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Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Bericht 2017 Verfassungsschutz in Hessen

Verfassungsschutz in Hessen · Wirtschaftsschutz ... die Entwicklungen in der digitalen Welt. Mit der Vernetzung über das Internet ist die Gefahr elektronischer Angriffe auf unsere

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Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

Bericht 2017Verfassungsschutz in Hessen

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Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

Friedrich-Ebert-Allee 1265185 Wiesbaden

www.hessen.de

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Verfassungsschutz in HessenBericht 2017

Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

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4 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

Zu diesem Bericht

Vorwort Staatsminister Beuth ...............................................................................................9

Grußwort Präsident Schäfer ...............................................................................................12

Verfassungsschutz in Hessen ........................................................................................ 14

Freiheitliche demokratische Grundordnung....................................................................15

Aufgaben und Befugnisse ..................................................................................................16

Methoden .............................................................................................................................17

Kontrolle................................................................................................................................18

Strukturen, Haushalt, Organisation– Künftige Entwicklung des Verfassungsschutzes...........................................................19

Wesentliche institutionelle Elemente der nationalen Sicherheitsarchitektur..............21

Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit .............................................................................23

Kontakt und Internetpräsenz..............................................................................................28

Extremismus in Hessen – Ein Überblick ...................................................................... 30

Rechtsextremismus .......................................................................................................... 42

Merkmale ..............................................................................................................................43

Personenpotenzial ...............................................................................................................44

Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen ..................................................

Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH) ............................45

Neonazis..............................................................................................................................55

Rechtsextremistische Parteien ................................................................................................

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ........................................................................64

Der Dritte Weg/Der III. Weg................................................................................................................70

Die RECHTE .............................................................................................................................

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Inhaltsverzeichnis 5

Linksextremismus............................................................................................................. 92

Merkmale ..............................................................................................................................93

Personenpotenzial ...............................................................................................................94

Autonome.............................................................................................................................95

Legalistischer Linksextremismus .....................................................................................112

Linksextremisten im Bundestagswahlkampf .................................................................115

Straf- und Gewalttaten......................................................................................................124

Islamismus ....................................................................................................................... 132

Merkmale............................................................................................................................133

Personenpotenzial.............................................................................................................135

Salafismus...........................................................................................................................135

Muslimbruderschaft (MB)/Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) ......154

Millî-Görüş-Bewegung......................................................................................................159

Türkische Hizbullah (TH) ...................................................................................................164

Sonstige Beobachtungsobjekte ......................................................................................174

Straf- und Gewalttaten......................................................................................................177

Reichsbürger und Selbstverwalter............................................................................... 8476

PAAF (Phänomenbereichsübergreifende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichekit –Projekte und Angebote .................................................................................................. 84146

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Weitgehend unstrukturierte Rechtsextremisten ..................................................................

Subkulturell orientierte Rechtsextremisten/Skinheads ...................................................................64

Rechtsterrorismus.................................................................................................................................70

Straf- und Gewalttaten ........................................................................................................81

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6 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

Flüchtlinge im Visier von Extremisten .......................................................................206

Organisierte Kriminalität ............................................................................................. 214

Definition/Ziele..................................................................................................................215

Rockerkriminalität..............................................................................................................215

Italienische Organisierte Kriminalität .............................................................................217

Maßnahmen des LfV .........................................................................................................217

Spionageabwehr ........................................................................................................... 220

Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste............................................................. 221

Regeln für Reisende ..........................................................................................................225

Straftatbestand „Spionage“/Agententätigkeit ..............................................................227

Geheim- und Wirtschaftsschutz ................................................................................. 228

Aufgaben/Ziele................................................................................................................. 229

Geheimschutz ....................................................................................................................229

Wirtschaftsschutz...............................................................................................................230

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Extremismus mit Auslandsbezug .............................................................................. 180

Merkmale............................................................................................................................181

Personenpotenzial.............................................................................................................182

Partiya Karkerên Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) ......................................182

Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) ................................................197

Straf- und Gewalttaten......................................................................................................205

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Inhaltsverzeichnis 7

Glossar und Abkürzungsverzeichnis......................................................................... 234

Register ............................................................................................................................ 292

Anhang zum Register ....................................................................................................305

Impressum und Kontakt ............................................................................................... 308

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Mitwirkungsaufgaben des LfV ................................................................................... 234194

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Zu diesem Bericht 9

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

die erfolgten wie auch die vereiteltenAnschläge von islamistischen Terroristenin Europa und auch in Deutschland ha-ben unsere Sicherheitslage nachhaltigverändert. Die Sicherheitsbehörden ha-ben sich der Bedrohung durch den in-ternationalen islamistischen Terrorismusgestellt und setzen alles daran, An-schlagspläne im Vorfeld aufzudeckenund Attentate zu verhindern.

Sicherheit ist ein hohes Gut. Nur wer sichsicher fühlt, kann sich frei entfalten. DieTerroristen möchten unser Sicherheits-gefühl schwächen und unsere Art zu le-ben angreifen. Sie zielen darauf, denKern unseres friedlichen Miteinanderszu treffen. Der Kampf gegen den Terrorwird deshalb mit umfangreichen repres-siven und präventiven Maßnahmen ge-führt. Die Sicherheitsbehörden haben

ihre Konzepte den neuen Bedrohungenangepasst. Großveranstaltungen erfah-ren neue Schutzformen. Poller und Fahr-sperren werden in das Stadtbild inte-griert. Der Verfassungsschutz arbeitetweniger sichtbar, aber dennoch intensivdaran, uns vor Anschlägen zu schützen.Nie zuvor war es so wichtig, innerhalbder Sicherheitsarchitektur ein gut ausge-stattetes Frühwarnsystem zu haben. Dienachrichtendienstliche Lage der Früher-kennung von drohenden Gefahren gehtfließend in die polizeiliche Gefahrenab-wehr über. Deshalb ist es unerlässlich,dass Verfassungsschutz und Polizei –zwar institutionell getrennt aber im Falledrohender Gefahr – nahtlos miteinanderzusammenarbeiten. Wenn Informatio-nen über mögliche Anschläge rechtzei-tig erhoben und an die richtige Stelletransportiert werden, können Men-schenleben gerettet werden.

Für diese wichtige Aufgabe haben wirdas Landesamt für Verfassungsschutzoperativer ausgerichtet und massiv per-sonell gestärkt. Observation undAnalyse sind arbeitsintensive Tätigkeits-felder. Bis 2019 wird das Landesamt da-her auf 370 Planstellen angewachsensein, das ist eine Verdopplung der Per-sonalstellen seit dem Jahr 2000. Nie zu-vor verfügte das Landesamt für Verfas-sungsschutz über so viel Personal.

Mit dem im Juni 2018 verabschiedetenGesetz zur Neuausrichtung des Verfas-sungsschutzes schaffen wir zudem einenzeitgemäßen rechtlichen Rahmen für diewichtige Arbeit des Landesamtes für Ver-fassungsschutz. Wir haben dabei be-

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wusst auf die Harmonisierung mit ein-schlägigen Bundesgesetzen und eineVerzahnung mit bestehenden polizei -lichen Befugnissen gesetzt. Denn dieLehren aus der Aufarbeitung derschrecklichen Morde des sogenanntenNationalsozialistischen Untergrunds(NSU) verpflichten zu einer engen Ko-operation innerhalb des Verfassungs-schutzverbunds sowie zwischen denNachrichtendiensten und den Polizei-stellen. Die Übermittlung von Informatio-nen des Verfassungsschutzes an die Po-lizei und andere Stellen wurde klarstrukturiert, um der Rechtsprechung undden Anforderungen der gewandelten Si-cherheitslage gerecht zu werden, die wieselten zuvor eine nachrichtendienstlicheFrüherkennung erfordert. Auch die viel-fältigen Mitwirkungsaufgaben des Ver-fassungsschutzes haben im neuen Ge-setz den Stellenwert bekommen, den siefür unsere Sicherheit haben. Denn durchseine Mitwirkung an Sicherheits- und Zu-verlässigkeitsüberprüfungen erweist sichder Verfassungsschutz tagtäglich als Ser-vicestelle unserer Sicherheit. Der rechtli-che Rahmen zur Anwendung der nach-richtendienstlichen Mittel wie etwa derObservation sowie der Einsatz mensch-licher Quellen ist nun klarer definiert.Dies sorgt für Handlungs- und Rechtssi-cherheit bei den Verfassungsschützern,ermöglicht eine bessere Überprüfbarkeitder einzelnen Maßnahmen und sorgtletztlich dafür, dass unser Nachrichten-dienst unter optimalen rechtlichen Be-dingungen seine wichtige Arbeit für un-sere Sicherheit verrichten kann.

Erstmals wurde auch die parlamentari-sche Kontrolle des Verfassungsschutzes

in einem eigenständigen Gesetz klar ge-regelt. Dadurch wird besondersdeutlich, dass das Landesamt für Verfas-sungsschutz unser Dienstleister für un-sere Demokratie ist. Wenn auch für un-sere Sicherheit viele seiner Tätigkeitenim Verborgenen stattfinden müssen, sosteht die Behörde ganz klar im Diensteunserer parlamentarischen Demokratie. 

Jene Strömungen, die sich gegen un-sere Demokratie und unserefreiheitliche Art zu leben richten, werdenvom Verfassungsschutz beobachtet. Ne-ben dem internationalen islamistischenTerrorismus haben sich auch im Rechts-und Linksextremismus gefährliche Radi-kalisierungen und ein Absinken derHemmschwellen zur Gewaltanwendungfeststellen lassen. Diese Entwicklungenauszumachen und die Öffentlichkeit wieauch die Polizei und andere öffentlicheStellen über drohende Gefahren dieserverfassungsfeindlichen Bestrebungenzu informieren, ist Kernaufgabe des Ver-fassungsschutzes. Hierbei treten immerwieder neue Phänomene und neue Ak-tionsformen zutage. Deshalb geht auchunser Landesamt für Verfassungsschutzimmer wieder neue Wege, um dieseEntwicklungen wahrzunehmen und dierichtigen Stellen darüber zu informieren.

Mit der neugeschaffenen Phänomenbe-reichsübergreifenden wissenschaftlichenAnalysestelle Antisemitismus und Frem-denfeindlichkeit (PAAF) hat das Landes-amt für Verfassungsschutz als bundesweiterste Verfassungsschutzbehörde eine ei-gene Einheit zur Analyse antisemitischerBestrebungen geschaffen. Der bewusstwissenschaftliche und Extremismus-For-

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men übergreifende Ansatz der Analyse-stelle sorgt dafür, dass auch bislang weni-ger präsente Formen des Antisemitismusans Licht kommen. Nur so kann Antisemi-tismus in seiner vollen Ausprägung er-kannt und dadurch letztlich auch vollum-fänglich geächtet und bekämpft werden.

Antisemiten und Extremisten, egal auswelcher Ecke sie kommen, begegnenwir, indem wir ihre Agitation und die da-hinterstehenden undemokratischen undmenschenverachtenden Ziele entlarven.Ein zentraler Bestandteil der Extremis-mus-Bekämpfung des Landesamts fürVerfassungsschutz ist daher auch diePräventionsarbeit. Dieses wichtige Auf-gabenfeld haben wir deshalb auch imneuen Gesetz als Arbeitsauftrag fest ver-ankert. Denn die Behörde, deren Ge-schäft das Sammeln und Weitergebenvon Informationen über verfassungs-feindliche Bestrebungen ist, ist zugleichder kompetenteste Warner vor den ex-tremistischen Vorhaben und der besteRatgeber zur Früherkennung von Radi-kalisierung. Um den Extremisten denNährboden zu entziehen haben wir dieHaushaltsmittel für die Extremismus-Prä-vention stetig erhöht. 2017 standen be-reits 4,6 Millionen Euro zur Verfügung.Im Doppelhaushalt 2018/2019 wurdediese Summe noch einmal deutlich aufrund sechs Millionen Euro pro Jahr an-gehoben (davon rund 1,1 MillionenEuro Bundesmittel). Es gibt keinenguten Extremismus und deshalb werdenwir das herausragende Engagementund die Vorreiterrolle, die Hessen zuRecht bundesweit bei seinen Präventi-onsprogrammen eingenommen hat,weiter in allen Bereichen ausbauen.

Das Landesamt für Verfassungsschutzsteigerte die Zahl seiner Präventions -termine in den letzten fünf Jahren konti-nuierlich. Es hat sich bei Lehrern, Sozial arbeitern, kommunalen Verant-wortungsträgern und vielen weiteren In-stitutionen als gefragte Expertenstelleetabliert. Die Fachreferenten des Lan-desamtes informieren über dieneuesten extremistischen Entwick -lungen und damit verbundenen Radika-lisierungsgefahren auf Schulleiterdienst-versammlungen, in Hessischen Erst-aufnahmestellen für Flüchtlinge oderauf dem Hessentag. Auch dadurchmacht die Behörde deutlich, dass sieihre Arbeit in den Dienst unserer freiheit-lichen Gesellschaft stellt.  

Mein herzlicher Dank gilt deshalb dentüchtigen Mitarbeiterin nen und Mitar-beitern im Landesamt für Verfassungs-schutz. Auch dank ihrer Expertise, ihresEngage ments und ihres Einsatzes istHessen ein sicheres Land. Mit den Infor-mationen, die der Verfassungsschutz ge-wonnen und in seinem Bericht zusam-mengetragen hat, können Sie, liebeLeserinnen und Leser, sich einen Über-blick über extremistische Bestrebungenin Hessen verschaffen. Der Bericht sollSie in die Lage versetzen, Extremismuszu erkennen, damit Sie aktiv daran mit-wirken können, Radikalisierung entge-gentreten und für unsere freiheitlichedemokratische Grundordnung unseresLandes eintreten zu können.

Peter Beuth

Hessischer Minister des Innern und für Sport

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Liebe Bürgerinnen und Bürger,

das Landesamt für Verfassungsschutzversteht sich als Dienstleister in einerZeit, die von Veränderungen geprägt ist.Die Lage der Inneren Sicherheit hat sichin den letzten Jahren gewandelt, terro-ristische Anschläge gehören – leider –wieder zu den Möglichkeiten, denen wiruns stellen müssen. Aber auch die of-fene, freiheitliche Gesellschaft in einerglobalisierten Welt stellt uns vor Heraus-forderungen. Ein Land, das sich nichtvon der Außenwelt abschließen will unddarf, muss darauf achten, dass gesell-schaftliche Spannungen nicht in Kon-flikte umschlagen und zu Bedrohungenfür unsere freiheitliche demokratischeGrundordnung werden. Gleiches gilt fürdie Entwicklungen in der digitalen Welt.Mit der Vernetzung über das Internet istdie Gefahr elektronischer Angriffe aufunsere Ressourcen, auf das Know-how

in Betrieben und Verwaltung, zu einemständigen Begleiter geworden. Die vir-tuelle Welt ist mittlerweile Realwelt.

Das Landesamt für Verfassungsschutzwill als Frühwarnsystem dazu beitragen,diese Gefahrenpotenziale rechtzeitig zuerkennen, um Gegenmaßnahmen er-greifen zu können. Dazu haben wir un-sere Strukturen weiterentwickelt und ver-bessert. Die Neustrukturierung, die wirvor zwei Jahren im Landesamt vollzogenhaben, hat zu einer stärkeren operativenAusrichtung unserer Arbeit geführt. Diesbedeutet, dass wir die Bündelung unse-rer Ressourcen, etwa auf die Bedrohun-gen durch Rechtsextremismus und denislamistischen Terrorismus, gestärkt ha-ben. Dies erhöht zugleich unsere Aus-wertungs- und Analysefähigkeit.

Zur nachrichtendienstlichen Arbeit mitmodernen Methoden gehört immerauch deren Einbettung in die Strukturender Kontrolle von Nachrichtendiensten.Ich habe, seit ich dieses Amt übernom-men habe, Kontrolle des Nachrichten-dienstes immer als etwas Positives gese-hen. Für mich ist die Zusammenarbeitmit der Parlamentarischen Kontrollkom-mission Verfassungsschutz des Hessi-schen Landtags nicht nur eine Darle-gung unserer Arbeit im Tagesgeschäft,sondern zugleich eine Rückkopplung fürdie strategische Ausrichtung des Lan-desamtes.

Das Landesamt hat seine Rolle alsDienstleister für Politik, Behörden undKommunen, für Vereine und Verbände,aber auch für die Öffentlichkeit weiter

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ausgebaut. In zahlreichen Schulen konn-ten wir wieder Sensibilisierungsveran-staltungen für Lehrkräfte anbieten, in de-nen unsere Fachleute über diePhänomene des Extremismus, über Ra-dikalisierungsprozesse und präventiveHandlungsfelder aufgeklärt haben.Auch für kommunale Bedienstete, sei esin den Ausländerbehörden oder der Ju-gendarbeit, hat sich dieses Angebot gutentwickelt. Nach wie vor bieten wir für alldiejenigen, die in der Flüchtlingshilfe tä-tig sind, Informationsveranstaltungenan. Nachdem in den Jahren 2015/2016vor allem die landesweiten Erstaufnah-meeinrichtungen für Flüchtlinge imBlickfeld standen, haben wir in 2017 zu-sammen mit dem RegierungspräsidiumGießen und dem Hessischen Informati-ons- und Kompetenzzentrum gegen Ex-tremismus (HKE) dieses Aufklärungsan-gebot über Radikalisierungsgefahrenauch für die Flüchtlingshelferinnen und-helfer in den Kommunen begonnen.Wir wollen auch dies landesweit fortset-zen. Wenn ich die Präventionsarbeit fürdie Wirtschaftsverbände und Unterneh-men hinzunehme, denen wir etwa beider Abwehr von Cyberangriffen Hilfe an-bieten, so kommen wir mit all dem aufeine Zahl von fast 300 Präventionsveran-staltungen.

Liebe Leserinnen und Leser,

Sie finden in diesem Jahresbericht erst-mals ein Kapitel, in dem Ergebnisse derwissenschaftlichen Studien unserer Phä-nomenbereichsübergreifenden wissen-schaftlichen Analysestelle Antisemitis-mus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF)

dargestellt werden. Meine Überlegungbei dessen Gründung war, die nachrich-tendienstliche Arbeit zu ergänzen umeine eigenständige wissenschaftlicheAnalyse. Dies dient zum einen der enge-ren Verzahnung der sicherheitsbehörd-lichen Arbeit mit der Wissenschaft, zumanderen unterstützt die wissenschaftli-che Analyse unserer Themenfelder zu-gleich unsere fachliche Bewertung ins-gesamt. Die erste Studie überAntisemitismus haben wir im vergange-nen Jahr zum Thema unseres Herbstge-spräches gemacht. Mit hochrangigenVertretern der jüdischen Verbände undder Wissenschaft konnte dieses aktuelleund brisante Thema vertieft beleuchtetwerden.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes Landesamtes für Verfassungsschutzhaben die Veränderungen, denen wirvon außen ausgesetzt sind, oder die wirim Innenverhältnis vollzogen haben,hervorragend bewältigt. Dafür danke ichihnen sehr herzlich. Sich auf neue He-rausforderungen in der Inneren Sicher-heit einzustellen, ist nicht nur Teilunseres Berufs, sondern gehört gera-dezu zu dessen positiven Elementen –sich in der Gestaltung des Neuen immerwieder selbst zu beweisen.

Robert SchäferPräsident des Landesamts für VerfassungsschutzHessen

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Verfassungsschutzin Hessen

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Freiheitliche demokratische Grundordnung

Den Kern der Demokratie in der Bun-desrepublik Deutschland bildet die frei-heitliche demokratische Grundordnung.In ihr sind tragende Grundprinzipienfestgeschrieben, die absolute Werteund unverzichtbare Schutzgüter sind.Resultierend aus den Erkenntnissenüber das Scheitern der Weimarer Repu-blik (1918 bis 1933) und aus den furcht-baren Erfahrungen mit dem nationalso-zialistischen Terror- und Unrechtsregime(1933 bis 1945) ist die Demokratie inDeutschland heute streitbar und ab-wehrbereit. Sie ist willens und fähig, sichgegen Angriffe ihrer Feinde zu verteidi-gen. Der Verfassungsschutz hat hierbeidie wichtige Funktion eines „Frühwarn-systems“.

Nach der Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts ist unsere Demokra-tie eine rechtsstaatliche Herrschaftsord-nung. Sie gründet sich auf demSelbstbestimmungsrecht des Volkesnach dem Willen der jeweiligen Mehr-heit und auf der Freiheit und Gleichheitaller Menschen.

Zur freiheitlichen demokratischenGrundordnung zählen:

die im Grundgesetz konkretisierten•Menschenrechte,das Recht des Volkes, die Staatsge-•walt in Wahlen und Abstimmungenund durch besondere Organe derGesetzgebung, der vollziehendenGewalt und der Rechtsprechung aus-zuüben und die Volksvertretung in all-gemeiner, unmittelbarer, freier, glei-cher und geheimer Wahl zu wählen,

die Bindung der Gesetzgebung an•die verfassungsmäßige Ordnungund die Bindung der vollziehendenGewalt und der Rechtsprechung anGesetz und Recht,das Recht auf Bildung und Ausübung•einer parlamentarischen Opposition,die Ablösbarkeit der Regierung und•ihre Verantwortlichkeit gegenüberder Volksvertretung,die Unabhängigkeit der Gerichte•undder Ausschluss jeder Gewalt- und•Willkürherrschaft.

Darüber hinaus hat das Bundesverfas-sungsgericht zu seinem Urteil vom 17.Januar 2017 (2 BvB 1/13) auf den Antragdes Bundesrates, die Nationaldemokra-tische Partei Deutschlands einschließlichihrer Teilorganisationen als verfassungs-widrig einzustufen und aufzulösen, Fol-gendes erklärt:

„Der Begriff der freiheitlichen demokra-tischen Grundordnung im Sinne von Art.21 Abs. 2 GG beinhaltet die zentralenGrundprinzipien, die für den freiheitli-chen Verfassungsstaat schlechthin un-entbehrlich sind. Ihren Ausgangspunktfindet die freiheitliche demokratischeGrundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garan-tie der Menschenwürde umfasst insbe-sondere die Wahrung personaler Indivi-dualität, Identität und Integrität sowiedie elementare Rechtsgleichheit. Aufrassistische Diskriminierung zielendeKonzepte sind damit nicht vereinbar. Da-neben sind im Rahmen des Demokratie-

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prinzips die Möglichkeit gleichberech-tigter Teilhabe aller Bürgerinnen undBürger am Prozess der politischen Wil-lensbildung und die Rückbindung derAusübung aller Staatsgewalt an das Volk(Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) konstitutive Be-standteile der freiheitlichen demokrati-

schen Grundordnung. Hinsichtlich desRechtsstaatsprinzips gilt dies für dieRechtsbindung der öffentlichen Gewalt,die Kontrolle dieser Bindung durch un-abhängige Gerichte und das staatlicheGewaltmonopol“.

Aufgaben und Befugnisse

Aufgabe des Landesamts für Verfas-sungsschutz (LfV) ist es, den zuständigenStellen zu ermöglichen, rechtzeitig dieerforderlichen Maßnahmen zur Abwehrvon Gefahren für die freiheitliche demo-kratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit von Bundund Ländern zu treffen. Darüber hinaus erstellt das LfV Lageberichte und Analy-sen. Zu diesem Zweck sammelt es Infor-mationen über extremistische Bestre-bungen und wertet sie aus.

Verfassungsfeindliche Bestrebungen imSinne des Gesetzes über das Landesamtfür Verfassungsschutz Hessen sind poli-tisch bestimmte ziel- und zweckgerich-tete Verhaltensweisen in einem oder füreinen Personenzusammenschluss, dieauf die Überwindung der freiheitlichendemokratischen Grundordnung zielen.Nicht extremistisch ist die kritische Aus-einandersetzung mit Elementen der freiheitlichen demokratischen Grund-ordnung, ohne dass diese Auseinander-setzung das Ziel der Überwindung derfreiheitlichen demokratischen Grund-ordnung verfolgt. Eine solche Bestre-

bung wird als radikal bezeichnet und un-terliegt nicht der Beobachtung durchden Verfassungsschutz.

Das LfV beobachtetBestrebungen, die gegen den Be-•stand oder die Sicherheit des Bun-des oder eines Landes gerichtet sindoder eine ungesetzliche Beeinträch-tigung der Amtsführung der Verfas-sungsorgane des Bundes oder einesLandes oder ihrer Mitglieder zumZiel haben,sicherheitsgefährdende oder ge-•heimdienstliche Tätigkeiten im Gel-tungsbereich des Grundgesetzes füreine fremde Macht,Bestrebungen im Geltungsbereich•des Grundgesetzes, die durch An-wendung von Gewalt oder daraufgerichtete Vorbereitungshandlungenauswärtige Belange der Bundesre-publik Deutschland gefährden,Bestrebungen im Geltungsbereich•des Grundgesetzes, die gegen denGedanken der Völkerverständigung(Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes),insbesondere gegen das friedliche

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Zusammenleben der Völker (Art. 26Abs. 1 des Grundgesetzes), gerichtetsind,Bestrebungen und Tätigkeiten der•Organisierten Kriminalität im Gel-tungsbereich des Grundgesetzes.

Das LfV hat keine polizeilichen Befug-nisse. Es darf zum Beispiel Personen we-der vorladen noch festnehmen oderDurchsuchungen durchführen. Um Maß-nahmen, zu denen es selbst nicht befugtist, darf das LfV die Polizei nichtersuchen (Trennungsgebot).

Neben den oben beschriebenen Aufga-ben unterstützt das LfV im Bereich desGeheim- und Wirtschaftsschutzes Be-hörden und Unternehmen mit seinen Er-kenntnissen und seinem Wissen. Ebensowirkt das LfV mit bei:

Aufenthalts-/Einbürgerungsverfahren•von Ausländern und

Sicherheits- und Zuverlässigkeits-•überprüfungen (unter anderem fürdie Bereiche Luftsicherheit, Atom-kraftanlagen und den Umgang bzw.Verkehr mit Waffen und Sprengstoff).

Die Aufgaben und Befugnisse des Ver-fassungsschutzes sind gesetzlich festge-legt. In allen Ländern bestehen hierfüreigene gesetzliche Grundlagen. In Hes-sen sind die Aufgaben und Befugnissedes Verfassungsschutzes im Gesetz überdas Landesamt für VerfassungsschutzHessen geregelt. Darüber hinaus regeltdas Bundesverfassungsschutzgesetz dieAufgaben und die Rechtsstellung desBundesamts für Verfassungsschutz (BfV)sowie die Zusammenarbeit der Verfas-sungsschutzbehörden von Bund undLändern.

Methoden

Die zur Erfüllung seiner Aufgaben not-wendigen Informationen gewinnt dasLfV vornehmlich aus offenen Quellen,die jedermann zugänglich sind. Dazugehören unter anderem

Publikationen,•Internetinhalte,•Besuche öffentlicher Veranstaltun-•gen.

Verfassungsfeinde arbeiten aber oftkonspirativ, das heißt, sie versuchen ihrewahren Ziele und Aktivitäten zu ver-

schleiern oder geheim zu halten. DieSammlung frei zugänglichen Materialsdurch das LfV und der Informationsaus-tausch mit anderen Behörden und ande-ren Stellen genügen deshalb zuweilennicht, um ein vollständiges und sachge-rechtes Bild von verfassungsfeindlichenund sicherheitsgefährdenden Bestre-bungen sowie von Spionagetätigkeitenund Aktivitäten der Organisierten Krimi-nalität zu erhalten. Daher ist das LfV be-fugt, nachrichtendienstliche Mittel ein-zusetzen. Dazu gehören zum Beispiel:

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die Observation verdächtiger Perso-•nen,das Fertigen von Bild- und Tonauf-•zeichnungen,die Überwachung des Brief-, Post-•und Fernmeldeverkehrs sowiedas Anwerben und Führen von ver-•deckt eingesetzten Personen in ver-fassungsfeindlichen Organisationen.

Die verdeckt eingesetzten Personen ge-hören nicht dem Verfassungsschutz an,liefern aber Informationen aus dem je-

weiligen Beobachtungsobjekt. BeimEinsatz nachrichtendienstlicher Mittel istder Grundsatz der Verhältnismäßig keitzu beachten. Ein nachrichten dienstlichesMittel darf nur eingesetzt werden, wennInformationen auf andere Weise nicht zubeschaffen sind. Von mehreren zur Ver-fügung stehenden Mitteln ist das mil-deste auszuwählen, das mithin den Be-troffenen am wenigsten beeinträchtigt.

Kontrolle

Die Tätigkeit des LfV wird auf vielfältigeWeise kontrolliert. Dies geschieht insbe-sondere durch die ParlamentarischeKontrollkommission Verfassungsschutz(PKV) des Hessischen Landtags. Nach § 20 Abs. 2 des Gesetzes über das Lan-desamt für Verfassungsschutz Hessenbesteht die PKV aus fünf Mitgliedern, diezu Beginn jeder Wahlperiode vom Land-tag aus seiner Mitte mit der Mehrheitder Abgeordneten gewählt werden.

Maßnahmen, die mit einem Eingriff inArt. 10 des Grundgesetzes (Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnis) verbundensind, bedürfen der Genehmigung derG-10-Kommission des Hessischen Land-tags. Das Hessische Ministerium des In-nern und für Sport nimmt die Rechts-und Fachaufsicht über das LfV wahr.

Darüber hinaus kontrollieren der Hessi-sche Datenschutzbeauftragte, der Hes-sische Rechnungshof und – mittelbar aufdem Wege der Berichterstattung undKommentierung – die öffentlichen Me-dien die Tätigkeit des LfV. Die Speiche-rung personenbezogener Daten, Aus-kunftserteilungen und die Erwähnungim Verfassungsschutzbericht, die das LfVzu Lasten Betroffener trifft, unterliegender vollständigen gerichtlichen Kon-trolle.

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Strukturen, Haushalt, Organisation – Künftige Entwicklung des Verfassungsschutzes

Der Verfassungsschutz ist als Inlands-nachrichtendienst der BundesrepublikDeutschland föderal organisiert. DerBund und die 16 Länder unterhalten je-weils eigene Verfassungsschutzbe -hörden. Als obere Landesbehörde untersteht das LfV dem Hessischen Mi-nisterium des Innern und für Sport. DasLfV hat seinen Sitz in Wiesbaden.

Die Personalmittel sowie die Finanz -mittel für Personal- und Sachausgabensind im Haushaltsplan des Landes Hes-sen ausgewiesen. Für das Jahr 2017standen dem LfV 332 Planstellen zur Ver-fügung. Das Ausgabenbudget für dasJahr 2017 belief sich auf 27.542.300Euro.

Innerhalb der hessischen Sicherheitsar-chitektur ergänzt das LfV die Arbeit derPolizei und sonstiger Sicherheitsbehör-den vor allem dadurch, dass es extremis-tische Bestrebungen nachrichtendienst-lich aufklärt. Dazu gehören der intensiveEinsatz und das Ausschöpfen aller ge-setzlich zur Verfügung stehenden nach-richtendienstlichen Mittel. Im Mittelpunktstehen hierbei der Einsatz menschlicherQuellen und die Observation.

Der Einsatz menschlicher Quellen ist einunverzichtbares Instrument der Aufklä-rung extremistischer Bestrebungen. Ge-setzliche und untergesetzliche Regelun-gen und die spezifische Zuständigkeiteines Dezernats sorgen bei der Auswahl,Werbung und Führung menschlicherQuellen für ein klar geregeltes und pro-

fessionelles Vorgehen sowie standardi-sierte Kontrollmechanismen.

Die Observation des LfV wird weiter aus-gebaut und durch den Einsatz hochmo-derner Technik unterstützt werden.

Die Beschaffung von Informationen bil-det nur einen Teil der nachrichtendienst-lichen Arbeit. Wichtig ist ebenso diekompetente Aus- und Bewertung dergewonnenen Informationen. Ziel ist es,die fachliche und auch wissenschaftlicheKompetenz im LfV stetig zu optimieren.Mit mehr wissenschaftlichen Mitarbei-tern wird die Auswertungs- und Analy-sekompetenz deutlich gestärkt. Vor al-lem aus der Wissenschaft sind wertvolleImpulse zu erwarten, da sich in etlichenextremistischen Phänomenbereichen –wie etwa im Rechtsextremismus dieIdentitäre Bewegung, das neue Beob-achtungsobjekt Reichsbürger undSelbstverwalter sowie neue antisemiti-sche Erscheinungsformen zeigen –grundlegende Veränderungen vollzie-hen.

Nicht zuletzt wird die Aufklärung extre-mistischer Bestrebungen im Internetverbessert und erweitert. Denn die tech-nischen Entwicklungen schreiten weitervoran und werden auch auf vielfältigeWeise von Extremisten für Ihre Zweckegenutzt. Das LfV baut daher seine IT-Kompetenz deutlich aus.

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20 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

Abteilung 1Zentrale Dienste

Abteilung 2Rechtsextrem

ismus/

-terrorismus

Dezernat 20Beschaffung

Dezernat 21Strukturanalyse und strategische

Auswertung

Dezernat 22Fallbezogene und operative

Auswertung

Dezernat 23Phänom

enbereichsübergreifendewissenschaftliche Analysestelle Antisem

itismus und Frem

den -feindlichkeit

ProjektgruppeAktenvorlage (zeitw

eise)

Abteilung 3Operative Fachdienste

Abteilung 4Islam

ismus und islam

istischerTerrorism

us/Salafismus

Führungsgruppe

Abteilung 5Linksextrem

ismus/-terrorism

usund Extrem

ismus/Terrorism

usmit Auslandsbezug

NADIS-Koordination

Interne Revision

AußenstellenPhänom

enübergreifende regiona-lisierte Extrem

ismusbearbeitung Stab

HSG 1–Leitungsunterstützung, Grem

ien-arbeit und Qualitätssicherung

HSG 2–Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,

Kommunikation und aufklärende Prävention

Personalrat

Schwerbehindertenvertretung

GleichstellungsbeauftragteHSG 3

–Berichtswesen

HSG 4–Beratende Prävention

Geheimschutzbeauftragte

Datenschutzbeauftragter

Dezernat 11Verw

altung

D e z e r n a t 1 2I T - u n d S o n d e r t e c h n i k

D e z e r n a t 1 3D a t e n s c h u t z u n d G r u n d s a t z

D e z e r n a t 1 4Mi t w

i r k u n g s a u f g a b e n

Dezernat 30Organisierte Krim

inalität,Spionageabw

ehr und Wirtschaftsschutz

Dezernat 31Observation

Dezernat 32Personeller und m

aterieller Ge-heim

schutz

Dezernat 33Online-Recherche-Team

Extrem

ismus, Terrorism

us – ORTET

Dezernat 34Zentrale Erm

ittlungen

Dezernat 40Beschaffung

Dezernat 41Strukturanalyse und strategische

Auswertung

Dezernat 42Fallbezogene und operative

Auswertung

Dezernat 50Beschaffung

Koordinierung von Beschaffungs-grundsätzen

Dezernat 51Strukturanalyse und strategische

Auswertung

Dezernat 52Fallbezogene und operative

Auswertung

Amtsleitung

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Wesentliche institutionelle Elemente der nationalenSicherheitsarchitektur

Die Sicherheitsstruktur der Bundesrepu-blik Deutschland wurde in den letztenJahren ausgebaut und modifiziert. DieZielsetzung war hierbei, auf Gefahrenund Bedrohungen flexibler und schnel-ler reagieren zu können sowie Wissenund Kompetenzen verschiedener Si-cherheitsbehörden zu bündeln. Rele-vante Informationen sollen unter Beach-tung der jeweiligen Zuständigkeitenund gesetzlichen Vorgaben zusammen-geführt und bewertet werden, ohne dieorganisatorische Trennung der Sicher-heitsbehörden in Frage zu stellen.

Kernelemente der fortentwickelten Si-cherheitsarchitektur sind folgende Ein-richtungen:

das Gemeinsame Terrorismusab-•wehrzentrum (GTAZ) zur Abwehr undBekämpfung des islamistischen Ter-rorismus,das Gemeinsame Extremismus- und•Terrorismusabwehrzentrum (GETZ)unddas Gemeinsame Internetzentrum•(GIZ).

Am GTAZ in Berlin sind Vertreter folgen-der Behörden beteiligt:

Verfassungsschutzbehörden von•Bund und Ländern,Bundeskriminalamt (BKA),•Bundesnachrichtendienst (BND),•Generalbundesanwaltschaft (GBA),•Bundespolizei (BPol),•Zollkriminalamt (ZKA),•Bundesamt für Migration und Flücht-•linge (BAMF),

Militärischer Abschirmdienst (MAD)•und dieLandeskriminalämter.•

Im GTAZ gibt es darüber hinaus zweivoneinander institutionell getrennte Ein -richtungen: Die Nachrichtendienstliche(NIAS) und die Polizeiliche Informations-und Analysestelle (PIAS). NIAS- undPIAS-Mitglieder kooperieren in ver -schiedenen Arbeitsgruppen eng mit -einander, um bestimmte Fälle aktuell zubearbeiten sowie Gefahrenprognosenund mittel- bzw. längerfristige Analysenzu erstellen.

Nach dem Vorbild des GTAZ arbeiten imGIZ Vertreter des

BfV,•BKA,•BND,•MAD und•der GBA•

eng zusammen. Darüber hinaus stehtdas GIZ in ständigem Austausch mit denzuständigen Landesbehörden.

Aufgabe der Vertreter der am GIZ mit-wirkenden Behörden ist die Beobach-tung, Auswertung und Analyse von Ver-öffentlichungen mit islamistischen undjihadistischen Inhalten im Internet, umfrühzeitig extremistische und terroristi-sche Strukturen und Aktivitäten zu iden-tifizieren.

Das GETZ ist als „Dachorganisation“ fürdie Bekämpfung folgender Phänomen-bereiche zuständig:

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Rechtsextremismus/-terrorismus,•Linksextremismus/-terrorismus,•Extremismus mit Auslandsbezug,•Spionageabwehr und Proliferation.•

Die Federführung obliegt dem BfV unddem BKA. Die Koordinierte Internetaus-wertung (KIA) erfolgt beim BfV in Köln.

Am GETZ als Informations- und Kommu-nikationsplattform beteiligen sich – ana-log zu den Aufgaben des GTAZ – zurBündelung der Fachexpertise und derSicherstellung eines möglichst lückenlo-sen und schnellen Informationsflussesfolgende Behörden:

Verfassungsschutzbehörden von•Bund und Ländern,BKA,•BPol,•Europol,•GBA,•ZKA,•BND,•MAD,•BAMF,•Bundesamt für Wirtschaft und Aus-•fuhrkontrolle (BAFA) und dieLandeskriminalämter.•

Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit

Der Verfassungsschutz hat unter ande-rem die Aufgabe, die Öffentlichkeitüber extremistische Bestrebungen zuinformieren und aufzuklären. Zu diesemZweck stellt das LfV der Öffentlichkeitseinen jährlichen Verfassungsschutzbe-richt sowie eine Vielzahl weiterer Infor-mations- und Präventionsangebote zurVerfügung. Darüber hinaus können sichJournalistinnen und Journalisten mitAnfragen an die Pressestelle des LfVwenden.

Hessischer Verfassungsschutzbericht |Im Mittelpunkt der Unterrichtung derÖffentlichkeit steht der vom HessischenMinisterium des Innern und für Sport he-rausgegebene jährliche Verfassungs-schutzbericht. Er informiert über die we-

sentlichen während des Berichtsjahrsgewonnenen Erkenntnisse des LfV undbewertet diese.

Informationsbroschüren des LfV | Damitsich die Bürgerinnen und Bürger gezieltmit verschiedenen extremistischen Phä-nomenbereichen auseinandersetzenkönnen, gibt das LfV Informationsbro-schüren heraus. Folgende Publikationenkönnen beim LfV direkt angefordertbzw. über dessen Internetpräsenz abge-rufen werden (siehe unten Kontakt undInternetpräsenz):

Kennzeichen und Symbole der•Rechtsextremisten.Gedenk-und Jahrestage von Rechts-•extremisten – Hintergründe und Akti-vitäten.

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Verfassungsfeindliche Bestrebung:•„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“.Mit Militanz zur Errichtung einer•„herrschaftsfreien Gesellschaft“ – Ein-blicke in die autonome Bewegung.Salafistische Bestrebungen in Hes-•sen.Verfassungsschutz in Hessen – Beob-•achten, analysieren und informieren.Extremismus erkennen – Handrei-•chung für Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter in der Flüchtlingshilfe.

Darüber hinaus finden interessierte Bür-gerinnen und Bürger weitere Informati-onsmaterialien auch auf den Internet -seiten des BfV und der anderenLandesämter für Verfassungsschutz(www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen).

Aufklärende Prävention – Zielgruppen |Oberstes Ziel der Präventionsarbeit desLfV ist es, Menschen gegen Extremismuszu immunisieren. Daher versucht dasLfV, möglichst viele Menschen sowohl instaatlichen als auch nichtstaatlichen Stel-len über Gefahren, die von extremisti-schen Bestrebungen ausgehen, aufzu-klären. Das LfV bietet zu verschiedenenextremistischen PhänomenbereichenFortbildungen an, bei denen es überIdeologien, Erscheinungsformen, Strate-gien sowie Anhaltspunkte für Radikali-sierung informiert. Die Veranstaltungs-teilnehmer werden somit in die Lageversetzt, extremistische Bestrebungen,die ihnen möglicherweise im Alltag be-gegnen, zu erkennen.

Primäre Zielgruppe der aufklärendenPrävention sind Multiplikatoren im Be-

reich der (Jugend-)Bildung (zum BeispielLehrerinnen und Lehrer). Das LfV ist seit2009 durch die Hessische Lehrkräfteaka-demie als Anbieter von Fortbildungenfür hessische Lehrerinnen und Lehrer ak-kreditiert. Auf seiner Internetseite sowieüber die Online-Fortbildungsangeboteder Staatlichen Schulämter bietet dasLfV entsprechende Veranstaltungen an.

Weitere Adressaten sind Bildungsein-richtungen, Justiz, Polizei, Feuerwehr, re-ligiöse Träger, private Sicherheitsdienst-leister sowie – im Hinblick auf denpräventiven Wirtschaftsschutz – Unter-nehmen und Wirtschaftsverbände.

Außerdem steht das LfV als Ansprech-partner für Vorträge bei Bürgermeister-dienstversammlungen, Magistrats- undAusschusssitzungen sowie für Parteien,Vereine und andere Multiplikatoren zurVerfügung.

Beratende Prävention – Zielgruppe | Ne-ben der aufklärenden bietet die bera-tende Prävention einzelfallbezogeneLeistungen an, insbesondere Gespräche,Vorträge und Schulungsmaßnahmen fürausgewählte Bedarfsträger. Hierzu gehö-ren insbesondere die Landkreise, Städteund Gemeinden, Schulen, soziale Ein-richtungen, andere Behörden und öf-fentliche Stellen sowie weitere Institutio-nen wie Vereine, Verbände (zum BeispielSport- und Jugendvereine) und Mo-scheegemeinden, darunter auch extre-mistische, das heißt unter Beobachtungdes Verfassungsschutzes stehende Mo-scheegemeinden.

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Besonders die hessischen Kommunensind wichtige Präventionspartner bei derBekämpfung des Salafismus und Rechts-extremismus. So ist das LfV in zahlrei-chen kommunalen Präventionsgremienvertreten beziehungsweise arbeitet engmit diesen zusammen.

Beispiele | Im Berichtsjahr veranstaltetedas Hessische Ministerium des Innernund für Sport in Kooperation mit demLfV am 21. April eine Informationsveran-staltung für die hessischen Landkreise,Städte und Gemeinden über das Phäno-men der Reichsbürger und Selbstver-walter. In diesem Rahmen wurden dieTeilnehmer über Hintergründe, Gefah-renpotenziale und Handlungsempfeh-lungen im Umgang mit diesem verfas-sungsfeindlichen Phänomen informiert.

Im Berichtsjahr führte der Präsident desLfV zahlreiche Gespräche vor Ort mitLandräten und Oberbürgermeistern, umdiese über regionale extremistischeAusprägungen zu informieren. Auch beidiesen Treffen wurde das Thema derReichsbürger und Selbstverwalter be-rücksichtigt.

Darüber hinaus war das LfV im Berichts-jahr beim Hessischen Landkreistag zuGast und referierte über das Thema Ex-tremismus.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in derFlüchtlingsbetreuung | Aufgrund verein-zelter salafistischer Missionierungsver-suche in der Nähe von Flüchtlingsunter-künften modifizierte das LfV seinPräventionsangebot seit 2015, indem esin Zusammenarbeit mit anderen Stellen

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derErstaufnahmeeinrichtungen – koordi -niert vom HKE – schulte. Dabei ging esunter anderem darum, Handlungsoptio-nen zu entwickeln, falls

Anzeichen für eine extremistische Ra-•dikalisierung unter Flüchtlingen be-merkt werden,Tätigkeiten extremistischer Personen•oder Gruppen in oder an einerFlüchtlingsunterkunft festgestelltwerden,der Besuch extremistischer Treff-•punkte durch Flüchtlinge wahrge-nommen wird oderHinweise auf ehemalige Mitarbeiter•ausländischer Nachrichtendienstebzw. auf nachrichtendienstliche Akti-vitäten anderer Staaten in Bezug aufFlüchtlinge erlangt werden.

Das LfV bietet in diesem Zusammen -hang auch spezifische Angebote zur In-formation und Beratung, um vor Ort dieSensibilität für mögliche Gefahren durchextremistische Agitation zu erhöhen.

Darüber hinaus wurde im Berichtsjahr inZusammenarbeit mit dem Regierungs-präsidium Gießen, dem HKE, dem Vio-lence Prevention Network e. V. (VPN)und dem LfV eine landesweite Abfolgean Präventionsveranstaltungen für kom-munale Bedienstete, die für Betreuungund Unterbringung der Flüchtlinge zu-ständig sind, auf den Weg gebracht.

Ausbau der Präventionsarbeit | Im Be-richtsjahr gelang es dem LfV, die Anzahlseiner Präventionsveranstaltungen er-neut zu steigern. Die große Nachfragenach den Präventionsdienstleistungen

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des LfV korrespondiert mit der Neuaus-richtung des Verfassungsschutzes inHessen, der damit verbundenen Öff-nung der Behörde gegenüber der Öf-fentlichkeit und dem kontinuierlichenAusbau der aufklärenden und beraten-den Prävention, unter anderem durchdie Einrichtung des Kompetenz -zentrums gegen Rechtsextremismus(KOREX) bereits im Jahr 2008. Seit 2009vervielfachte sich die Zahl der Präventi-onstermine von 24 auf nunmehr 292 imJahr 2017. In den letzten sechs Jahrengestaltete sich die Entwicklung wiefolgt:

Im vergangenen Jahr fanden die meis-ten Veranstaltungen zu den ThemenRechtsextremismus, Reichsbürger undSelbstverwalter, Islamismus und Wirt-schaftsschutz statt.

Hessisches Präventionsnetzwerk gegenSalafismus | Das 2014 gegründete Hes-sische Präventionsnetzwerk gegen Sala-fismus ist das erste landesweite Präven-tionsprojekt gegen Salafismus inDeutschland. Im Mittelpunkt des Präven-tionsnetzwerks steht die zentrale Bera-tungsstelle, die von den hessischen Sicherheitsbehörden und einem Fach-beirat flankiert wird. Das LfV ist Mitglieddes Fachbeirats. Der zentralen Bera-tungsstelle ist der Verein VPN zugeord-

net, der für ganz Hessen zuständig istund zu dessen Aufgaben Präventions-und Interventionsmaßnahmen gehören.

Das Hessische Präventionsnetzwerk ge-gen Salafismus ist über die Internetseitedes HKE und dessen E-Mail-Adresse wiefolgt erreichbar:

www.hke.hessen.de [email protected]

Prävention gegen Rechtsextremismus |Kernaufgabe von KOREX ist die Aufklä-rungsarbeit durch Aufbereitung desFachwissens des LfV für bestimmte Ziel-gruppen sowie für die breite Öffentlich-keit. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit vonKOREX liegt dabei auf Fortbildungsan-geboten. In diesem Rahmen informiertKOREX über aktuelle Entwicklungenund Erscheinungsformen des Rechtsex-tremismus, insbesondere über Strate-gien, mit denen Rechtsextremisten umJugendliche werben und wie Rechtsex-tremisten zu erkennen sind. Darüber hi-naus erstellt KOREX Broschüren und be-rät Verantwortungsträger in Politik,Behörden und Gesellschaft.

Das LfV gehört mit KOREX dem Exper-tenpool des landesweiten beratungs-Netzwerks hessen – Mobile Interventiongegen Rechtsextremismus an. In demExpertenpool sind staatliche Institutio-nen und zivilgesellschaftliche Initiativenmiteinander vernetzt. Hierin ist auch dasHKE eingebunden, das die Präventions-maßnahmen koordiniert. Zu erreichenist das beratungsNetzwerk hessen – Mo-bile Intervention gegen Rechtsextremis-mus über ein Kontaktformular auf der In-

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ternetseite www.beratungsnetzwerk-hessen.de.

Prävention für die Wirtschaft | Informa-tionen über die Aktivitäten und Dienst-leistungen des LfV zum Thema Wirt-schaftsschutz finden Sie im KapitelGeheim- und Wirtschaftsschutz.

Informationsstand auf dem Hessentag |Traditionell ist das LfV in der Landesaus-stellung des Hessentags mit einem In-formationsstand vertreten, so auch inRüsselsheim am Main (Kreis Groß-Gerau) vom 9. bis 18. Juni 2017. Die Be-sucher hatten die Möglichkeit, sich inGesprächen mit Experten des LfV überverschiedene extremistische Bestrebun-gen, insbesondere über Rechtsextremis-mus und Salafismus, zu informieren undentsprechende Publikationen mitzuneh-men. Das LfV bot zudem Experten-sprechstunden zu den Themen Identi-täre Bewegung, Antisemitismus undWirtschaftsschutz an. Aufgrund der un-mittelbaren Nähe zu den Besuchern istdie alljährliche Präsenz des LfV auf demHessentag ein wichtiger Baustein derPräventions- und Aufklärungsarbeit desVerfassungsschutzes in Hessen.

Bei seinen Bühnenveranstaltungen inder Landesausstellung kooperiert dasLfV mit unterschiedlichen Partnern. ImBereich der aufklärenden Präventionführt das LfV seit einigen Jahren Projektemit hessischen Schulen durch, die demGrundsatz „Prävention mal anders“ fol-gen und das Ziel haben, junge Men-schen selbst zu Präventionspaten fortzu-bilden. Beim Hessentag 2017produzierten Oberstufenschülerinnen

und Schüler eines Politikleistungskursesder Max-Planck-Schule zum Thema„Rechtsextremismus“ einen Kurzfilm.Dazu führten sie unter anderem Inter-views mit Passanten in Rüsselsheim amMain.

Bei einer weiteren Bühnenveranstaltungdes LfV präsentierten Schülerinnen undSchüler der Wiesbadener Gerhart-Hauptmann-Schule Kurzrollenspiele, umvor islamistischen Radikalisierungenund Anwerbeversuchen zu warnen.Diese Vorstellung erfolgte anlässlich despreisgekrönten Präventionsprojekts „Wirgegen Salafisten“ der Gerhart-Haupt-mann-Schule Wiesbaden in Zusammen-arbeit mit dem LfV.

Darüber hinaus referierten der Präsidentdes LfV, Robert Schäfer, zusammen mitdem Präsidenten des PolizeipräsidiumsSüdhessen, Bernhard Lammel, sowieProf. Susanne Schröter, Leiterin desFrankfurter Forschungszentrums Globa-ler Islam (FFGI), über die aktuelle Sicher-heitslage in Hessen.

Herbstgespräch | Das jährliche Herbst-gespräch des LfV fand am 14.November zum Thema „Antisemitismus:Neue Formen – Alte Ressentiments“ imHessischen Landtag in Wiesbaden statt.Am selben Tag hatte die PAAF des LfVeine aktuelle Studie zu Erscheinungsfor-men und ideologischen Hintergründenantisemitischer Agitation in den sozialenNetzwerken veröffentlicht und darin vorden zahlreichen Facetten und Gesich-tern des heutigen Antisemitismus ge-warnt. Der hessische Innenminister PeterBeuth warnte in seinem Impulsvortrag

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vor den vielfältigen Facetten des Antise-mitismus: „Wir müssen also feststellen,dass wir es neben dem leider lange undalt bekannten von rechts geprägten An-tisemitismus und dem ebenfalls mindes-tens seit dem Deutschen Herbst erkann-ten Antisemitismus von links auch miteinem Antisemitismus unter Migrantenund Muslimen zu tun haben. Allen Anti-semiten müssen wir uns gleichermaßenentgegenstellen.“

In der anschließenden Podiumsdiskus-sion unter der Moderation von JörgDiehl (Spiegel Online) erörterten vorknapp 200 geladenen Besucherinnenund Besuchern Dr. Josef Schuster (Prä-sident des Zentralrats der Juden in

Deutschland), Esther Schapira (Journa-listin, Filmemacherin und Autorin), Prof.Dr. Bassam Tibi (Politikwissenschaftlerund Experte für den politischen Islam),Prof. Dr. Reinhard Schramm (Vorsitzen-der der Jüdischen LandesgemeindeThüringen) und Dr. Walter Jung (Landes-amt für Verfassungsschutz Baden-Würt-temberg) die Bedeutung und Gefahrender vielfältigen Gesichter des Antisemi-tismus.

https://lfv.hessen.de/praevention/das-herbstgespraech/19-herbstgespraech-rueckblick

Kontakt und Internetpräsenz

Verfassungsschutz in Hessen 27

Alle Bürgerinnen und Bürger könnensich an den Verfassungsschutz inHessen wenden. Für allgemeine Fragenstehen Mitarbeiter des LfV via E-Mail([email protected]) und Telefon(0611-720566) zur Verfügung.

Für spezielle Fragen zur Öffentlichkeits-und Präventionsarbeit ist das LfV unterfolgender Telefonnummer erreichbar:0611-720404. Die E-Mail-Adresse lau-tet: [email protected]

Für spezielle Fragen zum Wirtschafts-schutz ist das LfV unter der [email protected].

Die Internetseite www.lfv.hessen.de ent-hält außerdem Informationen zu denAufgaben und Befugnissen des LfV Hes-sen sowie zu allen extremistischen Phä-nomenbereichen. Das LfV veröffentlichtauf seiner Homepage auch aktuelleStellenangebote.

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Extremismus in Hessen– Ein Überblick

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Extremismus in Hessen –Ein Überblick 29

Rechtsextremismus | Wie im Jahr 2016nahmen auch im Berichtsjahr die Aktivi-täten der Identitären Bewegung (IB) so-wohl bundes- als auch hessenweit zu. Sieversuchte größtmögliche mediale undöffentliche Aufmerksamkeit zu erringen.Über die einzelnen Aktionen veröffent-lichte die Identitäre Bewegung Deutsch-land (IBD) Berichte mit Fotos bzw. Videosauf ihrem Facebook-Profil. Auf dieseWeise versuchte sie nicht nur neue An-gehörige zu werben, sondern auch dieeigenen Aktivisten zu motivieren.

