteuerlast und sagt ebensowenig etwas Genaues über die „richtigen" Steuersätze und den „zutreffenden" Progres- sionsverlauf aus ; und ob der progressive Einkommensteuertarif überhaupt Ausfluß des Leistungsfähigkeitsprinzips ist, wird zunehmend bezweifelt36.

34 E. Biergans und R. Stockinger: Zum Einkommensbegriff und zur persönlichen Zurechnung von Einkünften im Einkommensteuerrecht (I), in: Finanz-Rundschau, 1982, S. 1 (6); E. Biergans und C. Wassmer: Zum Tatbestand der Besteuerung und zum Leistungsfähigkeitsprinzip in der Einkommensteuer, in: Finanz- Rundschau, 1985, S.59 (61 ff.); D. Schneider: Leistungsfáhigkeitsprinzip und Abzug von der Bemessungs- grundlage, in: Steuer und Wirtschaft, 1984, S.356ff.

35 Zu den Ausführungen von D. Schneider (FN 34) ist folgendes hinzuzufügen: Mit dem Ausdruck „Sozialausgaben" (a. a. O., S. 356) wird die rechtliche Problematik „ver- schleiert", die Demonstration am Beispiel der Spenden (a.a.O., S. 362 f.) verfehlt die rechtliche Problematik überhaupt (Spenden sind freiwillige Aufwendungen), und der Einwand, „Menschenwürde und manches andere" seien eine Scheinbegründung für die subjektive Leistungsfähigkeit (a. a. O., S. 359), hat mit einer sachlichen Diskussion nichts mehr zu tun.

36 Vgl. z.B. K. Tipke: Steuerrecht, 11. Aufl., a.a.O., S.42 („Sozialstaatsprinzip"); DERS.: Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, Köln 1981, S.95; ferner J. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, in: R. Stödter und W. Thieme (Hrsg.): Hamburg. Deutsch- land. Europa, Festschrift für H. P. Ipsen zum 70. Geburtstag, Tübingen 1977, S.409 (432 f.); Ch. Starck: Kommentierung des Art. 3 GG, in: H. v. Mangold und F. Klein (Hrsg.): Das Bonner Grundgesetz, München 1985, Art. 3 Rdnr. 82. Das BVerfG hat anfangs das Leistungsfáhigkeitsprinzip zwar als Begründung bzw. Rechtfertigung der Progression verwendet (BVerfGE Bd. 6, S.55 [67]; Bd. 8, S.51 [68]; Bd. 32, S.333 [339]; Bd. 33, S. 66 [72]), daraus jedoch keine konkreten Schlüsse gezogen. Vgl. ferner Entschei- dungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs, Bd. 110, 1973, S. 119 (123).

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Deshalb ist im steuerrechtlichen Schrifttum z.T. die Brauchbarkeit des Leistungsfáhigkeitsprinzips als rechtlichem Besteuerungsgrundsatz über- haupt verneint worden37. Diese Kritik unterstellt jedoch „zuviel" und ver- fehlt deshalb die Wirkkraft des rechtlichen Leistungsfáhigkeitsprinzips. Zielrichtung ist (in erster Linie) die Bemessungsgrundlage (der Einkom- mensteuer). Konkret: Was ist besteuerbares Einkommen, insbesondere: Welche Aufwendungen müssen die Bemessungsgrundlage mindern? Erst und lediglich insoweit entscheidet das Leistungsfähigkeitsprinzip als recht- licher Wertmaßstab durch zwingende (verfassungsrechtliche Vorgaben über die zulässigen Belastungswirkungen der Einkommensteuer38 und be- schränkt dadurch die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.

4.2. Begrenzung des staatlichen St euer eingriff s

Leistungsfähigkeit wird im steuerrechtlichen Schrifttum als (wirtschaftli- che) Fähigkeit zur Steuerzahlung („Zahlungsfähigkeit") umschrieben39. Für die verfassungsrechtliche Betrachtung (Bestimmung) des Leistungsfä- higkeitsgrundsatzes ist indessen das „zahlen müssen" entscheidend. Der Staat des Grundgesetzes ist Steuerstaat40, Besteuerung staatlicher Eingriff

37 Vgl. insbesondere H. W. Arndt: Steuerliche Leistungsfähigkeit und Verfassungs- recht, in: J. Damrau, A. Kraft und W. Fürst (Hrsg.): Festschrift für Otto Mühl, Heidel- berg 1981, S. 17 ff.; D. G. Bodenheim: Zur verfassungsdogmatischen Reformulierung des Steuergerechtigkeitsproblems, in: Der Staat, Bd. 17, 1978, S.481ff.; H. W. Kruse: Grundfragen der Liebhaberei, in: Steuer und Wirtschaft, 1980, S.226 (231 ff.); ders.: Steuerspezifische Gründe und Grenzen der Gesetzesbindung, in: K. Tipke (Hrsg.): Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, Köln 1982, S.71 (77 ff.); R. Walz: Steuergerechtigkeit und Rechtsanwen- dung, Hamburg 1980, S. 1 1 6 f f . ; L. Woerner: Die Steuerrechtsprechung zwischen Ge- setzeskonkretisierung, Gesetzesfortbildung und Gesetzeskorrektur, in: K. Tipke (Hrsg.): Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, a.a.O., S.50f. Vgl. ferner die amtliche Begründung zum „Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes", BT-Drucks. 7/1470, S. 21 Iff.