Auch Neonazis konzentrierten sich – wiein den Jahren zuvor – auf öffentlichkeits-wirksame propagandistische Aktionen:Die Teilnahme an Demonstrationen undan Mahnwachen sowie die Verteilungvon Aufklebern und Flugblättern. Einzentrales Ereignis war erneut die Kampf-sportveranstaltung „Kampf der Nibelun-gen“, die diesmal nicht in Hessen statt-fand. Die Szene war mehrheitlich durchlose regionale Gruppierungen geprägt;die Kameradschaft Aryans zeichnete sichdemgegenüber durch eine überregio-nale, länderübergreifende Struktur aus.

Der Landesverband Hessen der Natio-naldemokratischen Partei Deutschlands(NPD) war wie in den Vorjahren nur sehreingeschränkt handlungsfähig. WenigeKreisverbände waren aktiv und tratenwie zum Beispiel die KreisverbändeLahn-Dill und Wetterau auch öffentlichin Erscheinung. Agitationsschwerpunktewaren nach wie vor die Themen „Asyl“,„Flüchtlinge“ und „Innere Sicherheit“,mit denen die NPD bevorzugt im Inter-net und in sozialen Netzwerken ihreIdeologie verbreitete.

Wie in den Vorjahren stand die Asyl- undFlüchtlingspolitik im Mittelpunkt derAgitation der Partei Der Dritte Weg/DerIII. Weg. Dabei traten typisch rechtsex-tremistische Argumentationsmuster her-vor. Bezüge zum Nationalsozialismuszeigten sich anlässlich des „Heldenge-denkens“ am ehemaligen Grab des Hit-ler-Stellvertreters Rudolf Hess in Wunsie-del (Bayern).

Da die (Sicherheits-)Behörden – soweitrechtlich möglich – alle Anstrengungenunternehmen, um rechtsextremistischeKonzerte in Hessen zu unterbinden, fandauch im Berichtsjahr keine entspre-chende Veranstaltung in Hessen statt.Konzerte dienen sowohl als zentrale An-laufstelle innerhalb der rechtsextremis-tischen Szene als auch als Scharnier zuJugendlichen, die (noch) außerhalb desRechtsextremismus stehen. Die Mobili-sierungskraft, die rechtsextremistischeMusik und das damit verbundene Le-bensgefühl auf manche Jugendlicheund auch Erwachsene nach wie vor aus-üben, zeigte sich bei der Veranstaltung„Rock gegen Überfremdung II“. Nach-dem im Jahr 2016 das „Rocktoberfest“etwa 5.000 Rechtsextremisten mobili-sierte, kamen im Berichtsjahr etwa 6.000Besucher aus dem In- und Ausland zudieser bislang größten rechtsextremis -tischen Konzert- und Rednerveranstal-tung in Deutschland, die in Themar (Thü-ringen) stattfand.

Die der rechtsextremistischen Ideologieeigene Gewaltorientierung, die sich ins-besondere in Hass und Gewalt gegen-über Flüchtlingen und Asylbewerbernmanifestiert, birgt die Gefahr schwerer

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staatsgefährdender Gewalttaten. Dabeikann diese Gewaltorientierung bis zumRechtsterrorismus führen. Die Beob-achtung rechtsextremistischer Gewalt-potenziale, deren Herausbildung einevirulente Gefahr darstellt, ist eine he-rausragende Aufgabe der Verfassungs-schutzbehörden. Das folgende Ereignisim Berichtszeitraum verdeutlicht die Vi-rulenz dieser Gefahr:

Das Oberlandesgericht (OLG) Münchenverurteilte am 15. März vier Angeklagtewegen Gründung und Mitgliedschaft inder terroristischen Vereinigung Old-school Society (OSS) zu Freiheitsstrafenzwischen drei und fünf Jahren. Die OSS-Mitglieder hatten rassistische, antisemi-tische und antimuslimische Ziele ver-folgt und planten Sprengstoffanschlägeauf Ausländer bzw. Asylbewerberunter-künfte.

Reichsbürger und Selbstverwalter | Un-ter der Bezeichnung Reichsbürger undSelbstverwalter beobachten die Verfas-sungsschutzbehörden seit dem 22. No-vember 2016 Gruppierungen und Ein-zelpersonen, die aus unterschiedlichenMotiven und mit unterschiedlichen Be-gründungen das Grundgesetz, die Bun-desrepublik Deutschland und derenRechtssystem, die Staatsorgane und diedemokratisch gewählten Repräsentan-ten nicht anerkennen.

Reichsbürger sind der irrigen Auffassung,dass das Deutsche Reich weiterhin be-steht; Selbstverwalter hängen der abwe-gigen Meinung an, in einem von der Bundesrepublik Deutschland völlig un-abhängigen, eigenen Hoheitsgebiet zu

leben. Beide Strömungen betrachtensich als außerhalb der Rechtsordnungstehend und sind in hohem Maße bereit,gegen Gesetze zu verstoßen. Zu etlichenPersonen lagen den Behörden Erkennt-nisse zu Gewaltdelikten und Straftatenvor. Eine hohe zweistellige Zahl der inHessen im Berichtsjahr bekannten 1.000Reichsbürger und Selbstverwalter besaßeine waffenrechtliche Erlaubnis, etwa dieHälfte von ihnen war tatsächlich im Besitzvon Waffen. Verfügen die Behörden überextremistische Erkenntnisse in Bezug aufdiese Personen, wird der Widerruf waf-fenrechtlicher Erlaubnisse geprüft undgegebenenfalls vollzogen. Unter denReichsbürgern und Selbstverwaltern be-fanden sich auch Rechtsextremisten, ineinzelnen Fällen Antisemiten, die denHolocaust leugneten.

Linksextremismus | Die Vorgehenswei-sen linksextremistischer und insbeson-dere autonomer Gruppierungen werdenexemplarisch in der direkten Auseinan-dersetzung mit dem „politischen Feind“sichtbar. Hier wird auch deutlich, dassLinksextremisten für sich beanspruchen,festzulegen, wer „faschistisch“ ist undwer nicht. Diese Vereinnahmung derDeutungshoheit führt im Ergebnis zu ei-ner Polarisierung in der öffentlichenWahrnehmung von politischer Betäti-gung (Schwarz-Weiß-Denken). Es findenwiederholt Angriffe auf Grundrechteund die freiheitliche demokratischeGrundordnung statt. Dies geschieht un-abhängig davon, wie letztlich die Sicher-heits- und Verfassungsschutzbehördendie Gruppierungen und Organisationenbewerten, denen diese Angriffe gelten.Im Berichtsjahr war erneut die Alterna-

30 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Extremismus in Hessen –Ein Überblick 3<

tive für Deutschland (AfD) als zentraler„faschistischer“ Feind im Visier vonLinksextremisten. Aus ihrem „antifaschis-tischen“ Kampf leiten sie die Legitima-tion ab, Straf- und Gewalttaten zu ver-üben. So wurde von dem autonomenBündnis Antifa United Frankfurt (AUF)die Kampagne „make racists afraidagain! Kampagne gegen Naziterror undRassismus“ ins Leben gerufen. Laut AUFsei es deren Ziel, Nazis in ihrem Umfeldzu outen, AfD-Veranstaltungen zu ver-hindern und dafür zu sorgen, dass sichRassisten nicht mehr in ihre Stamm-kneipe trauen. Verstärkt wurde das Akti-onsniveau durch den Wahlkampf zurBundestagswahl 2017, zu der auch dieAfD angetreten war.

Die Proteste anlässlich des Gipfels derGruppe der 20 (G20) am 7. und 8. Juli inHamburg waren bundesweit das heraus-ragende Thema der linksextremistischenSzene und wurden von ihr als Erfolg ge-wertet. Es fanden zahlreiche Protestaktio-nen mit insgesamt mehreren zehntau-send Teilnehmern statt, unter ihnen etwa8.000 gewaltbereite Linksextremisten,aus deren Reihen es insbesondere zwi-schen dem 6. und 8. Juli zu schwerstengewalttätigen Ausschreitungen kam.Eine klare Distanzierung von den Ge-waltexzessen gab es kaum, zumal dieSzene Gewalt generell als legitimes Mit-tel in der politischen Auseinanderset-zung betrachtet. Die gewalttätigen Pro-testaktionen zeigten erneut, dass dieautonome Szene auf logistische Struktu-ren zurückgreifen kann, die ihr zum Teilvergünstigt zur Verfügung gestellt wer-den. Als Reaktion auf die Ereignisse ent-stand in Politik und Medien eine Debatte

über ein verschärftes Vorgehen gegenlinksextremistische Strukturen. In den Fo-kus der Diskussionen rückte vor allemder Umgang mit linksextremistischenSzeneobjekten, aber auch das im Augustbekanntgegebene Verbot der wichtigs-ten linksextremistischen Internetplatt-form, linksunten.indymedia.org, fandbundesweit Aufmerksamkeit.

Bundestagswahl: Wahlergebnisse vonRechts- und Linksextremisten| Nach ei-nem überwiegend regional begrenztenund zeitweise mit der Unterstützung vonBundesvorstandsmitgliedern geführtenWahlkampf erzielte die NPD gemäßdem Endergebnis bundesweit 0,4 Pro-zent (= 176.020 der Zweitstimmen) undverlor damit gegenüber der Wahl 20130,9 Prozentpunkte.

Auch linksextremistischen Parteien ge-lang keine größere Mobilisierung vonWählern. In absoluten Zahlen konntendie Deutsche Kommunistische Partei(DKP) und die Marxistisch-LeninistischePartei Deutschlands (MLPD) allerdingseinen, teilweise erheblichen, Stimmenzu-wachs verzeichnen. Die SozialistischeGleichheitspartei (SGP) kandidierte le-diglich mit einer Direktkandidatin imWahlkreis 182 (Frankfurt am Main I). Vorallem die MLPD konnte ihr Erststim -menergebnis durch zahlreiche Direkt-kandidaten erheblich verbessern. Inner-halb des gesamten Parteienspektrumsbleiben die linksextremistischen Parteiendennoch nahezu bedeutungslos.

Islamismus/Salafismus | Die terroristi-sche Vereinigung Islamischer Staat (IS)verlor in einer Reihe empfindlicher mili-

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tärischer Niederlagen weiter an Territo-rium in Syrien und im Irak. Besondersder Fall der für den IS überaus bedeut-samen Städte Raqqa (Syrien) undMossul (Irak) markierte den Niedergangdes im Jahr 2014 ausgerufenen „Kali-fats“. Gegen Ende des Berichtsjahrs ver-fügte der IS nur noch über etwa einZehntel seines ursprünglichen Gebiets.Verbliebene IS-Anhänger gingen in denUntergrund oder setzten sich in Staatenab, in denen IS-nahe Gruppen oder Ab-leger der Terrororganisation existierten.Dass die Gefahr jihadistisch motivierterAnschläge aufgrund des weitgehendenZerfalls des IS abnimmt, ist jedoch nichtzu erwarten. Solange jihadistische Grup-pierungen wie der IS für andere Jihadis-ten ihre ideologische Anziehungskraftund operative militärische Fähigkeit be-halten, bleibt die latente Anschlagsge-fahr für Deutschland und andere Länderbestehen. Vor diesem Hintergrund ver-folgten Anhänger und Sympathisantender jihadistischen Szenen in Hessen dieEntwicklungen im weltweiten Jihadis-mus. Mit dem sich abzeichnenden Endedes IS-„Kalifats“ erlosch für zahlreiche Ji-hadisten und ihnen nahestehende Per-sonen vorerst die Utopie eines islami-schen Gemeinwesens. Ungeachtetdessen blieben sie weiterhin von derdem gewaltsamen Jihad zugrunde lie-genden Ideologie überzeugt. DieGefahr von terroristischen Anschlägenin Deutschland und Europa ist daher an-haltend hoch.

Zum Ende des Jahres 2017 lagen denhessischen Sicherheitsbehörden Er-kenntnisse zu ca. 140 Islamisten aus Hes-sen vor, die in Richtung Syrien/Irak ge-

reist sind, um dort auf Seiten des IS undanderer terroristischer Gruppierungenan Kampfhandlungen teilzunehmenoder diese in sonstiger Weise zu unter-stützen.

Im Bereich des politischen Salafismusfanden seit dem Frühjahr Verteil -aktionen des da’wa-Projekts „We LoveMuhammad“ in Frankfurt am Main statt.Dabei wurden Biografien des ProphetenMohammad (arab. sira) in deutscherSprache, Hörbücher und Visitenkarten,die für eine App werben, kostenlos an-geboten.

Mit Verfügung vom 16. März verbot derHessische Minister des Innern und fürSport den Almadinah Islamischen Kul-turverein e. V. in Kassel. Die Aushändi-gung der Verbotsverfügung an die Mit-glieder des Vereins durch Beamte desPolizeipräsidiums Nordhessen am 23.März war verbunden mit Durchsu-chungsmaßnahmen von Objekten desVereins und seiner Mitglieder.

Die Anhänger der Muslimbruderschaft(MB) in Hessen solidarisierten sich mitden unter staatlicher Repression stehen-den MB-Funktionären in Ägypten. Fürdeutlich größere Emotionalität in derhiesigen Szene sorgte indes die Schlie-ßung der Al-Aqsa Moschee in Jerusalem(Israel). Die Organisationen der MB inDeutschland, insbesondere die Islami-sche Gemeinschaft in Deutschland e. V.(IGD) und das Europäische Institut fürHumanwissenschaften in Deutschland e. V. (EIHW), versuchten, durch sozialesEngagement und Bildungsangeboteihre Anhängerschaft zu erweitern.

32 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Extremismus in Hessen –Ein Überblick 33

Der Saadet Partisi Landesverband Hes-sen (SP, Partei der Glückseligkeit) führte– wie in der Vergangenheit – wieder zahl-reiche Veranstaltungen durch und war inder Betreuung seiner Mitglieder aktiv.Durch ihr zielgerichtetes und weitrei-chendes Veranstaltungsangebot gelanges der SP in Hessen, ihren Nachwuchs andie Organisation zu binden und derenEinbindung in das vorhandene Gemein-schaftsgefüge zu stärken. Dabei zeigtenGastauftritte türkischer SP-Funktionäre,wie sehr die türkische Mutterpartei SP-Strukturen im Ausland unterstützte.

Die Ismail Aĝa Cemaati (IAC, Ismail-Aĝa-Gemeinschaft) war in Hessen unverän-dert aktiv, jedoch ohne Aussicht auf einebaldige Rückkehr ihres im Jahr 2015 ausDeutschland ausgewiesenen Ober-haupts, das sich in der Türkei aufhielt.

Für die hessischen Vereine der Türki-schen Hizbullah (TH) war die am 16.April ausgerichtete jährliche Europaver-anstaltung der TH, die zum zweiten Malin Folge in Hofheim am Taunus (Main-Taunus-Kreis) mit mehreren hundert Teil-nehmern aus dem In- und Ausland statt-fand, das bedeutendste Ereignis. DieKinder- und Jugendarbeit wurde in denhessischen TH-Vereinen wie in den ver-gangenen Jahren erfolgreich vorange-trieben. Daneben wurden auch aufwän-dige Wohltätigkeitsveranstaltungen fürTH-nahe Organisationen durchgeführt.

Extremismus mit Auslandsbezug | Diezentrale Großveranstaltung im Spektrumder mit einem Betätigungsverbot beleg-ten Partiya Karkerên Kurdistan (PKK, Ar-beiterpartei Kurdistans), das Newroz-

Fest, fand im Berichtsjahr in Hessen statt.An der Veranstaltung am 18. März inFrankfurt am Main nahmen rund 30.000Anhänger teil. Im Vorfeld der Veranstal-tung war durch das Bundesministeriumdes Innern die Liste der verbotenen PKK-Symbole erweitert worden. Bereits imFebruar startete in Deutschland die so-genannte Azad-Bike-Kampagne („Machfrei“). Sie stand im Zusammenhang mitdem Jahrestag der Verhaftung/Inhaftie-rung Abdullah Öcalans (15. Februar1999). Die Kampagne wurde später imGesamtzusammenhang der aktuellenThematik „Freiheit für Kurdistan“ weiterfortgeführt. Die Sorge um den Gesund-heitszustand Öcalans bestimmte in derzweiten Jahreshälfte maßgeblich dasDemonstrationsgeschehen der PKK inHessen. Die örtlichen PKK-nahen Vereineführten im Oktober zahlreiche Veranstal-tungen in hessischen Innenstädten durch.

Die Rekrutierung kurdischer Jugendli-cher zu politischen oder militärischenAusbildungszwecken ist seit Jahren gän-gige Praxis innerhalb der PKK bzw. ihrerJugendorganisation Ciwanên Azad. Seit2013 sind auch Ausreisefälle kurdischerJugendlicher zum Einsatz mit den kurdi-schen Peschmerga – unter Beteiligungder PKK – gegen den IS in Kobane (Sy-rien) und in Sengal (Irak) zu beobachten.Auch in Hessen gab es seither mehreresolcher Fälle.

Die Anhänger der Devrimci Halk Kurtu-luş Partisi-Cephesi (DHKP-C, Revolutio-näre Volksbefreiungspartei-Front) warenin Hessen kaum organisiert. Dennochkam es in Frankfurt am Main und inDarmstadt regelmäßig zu Veranstaltun-

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gen, die der DHKP-C zugerechnet wer-den können. Die zum Propagandanetz-werk der DHKP-C gehörende türkischeMusikgruppe Grup Yorum trat anlässlichihres sechsten großen Europakonzertesam 17. Juni bei dem von ca. 2.000 Teil-nehmern besuchten „Fest der Völker“ inFulda (Landkreis Fulda) auf.

Flüchtlinge im Visier von Extremisten |In Hessen gab es im Berichtszeitraumsieben (2016: 25) Straftaten, die sich ge-gen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfterichteten; diese entfielen alle auf denBereich Politisch Motivierte Kriminalität(PMK) – rechts –. Die Anzahl der Strafta-ten gegen Asylbewerber und Flücht-linge belief sich auf 50 (2016: 72), davonentfielen 46 (2016: 67) auf den BereichPMK – rechts –. Gegen Hilfsorganisatio-nen sowie ehrenamtliche und freiwilligeHelfer waren zwei Straftaten zu verzeich-nen (2016: 3), davon entfiel eine (2016:2) auf den Bereich PMK – rechts –. DieZahl dieser Straftaten lag somit auf ei-nem gleichbleibend niedrigen Niveaubei sinkender Tendenz.

Auch im Berichtsjahr bildeten dieFlüchtlinge und die Flüchtlingspolitikzentrale Themen in der rechtsextremis-tischen Agitation in Hessen. Mit derAngst vor „kultureller Überfremdung“sollten Ressentiments und Ängste in derBevölkerung geschürt werden. Diesefremdenfeindliche Agitation birgt dasRisiko, dass sich Einzelpersonen undGruppierungen radikalisieren, was zumBegehen schwerster Straftaten führenkann.

Das Themenfeld „Antirassismus“ bleibtfür Linksextremisten grundsätzlich einwichtiger Aktionsbereich. Allerdings be-schränkten sich solche Aktivitäten im Be-richtsjahr weitgehend auf lokale oder re-gionale Projekte. Größere Bedeutunggewannen die begonnenen Rückfüh-rungen von Geflüchteten in ihre Heimat-länder. Deswegen kam es zu demonstra-tiven Aktionen, die friedlich verliefen.Die 2016 festgestellten Bemühungenvon PKK-Anhängern, Flüchtlinge für ihreSache zu gewinnen, konnten im Be-richtsjahr nicht mehr beobachtet wer-den. Dahingegen nahmen Islamistenweiterhin – überwiegend zum Zweck derMissionierung – Kontakt zu Flüchtlingenauf. Hierbei handelte es sich um Fälle, indenen unter anderem auch – zum Bei-spiel über Unterstützungs-, Hilfeleistun-gen oder Zuwendungen – versuchtwurde, die Notsituation der Flüchtlingefür islamistische Interessen zu nutzen.Dabei ging es sowohl um den Ausbauder jeweiligen Mitgliederbasis durchWerbungs- und Rekrutierungsmaßnah-men als auch um Indoktrinierung vonFlüchtlingen unter dem Deckmantel derhumanitären Hilfe.

34 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Extremismus in Hessen –Ein Überblick 35

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Rechtsextremismus

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Rechtsextremismus 37

Merkmale

Das deutsche Volk als höchster Wert |Rechtsextremisten lehnen die freiheit -liche demokratische Grundordnung derBundesrepublik Deutschland ab und be-kämpfen sie zum Teil mit Gewalt. Sie ver-folgen extremistische Bestrebungen inunterschiedlichen Formen. Das deutscheVolk stellt für alle Rechtsextremisten denhöchsten Wert dar. Sie ordnen dieRechte und Freiheiten anderer Völkerund Nationen wie auch die deseinzelnen Menschen diesem Nationalis-mus unter. Nach ihren Vorstellungen hatder Einzelne im Sinne eines völkischenKollektivismus seinen Wert nur durch dieZugehörigkeit zum Volk, das heißt durcheine bestimmte Herkunft.

„Ethnopluralismus“ | Teile des Rechtsex-tremismus, vor allem die IB, propagierendas Konzept des „Ethnopluralismus“und behaupten in einer verschleierndenSprache, dass sie für die Vielfalt der Völ-ker einstehen würden. In Wirklichkeitzielt dieses Konzept auf einen striktenNationalismus, der „fremde“ Menschenausgrenzt und dadurch Fremdenfeind-lichkeit provoziert. Der „Ethnopluralis-mus“ beschreibt die Unterschiede zwi-schen den Völkern und meint damitletztlich die homogene nationale Identi-tät der eigenen Ethnie.

Ideologie der Ungleichheit | Rechtsex-tremisten vertreten somit eine Ideologieder Ungleichheit, die in vielfacher Hin-sicht den Prinzipien der freiheitlichendemokratischen Grundordnung wider-spricht. An die Stelle demokratischer

Entscheidungsprozesse wollen Rechts-extremisten einen autoritären (Führer-)Staat setzen, in dem nur der angeblichin sich einheitliche Wille der „Volksge-meinschaft“ herrscht.

„Kampf um die Parlamente“ und„Kampf um die Straße“ | Ihre Ziele ver-folgen Rechtsextremisten auf unter-schiedliche Art und Weise. Rechtsextre-mistische Parteien treten zu Wahlen anund versuchen, sich der demokratischenStrukturen zu bedienen, um diese letzt-lich abzuschaffen. Demgegenüber set-zen Neonazis vor allem auf den „Kampfum die Straße“. Sie versuchen, durch öf-fentlichkeitswirksame Aktionen sowohlim Internet als auch in der „realen“ WeltAufmerksamkeit zu erzielen und ihrePropaganda zu verbreiten.

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Personenpotenzial1

Die Gesamtzahl der Rechtsextremistenin Hessen stieg gegenüber dem Vorjahran. Im Wesentlichen ist dies der besse-

ren Erkenntnislage zu Rechtsextremistenunter Reichsbürgern und Selberstver-waltern zuzuschreiben.

38 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

2017 2016 2015

in Parteien

Hessen 275 265 260

Bund 6.050 6.550 6.650

davon in der Partei

NPD

Hessen 250 250 250

Bund 4.500 5.000 5.200

Der Dritte Weg

Hessen 15 15 10

Bund 500 350 300

DIE RECHTE

Hessen 10 – –

Bund 650 700 650

in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen2

Hessen 650 510

Bund 6.300

weitgehend unstrukturiertes rechts -extremistisches Personenpotenzial2

Hessen 540 560

Bund 12.900

Gesamtzahl der Rechtsextremisten (nachAbzug von Mehrfachmitgliedschaften)

Hessen 1.465 1.335 1.310

Bund 24.000 23.100 22.600

Davon gewaltorientiert

Hessen 670 650 4003

Bund 12.700 12.100 11.800

1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.2 Im Jahr 2017 wurde das Personenpotenzial bundesweit neu kategorisiert. Unter in parteiunabhängi-

gen bzw. parteiungebundenen Strukturen sind in Hessen vor allem die Neonazis sowie die IB zu fas-sen. Unter weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial fällt z. B. diesubkulturelle Musikszene. Für Hessen wurden die Zahlen rückwirkend für 2016 ermittelt.

3 Bis 2015 wurde bei der Darstellung des hessischen Personenpotenzials die Anzahl der gewaltberei-ten Rechtsextremisten ausgewiesen. Ab 2016 wird nunmehr die Anzahl gewaltorientierter Rechtsex-tremisten angegeben. Der Oberbegriff „gewaltorientiert“ beinhaltet gewalttätig, gewaltbereit,gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend.

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Rechtsextremismus 39

Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen

Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH)

Definition/Kerndaten

Die IBD ist innerhalb des Rechtsextre-mismus ein relativ neues Phänomen,das sich „modern“, „intellektuell“ undaktionsorientiert präsentiert. Typischrechtsextremistische bzw. nationalso-zialistische Begriffe wie etwa „Volksge-meinschaft“ und „Rasse“ gehören nichtzum Vokabular der IBD, stattdessen ver-wendet sie „Identität“ und „Ethnie“ alsChiffren. Hierdurch versucht die IBDmittels ihrer Selbstdarstellung in densozialen Medien und mit Hilfe medien-wirksamer Aktionen vor allem internet -affine Jugendliche und junge Erwach-sene zu gewinnen, um eine neuevölkische Jugendkultur bzw. politischeStrömung zu etablieren. Vor allem über

die direkte Kommunikation in den so-zialen Medien versucht sie, Begriffe undInhalte neu und scheinbar un ver -fänglich zu definieren und damit auchPersonen außerhalb der rechtsextremis-tischen Szene zu erreichen. So sagte einVertreter der Identitären Bewegung(IB): „Wir haben die Gesetze des Mar-ketings, der Sozialen Medien, und desGesellschaftsspektakels verstanden.Wir gießen diese Erkenntnisse in über-raschende, aber verständliche Aktionen.Wir sprechen die Sprache der Jugendund erzeugen die Bilder, die die Me-diengesellschaft versteht“. (Schreib-weise wie im Original.)

Bundes-vorsitzender:

Daniel Fiß (Mecklenburg-Vorpommern)

Angehörige: In Hessen etwa 80, bundesweit etwa 500

Medien :Internetpräsenzen, Publikation Identitärer Aktivist

Logo der Identi-tären BewegungDeutschland

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Ereignisse/Entwicklungen

Wie im Jahr 2016 nahmen sowohl bun-des- als auch hessenweit die Aktivitätender IB im Berichtsjahr zu. Sie versuchtegrößtmögliche mediale und öffentlicheAufmerksamkeit zu erringen. In einemInterview sagte ein führender Angehö-riger der Identitären Bewegung: „Wirsind kreativ, dynamisch und überra-schend. […] Wir adaptieren Aktionender Studentenbewegung oder vonGreenpeace: Begrenzte Regelübertre-tung, ziviler Ungehorsam, Überra-schungsmoment und ja, auch Spaßak-tionen. Letztere haben ein enormesPotential, denn nichts hat die linke Mul-

tikulti-Schickeria weniger als Humor“.Über die einzelnen Aktionen veröffent-lichte die IBD Berichte mit Fotos bzw. Vi-deos auf ihrem Facebook-Profil. Aufdiese Weise versuchte sie nicht nur neueAngehörige zu werben, sondern auchdie eigenen Aktivisten zu motivieren. Sohieß es in einem Beitrag der IBH auf Fa-cebook: „Wenn einheimische Frauenvor vermeintlichen Flüchtlingen fliehenmüssen, dann ist das die vorhergese-hene Folge einer völlig verfehlten Politikder Massenmigration zum Zweck des›Großen Austauschs‹. Wehre auch DUDich und komm in (die) Bewegung!“

Jugendliche und junge Erwachsene alsZielgruppe | Thematisch konzentriertesich die IBH auf ihrer Facebook-Seite aufden Protest gegen die Migrations- undAsylpolitik. Wie in den Vorjahren brachtedie IBH Banner und Plakate an, unter an-derem in Frankfurt am Main, Gießen(Landkreis Gießen), Marburg (LandkreisMarburg-Biedenkopf), Kassel sowie imLahn-Dill-Kreis.

Ende Mai führte die IBH anlässlich desSchlossgrabenfestes in Darmstadt eineBanneraktion unter dem Motto „Schloss-grabenfest 2017 – Feiern unter Polizei-schutz, offener Grenzen sei Dank“ durch.

Am 28. Juli ließ die IBH-Ortsgruppe Kas-sel gemeinsam mit der RegionalgruppeThüringen rund 200 schwarze undgelbe Luftballons als „Zeichen gegendie Instrumentalisierung der docu-menta14“ an der Orangerie und amSchlosspark Wilhelmshöhe in Kassel

steigen. An den Ballons waren Flyer bzw.Stellungnahmen der IBH zur docu-menta14 angebracht, „deren politischabgerichtete Kunst die Zerstörung unse-rer Identität zelebriert“. Hiermit wider-setze sich die IB der

„gescheiterten Agenda einer multikultu-rellen Gesellschaft, die vor allem denVölkern der abendländischen Welt trotzallem offenkundigen Misslingens aufge-zwungen werden soll.“

Mitte August führte die IBH eine „Panto-mime“ unter dem Motto „DasSchweigen der Lämmer“ anlässlich derdocumenta in Kassel auf. Auf der Face-book-Seite der IBH hieß es hierzu:

„Unser Straßentheaterstück stellt in starkerSymbolsprache dar, was eine Politik deroffenen Grenzen und der massenhaftenMigration für Deutschland bedeutet. DasVolk wird ausgeblutet – und schweigt!“

40 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Rechtsextremismus 4<

Die Inschrift am Kasseler Fridericianum„Being safe is scary“ kritisierte die IBH alsdas

„immer gleiche Narrativ, demzufolge Mi-gration immer und uneingeschränkt po-sitiv ist, selbst wenn immer mehr Men-schen Mord, Raub, Vergewaltigung undKörperverletzung durch Migranten zumOpfer fallen – Menschen, die wie Schafeauf dem Altar der politschen Korrektheitgeopfert werden.“ (Schreibweise wie imOriginal.)

Weitere symbolische Aktionen führtedie IBH am 20. August in Marburg (Land-kreis Marburg-Biedenkopf) unter demMotto „Terror als Normalzustand? Nichtmit uns!“ und am 17. September inFulda (Landkreis Fulda) unter demMotto „Wer sind die nächsten Opfer,Frau #Merkel?“ durch. Eine ähnliche Ak-tion fand im Dezember in Frankfurt amMain statt. Hierbei stellten IBH-Angehö-rige weiße Kreuze und Grablichter auf.Zu der Aktion in Marburg hieß es auf Fa-cebook: „Wir werden den Terror unddessen Verharmlosung nicht hinneh-men. Wir sind die letzte wehrhafte Ge-neration Europas“. Ihre Aktion in Fuldabegründete die IBH unter anderem mitder angeblichen „Selbstaufgabe der ei-genen Werte, wie es mit der zunehmen-den Islamisierung geschieht“. Anlässlichdes Jahrestags des Terroranschlags aufeinen Berliner Weihnachtsmarkt brach-ten IBH-Angehörige in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) Banner an einem Einkaufszen-trum an, um der Angehörigen und derVerletzten zu gedenken, was Politiker„ein Jahr lang nicht für nötig befunden“hätten: „Sie sind Opfer zweiter Klasse in

den Augen unserer Politiker! An denHänden Merkels klebt ihr Blut“.

Darüber hinaus brachten IB-Aktivisten inWiesbaden, Marburg (Landkreis Mar-burg-Biedenkopf) und im Lahn-Dill-KreisAufkleber an und verteilten Flugblätterin Marburg und Frankfurt am Main. Au-ßerdem veranstaltete die IBH verschie-dene Stammtischtreffen.

Aktivisten aus Hessen beteiligten sichauch an besonders medien- und öffent-lichkeitswirksamen Aktionen der IBD:

Am 19. Mai versuchten in Berlin etwa 50IB-Aktivisten in das Bundesministeriumder Justiz und für Verbraucherschutz zugelangen, was die Polizei jedoch verhin-derte. Vor dem Gebäude zeigten die Ak-tivisten Banner mit den Aufschriften„Zensurministerium“ sowie „Alles schonvergessen? Gegen Zensur und Mei-nungsverbote“ und schwenkten Fahnender IBD. Der Protest richtete sich gegenden Entwurf des Gesetzes zur Verbesse-rung der Rechtsdurchsetzung in sozialenNetzwerken (NetzDG). Die IBD sprachauf Facebook von einem „Netzwerk-durchsuchungsgesetz“, das als „trojani-sches Pferd für eine massive Meinungs-einschränkung“ dienen solle.

Gleichfalls in Berlin führten am 17. JuniRegionalgruppen der IBD und ausländi-sche Aktivisten der IB eine Demonstra-tion unter dem Motto „Zukunft Europa“in Berlin durch, an der zeitweise etwa850 Personen teilnahmen. Aufgrundmehrerer Blockaden durch Gegende-monstranten wurde der Aufzug nachmehreren hundert Metern abgebrochen.

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Auf Facebook charakterisierte die IBDden Berliner Wedding, wo die Demons-tration stattgefunden hatte, als einenStadtteil,

„in dem der Anteil von Ausländern undMenschen mit Migrationshintergrundnahezu 84,5 Prozent beträgt. Hier mani-festiert sich der Große Austausch, dervon den Etablierten geleugnet, aber im-mer sichtbarer wird“.

Anfang August startete die IB im Rah-men ihrer Kampagne „Defend Europe“vor der libyschen Küste ihre erste „Mis-sion“ gegen angebliche „Schlepperakti-vitäten“ von Nichtregierungsorganisa-tionen (NGO), deren Ziel es war,Flüchtlinge aus dem Meer zu retten. Fürihre Kampagne hatte die IBD ein Schiffangemietet, das sich mehrere Wochenim Mittelmeer aufhielt. Mit ihrer Kampa-gne wollte die IB den „NGO-Wahnsinn“beenden und die „mögliche Zusam-menarbeit mit den Schleppern“ doku-mentieren. Die IB-Aktivisten, die unteranderem aus Deutschland kamen, been-deten ihre Aktion am 17. August.

Klage gegen Beobachtung durch denVerfassungsschutz | Am 28. Septemberveröffentlichte die IBD auf ihrer Face-book-Seite einen Beitrag, wonach sie„im Rahmen ihrer ,Verfassungsschützer‘-Kampagne dem Bundesminister des In-nern […] eine Unterlassungsklage zuge-stellt und weitere optionale gerichtlicheSchritte angekündigt“ habe. Darin habesie den Innenminister aufgefordert, die

„weitere Beobachtung der IdentitärenBewegung einzustellen und die Nen-

nung in den jährlichen Verfassungs-schutzberichten zu unterlassen. Dasgleiche gilt für öffentliche Äußerungen,in denen die Identitäre Bewegung als,rechtsextrem‘ bezeichnet wird. Dennnichts davon basiert auf einer validen Ar-gumentationsgrundlage.“

Die IBD hatte bereits zuvor angekündigt,gegen die Verfassungsschutzbehördenzu klagen und für diese Kampagne eineeigene Homepage eingerichtet.

Neue Publikation Identitärer Aktivist |Im Juni brachte die IBH erstmals ihre Pu-blikation Identitärer Aktivist heraus, dieim Berichtszeitraum in insgesamt dreiAusgaben erschien. Das Redaktions-team verfolgte damit drei Ziele:

• „Einen kleinen Einblick in unsere poli-tische Arbeit als am schnellsten wach-sende Jugendbewegung Europas zugeben.“

• „Die Meinungsvielfalt an Universitätenund Fachhochschulen wieder in einGleichgewicht zu bringen.“

• „Nach und nach an allen hessischenSchulen patriotische Schüler zu errei-chen.“

Rechtsextremistisches Merchandising |Darüber hinaus bot die IBD, um Jugend-liche und junge Erwachsene als Ziel-gruppe zu erreichen, über eigene On-line-Versandhäuser Material für den„patriotische[n] Aktivist[en]“ an. Das Wa-renangebot umfasste unter anderem T-Shirts, Aufkleber („Revolte gegen dengroßen Austausch“, „Multikultur ist eineLüge!“) und Flugblätter.

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Rechtsextremismus 43

Entstehung/Geschichte

Die IBD gründete sich im Oktober 2012als Facebook-Gruppe und erhielt in kür-zester Zeit große Zustimmung. Die An-zahl der Likes im Internet stieg von rund1.600 Ende 2012 auf mehr als 64.000Anfang 2018. Die IBD sieht sich als Ab-leger der Identitären Bewegung Öster-reich (IBÖ), die wiederum aus dem 2003in Frankreich entstandenen Bloc Identi-taire – Le mouvement social européen,der späteren Génération Identitaire (GI),hervorgegangen war.

Die Anhänger der IB in Deutschlandwurden zunächst „virtuell“ im Internet,dann aber auch zunehmend „real“ aktiv,indem sich regionale Gruppen bildeten.Anfang Dezember 2012 fanden sichdeutsche Anhänger der IB zu ihrem ers-ten bundesweiten, konstituierendenTreffen in Frankfurt am Main zusammen,unter ihnen auch Vertreter aus Öster-reich und Italien. Zu der Veranstaltungwurden im Internet unter anderem fol-gende plakative programmatischeSchlagworte veröffentlicht:

„Europa steht auf dem Spiel. Keine Kin-der. Massenzuwanderung. Dekadenz &Kulturverfall. Islamisierung. Selbsthass.Fremdenliebe. Wirtschaftskrise. Asylbe-trug. Rechtsfreie Räume. Scharia-Zonen.Migrantengewalt. Political Correctness.Wenn wir jetzt nichts tun, waren wir dieletzte freie Generation Europas. Wirmüssen jetzt handeln! Reconquista oderEurabia.“

In Hessen trat die IB seit Ende 2012 mitPlakat- und Aufkleberaktionen öffentlich

in Erscheinung. Im April 2014 fand inFulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt,das der weiteren Vernetzung diente. Inder Folge gründete sich im Mai 2014 inNordrhein-Westfalen der Verein Identi-täre Bewegung Deutschland e.  V. mitdem Ziel, die

„Identität des deutschen Volkes als eineeigenständige unter den Identitäten deranderen Völker der Welt zu erhalten undzu fördern. Er widersetzt sich insbeson-dere der fortschreitenden Globalisierungund der Verdrängung der deutschenIdentität aus immer mehr Bereichen desöffentlichen und privaten Lebens.“

Ideologie/Ziele

Die IB stellt sich in ihrer Ideologie gegenden Gleichheitsgedanken des Grundge-setzes. „Kulturfremde“ Einflüsse hält siefür schädlich; Folge ihrer politischen Be-strebung ist letztlich Ausgrenzung.

Politische Eckpunkte | Auf ihrer Internet-seite definiert die IBD vier „Säulen unse-rer politischen Arbeit“: „Metapolitik“,„Aktivismus“, „Gemeinschaft“, „Ausbil-dung“. Unter „Metapolitik“ versteht dieIBD den „Kampf um Begriffe, um dasSagbare, letztlich auch um das Denken“.Damit versucht die IBD „jene Europäer“zu gewinnen, die das „Establishment“angeblich längst vergessen habe: „Ju-gendliche ohne Migrationshintergrund“.

Da „materielle Werte“ zu wenig Sinn stif-teten, so die IBD, sei es ihr Ziel, „echteGemeinschaften“ zu etablieren. Außer-dem wolle sie „tiefgründige Analysen

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und Lösungen zu aktuellen gesellschafts-politischen Entwicklungen“ liefern.

„Metapolitik“ | In einer Kulturrevolution,so die IBD in dem Internet-Beitrag „Me-tapolitische Räume – Macht und Moral“,sei es der „68er Bewegung und demakademischen Überbau der FrankfurterSchule“ gelungen, die „konservativenWurzeln“ Nachkriegsdeutschlands („Fa-milie als Keimzelle des Volkes“, „Sittlich-keit und Anstand“) „aus dem Boden zureißen“. Aus einer „rein subjektivistischenPerspektive“ hätten die „68er“ damalswie heute für eine bessere und gerech-tere Gesellschaft gefochten – auf der„grundideologischen Basis […], dass dasSubjekt nicht in eine höhere Ordnungeingebunden sei“. Damit seien eine „po-litische Moralblase“ und die linksliberaleIdeologie einer „Konsenskultur“ geschaf-fen worden. Nun allerdings bekomme,so die IBD, die „illusorische Traumblaseder Linken zunehmend Risse“, da Vorstel-lungen und reale Ereignisse auseinan-derklafften.

Die „Neue Rechte“, so die IBD, müsse„linke Dogmen“ nicht nur widerlegen,sondern einen „moralischen Gegenent-wurf zeichnen“:

„Eine Gemeinschaft muss auf mehr auf-bauen als nur auf Verfassungsgarantienund abstrakten Menschenrechten. Siebraucht einen gemeinsamen Identitäts-rahmen, der sich aus der geschichtlichenKontingenz ableitet und dabei auf einemethnokulturellen Fundament aufbaut.“

Vor diesem Hintergrund betont die IBDdie dominierende Bedeutung von Ab-

stammung und Identität und befindetsich damit in der Nähe zur völkischenIdeologie von Rechtsextremisten. DasSubjekt, das heißt den Menschen, nimmtdie IBD nicht primär in seiner Individuali-tät, sondern vorrangig in Bezug auf seineethnische Herkunft und seine Eingebun-denheit in die „Gemeinschaft“ wahr.

„Großer Austausch“ | Mit dem Begriff„Großer Austausch“ bezeichnet die IBDdie „Tendenz einer schrittweisen Ver-drängung der einheimischen Bevölke-rung zugunsten fremder und zumeistmuslimischer Einwanderer“. In einer In-ternet-Veröffentlichung „Was heißt füreuch eigentlich ,Identität‘?“ definiert dieIBD dagegen als „kollektives Merkmalunserer Identität“ den „ethnokulturelle[n]Aspekt, der für uns den Kern des politi-schen Handelns darstellt“:

„Wir glauben, dass sich jedes Volk dieserErde durch seine besondere Verschie-denheit auszeichnet und in seiner Le-bensart, seinen Wertvorstellungen, sei-ner Kultur, Herkunft, Religion und seinensozialen Praktiken immer etwas Einzig-artiges ist. Jedes Volk hat demnach auchdas Recht, diese Eigenschaften undMerkmale seiner ethnokulturellen Iden-tität zu bewahren und zu verteidigen.Genau diese Bewahrung fordern wirauch für unsere eigene deutsche undeuropäische Identität ein“.

„Ethnokulturelle Gemeinschaft“ | Nurwer ein „ehrliches und aufrechtes Ver-hältnis von sich selbst und demEigenen“ definiere, könne „gleichzeitigdem Anderen offen und anerkennend inder Verschiedenartigkeit begegnen“.

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Rechtsextremismus 45

Diese „inhaltliche Positionierung“ erteile,so die IBD,

„jeglichem Rassismus und Chauvinismuseine klare Absage, da es uns stets um dieBetonung des Rechts auf Bewahrung derIdentität für jedes Volk und jede Kulturgeht und wir eine qualitative Auf- oderAbwertung einer bestimmten ethnokul-turellen Gemeinschaft klar ablehnen. Wirwollen daher auch die Identität des deut-schen Volkes in ihrer Besonderheitneben den vielen weltweit nebeneinan-derstehenden Völkern in ihrer jeweiligenEinzigartigkeit bewahren. Die ethnischeund die kulturelle Seite unserer Identitätsind dabei für uns gleichwertig. DieÜberbetonung eines Teilaspekts derIdentität lehnen wir ab“.

Unter dem Titel „Nationalismus vs. eth-nokulturelle Identität“ versuchte die IBDden Vorwurf zu entkräften, sie sei natio-nalistisch. In dem entsprechenden Inter-net-Beitrag hieß es: „Wir Identitären sindnicht nationalistisch! […] Unsere Idee istauch keine nationale, sondern eine eu-ropäische“. Zurzeit zerfalle der „europäi-sche Kulturkreis“ nicht in einzelne Natio-nen, sondern gehe „als Gesamtes“zugrunde:

„Jedes Volk Europas wird zwischen denliberalistischen Walzen der Massenein-wanderung, des Konsumwahns und desWerteverfalls zerrieben. Alle europäi-schen Völker verlieren ihre Identität undvergessen ihre Geschichte und ihre Kul-tur. Niemals war es wichtiger, dass dieEuropäer sich als solche begreifen undsich nicht durch nationalistische Ressen-timents bei der Findung eines gemein-

samen und starken Überlebenswillensselbst im Wege stehen.“

In einer Positionsbestimmung unterdem Titel „Nationalismus revisited“führte die IBD aus, dass Nationalismusmit „Subjektivismus, Werteverfall, Sinn-entleertheit“ und der „Auflösung allerDinge“ gleichzusetzen sei:

„Er würde einen fanatischen Krieg nachaußen, Totalitarismus und Vereinheitli-chung nach innen, biologistische unddarwinistische Betäubungen gegen eineechte Sinnfrage bedeuten. Letztlichwürde er damit keine Antwort auf diegroßen Fragen bedeuten, die heute dasganze Dasein umstellen und es in denNihilismus treiben.“

Dem setzt die IBD entgegen:

„Wenn wir für den Erhalt unserer Identi-tät kämpfen, tun wir das nicht,egoistisch‘ oder ,nur für uns‘. Wir […]kämpfen gegen eine globale Tendenzder Vereinheitlichung, der Entzaube-rung, Entfremdung und Vermassung,gegen die Vernichtung von Freiheit, Viel-falt, Behausung und Verwurzelung.“

Für den „kulturellen Verfall (dieidentitäre Schwäche) in den Einwande-rungsländern“ sei, so die IBD, der Libe-ralismus verantwortlich. Er müsse alsIdeologie überwunden werden, da erTraditionsgebundenheit in „atomisieren-den Individualismus“ verwandele.

„Tugenden des Widerstandes“ | UnterRückgriff auf den Topos des Wider-standsrechts folgert die IBD:

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„Der Widerstandsfall nach GG Art. 20Abs. 4 ist eingetreten. Unsere öffentlicheOrdnung, unsere (Rechts-)Staatlichkeitund innere Sicherheit sind fundamentalgefährdet. […] Unsere Regierung scha-det unserem Land und unserem Volk –andere Abhilfe als oppositioneller Wi-derstand ist derzeit nicht möglich.Gleichzeitig ist jede Anwendung vonRecht an den Grundsatz der Verhältnis-mäßigkeit, den jede Situation erfordert,gebunden. Das Recht auf Widerstand inunserer jetzigen Situation rechtfertigt zi-vilen Ungehorsam, keine Gewalt.“

Als historisches Vorbild „in der jetzigen Si-tuation“ benennt die IBD – in krasser ma-nipulativer Umdeutung und Verzerrungder deutschen Geschichte – die „Akteureder Weißen Rose“, die als JugendgruppeWiderstand gegen das nationalsozialisti-sche Terrorregime geleistet hatten:

„Aus ihrem Opfer für Deutschland ist Kraftzu schöpfen. Nicht nur durch den exem-plarischen Mut, den diese Widerständi-gen bewiesen, sondern gleichfalls durchdie historische Kontinuität, die uns heutemit ihnen verbindet, ist die Legitimität vonWiderstand offenbar: Deutschland, dasLand der Deutschen, die den Souverändieser Republik bilden, ist in Gefahr. Alses das letzte Mal durch eine Tyrannis inGefahr war, mussten sich die Wenigenebenso gegen die Vielen erheben.“

Symbolik | In ihrer Bildsprache verwen-dete die IBD im Internet, bei Veranstal-tungen sowie auf Flyern, Aufklebern undMerchandisingartikeln den griechischenBuchstaben (Lambda), der durch dieComicverfilmung „300“ aus dem Jahr

2006 einem breiten Publikum bekanntgeworden ist. Der Film glorifiziert dasantike Sparta und den letztlich aussichts-losen Verteidigungskampf von 300Spartanern (Lakedaimoniern) gegen dieÜbermacht der Perser in der Schlachtbei den Thermopylen (480 v. Chr.). Invielfachen Variationen zeigt der Film be-waffnete und kämpferisch-entschlos-sene Spartaner im Kampf gegen diepersischen Angreifer. Die IBD identifi-ziert sich mit dieser Bildersprache undsieht sich in ihrem „Abwehrkampf“ inder Tradition der Spartaner.

Strukturen

Laut ihren Facebook-Auftritten gliedertesich die IBD bundesweit in 15 Regional-gruppen, eine davon ist die IBH. Das dieRegionalgruppe IBH umfassende Gebietschloss auch Gebiete jenseits der hessi-schen Landesgrenze mit ein: den rhein-land-pfälzischen Rhein-Lahn-Kreis undden „Regierungsbezirk Rheinhessen“.

In Hessen bestanden Ortsgruppen inFrankfurt am Main, Gießen (LandkreisGießen), Kassel/Nordhessen, Marburg(Landkreis Marburg-Biedenkopf), Darm-stadt, Fulda (Landkreis Fulda), Wiesba-den, Eschwege (Werra-Meißner-Kreis)sowie im Lahn-Dill-Kreis und imSchwalm-Eder-Kreis. Die Anzahl derOrtsgruppen hat sich damit gegenüberdem Vorjahr verdoppelt.

Bewertung/Ausblick

Die IBH konnte gegenüber dem Vorjahrdie Anzahl ihrer Ortsgruppen von fünfauf zehn verdoppeln. Dies zeigt die Dy-

V

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Rechtsextremismus 47

namik dieser Bewegung. Zugleich stelltihre Propaganda in modernem Design,ihre Internet-Affinität und die dem linkenpolitischen Protestspektrum entlehnteAgitationsweise eine Gefahr der Einfluss-nahme auf die junge Generation dar. Ineinem modernen Layout wird die verfas-sungsfeindliche Botschaft transportiert.

Neben der anwachsenden Dynamik undden jugendaffinen Aktionsformen gehtvon der IB zudem die Gefahr aus, dass siemit ihrer Begriffswahl den Anschluss indie Mitte der Gesellschaft erreichen kann.So ersetzt sie Begriffe wie „Rasse“ durchdie in der Gesellschaft nicht negativ be-setzten Begriffe der „Ethnie“ und „Kultur“.

Die Anhänger der IB argumentieren miteinem (pseudo)intellektuellen Anspruch.Ihre Ausführungen kommen, anders alsin der Neonazi- oder rechtsextremisti-schen Musikszene, nicht plump daher.Ihre Protagonisten entstammen zum Teildem anspruchsvollen Bildungsbürger-tum und richten sich infolgedessen auchan dieses.

Der Rekurs auf das grundgesetzliche Wi-derstandsrecht impliziert eine Agitationaußerhalb des pluralen Meinungsbil-dungsprozesses. Diese Ideologie ist ge-eignet, Aktionsformen über das Verbalehinaus zu legitimieren.

Neonazis

Definition/Kerndaten

Rechtsextremisten, die nach der Über-windung der Gewaltdiktatur des Natio-nalsozialismus (1933 bis 1945) dessenIdeologie in ihren inhaltlichen Zielsetzun-gen oder im Rahmen ihrer Aktivitäten zuverwirklichen versuchen, werden alsNeonazis bezeichnet. Zahlreiche neona-zistische Organisationen sind verboten,

Neonazis finden sich aber immer wiederin neuen Gruppierungen, Bündnissenund Plattformen zusammen. Zu rechts -extremistischen Parteien und zu subkul-turell orientierten Rechtsextremisten undSkinheads unterhalten Neonazis, denengrundsätzlich eine Gewaltorientierungzuzuschreiben ist, enge Kontakte.

Regionale Schwerpunkte:

Mittelhessen

Aktivisten/Anhänger:

In Hessen etwa 250

Medien: InternetpräsenzenLogo des FWH

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Kameradschaft Aryans | Bei der rechts-extremistischen Kameradschaft Aryanshandelt es sich um einen länderüber-greifenden Personenzusammenschlussaus gewaltbereiten Rechtsextremisten,der unter anderem auch Personenbe-züge nach Hessen aufweist. Öffentlich-keitswirksamkeit erzielte die Gruppie-rung seit etwa Ende 2016 zunächst mitihrer Facebook-Seite „Deutschland, un-sere Zukunft“, die als erste offizielle Seiteder Aryans galt. Im Profilbild war derSchriftzug „Aryans“ auf einer schwarz-weiß-roten Fahne, flankiert von Reichs-adler-Abbildungen, zu sehen.

Am 4. Februar fand auf einem Grund-stück im Raum Aschaffenburg (Bayern)eine Feier von ca. 30 bis 40 Rechtsextre-misten statt, bei der ein mehrere Metergroßes Hakenkreuz aus Holz ab -gebrannt werden sollte. Das Treffenwurde von der Polizei beendet. Unterden Teilnehmern befanden sich Perso-nen, die der Kameradschaft Aryans zu-gerechnet werden können.

Am 18. März nahmen Personen derGruppierung an einer Demonstrationder Partei DIE RECHTE in Leipzig (Sach-sen) teil. Die Teilnehmer traten in ein-

heitlicher schwarzer Oberbekleidungmit der Aufschrift „Aryans 88“ (Vorder-seite) und „Support your Race“ (Rück-seite) auf.

An der rechtsextremistischen 1. Mai-De-monstration der Partei DIE RECHTE inHalle (Saale) in Sachsen-Anhalt nahmenauch Personen der Aryans teil. Auch hiertrat die Gruppe in den bereits beschrie-benen einheitlichen Kleidungsstückenauf. Im Zusammenhang mit der Veran-staltung kam es zu Ausschreitungen, andenen auch hessische Aktivisten derAryans beteiligt gewesen sein sollen.

Freier Widerstand Hessen (FWH) | DieGruppierung FWH ging aus derehemals aktiven neonazistischen Grup-pierung Nationale Sozialisten Main-Kinzig (NSMK) hervor. Die NSMK stelltenihre Aktivitäten Anfang 2015 ein.

Im Februar trat die Gruppierung wiedermit einem Internetauftritt in Erschei-nung. Hier teilte die Gruppierung mit,dass sie ihre Aktivitäten nun unter demNamen Freier Widerstand Main-Kinzig(FWMK) entfalten wird. Im Juni konnteder Internetauftritt nicht mehr erreichtwerden. Allerdings trat nahezu

Ereignisse/Entwicklungen

Wie in den Jahren zuvor konzentriertensich die Neonazis auf öffentlichkeits-wirksame propagandistische Aktionen:Die Teilnahme an Demonstrationen undan Mahnwachen sowie die Verteilungvon Aufklebern und Flugblättern. Einzentrales Ereignis war erneut dieKampfsportveranstaltung „Kampf der

Nibelungen“, die diesmal nicht in Hes-sen stattfand. Die Szene war mehrheit-lich durch lose regionale Gruppierun-gen geprägt; die Kameradschaft Aryanszeichnete sich demgegenüber durcheine überregionale, länderübergrei-fende Struktur aus.

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zeitgleich eine bislang unbekannteGruppe namens FWH im Internet in Er-scheinung. Seitenaufbau und Inhalt wa-ren identisch mit dem Internetauftritt derGruppierung FWMK, sodass davon aus-gegangen werden kann, dass eine er-neute Umbenennung der Gruppierungstattfand. In der Öffentlichkeit trat dieGruppierung im Berichtsjahr durch Ban-neraktionen, so in Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis) sowie im Stadtgebiet Wies-baden, in Erscheinung.