38 Zu konkurrierenden Gestaltungswirkungen und zur Auflösung von Konkurrenz- konflikten vgl. D. Birk: Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, a.a.O., S. 232 ff.

39 D. Birk: Besteuerung der Alterseinkünfte - Grundfragen, Systemmängel, Reform- vorschläge, in: Schriftenreihe der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft, Bd. 12, Köln 1987, S.5; ders.: Altersvorsorge und Alterseinkünfte im Einkommensteuerrecht, a. a. O., S. 13, 19; P. Kirchhof: Steuergerechtigkeit und sozialstaatliche Leistungen, in: Juristen-Zeitung, 1982, S.305 (306); ders.: Besteuerung und Eigentum, in: Veröffentli- chungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S.213 (226); ders.: Steuergleichheit, in: Steuer und Wirtschaft, 1984, S.297 (298); ders.: Kommentierung des § 2 EStG, a. a. O., § 2 Rdnr. A 92 ; K. Tipke : Steuerrecht, 1 1 . Aufl., a.a.O., S.52f.

40 J. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, a. a. O., passim; K.Vogel: Der Finanz- und Steuerstaat, in: J. Isensee und P. Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, Heidelberg 1987, Rdnr. 69 ff. jeweils m.w. N.

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162 Hartmut Söhn

(Zugriff), zwangsweise Inanspruchnahme individueller wirtschaftlicher (fi- nanzieller) Leistungsfähigkeit. Deshalb muß die nach den einkommen- steuerrechtlichen Vorschriften ermittelte Bemessungsgrundlage ein verfas- sungsrechtlich zulässiges Zugriffsobjekt für den staatlichen Besteuerungs- eingriff liefern. Oder anders ausgedrückt: Der einfache Gesetzgeber ist verpflichtet, eine verfassungskonforme Bemessungsgrundlage zu normie- ren; seine Gestaltungsfreiheit ist insoweit eingeschränkt. Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit eröffnet zwar (einerseits) Zugriffsmöglichkeiten für den Steuerstaat, ist jedoch (andererseits) verfassungsrechtlicher Schutz des Steuerpflichtigen vor einem staatlichen Zugriff auf nicht besteuerbares Ein- kommen41.

4.3. Persönliches Existenzminium und Steuereingriffsverbot Wie konkret und für den einfachen Gesetzgeber bindend die verfassungs-

rechtlichen Anforderungen für eine Besteuerung nach der subjektiven Lei- stungsfähigkeit sind bzw. sein können, läßt sich am Beispiel des persönli- chen Existenzminimums besonders sinnfällig demonstrieren. Aufwendun- gen aus dem Einkommen zur persönlichen Existenzsicherung sind für jeder- mann definitionsgemäß indisponibel (zwangsläufig, unvermeidbar), so daß subjektive Leistungsfähigkeit im Sinne einer Steuerzahlungsfähigkeit fehlt. Ein staatlicher Zugriff auf das zur Finanzierung existentieller Bedürfnisse benötigte Einkommen darf nicht zulässig, ein Steuereingriff muß a priori verboten sein („existenzsicherndes Nettoprinzip")42. Das folgt nicht nur aus den einfachgesetzlichen Vorschriften, sondern ist mehrfach verfassungs- rechtlich abgesichert.

4.3.1. Art. 1 Abs.l i. V.m. Art. 19 Abs. 2 GG

„Jeder einzelne hat ein durch Art. 1 Abs. 1 mit Art. 19 Abs. 2 GG unantastbar und unabdingbar ausgestattetes Elementarrecht auf Belassen des Bestandes an für ein menschenwürdiges Leben nötigen Außenweltgütern."43

41 Vgl. auch K. Tipke; Neuordnung der Familienbesteuerung, a.a.O., S.39 (42 f.). 42 p. Kirchhof: Die hin kommensteuer als Maßstab tur die Kircnensteuer, a.a. u.,

S.25 (29, 31). Vgl. ferner E.-W. Böckenförde: Steuergerechtigkeit und Familienlasten- ausgleich, a. a. O., S. 335 (336).

43 G. Durig: Kommentierung des Art. 1 GG, in: 1h. Maunz und Lr. Dung (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, München 1987, Art. 1 Abs.l Rdnr. 44. Ebenso: J. Lang: Familienbesteuerung, a.a.O., S. 103 (119); ders.: Verfassungsmäßigkeit des rückwir- kenden Steuerabzugsverbots für Geldstrafen und Geldbußen, a. a. O., S. 10 (14, FN 56); ders.: Reformentwurf zu Grundvorschriften des EStG, a.a.O., S.69f.; K. Tipke: Steuerrecht, 11. Aufl., a.a.O., S.63.