Demonstration „Für die Zukunft unsererKinder“ in Wetzlar | Am 22. April fand inWetzlar (Lahn-Dill-Kreis) die Demonstra-tion „Für die Zukunft unserer Kinder“statt. Einer der Redner war der Vorsit-zende der NPD im Lahn-Dill-Kreis. Ander von einer Rechtsextremistin ausNordrhein-Westfalen angemeldeten Ver-anstaltung, die neben anderen rechtsex-tremistischen Organisationen unter an-derem von der NPD mitgetragen wurde,beteiligten sich rund 80 Personen.

Mit der Wahl des gesellschaftlich positivbesetzten Mottos „Für die Zukunft unse-rer Kinder“ hatten die Verantwortlichender Demonstration offenbar den rechts-extremistischen Hintergrund der Veran-staltung zu verbergen versucht.

An der Demonstration nahmen auch ei-nige Aktivisten der neonazistischenGruppierung Berserker Pforzheim –Ortsgruppe Lahn-Dill teil. Diese Gruppie-rung trat bereits durch ihr uniformiertesErscheinungsbild bei demon strativenVeranstaltungen insbesondere im Lahn-Dill-Kreis in Erscheinung. Nach Exekutiv-maßnahmen im Januar 2018 wegen des

Verdachts von Verstößen gegen dasWaffen-, Kriegswaffenkontrollgesetz unddas Betäubungsmittelgesetz sowie we-gen der Bildung einer kriminellen Verei-nigung gab die Gruppierung ihre Auflö-sung bekannt.

Antikapitalistisches Kollektiv (AKK) | ImBerichtsjahr entfaltete das AKK nur we-nige Aktivitäten. Im Zusammenhang mitdem G20-Gipfel am 7. und 8. Juli inHamburg behauptete das AKK gegen-über Medien, es hätten „mehrere Grup-pen“ an den Protesten teilgenommen.Vom 15. auf den 16. August beklebtenunbekannte Täter zahlreiche Fenster-scheiben und Gebäudeteile einer Be-rufsschule in Geisenheim (Rheingau-Taunus-Kreis) mit Plakaten undWerbezetteln. Die Plakate trugen dieAufschrift „NS AREA“ sowie den Slogan„Für den nationalen Sozialismus“. Darü-ber hinaus wurde auf die Website desAKK verwiesen.

„Drittes Nationales Schoppenturnier“ inHünstetten | Am 9. September konnteein Treffen von Rechtsextremisten inHünstetten-Ketternschwalbach (Land-kreis Limburg-Weilburg) zu einem soge-nannten Schoppenturnier verhindertwerden. Die Veranstaltung wurde nachKündigung des Mietvertrags des Grill-und Bolzplatzes durch die Gemeindedurch Polizeikräfte aufgelöst. Es wurdenmehr als 60 Personen kontrolliert. DieTeilnehmer kamen ganz überwiegendaus Hessen, aber auch aus anderen Bun-desländern und in einem Fall aus demeuropäischen Ausland.

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Combat 18 Deutschland (C18 Deutsch-land) | Bei der neonazistischen Organi-sation Combat 18 Deutschland handeltes sich um ein Netzwerk, deren Ur-sprungsbezug in einer 1992 in Englandgegründeten Gruppierung liegt. DieGruppenbezeichnung setzt sich aus„Combat“ für „Kampf“ sowie der Zahlen-kombination 18, die für den ersten undachten Buchstaben des Alphabets (Aund H) stehen, zusammen. Der NameCombat 18 kann demnach mit Kampf-truppe Adolf Hitler übersetzt werden.Mitglieder der Gruppierung sind inmehreren Bundesländern, auch in Hes-sen, wohnhaft.

Für das Wochenende des 23. und 24.September reiste eine Gruppe von Per-sonen von der Bundesrepublik Deutsch-land in die Tschechische Republik undsoll dort Schießübungen auf einem pri-vaten Schießstand durchgeführt haben.Am 24. September wurden am deutsch-tschechischen Grenzübergang Schirn-ding (Bayern) zwölf deutsche Staatsan-gehörige bei der Einreise in dieBundesrepublik Deutschland kontrol-liert. Aus der Kontrolle ergaben sich Hinweise auf Verstöße gegen das Waf-fengesetz (erlaubnispflichtige Schuss-waffenmunition) sowie auf einen Bezugzur Gruppierung Combat 18. Strafrecht-liche Ermittlungsverfahren wurden ein-geleitet, die sich auch gegen Personenaus Hessen richteten.

Es ist davon auszugehen, dass zumin-dest bei einem Teil der Mitglieder bzw.Anhänger von Combat 18 Deutschlandeine Waffenaffinität und Gewaltbereit-schaft besteht.

Kampf der Nibelungen in Kirchhundem(Nordrhein-Westfalen) | Am 14. Oktoberfand zum fünften Mal die in der rechts-extremistischen Szene populäre Kampf-sportveranstaltung „Kampf der Nibelun-gen“ statt. An der Veranstaltung, die imBerichtsjahr in Kirchhundem (Nordrhein-Westfalen) durchgeführt wurde, nahmenrund 500 Personen, darunter ca. 50Kämpfer, aus dem gesamten Bundesge-biet sowie aus dem europäischen Aus-land teil. Nach Veranstaltungsende wur-den durch die Polizei eine Vielzahl vonFahrzeug- und Personenüberprüfungendurchgeführt.

Ziel des seit 2013 jährlich stattfindenden„Kampfs der Nibelungen“, der konspira-tiv in der rechtsextremistischen Szenegeplant wird, ist es, so die Verlautbarungder Veranstalter im Internet, abseits des„Bekenntnis[es] zur freien demokrati-schen Grundordnung“ den

„Sport nicht als Teil eines faulenden po-litischen Systems [zu] verstehen,sondern diesen als fundamentales Ele-ment einer Alternative zu eben jenem[zu] etablieren und in die Breite [zu] tra-gen. […] Der Kampf der Nibelungen will[…] allen Sportlern und Sport-Anhän-gern, die sich nach einer Alternative zumvorherrschenden ehr- und wertelosenZeitgeist sehnen, eine Bühne bieten. Be-teiligt euch, besucht unsere Veranstal-tungen oder tretet selber aktiv an,kommt mit anderen Sportlern in Kontaktund animiert über euer Vorbild anderedazu, dem System der Versager, derHeuchler und der Schwächlinge den Rü-cken zu kehren“.

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Rechtsextremismus 5<

Ideologie/Ziele

Historischer Nationalsozialismus als„Vorbild“ | Neonazis orientieren sich,wenn auch in unterschiedlicher Ausprä-gung, an der Ideologie des Nationalso-zialismus (unter anderem an Rassismus,Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Na-tionalismus, Antipluralismus) und ideali-sieren den „Führer“ Adolf Hitler (1889 bis1945). Das Ziel von Neonazis ist dieSchaffung eines ethnisch homogenen,diktatorischen Staats. Die Rechte desEinzelnen, Meinungsfreiheit und Mei-nungsvielfalt – insgesamt Pluralismus –haben in der von Neonazis angestrebtendeutschen „Volksgemeinschaft“ keinenPlatz. Die „Volksgemeinschaft“ schließtMenschen anderer Kulturen und auchsolche „Deutsche“ aus, die sie aufgrundvon Behinderungen, sexueller Orientie-rung und sozialer Marginalisierung als„unwert“ einstuft. Das Individuum sollsich dem angeblichen Gesamtwillen un-terordnen. Historische Tatsachen deutenNeonazis in revisionistischer Manier umund leugnen dabei auch den Holocaust.

Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene |Die neonazistische Szene ist in sich nichthomogen. Zum einen wird das „DritteReich“ (1933 bis 1945) als Vorbild be-trachtet und eine Wiederherstellung desNationalsozialismus angestrebt, zum an-deren wird die nationalsozialistische„Weltanschauung“ neu interpretiertoder – wie teilweise im Falle des AKK –„antikapitalistisch“ mit Bezügen zumLinksextremismus und entsprechendenAktionsformen „modernisiert“. Die über-wiegende Zahl der Neonazis befür -wortet jedoch die Kernelemente des Na-

tionalsozialismus: Führerprinzip, Antise-mitismus und die Ideologie der „Volks-gemeinschaft“.

Zahlencodes | Intern bekennen sich Neo-nazis zu ihrer Ideologie, indem sie zumBeispiel nationalsozialistische Grußfor-meln („Sieg Heil“, „Heil Hitler“) verwen-den und den „Hitler-Geburtstag“ feiern.Nach außen bekennen sich Neonaziswegen der Strafbarkeit eher in verklau-sulierter Form zum Nationalsozialismus,etwa in der Form der Selbstbezeichnungvon Gruppierungen. So steht etwa beidem 2015 durch das Hessische Ministe-rium des Innern und für Sport verbote-nen Verein Sturm 18 e. V. die Zahl für denersten und achten Buchstaben im Alpha-bet, AH; was für Adolf Hitler steht. Ent-sprechend steht 88 für „Heil Hitler“.

Kampf gegen das „System“ | An dieStelle der freiheitlichen demokratischenGrundordnung wollen Neonazis einenautoritären Führerstaat sowie eine eth-nisch einheitliche „Volksgemeinschaft“setzen. Unsere freiheitliche Demokratiebezeichnen Neonazis als „System“, das esabzuschaffen gelte. Bereits die National-sozialisten hatten die Weimarer Republik(1918 bis 1933) mit dieser Bezeichnungdiffamiert. Der Aufruf zum Kampf gegendas „System“ ist ein Grundpfeiler neona-zistischer Propaganda. Zielgruppe sindvor allem junge Menschen, die früh andie neonazistische Szene herangeführtund an sie gebunden werden sollen.

Strukturen

Die Neonazi-Szene wies in der Vergan-genheit unterschiedliche Strukturen und

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Organisationsgrade auf. In der Vergan-genheit waren hierarchisch strukturierteVereine die vorherrschende Organisati-onsform. Zu ihnen zählte zum Beispieldie am 21. September 2011 vom Bun-desminister des Innern verbotene Hilfs-organisation für nationale politische Ge-fangene und deren Angehörige e. V.(HNG) sowie der am 27. Oktober 2015verbotene Sturm 18 e. V. In den letztenJahren traten jedoch weniger formali-sierte, lose strukturierte Kameradschaf-ten und sogenannte Freie Kräfte an dieStelle derartiger Personenzusammen-schlüsse.

Thule-Seminar e. V.

Das 1980 von dem RechtsextremistenDr. Pierre Krebs gegründete Thule-Semi-nar e. V. mit Sitz in Kassel versteht sichals „Forschungs- und Lehrgemeinschaftfür die indoeuropäische Kultur“ und willeine „geistig-geschichtliche Ideen-schmiede für eine künftige Neuordnungaller europäischen Völker unter beson-derer Berücksichtigung ihres biokultu-rellen und heidnisch-religiösen Erbes“sein. Das Thule-Seminar e. V. betrieb –neben seiner umfangreichen Home -page – unter anderem den EigenverlagAhnenrad der Moderne und den Buch-und Kunstversanddienst Ariadne.

Das Thule-Seminar e. V. versteht sich alsideologische Denkschule mit elitäremSelbstverständnis und verbreitet vor al-lem in Publikationen und im Internet ag-gressive völkisch-rassistische Texte. AlsIdeologe, Ideengeber und auch Vor-tragsredner versucht Krebs, Wirkung inrechtsextremistischen Kreisen zu erzie-

len. Bereits Anfang der 1980er Jahreverwendete er den gegenwärtig vor al-lem von der IB gebrauchten Begriff „Eth-nopluralismus“. „Für den Extremfall, daßWesteuropa hoffnungs- und heillosdurch den mörderischen Globalismusund die rassische Durchmischung zurAuflösung gebracht wird“, strebt Krebsdas rein biologistisch-rassistische undan der nationalsozialistischen Ideologieorientierte Ziel an, jetzt ein „genetischesReservoir zu schaffen“. (Schreibweise wieim Original.)

Im Mai durchsuchte die Polizei im Rah-men eines von der StaatsanwaltschaftKassel geführten Ermittlungsverfahrenswegen des Verdachts der Volksverhet-zung Räumlichkeiten der in Hessen undNordrhein-Westfahlen ansässigen dreiVorstandsmitglieder des Thule-Seminarse. V. Gegenstand der Ermittlungen wardie Veröffentlichung „Mars Ultor 2016 –Leitthema Volksgemeinschaft. Der Ta-schenbuchplaner der Avantgarde“.

Die Publikation war 2016 von der Bun-desprüfstelle für jugendgefährdendeMedien (BPjM) auf Anregung des BfV in-diziert worden (Bundesanzeiger AT 29.Juli 2016 B 11). Der Taschenbuchkalen-der reize „an zahlreichen Stellen zumRassenhass insbesondere gegenüberFlüchtlingen, Asylsuchenden und Men-schen ausländischer Herkunft“ an. DerInhalt des Taschenbuchkalenders sei ge-eignet, Kinder und Jugendliche sozial-ethisch zu desorientieren. Außerdemverherrliche und verharmlose der Ta-schenbuchkalender den Nationalsozia-lismus. Adolf Hitler werde glorifiziertund rehabilitiert. Dieser habe sich, so

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der Text in „Mars Ultor 2016“, „imDienste Deutschlands, ja letztlich wohlauch Europas, vollständig aufgerieben“.

Bewertung/Ausblick

Das Aktivitätsniveau, insbesondere desAKK, ist im Berichtsjahr zurückgegan-gen, die Gesamtzahl der Neonazis inHessen in etwa konstant geblieben.

Wie sich gezeigt hat, etablierten sichjährlich stattfindende Sportveranstaltun-gen, um auf der Basis eines sportlichenZusammenkommens – ob als Zuschaueroder als Teilnehmer – eine Bühne zurVerherrlichung der rechtsextremisti-schen Ideologie und szeneinternen Ver-netzung zu schaffen. Durch derartige„Schoppenturniere“ und Fußballturnierehaben Rechtsextremisten eine weitere

Form von Zusammenkünften gefunden,die in der Öffentlichkeit zunächst als„harmlos“ wahrgenommen werdenkönnte. Auch wenn hier offensichtlichsportliche Betätigungen mit Fußballtur-nieren stattfinden sollen, werden derar-tige Zusammenkünfte zum regen Aus-tausch und zur Verbreitung derrechtsextremistischen Botschaften ge-nutzt. Aufgrund der mitunter hohen Teil-nehmerzahl solcher Veranstaltungenstehen diese auch in Zukunft in beson-derem Maße im Fokus der Beobachtungdurch den Verfassungsschutz.

Neonazi-Gruppierungen werden weiter-hin versuchen, sich zu vernetzen. Das In-ternet wird auch in Zukunft das heraus-ragende Mittel sein, mit dem Neonazisvor allem fremdenfeindliche Propa-ganda verbreiten.

Rechtsextremistische Parteien

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Definition/Kerndaten

Die NPD vertritt nationalistische, völki-sche und revisionistische Positionen.Insgesamt weist ihre Programmatikeine ideologische und sprachlicheNähe zur Nationalsozialistischen Deut-schen Arbeiterpartei (NSDAP) im „Drit-ten Reich“ (1933 bis 1945) auf. Den ver-fassungsfeindlichen Charakter der NPD

hat das Bundesverfassungsgericht inseinem Urteil vom 17. Januar 2017 fest-gestellt.

Während die NPD in der zweiten Hälfteder 1960er Jahre in bis zu sieben west-deutschen Landesparlamenten vertre-ten war, verlor sie in den folgenden

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Jahren an Bedeutung. Seit der Wieder-vereinigung 1989/90 nahm aber ihrelokale und regionale Verankerung, vorallem in damals wirtschaftlichschlechter gestellten Gebieten imOsten Deutschlands, teilweise wieder

zu. Nachdem sie seit 2004 bzw. 2006 inden Landtagen von Sachsen und Meck-lenburg-Vorpommern vertreten war, istsie inzwischen in keinem Landesparla-ment mehr präsent.

Ereignisse/Entwicklungen

Der NPD-Landesverband Hessen warwie in den Vorjahren nur sehr einge-schränkt handlungsfähig. Wenige Kreis-verbände waren aktiv und traten wiezum Beispiel die Kreisverbände Lahn-Dill und Wetterau auch öffentlich in Er-

scheinung. Agitationsschwerpunktewaren nach wie vor die Themen „Asyl“,„Flüchtlinge“ und „Innere Sicherheit“,mit denen die NPD bevorzugt im Inter-net und sozialen Netzwerken ihre Ideo-logie verbreitete.

Beteiligung an der Bundestagswahl |Am 3. Juni eröffnete die NPD in Hessenmit einer Rednerveranstaltung in Büdin-gen (Wetteraukreis) ihren Wahlkampfzur Bundestagswahl am 24. September.Das entsprechende Motto lautete „Un-sere Heimat schützen – NPD unterstüt-zen!“ Mit einer elf Personen (2013: fünf)umfassenden Landesliste und Direkt-kandidaturen in sechs von 22 hessischen

Wahlkreisen (Lahn-Dill, Gießen, Fulda,Main-Kinzig – Wetterau II – Schotten,Wetterau I und Hanau) trat die Partei zurWahl an (2013 waren es 19 Direktkandi-daten in den 22 Wahlkreisen).

Nach einem überwiegend regional be-grenzten und zeitweise mit der Unterstüt-zung von Bundesvorstandsmitgliederngeführten Wahlkampf (Informations-

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Gründung: 1964

Landes-vorsitzender:

Jean-Christoph Fiedler

Bundes-vorsitzender:

Frank Franz (Saarland)

Mitglieder: In Hessen etwa 250, bundesweit etwa 4.500

Jugend-organisation:

Junge Nationaldemokraten (JN)

Medien (Auswahl):

Deutsche Stimme (DS, Erscheinungsweise monatlich), Internetpräsenzen

Logo der NPD

Logo der JN

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stände, Lautsprecherfahrten und Flug-blattverteilungen), erzielte die NPD ge-mäß dem endgültigen Endergebnis bun-desweit 0,4 Prozent (= 176.020 derZweitstimmen) und verlor damit gegen-über der Wahl 2013 0,9 Prozentpunkte.

Hessenweit kam die NPD ebenfalls auf0,4 Prozent (= 11.904 der Zweitstimmen)und verlor gegenüber dem letzten Bun-destagswahlergebnis in Hessen 0,7 Pro-

zentpunkte. Bei den Erststimmen erhieltdie NPD sowohl bundesweit (= 45.169)als auch in Hessen (= 4.423) 0,1 Prozentund verlor damit 1,4 bzw. 1,1 Prozent-punkte.

In der unten stehenden Tabelle werdendie hessenbezogenen Wahlergebnisseder NPD – absteigend geordnet nachdem Ergebnis der Zweitstimmen in Pro-zent – aufgeführt.

Wahlkreis-nummer

WahlkreisZweitstim-men-Anzahl

Zweitstimmenin Prozent

Differenz zu2013 in Pro-zent-Punkten

175Main-Kinzig – Wet-terau II – Schotten

1.249 0,9 -1,2

172 Lahn-Dill 897 0,6 -1,0

177 Wetterau I 811 0,6 -0,9

173 Gießen 751 0,5 -0,8

170 Schwalm-Eder 652 0,5 -0,7

180 Hanau 636 0,5 -1,0

169Werra-Meißner –Hersfeld-Roten-burg

608 0,5 -1,1

174 Fulda 663 0,4 -1,0

188 Bergstraße 545 0,4 -0,7

187 Odenwald 624 0,3 -0,8

178Rheingau-Taunus –Limburg

443 0,3 -0,7

167 Waldeck 442 0,3 -0,5

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Zum Ausgang der Bundestagswahl er-klärte das Parteipräsidium in Berlin:

„Der bundesweite Stimmenanteil von0,4 Prozent für die NPD ist enttäuschendund hat unser Wahlziel untertroffen. DieAfD hat alles aufgesogen, was möglichwar, weil es momentan eben angesagtist, bei dem vor allem auch von den Me-dien inszenierten ,Hype‘ dabei zu sein.“

Die NPD müsse, so die Erklärung des Par-teipräsidiums, wenn sie noch einen poli-tischen Auftrag haben wolle, „sich radikalals soziale und nationale außerparlamen-tarische Opposition präsentieren, die diePolitik der AfD und der Linken im Blickhaben“ werde. Die NPD müsse „vor allem

auf die AfD Druck“ ausüben, „indem wirkonsequent unsere unverhandelbarenPositionen präsentieren, damit diese ge-zwungen ist, das Meinungsspektrum inunserem Sinne zu erweitern“.

Zeitgleich zur Bundestagswahl kandi-dierte der NPD-Funktionär Thomas Han-tusch bei der Bürgermeisterwahl derStadt Leun (Lahn-Dill-Kreis) und erreichteim ersten Wahlgang 4,6 Prozent (= 155Stimmen).

Aktivitäten der JN | Wie bereits in denvergangenen Jahren verfügten die JN inHessen nur über eine marginale Anzahlaktiver Mitglieder, sodass sie sich auchim Berichtsjahr bemühten, neue Aktivis-

56 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

Wahlkreis-nummer

WahlkreisZweitstim-men-Anzahl

Zweitstimmenin Prozent

Differenz zu2013 in Pro-zent-Punkten

185 Offenbach 429 0,3 -0,8

168 Kassel 417 0,3 -0,5

184 Groß-Gerau 403 0,3 -0,8

176 Hochtaunus 388 0,3 -0,5

171 Marburg 357 0,3 -0,6

186 Darmstadt 450 0,2 -0,5

181 Main-Taunus 337 0,2 -0,4

182 Frankfurt am Main I 315 0,2 -0,5

183Frankfurt am MainII

265 0,2 -04

179 Wiesbaden 222 0,2 -0,5

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Rechtsextremismus 57

ten zu werben. Dabei fand die Öffent-lichkeitsarbeit der JN Hessen vor allemüber soziale Medien wie etwa Facebookstatt. Im Juli wählten die JN in Leun(Lahn-Dill-Kreis) einen neuen Landes-vorstand und bestätigten dabei denLandesvorsitzenden Thassilo Hantuschin seinem Amt.

Am 15. Juni führten JN-Aktivisten inFrankfurt am Main eine „Solidaritäts-kundgebung“ für die in Lyon (Frankreich)zwei Tage zuvor von der Polizeigeräumte Bastion Social durch, die am27. Mai von der rechtsextremistischenStudentenorganisation Groupe UnionDéfense (GUD) besetzt worden war.Hierzu hieß es im Internet:

„Damit nimmt der Staat jungen undalten Franzosen einen Freiraum für kul-turelle und soziale Entfaltung fern vonkapitalistischen Normen und Verwer-tungszwängen. Die Bastion Social botUnterschlupf für Bedürftige, verteileSpeisen und Sachspenden […]. DieserÜberfall eines Staates auf sein eigenesVolk wird nicht der letzte sein […]. Spar-maßnahmen und asoziale Wirtschafts-und Arbeitsmarktreformen der Herr-schenden machen den Widerstand in al-len europäischen Ländern notwendigerdenn je. Statt dem sozialen Verfall ent-gegenzuwirken, rüstet die Elite auf undsetzt die eigenen Interessen notfalls mitGewalt gegen das eigene Volk durch.Werde auch du Teil der aktiven, revolu-tionären und völkischen Jugendbewe-gung!“ (Schreibweise wie im Original.)

Offensichtlich in Anlehnung an die Vor-stellungen der GUD in Frankreich führ-

ten Aktivisten im Rahmen der vom JN-Bundesverband organisierten Kampa-gne „Jugend packt an. Du – ich – wir“auch in Hessen Aktionen durch. Auf derentsprechenden Homepage hieß es,dass „doch besonders die Hilfsbedürfti-gen in unserem Volk Degradation undAusgrenzung“ erführen:

„Mieten, Strom- und Gaspreise, diktiertvon riesigen, privaten Konzernen, zwin-gen unsere Landsleute immer weiter indie Knie, während sich die Politbonzenund Börsenspekulanten an ihren reichgedeckten Tischen fett fressen.“

Unter dem Motto „Hier gilt es, Taten stattWorte sprechen zu lassen!“ wurden inHessen im November laut einem Face-book-Eintrag „Kleider, Decken und an-dere Spenden an die deutschen Ob-dachlosen in Frankfurt am Main verteilt“.Dazu hieß es im Internet:

„Gerade in den Großstädten sehen sichBedürftige einem sich zuspitzenden Kon-kurrenz- und Verdrängungskampf durchMigranten und ausländische Bandenausgesetzt. […] An den Ausgabestellenfür Kleidung und Nahrungsmittel, aberauch in den Heimen für Obdachlose unddie von der Stadt im Winter geöffnetenBahnhofshallen, haben ebenfalls auslän-dische Clans durch Gewalttaten einKlima der Angst geschaffen und diedeutschen Bedürftigen so zum Großteilin andere Gebiete verdrängt. Wir sehenuns jenen Deutschen verpflichtet, die un-ter den sich immer weiter verschlech-ternden Zuständen leiden und unver-schuldet in die Armut oder sogar dieObdachlosigkeit gerutscht sind.“

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Kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburgbrachten am 5. Juli mehrere Aktivisten ander Autobahn bei Wiesbaden ein Plakatmit der Aufschrift „G20 Stoppen – JungeNationalisten“ an und brannten Pyro-technik ab. Weitere Plakate und Pyro-technik wurden polizeilich sichergestellt.

Beispiele für die fremdenfeindliche Agi-tation der JN und zugleich für ihren Ak-tionismus sind Vorfälle am 31. Juli in denS-Bahnhöfen von Hofheim am Taunus,Hattersheim am Main (beide Main- Taunus-Kreis) und Niedernhausen(Rheingau-Taunus-Kreis). Dort wurdenunter anderem tatorttypische Leichen-skizzen/Umrisszeichnungen auf den Bö-den angebracht und mit Ketchup alsBlutsymbol beschmiert. In einem Fallwurde eine ausgestopfte Puppedrapiert. Auf Flyern und Plakaten hieß es„Multikulti tötet!“ und „Tatort Multikulti“.

Entstehung/Geschichte

Bündelung rechtsextremistischer Kräfteals Ziel | Mit der Gründung der NPD1964 in Hannover (Niedersachsen) soll-ten die zersplitterten Kräfte des rechtsex-tremistischen Lagers in der Bundesrepu-blik in einer Partei gebündelt werden.Der Großteil des Führungskaders derNPD bestand zunächst aus ehemaligenMitgliedern der NSDAP. Aus dem Verbotder Sozialistischen Reichspartei (SRP)1952 durch das Bundesverfassungsge-richt zog die NPD den Schluss, sich umden Anschein von Legalität zu bemühenund eine öffentliche Verherrlichung desNationalsozialismus weitgehend zu un-terlassen. Diese Strategie trug dazu bei,dass die NPD bei der Bundestagswahl

1965 2 Prozent (= 664.193 der Zweitstim-men) erreichte. Zwischen 1966 und 1968zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen,Niedersachsen, Rheinland-Pfalz undSchleswig-Holstein ein. Die Mitglieder-anzahl stieg, wobei auf sämtlichen Partei-ebenen etwa 20 Prozent der Mitgliedereine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen.Ursache für den damaligen Auftrieb fürdie NPD waren zum Beispiel das Beste-hen einer nur kleinen Opposition gegen-über der ersten Großen Koalition (1966bis 1969), die konjunkturelle Schwächein Deutschland und damit verbundeneVerlustängste in der Bevölkerung.

Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent(= 1.422.010 der Zweitstimmen) relativknapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In derFolge führten unter anderem die innereZerstrittenheit der Partei, eine sich all-mählich bessernde wirtschaftliche Lagesowie die kritische Berichterstattung inden Medien über Ausschreitungen imZusammenhang mit NPD-Mitgliedern zueiner langjährigen Krise der Partei. Wei-tere interne Streitigkeiten über die pro-grammatische Ausrichtung, der starkeRückgang der Mitgliederzahlen, der öf-fentliche Skandal um die Leugnung desHolocausts durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis1995) und das Auftauchen konkurrieren-der rechtsextremistischer Parteien ze-mentierten die Krise der NPD bis in die1990er Jahre hinein.

„Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ost-deutschland | Mit der Wahl Udo Voigtszum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996

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Rechtsextremismus 59

steigerte die NPD vor allem in denneuen Ländern ihre Mitgliederzahl underneuerte neben Organisation und Stra-tegie auch ihre Programmatik. Das neue„Drei-Säulen-Konzept“ enthielt folgendePunkte: „Kampf um die Köpfe“, „Kampfum die Straße“ und „Kampf um die Par-lamente“. 2004 kam der „Kampf um denorganisierten Willen“ hinzu.

Im Zuge ihres „Kampfs um die Straße“öffnete sich die NPD vor allem gegen-über rechtsextremistischen Skinheadsund Neonazis. Umgekehrt näherten sichdiese der NPD an. Nach dem Scheiterndes NPD-Verbotsverfahrens 2003 setztedie Partei ihre Politik der Annäherung andie Neonazi-Szene fort und kon -zentrierte ihre Aktivitäten zunehmendauf Ostdeutschland. 2004 und 2006 zogdie NPD in die Landtage von Sachsenund Mecklenburg-Vorpommern ein. Inbeiden Landtagen ist sie inzwischennicht mehr vertreten.

Konzept der „seriösen Radikalität“ | Hol-ger Apfel, der 2011 gewählteNachfolger Udo Voigts als Bundesvorsit-zender, wollte mit seinem Konzept der„seriösen Radikalität“ die NPD aus derKrise führen, in die sie unter anderemdurch eine Reihe von Niederlagen beiLandtagswahlen sowohl im Osten alsauch im Westen Deutschlands geratenwar. Offensichtlich aus persönlichenGründen legte Apfel 2013 sein Amt alsBundesvorsitzender nieder und trat ausder Partei aus. Vorübergehend über-nahm sein Stellvertreter Udo Pastörs dieFührung, bis im November 2014 FrankFranz, vorher Pressesprecher der Partei,zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt

wurde. Zuvor war die NPD im September2014 bei den Landtagswahlen in Thürin-gen, Brandenburg und Sachsen an derFünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit demVerlust der staatlichen Teilfinanzierungnach dem Ausscheiden aus dem Sächsi-schen Landtag und der damit verbunde-nen Einbuße von Mitarbeitern verlor dieNPD eine wesentliche Grundlage ihrerbundesweiten politischen Arbeit.

Politische Bedeutungslosigkeit | Seit derLandtagswahl in Sachsen verlor die NPDbei weiteren Wahlen auf Landes- undBundesebene kontinuierlich Stimmen.Im Berichtsjahr erhielt sie bei den Land-tagswahlen im Saarland am 26. März 0,7Prozent (= minus 0,5 Prozentpunkte) so-wie in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai0,3 Prozent (= minus 0,3 Prozentpunkte).In Bezug auf einen „TV-Spot der NPD zurBundestagswahl“ 2017 hieß es entspre-chend auf der Internetseite der Partei:

„Gleichzeitig gilt es festzustellen, daßder Wähler von unserem Angebot nichtim gewünschten – und für unser Landwünschenwerten – Maße Gebrauchmacht. Viele, allzu viele Deutsche erlie-gen immer noch der Hetze und Desinfor-mation der Etablierten – oder sind widerbesseres Wissen schlichtweg zu feige, ihrStimmkreuz bei der NPD zu machen.“(Schreibweise wie im Original.)

Ideologie/Ziele

Überwindung des „Systems“ | Die NPDsteht für Antiparlamentarismus und An-tipluralismus. Sie wendet sich mit ihrerfremdenfeindlichen, rassistischen undantisemitischen Programmatik offen ge-

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gen die freiheitliche demokratischeGrundordnung. Die NPD will die parla-mentarische Demokratie von innen he-raus, das heißt mittels Parteiarbeit, ab-schaffen. Die NPD will die politische undgesellschaftliche Ordnung der Bundes-republik Deutschland, von der Partei inAnlehnung an die Sprache des National-sozialismus als rein machtorientierteHerrschaft der „Systemparteien“ diffa-miert, durch eine ethnisch homogene„Volksgemeinschaft“ ersetzen. Solidaritätsoll nur „ethnischen Deutschen“ zuteil-werden. So heißt es im Parteiprogramm:

„Der ethnischen Überfremdung Deutsch -lands durch Einwanderung ist genausoentschieden entgegenzutreten wie derkulturellen Überfremdung durch Ameri-kanisierung und Islamisierung.“

Diejenigen, die in den Augen der NPD„Fremde“ sind, grenzt sie aus. So seien

„Ausländer […] aus dem deutschen So-zialversicherungswesen auszugliedernund einer gesonderten Ausländersozial-gesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprü-chen hat sie auch dem Rückführungsge-danken Rechnung zu tragen. […] Asyl -bewerber haben keinen Anspruch aufSozialleistungen.“

„Solidargemeinschaft aller Deutschen“,Islamfeindlichkeit und Antisemitismus |Der Globalisierung will die NPD begeg-nen, indem sie das bestehende„System“ durch eine „Solidargemein-schaft aller Deutschen“ ersetzt. Darüberhinaus werden Muslime diffamiert. Auchantisemitische Positionen sind in der

NPD verbreitet. Die Partei vertritt zwarkeine offen antisemitische Programm-atik, sie streut aber entsprechende Vor-urteile.

Strukturen

Eine 2010 vorgenommene Neugliede-rung des Landesverbands in zwei Unter-bezirks- und elf Kreisverbände erfor-derte bereits 2015 eine erneuteModifizierung. Es erfolgte eine Umge-staltung zu nun sechs Bezirksverbänden(Nordhessen, Osthessen, Mittelhessen,Wetterau-Kinzig, Rhein-Main und Süd-hessen).

Auf den ersten Blick scheint die NPD flä-chendeckend vertreten zu sein. Die Um-strukturierung in größere Bezirksver-bände macht jedoch deutlich, dass fürfeingliederige Strukturen das notwen-dige Personal fehlt. Die tatsächlich vor-handenen Strukturen sind in weiten Tei-len Hessens nur schwach ausgeprägt.

Kein Verbot der NPD

Mit Urteil vom 17. Januar 2017 lehntedas Bundesverfassungsgericht den An-trag des Bundesrats vom 3. Dezember2013 – Hessen hatte sich der Stimmeenthalten – einstimmig als unbegründetab, die NPD und ihre Teilorganisationenfür verfassungswidrig zu erklären undaufzulösen.

Eindeutige Verfassungsfeindlichkeit derNPD | Das Bundesverfassungsgerichtstellte fest, dass die NPD ein auf die Be-seitigung der freiheitlichen demokrati-schen Grundordnung gerichtetes politi-

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sches Konzept vertritt. Sie will die beste-hende Verfassungsordnung durch einenan der ethnisch definierten „Volksge-meinschaft“ ausgerichteten autoritärenNationalstaat ersetzen. Das politischeKonzept der NPD missachtet die Men-schenwürde und ist mit dem Demokra-tieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitetplanvoll und mit hinreichender Intensitätauf die Erreichung ihrer gegen die frei-heitliche demokratische Grundordnunggerichteten Ziele hin.

Aktuell keine Überwindung der freiheit-lichen demokratischen Grundordnungin Aussicht | Für ein Verbot muss sicheine Partei nicht nur durch aktives undplanvolles Handeln für ihre verfassungs-feindlichen Ziele einsetzen und auf dieBeeinträchtigung oder Beseitigung derfreiheitlichen demokratischen Grund-ordnung hinwirken. Es müssen darüberhinaus konkrete Anhaltspunkte von Ge-wicht vorliegen, die es zumindest mög-lich erscheinen lassen, dass das Handelnder Partei erfolgreich sein kann. Lässtdas Handeln einer Partei dagegen nichtauf die Möglichkeit des Erreichens ihrerverfassungsfeindlichen Ziele schließen,bedarf es keines präventiven Schutzesder Verfassung durch ein Parteiverbot.

Bei der NPD steht, so die Überzeugungdes Bundesverfassungsgerichts, wedereine erfolgreiche Durchsetzung ihrerverfassungsfeindlichen Ziele im Rahmender Beteiligung am Prozess der politi-schen Willensbildung in Aussicht, nochist der Versuch einer Erreichung dieserZiele durch eine der Partei zurechenbareBeeinträchtigung der Freiheit der politi-schen Willensbildung in hinreichendem

Umfang feststellbar. Auf Einschüchte-rung und Bedrohung, wie sie von derNPD ausgehen mag, sowie auf den Auf-bau von Gewaltpotenzialen im Umfeldder Partei muss mit den Mitteln desStrafrechts rechtzeitig und umfassendreagiert werden.

Keine Verstöße gegen die Staatsfreiheitund den Grundsatz des fairen Verfah-rens | Der antragstellende Bundesrathat, so das Bundesverfassungsgericht,weder das Gebot strikter Staatsfreiheitverletzt noch gegen den Grundsatz desfairen Verfahrens verstoßen. Der Antrag-steller hatte alle verdeckt eingesetztenPersonen auf den Führungsebenen derNPD spätestens zum Zeitpunkt des Be-kanntmachens der Absicht, einen Ver-botsantrag zu stellen, abgeschaltet undeine informationsgewinnende Nach-sorge unterlassen. Auch lag kein Verstoßgegen den Grundsatz des fairen Verfah-rens vor, da zur Überzeugung des Bun-desverfassungsgerichts feststeht, dassdie Prozessstrategie der NPD nicht mitnachrichtendienstlichen Mitteln ausge-späht wurde und auch keine zufällig mitnachrichtendienstlichen Mitteln erlang-ten Erkenntnisse über die Prozessstrate-gie im laufenden Verbotsverfahren zumNachteil der Antragsgegnerin verwandtwurden.

Bewertung/Ausblick

Mit nur 0,4 Prozent der Zweitstimmenbei der Bundestagswahl verfehlte dieNPD eine weitere Teilhabe an der staat-lichen Teilfinanzierung, die das Errei-chen von mindestens 0,5 Prozent erfor-dert. Da die Finanzlage der Partei seit

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Jahren angespannt ist, dürfte der Weg-fall der staatlichen Mittel negativeFolgen für die Bundespartei haben. Fürdie NPD in Hessen sieht dies anders aus,weil sie bei der Landtagswahl 2013 1,1Prozent der Zweitstimmen erreichte undsomit nicht von der staatlichen Teilfinan-zierung des Landes Hessen ausge-schlossen ist.

Sowohl das bundesweite als auch dashessische Ergebnis der Bundestagswahlzeigen, dass die NPD politisch nur einemarginale Rolle spielt. Auch innerhalbdes rechtsextremistischen Spektrumshat sie kaum Bedeutung. Der bereits seit

etlichen Jahren angestrebte strukturelleund personelle Neuaufbau des Landes-verbands in Hessen zeichnet sich auchunter dem seit 2015 amtierenden Vorsit-zenden Jean-Christoph Fiedler nicht ab.

Vereinzelte Mandatsgewinne bzw. punk-tuelle Erfolge bei Kommunal- und Bür-germeisterwahlen sind auch in Zukunftnicht auszuschließen. Zu flächendecken-den Wahlerfolgen wird die NPD vordem Hintergrund der gegenwärtigenpersonellen, organisatorischen und fi-nanziellen Schwäche jedoch kaum inder Lage sein.

Der Dritte Weg/Der III. Weg

Definition/Kerndaten

Der Dritte Weg ist eine rechtsextremis-tische Partei, die ein völkisch-antiplura-listisches Menschen- und Gesellschafts-bild propagiert. Die Partei begreift sichals „national“, „revolutionär“ und „so-zialistisch“. In der im Berichtsjahr er-schienenen Broschüre „National, Revo-lutionär, Sozialistisch“ wird unter demBegriff „Revolution“ ein „grundlegen-der, allumfassender, systematischer undnachhaltiger Wandel, die Durchdrin-gung der Politik und der Gesellschaftmit unserer Weltanschauung“ als Zielformuliert. Eine solche Revolution sei

nicht mit Waffengewalt zu erzwingen,wenngleich es notwendig sein könne,dass „einige Scheiben“ zerbrächen,wenn es gelte, das deutsche Volk „inseiner ethnischen Existenz zu sichern“und eine „Jahrtausende umfassendeHochkultur zu retten“. Unter den Partei-mitgliedern, die überwiegend demneonazistischen Spektrum ent stam -men, befinden sich Personen aus demUmfeld der verbotenen GruppierungFreies Netz Süd (FNS), der völkisch ge-prägten Neonazi-Szene sowie frühereMitglieder der NPD.

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Ereignisse/Entwicklungen

Wie in den Vorjahren stand die Asyl-und Flüchtlingspolitik im Mittelpunktder Agitation des Dritten Wegs. Dabeitraten typisch rechtsextremistische Ar-gumentationsmuster hervor. Bezügezum Nationalsozialismus zeigten sichanlässlich des „Heldengedenkens“ amehemaligen Grab des Hitler-Stellvertre-ters Rudolf Hess in Wunsiedel (Bayern).

Agitation gegen Asyl- und Flüchtlings-politik | In Beiträgen im Internet bezeich-nete Der Dritte Weg Flüchtlinge pau-schal als „Art- und Kulturfremde“ undschrieb unter der Überschrift „Die Asyl-flut bringt uns die Krätze zurück“: „Vieleder illegal in die BRD Eingewandertenbringen die fast ausgerottet geglaubtenKrankheiten nach Europa zurück und be-reichern uns auch in diesen Bereichen.“

Angehörige des Dritten Wegs verteil-ten nicht nur asylfeindliche Flugblätter,sondern auch zu „Ausreisebötchen anDeutschlandhasser“ geformte Flyer,die sie ebenso „etablierten ,Volks -vertretern‘ aller BRD-Blockparteien“ zu-kommen ließen:

„Mit dieser Aktion sollen Überfrem-dungsbefürworter aus der Deckung ge-holt werden und mit den Folgen für Volkund Heimat konfrontiert werden, aufdass sie ihr Handeln überdenken. WerDeutschland nicht liebt, soll Deutsch-land verlassen!!!“ (Schreibweise wie imOriginal.)

„Nationale Streifen“ | In diesem Zusam-menhang führten Angehörige des Drit-ten Wegs im Berichtsjahr in Fulda (Land-kreis Fulda) mehrfach eine „nationaleStreife“ durch. So gingen im Juni einigeAktivisten in Kleidungsstücken, auf de-nen das Parteilogo sowie „National Revo-lutionär Sozialistisch“ stand, anlässlichdes Stadtfests durch Fulda. Später hießes hierzu auf der Internetseite des DrittenWegs: „In der völlig überfremdeten Stadtin Osthessen, ist gerade bei solchen An-lässen Vorsicht vor fremdländischenStraftätern geboten!“ Zu weiteren „Strei-fengängen“ kam es im November.

„Heldengedenken“ | Aktivisten des Ge-bietsverbands West führten am 12. Märzein „traditionelles Heldengedenken“durch. Das Vorziehen des von Rechtsex-tremisten traditionell im November be-

Bundes-vorsitzender:

Klaus Armstroff (Rheinland-Pfalz)

Stellvertreter: Matthias Herrmann (Hessen)

Sitz: Weidenthal (Rheinland-Pfalz)

Mitglieder: In Hessen etwa 15, bundesweit etwa 500

Medien: Internetpräsenzen

Logo der Partei

Der Dritte Weg

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gangenen „Heldengedenktags“ (so hat-ten die Nationalsozialisten den Volks-trauertag 1934 umbenannt) in den Märzbegründeten die Angehörigen des Drit-ten Wegs mit der Einführung der allge-meinen Wehrpflicht im März 1935 undder Stiftung des Eisernen Kreuzes imMärz 1813.

Mit dem „Heldengedenken“ wollten, soein Beitrag des Dritten Wegs im Internet,„volkstreue Deutsche“ an die „Werte“ er-innern, die „unseren Ahnen Kraft gege-ben haben[,] unbeschreibbare Helden-taten zu vollbringen“. Dies bedeute vorallem, die „Opferkraft unserer Ahnen indas Hier der Jetztzeit zu transformieren.Ihre Saat sei unsere Ernte und auch wirmüssen säen, damit unsere Nachfahrenernten können“. Um „den Verstorbenenvon Stalingrad“ zu gedenken, entzünde-ten Aktivisten des Stützpunkts Wester-wald-Taunus eine Flamme an einem Ge-denkstein in Limburg (LandkreisLimburg-Weilburg).

„Heimat bewahren – für einendeutschen Sozialismus“ | Am 26. Augustführte Der Dritte Weg in Fulda (LandkreisFulda) unter dem Motto „Heimat bewah-ren – für einen deutschen Sozialismus“eine Demonstration durch, an der etwa100 Personen aus dem übrigen Bundes-gebiet teilnahmen. Dabei zeigten sie Pla-kate und Banner mit den Themen „Asyl-flut stoppen!“ und „Heimat bewahren!Deutscher Sozialismus jetzt“. Zuvorhatten die Demonstranten an kurzfristigangemeldeten Kundgebungen in BadHersfeld (Landkreis Hersfeld-Rotenburg),Alsfeld (Vogelsbergkreis) und Schwein-furt (Bayern) teilgenommen.

„Heimatvertriebenen-Aktionstag“ | Indem „Themenflugblatt ,Deutschland istgrößer als die BRD!‘“ forderte Der DritteWeg die „Erringung der Freiheit allerDeutschen innerhalb und außerhalb dergegenwärtigen deutschen Teilstaaten“und behauptete, eine „friedliche Wie-derherstellung Gesamtdeutschlands inseinen völkerrechtlichen Grenzen“ anzu-streben, was mit einer „Wiederherstel-lung der Handlungsfähigkeit des Deut-schen Reiches“ einhergehen solle. Umdiese für den Rechtsextremismus typi-schen revisionistischen Positionen zu be-kräftigen und um auf das „Schicksal derdeutschen Vertriebenen“ aufmerksamzu machen, führte die Partei am 10. Sep-tember unter dem Motto „Verzicht istVerrat“ einen „Heimatvertriebenen-Akti-onstag“ durch.

Bundesweit versammelten sich Aktivis-ten des Dritten Wegs an Vertriebenen-Denkmälern und legten Kränze ab bzw.stellten Kerzen auf, so auch in mehrerenOrten in Hessen: Villmar (Landkreis Lim-burg-Weilburg), Frankenberg (LandkreisWaldeck-Frankenberg), Fulda (LandkreisFulda), Herborn, Aßlar, Atzbach, Wetzlar(Lahn-Dill-Kreis), Usingen (Hochtaunus-kreis), Kassel sowie im Kreis Groß-Gerauund an der Bergstraße.

Parteitag | Während des „Gesamtpartei-tags“, der am 30. September stattfand,wurde Klaus Armstroff (Rheinland-Pfalz)als Parteivorsitzender bestätigt. Anstelledes aus Hessen stammenden bisherigenstellvertretenen Parteivorsitzendenwurde der dem mitgliederstarken Ge-bietsverband Mitte (Thüringen, Sachsen,Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin)

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zuzurechnende Matthias Fischer in dieseFunktion gewählt. Mehr als „200 Mitglie-der, Förderer und Interessenten“ sollennach Angaben des Dritten Wegs an derVeranstaltung teilgenommen haben.

„Tag der Gemeinschaft“ | Im Anschlussan den „Gesamtparteitag“ fand zum drit-ten Mal der „Tag der Gemeinschaft“ un-ter dem Motto „Jugend im Sturm“ statt.Hauptredner waren Matthias Fischerund „Sebastian Räbiger, der bis zur Ver-botsverfügung am 31. März 2009 als,Bundesführer‘ der Heimattreuen Deut-sche Jugend agierte“. Letzterer schil-derte, „wie nationale Erziehung und Ju-gendarbeit […] auszusehen hat und wiediese vor allem auch in den Alltag einerFamilie vor- und erlebt werden sollte“.Um zu verdeutlichen,

„daß nationaler Freiheitskampf mehr istals nur an Demonstrationen teilzuneh-men, führte ein sächsischer StützpunktSelbstverteidigungstechniken vor, wel-che allen Teilnehmern nochmals die not-wendige Wehrhaftigkeit vor Augenführte.“ (Schreibweise wie im Original.)

Darüber hinaus gab es „Volkstanz für je-dermann“, einen „Jungautorenwettbe-werb“ sowie den Auftritt eines „Lieder-machergespanns aus Thüringen“. DiePartei erklärte:

„Die drei Säulen unserer Bewegung –der politische Kampf, der kulturelleKampf und der Kampf um die Gemein-schaft – sollen nicht bloße Lippenbe-kenntnisse darstellen, sondern aktiverAusdruck unseres gesamtheitlichenWollens [sein].“

Kontakte zu nationalistischen Gruppie-rungen im Ausland | Eine Gruppe von Ak-tivisten des Dritten Wegs nahm im Okto-ber am sogenannten Marsch der Nationin Kiew (Ukraine) teil, an dem rund20.000 Personen teilgenommen habensollen. Im Zuge der Reise wurde eine De-legation der Partei zudem vom ukraini-schen Azov-Bataillon empfangen.Hierbei handelt es sich um eine parami-litärische Einheit, die in der Ukraine amKampf gegen pro-russische Separatistenbeteiligt ist.

„Heldengedenken“ | Vor allem Angehö-rige des Dritten Wegs nahmen am 18.November in Wunsiedel (Bayern) an ei-ner Demonstration mit etwa 200 Perso-nen teil, um ihre „tiefe Dankbarkeit undHochachtung vor den Leistungen ausder Vergangenheit“ zu artikulieren.Gleichzeitig sei dies ein „lebensbejahen-des Bekenntnis dazu, das Erbe aufzu-nehmen und weiterzutragen, sodass derFortbestand unseres Volkes auch zu-künftig gesichert“ sei. Offensichtlich inAnspielung auf den „Stellvertreter desFührers“, Rudolf Hess, dessen mittler-weile aufgelöstes Grab sich inWunsiedel befand, sprach Der DritteWeg im Internet vom „Heldengedenkenin der Märtyrerstadt“.

Entstehung/Geschichte

Die Partei Der Dritte Weg wurde am 28.September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Nach undnach gründeten sich verschiedene län-derübergreifende Stützpunkte, unter an-derem auch der Stützpunkt Wester-wald/Taunus, der im Wesentlichen den

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Landkreis Limburg-Weilburg und denLahn-Dill-Kreis sowie angrenzendeLandkreise in Rheinland-Pfalz und Nord-rhein-Westfalen umfasst. Seit ihrer Grün-dung führte die Partei vor allem De-monstrationen, „Heldengedenkfeiern“und gegen Flüchtlinge und die Flücht-lingspolitik gerichtete Flugblattverteil -aktionen durch bzw. veröffentlichte entsprechende Verlautbarungen im In-ternet.

Auf Landesebene nahm die Partei bis-lang lediglich in Rheinland-Pfalz an derLandtagswahl am 13. März 2016 teil, er-reichte jedoch mit 1.944 Zweitstimmen(= 0,1 Prozent) weniger Stimmen, als sieim Vorfeld an Unterstützungsunterschrif-ten (2.040) erhalten hatte.

Ideologie/Ziele

„Zehn-Punkte-Programm“ | In seinem„Zehn-Punkte-Programm“ nennt DerDritte Weg als sein Ziel die „Schaffung ei-nes Deutschen Sozialismus, fernab vonausbeuterischem Kapitalismus wiegleichmacherischem Kommunismus“.Kinderreiche Familien sollen „zur Ab-wendung des drohenden Volkstodes“gefördert werden, für „Kindermord undandere Kapitalverbrechen“ fordert diePartei die Einführung der Todesstrafe. Einweiteres Ziel besteht in der „Erhaltungund Entwicklung der biologischen Sub-stanz des Volkes“. Darüber hinaus enthältdas „Zehn-Punkte-Programm“ die ge-schichtsrevisionistische Forderung nachder „friedliche[n] Wiederherstellung Ge-samtdeutschlands in seinen völkerrecht-lichen Grenzen“.

„National, sozialistisch und revolutio-när“ | Gemäß seinem 2015 im Internetveröffentlichten „Selbstverständnis“ be-greift sich Der Dritte Weg als „national“,„revolutionär“ und „sozialistisch“:

„Denn nur diese drei Begriffe zusam-mengefasst ergeben eine ganzheitlicheWirkung, welche das politische, das wirt-schaftliche, das soziale und das geistigeLeben zu einer Synthese zusammen-führt“.

Ausführlich erläuterte Der Dritte Wegdie Begriffe in seiner 2017 erschienenenBroschüre „National, Revolutionär, So-zialistisch“.

Nationalismus | Den Nationalismus de-finiert die Partei als die „politische Idee,die die Interessen und das Überlebendes eigenen Volkes in den Mittelpunktaller Betrachtungen und Entscheidun-gen“ rücke. Der „echte Nationalismus“brauche stets eine „völkische Kompo-nente“, und das „Blut ist der Schlüsselzum Verständnis der volkseigenenKultur und der Seele des völkischen Le-bens“. Das Volk sei nicht nur eine „Blut-,sondern auch eine Schicksalsgemein-schaft“ und die Nation bilde den „über-geordneten Willen des Volkes“. Im Libe-ralismus verkörpere dagegen der„Einzelne den wichtigsten Wert“, als„geistige Immunschwächekrankheit“habe der Liberalismus den „europäi-sche[n] Mensch[en] auf seine Existenzals Einzelwesen reduziert und seiner Kul-tur, Heimat und Identität beraubt“. In die-sem Kontext sieht sich Der Dritte Weg„unseren kultur- und blutsverwandtenVölkern in Europa verbunden“:

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„Egal ob West- oder Ost-, Süd[-] oderNordeuropa, es sitzen überall die glei-chen Verräter, die gleichen Vertreter desfeigen Bürgertums und die gleichenGeldempfänger des Kapitals in den Par-lamenten. Daher können wir sie garnicht anders als gleichsam hassen undverachten. Wir fiebern jedem Schlag, jajedem Nadelstich, den die verschiede-nen europäischen Bewegungen denvolksfeindlichen Systemen beibringen,entgegen, begeistern uns über jeden Er-folg und verneigen uns vor jedem Totenund jedem Verletzten dieses gesamteu-ropäischen Kampfes.“

Revolution | Als Ziel ihrer Arbeit be-schreibt die Partei Der Dritte Weg die„nationale Revolution“:

„Ein grundlegender, allumfassender,systematischer und nachhaltiger Wan-del, die Durchdringung der Politik undder Gesellschaft mit unserer Weltan-schauung.“

Der liberale Staat müsse durch den au-toritären abgelöst und die „nihilistischeKultur der Moderne durch einevölkische ausgetauscht werden“. Dieswill Der Dritte Weg mittels einer „friedli-chen Revolution“ erreichen, schränkt je-doch ein:

„Doch auch wenn wir unsere Revolutiongewaltlos durchsetzen wollen, lehnenwir dennoch die bürgerliche Auffassung,dass Ruhe und Ordnung die oberste Ma-xime ist, ab. Sofern es notwendig ist,dass einige Scheiben zerbrechen, umnicht nur das deutsche Volk in seinerethnischen Existenz zu sichern, […] so

werden wir dies nicht als Frevel ansehen.Als Revolutionär ist es manchmal nötig,die kleine Ordnung zu verletzen, um diegroße Ordnung zu retten.“

„Nationaler und deutscher Sozialismus“ |Unter „sozialistisch“ versteht Der DritteWeg – im Unterschied zur angeblich reinwirtschaftlichen Definition durch denKommunismus – eine „geistige Lebens-auffassung“, die sich auf der Achtungder Natur und der Umwelt sowie der„sozialen und ökologischen Nachhaltig-keit“ gründe:

„Der Deutsche Sozialismus ist darum derdritte Weg, der des Blutes, gegenüberKommunismus und Kapitalismus, diebeide nur materialistisch sind.“

Vor diesem Hintergrund kritisiert die Partei generell den „Kapitalismus“, ins-besondere die durch ihn angeblich ver-ursachte Ausbeutung und Umweltzer-störung. Der „Überfremdung Europas“durch „Millionen hereinströmender, au-ßereuropäischer ,Migranten‘ […] alsLohndrückerkolonnen und Konkurrenz-masse für den europäischen Arbeiter“sei mit der „Idee unseres Deutschen So-zialismus“ zu begegnen, „indem wir dieGemeinschaft aller Deutschen über dieInteressen jedes Einzelnen oder von Ein-zelgruppen setzen“. Nach dem Sozialis-mus-Verständnis des Dritten Wegs isteine „geistige Wende, die auf alle Le-bensbereiche – damit auch den wirt-schaftlichen – ausstrahlt“, das Ziel. Im Unterschied zum „materialistischenMenschenbild“ des Kommunismuswolle der „Deutsche Sozialismus demArbeiter wieder gesellschaftliches Anse-

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hen verschaffen“. Um dies zu erreichen,sei die „Einführung eines allgemeinen Ar-beitsdienstes der Jugend“ vorgesehen.