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Verfassungsrechtliche Aspekte der Einkommensbesteuerung 163

Für den Staat besteht insoweit ein striktes Steuereingriffsverbot ; der indivi- duelle existentielle Finanzbedarf (Einkommensbetrag) ist für die Steuerge- walt „tabu"44. Das Grundgesetz geht davon aus, daß der einzelne „im Prinzip aus der Freiheit des Erworbenen . . . lebt"45. Es will den freien, selbstverantwortlichen und sozial zu achtenden Menschen46, der deshalb „sein" Einkommen zur Finanzierung seiner existentiell notwendigen Aus- gaben einsetzen können muß. Insoweit ist folglich ein staatlicher Zugriff durch Besteuerung immer und von vornherein verwehrt. Grundgesetzlich garantierte Freiheit als „rechtlich gesicherte reale Entfaltungsmöglichkeit des einzelnen in der Gesellschaft" verlangt, daß dem wirtschaftlich lei- stungsfähigen Bürger nicht Leistungsfähigkeit als Basis seiner Freiheitsaus- übung über die Besteuerung entzogen wird47. Das zur persönlichen Exi- stenzsicherung notwendige Einkommen ist folglich von Verfassungs wegen indisponibel. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG schließt insoweit sub- jektive Leistungsfähigkeit48 aus.

4.3.2. Art. 14 GG Ob und ggf. inwieweit die Eigentumsgarantie der Besteuerung Grenzen

setzt, ist nach wie vor sowohl im Grundsätzlichen wie in den Einzelheiten

44 K. Tipke: Neuordnung der Familienbesteuerung, a.a.O., S.39 (47, 55). 45 H. F. Zacher: Diskussionsbeitrag, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der

Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S. 387. 46 J. Lang: Familienbesteuerung, a.a.O., S. 103 (119) m. w. N.; W. Zeidler : Verfas-

sungsrechtliche Fragen zur Besteuerung von Familien- und Alterseinkommen, a.a.O., S. 1 (5).

47 D. Birk: Das Leistungsfáhigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, a.a.O., S. 135 ff. m.w.N.

48 Ebenso i. E. : H. v. Bockelberg: Der Anfang vom Ende der progressiven Besteue- rung nach der Leistungsfähigkeit, in: Betriebsberater, 1971, S.925; F. Eggesiecker: Kinderfreibeträge, außergewöhnliche Belastungen und Steuervergünstigungen in der Steuerreform, in: Finanz-Rundschau, 1971, S.450, 455f.; H. Fichtelmann: Einkom- mensteuer - Tarif und Sozialstaatlichkeit, in: Finanz-Rundschau, 1969, S.483 (488ff.); J. Giloy: Das Existenzminimum im Einkommensteuerrecht, in: Deutsche Steuer- Zeitung, A, 1979, S. 123; P. Kirchhof: Steuergerechtigkeit und sozialstaatliche Leistun- gen, a.a.O., S.305 (309ff.); ders.: Besteuerung und Eigentum, a.a.O., S.213 (271); F. Klein: Kommentierung des Art. 1 GG, in: B. Schmidt-Bleibtreu und F. Klein (Hrsg.): Grundgesetzkommentar, Neuwied - Darmstadt 1983, Art. 1 Anm. 14; ders.: Gleich- heitssatz und Steuerrecht, Köln 1966, S. 127; ders.: Verfassungsrechtliche Grenzen der Steuerreform, in: G. Leibholz u. a. (Hrsg.): Menschenwürde und freiheitliche Rechtsord- nung, Festschrift für Willi Geiger, Tübingen 1974, S.697 (703 f.); ders.: Eigentumsga- rantie und Besteuerung, in: Bayerische Verwaltungsblätter, 1980, S. 527 ff. ; Ch. Starck: Kommentierung des Art. 3 GG, a.a.O., Art. 3 Rdnr. 59. Vgl. ferner E. Benda (Der soziale Rechtsstaat, in: E. Benda, W. Maihofer und H. J. Vogel (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin - New York 1983, S.477 [526]), der die Nichtbesteuerung des Existenzminimums aus dem Sozialstaatsprinzip folgert.

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164 Hartmut Söhn

kontrovers49. Das hat mehrere Ursachen: Das Bundesverfassungsgericht judiziert seit jeher, daß Art. 14 GG nicht das Vermögen als solches gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldleistungspflichten schütze50. Etwas anderes gelte nur bei einer übermäßigen Belastung und einer grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögens Verhältnisse. Das heißt, eine Steuer darf nicht erdrosselnd wirken und die Besteuerung nicht das Institut des Privat- eigentums überhaupt in Frage stellen51. Im staatsrechtlichen Schrifttum wird gegen einen steuerbegrenzenden Eigentumsschutz insbesondere vorge- bracht, daß ein Eingriff in konkrete Eigentumsrechte fehle52, daß eine Be- grenzung des Eigentumsschutzes auf Vermögenswerte Rechtspositionen einer Aufweichung des Eigentumsbegriffs entgegenwirken solle53 und die Eigentumsgarantie kein tauglicher bzw. justitiabler Begrenzungsmaßstab für die Steuerbelastung sein könne54. Zudem verletze allenfalls die Gesamt- steuerlast55 (Steuerlastquote)56 oder die Gesamtabgabenlast57 die Eigen- tumsgarantie, nicht jedoch die einzelne Steuer.