Strukturen

Die Partei gliederte sich gemäß ihrerSatzung in die Gebietsverbände Süd,West, Nord und Mitte. Im Berichtsjahrexistierten nur die GebietsverbändeSüd, West und Mitte, denen bundesweit20  Stützpunkte zugeordnet werden.Hessen zählte neben den Ländern Nord-rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz undSaarland zum Gebietsverband West, deraus den Stützpunkten Pfalz, Rheinhes-sen, Westerwald-Taunus, Sauerland-Südund „Hermannsland“ bestand. Die Be-zeichnung „Hermannsland“ spielt aufden Schauplatz der Varusschlacht an, inwelcher der eigentlich in römischenDiensten stehende Cherusker Arminius– auch Hermann genannt – ein rö mi schesHeer vernichtend schlug.

Der Stützpunkt Westerwald/Taunus um-fasste im Wesentlichen den LandkreisLimburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise inRheinland-Pfalz und Nordrhein-West -falen. Zum Stützpunkt Sauerland-Südzählte – neben Landkreisen in Nord-rhein-Westfalen – der hessische Land-kreis Waldeck-Frankenberg. Zuneh-mende Aktivitäten der Partei waren imBerichtszeitraum darüber hinaus imRaum Fulda feststellbar, der im Organi-sationsaufbau der Partei dem StützpunktMainfranken zugerechnet wird.

Bewertung/Ausblick

Die Partei zeigt sich nach außen willens,die rechtlichen Anforderungen zur Auf-rechterhaltung des Parteienstatus zu er-füllen. Obgleich sie das Parteiensystemder Bundesrepublik Deutschland ab-lehnt, nutzt sie die mit dieser Organisa-tionsform einhergehenden Vorteile. IhreAgitation ist weniger auf Wahlen ausge-richtet, als vielmehr aktionsorientiert mitprovokativen Elementen.

Die Intensivierung von Kontakten zu na-tionalistischen Organisationen im Aus-land, insbesondere der Besuch einer paramilitärischen Einheit wie das ukrai-nische Azow-Bataillon, eigens insze-nierte Selbstverteidigungskurse bei Ver-anstaltungen und das Bekenntnis, dassnationaler Freiheitskampf mehr als Teil-nahme an Demonstrationen bedeute,lässt erkennen, dass die Partei Gewaltzur Durchsetzung politischer Ziele nichtausschließt, ohne dies allerdings offenzu propagieren.

Zur Verbreitung ihrer Agitation nutztedie Partei verstärkt das Internet. Sosetzte sie neben der üblichen Informati-onsverbreitung über die parteieigeneInternetseite auch die verschiedenenKommunikationsmöglichkeiten der so-zialen Netzwerke ein. Sie gibt sich damitmodern und versucht, gesellschaftlichanschlussfähig zu sein. Ihre gesellschaft-liche Isolation konnte sie allerdings bis-lang nicht aufbrechen.

68 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Rechtsextremismus 69

DIE RECHTE

Als Auffangbecken für Mitglieder derehemaligen rechtsextremistischen Deut-schen Volksunion (DVU) im Mai 2012 ge-gründet, traten der Partei DIE RECHTEanschließend auch Neonazis undfrühere Mitglieder der NPD bei. Im Ok-tober 2017 legte der Neonazi ChristianWorch sein Amt als Bundesvorsitzender,das er seit 2012 bekleidet hatte, wegenparteiinterner Differenzen nieder. Ihmfolgte – zunächst kommissarisch – derNeonazi Christoph Drewer nach.

Am 26. August gründete sich der hessi-sche Landesverband der Partei DIERECHTE neu, nachdem er sich 2014 auf-gelöst hatte. Zum Vorsitzenden wählte der Parteitag Christian Göppner. Auf der Facebook-Seite des neonazistischen

FWH war im Vorfeld mit dem Aufruf„Jetzt Aktiv werden!“ auf die Neugrün-dung hingewiesen worden. Bisher wur-den der Kreisverband und StützpunktMain-Kinzig sowie die Stützpunkte Mar-burg und Wiesbaden gegründet. In Hessen gehören der Partei, die als Auf-fangbecken für Rechtsextremisten ver-schiedener Ausrichtungen fungiert,etwa zehn Personen an, bundesweitetwa 650. Bei der Bundestagswahl er-zielte DIE RECHTE, die nur mit einer Lan-desliste in Baden-Württemberg angetre-ten war, 0,0 Prozent (= 2.054 derZweitstimmen).

Weitgehend unstrukturierte Rechtsextremisten

Subkulturell orientierte Rechtsextremisten/Skinheads

Definition/Kerndaten

Das Skinhead-Phänomen entstand inGroßbritannien als Protest gegen diebürgerliche Gesellschaft und trat Endeder 1970er Jahre erstmals in Deutsch-land in Erscheinung. Seit den 1980erJahren geriet die Skinhead-Szene in derBundesrepublik zunehmend unter denEinfluss von Rechtsextremisten. Inzwi-schen wurde das Spektrum zwar vielfäl-

tiger, die Grenzen zwischen Skinhead-Bewegung und sonstigen subkulturellorientierten Rechtsextremisten warenjedoch nach wie vor fließend. Daherwerden beide Begrifflichkeiten als Sy-nonyme verwendet. Skinheads sindheute auf den ersten Blick nicht immerals solche zu erkennen. Springerstiefelund Bomberjacke werden durch Turn-

Logo der Partei DIE RECHTE

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schuhe und beliebte Szeneartikel er-setzt. Aber auch lange Haare, dunkleKleidung und schwarze Schminke sindinsbesondere bei Anhängern der Mu-

sikrichtung des National Socialist BlackMetal (NSBM) verbreitet. Skinheadsagieren überwiegend ohne organisato-rische Bindungen.

Ereignisse/Entwicklungen

Soweit rechtlich möglich, unterbindendie Sicherheitsbehörden rechtsextre-mistische Konzerte in Hessen. Aufgrunddieser restriktiven Vorgehensweisefand auch im Berichtsjahr in Hessenkein rechtsextremistisches Konzert statt.

Andere Musikveranstaltungen | Am 2.Juni fand in Hessen ein Balladenabendim internen Kreis mit einem rechtsextre-mistischen Liedermacher der rechtsex-tremistischen Musikgruppe FLAK statt.Die Veranstaltung entfaltete keine Au-ßenwirkung. Darüber hinaus wurden je-weils am 28. Januar bzw. 11. Novemberim Main-Kinzig-Kreis und am 13. Mai imSchwalm-Eder-Kreis insgesamt drei Par-tei- bzw. Rednerveranstaltungen mit Mu-sikdarbietung durchgeführt. Darüber hi-naus fanden im Berichtsjahr fünf weitereMusikdarbietungen im internen Kreisstatt.

Mobilisierungskraft rechtsextremisti-scher Musik | Im Berichtsjahr zeigte sicherneut, wie stark die Mobilisierungskraft

rechtsextremistischer Musik ist. Als bun-desweit herausragendes Ereignis ist hierdie Veranstaltung „Rock gegen Über-fremdung II – Identität und Kultur be-wahren – Rede- und Musikbeiträge ge-gen den Zeitgeist“, am 15. Juli zunennen.

„Rock gegen Überfremdung II“ | Be-sucht von etwa 6.000 Personen aus demIn- und Ausland fand am 15. Juli in The-mar (Thüringen) die bislang größterechtsextremistische Konzert- und Red-nerveranstaltung in Deutschland statt,die im Februar als politische Versamm-lung angemeldet worden war. AchtBands traten auf, unterbrochen jeweilsvon Redebeiträgen einzelner Rechtsex-tremisten. An Informations- und Ver-kaufsständen wurden rechtsextremisti-sche Schriften verteilt und einschlägigeCDs und Bekleidung verkauft. AuchRechtsextremisten aus Hessen warennach Themar angereist.

Die hohe Besucherzahl, mit Teilnehmernaus dem europäischen Ausland, resul-tiert offenbar aus dem Umstand, dass

70 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

Aktivisten/Anhänger: In Hessen etwa 360

Rechtsextremistische Musikgruppen in Hessen:

Faust und Nordglanz (NSBM)

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Rechtsextremismus 7<

die Veranstalter im Vorfeld mit in derSzene bekannten und beliebten Bandsgeworben hatten.

Insgesamt gab es Strafanzeigen im mitt-leren zweistelligen Bereich wegen Ver-wendens von Kennzeichen verfassungs-widriger Organisationen, Bedrohung,Körperverletzung und Verstößen gegendas Waffengesetz. Einzelpersonen wur-den in Gewahrsam genommen, darüberhinaus gab es Identitätsfeststellungenim dreistelligen Bereich.

Dieses größte in Deutschland durchge-führte rechtsextremistische Konzertzeigt, dass die Zugkraft dieser Musik un-gebrochen ist. In zahlreichen Liedtextenvon Musikgruppen des subkulturell ge-prägten Spektrums werden offen oderauch unterschwellig rechtsextremisti-sche Feindbilder und Ideologiefrag-mente transportiert, entsprechendeDenkmuster geformt und verfestigt so-wie ein Identitätsgefühl beschworen. InLiedtexten wird Gewalt nicht nur ge-rechtfertigt, sondern es wird offen zurGewalt aufgerufen. Vor diesem Hinter-grund gilt es in Hessen nach wie vor, imRahmen aller gesetzlichen Möglichkei-ten rechtsextremistische Konzerte zu un-terbinden.

Funktion rechtsextremistischer Musik |Rechtsextremistische Musik spielt nachwie vor eine wichtige Rolle für dierechtsextremistische Szene und ist zu-gleich ein bedeutendes, jugendorien-tiertes Medium, um entsprechende Bot-schaften zu transportieren. Oft stehen imVordergrund des Musikerlebnisses zunächst nicht rechtsextremistische In-

halte, sondern für die Hörer einpräg-same Melodien und einfache Rhythmen.Die Hürde für den Einstieg in denRechtsextremismus ist dabei niedrig, daMusik nahezu jederzeit und überall kon-sumierbar ist. Die Musik dient derSelbstdarstellung und der szene -internen Kommunikation über Werteund Feindbilder und ist Ausdruck einessubkulturellen Zusammengehörigkeits-gefühls. Dabei wirkt der Konsum vonrechtsextremistischer Musik oft als Kata-lysator von Gefühlen und Aggressionen.Besonders in Verbindung mit Alkoholkann dies zu Gewaltausbrüchen führen.

Diffuse Einstellungen | Subkulturell orien-tierte Rechtsextremisten und Skinheadssind gekennzeichnet durch eher diffuserechtsextremistische Einstellungen, diesich an das Gedankengut von Neonazisanlehnen. Eine vertiefte „weltanschauli-che“ und politische Auseinandersetzungfindet dabei nicht statt. Im Vordergrundsteht eine erlebnis- und aktionsorientierteLebensgestaltung vor allem in Form desKonsumierens von Musik.

Musikveranstaltungen – Internet | Kon-zerte spielen für subkulturell orientierteRechtsextremisten und Skinheads einewichtige Rolle. In der eher strukturlosenSzene sind Konzerte identitätsstiftendeEreignisse und dienen der Kommunika-tion und Vernetzung. Zudem üben die inder Regel konspirativ organisierten Kon-zerte gerade auf junge Rechtsextremis-ten eine große Faszination aus.

Eine wachsende Bedeutung haben fürsubkulturell orientierte Rechtsextremis-ten und Skinheads, aber auch für Neo-

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nazis und rechtsextremistische Parteien,mittlerweile Liederabende. Auftritteüberwiegend einzelner rechtsextremis-tischer Interpreten dienen als Treffpunktund Plattform, wobei politische Bot-schaften über die Liedtexte mit Zwi-schenmoderationen verknüpft und zurAnwerbung potenzieller Interessentengenutzt werden.

Bewertung/Ausblick

Große Konzerte mit szenebekanntenBands stoßen nach wie vor auf einegroße Resonanz in der Szene. Zugleichhat sich im Berichtszeitraum die Tendenzbestätigt, dass eine Verlagerung derMusikveranstaltungen hin zu Lieder-abenden, zumeist verbunden mit politi-schen Redebeiträgen, stattfindet.

Unabhängig von der Form dieser Musik-veranstaltungen bleibt die hohe Gefahr,die von rechtsextremistischer Musik aus-geht. Der Besuch von Konzerten dientvielfach als Einstieg in den Rechtsextre-mismus. Entsprechende Inhalte und vor allem Teile der neonazistischen Ideo-logie werden insbesondere jugend -lichen Neueinsteigern auf eingängigeArt und Weise vermittelt. Aufgrund derhieraus für Jugendliche resultierendenGefahren ist die Szene der subkulturellorientierten Rechtsextremisten und Skin-heads ein wichtiges Beobachtungsfelddes Verfassungsschutzes in Hessen. Mitjedem verhinderten Konzert verliert dierechtsextremistische Szene eine Anlauf-stelle und ein wichtiges Bindeglied zuJugendlichen, die noch außerhalb desRechtsextremismus stehen.

Rechtsterrorismus

Die der rechtsextremistischen Ideologieeigene Gewaltorientierung, die sich ins-besondere in Hass und Gewalt gegen-über Flüchtlingen und Asylbewerbernmanifestiert, birgt die Gefahr schwererstaatsgefährdender Gewalttaten: Sol-che Straftaten richten sich gegen Lebenund persönliche Freiheit eines odermehrerer Menschen, so dass sie nachden Umständen bestimmt und geeig-net sind, den Bestand oder die Sicher-heit eines Staates oder einer internatio-nalen Organisation zu beeinträchtigenoder Verfassungsgrundsätze der Bun-desrepublik Deutschland zu beseitigen,

außer Geltung zu setzen oder zu unter-graben. Dabei kann diese Gewaltorien-tierung bis zum Rechtsterrorismus führen. Die Beobachtung rechtsextre-mistischer Gewaltpotenziale, deren He-rausbildung eine virulente Gefahr dar-stellt, ist eine herausragende Aufgabeder Verfassungsschutzbehörden. Dasfolgende Ereignis im Berichtszeitraumverdeutlicht die Virulenz dieser Gefahr:

Mitglieder einer Terrorvereinigung ver-urteilt | Das OLG München verurteilte am15. März vier Angeklagte wegen Grün-dung und Mitgliedschaft in der terroris-

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Rechtsextremismus 73

tischen Vereinigung OSS zu Freiheitsstra-fen zwischen drei und fünf Jahren. DasUrteil ist rechtskräftig. Das Gericht sah esals erwiesen an, dass die Angeklagten imAugust 2014 die terroristische OSS ge-bildet hatten. Die zuletzt etwa 30 OSS-Mitglieder hatten rassistische, antisemi-tische und antimuslimische Zieleverfolgt. Nachdem sie sich zunehmendin verschiedenen sozialen Medien radi-kalisiert hatten, planten die VerurteiltenSprengstoffanschläge auf Ausländerbzw. Asylbewerberunterkünfte.

Um konkret einen Anschlag auf eine be-wohnte Asylbewerberunterkunft inSachsen zu verüben, hatten zwei Rechts-extremisten in Tschechien in Deutsch-land nicht zugelassene Sprengkörpererworben, die sie mit Nägeln oderBrennstoff versehen wollten, um derenGefährlichkeit noch weiter zu steigern.

Aufgrund der Festnahme der vier Verur-teilten im Mai 2015 wurde die Tat verhin-dert. Darüber hinaus wurde innerhalbder Gruppe erwogen, eine Kirche anzu-greifen und dabei „Allahu akbar“ zu ru-fen, um in der Bevölkerung denVerdacht auf Muslime zu lenken.

Ziele von Rechtsterroristen | Wie bereitsdie Verbrechen des Nationalsozialisti-schen Untergrunds (NSU) gezeigt ha-ben, wollen Rechtsterroristen mit ihrenStraf- und Gewalttaten gemäß ihremrechtsextremistischen Verständnis diebestehende Ordnung destabilisieren.Dies gilt auch für Einzeltäter („lone wol-ves“). Das, was nach ihrer Ansicht nichtzur deutschen, in sich einheitlichen„Volksgemeinschaft“ gehört, also „Frem-des“ bzw. Ausländer oder Flüchtlinge,soll bekämpft bzw. vernichtet werden.

Straf- und Gewalttaten

Im Berichtsjahr wiesen insgesamt 540politisch motivierte Straf- und Gewaltta-ten einen rechtsextremistischen Hinter-grund auf. Die Zahl der rechtsextremis-tischen Straftaten, die 2016 im Vergleichzu den Vorjahren deutlich angestiegenwar, sank damit im Berichtsjahr sehrdeutlich ab. Schwerpunkt der Gewaltta-ten, die ebenfalls zurückgingen, bliebendie Körperverletzungsdelikte.

Eine Ursache für das deutliche Absinkender rechtsextremistischen Straf- und Ge-walttaten kann in der veränderten Fo-kussierung von Rechtsextremisten in Bezug auf den Rückgang der Asylbe-werberzahlen vermutet werden. (Sieheim Glossar und Abkürzungsverzeichnisunter dem Stichwort Politisch motivierteKriminalität zur Erfassung politisch mo-tivierter Straf- und Gewalttaten mit extre-mistischem Hintergrund.)

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Beispielhaft seien folgende Straftatenaufgeführt:

In Oberursel (Hochtaunuskreis) trat•ein unbekannter Täter einem irani-schen Staatsangehörigen mit demFuß gegen den Oberschenkel,schlug ihn mit der Faust auf das linkeOhr und rief im darauffolgendenStreit „Heil Hitler“.Ein Beschuldigter veröffentlichte auf•einer Internet-Plattform ein Video mitder Bezeichnung „German bus driver– Aus[c]hwitz“, welches eine Personzeigt, die auf dem Fahrersitz einesBusses in die Sprechanlage sagt:„Alle Ausländer einsteigen, wir fah-ren nach Auschwitz!“ Darüber hinauszeigte die Person den Hitlergruß.

74 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

2017 2016 2015

Deliktart

Tötung

Versuchte Tötung 1

Körperverletzung 13 19 17

Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 3

Landfriedensbruch 1

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr

Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte

1 2

Gewalttaten gesamt 16 23 20

Sonstige Straftaten

Sachbeschädigung 22 41 57

Nötigung/Bedrohung 6 29 16

Andere Straftaten(insb. Propagandadelikte)

496 706 566

Straf- und Gewalttaten gesamt 540 799 659

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Rechtsextremismus 75

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Reichsbürgerund Selbstverwalter

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Reichsbürger und Selbstverwalter 77

Unter der Bezeichnung Reichsbürgerund Selbstverwalter fasst der Verfas-sungsschutz Gruppierungen und Ein-zelpersonen zusammen, die aus unter-schiedlichen Motiven und mit unter-schiedlichen Begründungen das Grund-gesetz, die Bundesrepublik Deutsch-land und deren Rechtssystem, dieStaatsorgane und die demokratisch ge-wählten Repräsentanten nicht anerken-nen und ihnen die Legitimation abspre-chen. Reichsbürger propagieren dasFortbestehen eines historischen Deut-schen Reichs, Selbstverwalter erfindenFantasiestaaten und beanspruchen fürsich ein von der BundesrepublikDeutschland unabhängiges Terri -torium. Reichsbürger und Selbstverwal-ter erkennen die Bundesrepublik nichtals Staat an. Sie verstehen sich als au-

ßerhalb der Rechtsordnung stehendund fordern Behörden sowie Gerichteauf, geltendes Recht nicht an -zuwenden. Darüber hinaus können sichBestrebungen von Reichsbürgern undSelbstverwaltern auch gegen den Be-stand oder die Sicherheit des Bundesoder eines Landes richten. Wenn solcheAktivitäten mit gebiets revisionistischenForderungen verbunden sind, stehtdies nicht mit dem Gedanken der Völ-kerverständigung in Einklang. Insge-samt sind Reichsbürger und Selbstver-walter in hohem Maße bereit, gegenGesetze zu verstoßen. Die Verfassungs-schutzbehörden des Bundes und derLänder beobachten die Reichsbürgerund Selbstverwalter seit dem 22. No-vember 2016 in Gänze.

Heterogene Szene | Das Spektrum derReichsbürger und Selbstverwalter be-steht aus einer Vielzahl verschiedenerGruppierungen und Einzelpersonen.Die Szene ist vielschichtig, unübersicht-lich und umfasst Verschwörungstheore-tiker und Rechtsextremisten ebenso wieLeichtgläubige und finanziell Geschei-terte.

Verschwörungstheoretiker glauben, dassdie Bundesrepublik Deutschland einefremdbestimmte Kolonie sei, die zum

Beispiel von den Alliierten oder Ge-heimlogen kontrolliert wird. Bei Rechts-extremisten dagegen steht die Behaup-tung im Mittelpunkt, das DeutscheKaiserreich oder die nationalsozialisti-sche Regierung würden fortexistieren.Damit einher geht bei Rechts -extremisten eine völkische Abstam-mungslehre. Demnach sei nur deutsch,wer über mindestens drei Generationeneinen „rein deutschen“ Stammbaumvorweise.

Angehörige: In Hessen etwa 1.000, bundesweit etwa 16.500

Medien : Internetpräsenzen

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Aufgrund der unterschiedlichen Ansich-ten und Überzeugungen gibt es inner-halb der Szene keine allgemein aner-kannten Strukturen oder Organisa tionen.Typisch für das Milieu ist daher eine Zer-splitterung der Szene. Einzig in der fun-damentalen Ablehnung der Bundesre-publik Deutschland, ihrer Gesetze undRepräsentanten besteht Einigkeit.

Personenpotenzial | Das mit Stand 31.Dezember 2017 den Sicherheitsbehör-den bekannte Personenpotenzial derReichsbürger und Selbstverwalter unter-scheidet sich von dem anderer extremis-tischer Phänomenbereiche auch durchseine Zusammensetzung. Während an-dere Extremisten häufig junge Erwach-sene sind oder im Übergang zum Er-wachsenenalter stehen, liegt dasDurchschnittsalter bei Reichsbürgernund Selbstverwaltern bei 45 bis 60 Jah-ren. Darüber hinaus ist die Szene zuknapp 75 Prozent männlich und im Ver-gleich zur Gesamtbevölkerung durch ei-nen unterdurchschnittlichen Anteil vonAkademikern gekennzeichnet.

Gebietsrevisionismus | Mit der Forderungnach der Wiederherstellung eines Deut-schen Reichs berufen sich Reichsbürgeroft willkürlich auf unterschiedliche histo-rische und völkerrechtliche Situationen, indenen sich Deutschland zum Beispiel inseinen Grenzen von 1871, 1918, 1933und 1937 befand. Diese völkerrechtswid-rigen und gebietsrevisionistischen Vor-stellungen und Bestrebungen richten sichgegen die territoriale Integrität von Nach-barstaaten der Bundesrepublik Deutsch-land und verstoßen damit gegen den Ge-danken der Völkerverständigung.

Beispielhaft hierfür steht folgende Aus-sage auf der Internetseite der rechtsex-tremistischen Exil-Regierung DeutschesReich:

„Der Begriff Wiedervereinigung ist […]irreführend, da nur zwei Teile Deutsch-lands, die Bundesrepublik Deutschland(Westdeutschland) und die DeutscheDemokratische Republik (Mitteldeutsch-land), vereinigt wurden, Ostdeutschlandaber noch immer besetzt ist und deut-sche Staaten wie Österreich, Luxemburgoder Liechtenstein immer noch eigeneKleinstaaten sind. Hinzu kommt, daß derBegriff ,Wiedervereinigung‘ falsch ist, daes zuvor keinen deutschen Staat in denaktuellen Grenzen gab, zudem mit der,Wiedervereinigung‘ auf die ostdeut-schen Gebiete des Deutschen Reichesund das Sudetenland durch die BRD keinAnspruch erhoben wurde.“ (Schreib-weise wie im Original.)

Reichsbürger und Selbstverwalter führeneine Vielzahl von verschwörungstheore-tischen Argumenten an, in denen siesich abwegig und pseudo-juristisch aufverschiedene Gesetze und internatio-nale Normen berufen. So ist die Bundes-republik in ihrer Sicht lediglich ein „Be-satzungskonstrukt“: Deutschland sei seitdem Ende des Zweiten Weltkriegs keinsouveräner Staat, sondern ein von denalliierten Streitkräften militärisch besetz-tes Gebiet. Entsprechend behauptet dieSzene, die Bundesrepublik Deutschlandexistiere nicht, sei nicht souverän, son-dern lediglich eine Art Firma. So agitier-ten und polemisierten Reichsbürger undSelbstverwalter gegen eine angebliche„BRD-GmbH“ sowie gegen Parlament

78 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Reichsbürger und Selbstverwalter 79

und Regierung, Justiz und Polizei. Ob-wohl Reichsbürger und Selbstverwalterdas Grundgesetz, die Rechtsordnung,Gerichtsurteile und behördliche Be-scheide nicht anerkannten, zitierten siediese jedoch, wenn sie glaubten, sie fürsich instrumentalisieren zu können. Statt-dessen beanspruchten Reichsbürgerund Selbstverwalter, eine eigene Staats-gewalt auszuüben: Sie vergaben „staats-tragende“ Ämter, verkauften „Reichsaus-weise“ und selbstgefertigte „Reichs-führerscheine“, die keinerlei Gültigkeitbesitzen.

Widerstand gegen Staat und Verwal-tung | Das Agieren gegen Behörden mitabsurden Eingaben stellte das Hauptbe-tätigungsfeld der Reichsbürger undSelbstverwalter dar. Damit versuchte dieSzene, die Ämter an ihrem recht -mäßigen Handeln zu hindern. So wirdetwa die Entrichtung von Bußgeldern

wegen angeblich fehlender Legi -timation der Bescheide verweigert.Reichsbürger und Selbstverwalter be-gründeten dies in umfangreichenSchriftsätzen, in denen sie sich etwa aufdie Haager Landkriegsordnung von1907 oder selbst erdachte AllgemeineGeschäftsbedingungen beriefen. Mitun-ter verschickten Szeneangehörigeselbstformulierte „Schadensersatzforde-rungen“ – zahlbar in Silber oder Gold –auf der Grundlage selbst gefällter „Ur-teile“ an die in Behörden zuständigenSachbearbeiter.

Exemplarisch und das Agieren derReichsbürger erhellend ist folgendes, inAuszügen abgedrucktes Telefax, das ein„Reichspolizeiamt“ der GruppierungDeutsches Reich im Berichtsjahr an denHessischen Landespolizeipräsidentenversandte:

„Betrifft: Rechtsmittel der Beschwerdenach geltendem Reichsrecht, unter demTatbestand von StGB §§ 81 Absatz 2u.4,84, 87, 88, 89, 90 Absatz 3,5 und 6, zumrechtsstaatlichen Schutz der Amtsträgerdes Deutschen Reichs, Generalkonsuldes Deutschen Reichs für die russischeFöderation Herrn […] und Staatssekretärfür Verfassungsschutz […].

Sofortige Beschwerde […] wegen Ver-weigerung der Ausweispflicht, fehlenderLegitimation, Plünderung im vorge-täuschtem Amt, Bildung einer banden-mäßigen kriminellen Vereinigung unterUKIP333571359 sog. Ministerium des

Inneren Hessen, Verstoß gegen HLKO,Beihilfe – und schwere Nötigung, fehlen-der Nachweis einer staatsrechtlichenWaffenbesitzgenehmigung, staatsrecht-lich nicht nachweisbare Zulassung zumPolizeidienst, nichtamtliche Handlungmit Gefahr für Leib und Leben, Verstoßgegen die EMRK, räuberische Erpres-sung, Menschenraub, erzwungene vor-sätzliche Verhaftung mit kriminellenCharakter, Vorteilsnahme im vorge-täuschten Amt ,illegale Beschlagnah-mung bzw. Raub amtlicher Dokumentedes Deutschen Reiches […]

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80 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

„Malta-Masche“ | Reichsbürger undSelbstverwalter versuchen mitunter, sichnicht nur behördlichem Zugriff zu entzie-hen, sondern Behördenmitarbeiter wi-derrechtlich zu belangen. Hierfür erfin-den Reichsbürger und Selbstverwalterim Rahmen der sogenannten Malta-Ma-sche Schulden eines Behördenmitarbei-ters, die sie in das amerikanische Online-Schuldnerregister Uniform CommercialCode (UCC) eintragen lassen. Anschlie-ßend werden die Forderungen an einmaltesisches Inkassounternehmen ab-getreten, um einen vollstreckbaren Titelnach dem Europäischen Mahnverfahrenzu erreichen. Eine Durchsetzung ihrererfundenen Forderungen mittels diesesmissbräuchlichen Verfahrens ist derSzene nicht gelungen.

Deliktfelder der Reichsbürger undSelbstverwalter | Zu etlichen Reichsbür-gern lagen der Polizei Erkenntnisse zuGewaltdelikten (Freiheitsberaubung,Körperverletzung, Widerstand gegen

Vollstreckungsbeamte) vor. Außerdembegingen Reichsbürger Betrug, Haus-friedensbruch, Nötigung, Sachbeschädi-gung, Amtsanmaßung, Urkunden- undKfz-Kennzeichenfälschung, Beleidigungund Verleumdung. Manche verstießengegen das Kunsturheber- sowie dasKriegswaffenkontroll-, Waffen- und Be-täubungsmittelgesetz.

Gefahr der Gewaltanwendung | Rechts-ansprüche gegenüber Reichsbürgernund Selbstverwaltern mussten die Be-hörden oft mittels Zwangsvollstreckungdurchsetzen. Hierbei besteht die Gefahr,dass sich Reichsbürger mit Gewalt einerMaßnahme widersetzen. Ihre teilweiseerhebliche Gewalt richtete sich vor-nehmlich gegen Gerichtsvollzieher undPolizeibeamte. Deren Einsätze bezeich-neten Reichsbürger als „Plünderung“oder „Raub“, gegen die angeblich „Not-wehr“ geboten sei. Dabei schossen An-gehörige der Reichsbürger und Selbst-verwalter sogar auf Beamte, so etwa im

Die Reichsverfassung von 1871 (Stand:28.10.1918) ist die staatsrechtlicheGrundlage. Aus allem Vorgetragenen,resultiert eine damit verbundene Straf-anzeige mit Schadenersatzklage gegenjeden Einzelnen des genannten Perso-nenkreis, die nicht verjährt oderverwirkt, es gilt das Reichsrecht, das Völ-kerstrafgesetzbuch, das Besatzungs-recht, die SHAEF-Gesetze und SMAD-Befehle. […]

Leiter des Stabes im ReichspolizeiamtDeutsches Reich

Sie sollten in Ihrem Interesse auch unse-ren Verteiler beachten Dieses Schreibengeht als Kopie mit Strafverfolgungsan-trag an den Ober-Reichsanwalt, an dasReichsgericht Strafsenat, an den Reichs-verband Deutscher-Rechtskonsulenten,an das Beweissicherungsamt, an dieJustizabteilung Justitia Deutschlandund an das Reichsamt zur Bereinigungvon Staatsterrorismus.“ (Schreibweisewie im Original.)

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August 2016 in Reuden (Sachsen-Anhalt) und im Oktober 2016 inGeorgensgemünd (Bayern), wo ein Poli-zeibeamter seinen schweren Verletzun-gen erlag.

Die Verfassungsschutzbehörden über-mittelten bundesweit bis zum Stichtag31. Dezember 2017 bereits zu rund 600Reichsbürgern und Selbstverwaltern Er-kenntnisse an die Waffenbehörden.Nach Kenntnisstand der Verfassungs-schutzbehörden wurden in der Folgerund 350 Reichsbürgern und Selbstver-waltern ihre waffenrechtlichen Erlaub-nisse entzogen.

Nichtsdestotrotz ist der Grad der Be-waffnung der Szene weiterhin hoch.Zum Stichtag 31. Dezember 2017 ver-fügten bundesweit immer noch rund1.100 Reichsbürger und Selbstverwalterüber eine oder mehrere waffenrechtli-che Erlaubnisse. Grund für die weiterhinhohe Zahl an bekannten Erlaubnisinha-bern ist insbesondere die fortschrei-tende Aufklärung der Szene, durch diekontinuierlich neue Erlaubnisinhaberbekannt werden.

In Hessen besaß eine hohe zweistelligeAnzahl von Personen aus der Szene waf-fenrechtliche Erlaubnisse, mehr als dieHälfte von diesen war im Besitz von min-destens einer legalen Schusswaffe. DasZiel der Sicherheitsbehörden in Hessenist es, dass kein den Behördenbekannter Reichsbürger oder Selbstver-walter waffenrechtliche Erlaubnisseoder legale Waffen besitzt bzw. sie ihnenim Falle des Besitzes entzogen werden.

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Linksextremismus

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Merkmale

Die Beseitigung der freiheitlichen de-mokratischen Grundordnung und dieErrichtung eines totalitären, sozialis-tisch-kommunistischen Systems oder ei-ner angeblich „herrschaftsfreien Gesell-schaft“ sind Ziele linksextremistischerBestrebungen.

Orthodoxer Kommunismus | Protago-nisten dieses Teils des Linksextremismuswie zum Beispiel die Deutsche Kommu-nistische Partei (DKP) orientieren sich anden Lehren von Karl Marx (1818 bis1883) und Friedrich Engels (1820 bis1895). Marx und Engels teilten Gesell-schaften in Klassen ein und behaupte-ten, es gebe einen andauernden „Klas-senkampf“. Auf der Ausbeutung derKlasse der Arbeiter („Proletariat“) durchdie Klasse der „Kapitalisten“ fußt nachAuffassung orthodoxer Kommunisten –gegründet auf den Lehren von Marx undEngels – der „Kapitalismus“: Dieser führezwangsläufig zu immer mehr Elend undGewalt in der Gesellschaft. Der Kapita-lismus könne nur durch eine Revolution,die eine Änderung der Eigentumsver-hältnisse einschließe, beseitigt werden.Durch Umverteilung des Besitzes werdedie alte Ordnung absterben und sichnach und nach eine kommunistischeGesellschaft entwickeln.

Neben Marx und Engels berufen sich or-thodoxe Kommunisten auf Wladimir Il-jitsch Uljanow (1870 bis 1924), genanntLenin. Dieser glaubte, die Arbeiter könn-ten nur durch eine elitäre Kaderparteizum richtigen „Klassenbewusstsein“ undzu einer erfolgreichen Revolution

geführt werden. Nach der Erringung derMacht sei es Aufgabe dieser Partei, mit-tels einer „Diktatur des Proletariats“ diekommunistische Gesellschaft zu errich-ten und gewaltsam alle „konterrevolutio-nären“ Elemente zu bekämpfen.

Maoismus | Organisationen wie die Mar-xistisch-Leninistische Partei Deutsch-lands (MLPD) orientieren sich an der chi-nesischen Variante des Kommunismus,dem Maoismus, der auf den Revolutio-när Mao Zedong (1893 bis 1976) zurück-geht. Die von ihm 1937 verfasstenSchriften sowie seine Politik der Ableh-nung der damaligen Sowjetunion bildendie Grundlage der maoistischen Ideolo-gie. Im Unterschied zum orthodoxenKommunismus setzt sich für Maoistendie Revolution auch nach Erringung derMacht fort und kann sich gegen eigenekommunistische Strukturen richten. Da-rüber hinaus definierte der Maoismusnicht die Arbeiter, sondern – vor allem inLändern der Dritten Welt – die Bauernals Träger der proletarischen Revolution.

Anarchismus | Anarchisten wie die FreieArbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU)lehnen – im Unterschied zu kommunisti-schen Organisationen – jegliche Herr-schaft ab. Sie sehen den Staat als unter-drückerische Zwangsinstanz an, diezerschlagen werden müsse, wobei es –im Unterschied zu Marxisten-Leninisten– keiner Kaderpartei bedürfe. Anarchis-ten wenden sich gegen jegliche Institu-tionen, insbesondere gegen Parteienund Parlamente; sie selbst organisierensich in nur wenig strukturierten Gruppen.

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Autonome Vorstellungen | Die Positio-nen von Autonomen sind – verglichenmit denjenigen orthodox-kommunisti-scher Parteien – anders differenziert.Nicht die Partei, sondern das selbstbe-stimmte Individuum steht bei Autono-men im Mittelpunkt („Politik der erstenPerson“). Nach autonomer Auffassungmuss der Einzelne ständig um seine Be-freiung von „strukturellen Zwängen“kämpfen. Mit orthodoxen Kommunistenverbindet Autonome aber die Vorstel-lung von einer Welt, in der jeder im Rah-men einer kommunistischen Gesell-schaft nach seinen Bedürfnissen lebenund sich selbst verwirklichen kann. Dazumüssten alle „Systeme“, die dem Indivi-duum Pflichten und Zwänge auferlegen,beseitigt werden. Zu diesen „Systemen“gehören nach dem Verständnis von Au-tonomen unter anderem Demokratieund rechtsstaatliches Handeln.

Die Vorgehensweisen und die Zusam-mensetzung autonomer Zusammen-schlüsse gestalten sich heterogen. Ei-nige Autonome versuchen, Ideenanarchistischer Prägung in die Realitätumzusetzen, z. B. durch die Errichtung„gewalt- und herrschaftsfreier Räume“ inForm von Besetzungen oder der Verwaltung von Gebäuden. Andere en-gagieren sich zunehmend in der Bünd-nis- und Netzwerkarbeit, wobei sie zunehmend nichtextremistische Unter-stützer zu gewinnen versuchen.

Um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen,halten Autonome übergreifend die An-wendung von Gewalt für ein legitimesMittel. Insbesondere auf Grund ihrer„militanten Aktionen“ stellen Autonomeeine konstante Bedrohung für die InnereSicherheit in Deutschland dar.

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Personenpotenzial1

Das Personenpotenzial in linksextremis-tischen Gruppierungen ist in Hessenkonstant geblieben.

Autonome

Definition/Kerndaten

Autonome sind undogmatische und or-ganisationskritische Linksextremisten,die sich an verschiedenen, zum Teil dif-fusen kommunistischen und anarchisti-schen Deutungsmustern orientieren.Das staatliche Gewaltmonopol lehnenAutonome ab und sehen eigene Ge-waltanwendung („Militanz“) zur Durch-setzung ihrer politischen Ziele als legi-tim an. Starren Organisationsstrukturenstehen „klassische“ Autonome kritisch

bis ablehnend gegenüber undbeharren stattdessen auf ihrer Selbstbe-stimmtheit. Autonome organisieren sichdaher in losen Gruppen, zwischen de-nen oft nur aktions- und anlassbezo-gene lockere Netzwerke bestehen.

Teile der autonomen Szene sind in denletzten Jahren allerdings von diesemSelbstverständnis abgerückt. Die man-gelnde Strategie sowie die Organisati-

1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. In der Gesamtsumme sind Mehrfachmitgliedschaf-ten abgezogen.

2017 2016 2015

Autonome

Hessen 400 400 340

Bund 7.000 6.800 6.300

Anarchisten

Hessen 70 70 60

Bund 800 800 800

Sonstige Linksextremisten(Marxisten-Leninisten, Trotzkisten u. a.)

Hessen 2.400 2.400 2.400

Bund 22.600 21.800 20.300

Linksextremisten gesamt

Hessen 2.570 2.570 2.500

Bund 29.500 28.500 26.700

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ons- und Theoriefeindlichkeit „klassi-scher“ Autonomer erachten sie als we-nig zielführend: Anstelle der Revolutionbevorzugt dieser Teil der Szene, dersich selbst als postautonom bezeichnet,eine langfristige Veränderung der be-stehenden Verhältnisse. Hierfür greifenPostautonome gesamtgesellschaftlichrelevante Themen auf und setzen aufeine auch das gesamte linksextremisti-sche Spektrum umfassende Bündnispo-litik, die eine Zusammenarbeit mitnichtextremistischen Akteuren aus-drücklich einschließt. Dementspre-chend vermeiden Postautonome in derRegel ein offenes Bekenntnis zur Ge-walt. Stattdessen verwenden sie eherunbestimmte Begriffe wie „ziviler Un-gehorsam“ oder sprechen davon, „Poli-

zeiketten durchfließen“ zu wollen. Da-mit bieten Postautonome für ihre „Aktionen“ einen weiten Interpretati-onsspielraum, der sowohl gewaltorien-tierten als auch gewaltablehnendenPersonen eine Teilnahme ermöglicht.

Die bundesweit bedeutendsten postau-tonomen Organisationen sind die Inter-ventionistische Linke (IL) und das sichselbst als „kommunistisch“ definierendeBündnis …umsGanze! Während dieGruppe kritik&praxis – radikale Linke[f]rankfurt Teil des …umsGanze!-Bünd-nisses ist, sind in der IL die Gruppend.o.r.n. (Kassel), d.i.s.s.i.d.e.n.t. (Mar-burg), IL Darmstadt und IL Frankfurt or-ganisiert.

Ereignisse/Entwicklungen

Die Vorgehensweisen linksextremisti-scher und insbesondere autonomerGruppierungen werden exemplarischin der direkten Auseinandersetzung mitdem „politischen Feind“ sichtbar. Hierwird auch deutlich, dass Linksextremis-ten für sich beanspruchen, festzulegen,wer „faschistisch“ ist und wer nicht.

Diese Vereinnahmung der Deutungsho-heit führt im Ergebnis zu einer Polarisie-rung in der öffentlichen Wahrnehmungvon politischer Betätigung (Schwarz-Weiß-Denken). Es finden wiederholtAngriffe auf Grundrechte und die frei-heitliche demokratische Grundordnungstatt. Dies geschieht unabhängig

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Aktivisten: In Hessen etwa 400, bundesweit etwa 7.000

Regionale Schwerpunkte:

Frankfurt am Main, Marburg, Gießen, Kassel,Darmstadt

Medien (Auswahl):

Swing (Erscheinungsweise mehrmals jährlich),Internetpräsenzen

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davon, wie letztlich die Sicherheits- undVerfassungsschutzbehörden die Grup-pierungen und Organisationen bewer-ten, denen diese Angriffe gelten. DieG20-Proteste waren bundesweit dasherausragende Thema der linksextre-

mistischen Szene. Die gewalttätigenProtestaktionen zeigten erneut, dassdie autonome Szene auf logistischeStrukturen zurückgreifen kann, die ihrzum Teil vergünstigt zur Verfügung ge-stellt werden.

Linksextremistische Aktionen gegen dieAfD | Linksextremisten nahmen die AfDals zentralen „faschistischen“ Feind ins Vi-sier und leiteten aus ihrem „antifaschisti-schen“ Kampf die Legitimation ab, Straf-und Gewalttaten zu verüben. Verstärktwurde das Aktionsniveau durch denWahlkampf zur Bundestagswahl 2017,zu der auch die AfD angetreten war.

In verschiedenen hessischen Regionenfanden Veranstaltungen und Aktionengegen die AfD und ihre Repräsentantenstatt:

Im Februar erschien auf dem inzwi-•schen verbotenen linksextremisti-schen Internetportal linksunten.indy-media.org ein Outing einesAfD-Funktionärs aus dem nordhessi-schen Raum. Unbekannte behaupte-ten darin, der Funktionär habe Kon-takt zur „rechtsextremenKameradschaftsszene“ gehabt.Mittels Interneteinträgen zu AfD-Poli-•tikern aus dem Rheingau-Taunus-Kreis wurden diese unter anderemals „Göbbels-Double“ bezeichnetbzw. es wurde öffentlich die privateWohnanschrift mit einem Abwesen-heitshinweis preisgegeben.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt sol-cher Veröffentlichungen zeigt sich, dassLinksextremisten nach willkürlicher Art

Datenschutz- sowie Persönlichkeits-rechte übergehen und Feindbilder nacheigenen Maßstäben schaffen und be-kämpfen.

Von der autonomen Plattform AntifaUnited Frankfurt (AUF) ausgehendwurde die Kampagne „Make racistsafraid again“ geführt, deren Höhepunktund vorläufigen Abschluss eine De-monstration am 25. Februar in Frankfurtam Main bildete. Die Gruppierung kün-digte an: „Der Wahlkampf geht los unddie AfD RassistInnen trauen sich aus ih-ren Einfamilienhäusern. Nicht ohne un-seren Widerstand!“ (Schreibweise wieim Original.) Zudem kommentierten An-gehörige der AUF:

„Über unsere Blase von Facebook undIndymedia hinaus konnten wir in großenFrankfurter Zeitungen – relativ vorurteils-frei und ausführlich – über militanten An-tifaschismus und die Konzepte (hinter)antifaschistischer Praxis sprechen.“

Die autonome Plattform AUF rief etwadazu auf, eine „Veranstaltung zu störenund der AfD ihren Wahlkampf zu vermie-sen!“ Stellenweise, wie etwa am 26. Au-gust in Frankfurt am Main, konnten kör-perliche Angriffe durch Autonome auf

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den politischen Gegner nur durch diePräsenz der Polizei verhindert werden.

Mit dem Themenfeld „Antifaschismus“gelang es Linksextremisten immer wie-der, den Schulterschluss mit nichtextre-mistischen Gruppierungen und dembürgerlichen Protest zu finden. Deutlichwurde dies etwa im organisatorischenAufbau der Veranstaltung „Wie vielrechte Hetze muss die Öffentlichkeit dulden?“, die am 12. Dezember im DGB-Haus in Darmstadt stattfand. Neben Be-teiligten aus den Bereichen Gewerk-schaft, NGO, Kommunalpolitik undMedien war es vor allem die linksextre-mistische IL Darmstadt, die für diese Ver-anstaltung verantwortlich zeichnete. Inder öffentlich einsehbaren Einladungwurde die Moderation des Podiumsdurch Aktive der IL angekündigt.

Im April riefen auch hessische aktions-und gewaltorientierte Linksextremistendazu auf, gegen den AfD-Bundespartei-tag in Köln (Nordrhein-Westfalen) zuprotestieren. Die Aktionen wurden be-reits rund einen Monat vor demParteitag durch die Gruppierungkritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurtim DGB-Jugendclub U68 in Frankfurt amMain vorbereitet.

Im November mobilisierten Autonomeund Postautonome aus dem Rhein-Main-Gebiet zu Protesten gegen denAfD-Bundesparteitag in Hannover.Hierzu lud die IL Frankfurt zu einem Mo-bilisierungstreffen in das Café KoZ inFrankfurt am Main ein.

„Antifaschismus“: Kampagne „make ra-cists afraid again! Kampagne gegenNaziterror und Rassismus“ und De-monstration am 25.Februar in Frankfurtam Main | Anfang des Jahres wurde vondem autonomen Bündnis AUF die Kam-pagne „make racists afraid again! Kam-pagne gegen Naziterror und Rassismus“ins Leben gerufen. Laut AUF sei es derenZiel, Nazis in ihrem Umfeld zu outen,AfD-Veranstaltungen zu verhindern unddafür zu sorgen, dass sich Rassistennicht mehr in ihre Stammkneipe trauen.Das Begehen szenetypischer Straftatenwurde offen gefordert.

Den Höhepunkt der Kampagne bildetedie am 25. Februar in Frankfurt am Maindurchgeführte Demonstration unterdem Motto „Rechtem Gedankengut ent-schlossen entgegentreten!“ Tatsächlichnahmen rund 1.000 Personen an demüberwiegend friedlich verlaufenen De-monstrationszug teil, der auch am Bürodes Landesverbands der AfD vorbei-führte. An der Aufzugspitze formiertesich ein schwarzer Block, auch wurdeneinige Böller sowie Raketen gezündet.

Links-Rechts-Auseinandersetzungen inMittelhessen | Auch im Berichtsjahr kames im Bereich Mittelhessen erneut zuLinks-Rechts-Auseinandersetzungen.Diese hatten hauptsächlich ihrenSchwerpunkt in der UniversitätsstadtMarburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf). Es kam zu einigen Sachbe-schädigungen an Pkw sowie zuAngriffen auf Burschenschaftshäuser mitFarbbeuteln, Steinwürfen, Feuerwerks-körpern, zum Teil auch zu körperlichenAuseinandersetzungen. Zu den Aktions-

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formen gehörten auch Outings angeb-licher Rechtsextremisten. In der Tendenzwar eine Steigerung der Intensität derAuseinandersetzungen erkennbar.

„Antirassismus“: Demonstrationen ge-gen Abschiebungen und Protestaktio-nen der Kampagne „Kein Schlussstrich– Tag X“ | Im Themenfeld „Antirassismus“kam es im Berichtsjahr zu mehreren De-monstrationen gegen Abschiebungen,an denen sich Linksextremisten beteilig-ten. So demonstrierten unter dem Motto„Abschiebestopp nach Afghanistan –jetzt“ am 11. Februar etwa 800 Personenin Wiesbaden. Hierzu hatten der Arbeits-kreis Umwelt Wiesbaden (AKU), AUF so-wie die antirassistische Gruppierung no-borderffm aufgerufen.

Am 6. Dezember versammelten sich aufdem Flughafen Frankfurt am Main unterMitführung von Fahnen und Plakatenetwa 560 Teilnehmer zu einer Kundge-bung unter dem Motto „Es reicht! –Keine Abschiebung mehr nach Afgha-nistan!“ Die friedlich verlaufene Veran-staltung wurde von dem AKU und no-borderffm unterstützt.

„Anti-Gentrifizierung“/„selbstverwal-tete Freiräume“: Hausbesetzungen | ImJuni besetzte eine Personengruppe imBereich der Universität Kassel das Ge-bäude Mönchebergstraße 42. Laut eige-nem Bekunden wollten die Besetzerganz im anarchistisch geprägtenSprachgebrauch „solidarisch den alltäg-lichen Erzählungen von Konkurrenz undVerwertbarkeit etwas Großartiges ent-gegensetzen“. Man setzte hierbei eigen-mächtig voraus: „Dieser Raum gehört

uns allen“ und bezeichnete sich selbst,ebenfalls im anarchistischen Anklang,als „ständig wachsendes Kollektiv“. AlsSprecherin für die Hausbesetzer trateine nordhessische Anarchistin öffent -lich auf.

Aus dem linksextremistischen Spektrumkam es zu sogenannten Solidaritätser-klärungen. Die Gruppierungen d.o.r.n.und T.A.S.K. etwa thematisierten die Be-setzung, das OAT-Marburg (Offenes An-tifa Treffen in Marburg) befürwortete dieBesetzung,

„weil hier dieser beschissenen Gesell-schaft mit ihren faschistoiden Elementender Raum genommen wird um ihn für et-was Besseres, etwas Schöneres und et-was Emanzipatorisches zu nutzen. DasSchaffen von Freiräumen ist aktiver An-tifaschismus.“ (Schreibweise wie im Ori-ginal.)

Noch im Juni fand die polizeiliche Räu-mung des Gebäudes statt, in deren An-schluss es zu tumultartigen Protestenkam.

„Antikapitalismus“: Gewalttätige Pro-teste gegen den G20-Gipfel in Ham-burg | Anlässlich des Gipfels der G20 am7. und 8. Juli in Hamburg fanden dortseit dem 2. Juli zahlreiche Protestaktio-nen mit insgesamt mehreren zehntau-send Teilnehmern statt, unter ihnen etwa8.000 gewaltbereite Linksextremisten,aus deren Reihen es insbesondere zwi-schen dem 6. und 8. Juli zu schwerstengewalttätigen Ausschreitungen in der In-nenstadt kam (476 verletzte Polizeibe-amte und Sachschäden in Millionen-

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höhe). Als Reaktion auf die Ereignisseentstand in Politik und Medien eine De-batte über ein verschärftes Vorgehengegen linksextremistische Strukturen. Inden Fokus der Diskussionen rückte vorallem der Umgang mit linksextremisti-schen Szeneobjekten, aber auch das imAugust bekanntgegebene Verbot derwichtigsten linksextremistischen Inter-netplattform, linksunten.indymedia.org,fand bundesweit Aufmerksamkeit.

Mobilisierungsphase und „militante Be-gleitkampagne“ | Den Protesten voraus-gegangen war eine monatelange bundes- und europaweite Mobilisie-rungskampagne, an der sich – nebenzahlreichen nichtextremistischen Orga-nisationen – auch türkische und kurdi-sche Linksextremisten sowie nahezu diegesamte bundesweite linksextremisti-sche Szene beteiligten. Letztere wardurch die linksextremistischen Organi-sationen IL und das …umsGanze!-Bündnis federführend im bedeutend-sten Vorbereitungsbündnis, dembundesweiten und Spektren übergrei-fenden NoG20-Bündnis engagiert. Da-rüber hinaus existierten mehrere Vernet-zungsstrukturen, die ausschließlich ausgewaltbereiten linksextremistischenGruppierungen bestanden. Währenddas NoG20-Bündnis versuchte, durcheine thematisch breite und konsensfä-hige Ausrichtung sowohl Nichtextremis-ten als auch Linksextremisten und Extre-misten mit Auslandsbezug in einemBündnis zu vereinigen, sprachen sich dieanderen Vernetzungsstrukturen deutlichfür „militante“ Aktionen während desGipfels aus.

Gefördert wurde die Gewaltbereitschaftdurch eine bereits im Mai 2016 von au-tonomen und anarchistischen Gruppeninitiierte „militante Begleitkampagne“, inderen Rahmen es im Vorfeld des G20-Gipfels zu schadensträchtigen Anschlä-gen auf Gebäude und Fahrzeuge vonBanken, Unternehmen, Polizei, Bundes-wehr und sonstigen staatlichen Einrich-tungen kam. Von den etwa 140 Strafta-ten, die im Zusammenhang mit derKampagne zu verzeichnen waren, wur-den sechs Aktionen in Hessen verübt.Zunächst kam es in Frankfurt am Mainam 21. Oktober 2016 zu Stein- und Fla-schenwürfen auf die Baustelle des ehe-maligen Philosophicums der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Beiweiteren Aktionen im Berichtsjahr kames ebenfalls in Frankfurt am Main zuBrandanschlägen, bei denen drei Fir-menfahrzeuge, drei Zivilfahrzeuge desZolls sowie ein Schaufelbagger in Brandgesetzt wurden. Zudem wurde am 25.Juni in Frankfurt am Main ein Ausbil-dungszentrum der Deutschen Bank er-heblich beschädigt.

Generell war die linksextremistischeSzene in Hessen bei der Mobilisierungfür die Proteste gegen den G20-Gipfelsehr aktiv. Landesweit (unter anderem inKassel, Fulda, Marburg, Gießen undDarmstadt) gab es über 50 entspre-chende Veranstaltungen, die teilweiseauch von Organisationen aus dem Be-reich des dogmatisch-legalistischenLinksextremismus wie etwa von der So-zialistischen Deutschen Arbeiterjugend(SDAJ), der Gruppe Arbeitermacht(GAM) und deren JugendorganisationRevolution (REVO) durchgeführt wurden.

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Die meisten Mobilisierungsaktivitätengingen von autonomen und postauto-nomen Gruppen aus Frankfurt am Mainaus. Die autonome Gruppierung siem-pre*antifa Frankfurt/M engagierte sichgemeinsam mit der AntifaschistischenRevolutionären Aktion Gießen (A.R.A.G.)im gewaltorientierten Fight-G20-Bündnis. Weiterhin unterstützten sowohldie Frankfurter Ortsgruppe der IL alsauch die im …umsGanze!-Bündnis ver-tretene Gruppierung kritik&praxis – radi-kale Linke [f]rankfurt die Tätigkeit von ILund des …umsGanze!-Bündnisses imbundesweiten NoG20-Bündnis. Gleich-zeitig gründete sich mit NoG20 Rhein-Main ein regionaler Ableger des Bünd-nisses.

Ziel von NoG20 Rhein-Main war es, einegemeinsame Mobilisierung aller an denProtesten interessierten Gruppen undPersonen aus dem Rhein-Main-Gebietzu erreichen. Hierfür veranstalteteNoG20 Rhein-Main am 5. März und 10.Juni in Frankfurt am Main Aktionskonfe-renzen und rief zu einer gemeinsamenAnreise nach Hamburg mit einem vombundesweiten NoG20-Bündnis organi-sierten Sonderzug auf. Zu weiteren An-reisen kam es mit angemieteten Bussensowie mit anderen öffentlichen und pri-vaten Verkehrsmitteln.

Verlauf der Proteste gegen den G20-Gipfel | Die erste Phase der Gipfelpro-teste vom 30. Juni bis 5. Juli war geprägtvon der Auseinandersetzung zwischenden Gipfelgegnern und der Stadt Ham-burg hinsichtlich der Genehmigungzweier Protestcamps als Übernachtungs-und Rückzugsmöglichkeit für an -

reisende Demonstranten. An den ge-planten Standorten der Camps kam eszu ersten Auseinandersetzungen zwi-schen Demonstranten und der Polizei.

Höhepunkt der Proteste und zugleichSchauplatz der äußerst gewalttätigenAusschreitungen waren die Tage vom 6.bis 8. Juli. Ausgangspunkt war eine De-monstration am Abend des 6. Juli unterdem Motto „Welcome to hell“, die ausdem Umfeld der Roten Flora angemel-det worden war. Die Polizei stoppte dieDemonstration mit etwa 12.000 Teilneh-mern, da sich rund 1.000 Personen in ei-nem schwarzen Block vermummt hattenund somit gegen das Versammlungsge-setz verstießen. Auf den Versuch der Po-lizei, den schwarzen Block von den übri-gen Teilnehmern zu trennen, reagiertenDemonstranten mit Stein- und Flaschen-würfen und griffen die Polizisten mit Stö-cken, Eisenstangen und Holzlatten an.Daraufhin setzten die Einsatzkräfte Was-serwerfer, Pfefferspray und Schlagstöckeein. Nachdem die Anmelder wenig spä-ter die Demonstration für beendet er-klärt hatten, zogen Personen aus demschwarzen Block in Kleingruppen durchdie Innenstadt, begingen Sachbeschä-digungen, entzündeten Barrikaden undgriffen Polizisten mit Wurf- und Zwillen-geschossen an.

Für den 7. Juli hatten die Gipfelgegnereinen „Tag des zivilen Ungehorsams“ an-gekündigt. Mit zahlreichen über den ge-samten Tag verteilten Aktions- und Blo-ckadeformen sollte der Gipfelablaufgestört und die Hamburger Infrastrukturkurzzeitig lahmgelegt werden. Paralleldazu zogen mehrere Gruppen gewalt-

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bereiter Linksextremisten durch die In-nenstadt. Zahlreiche Gebäude wurdenbeschädigt, Brandanschläge auf Kabel-leitungen der Deutschen Bahn verübt,ein Polizeihubschrauber angegriffenund eine Vielzahl von Fahrzeugen inBrand gesetzt.

Den Abschluss der Proteste gegen denG20-Gipfel bildete am 8. Juli eine inter-nationale Großdemonstration mit demMotto „G20 – not welcome“. Unter denetwa 50.000 Teilnehmern befand sichein Block mit Anhängern der mit einemBetätigungsverbot belegten PKK sowieweitere Gruppen kurdischer und türki-scher Linksextremisten. Aus einem „in-ternationalistischen Block“, der ebenfallsam Demonstrationszug teilnahm, griffenetwa 120 vermummte Personen Polizei-kräfte an.

Insgesamt beteiligten sich an den ver-schiedenen Protestaktionen währenddes G20-Gipfels etwa 8.000 gewaltbe-reite Linksextremisten sowie – im unterenvierstelligen Bereich – Anhänger linksex-tremistischer kurdischer und türkischerOrganisationen. Die Polizei nahm 186Personen vorläufig fest und weitere 225in Gewahrsam. Zwei der Festgenomme-nen sowie acht der in Gewahrsam Ge-nommenen hatten einen Haupt- oderNebenwohnsitz in Hessen. Zum Schutzdes G20-Gipfels wurden über 20.000 Po-lizeibeamte eingesetzt. Insgesamt wur-den 476 Einsatzkräfte verletzt, hierunter149 hessische Polizeibeamte.

Reaktionen | Die linksextremistischeSzene bewertete die Gipfelproteste alsErfolg. Eine klare Distanzierung von den

Gewaltexzessen gab es kaum, zumal dieSzene Gewalt generell als legitimes Mittelin der politischen Auseinandersetzungbetrachtet. Auf ihrer Facebook-Seite zi-tierte die Gruppierung kritik&praxis – ra-dikale linke [f]rankfurt am 11. Juli fol-gende Passage aus „EIN GRUSS AUS DERZUKUNFT[.] MITTEILUNG DES ..UMSGANZE!-BÜNDNIS ZUM VERLAUF DERG20-PROTESTE IN HAMBURG“ (Schreib-weise wie im Original.):

„Wenn die Kids aus dem Viertel gemein-sam mit Aktivist*Innen aus ganz Europaeben jenen Bullen, die beide aufs übel-ste drangsalieren, mal zeigen, dass dasBlatt sich auch – zumindest für ein paarStunden – wenden kann, wenn der hoch-gerüstete Sicherheitsstaat mal ein wenigdie Kontrolle verliert, dann ist das gutund nicht schlecht. Hoffnung ist tatsäch-lich immer aus Rebellion entstanden,aber für die gab es vorher nie eine Ge-nehmigung von Oben. Die Frage, wieman ,so etwas’ in Zukunft verhindernund den Protest möglichst keimfrei ge-stalten kann, überlassen wir daher gernden Bürokrat*innen des Bestehendenauf beiden Seiten der Barrikade. Dennverwunderlich ist weniger, dass es knallt,als dass es das gemessen am herrschen-den Wahnsinn viel zu selten tut.“

Diskussion über Konsequenzen | In deröffentlichen Auseinandersetzung hin-sichtlich möglicher Konsequenzen ent-wickelte sich auch eine bundesweite Debatte über den Umgang mit linksex-tremistischen Szeneobjekten. Insbeson-dere die Tatsache, dass sich viele Treff-punkte im Besitz von Städten undKommunen befinden, die der Szene Ob-

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jekte häufig kostengünstig zur Nutzungüberlassen werden, stieß vielerorts aufUnverständnis. In Hessen wurde die De-batte vor allem in Frankfurt am Main ge-führt und durch einen Medienberichtüber ein G20-Nachbereitungstreffen imCafé ExZess forciert: Hier hatten Teilneh-mer, so der Zeitungsbericht, „große Zu-friedenheit“ über den militanten Verlaufder Proteste artikuliert. Einige Aktivisten,die in Hamburg vor Ort waren, berichte-ten von einer positiven Stimmung. EinTeilnehmer schwärmte von den Fla-schenwürfen auf die Polizei: „Das wareine tolle Stimmung, so viel Unterstüt-zung. Das will ich hier in Frankfurt auchhaben“. Infolgedessen fokussierte sichdie Diskussion über linksextremistischeSzeneobjekte auf das Café ExZess unddas ehemalige Polizeigefängnis Klap-perfeld, die im Besitz der Stadt Frankfurtam Main sind und den jeweiligen Trä-gervereinen zur Nutzung überlassenwerden.

Verbot der linksextremistischen Internet-plattform linksunten.indymedia.org |Das nach den Protesten gegen denG20-Gipfel am 25. August vom Bundes-minister des Innern verfügte Verbot derlinksextremistischen Internetplattformlinksunten.indymedia.org hatte erhebli-che Auswirkungen auf die bundesweitelinksextremistische Szene. In Baden-Württemberg wurden Durchsuchungenin mehreren Objekten und bei führen-den Mitgliedern und Unterstützern vonlinksunten.indymedia.org durchgeführt.Die Internetplattform war die zentraleKommunikationsplattform im Bereichdes gewaltorientierten Linksextremis-mus in der Bundesrepublik. Dort wurde

fortlaufend öffentlich zum Begehen vonStraftaten aufgefordert, dazu angeleitetoder verübte Straftaten gebilligt. Auf derPlattform fanden sich zum Beispiel Ge-waltaufrufe gegen Polizeibeamte sowieAnleitungen zum Bau von zeitverzöger-ten Brandsätzen und die Aufforderung,diese auch zu verwenden. Als Reaktionauf das Verbot veröffentlichte die links-extremistische Szene zeitnah Solidari-tätsbekundungen und rief zu entspre-chenden Aktionen und Spenden für dievom Verbot betroffenen Personen auf.Letztere reichten Klage gegen das Ver-bot ein, über die jedoch noch nicht ent-schieden wurde. Unabhängig hiervongelang es der linksextremistischenSzene im Berichtsjahr nicht, eine ver-gleichbare zentrale Internetplattform zuetablieren. Sie nutzt andere verfügbarePlattformen.

„Antirepression“: Demonstration „Fin-ger weg von unseren Strukturen“ | Am28. Oktober fand in Frankfurt am Maineine Demonstration der linksextremisti-schen Szene unter dem Motto „Fingerweg von unseren Strukturen“ statt. Dievon AUF und Rote Hilfe e. V. (RH) Frank-furt organisierte Demonstration übte ei-nerseits Solidarität mit der verbotenenInternetplattform linksunten.indyme-dia.org und richtete sich andererseitsgegen die angebliche Zunahme staatli-cher Repression gegenüber linkenStrukturen und Szeneobjekten im Nach-gang des G20-Gipfels. Ebenfalls thema-tisiert wurden der Wahlerfolg der AfDbei der Bundestagswahl sowie ein zudieser Zeit in München laufender Prozessgegen zehn Mitglieder der linksextre-mistischen Türkiye Komünist Partisi/

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Marksist-Leninist (TKP/ML, TürkischeKommunistische Partei/Marxisten-Leni -nisten). Zu der Demonstration hattenzahlreiche linksextremistische und insbe-sondere autonome Gruppen aus Hessenaufgerufen. Mit 700 Teilnehmernübertraf die friedlich verlaufene De-monstration die zuvor angemeldete Teil-nehmerzahl von 200 Personen deutlich.

Entstehung/Geschichte

Die autonome Bewegung wurzelt in deneuropaweiten Studentenprotesten derspäten 1960er und 1970er Jahre. In die-ser Zeit entstand die SelbstbezeichnungAutonome. Für die große Öffentlichkeitzum ersten Mal erkennbar agierten Au-tonome, als sie 1980 in Bremen gegendie Vereidigung von Bundeswehrrekru-ten demonstrierten. Dabei kam es zu ge-walttätigen Auseinandersetzungen mitder Polizei.

Als breite eigenständige Bewegung wa-ren Autonome seit Anfang der 1980erJahre auszumachen. Sie waren zunächstvor allem in der „Friedens“- und in der„Anti-Atomkraftbewegung“ sowie beiHausbesetzungen aktiv. Autonomeagierten gewalttätig gegen die in Wa-ckersdorf (Bayern) geplante Wiederauf-bereitungsanlage für Kernbrennstoffeund lieferten sich an der Startbahn Westam Frankfurter Flughafen gewalttätigeAuseinandersetzungen mit der Polizei.

Mit der Zeit erschlossen sich die Auto-nomen weitere Aktionsfelder, die in derRegel durch eine „Anti“-Haltung ge-kennzeichnet sind: „Antifaschismus“,„Antirepression“, „Antirassismus“, „Anti-

Gentrifizierung“, „Antimilitarismus“. „An-tikapitalistische“ Einstellungen von Au-tonomen, die im „Kapitalismus“ die Wur-zel allen Übels sehen, bilden dieGrundlage für diese Aktionsfelder.

Ideologie/Ziele

Gemeinsame Vorstellungen der Auto-nomen | Das Ziel der Autonomen ist dieAbschaffung der freiheitlichen demokra-tischen Grundordnung und des „kapita-listischen Systems“ zugunsten einer„herrschaftsfreien“ Gesellschaft. In ihrsollen sich unabhängige Individuen frei-willig vereinen und gemeinsam undgleichberechtigt handeln. Nach der An-sicht von Autonomen werden die Men-schen durch „Kapitalismus“, „Rassismus“und „Patriarchat“ unterdrückt und aus-gebeutet. Als Ursache hierfür betrach -ten die Autonomen die bürgerliche de-mokratische Gesellschaft und das freieWirtschaftssystem im Kapitalismus. Im-perialismus und vor allem Faschismussind in den Augen der Autonomen diemaßgeblichen Werkzeuge dieser dreifa-chen Unterdrückung.

Themenfelder | Ihren „Anti“-Haltungenund Feindbildern entsprechend definie-ren Autonome ihre politischen Aktivitä-ten (zum Beispiel „Antifaschismus“ – ge-gen „Rechte“ bzw. „Nazis“ – oder„Antirepression“ – insbesondere gegenPolizisten als öffentlich wahrnehmbare Vertreter des „staatlichen Repressions-apparats“). Sämtliche Feindbilder sinddabei auf eine „antikapitalistische“Grundhaltung zurückzuführen. Um ihreBündnis- und Mobilisierungsfähigkeit zuerhöhen, versuchen insbesondere Post-

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autonome mehrere Themenfelder beiihren Aktivitäten zu verknüpfen.

„Antikapitalismus“ | Dieses Themenfeldbildet den Kern der Vorstellungen derautonomen Szene bzw. des gesamtenlinksextremistischen Spektrums. DemMarxismus zufolge ist die kapitalistischeWirtschaftsform das alles dominierendeElement des menschlichen Daseins undbestimmt alle Lebensbereiche. Linksex-tremisten setzen auf dieser Basis die frei-heitliche demokratische Grundordnungmit dem Kapitalismus gleich und be-kämpfen diese, indem sie unter ande-rem soziale Themen für ihre Zwecke in-strumentalisieren.

„Antifaschismus“ | Vor allem das The-menfeld „Antifaschismus“ zeichnet sichfür Linksextremisten dadurch aus, dasses eine hohe Anschlussfähigkeit annichtextremistische Organisationen undGruppierungen ermöglicht. Im Unter-schied zur demokratischen Bekämpfungdes Rechtsextremismus ist das links -extremistische „Antifaschismus“-Ver-ständnis von Demokratiefeindlichkeitgeprägt. In kommunistischer Traditionunterstellen Linksextremisten der De-mokratie der Bundesrepublik Deutsch-land, selbst „faschistisch“ oder „faschis-toid“ zu sein. „Faschist“ ist demnachjeder, der linksextremistische Über -zeugungen nicht teilt. Sobald die Bewer-tung „Faschist“ vergeben ist, ist der Be-troffene, unabhängig von seinentatsächlichen Überzeugungen, nachlinksextremistischem Urteil legitime Ziel-scheibe von Diffamierungen und Ge-walttaten.

Unter „Antifaschismus“ verstehen Links-extremisten bzw. Autonome nicht nurdie konsequente Ablehnung rechtsex-tremistischer Bestrebungen, vielmehrsetzen sie den offensiven „Kampf gegenRechts“ mit dem „Kampf gegen dasGanze“, das heißt gegen das „bürger-lich-kapitalistische System“, gleich: Erstwenn der „Kapitalismus“ beseitigt sei,sei die Gefahr des Faschismus als Formbürgerlicher Herrschaft gebannt.

„Antirassismus“ | Vor dem Hintergrundder europäischen Flüchtlingspolitik undder damit einhergehenden medialenBerichterstattung sowie der hohen öf-fentlichen Aufmerksamkeit versucht daslinksextremistische Spektrum, mit „Aktionen“ in die Debatte einzugreifen.Entsprechend der autonomen bündnis-politischen Zielrichtung soll das szene -eigene Verständnis von „Antirassismus“möglichst langfristig und breit in derMehrheitsgesellschaft etabliert werden.Dieses Verständnis konzentriert sichnicht nur auf die Thematisierung derFlüchtlingsproblematik, sondern Auto-nome wollen vor allem nachweisen,dass Staat und Gesellschaft selbst „ras-sistisch“ sind und daher im linksextre-mistischen Sinne bekämpft und über-wunden werden müssen. RechtmäßigesHandeln von Behörden gilt für Auto-nome in dieser Diktion als „rassistisch“:„Nazis morden, der Staat schiebt ab –das ist das gleiche Rassistenpack“.

„Anti-Gentrifizierung“/„selbstverwal-tete Freiräume“ | Der Begriff „Gentrifi-zierung“ beschreibt den sozial-ökonomi-schen Wandel von Stadtvierteln, indenen vor allem die Preise für Wohnun-

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gen sowie die Mieten steigen. DieWohnbevölkerung wechselt, indem är-mere Bevölkerungsgruppen weg- undsoziale Gruppen mit deutlich höhererKaufkraft hinzuziehen. Gegen diese Ent-wicklung formieren sich in den betroffe-nen Vierteln häufig Protestbündnisseaus alteingesessenen Bewohnern undinsbesondere Studenten, die sich fürgünstigen Wohnraum in den Innenstäd-ten einsetzen.

Linksextremisten schließen sich diesenInitiativen aus mehreren Gründen an: In-dem sie sich für bezahlbaren Wohnraumeinsetzen, können sie sich als sozialpoli-tische Akteure profilieren und gesell-schaftliche Akzeptanz erreichen. Weiter-hin ist es Autonomen auf diese Weisemöglich, anschaulich ihre „antikapitalis-tische“ Grundhaltung zu vermitteln.Schließlich sind sie oft selbst von Gentri-fizierung betroffen, da die von ihnen ge-nutzten „selbstverwalteten Freiräume“ –also autonome Szeneobjekte – häufigselbst seitens des Eigentümers für ent-sprechende „Luxussanierungen“ vorge-sehen sind. Insofern richten sich linksex-tremistische Aktionen in diesemThemenfeld gerade auch gegen Immo-bilienfirmen und Städtebaugesellschaf-ten, die Eigentümer der Objekte sind.

Frage der Gewalt | Seit jeher versuchenAutonome ihre Ziele auch mit Gewalt zuerreichen. In der Anwendung von Ge-walt sehen Autonome nicht nur ein „Mit-tel zum Zweck“, sondern ebenso einenAkt der „individuellen Selbstbefreiung“.Die regelmäßig in der Szene geführte„Militanzdebatte“ beschäftigt sich dahernicht mit der Legitimität von Gewaltan-

wendung, sondern mit der kontroversdiskutierten Frage, ob sich Gewalt „nur“gegen Sachen oder auch gegen Men-schen richten darf. Dabei nehmen es Au-tonome billigend in Kauf, dass Men-schen im Rahmen ihrer „Aktionen“verletzt oder sogar getötet werden.

Hauptströmungen der (post-)autono-men Szene in Hessen | Es sind dreiHauptströmungen – Antiimperialisten,Antideutsche und Antinationale – zu un-terscheiden. Sie stehen sich inhaltlichzum Teil diametral gegenüber. Nur übernicht weiter präzisierte „antikapitalisti-sche“ und „antifaschistische“ Grundhal-tungen erzielen die drei Strömungenhäufig einen Minimalkonsens.

Antiimperialisten | Antiimperialisten ma-chen die vorgeblich durch den „Kapita-lismus“ bedingte „imperialistische“ Poli-tik westlicher Staaten, vorrangig der USAund Israels, für weltpolitische Konflikteverantwortlich. Diese Linksextremistenstehen daher fest an der Seite von „anti-imperialistischen Befreiungsbewegun-gen“ etwa in Südamerika oder in derarabischen Welt. Im Unterschied zu denAntideutschen solidarisieren sich Anti-imperialisten besonders mit dem vonder Palestine Liberation Organization(PLO, Palästinensische Befreiungsorga-nisation) im Jahr 1988 ausgerufenenStaat Palästina und agitieren gegen Is-rael.

Antideutsche | Antideutsche zeigen sichdagegen uneingeschränkt solidarischmit Israel, aber auch mit den USA alsdessen militärischer Schutzmacht. Ara-bische Regimes und islamistische Orga-

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nisationen bezeichnen die Antideut-schen als „rechtsradikal“ oder „islamfa-schistisch“. Militärische Aktionen gegeneine mögliche Bedrohung Israels sehenAntideutsche grundsätzlich als positivan. Damit widersprechen Antideutschedem „antimilitaristischen“ und gegenden Krieg gerichteten Selbstverständnisanderer autonomer Strömungen. EinigeAutonome werfen Antideutschen daher„Kriegstreiberei“ vor. Ferner sprechenAntideutsche der deutschen Nation mitVerweis auf den Holocaust die Existenz-berechtigung ab. Den Antiimperialistenunterstellen sie – ebenso wie dem deut-schen Volk im Allgemeinen – antizionis-tische und antisemitische Einstellungen.

Antinationale | Mit den Antinationalenentwickelte sich spätestens seit 2006bundesweit eine dritte ideologischeAusrichtung, die phasenweise in der au-tonomen Szene in Hessen prägend warund weiterhin präsent ist. Die Positionender Antinationalen liegen zwischen An-tiimperialisten und Antideutschen, sindjedoch den letzteren näher.

Aus Sicht der Antinationalen ist jederStaat im „Kapitalismus“ zwangsläufig im-perialistisch. Kriege seien nur „Ausdruckder notwendigen Konflikte“ im kapitalis-tischen System, da die jeweiligen staat-lichen Interessen gegenüber der globa-len Konkurrenz durchgesetzt werdenmüssten. Die Antinationalen lehnen je-doch die einseitig positive Bezugnahmeder Antiimperialisten auf revolutionäreBefreiungsbewegungen in der DrittenWelt ab, da diese letztlich auch nur na-tionalistische Ziele verfolgten und häufigreaktionäre Ideologien verträten, die es

aus „antifaschistischer“ Perspektive zubekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht derAntinationalen insbesondere auf isla-mistische Gruppen zu.

Den Antideutschen wiederum werfenAntinationale eine zu starke Fixierungauf den „historischen Sonderweg“Deutschlands und den daraus nach demZweiten Weltkrieg entstandenen StaatIsrael sowie eine Gleichsetzung von Is-lam und Islamismus vor. Zwar räumenAntinationale „Israel als Staat der Holo-caustüberlebenden und als Schutzraumfür die weltweit vom Antisemitismus be-drohten Jüdinnen und Juden“ eine Son-derstellung ein, andererseits sehen siein Israel bei aller Solidarität mit dessenVolk einen „kapitalistischen“ Staat, derletztlich ebenso wie das gesamte Staa-tensystem abzuschaffen sei.

Strukturen

Szeneschwerpunkt | Frankfurt am Mainwar – wie in der Vergangenheit – sowohlpersonell als auch strukturell der Szene-schwerpunkt in Hessen. Etwa die Hälftealler Autonomen in Hessen ist in derStadt oder in den unmittelbar angren-zenden Kommunen (zum Beispiel Offen-bach am Main) beheimatet. Bundesweitbetrachtet gehörte Frankfurt am Main zuden Großstadtregionen mit einer konti-nuierlichen Präsenz autonomer Zusam-menhänge. Von anderen Szenen in Hes-sen unterschied sich der „harte Kern“der Frankfurter Szene durch seine gutebundesweite Vernetzung, das hohe Per-sonenpotential auf engem Raum unddem vorauseilenden Ruf besonders ge-waltbereit zu sein.

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Besonders relevante Gruppen in Frank-furt am Main waren kritik&praxis – radi-kale Linke [f]rankfurt, die IL Frankfurt,siempre*antifa Frankfurt/M., AUF undstellenweise AK.069. Mit dem TreffortKlapperfeld verfügte die Szene in Frank-furt am Main über den bedeutendstenautonomen Anlaufpunkt in Hessen. Da-rüber hinaus bildeten das Café ExZess,das Café KoZ und das neu eröffneteCentro wichtige Treffpunkte.

Regionale Szenen | Weitere autonomeSzenen gab es in den Universitäts -städten Kassel, Marburg (Landkreis Mar-burg-Biedenkopf) und Gießen (Land-kreis Gießen). Erwähnenswert sind dieGruppierungen T.A.S.K. und akraccoons aus Kassel, die MarburgerGruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. und die antifa-schistische gruppe 5 (ag5) sowie in Gie-ßen die Antifa R4 und die A.R.A.G. InDarmstadt festigten sich, auch aufgrundder Aktivitäten der IL Darmstadt, die Sze-nestrukturen.

Insgesamt gehörten der IL einige auto-nome Gruppierungen aus Hessen an,was ein Beleg für die bundesweite Ver-netzung von (Post-)Autonomen in Hes-sen ist. Darüber hinaus war das Bündnisantifaschistischer Strukturen Hessen(B.A.S.H.) aktiv, das einmal im Jahr ein„Antifacamp“ ausrichtet, das der Politi-sierung, Radikalisierung und letztlich Re-krutierung junger Menschen, die länger-fristig in autonomen Strukturen aktivsein wollen, dienen soll.

Bewertung/Ausblick

Das dominierende Ereignis im Berichts-zeitraum waren die Aktionen anlässlichdes G20-Gipfels in Hamburg AnfangJuli. Massivste gewalttätige Auseinan-dersetzungen gab es am 6. und 7. Juli.Die überwiegend unbekannten Straftä-ter machten durch die in diesem Berichtknapp dargestellten Abläufe und Verhal-tensweisen deutlich, dass es ihnen eherum Zerstörung ganzer Straßenzüge undAngriffe auf Sicherheitskräfte ging undweniger um die Auseinandersetzungmit der Weltwirtschaft.

Die massiven Gewaltausschreitungenwaren aufgrund der typischen schwar-zen Vermummung und der verwende-ten Tatmittel (unter anderem Steine, Mo-lotowcocktails) insbesondere derautonomen Szene zuzurechnen. Dassdurch die massive Gewaltanwendungauch Anwohner betroffen wurden, ist of-fenbar in Kauf genommen worden. An-gesichts der Ereignisse muss die Fragegestellt werden, ob sich die unter Auto-nomen kontrovers geführte „Militanzde-batte“ in Richtung der Legitimität desEinsetzens von Gewalt gegenMenschen verschiebt.

Autonome sehen die Aktionen rund umden G20-Gipfel als Erfolg für sich an,weil es gelungen sei, wenn auch kurz -fristig, eine herrschaftsfreie Zone im öf-fentlichen Raum (im und um das Schan-zenviertel) herzustellen. Die vonlinks extremistischen Gruppierungenausgehenden Gewaltexzesse als solchewurden auch im Nachhinein nicht kri-tisch bewertet oder gar verurteilt. Ein

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vergleichbares Thema, das wie derG20-Gipfel internationale Anziehungs-kraft für Linksextremisten, insbesondereAutonome hätte, ist für das Jahr 2018derzeit nicht abzusehen.

In diesem Zusammenhang wurde direktim Anschluss an den G20-Gipfel dieRolle der Roten Flora in Hamburg kritischhinterfragt. Die Diskussion über solcheSzeneobjekte setzte daraufhin bundes-weit ein. In Hessen bezog und beziehtsich die Debatte insbesondere auf dasehemalige Polizeigefängnis Klapperfeldin Frankfurt. Dieses Szeneobjekt steht imkritischen Spannungsverhältnis kulturel-ler Angebote als Deckmantel für dahin-terliegende linksextremistische Aktivitä-ten. Die Bedeutung dieses Themen-feldes für die linksextremistische Szenezeigte sich in neuen Hausbesetzungsver-suchen, die zügig durch polizeilichesHandeln unterbunden wurden, sowiedemonstrativen Aktionen mit dem Ziel,für den Erhalt „selbstverwalteterZentren“ einzutreten. Es steht zu erwar-ten, dass entsprechende Aktivitäten sich2018 fortsetzen werden.

Bundesweit erfolgten im Berichtsjahr un-ter anderem vor dem Hintergrund derBundestagswahl Aktionen gegen dieAfD. Auch in Hessen wurden entspre-chende Aktivitäten realisiert. Einige Ou-tings durch linksextremistische Gruppie-rungen, insbesondere auch im Internet,sollten dazu beitragen, angebliche Kon-takte von Parteiangehörigen zu rechtsex-tremistischen Strukturen öffentlich zu ma-chen. Mit Blick auf die Landtagswahl imHerbst 2018 in Hessen ist damit zu rech-nen, dass die Proteste und Aktionen ge-

gen Parteiveranstaltungen oder einzelneihrer Anhänger auch in Hessen weiterge-hen werden. Eine Intensivierung geradekampagnenartig durchgeführter Aktivitä-ten, aber auch klandestin vorbereiteter,als legitime „Widerstandsaktionen“ dar-gestellter Straftaten wie Sachbeschädi-gungen ist nicht auszuschließen.

Linksextremisten stellen Aktionengegen die AfD stets in einen „Antifa-schismus“-Zusammenhang. Dieses The-menfeld wird seine herausragende Be-deutung als Spektren übergreifendesMobilisationsthema behalten.

Gerade bei Demonstrationen und Ver-anstaltungen im Themenfeld „Antifa-schismus“ fällt es Linksextremistenleicht, Anknüpfungspunkte, Schnittstel-len und Kooperationen zu nichtextremis-tischen Organisationen herzustellen.Diese erkennen oft nicht, dass Veranstal-tungen von Linksextremisten im Kern fürderen eigene Ziel- und Zwecksetzungenausgenutzt werden. Mittel- und langfris-tig können so linksextremistische Sicht-weisen durch Annäherung und denSchulterschluss mit nichtextremis tischenGruppen in die „Mitte der Gesellschaft“getragen werden.

Die Vereinnahmung der moralischenDeutungshoheit nach eigens definiertenMaßstäben und die für eigene aktionis-tische Handlungen immer wieder vorge-schobene Täter-Opfer-Umkehr ist einetypische Erscheinungsform autonomerVorgehensweisen. Die Äußerungen derAutonomen verdeutlichen außerdem ih-ren unbekümmerten Umgang mitselbstjustiziellen Handlungsformen.

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Aufgrund der bundesweit andauerndenmedialen Befassung mit der Flüchtlings-thematik sowie dem weiterhin hohenEmotionalisierungsgrad ist mit hoherWahrscheinlichkeit damit zu rechnen,

dass auch das Aktionsfeld „Antirassis-mus“ weiterhin im Fokus der linkextre-mistischen Szene stehen wird.

Legalistischer Linksextremismus

Deutsche Kommunistische Partei (DKP) |Die 1968 gegründete DKP versteht sichals „revolutionäre Partei der Arbeiter-klasse“ in der Tradition der 1956 vomBundesverfassungsgericht verbotenenKommunistischen Partei Deutschlands(KPD). Das Ziel der DKP ist die Überwin-dung der freiheitlichen demokratischenGrundordnung in einem revolutionärenBruch, um – als erste Stufe auf dem Wegzur klassenlosen kommunistischen Ge-sellschaft – den Sozialismus zu verwirkli-chen.

Die hessische DKP-Bezirksorganisation(vergleichbar einem Landesverband)gliederte sich in 16 Kreisorganisationen.Diese waren zwar unterschiedlich aktiv,beschränkten sich in ihren Aktivitätenaber insgesamt überwiegend auf kom-munalpolitische Aspekte. Einzelne Kreis-organisationen gaben Kleinzeitungenheraus. In Hessen waren der DKP nochrund 350 Personen zuzurechnen, bun-desweit etwa 3.000. Der landesweiteSchwerpunkt der Aktivitäten der DKPlag in Südhessen in den GemeindenMörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau)und Reinheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg). Die DKP führte nur wenige öf-fentlichkeitswirksame Aktionen durch,

interne Veranstaltungen dominiertendas Geschehen in der Partei.

Die DKP beteiligte sich 2017 an der Bun-destagswahl. Die erzielten Wahlergeb-nisse im Bund und in Hessen waren sehrgering. In Hessen erzielte die Partei nurin wenigen Wahlkreisen prozentualmessbare Ergebnisse (siehe KapitelLinksextremisten im Bundestagswahl-kampf).

In einer Erklärung zu den Ergebnissender Bundestagswahl räumte die DKPdas Wahlergebnis als Niederlage ein:Diese sei unter anderem die Quittungdafür, dass die DKP seit 1989 nicht mehreigenständig zu einer Bundestagswahlkandidiert habe. Insgesamt sei es aberrichtig gewesen, an der Wahl teilzuneh-men. Damit sei ein Beitrag geleistet wor-den, die DKP besser bekannt zumachen: „Wir haben ‚Rot auf die Straße‘getragen und werden das weiter tun.“

Nach wie vor befanden sich die Gesamt-partei sowie der Landesverband derDKP in Hessen in finanziellen und perso-nellen Schwierigkeiten. Die innerpartei-lichen Richtungskämpfe zwischen An-hängern einer Gruppe, die die

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traditionelle Rolle der Arbeiterklasse fa-vorisiert und damit den Bruch der beste-henden gesellschaftlichen Verhältnisseerreichen will, und einem eher pragma-tisch ausgerichteten Teil der Partei, dersich stärker an den derzeitigen gesell-schaftlichen Gegebenheiten orientierenwill, nahmen im Berichtsjahr zu. Dererste Teil organisierte sich in einemKommunistischen Netzwerk. Die Exis-tenz zweier konkurrierender Fraktionentreibe, so die ehemalige DKP-Bundes-vorsitzende Bettina Jürgensen, den Zer-fall der DKP weiter voran.

Aus Sicht des DKP-Parteivorstands wardie gleichzeitige Mitgliedschaft in derDKP und dem Kommunistischen Netz-werk, auch benannt als Netzwerk kommunistische Politik bzw. Netzwerkkommunistische Politik in der DKP, unver-einbar und sorgte für erheblichen inner-parteilichen Streit. Nach Meinung derstellvertretenden Bundesvorsitzendenwürde ein „Unvereinbarkeitsbeschluss“zu einer Spaltung der DKP führen.

In Zusammenhang mit den Streitigkeitenzwischen beiden Gruppen wurde imJuni die Bezirksorganisation Südbayernvom Parteivorstand aufgelöst. Viele Un-terorganisationen, so auch der Vorstandder DKP Mörfelden-Walldorf, fordertendie Rücknahme der Auflösung. Der ehe-malige DKP-Bundesvorsitzende HeinzStehr sah darin einen weiteren Schritt zur„Liquidierung“ der DKP.

Vor diesem Hintergrund traten gegenEnde des Berichtsjahres etwa 80 jüngereParteimitglieder, davon fünf aus Hessen,verbunden mit einer in dieser Form un-

gewöhnlich scharf formulierten öffentli-chen Kritik an Partei und Parteivorstand,aus der SDAJ und der DKP aus.

Das äußerst schwache Abschneiden derDKP bei der Bundestagswahl 2017, dienicht unerhebliche Zahl der Parteiaus-tritte sowie die schwelende Parteikriseverschlechterten die personelle und fi-nanzielle Lage der DKP weiter. Diesdürfte sich weiter negativ auf die Kam-pagnenfähigkeit der Partei auswirken.

SDAJ | Die dogmatisch-kommunistischeJugendorganisation versuchte ihre Zielevor allem durch die Zusammenarbeit mitnichtextremistischen Organisationen zuverwirklichen. Der SDAJ in Hessenwaren rund 80 Personen zuzurechnen,bundesweit etwa 750. Die mit der DKPeng verbundene Organisation war inHessen mit Ortsgruppen in den Regio-nen Darmstadt/Odenwald, Frankfurt amMain, Gießen, Marburg, Kassel undFulda aktiv.

Schwerpunkte der öffentlichkeitswirksa-men SDAJ-Tätigkeit bildeten – wie in denvergangenen Jahren – die Themen „An-tikapitalismus“ und sogenannte prekäreAusbildungsverhältnisse, zu denen dieSDAJ auch die Schulausbildung zählte. Im Fokus ihrer Kritik stand weiterhin dieNachwuchswerbung der Bundeswehr.Auf ihrer Homepage forderte die SDAJunter anderem „Kein Platz für die Bun-deswehr in Schulen, Geld für Bildungstatt für Militär und Rüstung“.

Weiterhin standen für die SDAJ Wirt-schaftsunternehmen in der Kritik, die sieals repräsentativen Teil des „kapitalisti-

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schen Systems“ für soziale undpolitische Missstände mitverantwortlichmachte. Die bereits 2013 begonneneKampagne „Unsere Zukunft statt eureProfite! – Ausbeuter outen – Ausbildun-gen erkämpfen“ mit der Zielrichtung,die „Profiteure“ „ausbeuterischer“ Aus-bildungs- und Arbeitsbedingungen zudiskreditieren, wurde fortgesetzt.

Der Hessentag vom 9. bis 18. Juni inRüsselsheim am Main (Landkreis Groß-Gerau) war wie die Hessentage in denvergangenen Jahren Schauplatz vonSDAJ-Aktivitäten gegen die Bundes-wehr. Aktivisten der SDAJ besetzten am10. Juni auf dem Stand der Bundeswehrein Panzerfahrzeug. Damit protestiertensie gegen die Einsätze der Bundeswehrim Ausland. Es wurde ein „Stop Wars! –Coole Aktion!“-Transparent gezeigt.

Marxistisch-Leninistische Partei Deutsch-lands (MLPD) | Die maoistisch-stalinis -tisch orientierte MLPD versteht sich als„politische Vorhutorganisation der Arbei-terklasse in Deutschland“. Ihre grundle-genden Ziele sind „der Sturz der Diktaturdes allein herrschenden internationalenFinanzkapitals und die Errichtung derDiktatur des Proletariats in Deutschland“.Als Teil einer „internationalen sozialisti-schen Revolution“ soll diese „in den Auf-bau der vereinigten sozialistischen Staa-ten der Welt als Übergangsstadium zurweltweiten klassenlosen kommunisti-schen Gesellschaft“ münden. Auch wennsich Anhänger der MLPD an Demonstra-tionen und Aktionen beteiligten, erhieltdie Partei, der etwa 80 Personen in Hes-sen, 1.800 bundesweit, zuzurechnen wa-ren, nahezu keine Aufmerksamkeit. Das

lag vor allem an der weitgehenden Isola-tion der MLPD im linksextremistischenSpektrum. Eine Ausnahme bildete ihrWahlkampf anlässlich der Bundestags-wahl 2017, bei der sie als Internationalis-tische Liste/MLPD mit Landeslisten undüber 100 Direktkandidaten in allen Bun-desländern kandidierte. Sie erzieltedabei das für sie beste Ergebnis ihrer bis-herigen Wahlteilnahmen (siehe KapitelLinksextremisten im Bundestagswahl-kampf).

Bedeutsam war der personelle Wechselim Parteivorsitz. Am 1. April übernahmGabi Fechtner, die Stieftochter des bis-herigen MLPD-Parteivorsitzenden StefanEngel, bei einer Übergabefeier vor1.000 Gästen in Truckenthal (Thüringen)den Parteivorsitz. Das Zentralkomiteeder MLPD hatte Gabi Fechtner einstim-mig zur Parteivorsitzenden gewählt.

Problematisch stellte sich nach der Bun-destagswahl für die MLPD die Kündi-gung ihrer Bankkonten dar. Grundlagefür die Kündigungen war der Vorwurfder Unterstützung von palästinensischenTerroristen und die Solidarität der MLPDmit dem palästinensischen „Befreiungs-kampf“. Die Deutsche Bank hatte schon1986 und 2009 die Konten der MLPD ge-kündigt, musste diese Kündigungennach Urteilen des Landgerichts Essenaber jeweils zurücknehmen.

Die MLPD war mit Ortsgruppen in über450 Städten in Deutschland vertreten.Der MLPD-Landesverband Rheinland-Pfalz/Hessen/Saarland (RHS) hatte sei-nen Sitz in Frankfurt am Main. In Hessenwaren Ortsgruppen in Kassel, Frankfurt

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am Main, Darmstadt, Rüsselsheim amMain (Kreis Groß-Gerau) undWiesbaden aktiv. Ebenso war der MLPD-Jugendverband REBELL bundesweit mitOrtsgruppen vertreten, in Hessen inDarmstadt, Kassel und Wiesbaden.

Rote Hilfe e. V. (RH) | In Anlehnung an dieim Jahr 1924 in der Weimarer Republik(1918 bis 1933) von der KPD initiierteRote Hilfe Deutschlands (RHD) verstehtsich die RH laut ihrer Satzung als „partei-unabhängige, strömungsübergreifendelinke Schutz- und Solidaritätsorganisa-tion“. Sie bezeichnet die BundesrepublikDeutschland als ein „nationalstaatlich fi-xiertes, bürgerlich kapitalistisches Herr-schaftssystem, das von unterschiedlichenUnterdrückungsmechanismen (wie Ras-sismus oder Sexismus) strukturiert undgeprägt wird“. In Hessen verfügte die RHüber Ortsgruppen in Darmstadt, Gießen(Landkreis Gießen), Frankfurt am Main,Kassel und Wiesbaden. Ihr gehörten inHessen über 600 Personen an, bundes-weit etwa 8.300.

Die von Linksextremisten verschiedenerRichtungen getragene RH unterstützteseit den 1970er Jahren inhaftierte bzw.inzwischen aus der Haft entlassene Mit-glieder der mittlerweile aufgelöstenlinksterroristischen Rote Armee Fraktion(RAF). Neben politischer und finanziellerHilfe versuchte die RH mittels „Rechtsbe-ratung“ Personen, die politisch moti-vierte Straftaten begingen, der staatli-chen Strafverfolgung zu entziehen odersie bei ihren Verfahren zu unterstützen.Die RH empfahl daher den „Genoss_in-nen“ die „konsequente Aussageverwei-

gerung“ als „beste Strategie im Umgangmit Repressionsbehörden“.

Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Mainbegleitete im Berichtsjahr bei Strafpro-zessen vorwiegend Angeklagte, die lin-ken und linksextremistischen Gruppie-rungen zuzurechnen waren. Auf ihrerHomepage wies die RH auf anstehendeProzesse hin und rief Sympathisantenzur „kritischen Prozessbegleitung“ auf,um sich solidarisch mit den Angeklagtenzu zeigen.

Mitunter meldete die RH-OrtsgruppeFrankfurt am Main Kundgebungen vordem jeweiligen Gerichtsgebäude an bzw.veröffentlichte Verlaufsberichte über dieProzesse. Sie thematisierte weiterhineinen Prozess in München gegen zehnMitglieder der in Deutschland als linkster-roristische Organisation eingestuftenTKP/ML sowie der Avrupa Türkiyeli İşçilerKonfederasyonu (ATİK, Konföderation derArbeiter aus der Türkei in Europa), einerAuslandsorganisation der TKP/ML. Hierzuführte die Frankfurter Ortsgruppe am 28.März eine Informationsveranstaltung„Freiheit für die gefangenen GenossInnender TKP/ML und ATIK“ im KulturzentrumMultiversum in Offenbach am Main durch. Im Hinblick auf den G20-Gipfel berich-tete die RH immer wieder von der Gewalt, die die Polizei in Hamburg an-geblich begangen habe. Die Kampa-gnenwebsite „United we stand“ war aufder Internetseite der RH-OrtsgruppeFrankfurt am Main verlinkt, auf der umUnterstützung geworben wurde: „Damitdie Betroffenen mit finanziellen Folgennicht alleine gelassen werden, sind wiralle gefordert diese Kosten solidarisch

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zu teilen!“ Generell wurde um Geld-spenden für die Durchführung von Straf-verfahren auf das Konto der RH gebetenund zu einer starken Öffentlichkeitsar-beit wie Informationsveranstaltungen,„Soli-Kneipen“, Partys, Konzerten, Kund-gebungen und Demonstrationen aufge-rufen.

Anlässlich des Verbots der Internetplatt-form linksunten.indymedia.org rief dieFrankfurter Ortsgruppe zur Teilnahmean der Veranstaltung „linksunten-Verbot,Razzien, Angriffe auf unsere Strukturennach G20“ am 7. September und zur De-monstration „Finger weg von unserenStrukturen! Unsere Solidarität gegenihre Repression“ am 28. Oktober inFrankfurt am Main auf.

Sozialistische Alternative (SAV) | Die1994 gegründete trotzkistische SAV be-zeichnet sich als revolutionäre, sozialis-tische Organisation und ist die deutscheSektion des trotzkistischen Dachver-bands Committee for a Workers’ Inter-national mit Sitz in London (Großbritan-nien). Anhänger der SAV traten seit 2008im Rahmen der für Trotzkisten typischen„Entrismuspolitik“ in die Partei DIELINKE. ein, wozu die Organisation ihreMitglieder aufgerufen hatte. Sie setztensich für „ein wirklich sozialistisches Pro-gramm“ ein und kämpften „gegen einePolitik der Regierungsbeteiligung mitpro-kapitalistischen Parteien, weil dieszwangsläufig zum Verrat an linken undsozialistischen Positionen führt“.

Nach Ansicht der SAV kann der Kapita-lismus „nicht zu einer friedlichen und so-zial gerechten Gesellschaft umgestaltet

werden.“ Es gelte, den Kapitalismus zuüberwinden und dabei „den Kampf fürVerbesserungen mit dem Kampf für einesozialistische Gesellschaft zu verbinden.“

Die Gründung der Partei SAV „ist einAufruf zum Aufbau einer revolutionärensozialistischen Massenpartei, als Teil ei-ner Internationale.“ Notwendig sei „eineinternationale marxistische Kraft“, diesich „auf die anstehenden Kämpfe be-wusst vorbereitet.“

Als eigenständige Organisation bestanddie SAV, der in Hessen etwa 55, bundes-weit etwa 300 Personen angehörten,fort. Ortsgruppen der SAV in Hessengab es in Kassel und in Frankfurt amMain.

Die SAV führte vom 14. bis 16. April inBerlin ihren jährlichen Kongress „Sozia-lismustage“ durch. Themen waren unteranderem: „Zwischen Angst und Hoff-nung: Weltweit gegen den Kapitalis-mus“, „Kapitalismus außer Kontrolle“ (imZusammenhang mit der Wahl von Do-nald Trump zum Präsidenten der USAund dem Brexit-Votum in Großbritan-nien) und „Glück bedeutet Auflehnung“als Mobilisierung zu den G20-Protesten.

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Linksextremisten im Bundestagswahlkampf

Bei der Bundestagswahl 2017 gelanglinksextremistischen Parteien keine grö-ßere Mobilisierung von Wählern. In ab-soluten Zahlen konnten die DKP und dieMLPD allerdings einen, teilweise erheb-lichen, Stimmenzuwachs verzeichnen.Die Sozialistische Gleichheitspartei(SGP) kandidierte lediglich mit einer Di-rektkandidatin im Wahlkreis 182 (Frank-furt am Main I). Vor allem die MLPDkonnte ihr Erststimmenergebnis durchzahlreiche Direktkandidaten erheblichverbessern. Innerhalb des gesamtenParteienspektrums bleiben die linksex-tremistischen Parteien dennoch nahezubedeutungslos.

DKP

Wahlkampf | Zur Bundestagswahl 2017trat die DKP bundesweit mit neun Lan-deslisten und 16 Direktkandidaten an. InHessen stellte die DKP eine Landeslistemit 21 Listenplätzen auf. Zudem standeiner der Kandidaten im Wahlkreis 173(Gießen) als Direktkandidat zur Wahl.Hessen stellte damit die größte Landes-liste der DKP, gefolgt von Niedersach-sen, wo die Landesliste 17 Listenplätzeumfasste. Die DKP führte ihren Wahl-kampf in Hessen hauptsächlich über Pla-kate, Infostände und ihre Auftritte in densozialen Medien.

Ergebnisse | Die Beteiligung der DKP ander Bundestagswahl 2017 führte zu pro-zentual kaum messbaren Ergebnissen.In Hessen errang die DKP 234 Erst- und1.138 Zweitstimmen (0,0 Prozent).

Bundesweit erreichte die DKP 7.517Erst- und 11.558 Zweitstimmen (0,0 Pro-zent). Zur Bundestagswahl 2013 war dieDKP bundesweit lediglich mit sechs Di-rektkandidaten (vier in Brandenburgund jeweils ein Kandidat in Berlin undBaden-Württemberg) angetreten undhatte dabei 1.699 Stimmen (0,0 Prozent)erreicht. Mit eigenen Landeslisten wardie Partei 2013 nicht angetreten.

Ihr bestes Ergebnis in Hessen erreichtedie DKP im Wahlkreis 173 (Gießen) mit234 Erst- und 119 Zweitstimmen (0,1Prozent). In den übrigen hessischenWahlkreisen errang die DKP zumeistdeutlich unter hundert Zweitstimmen.

Internationalistische Liste/MLPD

Wahlkampf | Im Wahlkampf setzte dieMLPD vor allem auf ihr Bündnis Interna-tionalistische Liste/MLPD. In dem Bünd-nis hatten sich, neben der MLPD und ih-rer Jugendorganisation REBELL, 14weitere Gruppierungen zusammenge-schlossen. Von diesen waren acht links-extremistisch oder linksextremistisch be-einflusst. Über die InternationalistischeListe/MLPD kandidierten Mitglieder derTrägerorganisationen als Direktkandida-ten oder über die jeweiligen Landes -listen. Insgesamt trat die Internationalis-tische Liste/MLPD mit 109 Direkt-kandidaten und 16 Landeslisten zurWahl an. In Hessen kandidierte dieMLPD mit einer eigenen Landesliste,sechs Direktkandidaten und einer Di-rektkandidatin der InternationalistischenListe (Wahlkreis 167, Waldeck).

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Während des Wahlkampfes war die Par-tei dafür kritisiert worden, dass sie überdie Internationalistische Liste/MLPDSympathisanten der als Terrororganisa-tion eingestuften Popular Front for theLiberation of Palestine (PFLP, Volksfrontzur Befreiung Palästinas) die Teilnahmean der Wahl ermöglichte. Bei einemKandidaten der InternationalistischenListe/MLPD in Berlin wurde eine Nähezur PFLP unterstellt. Die MLPD wehrtesich gegen diese Kritik mit der Durchset-zung von Unterlassungserklärungenbzw. einer einstweiligen Verfügung.Diese war nach der Bundestagswahl al-lerdings vom Landgericht Hamburg wi-derrufen worden.

Ergebnisse | Das amtliche Endergebnisder Bundestagswahl 2017 zeigte für dieMLPD kaum prozentual messbare Er-gebnisse. In Hessen erreichte die MLPDinsgesamt 1.869 Erst- und 1.627 Zweit-stimmen (0,1 und 0,0 Prozent, 2013: 325Erst- und 1.071 Zweitstimmen). Bundes-weit errang die MLPD 35.760 Erst- und29.785 Zweitstimmen (0,1 Prozent,2013: 12.904 Erst- und 24.219 Zweit-stimmen). Dies entspricht einem Zu-wachs von über 170 Prozent bei denErst- und 23 Prozent bei den Zweitstim-men im Bund. In Hessen konnte dieMLPD ihre Erststimmen sogar vervierfa-chen und bei den Zweitstimmen 52 Pro-zent hinzugewinnen. Die Partei erklärtedie starken Zuwächse mit der Aufstel-lung der vielen Direktkandidaten. ImWahlkreis 186 (Darmstadt) erreichte dieMLPD mit 0,3 Prozent der Erststimmen(490  Stimmen) ihr bestes Ergebnis inHessen. Über die InternationalistischeListe hatte die MLPD zudem im Wahl-

kreis 167 (Waldeck) einen Direktkandi-daten aufgestellt, der 0,1  Prozent (88Stimmen) erreichte. Prominentester Kan-didat der MLPD war der Pressesprecherder Partei, der in Hessen auf Listenplatz1 kandidierte.

SGP

Wahlkampf | Die SGP stellte in den Bun-desländern Berlin und Nordrhein-Westfalen jeweils eigene Landeslistenmit insgesamt sechs Kandidaten auf. InBerlin und Sachsen kandidierten zudemnoch einzelne Direktkandidaten derSGP. In Hessen kandidierte die Partei miteiner Direktkandidatin im Wahlkreis 182(Frankfurt).

Die Bundestagswahl 2017 nutzte diePartei zu ihrer ersten Wahlbeteiligung.Erst im Februar 2017 hatte sich die Parteivon Partei für Soziale Gerechtigkeit(PSG) in SGP umbenannt. Der Wahl-kampf der SGP „dient dem Zweck, einerevolutionäre Partei aufzubauen, die Ar-beiter auf der ganzen Welt im Kampf ge-gen Nationalismus, soziale Ungleichheitund Krieg vereint.“ Der Schwerpunkt desWahlkampfs der SGP lag dabei in Berlin.In Hessen trat die Partei kaum öffentlich-keitswirksam in Erscheinung.

Ergebnisse | Mit Ihrer Direktkandidaturin Frankfurt am Main (Wahlkreis 182)mobilisierte die SGP 0,1 Prozent derWähler (97 Stimmen). Bundesweit lagendie Ergebnisse der SGP im Bereich von0,0 Prozent (903 Erst- und 1.291 Zweit-stimmen). Bei der Bundestagswahl 2013war die SGP noch als PSG angetretenund hatte mit drei Landeslisten insge-

<06 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Linksextremismus <07

samt 0,0 Prozent (4.564 Zweitstimmen)auf sich vereinigen können, 71 Prozentmehr als 2017.

Bewertung

Die Wahlergebnisse zeigen, dass eslinksextremistischen Parteien nicht ge-lang, größere Wählergruppen für sich zugewinnen. So konnte die DKP ihr Ergeb-nis der Bundestagswahl 2013 nur mar-ginal verbessern. Zwar konnte sie durchdie Aufstellung von Landeslisten undmehr Direktkandidaten einige Stimmen-zuwächse erreichen, diese bewegtensich aber weiterhin auf sehr niedrigemNiveau. Die Partei selbst hatte nach derWahl ihr Ergebnis als nicht befriedigendeingeschätzt. Dennoch sei die Teil -nahme an der Wahl richtig gewesen.Das schlechte Abschneiden dürfte auchAusdruck der innerparteilichen Streitig-keiten und finanziellen Probleme sein,die dazu führten, dass die DKP kaum öf-fentlichkeitswirksame Aktionen durch-führte.