Diese Kritik ist insgesamt ungenau58 bzw. zu undifferenziert und deshalb

49 Vgl. statt vieler D. Birk: Das Leistungsfáhigkeitsprinzip als Maßstab der Steuer- normen, a. a. O., S. 180 ff.; P. Kirchhof: Besteuerung und Eigentum, a. a. O., S. 2 1 3 f f . ; H. J. Papier: Steuer und Abgaben, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1987, S. 140 (143 ff.) jeweils m. w. N. pro und contra.

50 Vgl. z.B. BVerfGE Bd. 4, S.7 (17); Bd. 6, S.290 (298); Bd. 8, S.274 (330); Bd. 10, S.89 (116); Bd. 10, S.354 (371); Bd. 11, S. 105 (126); Bd. 14, S.221 (241); Bd. 19, S. 119 (128f.); Bd. 19, S.253 (267 f.); Bd. 26, S.327 (338); Bd. 28, S. 119 (140); Bd. 29, S.402 (413); Bd. 30, S.250 (271 f.); Bd. 38, S.61 (102); Bd. 63, S.312 (327); Bd. 70, S.215 (230) sowie zuletzt BVerfG v. 8. 4. 87, in: Neue Juristische Wochenschrift, 1987, S. 31 15 (3117).

51 BVerfGE Bd. 14, S.221 (241 f.); Bd. 19, S.253 (267 f.); Bd. 23, S.288 (315); Bd. 26, S.327 (338); Bd. 27, S. 111 (131); Bd. 29, S.402 (413); Bd. 30, S.250 (272); Bd. 63, S.312 (321); Bd. 70, S.215 (230). Vgl. dazu z.B. H.-J. Papier: Steuer und Abgaben, a.a.O., S. 145: „fiktive Extremsituationen".

52 D. Birk: Das Leistungsfáhigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, a.a.O. 53 H.-J. Papier: Die Beeinträchtigung der Eigentums- und Berufsfreiheit durch

Steuern vom Einkommen und Vermögen, in: Der Staat, Bd. 11, 1972, S.483 (489 ff.); DERS. : Besteuerung und Eigentum, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 1980, S. 787 (789 f.); DERS. : Steuer und Abgaben, a. a. O., S. 140 (145); vgl. ferner R. Breuer: Diskussionsbei- trag, in : Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S.383.

54 H.-J. Papier: Die Beeinträchtigung der Eigentums- und Berufsireiheit durch Steuern vom Einkommen und Vermögen, a.a.O.; D. Wilke: Diskussionsbeitrag, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S.403, 405; vgl. auch B.-O. Bryde: Kommentierung des Art. 14 GG, in: I. v. Münch (Hrsg.): Grundgesetz- Kommentar, Bd. 1, München 1985, Art. 14 Rdnr. 64, „Steuer- und Abgabenrecht".

55 D. Wilke: Diskussionsbeitrag, a.a.O., S.404. 56 R. Mussgnug: Diskussionsbeitrag, in: Veronentlichungen der Vereinigung der

Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S.381. 57 H.-J. Papier: Steuer und Abgaben, a.a.O., S. 146. 58 Vgl. auch R. Herzog: Leitlinien und Entwicklungstendenzen der Rechtsprechung

des Bundesverfassungsgerichts in Steuerfragen, a.a.O., S.27 (30 ff.).

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Verfassungsrechtliche Aspekte der Einkommensbesteuerung 165

letztlich überhaupt falsch. Daß Art. 14 GG keine „festen Zahlen" für die zulässige Höhe der Steuerbelastung durch eine oder alle Steuern liefern kann, ist offensichtlich. Insoweit läßt sich steuerliche Leistungsfähigkeit nicht genauer an Art. 14 GG messen. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Eigentumsgarantie dem staatlichen Besteuerungszugriff durch verfassungs- rechtliche Vorgaben „sehr feste Grenzen" setzt. Das muß für jede Steuer in ihrer jeweiligen Ausgestaltung geprüft werden, und Prüfungsgegenstand sind nicht bzw. nur in seltenen Ausnahmefällen ein einzelner Steuersatz59 oder der (progressive) Tarifverlauf insgesamt, sondern primär die Bemes- sungsgrundlage. Das heißt in diesem Zusamgenhang : Ist die Eigentumsga- rantie für eine steuerliche Verschonung des individuellen, existentiellen Fi- nanzbedarfs relevant und gegebenenfalls in welcher Weise? - Die Einkommensteuer erfaßt Einkünfte (Vermögensmehrungen), die der

Steuerpflichtige „aus" einer bestimmten Erwerbsgrundlage „erzielt". Dem staatlichen Zugriff unterliegt mithin im Einkommensteuerrecht die Nutzung einer bestimmten Erwerbsgrundlage (Land- und Forstwirt- schaft, Gewerbebetrieb, selbständige Arbeit, nichtselbständige Arbeit, Kapitalvermögen, Gebrauchsüberlassung geeigneter Wirtschaftsgüter, Recht auf wiederkehrende Bezüge) zum Erzielen von Einnahmen60. Die Formel, daß Art. 14 GG nicht das Vermögen gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten schütze, paßt folglich nicht, und die Frage nach einem „steuerbegrenzenden Vermögensschutz zugunsten des Bürgers"61 ist ungenau bzw. überhaupt unrichtig (gestellt)62. Die Einkommensteuer belastet jedenfalls immer konkrete (Nutzungs) Rechte, die Eigentum i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind63. Die Eigentumsfreiheit ist daher das eigentliche Eingriffsobjekt der Einkommensteuer64.