Im Vergleich dazu gelang es der MLPD,wesentlich mehr Wähler an sich zu bin-den. Die starken Stimmenzuwächse fei-erte die MLPD als ihr „bisher stärkstesWahlergebnis“. Die Gründung der Inter-nationalistischen Liste ermöglichte esder MLPD, ihre Wählerbasis durch dieKooperation mit anderen Organisatio-nen zu verbreitern und vermehrt Wählermit Migrationshintergrund für sich zugewinnen. Allerdings bleibt fest -zuhalten, dass die MLPD zwar deutlichan Stimmen hinzugewann, mit einemprozentualen Anteil von 0,1 Prozent der

Stimmen (2013: 0,0 Prozent) aber poli-tisch weiterhin bedeutungslos bleibt.

Im Gegensatz dazu erzielte die SGP einschlechteres Wahlergebnis als 2013.Grund hierfür dürfte zum einen die Um-benennung und eine damit einherge-hende geringe Bindung potentiellerWähler sein. Zum anderen trat die SGPzu dieser Wahl mit deutlich wenigerKandidaten an.

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Straf- und Gewalttaten

Die Zahl der linksextremistischen Straf-und Gewalttaten in Hessen reduziertesich von 90 im Jahr 2016 auf 61. Die Zahlder Gewalttaten reduzierte sich trotzauch linksextremistischer Angriffe im Zu-sammenhang mit dem Themenfeld „An-tifaschismus“ deutlich auf fünf (im Jahr2016 waren es 25). Dies ist unter ande-rem darauf zurückzuführen, dass die

straftatenaffinste Szene, die Autonomen,ihren Fokus auf die Vorbereitung undDurchführung der G20-Aktionen AnfangJuli legte. (Siehe im Glossar und Abkür-zungsverzeichnis unter dem StichwortPolitisch motivierte Kriminalität zur Erfas-sung politisch motivierter Straf- und Ge-walttaten mit extremistischem Hinter-grund.)

<08 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

2017 2016 2015

Deliktart

Tötung

Versuchte Tötung 4

Körperverletzung 1 18 26

Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 5 8

Landfriedensbruch 2 44

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr

3

Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte

2 1

Gewalttaten gesamt 5 25 86

Sonstige Straftaten

Sachbeschädigung 44 43 122

Nötigung/Bedrohung 1 3 1

Andere Straftaten (insbesondere

Propaganda delikte)11 19 69

Straf- und Gewalttaten gesamt 61 90 278

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Linksextremismus <09

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Islamismus

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Islamismus <<<

Merkmale

Der Islam als Religion wird vom Verfas-sungsschutz nicht beobachtet. Muslimegenießen – wie Anhänger aller anderenReligionen auch – in Deutschland dasGrundrecht auf Religionsfreiheit nachArtikel 4 des Grundgesetzes. Der

Grundrechtsschutz endet jedoch dort,wo religiöse islamische Gebote undNormen als verbindliche politischeHandlungsanweisungen gedeutet wer-den, der Islamismus also beginnt.

Begriff des Islamismus | Der Begriff Isla-mismus beschreibt alle Erscheinungsfor-men des islamischen Extremismus, dasheißt politisch-totalitäre Ideologien, dieden Islam als ein alle Bereiche des pri-vaten und öffentlichen Lebens umfas-sendes System begreifen. Islamisten leh-nen die Trennung von Staat und Religionab und wollen das gesamte politischeund gesellschaftliche Leben religiös be-gründeten Geboten und Normen unter-werfen. Eine Demokratie ist nach Über-zeugung von Islamisten nicht mit demWillen Allahs vereinbar.

Ziel des Islamismus | Das Ziel islamisti-scher Bestrebungen ist ein Staatswesen,das nach den Bestimmungen der Scha-ria regiert wird. Diese aus dem Koranund der Sunna abgeleiteten Vorschriftensind nach Ansicht der Islamisten der un-veränderliche Wille Allahs und dürfendaher von keiner Regierung geändertwerden. Damit wenden sich Islamistengegen das im Grundgesetz verankertePrinzip der Volkssouveränität: Nicht dasVolk, sondern allein Allah darf ihrer Auf-fassung nach in letzter Instanz Gesetzeerlassen und aufheben. Darüber hinausrichten sich Islamisten gegen das fried-liche Zusammenleben der Völker, da sie

Konflikte zwischen Religionen schürenbzw. andere Religionen abwerten.

Unvereinbarkeit mit den Menschenrech-ten | Im Gegensatz zum Grundgesetz,das die unveräußerliche Würde eines je-den Menschen in den Mittelpunkt stellt,bemessen islamistische Ideologien denWert eines Menschen nur nach seinemGlauben. Die von Islamisten gefordertewortgetreue Befolgung der Scharia führtzu einer Benachteiligung von Frauenund Andersgläubigen sowie zu einer we-sentlichen Einschränkung der Meinungs-freiheit und zur Außerkraftsetzung weite-rer grundlegender Menschenrechte.

Indem Islamisten die große Bedeutungeiner islamischen Identität betonen, set-zen sie in aller Regel „Ungläubige“ he-rab. Diese Herabsetzung äußert sich oftin der Abgrenzung gegenüber der vonIslamisten als „moralisch verkommen“empfundenen Mehrheitsgesellschaft inDeutschland.

Antisemitismus | Besonders ausgeprägtist die islamistische Ablehnung des Ju-dentums. Dabei werden entsprechendereligiöse Inhalte – etwa Koranverse oderAussagen des Propheten Mohammed –

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mit Versatzstücken europäischer rechts-extremistischer Ideologien verknüpft,um angeblich negative Charaktereigen-schaften oder Absichten von Juden zubelegen. Islamisten sehen die USA undIsrael als Instrumente einer vermeintli-chen jüdischen Weltverschwörung an,die sich zum Ziel gesetzt habe, den Islamzu zerstören. (Siehe hierzu auch das Kapitel: Projekte und Angebote der Phä-nomenbereichsübergreifenden wissen-schaftlichen Analysestelle Antisemitis-mus und Fremdenfeindlichkeit, PAAF.)

Ausprägungen des Islamismus | Die Er-scheinungsformen des Islamismus un-terscheiden sich in ihrer ideologischenAusrichtung und bei der Wahl der Mittel,mit denen Gesellschaft und Staat verän-dert werden sollen. Einige islamistischeOrganisationen – wie zum Beispiel dieMB – versuchen, den demokratischenWillensbildungsprozess ihren Vorstel-lungen entsprechend zu beeinflussen.Sie nehmen gezielt Einfluss auf die hie-sige Politik, die öffentliche Meinungsbil-dung und die Gesellschaft, um ihr lang-fristiges Ziel der Errichtung einesislamistischen Gottesstaates zu verwirk-lichen.

Salafistische Gruppierungen dagegenlehnen die Beteiligung am demokrati-schen Willensbildungsprozess in derBundesrepublik Deutschland ab. Siestreben eine weltweite Islamisierungvon Gesellschaft und Politik an, um lang-fristig ein „Kalifat“ zu errichten, dessenOberhaupt als Nachfolger des Prophe-ten Mohammed alle religiöse und welt-liche Autorität ausübt. Die Ablehnunganderer Glaubensgemeinschaften und

vor allem der „westlich“ geprägten Le-bensweise ist dabei ein zentrales Merk-mal der salafistischen Ideologie. Hin-sichtlich der Wahl der Mittel zurDurchsetzung der politischen Ziele las-sen sich zwei Arten des Salafismus iden-tifizieren: politischer und jihadistischerSalafismus. In ihrem ideologischen Kernunterscheiden sich beide jedoch nicht.

<<2 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Islamismus <<3

Personenpotenzial1

Das Personenpotenzial in Hessen bliebgegenüber dem vorherigen Berichtsjahrunverändert.

Zu mehreren der bundesweit aktiven is-lamistischen Organisationen bzw. Grup-

pierungen lagen keine gesicherten An-hängerzahlen vor, sodass ein personen-scharfes Potenzial der Islamisten inDeutschland nicht ausgewiesen werdenkann.

Salafismus

Definition/Kerndaten

Als Salafismus bezeichnet der Verfas-sungsschutzverbund eine extremisti-sche Strömung innerhalb des Islamis-mus. Der Begriff geht auf die arabischeBezeichnung as-salaf as-salih (dt. diefrommen Altvorderen) zurück, worunterdie ersten drei Generationen von Mus-limen (7. bis 9. Jahrhundert) zu verste-hen sind. Diese nehmen innerhalb derIdeologie des Salafismus eine zentraleStellung ein, da ihre Handlungen – ne-ben denen des Propheten Mohammed– als die authentische Überführung der

„wahren“ Glaubenslehre in die Praxisgelten und als solche zu imitieren sind.

Die „frommen Altvorderen“ dienennicht nur als Vorbilder für die individu-elle Lebensführung, sondern geltenauch in Bezug auf Glaubens- undRechtsfragen als Autoritäten. Salafistensehen sich durch ihren Rückbezug aufdie „unverfälschte“ Glaubenslehre inder Nachfolge dieser Generationen alselitäre Vertreter des „wahren“ Islam. Siehaben es sich zur Aufgabe gemacht, die

1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. Die in früheren Verfassungsschutzberichten desLfV Hessen getroffene Differenzierung des islamistischen Personenpotenzials nach Herkunft ist mitt-lerweile für die Gesamtbetrachtung und -bewertung des Phänomenbereichs Islamismus nicht mehraussagekräftig, da sich das Personenpotenzial insbesondere im Bereich des Salafismus in Bezug aufdie Herkunft sehr heterogen gestaltet.

2017 2016 2015

Islamisten gesamt

Hessen 4.170 4.170 4.150

davon Salafisten

Hessen 1.650 1.650 1.650

Bund 10.800 9.700 8.350

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islamische Glaubensdoktrin und -praxisvon unerlaubten Neuerungen und Ver-fälschungen zu reinigen und die im Frühislam geltenden Herrschafts- undRechtsformen (Kalifat) in der Gegen -wart anzuwenden.

Über die Frage, mit welchen Methodendieses Ziel zu erreichen ist, gibt es in-

nerhalb des Salafismus verschiedeneAuffassungen. Das Spektrum umfasstsowohl diejenigen Salafisten, welchedie Ideologie mit politischen Mittelndurchsetzen wollen (politischer Salafis-mus), als auch solche, die hierfür Gewaltals legitimes Mittel ansehen (jihadisti-scher Salafismus).

Koran und Prophetentradition (arab.sunna) als einzige legitime Glaubens-quellen | Salafisten nehmen für sich inAnspruch, ihre Glaubensvorstellungenund Rechtsnormen direkt aus den isla-mischen Quellen abzuleiten. Dabeizeichnet sich die salafistische Auslegungdurch ein streng wortgetreues Verständ-nis von Koran und Sunna aus, jeglichesinnbildhafte Interpretation wird abge-lehnt. Dennoch greifen Salafisten zusätz-lich auf ausgewählte islamischeGelehrte zurück, um ihre jeweiligen Po-sitionen in Bezug auf islamgetreue Le-bensführung bzw. Disziplinierungsmaß-nahmen bei Zuwiderhandlungen zulegitimieren.

Dualistische Weltsicht | Die „Attraktivität“der salafistischen Ideologie ist vor allemin ihrer dualistischen Weltsicht begrün-det. Sie propagiert einfach zu verste-hende und umzusetzende Freund-Feind-Bilder. So teilen Salafisten Menschen undHandlungen entgegen jeglicher Lebens-realität ein in gut und böse, gläubig undungläubig, islamisch und unislamisch so-wie erlaubt und verboten.

Dadurch wird vor allem jungen und beeinflussbaren Menschen ein ver-meintlich allzeit gültiger Handlungskata-

log angeboten, der Orientierungshilfeund feste Strukturen in einer als komplexwahrgenommenen Welt suggeriert. Au-ßerdem vermittelt die salafistischeSzene als jugendliche Subkultur mit ei-ner bestimmten Art von Kleidung, Spra-che und Symbolik, durch die sich Salafisten optisch von der Mehrheitsge-sellschaft abgrenzen, ein hohes Maß anZugehörigkeitsgefühl und identitätsstif-tenden Charakteristika. So übt die sala-fistische Ideologie in Europa vor allemauf muslimische Migranten der zweitenund dritten Einwanderergeneration so-wie auf Konvertiten eine hohe Anzie-hungskraft aus.

Politischer und jihadistischer Salafismus:Unterschiede und Gemeinsamkeiten |Obgleich Salafisten das Ziel vereint, die„frommen Altvorderen“ zu imitieren unddie angeblich „wahre“ Glaubenslehre indie Praxis umzusetzen, ziehen sie unter-schiedliche Schlüsse aus den religiösenQuellen und leiten daraus unterschied-liche Handlungsweisen ab. Der Verfas-sungsschutz unterscheidet daher – jenach Mittel, das gewählt wird, um die an-gestrebten gesellschaftlichen und poli-tischen Veränderungen umzusetzen –zwischen politischem und jihadis -tischem Salafismus.

<<4 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Islamismus <<5

Während der politische Salafismus dieMissionierungsarbeit in den Vorder-grund stellt, sieht der jihadistische Sala-fismus die Anwendung von Gewalt undden bewaffneten Kampf (arab. jihad) alsunabdingbar an. Auch wenn sich Anhän-ger beider Strömungen in der genauenAusgestaltung der salafistischen Ideolo-gie unterscheiden, sind die Übergängeaufgrund der gemeinsamen ideologi-schen Grundlagen fließend.

Zahl der Salafisten insgesamt | InHessen war der Großteil der Salafistendem Spektrum des politischen Salafis-mus zuzurechnen. Mit etwa 1.650 Perso-nen blieb in Hessen die Zahl der Salafis-ten im Vergleich zum Vorjahr konstantund damit weiterhin besorgniserregendhoch.

Ereignisse/Entwicklungen im jiha-distischen und politischen Salafis-mus

Der sogenannte Islamische Staat (IS)verlor in einer Reihe empfindlicher mi-litärischer Niederlagen weiter an Terri-torium in Syrien und im Irak. Besondersder Fall der für die terroristische Verei-nigung IS überaus bedeutsamen StädteRaqqa (Syrien) und Mossul (Irak) mar-kierte den Niedergang des im Jahr2014 ausgerufenen „Kalifats“. GegenEnde des Berichtsjahrs verfügte der ISnur noch über etwa ein Zehntel seinesursprünglichen Gebiets. Verbliebene IS-Anhänger gingen in den Untergrundoder setzten sich in Staaten ab, in denenIS-nahe Gruppen oder Ableger der Ter-rororganisation existierten. Dass dieGefahr jihadistisch motivierter An-

schläge aufgrund des weitgehendenZerfalls des IS abnimmt, ist jedoch nichtzu erwarten. Solange jihadistischeGruppierungen wie der IS für andere Ji-hadisten ihre ideologische Anziehungs-kraft und operative militärische Fähig-keit behalten, bleibt die latenteAnschlagsgefahr für Deutschland undandere Länder. Vor diesem Hintergrundverfolgten Anhänger und Sympathisan-ten der jihadistischen Szenen in Hessendie Entwicklungen im weltweiten Jiha-dismus. Mit dem sich abzeichnendenEnde des IS-„Kalifats“ erlosch für zahl-reiche Jihadisten und ihnen naheste-hende Personen vorerst die Utopie eines islamischen Gemeinwesens. Un-geachtet dessen blieben sie weiterhinvon der dem gewaltsamen Jihad zu-grunde liegenden Ideologie überzeugt.Die Gefahr von terroristischen Anschlä-gen in Deutschland und Europa ist da-her anhaltend hoch.

Im Bereich des politischen Salafismusfanden seit dem Frühjahr in Frankfurtam Main Verteilaktionen des da’wa-Pro-jekts „We Love Muhammad“ statt. Da-bei wurden Biografien des ProphetenMohammad (arab. sira) in deutscherSprache, Hörbücher und Visitenkarten,die für eine App werben, kostenlos an-geboten.

Zerfall des „Kalifats“ | Im Berichtsjahrvertrieben die Anti-IS-Koalition sowiedas russisch-syrische Militärbündnis,kurdische Milizen und irakische Regie-rungstruppen den IS nahezu vollständigaus den von ihm kontrollierten Ge -bieten. Irakische Truppen und schiitischeMilizen eroberten im Juli die nordiraki-

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sche Stadt Mossul, wo der „Kalif“ des IS,Abu Bakr al-Baghdadi, im Juni 2014 das„Kalifat“ ausgerufen hatte. Die Demokra-tischen Kräfte Syriens befreiten im Okto-ber die IS-Hochburg Raqqa in Nordsy-rien. Damit brachen die letztenÜberreste der pseudo-staatlichen Struk-turen des IS nahezu vollständig zusam-men. Darüber hinaus verlor die Terroror-ganisation zahlreiche namhafte bzw.einflussreiche Jihadisten in ihrer Füh-rungsebene. Die permanenten Gegen-schläge führten zu Auflösungser -scheinungen und Absetzbewegungeninnerhalb des IS.

Anzahl der Ausreisefälle | Zum Jahres-ende 2017 lagen zu mehr als 960 deut-schen Islamisten bzw. Islamisten ausDeutschland Erkenntnisse vor, die inRichtung Syrien/Irak gereist sind, umdort auf Seiten des IS und anderer terro-ristischer Gruppierungen an Kampf-handlungen teilzunehmen oder diese insonstiger Weise zu unterstützen. Etwaein Fünftel der gereisten Personen warweiblich. Der überwiegende Teil der ins-gesamt ausgereisten Personen war jün-ger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen la-gen Erkenntnisse vor, dass sich diesePersonen tatsächlich in Syrien und/oderim Irak aufhalten oder aufgehalten ha-ben. Ferner lagen zu ca. 150 PersonenHinweise vor, dass diese in Syrien oderim Irak ums Leben kamen.

Rückkehrer-Problematik Frauen undKinder | Bei den Kämpfen in Syrien undim Irak kamen auch zahlreicheJihadisten aus dem Ausland ums Leben.Einige ihrer Ehefrauen wurden zusam-men mit ihren Kindern – etwa durch die

Anti-IS-Koalition und irakische Streit-kräfte – festgesetzt, andere strebten eineRückreise in ihre Heimatländer an. Ins-besondere vor dem Hintergrund, dassdiese Personengruppe weiterhin starkradikalisiert bzw. indoktriniert seinkönnte und dadurch eine Gefahr für öf-fentliche Sicherheit und Ordnung dar-stellt, beschäftigt sich der Verfassungs-schutzverbund intensiv mit derRückkehrer-Problematik von jihadisti-schen Frauen und deren Kindern.

So lagen dem Verfassungs schutzver -bund zum Ende des Berichtsjahres Infor-mationen vor, dass mindestens etwa 290minderjährige Kinder und Jugendliche inRichtung Syrien/Irak zumeist mit ihren El-tern ausgereist oder dort geboren sind.Etwa 50 Prozent der Kinder und Jugend-lichen sind im Jihad-Gebiet Syrien/Irakgeboren. Die meisten Minderjährigenhielten sich in dieser Krisenregion oderin der Türkei auf. Eine geringe Anzahl derKinder und Jugendlichen war – fast aus-schließlich gemeinsam mit ihren Elternbzw. der Mutter – nach Deutschland zu-rückgekehrt.

Ausreisefälle in Hessen | Zum Ende desJahres 2017 lagen den hessischen Sicher-heitsbehörden Erkenntnisse zu ca. 140 Is-lamisten aus Hessen vor, die in RichtungSyrien/Irak gereist waren, um dort auf Sei-ten des IS und anderer terroristischerGruppierungen an Kampfhandlungenteilzunehmen oder diese in sonstigerWeise zu unterstützen. Etwa ein Fünftelder gereisten Personen war weiblich. Derüberwiegende Teil der insgesamt gereis-ten Personen war jünger als 30  Jahre.Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse

<<6 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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vor, dass sich diese Personen tatsächlichin Syrien/Irak aufhalten oder aufgehaltenhaben. Ferner liegen zu ca. 25 PersonenHinweise vor, dass diese in Syrien oder imIrak ums Leben gekommen sind.

Mögliche Rückkehr des IS in den Unter-grund | Der Verlust des Territoriumsdürfte dazu führen, dass der IS als Ter-rororganisation wieder klandestineStrukturen annimmt und durch An-schläge versucht, Syrien und den Irakweiter zu destabilisieren. Es ist davonauszugehen, dass sich eine hohe Dun-kelziffer an Jihadisten in Untergrund -strukturen zurückzog. Allerdings wurdenauch zahlreiche Führungspersönlichkei-ten und Strategen des IS inzwischen ge-tötet.

Weiterhin bestehendes Anschlagspo-tenzial des IS | Die Anschläge im Be-richtsjahr und die Festnahme von Jiha-disten in Deutschland zeigen, dass vomIS weiterhin große Gefahr ausgeht. DieTerrororganisation vernetzte sich welt-weit, errichtete Zellen außerhalb desHerrschaftsgebiets und betrieb – vor al-lem im Internet – eine moderne und„professionelle“ jihadistische Propa-ganda. In den vom IS noch kontrolliertenGebieten wurden in der VergangenheitAnschläge gegen „westliche“ Ziele ge-plant, organisiert und angeleitet. Als Re-aktion auf die anhaltenden Militär-schläge verfolgte der IS nunmehr dieStrategie, jihadistische Anschlagspla-nungen „auszulagern“ und delegiertedie Organisation und Durchführung vonAnschlagsvorhaben an jeden seinerSympathisanten. Die eventuellen Ziele,die Wahl der Mittel und die Anschlagsart

gab der IS im Rahmen seiner offen zu-gänglichen Propaganda vor und legiti-mierte sie im Sinne seiner Ideologie. Aufdiese Weise erweiterte der IS den Kreisder möglichen Attentäter und ihrer Mo-tive. Somit besteht die Gefahr, dass Ein-zelpersonen mit einfach zu beschaffen-den und einfachen Tatwerkzeugeneinen Anschlag ausführen können. Dieoperative Fähigkeit des IS, einen Terror-akt auszuführen, der im Ausmaß mit derAnschlagsserie in Paris (Frankreich) imNovember 2015 (130 Tote, mehr als 350Verletzte) vergleichbar wäre, scheint ak-tuell begrenzt. Seine Ideologie und Pro-paganda wirken dennoch auf Personenin Europa im Sinne des Kampfes gegendie „Ungläubigen“. Sollte sich der IS alsjihadistische Untergrundorganisationneu formieren, sind forcierte Anschlags-planungen gegen den „Westen“ wahr-scheinlich.

Jihadistisch motivierte Anschläge inEuropa | Insgesamt kam es im Berichts-jahr zu mehr als 20 versuchten und voll-endeten jihadistisch motivierten An-schlägen in Europa. Die folgendeKurzdarstellung beschränkt sich auf Ter-roranschläge, die Todesopfer zur Folgehatten:

Istanbul (Türkei), 1. Januar: Ein At-•tentäter verübte mit einer Langwaffeeinen Anschlag auf Besucher einesNachtclubs auf der europäischenSeite Istanbuls. 39 Personen kamenums Leben, darunter ein deutscherStaatsangehöriger. Weitere 79 Perso-nen wurden verletzt. Der Attentätersoll zuvor für den IS in Syrien ge-kämpft haben. Nach der Tat rekla-mierte der IS die Tat für sich.

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London (Großbritannien), 22. März:•Ein Attentäter lenkte sein Fahrzeug ineine Menschenmenge auf der West-minster Bridge und steuerte dasFahrzeug dann in die Umzäunungdes Westminster Palace. Dort erstacher einen unbewaffneten Polizisten.Insgesamt starben sechs Personen,darunter der Attentäter. 40 weiterePersonen wurden verletzt. Einen Tagnach der Tat reklamierte der IS denAnschlag für sich.Stockholm (Schweden), 7. April: Mit•einem zuvor gestohlenen Lkw fuhrein Attentäter mit hoher Geschwin-digkeit durch eine Fußgängerzone inder Innenstadt und steuerte dasFahrzeug in ein Kaufhaus. Vier Men-schen wurden getötet, 15 verletzt.Nach Angaben der schwedischenPolizeibehörden, die den Attentäterfestnahmen, handelte es um einenIS-Sympathisanten.Paris (Frankreich), 20. April: Auf den•Champs-Élysées eröffnete ein Atten-täter mit einem Sturmgewehr dasFeuer auf Polizisten, ein Beamterwurde getötet, zwei weitere verletzt.Im Anschluss an die Tat wurde derTäter von Polizeikräften getötet. Zudem Attentat bekannte sich der IS.Manchester (Großbritannien), 22.•Mai: Im Foyer der Manchester-Arenabrachte ein Selbstmordattentätereine in einem Rucksack versteckteSprengladung zur Explosion. Zu die-sem Zeitpunkt verließen die Besu-cher ein Popkonzert. Der Attentätertötete 23 Personen, darunter vieleKinder und Jugendliche, 512 Perso-nen wurden verletzt. Der IS rekla-mierte die Tat für sich.

London (Großbritannien), 3. Juni: Mit•einem Lieferwagen fuhren drei At-tentäter in eine Menschengruppe aufder London Bridge und töteten dreiFußgänger. Im Anschluss fuhren dieAttentäter zum nahegelegenen Bo-rough Market und griffen dort wahl-los Passanten mit Messern an, wobeifünf Personen starben. Insgesamtwurden 48 Personen verletzt. Die Po-lizei tötete die Attentäter. Der IS be-kannte sich zu dem Anschlag.Hamburg, 28. Juli: In einem Super-•markt entwendete ein Attentäter einKüchenmesser und stach damit aufKunden ein. Eine Person starb, min-destens fünf weitere Personen wur-den verletzt. Passanten überwältig-ten den Attentäter. In Vernehmungengab der Attentäter an, sich seit 2014mit der Ideologie des IS auseinan-dergesetzt zu haben. Eine Beken-nung des IS blieb aus.Barcelona (Spanien), 17. August: Mit•einem Lieferwagen fuhr ein Attentä-ter in eine Menschenmenge imStadtzentrum und erstach bei der an-schließenden Flucht eine Person. Ins-gesamt kamen 15 Personen ums Le-ben – darunter eine deutscheStaatsangehörige –, mindestens 118Personen wurden verletzt. In der da-rauffolgenden Nacht versuchte diespanische Polizei fünf Personen, diewohl unmittelbar vor der Ausführungeines weiteren Anschlags standen, ineinem Fahrzeug in Cambrils, rund100 Kilometer südwestlich von Bar-celona, zu stellen. Bei ihrer Flucht tö-teten die fünf Männer eine Personund verletzten sieben weitere Perso-nen. Die Polizei erschoss die Attentä-

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ter. Die Attentate von Barcelona undCambrils wurden offenkundig von ei-ner Zelle ausgeführt, die ursprüng-lich Bombenanschläge in Barcelonaplante. Einen Tag vor dem Anschlagin Barcelona waren in einer Woh-nung zwei Mitglieder der Zelle beider unbeabsichtigten Explosion dermutmaßlich hierfür vorgesehenenSprengstoffe ums Leben gekommen.Am 21. August stellte und tötete diePolizei einen weiteren flüchtigen At-tentäter, der eine Sprengstoffgürtel -attrappe trug. Der IS reklamierte dieAnschläge für sich.Turku (Finnland), 18. August: Mit ei-•nem Messer stach ein Mann auf Pas-santen in der Innenstadt ein. Hierbeisoll er gezielt Frauen angegriffen ha-ben. Insgesamt starben zwei Perso-nen, acht weitere wurden verletzt.Polizeikräfte stoppten den Täter miteinem Schuss in das Bein und nah-men ihn fest. Der IS bekannte sichnicht zu dem Anschlag, die finnischePolizei geht jedoch von einem terro-ristisch motivierten Anschlag aus.Marseille (Frankreich), 1. Oktober:•Auch hier griff ein Attentäter Passan-ten mit einem Messer an einemBahnhof an und tötete zwei Perso-nen. Soldaten erschossen den An-greifer. Der IS bekannte sich zu demAnschlag.

Festnahme eines mutmaßlichen IS-Jiha-disten | Am 1. Februar durchsuchten Be-amte der Hessischen Polizei 54 Objekte(Wohnungen, Geschäftsräume und Mo-scheen) in Hessen wegen des Verdachtsder Gründung und Unterstützung einerausländischen terroristischen Vereini-

gung sowie der Vorbereitung einerschweren staatsgefährdenden Gewalttat(§ 89a StGB). Der Ermittlungskomplexrichtete sich gegen 16 Beschuldigte imAlter zwischen 16 und 46 Jahren.

Hauptbeschuldigter ist der am 1. Feb-ruar in Frankfurt am Main festgenom-mene mutmaßliche tunesische JihadistHaykel S. Er soll seit August 2015 als An-werber und Schleuser für den IS tätiggewesen sein und in Deutschland einNetzwerk aus Unterstützern – unter an-derem mit dem Ziel, hier einen Terroran-schlag zu verüben – aufgebaut haben.Konkrete Anschlagsvorbereitungenhabe es noch nicht gegeben.

Nachdem sich S. bereits von 2003 bis2013 in Deutschland aufgehalten hatte,reiste er 2015 als Asylsuchender unterfalschen Personalien erneut ein. Mit Ver-fügung vom August 2017 ordnete dasHessische Ministerium des Innern undfür Sport die Abschiebung des Tunesiersan. Seitdem befand sich S. in Abschiebe-haft. In enger Kooperation zwischen denhessischen Sicherheitsbehörden, derAusländerbehörde der Stadt Frankfurtam Main und dem Hessischen Ministe-rium des Innern und für Sport wurde derTerrorverdächtige im Mai 2018 nach Tu-nesien abgeschoben und den dortigenBehörden übergeben.

Politischer Salafismus: „Wissen überden Propheten“ verbreiten | Der ehema-lige Regionalverantwortliche der Koran-verteilaktion „LIES!“ für das Rhein-Main-Gebiet, Bilal Gümüs, und der salafis tischePrediger Pierre Vogel waren die Initiato-ren des Projekts „We Love Muhammad“.

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Es war im November 2016 zeitgleich inDeutschland und der Schweiz angelau-fen, nachdem vorher in sozialen Netz-werken für die gleichnamige App ge-worben worden war. Laut Vogel soll mitder Aktion „Wissen über den Propheten“verbreitet werden. Zielgruppe seien da-bei vor allem Muslime.

Die Akteure bereiteten die Aktionen imRahmen von „We Love Muhammad“ re-gelmäßig im Internet auf und warben fürdas Projekt mit Bildern und Videos, diewiederum von Sympathisanten weiter-verbreitet wurden. Die Missionierungs-bemühungen für den – nach salafisti-scher Interpretation – „wahren Islam“wurden somit über den eigentlichenVeranstaltungsrahmen hinaus auf einengrößeren Adressatenkreis ausgeweitet.

Für das Projekt „We Love Muhammad“wurden mehr als 40.000 Biografien desPropheten Mohammed gedruckt. DasProjekt finanzierte sich durch Spenden,zu denen Salafisten immer wieder auf-riefen.

Bei den „mobilen“ Verteilaktionen klei-deten sich die Akteure größtenteils miteinheitlichen „We-Love-Muhammad“-T-Shirts und -Pullovern. Einige trugenBauchläden, auf denen sich neben denzu verteilenden Waren eine Spenden-dose befand, andere trugen auf demRücken Tragegestelle, an denen „We-Love-Muhammad“-Plakate befestigt wa-ren. Die Propheten-Biographien, dieHörbücher für Kinder und die Visitenkar-ten konnten als Gesamtpaket auch kos-tenlos bestellt werden. Darüber hinauszeigten Salafisten in einem Video, dassPropheten-Biographien in einen öffent-lichen Bücherschrank in Frankfurt amMain eingestellt wurden.

Im Sommer gingen die Aktivitäten der„We-Love-Muhammad“-Kampagne inDeutschland und der Schweiz signifikantzurück. Ursache hierfür könnte das zu-nehmende Engagement ihrer Akteurebeim Islamischen Humanitären Entwick-lungsdienst e. V. (IHED) mit Sitz in Ba-den-Württemberg gewesen sein. So rie-fen die Aktivisten zu Spenden fürHilfsprojekte in Ländern wie Syrien, Af-ghanistan, Somalia, Niger, Türkei undBurma auf und besuchten teilweise dieOrte auch persönlich. Daneben warbendie Aktivisten für weitere Aktivitäten desIHED wie etwa einen Online-Mode-Shop.

Verbot des Almadinah IslamischenKulturvereins e. V.

Mit Verfügung vom 16. März 2017 ver-bot der Hessische Minister des Innernund für Sport den Almadinah Islami-schen Kulturverein e. V. in Kassel. Die

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Logo des Projekts „We Love Muhammad“

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Aushändigung der Verbotsverfügungan die Mitglieder des Vereins durch Be-amte des Polizeipräsidiums Nordhessenam 23. März war verbunden mit Durch-suchungsmaßnahmen von Objektendes Vereins und seiner Mitglieder.

Der Verein richtete sich gegen die ver-fassungsmäßige Ordnung und den Ge-danken der Völkerverständigung. Er förderte ein jihadistisch-salafistischesNetzwerk und bot in der Medina-Mo-schee in Kassel eine Plattform für denAustausch und Aufruf zu Hass und Ge-walt gegen andere Religionsgruppen,Staaten und Völker sowie allgemein an-ders denkende Menschen. Hierbei ginges nicht um einen religiösen Dialog, son-dern um die Indoktrination und Radika-lisierung insbesondere junger Men-schen, um sie zu einer Ausreise in dieKampfgebiete des IS in Syrien und imIrak zu verleiten. Nach den Erkenntnissender Sicherheitsbehörden waren mehrereBesucher der Medina-Moschee nach Sy-rien ausgereist. Mit dem Vereinsverbotwurde der jihadistisch-salafistischenSzene in Kassel ein zentraler Radikalisie-rungsraum entzogen.

Der Verbotsverfügung waren monate-lange Ermittlungen vorausgegangen,die vom Landeskriminalamt, vom Poli-zeipräsidium Nordhessen sowie demLandesamt für Verfassungsschutz unter-stützt worden waren.

Entstehung/Entwicklung

Mit dem arabischen Begriff salafiyyawurde erstmals im frühen 20. Jahrhun-dert eine islamische Reformbewegung

beschrieben, die sich aus verschie -denen Erneuerungsbewegungen imRahmen unterschiedlicher geographi-scher und politischer Umstände for-mierte und in den städtischen Zentrendes Osmanischen Reichs wirkte.

Reaktion auf den europäischen Kolonia-lismus | Als Vertreter der „klassischen“salafiyya gelten muslimische Intellektu-elle und Gelehrte wie Jamal al-Din al-Af-ghani (1838 bis 1897), Muhammad Ab-duh (1849 bis 1905) und Rashid Rida(1865 bis 1935). Sie propagierten als Re-aktion auf den europäischen Kolonialis-mus eine Rückbesinnung auf die islami-schen Wurzeln und auf die „frommenAltvorderen“ (arab. as-salaf as-salih), um– in ihrer Sichtweise – die muslimischeGemeinschaft aus der politischen undintellektuellen Unmündigkeit zu führen.Als Ursache für die damals bestehendenpolitischen Verhältnisse betrachteten Ja-mal al-Din al-Afghani, Muhammad Ab-duh und Rashid Rida die islamischenVolkstraditionen, die im Laufe der Jahr-hunderte den „wahren Islam“ verfälschthätten. In der Zurückweisung dieser Tra-ditionen und im eigenständigen For-schen in den islamischen Quellen (arab.ijtihad) sahen sie die Möglichkeit, Islamund Moderne in Einklang zu bringen.

Historische Vorbilder in der islamischenFrühzeit | Der Rückbezug auf die „from-men Altvorderen“ ist bereits in der Früh-zeit der sunnitischen Geistesgeschichteerkennbar. Salafistische Akteure zitierenals ideologische Vorbilder häufig vor-moderne islamische Gelehrte wie Ah-mad Ibn Hanbal (780 bis 855), Taqi al-Din Ahmad Ibn Taymiyya (1263 bis

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1328) und dessen Schüler Ibn Qayyimal-Jawziyya (1292 bis 1350). Es gab je-doch im vormodernen Islam keine Be-wegung oder Strömung, die als salafiyyabezeichnet wurde oder sich selbst sonannte.

Da es sich bei den „Altvorderen“ nichtum eine Bewegung oder ein klar defi-niertes Konzept handelte, gestaltete sichdieser Rückgriff auf sie – je nach histori-schen, politischen, gesellschaftlichenund intellektuellen Umständen – sehrunterschiedlich und führte in der Mo-derne zu stark divergierenden Interpre-tationen und verschiedenen, teils wider-sprüchlichen Strömungen innerhalb desSalafismus.

Wahhabismus als puristische Reformbe-wegung | Im aktuellen allgemeinenSprachgebrauch wird mit dem BegriffSalafismus vor allem eine puristisch aus-gerichtete Reformbewegung in Verbin-dung gebracht, die im späten 18. Jahr-hundert von Muhammad Ibn Abdal-Wahhab (1703 bis 1792) auf der ara-bischen Halbinsel (im heutigen Saudi-Arabien) begründet wurde. WahhabsZiel war es, die islamische Glaubenslehreund deren Praktiken von unerlaubtenNeuerungen (arab. bid’a) zu reinigen. ImZentrum der theologischen BetrachtungMuhammad Ibn Abd al-Wahhabs stan-den die strenge Betonung des Mono-theismus (arab. tauhid) und damit einher-gehend die Zurückweisung vonHeiligenverehrung und anderen von ihmals unislamisch gebrandmarkten Verhal-tensweisen.

Ibn Abd al-Wahhab praktizierte einestark am Text orientierte Auslegung desKoran und denunzierte andere Muslime,vor allem Schiiten, als „Ungläubige“. An-ders als die „klassische“ salafiyya lehnteer jegliche moderne Errungenschaftenin gesellschaftlichen, politischen und in-tellektuellen Belangen ab und forderte,gemäß der Verhaltensregeln und Tu-genden der „frommen Altvorderen“ zuleben. Mit seinen gesellschaftlichen undreligiösen Reformideen lieferte er demStammesführer Muhammad Ibn Sa’ud(1710 bis 1765) die religiöse Legitima-tion für dessen territoriale Expansions-bestrebungen, die später zur Gründungdes Königreichs Saudi-Arabien mit wah-habitischer Staatsreligion führten.

Salafismus in Deutschland | In Deutsch-land wurden salafistische Prediger etwaseit 2002 aktiv und begannen, überre-gionale Missionierungsnetzwerke aufzu-bauen. Einige Prediger dieser erstenGeneration erhielten ihre religiöse Aus-bildung an Universitäten in Saudi-Arabien, was sich in ihrer Interpretationder islamischen Glaubenslehre nachwahhabitischer Lesart widerspiegelt.Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie die Loyalität gegenüber dem saudi-schen Königshaus teilen, die tradi -tionelle wahhabitische Gelehrte aus-zeichnet. Da es auch innerhalb desWahhabismus heterogene Lehrmeinun-gen gibt, berufen sich salafistische Ak-teure in Deutschland auf unterschiedli-che Gelehrte und vertreten daherunterschiedliche Positionen, etwa in Be-zug auf die Frage, ob und unter welchenBedingungen die Anwendung von Ge-walt erlaubt ist. Anders als die Prediger

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der ersten Generation hat die wach-sende Anzahl der gegenwärtigen Unter-stützer und Sympathisanten des Salafis-mus oftmals keine religiöse Ausbildungan Universitäten erhalten, sondernschöpft ihr „Wissen“ aus Islamseminarenin Deutschland, Internetpredigten undprivaten Lerngruppen.

Ideologie/Ziele

Um ihre Vorstellungen zu propagieren,greifen Salafisten auf theologische undislamrechtliche Begriffe zurück, die sieideologisch und extremistisch auslegen.Die radikalisierungsfördernde Ideologiezielt auf eine kompromisslose Abgren-zung von westlichen Werten ab. Zur Er-reichung ihrer Ziele wird Gewalt entwe-der nicht ausgeschlossen oder garausdrücklich befürwortet.

Strikter Monotheismus | Zentral ist in dersalafistischen Ideologie die Betonungdes Monotheismus (arab. tauhid), denSalafisten auf Fotos gerne durch das Er-heben des Zeigefingers symbolisieren.Unter tauhid wird im Allgemeinen die Ei-genschaft Allahs als alleiniger Schöpferund die sich daraus ergebende Konse-quenz verstanden, dass allein er anbe-tungswürdig ist.

Nach salafistischem Verständnis hat die-ses Konzept eine politische Dimension:Allah wird die alleinige Herrschafts- undGesetzgebungskompetenz zugespro-chen, was zur Ablehnung demokrati-scher Regierungsformen führt, da dieseauf menschlicher Logik und Rationalitätberuhen. Diese Auslegung ermöglichtes Salafisten, ihren muslimischen Geg-

nern vorzuwerfen, sie würden durch dieAkzeptanz demokratischer Prinzipiengegen das tauhid-Prinzip verstoßen unddamit vom islamischen Glauben abfal-len. Vermeintliche Verstöße gegen daszentrale Glaubenskonzept ziehen jiha-distische Salafisten außerdem als Legiti-mation dafür heran, aus ihrer Sicht unis-lamische Regierungen oder andereGegner gewaltsam zu bekämpfen (arab.jihad).

Forderung nach kompromissloser Ein-haltung der islamischen Rechtsordnung(Scharia) | Wegen der ausschließlich Al-lah zugesprochenen absoluten Gewaltüber die Gesetzgebung erkennen Sala-fisten nur göttliches Recht als gültig an.Sie fordern daher, nur Gesetze anzuwen-den, die aus dem Koran und der Sunnahervorgehen (Scharia). Obwohl es sichbei der Scharia nicht um einen kodifi-zierten Gesetzeskanon handelt, sondern– je nach angewandter Rechtsfindungs-methode – um teilweise sehr unter-schiedliche Interpretationen der religiö-sen Quellen, stellen Salafisten dieScharia als die Gesamtheit der islami-schen Gesetze als eindeutiges Rechts-system dar.

Zitate aus dem Koran und Aussprüchedes Propheten – losgelöst aus ihrem je-weiligen historischen und koranischenKontext – dienen für Salafisten als Ant-wort auf jedes ethische, theologische,soziale und politische Alltagsproblem.Besonders die Anwendung der imKoran für bestimmte Vergehen vorge-schriebenen Körperstrafen (arab. hadd)stellt eine zentrale Forderung der Sala-fisten dar.

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Kampf gegen die „Ungläubigen“ | Als„Kenner“ des einzig „wahren“ Weges zuAllah werfen Salafisten allen Personen,die ihrer Ideologie nicht folgen, vor, denIslam durch unerlaubte Neuerung (arab.bid’a) zu verfälschen. Dabei verurteilensie das Anerkennen demokratischer Re-gierungsformen als „Vielgötterei“ oder„Götzendienst“ (arab. schirk oder tag-hut), die den Abfall vom islamischenGlauben zur Folge hätten. „Ungläubige“(arab. kafir, Mehrzahl kuffar) sind dem-nach nicht nur Anhänger anderer Reli-gionen, sondern auch nichtsalafistischeMuslime. Besonders rigoros fordern Sa-lafisten die Bekämpfung von Schiitenund Sufis (Anhänger der islamischenMystik), da deren Theologie und Religi-onspraktiken eine Abweichung vom Is-lam seien.

Gegen die „westliche“ Kultur | Im Ein-klang mit dem Kampf gegen die „Un-gläubigen“ richten sich salafistische Pro-pagandaaktivitäten gegen „westliche“Normen, Werte und Institutionen, diediese repräsentieren. Salafisten legiti-mieren diese Ablehnung durch die Be-rufung auf das Konzept der „Loyalitätund Lossagung“ (arab. al-wala’ wal-bara’). Auf zwischenmenschlicher Ebenebesagt dieses Konzept, „Ungläubige“ zumeiden und sich nur mit Gleichgesinn-ten zusammenzutun, auf politischerEbene verbietet es das Eingehen militä-rischer oder politischer Allianzen mitNicht-Muslimen. Im europäischen Kon-text rufen salafistische Prediger vorallem dazu auf, sich von der „ungläubi-gen“ Mehrheitsgesellschaft zu distanzie-ren oder, wie es bis zu seinem territoria-len Zerfall zu beobachten war, in den

sogenannten Islamischen Staat auszu-wandern (arab. hijra).

Antisemitismus | Im Rahmen der Diffa-mierung anderer Religionen ist die Äch-tung der jüdischen Religion und desStaates Israel in der salafistischen Propa-ganda besonders ausgeprägt. Entspre-chende Äußerungen reichen von klassi-schen antisemitischen Stereotypen überdie Leugnung des Holocaust bis hin zuWarnungen vor einer „jüdischen Weltver-schwörung“. Darüber hinaus erkennenSalafisten das Existenzrecht Israels nichtan und legen den Israel-Palästina-Konfliktals Folge einer historischen Feindschaftder Juden gegen Muslime aus.

Politischer Salafismus | Die Mehrheit derSalafisten in Hessen versucht, ihre For-derung nach Durchsetzung der Schariamit politischen Mitteln zu erreichen. Da-für wählen diese Aktivisten in erster Liniedas Mittel der Missionierung (arab.da’wa), um in Form von Vorträgen, Islam-seminaren, Publikationen und Internet-auftritten Muslime und Nicht-Muslimevon ihrer Sicht des „wahren“ Islam undder Notwendigkeit, sich aktiv für dieseneinzusetzen, zu überzeugen. Predigerrufen dazu auf, die islamischen Quellenzu studieren und die individuelle Le-bensführung dem Vorbild der „frommenAltvorderen“ anzupassen.

Auch wenn politische Salafisten nicht of-fen zur Gewaltanwendung aufrufen, istder Jihad als legitimes Mittel des klassi-schen islamischen Kriegsrechts integra-ler Bestandteil ihrer Ideologie. Insofernunterscheiden sie sich von jihadistischenSalafisten in ihrer Beurteilung dessen,

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unter welchen Umständen der Kampfgegen welchen Feind islamisch gerecht-fertigt werden kann. Obgleich auch po-litische Salafisten demokratische Institu-tionen, Prozesse und Prinzipien – wieVolksherrschaft und Mehrparteiensys-tem – ablehnen, sind sie deutlich zurück-haltender, wenn es darum geht, deswe-gen andere Muslime offen des Abfallsvom Islam (arab. takfir) zu bezichtigenbzw. zu „Ungläubigen“ zu erklären.

Jihadistischer Salafismus | Ausgehendvon denselben religiösen Quellenschlussfolgern jihadistische Salafisten,dass die Umsetzung ihrer Bestrebung,den „wahren“ Islam anzuwenden, nurmit gewaltsamen Mitteln möglich ist. Fürihre Wahl der anzuwendenden Strategieund Vorgehensweise ist entscheidend,ob der zu bekämpfende „Feind“ lokal(unislamische Regierung) oder global(„westlicher Imperialismus“) verortetwird. Dementsprechend stehen Kampf-handlungen oder Anschläge gegeneine bestimmte („unislamische“) Regie-rung oder gegen „westliche“ Länder imVordergrund. In beiden Fällen verläuftdie islamrechtliche Legitimation für jiha-distische Salafisten entlang der Argu-mentation, dass sich der Islam in einerpermanenten Verteidigungsposition be-finde, da „Ungläubige“ ihn vernichtenwollten. Die Pflicht, sich für den Islam inden Kampf zu begeben, fordern jihadis-tische Salafisten dabei entweder als in-dividuell oder kollektiv wahrzuneh-mende Aufgabe der Muslime ein.

In ihrer Propaganda werben jihadis -tische Salafisten für den Jihad, indem siedie Vorzüge des „Märtyrertods“ in Aus-

sicht stellen. Er garantiere dem Kämpferoder Selbstmordattentäter eine erhöhteStellung im Paradies. Die Bereitschaft,sich für Allah und den Islam zu opfern,sei der einzige Weg, um die Gesellschaftzum Guten zu verändern und führe zuRuhm und Anerkennung. In Propagan-davideos veröffentlichen jihadistischeSalafisten Bilder von „Märtyrern“ und un-termalen diese mit religiösen Gesängen,die den Jihad preisen (arab. naschid,Plural anaschid), wodurch potenzielle Ji-hadisten emotional angesprochen undin Kampfstimmung versetzt werden sol-len. Dabei ist es das Ziel, entweder neueUnterstützer für unterschiedliche jihadis-tische Gruppierungen im syrisch-iraki-schen Kampfgebiet zu gewinnen oder,da dies nach dem territorialen Zerfalldes IS nur noch eingeschränkt möglichist, zu Terroranschlägen in Europa zumotivieren.

Der jihadistische Salafismus stellt daherinnerhalb des internationalen islamisti-schen Terrorismus die größte Bedro-hung für die Innere Sicherheit der Bun-desrepublik Deutschland dar. Auch imBerichtsjahr ging eine besondereGefahr von Personen aus, die aus den Ji-had-Kampfgebieten Syrien und Iraknach Deutschland zurückkehrten.

Bewertung/Ausblick

Politischer Salafismus | Die Aktivitätenim Bereich des politischen Salafismus imöffentlichen Raum waren rückläufig.Dies bedeutet indes nicht, dass die sala-fistische Missionierung rückläufig war.Sie fand vielmehr in anderen Formenstatt. So war insbesondere die Propa-

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ganda über das Internet und diesozialen Netzwerke nach wie vor unge-brochen. Zudem fanden die Missionie-rungsaktivitäten in privatem Umfeld, vonder Öffentlichkeit wenig wahrnehmbar,statt. Diese veränderte Vorgehensweisedürfte als eine Folge der staatlichen undordnungsbehördlichen Maßnahmen ge-gen das Auftreten der Salafisten im öf-fentlichen Raum anzusehen sein.

Durch das Verbot bundesweiter Struktu-ren wie der „LIES“-Kampagne im No-vember 2016 regionalisierte sich die sa-lafistische Szene tendenziell und trat ineher örtlichen Strukturen auf, wodurchein Rückzug in von der Öffentlichkeit ab-geschirmte Räume erfolgte. Die Motiva-tion, Teil einer bundesweiten, öffentlichsichtbaren Kampagne zu sein, hat abge-nommen.

Die „We-Love-Muhammad“-Kampagne,die im Frühjahr des Berichtsjahres zu-nächst öffentlichkeitswirksam unter an-derem in Frankfurt am Main anlief,konnte nicht den Aktionsgrad der„LIES“-Kampagne erreichen. Für dieseAktionsform findet sich nicht mehr dieausreichende Anzahl von Aktivisten, ei-nige der Protagonisten wechselten ihreAktionsfelder und engagierten sich etwabeim IHED.

Jihadistischer Salafismus | Der selbster-nannte Kalif der jihadistischen Terrorver-einigung IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, verfolgte das Ziel, ein islamisches Staats-wesen auf vermeintlich unverfälschtenPrinzipen des sunnitischen Islams zu er-richten. Al-Baghdadi versprach allen

Muslimen die Wiederbelebung des Ka-lifats im Diesseits.

Kontrollierte der IS einst weitgehend zu-sammenhängende Landstriche in Syrienund im Irak, die der Fläche Großbritan-niens entsprachen, konnten sich die Ji-hadisten unter dem enormen militäri-schen Druck nur in ihre Hochburgenund nach deren Fall in den Untergrundzurückziehen oder anderweitig unter-tauchen. Noch gravierender gestaltetesich die Realpolitik: Sämtliche Verhei-ßungen und Prophezeiungen des IS tra-ten entweder nicht ein oder entlarvtensich als hohle Phrasen.

Dabei ist gerade die ideologische Festi-gung der IS-Anhänger – und Sympathi-santen jihadistischer Überzeugungen imAllgemeinen – von enormer Bedeutungund steht oftmals in direkter Abhängig-keit zu den erzielten realen Ergebnissen.Führende Jihadisten müssen sich an ih-ren göttlichen Verheißungen messenund ihren Worten Taten folgen lassen. Jehäufiger der IS gezwungen war, die Rea-lität angesichts der anhaltenden Ge-bietsverluste ideologisch zu retuschie-ren, desto schneller wuchsen die Zweifelder Anhänger gegenüber dem Kalifenund seinen Getreuen. In dieser Phasebüßte die IS-Doktrin bereits bei zahlrei-chen Sympathisanten und Anhängernvor Ort und außerhalb, die sich für dieutopische Errichtung eines islamischenGemeinwesens begeistern ließen, anGlaubwürdigkeit und Überzeugungs-kraft ein. Mag die Propagandamaschine-rie des IS in den offenen und verdecktenBereichen der virtuellen Welt weiterhinfunktionsfähig sein, ist doch die ideolo-

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gische Strahlkraft des Kalifat-Projektsstark verblasst. Der IS leidet in Anbe-tracht dieser Entwicklungen fortan untereinem Glaubwürdigkeitsproblem undkönnte versuchen, dieser Misere mit An-schlägen entgegenzuwirken, um dasBild eines schlagfertigen Machtappara-tes aufrechtzuerhalten.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass das ter-ritoriale Scheitern des IS als Quasi-Staatbei vielen Getreuen in Europa und inDeutschland zu einem Dämmer- bzw.Wartezustand geführt hat. Die terroristi-sche Bedrohungslage in Deutschlandwird mit dem Zerfall des IS-Territoriumsallerdings nicht geringer.

Verliert eine Gruppierung an Einfluss,können andere strukturell wiedererstar-ken. Das anschaulichste Beispiel hierfürliefert das jihadistisch beeinflusste Wi-derstandsbündnis unter der Führungder Gruppierung Hayat-Tahrir As-Sham(HTS) in Syrien. Die Gruppe war in derVergangenheit stark al-Qaida-affin unddrohte bereits im Konflikt mit dem As-sad-Regime und den konkurrierendenIS-Jihadisten in der Bedeutungslosigkeitzu versinken. Inzwischen konnte sich dieGruppierung durch strategische Anpas-sungen in weiten Teilen regenerierenund wieder an Einfluss gewinnen.

Muslimbruderschaft (MB)/Islamische Gemeinschaftin Deutschland e. V. (IGD)

Definition/Kerndaten

Die MB ist in zahlreichen Staaten derWelt, dabei in nahezu allen Ländern desNahen Ostens, vertreten. Sie ist die ein-flussreichste und älteste islamistischeBewegung unter den Sunniten. Ziel derMB ist die Errichtung eines weltum-spannenden Gemeinwesens als Gottes-staat auf der Grundlage von Koran undSunna. In Deutschland ist die IGD diegrößte Organisation, welche die Ideo-

logie der MB vertritt. In Anlehnung anihre ägyptische Mutterorganisation ver-sucht die IGD, durch soziales und reli-giöses Engagement sowie durch Dia-logangebote Akzeptanz in derGesellschaft zu finden. Letztlich zielendiese Versuche darauf ab, die Ideologieder MB in Deutschland gesellschaftsfä-hig zu machen.

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Ereignisse/Entwicklungen

Die Anhänger der MB in Hessen solida-risierten sich mit den unter staatlicherRepression stehenden MB-Funktionärenin Ägypten. Für deutlich größere Emo-tionalität in der hiesigen Szene sorgteindes die Schließung der al-Aqsa Mo-schee in Jerusalem.

Die Organisationen der MB in Deutsch-land, insbesondere die IGD und das Eu-ropäische Institut für Humanwissen-schaften in Deutschland e. V. (EIHW),versuchten durch soziales Engagementund Bildungsangebote ihre Anhänger-schaft zu erweitern.

Entwicklungen in Ägypten | Nach derAbsetzung des den Muslimbrüdern zu-gehörigen ägyptischen Präsidenten Mo-hammed Mursi im Jahr 2013 und densich anschließenden starken Repressi-onsmaßnahmen der Regierung gegendie Anhänger und Sympathisanten derOrganisation schien die politischeHandlungsfähigkeit der MB in Ägyptende facto nicht mehr gegeben. Seitdemsetzte eine spürbare Radikalisierung derislamistischen Kräfte in Ägypten ein, die

zu einer dramatischen Verschlechterungder dortigen Sicherheitslage führte.Hunderte Menschen wurden im Be-richtsjahr bei Anschlägen und Kämpfendurch islamistisch-terroristische Organi-sationen und Splittergruppen in Ägyp-ten getötet. Im November 2016 hob dasoberste ägyptische Berufungsgerichtdas Todesurteil gegen den ehemaligenPräsidenten Mursi auf. Im September2017 wurde Mursi in letzter Instanz zu ei-ner 25-jährigen Haftstrafe wegen Spio-nage für Katar verurteilt.

Reaktionen in Hessen | Die politischenEreignisse in Ägypten nahmen im Be-richtszeitraum für Anhänger der MB inHessen nur eine nachgeordnete Rolleein und blieben auf der Ebene allgemei-ner Solidaritätskundgebungen. Die Teil-nehmerzahlen bei Kundgebungen undMahnwachen lagen im unteren zweistel-ligen Bereich. Ein höherer Mobilisie-rungsgrad war bei dem weltweit fürMuslime sensiblen Thema „Jerusalem“feststellbar. So nahmen Anhänger undFunktionäre der MB aktiv am Protest ge-gen die Schließung der al-Aqsa Mo-schee in Jerusalem am 22. Juli in Frank-furt am Main teil. Alle Veranstaltungen in

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Führung: Muhammad Badi (Ägypten)

Anhänger/Mitglieder:

In Hessen etwa 300, bundesweit etwa 1.040

ZuzurechnendeOrganisationen:

Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islamische Widerstandsbewegung)in den palästinensischen Autonomiegebieten(Gazastreifen) in Israel, al-Nahda (Tunesien),al-Ikhwan al-Muslimum fi Suriya (Muslim-bruderschaft von Syrien)

Logo der MB

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Islamismus <29

Hessen verliefen friedlich. Am 7. Dezem-ber rief der Rat der Imame und Gelehr-ten e. V. (RIG) via Facebook dazu auf, diekommende Freitagspredigt unter demThema „Die heilige Stadt al-Quds undihre religiöse und historische Stellungfür die Muslime“ zu vereinheitlichen.

IGD | Um Kinder und Jugendliche be-reits frühzeitig in die Strukturen der IGDeinzubinden, veranstaltete der Verein imBerichtsjahr Kinder- und Jugendcampsauch in Hessen. In Modautal (LandkreisDarmstadt-Dieburg) fand vom 27. bis29. Oktober das 11. IGD-Kindercamp fürJungen und Mädchen im Alter von 8 bis12 Jahren statt. Das erste IGD-Mädchen-camp für 13- bis 17-Jährige wurde vom5. bis 7. Mai in Lützelbach (Odenwald-kreis) durchgeführt. Darüber hinaus tratdie IGD auch als Organisatorin der über-regionalen Veranstaltung „Islamleben“auf. Unter dem Motto „Einheit in Vielfalt“wurde diese als Familienfest beworbeneVeranstaltung vom 25. bis 27. August inKirchheim (Landkreis Hersfeld-Roten -burg) durchgeführt.

RIG | Am 12. Mai wurde das unter derSchirmherrschaft des RIG stehende Sira-Projekt vorgestellt. Mittlerweile existiertein Facebookprofil Sira-Team Deutsch-land. Eine unmittelbare Zugehörigkeitzum RIG zeigt sich auch über das Logoder Organisation. Das Ziel des Projektes

besteht laut eigenen Angaben darin, dieSira (Biographie des Propheten Moham-med) nicht nur narrativ wiederzugeben,„sondern eine neue Präsentierweise undeine methodische Vielfalt und eine un-terstützende Darstellung durch Tafelbil-der und Figuren [vorzustellen].“

Zielgruppe des Sira-Projektes sind vor-rangig Kinder und Jugendliche. Etwazehn Veranstaltungen wurden im Be-richtsjahr durch das Sira-Team Deutsch-land direkt oder in Kooperation mit demRIG durchgeführt und fanden in Mar-burg (Landkreis Marburg-Biedenkopf),Offenbach am Main, Kirchheim (Land-kreis Hersfeld-Rotenburg), Rüsselsheimam Main (Kreis Groß-Gerau), Arnsberg (Nordrhein-Westfalen), Freiburg (Baden-Württemberg) und Berlin statt.

EIHW | Am 30. Januar veranstaltete dasEIHW eine Abschlussfeier für den 1. Isla-mischen Studiengang mit 25 Absolven-

Logo der IGD

Logo des RIGD

Logo des Sira-Projekts

Page 130: Verfassungsschutz in Hessen · Wirtschaftsschutz ... die Entwicklungen in der digitalen Welt. Mit der Vernetzung über das Internet ist die Gefahr elektronischer Angriffe auf unsere

ten in Frankfurt am Main. Unter den ca.100 Gästen befanden sich zahlreiche MB-/IGD-Funktionäre, unter anderemder Vorsitzende der IGD und der Leiterder Islamischen Gemeinschaft Millî Görüşe. V. (IGMG), Landesverband Hessen. DasEIHW intensivierte im Jahr 2017 seine Öf-fentlichkeitsarbeit. Nach der Neugestal-tung der Webseite, welche nun auch indeutscher Sprache zur Verfügung steht,fand am 27. Juli und am 16. Septemberein Tag der offenen Tür bzw. Studieninfor-mationstag statt. Außerdem baute dasEIHW im Berichtsjahr seine Beziehungenins Ausland aus. So nahm das EIHW vom8. bis 12. April an einer Universitätsveran-staltung in Dohar (Katar) teil. Zudem botdas EIHW gemeinsam mit dem kuwaiti-schen Awqaf-Ministerium (Ministeriumfür religiöse Stiftungen und IslamischeAngelegenheiten) einen dreimonatigenIntensivkurs für Arabisch-Studenten vom3. Oktober 2017 bis 3. Januar 2018 in Ku-weit an, wobei die hochwertige Unter-kunft, Verpflegung etc. gestellt wurden.Eine Neuauflage dieses Angebotes istbereits für Februar 2018 angekündigt.

Entstehung/Geschichte

Staat im Staat | In einer Phase des sozia-len Umbruchs in Ägypten, in der sich einneuer Mittelstand herausbildete, grün-dete 1928 der Volksschullehrer Hasanal-Banna (1906 bis 1949) die MB als Re-

aktion auf die zunehmende Europäisie-rung des Landes. Als Wohlfahrtsorgani-sation islamischer Prägung, die unter an-derem Krankenhäuser und Schulenunterhielt, entwickelte sich die strenghierarchisch aufgebaute MB zu nehmendzum Staat im Staat.

Unter der Führung al-Bannas verfolgtedie MB nach und nach im Wesentlichenfolgende Ziele: Die Eliminierung des bri-tischen Einflusses in Ägypten, die Islami-sierung von Staat und Gesellschaftsowie die Errichtung eines weltweitenKalifats. Vor allem mit ihrer karitativenArbeit gewannen die MB und ihre in an-deren Ländern gegründeten Ablegerimmer mehr Anhänger.

Vom Verbot zur Regierung | In den1940er und 1950er Jahren waren dieBeziehungen zwischen der MB und demägyptischen Staat von gewalttätigenAuseinandersetzungen geprägt. 1948wurde der ägyptische MinisterpräsidentMahmud Fahmî an-Nuqrâshî (geb. 1888)ermordet, 1949 fiel Hasan al-Banna ei-nem Attentat zum Opfer. 1954 verbotdie Regierung die MB; ihr maßgeblicherIdeologe, Sayyid Qutb (geb. 1906),wurde 1966 zum Tode verurteilt und hin-gerichtet.

Ungeachtet der Generalamnestie für füh-rende MB-Funktionäre im Jahr 1971 dau-erten die Gewalttaten militanter islamis-tischer Gruppen, die ihre Aktionen unterBerufung auf die Schriften Sayyid Qutbsrechtfertigten, an. Eine militante Abspal-tung der MB ermordete 1981 den ägyp-tischen Präsidenten Anwar as-Sadat (geb.1918). Sein Nachfolger Husni Mubarak

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Logo des EIHW

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gewährte der MB den Status als religiöseBewegung, nicht aber den einer politi-schen Partei. Als Konsequenz entsandtedie MB vermeintlich unabhängige Be-werber und Kandidaten auf Wahllistenanderer Parteien in die Parlamentswah-len. Bei den Wahlen im Jahr 2005 vervier-fachte die MB die Zahl ihrer Abgeordne-ten auf 88 und errang damit etwa einFünftel der Sitze im ägyptischen Parla-ment. Nach dem von Massenprotestender Opposition erzwungenen RücktrittMubaraks 2011 erlangten die MB undandere Islamisten bei den Wahlen etwa70 Prozent der Abgeordnetenmandate.

Als politischer Arm der MB gründetesich im Februar 2011 die Hizb al-Hurriyawal-Adala (Partei der Freiheit und Ge-rechtigkeit). Ihr Vorsitzender Moham-med Mursi, zugleich ein führender MB-Funktionär, wurde 2012 zum ägypti-schen Staatspräsidenten gewählt. Auf-grund der angespannten Wirtschafts-lage und anhaltender Proteste gegendie Partei der Freiheit und Gerechtigkeitsetzte das ägyptische Militär Moham-med Mursi im Juli 2013 ab. Im Septem-ber 2013 verbot ein ägyptisches Gerichtdie MB nebst allen ihr zugehörigen Or-ganisationen. Seit dem Dezember 2013ist die MB in Ägypten als Terrororgani-sation eingestuft.

Die MB in Deutschland | 1960 gründeteSaid Ramadan (1926 bis 1995), einSchwiegersohn al-Bannas und hoherMB-Funktionär, in München (Bayern) dieMoscheebau-Kommission e. V. Zusam-men mit Sayyid Qutb hatte er in den1950er Jahren Ägypten verlassen undAbleger der MB in Jordanien, Syrien,

Saudi-Arabien und im Libanon insLeben gerufen. Durch Umbenennungengingen aus der Moscheebau-Kommis-sion e. V. im Jahr 1962 die IslamischeGemeinschaft in Süddeutschland e. V.und 1982 die IGD hervor.

Ideologie/Ziele

Durchsetzung der Scharia | Der ideolo-gische Ursprung der MB geht auf ihrenGründer Hasan al-Banna zurück.Zentrale Elemente der MB-Ideologiesind bis heute im Selbstverständnis zahl-reicher islamistischer und islamistisch-terroristischer Organisationen präsent.Wesentlicher Bestandteil der MB-Ideo-logie ist die Durchsetzung der Schariaals Rechts- und Gesellschaftsordnungsowie als wichtigste Grundlage des po-litischen und sozialen Lebens.

„Der Koran ist unsere Verfassung“ | DasMotto der MB lautet: „Allah ist unser Ziel.Der Prophet ist unser Führer. Der Koranist unsere Verfassung. Der Jihad ist unserWeg. Der Tod für Allah ist unser nobels-ter Wunsch“. Ebenso wie sein VorgängerMuhammad Mahdi Akif gehört Muham-mad Badi, der „oberste Führer“ (arab.murshid amm) der MB, dem konservati-ven Lager der Organisation an. Erfordert von der arabischen Welt, die Ver-handlungen mit Israel einzustellen unddurch den „heiligen Jihad“ zu ersetzen.

Strukturen

Föderation Islamischer Organisationenin Europa (FIOE) | In Europa wird diestreng hierarchisch organisierte MBdurch die FIOE, einen europäischen

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Dachverband MB-naher Organisationenmit Sitz in Brüssel (Belgien) vertreten. Ei-genen Angaben zufolge vereinigt dieFIOE Organisationen aus 28 Staaten, da-runter viele nationale Dachverbände.

Strukturen der IGD | In Deutschland istdie IGD mit Hauptsitz in Köln (Nord-rhein-Westfalen) die mitgliederstärksteOrganisation von MB-Anhängern. Sie re-präsentiert den ägyptischen Zweig derMB und ist seit ihrer Gründung Mitgliedder FIOE. Der IGD sind bundesweit ver-schiedene Moscheegemeinden und so-genannte Islamische Zentren zuzuord-nen, die formal von ihr unabhängig sind.In Hessen befanden sich solche Zentrenin Frankfurt am Main und Marburg(Landkreis Marburg-Biedenkopf).

RIG in Frankfurt am Main | Ähnlich wieder European Coucil for Fatwa and Re-search (ECFR, Europäischer Rat fürFatwa und Forschung) unter dem Vorsitzdes MB-Ideologen Yusuf al-Qaradawiauf europäischer Ebene erhebt der RIGfür Deutschland den Anspruch, als wis-senschaftliche Autorität in Fragen derKoranauslegung für hier lebende Mus-lime zu fungieren. Der RIG, der seit 2004mit Sitz in Frankfurt am Main besteht, istsowohl organisatorisch als auch ideolo-gisch der IGD nahe.

EIHW als Kaderschmiede für MB- undIGD-Funktionäre | 2012 wurde das EIHWmit Sitz in Frankfurt am Main nach demVorbild der Europäischen Institute fürHumanwissenschaften in Großbritannien(European Institute of Human Sciences,EIHS) und in Frankreich (InstitutEuropéen des Sciences Humaines, IESH)

als Verein gegründet. 2013 nahm dasEIHW seinen Lehrbetrieb auf. Der Vereinwird durch den RIG und die IGD unter-stützt. Als Schulungsstätte dient dasEIHW der Verbreitung der MB-Ideologieund ist eine Kaderschmiede für MB- undIGD-Funktionäre.

Bewertung/Ausblick

Die Unterwanderungsstrategie der MBin Hessen verläuft unauffällig, da ihre Ak-teure nicht unter dem Namen der Bru-derschaft auftreten. Nichtsdestotrotzbauen die in Hessen etablierten MB-Strukturen nicht nur über die Neugrün-dung von Vereinen, Gruppierungenoder Facebook-Gruppen ihr Netzwerkfortlaufend aus, sondern auch durch Mit-wirkung in kommunalen und gesell-schaftlichen Gremien.

Mit einer legalistischen Strategie, dasheißt ohne das Recht zu verletzen, ver-suchen die MB und die ihr nahestehen-den Organisationen, ihrer Ideologie zurAkzeptanz in Teilen der Gesellschaft zuverhelfen. Dazu verhalten sie sich nachaußen offen, tolerant und dialogbereitund streben eine Zusammenarbeit mitpolitischen Institutionen und Entschei-dungsträgern an, um so Einfluss im öf-fentlichen Leben zu gewinnen. Diese le-galistische Strategie wird von derOrganisation deutschlandweit und auchauf europäischer Ebene angewandt. Ex-tremistische Aussagen und Inhalte wer-den öffentlich bewusst vermieden.

Unter dem Deckmantel der Kinder- undJugendarbeit, der karitativen Flücht-lingshilfe und von Benefizveranstaltun-

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gen für Waisen- und Entwicklungshilfe-projekte soll mittelbar ein Heranführenan die MB-Ideologie erfolgen.

In Bezug auf die MB-nahen Vereine inHessen ist davon auszugehen, dass sieihre Angebote, insbesondere im Bereichder Kinder- und Jugendarbeit, weiterausbauen werden. Dem neu gegründe-ten Sira-Team Deutschland kommt indiesem Zusammenhang auch außerhalbHessens Bedeutung zu.

Die Kontakte des EIHW nach Katar bzw.die Kooperation mit Kuweit lassen auf

eine zunehmende staatliche Einfluss-nahme dieser Länder schließen. DasSponsoring der dreimonatigen Intensiv-kurse durch das kuwaitische Awqaf-Mi-nisterium kann hierfür als Indiz gewertetwerden.

Ereignisse wie die Schließung der al-Aqsa Moschee oder auch die Diskussionum den Status von Jerusalem aufgrundder Verlegung der US-Botschaft im De-zember des Berichtsjahres sind immerwieder Anlässe, die zu einer Emotionali-sierung der Anhängerschaft der MBauch in Hessen führen.

Millî-Görüş-Bewegung

Definition/Kerndaten

Unter der Bezeichnung Millî-Görüş-Bewegung fasst das LfV bestimmte isla-mistische Bestrebungen türkischen Ur-sprungs zusammen. Ihr verbindendesElement liegt in der grundlegendenOrientierung an der Ideologie der tür-kischen Bewegung Millî Görüş (natio-nale Sicht). Diese beruht auf den Ideenzur „Errichtung einer Großtürkei“ desGründers der Bewegung, Neçmettın Er-bakan (1926 bis 2011). Zur Millî-Görüş-Bewegung (etwa 1.450 Anhänger in

Hessen, bundesweit etwa 10.000) ge-hörten• der Landesverband Hessen der Saadet

Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit),• die Ismail Aĝa Cemaati (IAC),• Teile der Islamischen Gemeinschaft

Millî Görüş e. V. (IGMG),• die Erbakan Vakfi Hessen (Erbakan-

Stiftung) und• die Millî Gazete (Nationale Zeitung), Ta-

geszeitung der Millî-Görüş-Bewegung.

Ereignisse/Entwicklungen

Der SP-Landesverband Hessen führte –wie in der Vergangenheit – wieder zahl-reiche Veranstaltungen durch und war inder Betreuung seiner Mitglieder aktiv.

Durch ihr zielgerichtetes und weitrei-chendes Veranstaltungsangebot gelanges der SP in Hessen, ihren Nachwuchs andie Organisation zu binden und deren

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Einbindung in das vorhandene Gemein-schaftsgefüge zu stärken. Dabei zeigtenGastauftritte türkischer SP-Funktionäre,wie sehr die türkische Mutterpartei SP-Strukturen im Ausland unterstützte. Die

IAC war in Hessen unverändert aktiv, je-doch ohne Aussicht auf eine baldigeRückkehr ihres im Jahr 2015 ausDeutschland ausgewiesenen Ober-haupts, das sich in der Türkei aufhielt.

Keine SP-Ortsvereine gegründet | Nach-dem sich der Landesverband der SP inHessen 2016 als Verein unter der Be-zeichnung Saadet Deutschland Regio-nalverein Hessen mit Sitz in Frankfurt amMain in das Vereinsregister hatte eintra-gen lassen, wurden keine Ortsvereinegegründet. Ebenso wenig wurden offi-ziell Jugend- und Frauenvereine ins Le-ben gerufen, obwohl Hinweise in sozia-len Netzwerken darauf hindeuteten, dass– zumindest im Jugendbereich – interneStrukturen dieser Art bereits bestanden.

Gedenkveranstaltung für Neçmettın Er-bakan | Wie in den Vorjahren führte dieSP Hessen im Februar eine Gedenkver-anstaltung für den verstorbenen Be-gründer der Millî-Görüş-Ideologie,Neçmettın Erbakan, durch. Unter denmehreren hundert Gästen der Veranstal-tung, die in Großkrotzenburg (Main-Kin-zig-Kreis) stattfand, befanden sichneben Funktionären der SP Hessen auchder stellvertretende Vorsitzende der SPin der Türkei. Dieser referierte zumThema „Erbakan gedenken und verste-hen“. Darüber hinaus wurden Filme überErbakan gezeigt.

Jugendaktivitäten der SP Hessen | Pri-märes Ziel der Aktivitäten der SP war dieAnbindung ihres Mitgliedernachwuch-ses an die Organisation. Entsprechendfanden auch auf hessischer Ebene vieleVeranstaltungen zur Förderung und Ein-

bindung der Jugendlichen in die interneArbeit statt. So besuchten in regelmäßi-gen Abständen SP-Vertreter die Jugend-lichen zuhause, um in gemeinsamenGruppengesprächen die Wertvorstel-lungen der Millî Görüş zu vermitteln. Da-rüber hinaus organisierte die SP Hessenim Oktober eine Schulungsveranstal-tung mit Jugendlichen unter Leitungdes Jugendvorsitzenden der SP Europain Offenbach am Main. Dieser stellte denJugendlichen das Leben und Wirken Er-bakans vor und erläuterte die Lehrenund Grundprinzipien der Millî-Görüş-Bewegung. Bei Millî Görüş handele essich um „eine Dava“ (Missionierung) undden „Weg derjenigen, die ohne Angstvor der Kritik der Kritiker im Namen desRechts marschieren!“ Ein Angehörigervon Millî Görüş sei ein „MujahideenMoslem, der an die Weltsicht glaubt, dieden richtigen Weg bevorzugt, der alleseine Kräfte mobilisiert, um die gerechteOrdnung zu gründen und um die ganzeMenschheit zu befreien.“

In diesem Zusammenhang hob der Ju-gendvorsitzende die Einzigartigkeit derMillî-Görüş-Anhänger hervor, die sichder „großen Mission“ und Leidenschaftder „gerechten Ordnung“ der Millî Gö-rüş stellten und ihre Kraft aus der Gläu-bigkeit der Jugend zögen. Beispielhaftwurde ein Zitat Erbakans aufgeführt:

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„Die eigentliche Macht einer Nation sindnicht ihre Kanonen, Gewehre oder Pan-zer, sondern ihre gläubige Jugend.“

Bei Ratsversammlungen in einer Mo-schee in Frankfurt am Main, zu denensich die Vorstandsmitglieder der SP Hes-sen trafen, war unter anderem Thema,wie sich die Jugendvertretungen entwi-ckelten. Besondere Gäste waren unteranderem die Frauenvorsitzende der SPEuropa und der Vorsitzende der SP Hes-sen. Während dieser Veranstaltungenwarb die SP Hessen für die türkischspra-chige Tageszeitung Millî Gazete.

IAC – aus der Türkei übertragene Predig-ten | Nach der Ausweisung des selbster-nannten Oberhaupts der europäischenIAC-Gemeinde, Nusret Çayir, im Oktober2015, hielt sich dieser weiterhin in derTürkei auf. Seine Predigten, die sich im-mer wieder auch an den Lehren Erbakansorientierten, wurden weiterhin in einerMoschee im Raum Frankfurt am Main perLive-Schaltung aus der Türkei vor Publi-kum übertragen. Nach wie vor besuchtenmehrere hundert Personen, die auch ausanderen Bundesländern und dem nähe-ren europäischen Ausland kamen, einmalim Monat diese Veranstaltungen. ÇayirsPredigten waren von antidemokratischensowie antisemitischen Elementen ge-prägt und propagierten die Einführungeines weltweiten Gottesstaats.

Insgesamt war die IAC geprägt durchVerehrung, Huldigung und absolutenGehorsam gegenüber ihren Führungs -figuren und ihrem in der Türkei leben-den spirituellen Oberhaupt ScheichMahmud Ustaosmanoĝlu.

Entstehung/Geschichte

1969 gründete Necmettın Erbakan(1926 bis 2011) in der Türkei die Millî-Görüş-Bewegung und stellte sich damitgegen die vom Gründer der modernenRepublik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk(1881 bis 1938), eingeführte Trennungvon Staat und Religion. Auf diese Weisewollte Erbakan die Säkularisierung desLandes rückgängig machen und daspolitische, wirtschaftliche und kulturelleLeben erneut islamisieren.

Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei |1970 wurde als politische Vertretung derMillî-Görüş-Bewegung die Millî NizamPartisi (MNP, Nationale Ordnungspartei)gegründet. 1973 verfasste Erbakan dasfür die Ideologie der Bewegung noch im-mer wegweisende Buch „Millî Görüş“.Über Parteiverbote und Parteineugrün-dungen sowie ein zweimal verhängtesPolitikverbot für Erbakan führte der Wegder Millî-Görüş-Bewegung in der Türkeibis zur 2001 gegründeten und nochheute existenten SP. Erbakan war in derTürkei mehrere Male stellvertretender Mi-nisterpräsident und bekleidete 1996/97das Amt des Ministerpräsidenten.

Millî-Görüş-Bewegung in Deutschland |1976 entstand in Köln (Nordrhein-Westfalen) als Ableger der Millî-Görüş-Bewegung die Türkische Union Europae.  V. Sie benannte sich 1982 inIslamische Union Europa e. V. (IUE) um.1984 kam es innerhalb der IUE zu Aus-einandersetzungen über die politischeAusrichtung des Vereins. Als Folge grün-dete sich 1985 in Köln die Avrupa MillîGörüş Teşkilatları (AMGT, Vereinigung

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der neuen Weltsicht in Europa e. V.) alsNachfolgeorganisation der mittlerweilebedeutungslos gewordenen IUE.

Aus der AMGT gingen 1995 die Euro-päische Moscheebau und Unterstüt-zungsgemeinschaft (EMUG) und dieIGMG hervor. Organisatorisch warenbeide in einen wirtschaftlichen und ei-nen ideellen Bereich getrennt. Aufgabeder EMUG ist die umfangreiche Grund-stücksverwaltung und Betreuung derAMGT- und IGMG-Vereine. Die IGMG istauf die religiösen Belange ihrer Mit-gliedsvereine ausgerichtet. Viele Mo-scheevereine änderten in der Folge denNamenszusatz AMGT in IGMG. Die Zu-gehörigkeit zur Millî-Görüş-Bewegungblieb jedoch erhalten und zeigte sichoftmals auch in personellen Überschnei-dungen von AMGT und IGMG.

SP als Repräsentantin der Millî-Görüş-Bewegung | Auf politischer Ebene ver-tritt die von Necmettın Erbakan gegrün-dete SP die Millî-Görüş-Bewegung inder Türkei. Die SP ging aus der verbote-nen Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) Er-bakans hervor, aus der damals auch diejetzige türkische Regierungspartei Ada-let ve Kalkınma Partisi (AKP, Partei für Ge-rechtigkeit und Aufschwung) entstand.Der Einfluss der SP auf die politischeWillensbildung im Land ist aufgrund ih-res geringen Wählerpotenzials kaumwahrnehmbar. Obwohl sich die AKP mitder Zeit von der ursprünglichen Ideolo-gie der Millî-Görüş-Bewegung distan-zierte, verbindet sie mit der SPdieselben konservativen Wurzeln.

Rolle der IAC in der Türkei | Die IAC istder Bruderschaft der Naqshbandiya zu-zuordnen, die im 14. Jahrhundert in Zen-tralasien entstand. Ihr Gründer, Baha‘ad-Dîn Naqshbandî (1318 bis 1389) ausBuchara (heutiges Usbekistan), steht ineiner Reihe sogenannter Meister in Zen-tralasien, die mystische Gemeinschaftengründeten. Die sunnitische Naqshban-diya entwickelte sich in den folgendenJahrhunderten zur bedeutendsten Bru-derschaft und ist heute weltweit verbrei-tet. Ihr Handeln beruht auf einer religiösgeprägten Lebensführung, wobei eineenge emotionale Bindung zwischenSchüler und Meister besteht. Unter an-derem durch spezielle Meditationstech-niken sucht der Schüler die unmittelbaremystische Gotteserfahrung. So versuchtder Schüler durch schweigendes Den-ken an Allah (arab. dhikr) diesem sonahe wie möglich zu kommen.

Obwohl 1925 durch Atatürk verboten,spielte die Naqshbandiya-Bruderschaftim religiösen Leben in der Türkei einebedeutende Rolle. Necmettın Erbakanund das in der Türkei lebende spirituelleOberhaupt der Bruderschaft, ScheichMahmud Ustaosmanoĝlu, pflegten en-gen Kontakt zu dem einflussreichen türkisch-sunnitischen Naqshbandiya-Scheich Mehmet Zaid Kotku (1897 bis1980) und wurden durch ihn geprägt.Kotku war eine der führenden Personendes Naqshbandiya-Ordens.

Ideologie/Ziele

Gemäß Erbakans Grundsätzen gibt es inder Welt eine gerechte (türk. adil düzen)und eine nichtige Ordnung (türk. batıl

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düzen). Ziel müsse es sein, die schlechte,tyrannische, auf menschlicher Willkürsich gründende und daher vergänglicheOrdnung durch die gute, von Allah vor-gegebene und angeblich auf Wahrheitfußende Ordnung zu überwinden. Diessei allein durch die Millî Görüş zu errei-chen, welche die Verwirklichung dieserGedanken in der Türkei propagiert, woeine islamische Staats- und Gesell-schaftsordnung nach den Grundlagenvon Koran und Sunna geschaffen wer-den soll. Die Millî-Görüş-Bewegung ver-bindet in ihrer Gesamtheit einen univer-salen türkisch-nationalistischen miteinem islamistischen Ansatz.

Strukturen

SP | Seit einigen Jahren entstehendeutschlandweit Ableger der SP, die An-hänger und Wählerpotenzial in Deutsch-land aktivieren, um die Politik der Mut-terpartei in der Türkei zu unterstützen.Dabei vertraten die SP-Strukturen inDeutschland die politische Ausrichtungder Ideologie Necmettın Erbakans in-nerhalb der Millî-Görüş-Bewegung.

IAC | Feste Vereinsstrukturen der IACgab es in Hessen nicht, sie war lediglichim Rahmen regelmäßig stattfindenderVeranstaltungen aktiv.

IGMG | Die IGMG als weltweit verbrei-tete Organisation verfügte über 520 Mo-scheevereine in 34 Regionalverbänden.Die IGMG war nicht in der Gesamtheitihrer Mitglieder der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung zuzurechnen. Teileder IGMG befanden sich in einem Pro-zess des Abwendens von der extremis-tischen Ideologie Erbakans. Es lagen je-doch tatsächliche Anhaltspunkte vor,dass einige IGMG-Ortsvereine weiterhinder Millî-Görüş-Ideologie Erbakans folg-ten und bestrebt waren, dessen Zieleperspektivisch umzusetzen. Neben eini-gen Ortsvereinen gehörten in Hessender IGMG-Landesverband, der Frauen-und Jugendverband sowie die studen-tische Vereinigung Unikat e. V. zur Millî-Görüş-Bewegung.

Millî Gazete | Die türkische TageszeitungMillî Gazete, deren Zentrale für die Eu-ropaausgabe sich in Frankfurt am Mainbefindet, informierte in der Vergangen-heit vorrangig über die IGMG, berichtetmittlerweile aber auch über die Aktivitä-ten der SP im In- und Ausland. In ihremSelbstverständnis sieht sich die Millî Ga-zete als einzige und unveränderlicheVertreterin der Millî-Görüş-Ideologie un-ter den Printmedien. In ihrem Namenführt die Millî Gazete – in deutscherÜbersetzung – den Zusatz „die gerechteOrdnung wird kommen“. Immer wieder

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Logo der IAC

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hebt die Zeitung in ihren ArtikelnNecmettın Erbakan als Retter der Welthervor und rühmt dessen Ideologie derErrichtung einer neuen Welt, in welcherder Islam wiederbelebt wird und überallen anderen Ordnungen steht. Damitbildet die Millî Gazete ein wichtiges Bin-deglied zwischen den einzelnen Struk-turen der Millî-Görüş-Bewegung.

Erbakan Vakfı (Erbakan Stiftung) | Dieim Jahr 2013 vom Sohn Necmettın Erba-kans, Fatih Erbakan, in der Türkei ge-gründete Stiftung beansprucht, Erba-kans Ideologie zu vertreten und dieErinnerung an ihn aufrechtzuerhalten. InHessen trat sie bisher kaum in Erschei-nung.

Bewertung/Ausblick

Die SP etablierte sich in Hessen inzwi-schen als feste Größe innerhalb derMillî-Görüş-Bewegung. Sie ist nicht nurAuffangbecken für bisherige IGMG-Mit-glieder, denen die sich in Teilen vollzie-hende Abwendung vom Gründer Erba-

kan missfällt, sondern auch ein neuesAngebot für sich interessierende jungeMenschen muslimischen Glaubens.Während sich die IGMG in Teilen derAKP annähert und sich damit von deroriginären Mutterpartei SP distanziert,blieben die hessischen SP-Verbändedem Gründer und der Mutterpartei treuergeben. Der Namensbezug zur SP inder Türkei zeigte dies deutlich.

Dass mit der SP in Hessen ein neues, ju-gendaffines Angebot im Entstehen ist,fordert nicht nur die Sicherheitsbehörden,sondern insbesondere auch Kommunenund Gesellschaft heraus. Die hessische SPwird, der legalistischen Strategie folgend,versuchen, verstärkt in gesellschaftlicheund kommunale Mitsprache und Dialog-angebote zu gelangen. Ziel ihrer sozialenArbeit ist es aber, Kindern und Jugendli-chen eine extremistische Weltsicht zu ver-mitteln. Im Interesse der Kinder und Ju-gendlichen sollte sich die abwehrbereiteDemokratie hier deutlich zu Wehr setzen.Integrationspolitik in Gesellschaft undKommunen sollte den jungen Menscheneine Alternative in anderen muslimischenVereinigungen aufzeigen.

Bei der IAC in Hessen hat sich gezeigt,dass die Strukturen mittelfristig Bestandhaben werden, obwohl der zentrale Pre-diger seit seiner Ausweisung in Hessennicht mehr selbst anwesend ist, sondernnur noch über einen Internet-Live-Stream zu hören und zu sehen ist. Diesevirtuellen Vorführungen verzeichnen je-doch ein gleichbleibend hohes Besu-cheraufkommen.

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Bei dem eher geschlossenen Besucher-kreis der IAC gehören Neuzugängenicht zum Alltag. Es ist eine Parallelwelt,die unter sich bleiben will. Die freiheitli-che demokratische Grundordnung kannParallelwelten, in denen der Gottesstaatund der Antisemitismus gelebt werden,

nicht dulden. Die IAC unterscheidet sichin ihrem Gefahrenpotenzial dadurch vonder SP, dass sie keine offensive Kinder-und Jugendwerbung betreibt. Die Ge-fahr der Ausbreitung auf Kinder und Ju-gendliche ist geringer.

Türkische Hizbullah (TH)

Definition/Kerndaten

Nachdem Angehörige der TH in den1990er Jahren zahlreiche Morde undandere Gewalttaten begangen hatten,zerschlug der türkische Staat die Terror-gruppe 1999/2000. Dabei wurde derTH-Anführer Hüseyin Velioğlu in einemFeuergefecht mit der Polizei getötet.Durch Flucht nach Westeuropa (unteranderem nach Deutschland, Österreich,Italien und in die Schweiz) entzogensich TH-Aktivisten den staatlichen Maß-nahmen in der Türkei. Einzelne Füh-rungsaktivisten sollen sich in den Iran

abgesetzt haben. TH-Angehörige nut-zen Deutschland seitdem als Rückzugs-raum, um sich personell und logistischzu reorganisieren. Die Aktivisten sam-meln hier vor allem Spenden und ver-treiben Publikationen. Die letzte be-kannt gewordene Gewalttat der TH inder Türkei, bei der sechs Polizisten ge-tötet wurden, ereignete sich 2001.Nicht zu verwechseln ist die sunnitischeTH mit der schiitisch orientierten HizbAllah (Partei Gottes) im Libanon.

Anhänger/Mitglieder:

In Hessen etwa 120, bundesweit etwa 400

Medien (Auswahl):

Doğru Haber (Wahre Nachricht), İnzar (Warnung)und das Kindermagazin Çocuk (Kind)

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Ereignisse/Entwicklungen

Für die hessischen TH-Vereine war dieam 16. April ausgerichtete jährliche Eu-ropaveranstaltung der TH, die zumzweiten Mal in Folge in Hofheim amTaunus (Main-Taunus-Kreis) mit mehre-ren hundert Teilnehmern aus dem In-und Ausland stattfand, das bedeutend-ste Ereignis. Die Kinder- und Jugendar-beit wurde in den hessischen TH-Verei-nen wie in den vergangenen Jahrenerfolgreich vorangetrieben. Danebenwurden auch in diesem Jahr aufwän-dige Wohltätigkeitsveranstaltungen fürTH-nahe Organisationen durchgeführt.

Schwerpunkt Wiesbaden | Die Wiesba-dener TH-Moschee blieb wie in den ver-gangenen Jahren ein wichtiger Stütz-punkt der TH und baute ihre über- regionale Bedeutung offenbar aus. DerMoscheeverein trug im Wesentlichendie Organisation und Gestaltung derEuropa-Veranstaltung der TH am 16.April. Dass er dies nun zum zweiten Malin Folge übernommen hat, unterstreichtdie Bedeutungszunahme.

Bei der Europa-Veranstaltung handelt essich um die jährlich stattfindende zen-trale Feier der TH anlässlich der Geburtdes Propheten Mohammed (so -genannte Kutlu Doğum-Veranstaltun-gen, übersetzt „Heilige Geburt“). Dieauch in diesem Jahr wieder hochkarätigbesetzte Großveranstaltung fand mitprominenten Rednern aus dem TH-Spektrum und Hunderten von TH-nahenTeilnehmern aus Frankreich, derSchweiz, Österreich, den Niederlanden,Belgien und Großbritannien statt.

Die Wiesbadener TH-Moschee kann ins-gesamt als eine gutbesuchte Moscheeeingestuft werden. Die Moschee ist da-bei in ihrem Stadtteil fest verankert,weist eine stabile und langjährige Basisvon TH-Anhängern auf und hat in denletzten Jahren signifikant an weiterenMoscheebesuchern hinzugewonnen.

Entstehung/Geschichte

Islamistischer Gegenentwurf zur PartiyaKarkerên Kurdistan (PKK, ArbeiterparteiKurdistans) | Im Raum Diyarbakır, derHochburg der PKK, entstand in der StadtBatman im Südosten der Türkei die TH,als sich in den 1980er Jahren muslimi-sche Kurden zu einer Organisation zu-sammenschlossen. Als islamistischerGegenentwurf zur PKK kämpfte die THzwischen Ende der 1980er und Mitte der1990er Jahre gewaltsam sowohl gegendie damals säkular-linksextremistischausgerichtete kurdische Terrororganisa-tion als auch gegen den türkischenStaat. Dabei folterten und töteten TH-Angehörige mehrere hundert Men-schen. Intern bekämpften sich zwei mit-einander verfeindete Lager der TH mitGewalt, wobei die mit der ägyptischenMB sympathisierende Ilim-Gruppeschließlich die Oberhand behielt. Insge-samt werden der TH eine Vielzahl vonMorden – unter anderem an liberalentürkischen Journalisten, Staatsvertreternund „Verrätern“ aus den eigenen Reihen– sowie Folterungen zur Last gelegt.

Aktivisten im Untergrund | Im Verlaufumfassender Exekutivmaßnahmen destürkischen Staats gegen die TH wurdeim Jahr 2000 in Istanbul der TH-Führer

<40 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Islamismus <4<

Hüseyin Velioğlu getötet. Funktionärewurden festgenommen und seitdemmehrere tausend TH-Angehörige ver-haftet. 2011 wurden in der Türkei auf-grund einer Gesetzesänderung zahlrei-che TH-Funktionäre unter gerichtlichenMeldeauflagen aus der Haft entlassen.Der größte Teil ist seitdem unterge-taucht. Ihren militärischen Flügel bautedie TH mittlerweile neu auf, sie bildeteneue Kämpfer aus und beschaffte sicherneut Waffen und Sprengstoff.

Ideologie/Ziele

Schaffung eines islamischen Gottes-staats | Ziel der TH ist es, in der Türkei ei-nen islamischen Gottesstaat zu errichtenund diesen auf die gesamte Welt auszu-dehnen. Die „westliche“ Welt, insbeson-dere die USA und der Staat Israel, zählenzu den Feindbildern der TH. Die Anwen-dung von Gewalt hält die TH grundsätz-lich für gerechtfertigt. In der im Jahr2004 veröffentlichten Schrift „Die Hizbul-lah in eigenen Worten“ (türk. Kendi Di-linden Hizbullah) beschreibt die TH ihreZiele wie folgt:

„Tausendfacher Dank an Gott, der unsdie Hizbullah-Gemeinde und die Zuge-hörigkeit zu dieser Gemeinde geschenkthat, die sich auf das Kampffeld begebenhat, um die Herrschaft des Islam überallzu verbreiten. […] Mit dem Wunsch einevereinte islamische Umma zu gründen,in der […] die göttliche Gerechtigkeitherrscht und die Hadd-Strafen gelten,haben wir das Kämpfen für diesen Glau-ben und dieses Ziel als unserislamisches Bekenntnis und als eine Not-wendigkeit des Islam nach dem Ver-

ständnis des Propheten betrachtet. Fürsolch eine heilige Mission zu kämpfen,Schmerz und Folter zu erdulden und so-gar als Märtyrer zu sterben, haben wir alseine Ehre empfunden. Auch in der Zu-kunft werden wir dieser heiligen Missionund diesen Werten verbunden bleibenund es als Ehre und Würde empfinden,dafür zu kämpfen“.

Strategiewechsel seit 2000 | Neue Ge-walttaten macht die TH von dem „Erfolg“ihres Strategiewechsels abhängig: Inder Türkei will sie sich als einflussreichegesellschaftliche Organisation etablierenund sich hierdurch steigende politischeUnterstützung sichern. Hierfür intensi-viert sie – ähnlich wie die HAMAS im Na-hen Osten – ihre Anstrengungen unteranderem im sozialen Bereich und ver-zichtet in ihrer Außendarstellung auf Ge-walt. Mit Spendenkampagnen im Rah-men von Notsituationen versuchte dieTH Einfluss zu gewinnen.

Antisemitische und antiwestliche Propa-ganda in TH-Publikationen | Die ideolo-gischen Leitlinien der TH, insbesondereantisemitische und antidemokratischeÄußerungen, finden regelmäßig Ein -gang in Magazine, die der TH nahe ste-hen oder dieser zuzurechnen sind. So istzum Beispiel in der Zeitschrift Doğru Ha-ber zu lesen:

„Sie [i. e. die Götzendiener] beschimpf-ten uns mit den Worten wie Demokratie,Laizismus, Freiheit und Menschenrechte.[…] Sie wollten den Juden dienen sonstgar nichts! Komm, Scharia, komm undzerschlage alle diese falschen Götter!“

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Strukturen

Strukturen der TH bestanden außerhalbder Türkei in Deutschland, Österreich,der Schweiz, Italien, Belgien, den Nie-derlanden und Frankreich. Deutschlanddiente dabei als Rückzugsraum zum fi-nanziellen und personellen Aufbau derTH. Sie unterhielt in Deutschland –ebenso wie im Ausland – einige Mo-scheevereine, wobei die TH insgesamtstraff organisiert ist. In Hessen bildeteWiesbaden den Schwerpunkt der Akti-vitäten der TH.

Bewertung/Ausblick

Der extremistische und integrations-hemmende Einfluss der TH-Ideologie,insbesondere auf Kinder und Jugendli-che, droht sich in den hessischen TH-Vereinen weiter zu verstetigen. Teile derAngebote in den Vereinen wirken ent-fremdend gegenüber den Werten derfreiheitlichen demokratischen Grund-ordnung. Jugendliche werden lang -fristig für den Extremismus der TH emp-fänglich. Antisemitische, antiwestlicheund antiisraelische Propaganda, die zumfesten Bestandteil der TH-Ideologie ge-hört und in TH-nahen Magazinen immerwieder zum Ausdruck kommt, wird allerVoraussicht nach weiterhin im Umfeldder TH-Vereine verbreitet werden.

Sonstige Beobachtungsobjekte

Im Folgenden werden weitere relevanteBeobachtungsobjekte aufgeführt. DieAuflistung ist nicht abschließend.

Al-Qaida in Ostafrika: Al-Shabab (dieJugend) | Ziele des somalischen al-Qaida-Ablegers sind die Errichtung ei-nes islamischen Gottesstaates unter Gel-tung der Scharia am Horn von Afrika undder Sturz der seitens der internationalenGemeinschaft unterstützten soma -lischen Regierung. Durch ein verstärktesmilitärisches Engagement der Afrikani-schen Union (AU) konnte mithilfe des in-ternationalen Truppenkontingents AMI-SOM (African Union Mission in Somalia)

die al-Shabab Mitte 2012 aus Mogadi-schu und weiteren Territorien Somaliasverdrängt werden. Dennoch verübte dieTerrormiliz vorwiegend in der Haupt-stadt Somalias schwere Anschläge mitzahlreichen Todesopfern. Bei dem bis-lang schwersten Terroranschlag in derGeschichte Somalias am 14. Oktoberwaren nach der Explosion eines mitSprengstoff beladenen Lkw mehr als300 Tote und über 200 Verletzte zu be-klagen. Insbesondere von Regierungs-beamten und Geschäftsleuten besuchteinternationale Hoteleinrichtungen stell-ten in der Vergangenheit bevorzugteAnschlagsziele dar. Al-Shabab verfügte

<42 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Islamismus <43

in Deutschland über keine organisierteUnterstützungsstruktur, Sympathisantenwaren jedoch auch in Hessen festzustel-len. Der Staatsschutzsenat des OLGFrankfurt am Main verurteilte am 27. Ok-tober den aus Frankfurt am Main stam-menden 29-jährigen deutschen Staats-angehörigen Abshir Ahmed A. wegenMitgliedschaft in der ausländischen ter-roristischen Vereinigung al-Shabab zueiner Freiheitsstrafe von zwei Jahren und10 Monaten.

Hizb Allah (Partei Gottes) | Das Ziel derAnfang der 1980er Jahre mit Unterstüt-zung des Iran gegründeten schiitisch-is-lamistischen Organisation ist die Ver-nichtung Israels. Ihr politischer Arm istTeil der libanesischen Regierung, dermilitärische Flügel ist für Angriffe auf Is-rael verantwortlich. Die in Deutschlandund Hessen lebenden Anhänger der Or-ganisation unterstützten diese insbeson-dere durch Spendensammlungen.

Kalifatsstaat | Unter Führung Cemaled-din Kaplans (1926 bis 1995) ging der Ka-lifatsstaat Mitte der 1990er Jahre aus

dem Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi(ICCB, Verband der islamischen Vereineund Gemeinden e. V.) mit dem Ziel her-vor, in Deutschland einen auf derScharia beruhenden islamischen Staatzu errichten. Gewalt als Mittel zur Durch-setzung politischer Ziele sah der Kalifats-staat als legitim an. Kaplan ernannte sichselbst zum „Kalifen“. Nachdem sich unterseinem Nachfolger Metin Kaplan dieIdeologie weiter radikalisierte, verbot2001 und 2002 das Bundesministeriumdes Innern den Kalifatsstaat nebst 35 Tei-lorganisationen. Das Bundesverwal-tungsgericht bestätigte die Verbote imNovember 2002. Seitdem agieren dieverbliebenen Anhänger in Deutschlandund Hessen konspirativ und streben dieReorganisation der zerschlagenenStruktur an. Es zeigte sich, dass vorma-lige Anhänger des Kalifatsstaats zum Teilin das salafistische Spektrum überwech-seln. Die Konkurrenz des ideologischverwandten Salafismus machte es Kali-fatsstaats-Aktivisten zunehmend schwe-rer, neue Anhänger unter der jüngerenGeneration zu gewinnen.

Straf- und Gewalttaten

Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sichdie Anzahl der extremistischen Straf-und Gewalttaten im PhänomenbereichIslamismus. Die Straftaten sind weitüberwiegend im Bereich Salafismus zuverorten. Maßgeblich für die Erhöhungwaren Flüchtlinge mit Affinität zu terroristischen Vereinigungen sowie

deutsche Staatsangehörige, die sich imehemaligen „Hoheitsgebiet“ des IS auf-hielten. (Siehe im Glossar und Abkür-zungsverzeichnis unter dem StichwortPolitisch motivierte Kriminalität zur Erfas-sung politisch motivierter Straf- und Ge-walttaten mit extremistischem Hinter-grund.)

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<44 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

2017 2016 2015

Deliktart

Tötung

Versuchte Tötung

Körperverletzung

Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 1

Landfriedensbruch

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr

Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte

1

Gewalttaten gesamt 1 1

Sonstige Straftaten

Sachbeschädigung 1 1 3

Nötigung/Bedrohung 5 10

Andere Straftaten 92 51 50

Straf- und Gewalttaten gesamt 99 62 54

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Islamismus <45

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PAAF –Projekte und Angebote

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PAAF – Projekte und Angebote <47

Die PAAF wurde 2016 im LfV Hessen ge-gründet. Sie führt regelmäßig eigene For-schungsprojekte durch und erweitert sodie sicherheitsbehördlichen Erkenntnisseund Perspektiven des Landesamts um ak-tuelle sozialwissenschaftliche Analysean-sätze und -methoden. Angesichts vonWechselwirkungen und programmati-schen Überschneidungen zwischen denverschiedenen extremistischen Milieusund (Teilen) der Mehrheitsgesellschaftwurde dabei bewusst ein breiter Blickwin-kel auf extremistische Phänomene ge-wählt. Wenn der Verfassungsschutz seinerAufgabe als Frühwarnsystem umfänglichgerecht werden will, darf er seine Augenvor diesen Wechselwirkungen nicht ver-schließen, wobei die Bearbeitung hier allerdings ausdrücklich nicht mit nach-richtendienstlichen, sondern rein wissen-schaftlichen Mitteln erfolgt.

Die Ergebnisse dienen nicht nur der in-ternen Beratung, sondern werden auchzivilgesellschaftlichen Akteuren und ei-ner breiteren Öffentlichkeit zur Verfü-gung gestellt.

Forschungsprojekt zu antisemitischerAgitation in den sozialen Netzwerken | Ineinem ersten Forschungsprojekt wurdenantisemitische Kommentare in den sozia-len Netzwerken untersucht, insbesondereim Hinblick darauf, aus welcher politi-schen bzw. religiösen Motivation herausdiese getätigt werden, aber auch im Hin-blick auf vorherrschende Erscheinungs-formen und Argumentationsmuster.

Hintergrund dieser Fragestellung war,dass Ereignisse wie etwa der Fall einesvon seiner Berliner Schule gemobbten

jüdischen Schülers im Frühjahr 2017oder die vielfach von massiv antisemiti-schen Parolen begleiteten Demonstra-tionen gegen den Gaza-Konflikt im Sommer 2014 die öffentliche Aufmerk-samkeit immer wieder auf einen unter inDeutschland lebenden Muslimen ver-breiteten Antisemitismus lenken. Gleich-zeitig fällt auf, dass das Phänomen kaumje öffentlich diskutiert wird, ohne dass esin Bezug gesetzt wird zum traditionellenAntisemitismus von Rechtsextremisten.Meist geht damit auch eine (mehr oderweniger explizite) Bewertung einher,welche Art des Antisemitismus denn nundie relevantere und welche die ehermarginale sei. So kommt kaum eine öf-fentliche Meinungsäußerung zumThema ohne den Hinweis aus, dass 90Prozent der antisemitischen Straftaten inDeutschland rechtsmotiviert begangenwürden. Also doch alles halb so wild mitdem Antisemitismus unter Muslimen?

Durch die Analysestelle wurden auf denFacebook-Präsenzen bzw. YouTube-Ka-nälen verschiedener großer Medienor-gane insgesamt 38 Beiträge zu den The-menbereichen Juden und Judentum,Israel und Nahostkonflikt sowie Antise-mitismus mit insgesamt etwa 7.000 Kom-mentaren ausgewählt. Als antisemitischzu bewertende Kommentare wurden he-rausgefiltert, wobei sich die Bewertungauf den Antisemitismus-Begriff des Un-abhängigen Expertenkreises sowie dieKriterien der European Parliament Wor-king Group on Antisemitism zur Unter-scheidung zwischen legitimer Kritik an Is-rael einerseits und Antisemitismusandererseits bzw. den sogenannten „3D-Test“ von Natan Sharansky (Dämonisie-

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rung oder Delegitimierung Israels undAnwendung von Doppelstandards alsFormen des israelbezogenen Antisemi-tismus) stützte. Auf dieser Grundlagewurden insgesamt gut 600 Kommentareals antisemitisch eingestuft und die Fa-cebook- bzw. YouTube-Profile der ent-sprechenden Nutzer im Hinblick auf ihrepolitische und religiöse Verortung unter-sucht. Die Auswahl zweier sozialer Netz-werke bzw. Plattformen mit jeweils meh-reren Zeitungen bzw. Sendungen undBeiträgen aus unterschiedlichen ein-schlägigen Themenfeldern ermöglichtedabei einen stetigen Abgleich, inwieweites sich bei den einzelnen Erhebungser-gebnissen um Spezifika der Plattform,des Mediums oder des thematischen Zu-sammenhangs handelt.

Im Hinblick auf die politische bzw. reli-giöse Motivation der sich antisemitischäußernden Nutzer machte die Er -hebung Folgendes deutlich:

Bei Beiträgen zum Thema Juden1.bzw. Judentum im Allgemeinen hal-ten sich antisemitische Kommentareaus dem rechten (das heißt rechtsex-tremistischen und rechtspopulisti-schen) Spektrum und solche mitmuslimischem Hintergrund quantita-tiv in etwa die Waage.

Innerhalb des rechten Spektrumssind Nutzer mit erkennbaren Rechts-extremismusbezügen eher in der Un-terzahl, es überwiegen Personen, diesich zu rechtspopulistischen Organi-sationen und Gruppierungen beken-nen. Ähnliches gilt für das muslimi-sche Spektrum: Bezüge undBekennt nisse zu islamistischen Perso-nen oder Gruppierungen sind eherdie Ausnahme. Ein türkischer Hinter-grund der Nutzer ist häufiger festzu-stellen als ein arabischer, was ange-sichts des höheren Anteilstürkischstämmiger Bürgerinnen undBürger in Deutschland nicht weiterverwunderlich ist. Kaum seriös zu be-antworten ist hingegen die Frage, in-wiefern der Antisemitismus jeweilseher religiös und inwiefern eher tür-kisch- bzw. arabisch-nationalistischmotiviert ist. Hier bedürfte es ande-rer Analyseinstrumente als der Aus-wertung von Facebook- bzw. You-Tube-Profilen.

Bei Beiträgen zum Thema Israel bzw.2.Nahostkonflikt aus den letzten dreiJahren hat etwa die Hälfte der antise-mitischen Kommentare einen musli-mischen Hintergrund und lediglichetwa zehn Prozent einen rechten (dierestlichen etwa 40 Prozent sind über-wiegend nicht einsehbar oder lassensich nicht zuordnen). Bei Beiträgenaus dem Zeitraum 2010 bis 2013 hin-gegen verhält es sich umgekehrt.Hier hat in den letzten Jahren alsoeine deutliche Verschiebung stattge-funden, wobei der Gaza-Konflikt vomSommer 2014 und die entsprechen-den antiisraelischen Demonstratio-

Themenfeld Juden und Judentum

muslimischer Hintergund

links

sonstige

rechts

keine Anhaltspunkte

<48 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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PAAF – Projekte und Angebote <49

nen allem Anschein nach einen ge-wissen Dammbruch bedeuteten.