59 Ebenda: Relevanz für den Spitzensteuersatz. 60 P. Kirchhof: Besteuerung und Eigentum, a.a.O., S.213 (243, 245 f.); ders.: Die

Einkommensteuer als Maßstab für die Kirchensteuer, a.a.O., S.25 (31); ders.: Kom- mentierung des 2 EStG, a. a. O., _2 Rdnr. A 105. Vgl. ferner D. Birk: Altersvorsorge und Alterseinkünfte im Einkommensteuerrecht, a. a. O., S. 9; B.-O. Bryde: Kommentie- rung des Art. 14 GG, a.a.O., Art. 14 Rdnr. 23.

61 So z. B. H.-J. Papier: Steuer und Abgaben, a. a. O., S. 144. 62 Vgl. auch R. Herzog: Leitlinien und Entwicklungstendenzen der Rechtsprechung

des Bundesverfassungsgerichts in Steuerfragen, a. a. O. 63 P. Kirchhof: Besteuerung und Eigentum, a.a.O.; ders.: Die Einkommensteuer

als Maßstab für die Kirchensteuer, a.a.O.; H.-J. Papier (Besteuerung und Eigentum, a.a.O., S.787 [781]; Steuer und Abgaben, a.a.O., S. 140 [144 ff.]) will die Besteuerung der Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit an Art. 12 Abs. 1 GG, die der Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft, Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung an Art. 14 GG messen. Soweit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt werde, bewege sich die Besteuerung jedoch grundsätzlich im „entschädigungs- und enteignungsfreien" Regelungsbereich der Eigentumsgarantie, weil lediglich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums aktualisiert werde.

64 J. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, a.a.O., S.409 (434).

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166 Hartmut Söhn

- Da die Eigentumsgarantie ein elementares Grundrecht ist, in engem inneren Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit steht und die Auf- gabe hat, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermö- gensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm damit eine eigenverantwort- liche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen65, verbietet die Eigentums- garantie, daß Einkommen besteuerbar ist (dem staatlichen Steuereingriff unterliegt), soweit es zur Selbstfinanzierung des persönlichen Existenzmi- nimums dient. Eigentumsgarantie heißt insoweit Besteuerungsverbot. Ein Besteuerungszugriff auf das existenzsichernde Einkommen ist keinesfalls und in keinem Falle mehr Sozialbindung des „grundrechtsgeschützten, genuin privatnützigen Eigentums"66, sondern verletzt Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG67. Daß erworbenes Einkommen „legitim zuförderst seinem Inha- ber zugute kommt", setzt Art. 14 Abs. 2 GG als selbstverständlich vor- aus68. Die Eigentumsgarantie verneint insoweit subjektive Leistungsfä- higkeit.

4.3.3. Übermaßverbot Das verfassungsrechtliche Übermaßverbot (Eignung, Erforderlichkeit,

Verhältnismäßigkeit) soll als Schranke der Steuergewalt versagen, weil sich die Steuer nicht in das übliche Zweck-Mittel-Schema füge69. Es erscheine

65 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. BVerfGE Bd. 40, S.65 (83); Bd. 42, S.263 (293); Bd. 50, S.290 (339); Bd. 53, S.257 (290); Bd. 68, S. 193 (222); Bd. 69, S.272 (399); Bd. 72, S. 175 (195).

66 J. Isensee: Der Sozialstaat in der Wirtschaftskrise. Der Kamp! um aie sozialen Besitzstände und die Normen der Verfassung, in: J. Listi und H. Schambeck (Hrsg.): Demokratie in Anfechtung und Bewährung (Festschrift für Johannes Broermann), Ber- lin 1982, S.365 (389).

67 P. Kirchhof: Besteuerung und Eigentum, a.a.O., S.213 (399); ders.: Steuerge- rechtigkeit und sozialstaatliche Geldleistungen, a.a.O., S.305 (307); K.Tipke: Steuer- recht, 11. Aufl., a.a.O., S.46.

68 j. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, a.a.O., S.409 (425). oy ao z.U. u. birk: uas i^eisiungsiamgKeiisprinzip aïs îviaiosiau uci oicuciuuimcu,

a.a.O., S. 187 ff.; P. Badura: Diskussionsbeitrag, in: Veröffentlichungen der Vereini- gung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S. 396; R. Breuer: Diskus- sionsbeitrag, in : Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S. 384; B.-O. Bryde: Kommentierung des Art. 14 GG, a.a.O.; J. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, a.a.O., S.409 (434); J. Papier: Die finanzrechtli- chen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, Berlin 1973, S.76ff.; ders.: Kommentierung des Art. 14 GG, in: Th. Maunz und G. Dürig, (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, München 1987, Art. 14 Rdnr. 170; ders.: Diskussionsbei- trag, in : Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 39, Berlin 1981, S. 370; ders. : Besteuerung und Eigentum, a. a. O., S. 787 (792 f.); K.Vogel: Das ungeschriebene Finanzrecht des Grundgesetzes, in: I.v. Münch und P. Selmer (Hrsg.) : Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, Berlin - New York 1987, S. 265 (270). Vgl. ferner P. Badura: Eigentum, in: E. Benda, W. Maihofer und H. J. Vogel (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin - New York 1983, S.653 (670).

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Verfassungsrechtliche Aspekte der Einkommensbesteuerung 1 67

schlechthin ausgeschlossen, daß „jemals die Höhe der Steuerbelastung zu den damit erzielten und der Belastung doch genau entsprechenden Einnah- men des Staates außer Verhältnis" stehe70. Indes: Der Steuereingriff ist zwar sicherlich zur Zweckerreichung (Einnahmenerzielung) geeignet und das mildeste Mittel (erforderlich), aber keineswegs von vornherein verhält- nismäßig im engeren Sinne. Die Gegenmeinung „unterschlägt" diese Kom- ponente des Übermaßverbots z.T. zur Gänze71 oder behauptet, daß „im allgemeinen . . . auch der Eingriffszweck der öffentlichen Mittel- beschaffung und das dem Bürger auferlegte Steueropfer nicht im Verhältnis der Disproportionalität" stünden72. Ein Steuereingriff in den individuellen existentiellen Finanzbedarf (Einkommen) - der in letzter Konsequenz exi- stentielle Bedürftigkeit verursachen würde und staatliche Transferleistun- gen auslösen müßte - steht aber jedenfalls und immer außer Verhältnis zum Eingriffszweck (Einnahmenerzielung). Staatliche Besteuerung darf nicht die Freiheit zur Selbstfinanzierung des persönlichen Existenzminimums be- seitigen können. Ein Steuereingriff trotz fehlender subjektiver Leistungsfä- higkeit ist als solcher zwangsläufig übermäßig (verfassungswidrig).

4.3.4. Art. 3 Abs. 1 GG Es entspricht dem in Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankerten

Gebot der Steuergerechtigkeit, daß die Besteuerung nach der wirtschaftli- chen Leistungsfähigkeit ausgerichtet ist73. Die Steuer steht und fällt mit der Lastengleichheit74. Für das persönliche Existenzminimum folgt daraus, daß das für existenzsichernde Ausgaben erforderliche Einkommen immer dem staatlichen Steuerzugriff entzogen sein muß („Besteuerungsverbot"). Der Staat verzichtet insoweit nicht aus Billigkeitsgründen o. ä. auf einen mögli- chen Zugriff, sondern respektiert die verfassungsrechtlich verbürgte Frei- heit zur Selbstfinanzierung des persönlichen Existenzminimums. Insoweit fehlt deshalb jedermann die subjektive Leistungsfähigkeit. „Auch Reiche

70 H.-J. Papier: Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, a.a.O., S.78f.

71 So z.B. D. Birk: Das Leistungsfahigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, a. a. O., S. 189; B.-O. Bryde: Kommentierung des Art. 14 GG, a. a. O.

72 H.-J. Papier: Besteuerung und Eigentum, a. a. O., S. 787 (793); ders. : Steuer und Abgaben, a.a.O., S. 140 (145); ferner K. Vogel (Das ungeschriebene Finanzrecht des Grundgesetzes, a.a.O.): bis zur Grenze der Erdrosselung verhältnismäßig. Vgl. aber demgegenüber bereits P. Kirchhof: Steuergerechtigkeit und sozialstaatliche Leistun- gen, a. a. O., S. 305 (307).

73 Ständige Rechtsprechung des BVerfG (FN 5). Vgl. dazu insbesondere K. Tipke: Steuerrecht, 11. Aufl., a.a.O., S. 31 ff.; ferner H.-J. Papier: Steuer und Abgaben, a.a.O., S. 140.

74 J. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, a.a.O., S.409 (418).

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168 Hartmut Söhn

benötigen ein Existenzminimum."75 Persönliche Differenzierungen nach der Höhe des Einkommens sind folglich unzulässig; sie indizieren notwen- digerweise eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung76.

5. Zur Höhe des nicht besteuerbaren Existenzminimums

Die Aussage des rechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzips, daß das für den existentiellen Eigenbedarf benötigte Einkommen nicht dem staatlichen Steuerzugriff unterliegt („Besteuerungsverbot"), ist in negativer Hinsicht sehr konkret, liefert aber noch keine „Zahlen" für den individuellen exi- stentiellen Eigenbedarf. Deshalb wiederholt sich zunächst für das rechtliche Leistungsfähigkeitsprinzip, was Kurt Schmidt in der finanzwissenschaft- lichen Diskussion vorgeschlagen hat : daß man Leistungsfähigkeit „am be- sten nur negativ zu umschreiben" versuche77. Die Richtung für eine positive Bestimmung ist aber bereits vorgezeichnet und ein wesentlicher Anhalts- punkt vorgegeben: Denn wenn für die Frage, „ob der Gesetzgeber unab- weisbare Unterhaltsaufwendungen realitätsfremd außer acht gelassen und damit gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ver- stoßen hat", das Sozialhilferecht wesentliche Anhaltspunkte liefert, da das sozialhilferechtliche Existenzminimum jeweils „verbrauchsbezogen" ermit- telt sowie regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt wird und eine „menschenwürdige Lebensführung" ermöglichen soll78, muß diese „Werteinheit" zwischen Sozialhilferecht und Steuerrecht19 erst recht konkrete Vorgaben für die Bemessung des nicht besteuerbaren persönlichen Exi- stenzminimums geben80. Die Verfassung legt zwar das Existenzminimum („unabweisbares Lebensbedürfnis") nicht betragsmäßig fest, so daß gesetz- geberischer Gestaltungsspielraum zwangsläufig und Pauschalierungen o. ä. zulässig sind. Das nicht besteuerbare Existenzminimum darf aber keines-

75 J. Lang: Familienbesteuerung, a.a.O., S. 103 (121). 76 Zur strengeren „neuen Formel" des BVerfG bei der Umschreibung der Wirkung

des Gleichheitssatzes vgl. BVerfGE Bd. 55, S.72 (88); Bd. 60, S. 123 (133 f.); Bd. 65, S. 104 (112f.); Bd. 66, S.234 (242); Bd. 67, S.231 (236); Bd. 67, S.348 (365); Bd. 68, S. 287 (301) und dazu R. Herzog: Leitlinien und Entwicklungstendenzen der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts in Steuerfragen, a.a.O., S.27 (34 f.).

77 K. Schmidt: Das Leistungsfähigkeitsprinzip und die Theorie vom proportionalen Opfer, in: Finanzarchiv, N. F., Bd. 26, 1967, S. 385 (403). Vgl. ferner (zu Art. 3 GG) Ch. Starck: Kommentierung des Art. 3 GG, a.a.O., Art. 3 Rdnr. 58.

7» BVerfGE Bd. 66, S.214 (224). /y J.Lang: hamilienbesteuerung, a.a. U., s. 1UJ (iiyj; ders.: zur Keiorm aer ̂ami-

lienbesteuerung, a.a.O., S. 131; ders.: Die einfache und gerechte Einkommensteuer, Köln 1987, S.38ff. Vgl. ferner K.Tipke: Steuerrecht, 11. Aufl., a.a.O., S.305.

so So jetzt auch BVerfG v. 15. 7. 87, in : Neue Juristische Wochenschrift, 1988, S. 127.

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Verfassungsrechtliche Aspekte der Einkommensbesteuerung 169

falls niedriger sein als das Sozialhilfeexistenzminimum, weil und wenn das Sozialhilfeexistenzminimum tatsächlich das aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip verfassungsrechtlich garantierte Minimum ist81 und der Gesetzgeber nicht gegen das von ihm selbst gewählte Ordnungsprinzip verstoßen will82. Der Staat darfeinem Bürger nicht als Steuerstaat wegneh- men, was er ihm als Sozialstaat zurückgewähren müßte83, nicht die Selbst- verantwortung durch Staatsfürsorge ersetzen (können). Das Sozialstaats- prinzip ist Maßstab und Garantie (auch) des nicht besteuerbaren Existenz- minimums84.

Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Höhe des nicht be- steuerbaren Existenzminimums sind nach allen vorgelegten Vergleichsrech- nungen85 nicht mehr erfüllt ; und selbst wenn das derzeitige Sozialhilfeexi- stenzminimum das verfassungsrechtlich erforderliche Minimum über- schreiten sollte und der Gesetzgeber bei der betragsmäßigen Festlegung nicht strikt gebunden ist, läßt sich das wesentlich niedrigere steuerliche Existenzminimum nicht länger rechtfertigen. Denn die Differenz ist zwi- schenzeitlich so groß (geworden), daß das steuerrechtliche Existenzmini- mum seinen Zweck (Finanzierung der existenzsichernden Ausgaben, d. h. der unabweisbaren Lebensbedürfnisse) offensichtlich nicht mehr erfüllt. Was der Sozialstaat als „Mindestbestand für ein menschenwürdiges Leben" (Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG) festlegt, kann keinesfalls besteuerbares Ein- kommen sein.

81 Vgl. z. B. BVerfGE Bd. 40, S. 121 (133); Bd. 45, S. 187 (220) sowie zuletzt BVerfG v. 15.7.87, a.a.O.

ö/ w. zeidler: Verfassungsrechtliche r ragen zur Besteuerung von rammen- und Alterseinkommen, a. a. O., S. 1 (2).

83 D. Birk: Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, a.a.O., S. 148 ff. ; P. Kirchhof: Besteuerung und Eigentum, a. a. O., S. 213 (221); ders. : Rechts- maßstäbe finanzstaatlichen Handelns, in: Juristen-Zeitung, 1979, S. 153; ders.: Steuer- gerechtigkeit und sozialstaatliche Geldleistungen, a. a. O., S. 305 (309); F. Klein: Eigen- tumsgarantie und Besteuerung, a.a.O., S.527; J. Lang: Familienbesteuerung, a.a.O., S. 103 (1 19); ders. : Reformentwurf zu Grundvorschriften des EStG, a. a. O., S. 69f. ; K. Tipke: Neuordnung der Familienbesteuerung, a. a. O., S. 39 (56); ders. : Steuerrecht, 1 1 . Aufl., a. a. O., S. 43; W. Wiebe: Die Harmonisierung von Sozialrecht und Steuerrecht als rechtspolitische Aufgabe, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 1981, S.25.

»4 Vgl. auch h. Benda : Der soziale Rechtsstaat, a. a. O., S. 477 (526) ; G. v. Mirbach : Grundgesetz und Wertungswidersprüche zwischen Ehegattenunterhalts- und Steuer- recht, in: Steuer und Wirtschaft, 1987, S.319 (321).

85 Vgl. z.B. P. Kirchhof: Rechtsmaßstäbe finanzstaatlichen Handelns, a.a.O., S. 153; ders.: Steuergerechtigkeit und sozialstaatliche Geldleistungen, a.a.O., S.305 (309); ders. : Besteuerung und Eigentum, a. a. O., S. 213 (221); ders. : Die Einkommen- steuer als Maßstab für die Kirchensteuer, a. a. O., S. 25 (31 f.); J. Lang: Familienbesteue- rung, a.a.O., S. 103 (119); ders.: Reformentwurf zu Grundvorschriften des EStG, a.a.O., S.70.

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170 Hartmut Söhn

Hinzu kommt : Aus der verfassungsrechtlichen Werteinheit zwischen So- zialhilferecht und Steuerrecht ist nicht nur zu schließen, daß das steuer- rechtliche Existenzminimum das sozialhilferechtliche nicht unterschreiten darf und eine laufende Anpassung erforderlich ist86. Der Steuerstaat muß darüber hinaus verpflichtet sein, mehr Einkommen zur Selbstfinanzierung des persönlichen Existenzminimums zu belassen als der Sozialstaat dem bedürftigen Bürger zur Existenzsicherung gewährt87.

6. Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit und staatliche Transferleistungen

Daß der Staat nicht auf das zur Sicherung der persönlichen Existenz notwendige Einkommen durch Besteuerung zugreifen darf („Besteuerungs- verbot"), gilt absolut. Ein derartiger Steuereingriff ist als solcher verfas- sungswidrig. Der Staat kann nicht wahlweise besteuern und zum Ausgleich Sozialhilfe o. ä. leisten88. Durch staatliche Transferleistungen werden weder steuerliche Zugriffsmöglichkeiten (wieder) eröffnet noch können sie einen verfassungswidrigen Steuereingriff in das „besteuerungsfeste" Existenzmi- nimum heilen89. Bloße finanzielle Kompensation ist keine verfassungs- rechtlich zulässige Alternative. Die Selbstfinanzierung existenzsichernder Ausgaben ist vorrangig, „Staatsfürsorge" nachrangig und muß es von Ver- fassungs wegen bleiben; die vom Staat empfangene und den abänderbaren staatlichen Vergabebedingungen unterliegende „DM" vermittelt a priori nicht das gleiche Maß an individueller Freiheit wie die selbstverdiente „DM"90. Selbst wenn man dies nicht dem Subsidiaritätsprinzip entnehmen

86 Für eine Angleichung insbesondere J. W. Gaddum : Steuerreform : einfach und gerecht, Stuttgart 1986, S.25; J. Lang: Familienbesteuerung, a.a.O., S. 103 (118ff.); DERS. : Reformentwurf zu Grundvorschriften des EStG, a. a. O., S. 70.

87 Ebenso i. E. K.Tipke: Neuordnung der Familienbesteuerung, a. a. O., S. 39 (56); P. Kirchhof: Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleich- behandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, Gutachten F zum 57. Deutschen Juristentag Mainz 1988, München 1988, S.51, 59f. m.w.N.

88 D. Birk: Das Leistungsfahigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, a.a.O., S. 137; J. Lang: Familienbesteuerung, a.a.O., S. 103 (121); W. Zeidler: Verfassungs- rechtliche Fragen zur Besteuerung von Familien- und Alterseinkommen, a. a. O., S. 1 (5); a. A. : H. J. Czub: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen bei der Auferlegung steuerli- cher Lasten, Berlin 1982, S.204; Ch. Starck: Kommentierung des Art. 3 GG, a.a.O., Art. 3 Rdnr. 59.

89 J. Isensee: Der Sozialstaat in der Wirtschaftskrise. Der Kampt um die sozialen Besitzstände und die Normen der Verfassung, a. a. O., S. 365 (384).

90 P. Kirchhof: Steuergerechtigkeit und sozialstaathche Geldleistungen, a.a.O., S. 305 (306, 308 f.). Vgl. ferner K.Vogel: Der Finanz- und Steuerstaat, a. a. O., Rdnr. 13, 18.

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will oder den Verfassungsrang dieses Prinzips91 bezweifelt: Das strikte Be- steuerungsverbot folgt jedenfalls aus Art. 1 Abs. 1 mit Art. 19 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus dem verfassungsrechtlichen Übermaßver- bot, so daß sich die Frage nach einem Ausgleich entzogener („wegbesteuer- ter") Leistungsfähigkeit durch staatliche Transferleistungen weder stellen kann noch stellen darf.

91 Vgl. dazu z. B. W. Zeidler: Ehe und Familie, in: E. Benda, W. Maihofer und H. J. Vogel (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts, a.a.O., S.555 (604: Sozialstaatliches und rechtsstaatliches Prinzip); ferner P. Kirchhof: Steuergerechtigkeit und sozialstaat- liche Geldleistungen, a. a. O., S. 305 (309).

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