Als weiterer Erklärungsfaktor kommtin Betracht, dass viele rechte Nutzer,die im Zeitraum 2010 bis 2013 ge-gen Juden agitierten, sich ab 2014verstärkt auf das Feindbild Flüchtlingfokussierten und das Feindbild Judedadurch (vorübergehend?) in denHintergrund trat. Dass die Zunahmemuslimisch motivierter antisemiti-scher Agitation überwiegend aufden Zuzug entsprechend sozialisier-ter Flüchtlinge zurückzuführen ist, isthingegen insofern als unwahrschein-lich anzusehen, als diese kaum inner-halb kürzester Zeit die entsprechen-den Sprachkenntnisse erworbenhaben dürften.

Beiträge aus den Themenfeldern3.Antisemitismus und Holocaustschließlich brachten nahezu aus-schließlich rechtsmotivierte Kom-mentare hervor, die sich nahezu alleals eine Form der Schuld- bzw. Erin-nerungsabwehr (sekundärer Antise-mitismus) beschreiben lassen (Nähe-res hierzu siehe unten).

Über alle Themenfelder hinweg sind4.Kommentare mit linkem oder linksex-tremistischem Hintergrund die Aus-nahme. Das gleiche gilt für Kommen-tare von Nutzern, die sich explizit inder sogenannten gesellschaftlichenbzw. politischen Mitte verorten, wo-bei allerdings davon auszugehen ist,dass ein Teil der zuordenbaren sowieder inhaltsleeren bzw. nicht einseh-baren Profile diesem Spektrum zuzu-rechnen ist.

Im Hinblick auf die Erscheinungs- undArtikulationsformen des Antisemitismuskann Folgendes festgehalten werden:

Bei Beiträgen zum Thema Juden1.bzw. Judentum im Allgemeinen neh-men antisemitische Kommentare zuetwa einem Viertel die Form pau-schaler Abwertungen ohne jeglicheBegründung (häufig durch Schimpf-

Themenfeld Israel undNahostkonflikt

2010 bis Juni 2014

muslimischer Hintergund

links

sonstige

rechts

keine Anhaltspunkte

Themenfeld Israel undNahostkonflikt

Sep. 2014 bis 2017

muslimischer Hintergund

links

sonstige

rechts

keine Anhaltspunkte

Themenfeld Antisemitismus

muslimischer Hintergund

rechts

keine Anhaltspunkte

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worte, aber auch durch Aussagenwie „ich hasse Juden“ oder „da sindmir sogar Muslime lieber“) an. In ei-nem weiteren Viertel der Fälle wirdauf klassische antisemitische Stereo-type zurückgegriffen, insbesonderedas Bild vom gierigen, Wucher trei-benden Juden, gefolgt von den ver-schiedenen Varianten einer angebli-chen jüdischen Weltverschwörung.Bei jeweils etwa zehn Prozent derKommentare handelt es sich umpauschale unsachliche Unterstellun-gen (z.B. „Juden kaufen nicht vonDeutschen“ oder „Juden… Pädos“),Formen des eliminatorischen Antise-mitismus (insbesondere durch einepositive Bezugnahme auf Hitler) undFormen der Holocaust-Relativierung(insbesondere durch Holocaust-Witze).

Antisemitische Kommentare in den2.Themenfeldern Israel und Nahost-konflikt sind etwa zur Hälfte insofernantisemitisch, als sie den Staat Israeldämonisieren; in der Regel durch Va-rianten der Behauptung, Israel wolledie Palästinenser „auslöschen“, „ab-schlachten“ etc., teilweise auchdurch eine Gleichsetzung Israels mitdem nationalsozialistischen Regime.

Etwa ein Viertel der Kommentare ne-gierten das Existenzrecht Israels, einweiteres Viertel wertet Israel durchklassische antisemitische Stereotypeab, insbesondere unter Bezugnahmeauf Verschwörungstheorien (nebenden gängigen Weltverschwörungs-theorien ist hier auch die Behaup-tung, Israel habe die HAMAS undden IS erschaffen, verbreitet).

Antisemitische Kommentare in den3.Themenfeldern Antisemitismus undHolocaust schließlich sind überwie-gend dem Bereich des sekundärenAntisemitismus zuzuordnen. Den Ju-den wird vorgeworfen, Antisemitis-mus nur zu thematisieren, um damitProfit zu machen, der Tod des Holo-caust-Überlebenden Elie Wiesel wirdmit demonstrativer Gleichgültigkeitoder sogar Beifall bedacht.

Derartige Äußerungen korrelierenstark mit Manifestationen eines über-

Themenfeld Juden und Judentum

pauschale Abwertungen

eliminatorischer A.

Holocaust-Relativierung

klassische Stereotype

unsachlicheUnterstellungen

israelbezogener A.sonstige

Themenfeld Israel und Nahostkonflikt

Dämonisierung Israels

klassische Stereotype

Negierung desExistenzrechts

Themenfeld Antisemitismus

Schuld-/ Erinnerungs-abwehr

Juden als Nicht-Deutsche

klassische Stereotype

<50 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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PAAF – Projekte und Angebote <5<

steigerten Patriotismus bzw. Nationa-lismus sowie Warnungen vor einerÜberfremdung Deutschlands durchFlüchtlinge und/oder Muslime. DerImpuls zur Verteidigung Deutsch-lands gegen alles „Fremde“ und der-jenige zur Abwehr kollektivenSchuldempfindens scheinen also einStück weit verwandt zu sein.

Jenseits der Tatsache, dass Nutzer4.mit muslimischem Hintergrund stär-ker auf das Thema Israel und Nahost-konflikt und rechte Nutzer stärker aufdie Themen Antisemitismus und Ho-locaust reagieren, zeigen sich keinenennenswerten Zusammenhängezwischen politischer bzw. religiöserMotivation und konkreter Erschei-nungsform des Antisemitismus.Selbst positive Bezugnahmen aufHitler sind unter muslimisch motivier-ten Nutzern nicht weniger verbreitetals unter rechtsmotivierten.

Die Erhebung kann kaum den Ansprucherheben, den Antisemitismus inDeutschland abgebildet zu haben. Siebeleuchtet vielmehr Erscheinungsfor-men und Hintergründe antisemitischerAgitation in einem bestimmten gesell-schaftlichen Handlungsfeld. Dass hierdem Antisemitismus unter Muslimeneine quantitativ und qualitativ mindes-tens ebenso hohe Relevanz zukommtwie dem traditionellen Antisemitismusder Rechten – und dies, obwohl sich dieErhebung auf deutschsprachige Inter-netpräsenzen beschränkte –, macht je-doch nicht nur deutlich, dass die Zahlender polizeilichen Statistiken um weitereDaten aus verschiedenen Gesellschafts-

bereichen ergänzt werden sollten, umein treffendes Bild des aktuellen Antise-mitismus zu erhalten. Es zeigt vor allem,dass Gesellschaft, Politik und Sicher-heitsbehörden den Antisemitismusunter Muslimen in den Blick nehmenmüssen, ohne darüber jenen der Rech-ten zu vernachlässigen.

Fortbildungsangebote | Die Analyse-stelle steht für Vorträge zu Antisemitis-mus im Allgemeinen und den skizziertenStudien im Speziellen gerne zur Verfü-gung. In Zusammenarbeit mit anderenVerfassungsschutzbehörden wurde au-ßerdem ein Workshop zu islamistischemAntisemitismus entwickelt. Anhand voneinschlägigen Zeitungsartikeln, Karika-turen und Videoclips lernen die Teilneh-mer gängige Motive und Argumentati-onsmuster kennen und verstehen.

Wenn Sie Interesse an diesen oder an-deren Fortbildungs- und Beratungsan-geboten zum Thema Extremismus ha-ben, wenden Sie sich bitte [email protected].

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Extremismus mitAuslandsbezug

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Extremismus mitAuslandsbezug <53

Merkmale

Der nichtreligiös motivierte Extremis-mus mit Auslandsbezug umfasst sicher-heitsgefährdende extremistische undterroristische Bestrebungen in Deutsch-land, die im Zusammenhang mit poli-tisch-gesellschaftlichen Entwicklungenim Ausland stehen und überwiegendvon Menschen mit Bezug zu den politi-schen Verhältnissen in einem anderenStaat getragen werden.

Gegen Völkerverständigung und fried-liches Zusammenleben der Völker | Ex-tremistische Bestrebungen mit Aus-landsbezug richten sich gegen denGedanken der Völkerverständigungbzw. das friedliche Zusammenleben derVölker. Diese Bestrebungen gefährdendie auswärtigen Belange der Bundesre-publik Deutschland, indem ihre UrheberGewalt anwenden oder darauf ausge-richtete Handlungen vorbereiten. Ob-wohl diese Bestrebungen nicht in ersterLinie auf die Abschaffung oder Beein-trächtigung der freiheitlichen demokra-tischen Grundordnung zielen, könnensie die Sicherheit des Bundes oder derLänder gefährden.

Breites Spektrum von Bestrebungenmit Auslandsbezug | Die Art der politi-schen Agitation zur Umsetzung dieserextremistischen Aktivitäten ist vielfältig.Sie reicht von Demonstrationen undKundgebungen mit zum Teil gewalt -tätigem Verlauf bis hin zu Spenden -sammelaktionen und zur logistischenUnterstützung von Konfliktparteien imHerkunftsland. Das schließt die Unter-

stützung ausländischer terroristischerGruppierungen ein. Die unterschiedli-chen Zielrichtungen ausländerextremis-tischer Organisationen lassen sich imWesentlichen unterteilen in

nationalistische, rechtsextremistische•Bestrebungen,linksextremistische Bestrebungen•

sowieethnisch motivierte Autonomie- bzw.•Unabhängigkeits bestrebungen.

Die Übergänge sind dabei oft fließend.

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Personenpotenzial1

Das Personenpotenzial im Extremismusmit Auslandsbezug ist in etwa konstantgeblieben. Kleinere extremistische Be-strebungen insbesondere im separatis-tischen Spektrum haben an personellerUnterstützung verloren oder sich aus

Hessen zurückgezogen. Im Bereich desExtremismus mit türkischem Bezug wur-den linksextremistische Strukturen undrechtsextremistisch-nationalistischeStrukturen berücksichtigt.

Partiya Karkerên Kurdistan(PKK, Arbeiterpartei Kurdistans)

Definition/Kerndaten

Ursprüngliches Ziel der PKK war es, ei-nen sozialistisch geprägten Staat („Kur-distan“) zu schaffen. Nachdem die strikthierarchisch aufgebaute Kaderpartei1984 zur Erreichung dieses Ziels einenblutigen Guerillakrieg gegen die Türkeibegonnen hatte, rückte sie seit 1999 zu-nehmend davon ab. Inzwischen fordertdie PKK die Anerkennung der kurdi-

schen Identität und Autonomie. Laut ei-genen Aussagen will sie dies vor allemauf politischem Wege erreichen. SeitNovember 1993 (bestandskräftig seitMärz 1994) ist die PKK in Deutschlandmit einem Betätigungsverbot belegt,die EU stuft die PKK seit 2002 als terro-ristische Organisation ein.

<54 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

2017 2016 2015

Kurdischer Ursprung

Hessen 1.500 1.500 1.500

Bund 14.500 14.000 14.000

Türkischer Ursprung

Hessen 2.725 2.725 2.725

Bund 13.550 13.550 12.550

Sonstige

Hessen 250 300 400

Bund 2.500 2.500 2.500

Extremisten mit Auslandsbezug gesamt

Hessen 4.475 4.525 4.625

Bund 30.550 30.050 29.050

1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.

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Extremismus mitAuslandsbezug <55

Ereignisse/Entwicklungen

Die zentrale Großveranstaltung im PKK-nahen Spektrum, das Newroz-Fest, fandim Berichtsjahr in Hessen statt. An derVeranstaltung nahmen rund 30.000 An-hänger teil. Die Sorge um den Gesund-heitszustand Öcalans bestimmte in derzweiten Jahreshälfte maßgeblich dasDemonstrationsgeschehen der örtlichenPKK-nahen Vereine. Sie führten im Ok-tober zahlreiche Veranstaltungen in hes-sischen Innenstädten durch. Die Rekru-tierung kurdischer Jugendlicher ausDeutschland zu Kampfeinsätzen in denkurdischen Gebieten des Nahen Ostensist seit einigen Jahren zu beobachten.Auch in Hessen gab es erneut einen sol-chen Fall.

Europaweite Newrozfeier 2017 inFrankfurt am Main | Am 18. März fand inFrankfurt am Main die bundesweit zen-

trale kurdische Newroz-Veranstaltungmit rund 30.000 Teilnehmern statt. ImVorfeld der Veranstaltung war durch dasBundesministerium des Innern die Listeder verbotenen PKK-Symbole erweitertworden, was von Seiten PKK-naher kur-discher Verbände und Organisationenim In- und Ausland kritisiert wurde.

PKK-Anhänger aus ganz Deutschlandund dem benachbarten europäischenAusland feierten am 18. März in Frankfurtam Main das kurdische Neujahrsfest. Al-lerdings verlief die Veranstaltung im Be-richtsjahr nicht störungsfrei. Der Charak-ter einer aufgrund der Erfahrungen inden Vorjahren erwarteten „familiärenFeier“ wich schnell einer hochpolitischenGroßdemonstration. Unterstützt von tür-kischen und deutschen Linksextremistenund unter Verwendung verbotsrelevan-ter PKK-Symbolik, nutzten die PKK-An-hänger diese zentrale Newroz-Veranstal-

Führung:

Abdullah Öcalan (seit 1999 in der Türkei inhaf-tiert), Remzi Kartal (Vorsitzender des Volkskon-gresses Kurdistan, Kongreya Gelê Kurdistan,KONGRA GEL), Murat Karayilan (Vorsitzenderder Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans,Koma Civakên Kurdistan, KCK)

Anhänger/Mitglieder:

In Hessen etwa 1.500, bundesweit etwa 14.500

Bewaffnete Gruppen:

Hêzên Parastina Gel (HPG, Volksverteidi-gungskräfte), Teyrêbazên Azadîya Kurdistan(TAK, Freiheitsfalken Kurdistans)

SyrischerAbleger:

Partiya Yekitîya Demokrat (PYD, Partei derdemokratischen Union) und deren militäri-scher Arm Yekîneyên Parastina Gel (YPG,Volksverteidigungseinheiten)

Medien (Auswahl):

Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue Freie Politik)als Sprachrohr der PKK, Serxwebûn(Unabhängigkeit), Stêrk-TV, Med NUCE-TV

Logo der PKK

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tung zu öffentlichkeitswirksamen Anti-Er-doğan-Protesten und der Werbung fürdie sogenannte Hayir-Kampagne (dt.Nein) im Hinblick auf das im April ab -gehaltene Referendum über die Einfüh-rung eines Präsidialsystems in der Türkei.Das provokante Flaggezeigen zog Er-mittlungsverfahren nach sich. Den ei-gentlichen Charakter eines kurdischenNeujahrsfestes entfaltete Newroz in Hes-sen erst bei mehreren regionalen Veran-staltungen in Gießen (Landkreis Gießen),Darmstadt und Limburg (Landkreis Lim-burg-Weilburg).

Die erstmals seit Jahren in Hessendurchgeführte zentrale Newroz-Groß-veranstaltung war bereits im Januardurch das Navenda Civika Demokratîkya Kurdên li Almanyayê (NAV-DEM, De-mokratisches Gesellschaftszentrum derKurdInnen in Deutschland e. V.) ange-meldet worden. Es wurden zwei De-monstrationszüge durch die Innenstadtund eine Abschlusskundgebung im Eu-ropaviertel durchgeführt.

Mit rund 30.000 Teilnehmern (2016:12.000, 2015: 17.000) war dasNewrozfest in Frankfurt am Main eineder größten PKK-nahen Veranstaltungender letzten Jahre überhaupt undübertraf sogar die Teilnehmerzahl derjeweils im Spätsommer durchgeführtenkurdischen Kulturfestivals der letztenJahre (2016: 12.000 Teilnehmer, 2015:17.000).

Unter den Teilnehmern waren alle Gene-rationen vertreten, wobei Jugendlicheund junge Erwachsene eine deutlichsichtbare Mehrheit bildeten. Neben

dem Zeigen verbotener PKK-Symbolesammelten sich im Verlauf der Demons-tration vor allem Anhänger der CiwanênAzad immer wieder in Gruppen, umdann in Sprechchören Parolen zu skan-dieren. Befürchtete Störungen durch na-tionalistische Türken blieben aus.

Weitere regionale Newroz-Veranstal-tungen in Hessen | Am 20. März kam esin Limburg (120 Teilnehmer, LandkreisLimburg-Weilburg), Gießen (350 Teil-nehmer, Landkreis Gießen) und Darm-stadt (450 Teilnehmer) zu regionalenund dem Charakter nach traditionellen,kulturell geprägten Newrozfeiern undFackelmärschen. Vereinzelt wurden ver-botene Fahnen festgestellt.

Jahresübergreifende Kampagnen fürÖcalan | Im Februar startete die soge-nannte Azad-Bike-Kampagne („Machfrei“) in Deutschland. Sie stand offen-sichtlich im Zusammenhang mit demJahrestag der Verhaftung und Inhaftie-rung Abdullah Öcalans (15. Februar1999). In Hessen wurde die Kampagnedurch mehrere Plakataktionen in Kasselbekannt bzw. öffentlich. Die Kampagnewurde später im Gesamtzusammenhangder aktuellen Thematik „Freiheit für Kur-distan“ weiter fortgeführt.

Zweck der Kampagne war, das Geden-ken an das Schicksal Öcalans wach zuhalten. Gerade Spray- und Banneraktio-nen an markanten Plätzen sowie dazu-gehörige martialische Videos (Facebooketc.) sind bei kurdischen Jugendlichenein beliebtes Mittel, ihr politisches Inte-resse auszudrücken.

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Extremismus mitAuslandsbezug <57

Im Rahmen der Azad-Bike-Kampagnezur Forderung nach Freiheit für AbdullahÖcalan führten die kurdischen Jugend-organisationen Ciwanên Azad und JinênCiwanên Azad ab dem 9. August euro-paweite Aktionen durch. So entrolltenjugendliche Anhänger der PKK in Kasselvom Dach des örtlichen PKK-nahen Ver-eins ein großformatiges Transparent mitder Aufschrift „Die Freiheit von A.Öcalan ist auch unsere Freiheit“. InDarmstadt, Frankfurt am Main und Kor-bach (Landkreis Waldeck-Frankenberg)fanden am 12. August unter dem Motto„Freiheit für Öcalan“ Kundgebungenstatt, die von etwa 50 bis 180 Personenbesucht wurden.

Für den 1. September meldete das De-mokratische Gesellschaftszentrum derKurdinnen und Kurden in Darmstadt e. V.eine Kundgebung unter dem Motto„Stoppt den Krieg in Kurdistan, Freiheitfür Abdullah Öcalan“ an. An der Veran-staltung nahmen etwa 25 Personen teil.Am 9. September fanden in Darmstadtund Frankfurt am Main Demonstrationenmit dem Thema „Freiheit für Öcalan“statt. Die Teilnehmerzahlen beliefen sichauf 200 bzw. 150 Personen.

Demonstrationen zum Gesundheitszu-stand Öcalans | Aus Sorge um den Ge-sundheitszustand Öcalans führten dieörtlichen PKK-nahen Vereine im Oktoberzahlreiche Veranstaltungen in hessischenInnenstädten durch.

Allein das in der Szene kursierende Ge-rücht über eine Verschlechterung desGesundheitszustands Öcalans hatte ge-nügt, europaweit zahlreiche Sympathi-

santen der PKK auf die Straße zu brin-gen. In mehreren hessischen Städten mitörtlichem PKK-nahen Verein fandenhierzu Veranstaltungen statt. Die De-monstrationen und Kundgebungen ver-liefen friedlich.

Abdullah Öcalan, der ideologische An-führer der PKK, ist seit dem Jahr 1999auf der Gefängnisinsel Imrali im Marma-rameer (Türkei) inhaftiert. Er wurde in ei-nem Prozess zum Tode verurteilt. Späterwurde dies in lebenslange Haft umge-wandelt.

Verfassungsreferendum | Am 16. Aprilstimmte die türkische Bevölkerung übereine Verfassungsänderung ab, die dieEinführung eines Präsidialsystems in derTürkei und eine Ausweitung der Macht-befugnisse des Präsidenten bewirkensollte. In Deutschland durften knapp 1,5Millionen Türken abstimmen.

PKK-nahe Vereine in Hessen wandtensich in öffentlichen Veranstaltungen ge-gen die Annahme des Referendums.Der örtliche PKK-nahe Verein in Rüssels-heim am Main (Kreis Groß-Gerau), dasKurdisch-Demokratische Gemeinschafts -zentrum e. V., zeichnete hierbei am25. März für die größte Informationsver-anstaltung mit rund 300 Teilnehmernverantwortlich.

Rekrutierungen | Die Rekrutierung kur-discher Jugendlicher zu politischenoder militärischen Ausbildungszweckenist seit Jahren gängige Praxis innerhalbder PKK bzw. ihrer JugendorganisationCiwanên Azad. Das jährlich statt -findende Kurdistanfestival (im Berichts-

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jahr mit 14.000 Teilnehmern in Köln,Nordrhein-Westfalen) dient dabei als einTreffpunkt vor einer möglichen Ausreisezum Kampfeinsatz.

Ähnlich den Ausreisefällen deutscher Ju-gendlicher zu Kampfeinsätzen für den ISin Syrien und im Irak sind seit 2013 auchAusreisefälle kurdischer Jugendlicherzum Einsatz mit den kurdischen Pe-schmerga – unter Beteiligung der PKK –gegen den IS in Kobane (Syrien) und inSengal (Irak) zu beobachten. Auch inHessen gab es seither mehrere solcherFälle. So wird seit September eine jungedeutsche Staatsangehörige kurdischerHerkunft im Bereich Nordhessen/Niedersachsen vermisst. Die Zwanzigjäh-rige galt als Aktivistin der kurdischen Ju-gend im PKK-Gebiet Kassel.

Von Rückkehrern aus politischen odermilitärischen PKK-Schulungscamps gingim Berichtsjahr – im Gegensatz zu IS-An-gehörigen – keine konkrete Gefahr fürdie öffentliche Sicherheit Deutschlandsaus.

Erweiterung des Betätigungsver-bots

PKK-Verbotserweiterung | Mit Erlassvom 2. März aktualisierte und erweitertedas Bundesministerium des Innern seineBewertung der derzeit verwendeten Or-ganisationsbezeichnungen und der hie-raus folgenden Kennzeichen der PKK. Indieser Neufassung der verbotenen PKK-Kennzeichen werden unter anderemauch die syrische PYD als sogenannteAblegerpartei der PKK und deren mili-tärischer Arm Yekîneyên Parastina

Gel/Jin (YPG/YPJ, Volksverteidigungs-einheiten) sowie die PKK-Jugendorgani-sation Ciwanên Azad (Freie Jugend) unddie PKK-StudierendenorganisationenYekîtiya/Jinên Xwendekarên Kurdistan(YXK/JXK, Verband der Studierendenaus Kurdistan) aufgeführt. Deren Sym-bole können bei Kundgebungen mitnachweislichem PKK-Kontext geeignetsein, einen Verstoß gegen das Vereins-gesetz darzustellen. Grundlage hierfürwar die Verbotsverfügung des Bundes-ministerium des Innern vom 22. Novem-ber 1993. Diese verbietet, Kennzeichender PKK und deren TeilorganisationEniya Rizgariya Neteweyî ya Kurdistanê(ERNK, Nationale Befreiungsfront Kur-distans) öffentlich zu verwenden. Davonbetroffen sind auch die zahlreichen Un-ter- und Teilorganisationen im Einfluss-bereich der PKK unbeschadet ihrerscheinbaren organisatorischen Selbst-ständigkeit, denn diese handeln – bestä-tigt durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – tatsächlich aus-schließlich abhängig von den Vorgabender Gesamtorganisation. Darüber hinaushat die strafgerichtliche Rechtsprechungfür einige dieser Organisationen eine Zu-ordnung als Teilorganisation der PKKausdrücklich vorgenommen, so für dieHPG und die TAK sowie für die PKK-Ju-gendorganisation Ciwanên Azad. BeideEntscheidungen sind rechtskräftig.

Die PKK-Anhänger wichen inzwischenzunehmend auf Symbole aus, die – fürsich genommen – zunächst keinen un-mittelbaren Bezug zur PKK aufweisen, sozum Beispiel eine Fahne mit dem Abbilddes Parteigründers Abdullah Öcalan aufgelbem oder grün-gelbem Grund. Auf-

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Extremismus mitAuslandsbezug <59

grund eines erheblichen Emotionalisie-rungseffektes bei Versammlungen sinddiese Fahnen aber in besonderer Weisedazu geeignet, den Zusammenhalt vonSympathisanten der in Deutschland miteinem Betätigungsverbot belegten PKKzu fördern und diesen nach außen hinunübersehbar zu demonstrieren, wes-halb sie ebenfalls dem Verbot unterlie-gen.

Nach Bekanntwerden des erweitertenKennzeichenverbots zeigten sich diePKK-Anhänger und die betroffenen Teil -organisationen empört. Der YXKäußerte in einer Stellungnahme, das Ver-bot ihrer Flaggen und Symbole entziehesich jeglicher Rechtsstaatlichkeit. DasVerhalten der deutschen Bundesregie-rung zeige ihre enorme politische Ab-hängigkeit vom Erdoğan-Regime. Ähn-lich reagierte das NAV-DEM in einerPresseerklärung. Das Verbot der Sym-bole der kurdischen Freiheitsbewegungkomme einem Verbot der kurdischenIdentität gleich. Zudem wurde das Bun-desministerium des Innern zur Rück-nahme der „absurden Entscheidung“aufgefordert. Auch hessische PKK-naheGruppen kritisierten die Erweiterungder Liste verbotener PKK-Symbole.

Entstehung/Geschichte

Terror in der Türkei – Verurteilung Öca-lans | 1978 als eine Partei mit marxis-tisch-leninistischer Ausrichtung gegrün-det, suchte die PKK mit ihrenbewaffneten Einheiten seit dem 15. Au-gust 1984 die Auseinandersetzung mitdem türkischen Militär. Den Kampfhand-lungen fielen seitdem mehrere zehntau-

send Menschen zum Opfer. 1998entzog Syrien auf massiven Druck derTürkei dem PKK-Anführer Abdullah Öca-lan die Unterstützung und veranlassteihn, sein dortiges Exil aufzugeben. Nachverschiedenen Aufenthalten in Europaund Afrika wurde Öcalan am 15. Februar1999 in Kenia festgenommen und in dieTürkei gebracht. Am 29. Juni 1999 vomStaatssicherheitsgericht in Ankara zumTode verurteilt – die Strafe wurde mit Ab-schaffung der Todesstrafe am 3.Oktober 2002 in lebenslange Haft um-gewandelt –, befindet sich Öcalan seit-dem auf der Gefängnisinsel Imrali inHaft. Für die PKK gilt der 15. Februar1999 als „schwarzer Tag in der Ge-schichte des kurdischen Volkes“, siespricht in diesem Zusammenhang voneinem „internationalen Komplott“.

Umbenennungen der PKK | 2002 be-nannte sich die PKK in Kongreya Azadî ûDemokrasiya Kurdistanê (KADEK, Frei-heits- und Demokratiekongress Kurdis-tans) um. 2003 folgte die Um be -nennung in KONGRA GEL. Damitversuchte die PKK, sich von der „Stigma-tisierung“ als Terrororganisation zu be-freien und sich als politisch neuausge-richtete Organisation zu präsentieren.

Die unterschiedlichen Bezeichnungender letzten Jahre hinsichtlich der Strukturund der personellen Zusammensetzungführten zu keinen grundsätzlichen Um-gestaltungen der PKK. Die Ursprungsor-ganisation bestand im Wesentlichen fort.2005 gründete sich die KCK, die sich dieVerwirklichung des „demokratischenKonföderalismus“ zum Ziel gesetzt hat.Darunter versteht die PKK einen nicht-

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staatlichen Verbund aller Kurden in derTürkei, in Syrien, im Iran und Irak, den siemit eigenen Regierungsorganen und mitdem Anspruch einer eigenen Staatsbür-gerschaft versieht. Die staatlichen Gren-zen der Länder, in denen Kurden leben,sollen in diesem virtuellen Verbund un-angetastet bleiben.

PKK und KCK sind im Wesentlichenstrukturell identisch. In der Binnenkom-munikation sprechen Funktionäre, Mit-glieder und Anhänger – unbeschadet al-ler jeweils aktuellen Bezeichnungen derOrganisation – seit jeher von PKK. Im Au-ßenverkehr tituliert sich die PKK hinge-gen, wenn sie ihr organisatorisches Gan-zes meint, als KCK. Der KONGRA GEL istdas höchste Entscheidungsgremiumder PKK. Er nimmt für sich parlamentari-sche Funktionen in Anspruch und stelltsich als ein Organ interner Meinungsbil-dung und Beschlussfassung dar.

Umfeld der PKK | Mit der PKK verbun-den sind die PYD in Syrien sowie die Par-tiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK, Par-tei für ein freies Leben in Kurdistan) unddie Partiya Çareseriya Demokratik a Kur-distanê (PÇDK, Partei für eine politischeLösung in Kurdistan) im Irak. Als Schwes-terparteien wollen sie die Interessen vonKurden vertreten.

Die Umsetzung von PKK-Positionen er-folgt insbesondere über eigene Me-dienstrukturen. Neben einem PKK-Fern-sehsender (Stêrk-TV/Med NUCE-TV) gibtes eine eigene PKK-nahe Nachrichten-agentur (Firatnews Agency, ANF, mit Sitzin den Niederlanden) sowie diverse Zeitungen und Zeitschriften (unter ande-

rem die vom Verbot nicht betroffeneYÖP, die in Neu-Isenburg im LandkreisOffenbach erscheint, Serxwebun und Ci-wanên Azad – Freie Jugend).

Ideologie/Ziele

Siedlungsverbund – Autonomie in derTürkei | Ziel der terroristischen PKK warursprünglich die staatliche Unabhängig-keit der auf mehrere Staaten im NahenOsten zersplitterten kurdischen Sied-lungsgebiete. Der kurdische Staat solltein der Türkei aus Südostanatolien, Regio-nen im Nordosten Syriens („Rojava“),Gebieten im Norden des Irak und Ge-bieten Westirans bestehen. Die PKK be-hauptet, dieses Anliegen zugunsten ei-nes einheitlichen länderübergreifendenSiedlungsverbunds aller Kurden aufge-geben zu haben, in dessen Rahmen dieGrenzen der betroffenen Staaten Be-stand haben sollen.

Was die in der Türkei lebenden Kurdenbetrifft, kämpft die PKK für die staatlicheAnerkennung ihrer Identität, die in Süd-ostanatolien mittels eines Autonomie-status – ähnlich der Autonomen RegionKurdistan im Nordirak – verwirklicht wer-den soll. Im Zuge des syrischen Bürger-krieges und der bewaffneten Auseinan-dersetzungen mit dem IS streben diePKK und ihr syrischer Ableger PYD auchim Norden Syriens nach Autonomie. Inden vom IS befreiten, überwiegend vonKurden besiedelten nördlichen Kanto-nen Syriens, von Cizîre über Kobane bisAfrin, zeichneten sich bereits Struktureneiner gewissen Autonomie ab. Diesewaren allerdings noch weit von jeglicherpolitischer oder eigenstaatlicher Rele-

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Extremismus mitAuslandsbezug <6<

vanz entfernt und existierten im Berichts-jahr nur aufgrund der politisch instabilenLage im Bürgerkriegsland Syrien.

Am 25. September fand in der Autono-men Region Kurdistans im Nordirak einReferendum zur vollständigen Unabhän-gigkeit vom Irak statt. Die Durchführungdes Referendums war umstritten. Die ira-kische Zentralregierung wie auch dieTürkei reagierten mit scharfer Kritik. Vorallem die Türkei war militärisch bemüht,weder einen autonomen kurdischenStaat im Nordirak noch einen geschlos-senen kurdischen Korridor entlang dersyrisch-türkischen Grenze entstehen zulassen. Dabei spielte es für die türkischeRegierung keine wirkliche Rolle, ob Kur-den Teilautonomie oder tatsächliche Ei-genstaatlichkeit auf dem Gebiet Syriens(und des Irak) anstreben. Seitens derTürkei wurde auch nicht zwischen PKKund der von der westlichen Allianz un-terstützten PYD unterschieden.

Öcalan als ideologische Führungsfigur |Der in der Türkei inhaftierte AbdullahÖcalan fungiert weiterhin als ideologi-sche Führungsfigur der Terrororganisa-tion. Die anhaltende Sorge um seinenGesundheitszustand und seine weitge-hende Isolation treiben die kurdische Di-aspora weiter um. Demonstrationsserienund diverse Kampagnen spiegelten diesin Hessen im Berichtsjahr wider.

Strukturen

Zahlreiche Teilorganisationen trugen dieAktivitäten der PKK:

Propaganda- bzw. Frontorganisation•(politischer Arm): Koordînasyona Ci-

vaka Demokratîk a Kurdistan (CDK,Koordination der kurdisch-demokra-tischen Gesellschaft), Sitz unbekannt.Dachorganisation für Europa: Kon-•greya Civakên Demokratîk a Kurdîs-tanîyên Ewrupa (KCD-E, KurdischerDemokratischer Gesellschaftskon-gress in Europa), ehemals Konfede-rasyona Komelên Kurd li Avrupa(KON-KURD, Konföderation der Kur-dischen Vereine in Europa), Sitz inBrüssel.Dachorganisation für Deutschland:•NAV-DEM, Sitz in Düsseldorf, mit –nach eigenen Angaben – bundesweit45 Vereinen. In Hessen waren zehnVereine der NAV-DEM angeschlos-sen und gelten somit als PKK-nah.Diese hatten ihren Sitz in Darmstadt,Frankfurt am Main, Gießen (Land-kreis Gießen), Limburg (LandkreisLimburg-Weilburg), Wiesbaden,Hanau (Main-Kinzig-Kreis), Offen-bach am Main, Rüsselsheim am Main(Kreis Groß-Gerau), Bensheim (KreisBergstraße) und Kassel. Bei der NAV-DEM handelt es sich um die Nach-folgeorganisation der Yekitîya Koma-lên Kurd li Elmanya (YEK-KOM,Föderation kurdischer Vereine inDeutschland e. V.). Die Umbenen-nung wurde im Juni 2014 beschlos-sen. Die in diesem Zusammenhangebenfalls geplante einheitliche un-verfängliche Bezeichnung der Mit-gliedsvereine in Kurdische Demokra-tische Gesellschaftszentren (oderähnlich) hat sich bislang nicht durch-gängig in den jeweiligen Vereinsre-gistern niedergeschlagen. Bisher ha-ben fünf hessische Vereine dieUmbenennung offiziell vollzogen.

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Neben der Struktur der im NAV-DEM•organisierten PKK-nahen Vereine lie-ßen sich in Hessen aus diesen Verei-nen heraus folgende vier sogenann-ten Frauenvereine offiziell in diejeweiligen Vereinsregister eintragen: – Frauenrat Amara Frankfurt am Main

e. V.– Sara kurdischer Frauenrat Offen-

bach e. V.– Nujin kurdischer Frauenrat e. V.– Roza Kurdischer Frauenrat Darm-

stadt e. V.In Gießen firmierte zudem der Ber-cem – Frauenrat Gießen mit eigenerInternetpräsenz, ohne allerdings imVereinsregister eingetragen zu sein.Die Frauenräte und -vereine warenTeil der Massenorganisationen derPKK und nutzten wie die Jugend-gruppen die örtlichen Räumlichkei-ten PKK-naher Vereine.

Für bestimmte Zielgruppen unterhieltdie PKK sogenannte Massenorganisatio-nen, zum Beispiel:

Ciwanên Azad (Freie Jugend), ehe-•mals Koma Komalen Ciwanen Demo-kratik A Kurdistan (Komalên Ciwan,Vereinigung der demokratischen Ju-gendlichen; Umbenennung in 2014),Jinên Ciwanên Azad (Bewegung jun-•ger Frauen),Koma Jinen Bilind (KJB, Union der•stolzen Frauen – Dachverband derFrauenverbände),YXK (Verband der Studierenden aus•Kurdistan), neu ist seit 2016 die öf-fentliche Unterscheidung zwischendem YXK und JXK (Jinen Xwendeka-rên Kurdistan, Studierende Frauenaus Kurdistan). Die JXK verfügt in

Hessen über (Facebook-)Ortsgrup-pen in Marburg, Kassel und Frank-furt/Rhein-Main. Kurdisches Zentrum für Öffentlich-•keitsarbeit e. V. (Civaka Azad),Tevna Akademîsyenên Kurd (KURD-•AKAD, Netzwerk kurdischer Akade-mikerInnen e. V.),Heyva Sor a Kurdistanê (HSK, Kurdi-•scher Roter Halbmond),Yekitiya Kardaren Kurt Li Ewropa•(YKK, Verband der kurdischen Ar-beitgeber in Europa)/Association ofKurdish Employers in Europe (AKEE),Sitz in Frankfurt am Main.

Bewertung/Ausblick

Nicht nur das Newroz-Fest, sondern im-mer wieder auch die Kristallisationsfigurder PKK, Öcalan – ihres trotz Inhaftierungweiter uneingeschränkt als Anführer ak-zeptierten Vorsitzenden „Apo“ (kurdi-sche Bezeichnung für „Onkel“) –, zeigendie hohe Mobilisierungsfähigkeit desPKK-Umfeldes. Öcalan ist Triebfeder na-hezu aller PKK-nahen Demonstrationsla-gen in Deutschland und Hessen. DieSpontandemonstrationen im Oktoberanlässlich seines Gesundheitszustandeszeigten, dass die PKK-Sympathisanten inHessen jederzeit und insbesondere beidiesem Thema in der Lage sind, inner-halb weniger Stunden eine hohe Anzahlvon Personen zu mobilisieren. Nach wievor bilden sich für die PKK nachteiligeGeschehnisse in der Türkei zeitnah inder kurdischen Diaspora in Form vondemonstrativen – zunehmend sponta-nen – Aktionen ab.

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Zugleich kritisierten PKK-nahe Vereineund Verbände die Ausweitung der ge-gen die PKK erlassenen Verbotsverfü-gung um weitere verbotene Symbole.Darauf reagierten Anhänger zum einenkreativ, indem sie veränderte oder neueSymboliken nutzten, die von diesemVerbot nicht umfasst sind. Zum anderenwurden verbotene Symbole auch be-wusst provokativ bei Veranstaltungeneingesetzt, um deutlich zu machen, dassdiese Verbotserweiterung als Angriff aufdie PKK und als Ergebnis einer protürki-schen Haltung der Bundesregierungeingeschätzt wurde.

Die Anziehungskraft von Veranstaltun-gen, die von PKK-Anhängern oder ihrennahestehenden Verbänden und Verei-nen organisiert werden, hat vor diesemHintergrund zugenommen. Ein anhal-tend hohes Teilnehmerniveau ist in Zu-kunft zu erwarten.

Ob die seit Jahren propagierte Doppel-strategie – gewaltfrei in der Diaspora,aber Unterstützung auch gewalttätigerAktionen in den kurdischen Gebieten –weiter Bestand hat, muss sich zeigen.Bislang versuchte das PKK-Umfeld, diepositive öffentliche Berichterstattungund mediale Darstellung der vergange-nen Jahre, „Verteidiger der kurdischenund yezidischen Zivilbevölkerunggegen den IS“ zu sein, für sich zu nutzen.Die Bemühungen um die Aufhebungdes PKK-Betätigungsverbots werden im-mer intensiver und auch die Hoffnungauf eine kurdische Autonomieregion –wie im Nordirak nun auch in Nordsyrien– bleibt für die PKK ein realistisches Ziel.

Gewalttätige Auseinandersetzungen inDeutschland und Europa würden diesenBemühungen zuwiderlaufen.

Die militärischen Aktivitäten der Türkeiim Norden Syriens könnten eine Verän-derung der Doppelstrategie bewirken.Die politische Entwicklung in der Türkeibzw. das Verhalten der türkischen Regie-rung gegenüber politischen Gegnern,insbesondere gegenüber PKK-Struktu-ren zum Beispiel in Syrien, dürften zu ei-ner deutlichen Intensivierung der de-monstrativen Aktionen beitragen. Beieiner verschärften Situation ist mit An-griffen auf türkische Einrichtungen auchin Deutschland zu rechnen.

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Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (DHKP-C, Re-volutionäre Volksbefreiungspartei-Front)

Definition/Kerndaten

In der Türkei war die DHKP-C terroris-tisch aktiv und warb für den bewaffne-ten „Volkskampf“, während sie inDeutschland nach wie vor gewaltfreiagierte. Die Gewaltverzichtserklärungaus dem Jahr 1999 hatte Bestand. Darinheißt es: „Die DHKP-C wird ihrenKampf gegen die unrechtmäßige Ver-botsmaßnahme in Deutschland fortset-

zen – offen, demokratisch und gewalt-frei. Insbesondere wird in Deutschlandkeine Gewalt gegen türkische Institutio-nen ausgeübt“. Die sogenannte Rück-front in Westeuropa diente der Terror-organisation vor allem dazu, Gelder fürihre Aktivitäten in der Türkei zu beschaf-fen. Seit 2002 steht die DHKP-C auf derEU-Liste terroristischer Organisationen.

Ereignisse/Entwicklungen

Die Anhänger der DHKP-C waren inHessen kaum organisiert. Dennoch kames in Frankfurt am Main und in Darm-stadt regelmäßig zu Veranstaltungen,die der Partei zugerechnet werden kön-nen.

„Märtyrergedenken“ und „Gefangenen-solidarität“ | Nachdem im Dezember2016 der mutmaßliche Europaleiter inHamburg festgenommen worden war,kam es im Laufe des Berichtsjahres im-mer wieder zu Solidaritätsveranstaltun-

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Führung:Funktionärsgruppe (nach dem Tod von Dursun Karataş wurde keinneuer Generalsekretär benannt)

Anhänger: In Hessen etwa 75, bundesweit etwa 650

Medien (Auswahl):

Devrimci Sol (Dev Sol, Revolutionäre Linke), Yürüyüş (Marsch)

Europäischer Dachverband:

Avrupa Türk Konfederasyon (ATK, Türkische Konföderation inEuropa), Sitz in Frankfurt am Main

Logo der Anatolischen

Föderation

Logo der DHKC

(Volksbefreiungsfront )

Logo der DHKP

(Volksbefreiungspartei)

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Extremismus mitAuslandsbezug <65

gen im gesamten Bundesgebiet. Der„lange Marsch“ mit Veranstaltungen inverschiedenen Städten thematisierte dieFestnahme und forderte die Freilassung.

Nach dem Putschversuch 2016 in derTürkei wurden viele Staatsbediensteteentlassen, da ihnen eine Beteiligung amStaatsstreich oder eine Verbindung zueiner extremistischen bzw. terroristi-schen Gruppierung vorgeworfen wurde.Auch mehrere in Deutschland lebendeAktivisten saßen in türkischen Gefäng-nissen. Im Berichtsjahr beschäftigte sichdie DHKP-C besonders stark mit demFall zweier Akademiker, die nach demPutsch ihre Anstellung verloren hatten.In der Türkei und in Europa gab es meh-rere Solidaritäts- bzw. Protestveranstal-tungen. Beiden Personen wird die Mit-gliedschaft in der DHKP-C vorgeworfen.In Frankfurt am Main und in Darmstadtfanden mehrere Solidaritätskundgebun-gen und Informationsstände statt. Flyerwurden verteilt und Unterschriften zurFreilassung gesammelt. Bei einer Kund-gebung am 5. August in Frankfurt amMain nahm der Vorsitzende des Deut-schen Freidenker Verbands e. V., Lan-desverband Hessen, teil und verteilteFlyer zu einer bevorstehenden Veran-staltung des Frankfurter Solidaritätsko-mitees für Syrien. Bei dieser trat am 2.September eine kleine Delegation vonGrup Yorum auf.

Grup-Yorum-Konzert | Die zum Propa-gandanetzwerk der DHKP-C gehörendetürkische Musikgruppe Grup Yorum tratanlässlich ihres sechsten großen Euro-pakonzertes am 17. Juni in Fulda (Land-kreis Fulda) auf. Bei dem „Fest der Völ-

ker“ spielten weitere Musiker undBands. Mit ca. 2.000 Teilnehmern wardie Veranstaltung im Vergleich zu Kon-zerten in den Vorjahren in Nordrhein-Westfalen deutlich schlechter besucht.

Angemeldet hatte das Festival der Deut-sche Freidenker Verband e. V., der öf-fentlich als Organisator auftrat. Ur-sprünglich war das Messegelände inFulda angemietet worden. Nachdembekannt wurde, dass unter anderem diebekannte DHKP-C-nahe MusikbandGrup Yorum auftreten sollte, kündigtedie Stadt Fulda den Mietvertrag auf. DieVeranstaltung wurde unter Auflagenletztlich vor dem Stadion durchgeführt.Beim Festival selbst wurden in den Re-debeiträgen und an den InfoständenBezüge zur DHKP-C offensichtlich.

Im September startete die Kampagne„Lieder kennen keine Verbote“, mit dergegen die Verhinderung von Konzertenvon Grup Yorum und gegen Einreisever-bote für Musiker dieses Musikkollektivsprotestiert wurde. Im Rahmen der Kam-pagne fanden kleinere Konzerte in Duis-burg (Nordrhein-Westfalen) und in Stutt-gart (Baden-Württemberg) statt.

Entstehung/Geschichte

Die DHKP-C wurde 1994 als Nachfolge-organisation der seit 1983 in Deutsch-land verbotenen Dev Sol gegründet. Aufder Grundlage des Marxismus-Leninis-mus spricht sich die DHKP-C nach wievor für einen revolutionären Umsturz derbestehenden Staats- und Gesellschafts-ordnung in der Türkei aus und strebt dieErrichtung einer sozialistischen Gesell-

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schaft an. Sie propagiert einen bewaff-neten Volkskampf unter ihrer Führungund führt in der Türkei immer wiederauch Selbstmordanschläge durch. DieEU hat die in Deutschland seit 1998 ver-botene Organisation im Jahr 2002 alsterroristische Organisation eingestuft.Ähnlich wie das Publikationsorgan derDHKP-C, Yürüyüş, dessen Verbreitungseit 2015 durch das Bundesinnenminis-terium verboten ist, gilt auch die Musik-band Grup Yorum als fest mit der Orga-nisation verbunden.

Grup Yorum (Yorum bedeutet Interpre-tation oder Kommentar) wurde 1985 alsReaktion auf die Entpolitisierungs- undEinschüchterungspolitik nach dem Militärputsch 1980 von türkischen Stu-denten gegründet. Laut eigener Be-schreibung habe sie ein „revolutionär-so-zialistisches Musikverständnis“ und sei„die Stimme des Volkes“. Unter diesemMotto werden europaweit Konzertedurchgeführt, auf denen Verbindungenzur DHKP-C offensichtlich werden.

Ideologie/Ziele

Die DHKP-C richtet ihre Aktivitäten da-rauf aus, den türkischen Staat mit Gewaltzu zerschlagen und durch ein marxis-tisch-leninistisches Regime unter ihrerKontrolle zu ersetzen. Ihr Ziel ist die Er-richtung einer klassenlosen sozialisti-schen Gesellschaft.

Bewertung/Ausblick

Deutschland gilt innerhalb der EU alswichtiger finanzieller und logistischerRückzugsraum der DHKP-C. Neben denjährlichen Spendenkampagnen dienenauch die Einnahmen aus den Grup-Yo-rum-Konzerten zur Finanzierung der Or-ganisation. Deutschland wird als Vorbe-reitungsraum für terroristische Anschlägein der Türkei genutzt, ist selbst aberbisher nicht Ziel von Gewaltaktionen.

Die DHKP-C versucht unter dem Deck-mantel gesellschaftspolitisch konsensfä-higer Themen (Antirassismus-Kampa-gnen, Gedenkveranstaltungen für dieOpfer des sogenannten Gezi-Auf -standes 2013 in Istanbul, Solidaritätsak-tionen für politische Gefangene in derTürkei etc.) neue Anhänger zu mobilisie-ren. Im Zusammenhang mit den politi-schen Ereignissen in der Türkei bestehteine hohe Emotionalisierung innerhalbder Organisation.

Die Konzerte der Musikband Grup Yo-rum dienen der Rekrutierung neuer An-hänger. Das Besucherspektrum, insbe-sondere musikaffine Jugendliche mittürkischem Migrationshintergrund, gehtdeutlich über die engere Anhänger-schaft der DHKP-C hinaus. Für die DHKP-C stellt dies ein ideales Publikum für einProgramm aus Musik und Ideologie dar.Gerade dies macht die Gefahr aus, dievon Veranstaltungen dieser Art ausgeht.

<66 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Extremismus mitAuslandsbezug <67

Straf- und Gewalttaten

Die Zahl der extremistischen Straf- undGewalttaten im Phänomenbereich desExtremismus mit Auslandsbezug er-höhte sich in Hessen deutlich von 71 imJahr 2016 auf 118. Zugleich reduziertesich die Zahl der Gewalttaten deutlichauf eine (im Jahr 2016 waren es zehn).Diese Entwicklung war insbesondereauf zwei Aspekte zurückzuführen: Zumeinen konnten durch die Erweiterungdes Verbotserlasses gegen die PKK Un-terstützungshandlungen (in der RegelPropagandadelikte) für die mit einemBetätigungsverbot belegte Vereinigung

nunmehr auch vermehrt strafrechtlichverfolgt werden. Zum anderen ist dieAnzahl der Gewalttaten im Jahr 2016auch den unmittelbar folgenden Auswir-kungen des damaligen gescheitertenPutsches in der Türkei auf die Szene inDeutschland geschuldet. (Siehe im Glos-sar und Abkürzungsverzeichnis unterdem Stichwort Politisch motivierte Krimi-nalität zur Erfassung politisch motivierterStraf- und Gewalttaten mit extremisti-schem Hintergrund.)

2017 2016 2015

Deliktart

Tötung

Versuchte Tötung

Körperverletzung 1 6 6

Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 3

Landfriedensbruch 1 1

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr

Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte

1

Gewalttaten gesamt 1 10 8

Sonstige Straftaten

Sachbeschädigung 8 13 17

Nötigung/Bedrohung 2 2

Andere Straftaten(insb. Propagandadelikte)

107 48 34

Straf- und Gewalttaten gesamt 118 71 61

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Flüchtlinge im Visiervon Extremisten

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Flüchtlinge im Visier von Extremisten <69

Auch im Berichtsjahr bildeten dieFlüchtlinge und die Flüchtlingspolitikzentrale Themen in der rechtsextremis-tischen Agitation in Hessen. Mit derAngst vor „kultureller Überfremdung“sollten Ressentiments und Ängste in derBevölkerung geschürt werden. Diesefremdenfeindliche Agitation birgt dasRisiko, dass sich Einzelpersonen undGruppierungen radikalisieren, was zumBegehen schwerster Straftaten führenkann.

Diskreditierung von Flüchtlingen | Mitihrer fremdenfeindlichen Agitation ver-suchten Rechtsextremisten, in der Bevöl-kerung die Schutzbedürftigkeit derFlüchtlinge zu diskreditieren. Insbeson-dere seit dem Bekanntwerden herausra-gender Ereignisse wie der beiden Tö-tungsdelikte in Freiburg im Breisgau(Baden-Württemberg) und Kandel(Rheinland-Pfalz), bei denen zwei Frauenvon Flüchtlingen getötet wurden, wurdemit der von Asylbewerbern bzw. Migran-ten ausgehenden Kriminalität seitensder Rechtsextremisten agitiert.

Sozialneid, Aufrufe zur Gewalt, Drohun-gen | Darüber hinaus führten Rechtsex-tremisten im Internet Sozialneid-Debat-ten. Besonders in sozialen Netzwerkenwurde zum Teil offener Hass gegenFlüchtlinge und damit pauschal Frem-denfeindlichkeit geschürt. Rechtsextre-mistische Parteien und Organisationenposteten im Internet aus ihrer Sicht er-folgreiche Aktionen. Dabei handelte essich zum Beispiel um Flugblattverteilun-gen und das Anbringen von Bannern. ImBerichtsjahr ging in Hessen die Zahl die-

ser Aktionen im Vergleich zum Vorjahrzurück.

Rückgang rechtsextremistischer Aktio-nen | In geringerer Zahl als im Vorjahrwaren von rechtsextremistischen Par-teien initiierte und beworbene Demons-trationen Bestandteil des gegen dieFlüchtlinge und die Flüchtlingspolitikgerichteten Protests. In Hessen kam esam 26. August in Fulda (Landkreis Fulda)zu einer Demonstration von ca. 100 An-hängern der Partei Der Dritte Weg unterdem Motto „Asylflut stoppen. Heimat,Familie, Tradition“.

Beispiele für fremdenfeindliche Strafta-ten | Übergriffe auf Flüchtlinge, Asylbe-werber, Erstaufnahmeeinrichtungenund Unterkünfte werden durch die Si-cherheitsbehörden weiterhin mit Sorgebetrachtet. Im Berichtsjahr kam es zu we-niger Angriffen auf Asylbewerberunter-künfte. In Hessen sind folgende Fällehervorzuheben:

Im Februar kam es in Alsbach-•Hähnlein (Landkreis Darmstadt-Dieburg) zu einer schweren Brand-stiftung an einer Asylbewerber-unterkunft. Unbekannte Täter warfeneinen Brandsatz vor eines der Fens-ter. Der Brand konnte von den Be-wohnern selbst gelöscht werden. Ander Gebäudefassade entstand Sach-schaden, Personen wurden nicht ver-letzt.In Beselich (Landkreis Limburg-•Weilburg) sprühten unbekannte Tä-ter im Februar rote Hakenkreuze andie Fassade und den Briefkasten ei-ner Asylbewerberunterkunft.Eine weitere Tat ereignete sich im•

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März in Beselich (Landkreis Limburg-Weilburg). Auch hier sprühten Unbe-kannte ein Hakenkreuz an die Haus-wand der Flüchtlingsunterkunft.In Kassel kam es im Juni zu einer•Straftat an einer Unterkunft für unbe-gleitete minderjährige Flüchtlinge. Inunmittelbarer Nähe wurden derSchriftzug „Sieg Heil“ und weitere Pa-rolen und Symbole aufgebracht.Im Dezember machten sich vier Täter•in Laubach (Landkreis Gießen) einesLandfriedensbruchs schuldig. Diemaskierten Täter schlugen mittelsBaseballschläger Scheiben einerAsylbewerberunterkunft ein. ZweiFlüchtlinge, die angegriffen wurden,konnten sich in Sicherheit bringen.Als Motiv nannten die Täter einefremdenfeindliche Einstellung.

Für die menschenverachtende Agitationgegen Flüchtlinge können folgende Bei-spiele genannt werden:

Ein unbekannter Facebook-Nutzer•kommentierte einen Beitrag zumThema „Finanzierung von Flüchtlin-gen“ mit folgenden Worten: „Diesesdreckige Viehzeug. Schickt sie dahin,wo sie hergekommen sind. Da kön-nen sie im Dreck nach Essen wühlen.Denen fehlt mal voll fett eine aufsMaul dreckiges Gesindel.“ (Schreib-weise wie im Original.)Auf der Facebook-Seite „Merkels•Neubürger“ wurden folgende Kom-mentierungen eingestellt: „Gleichabknallen diese Schweine“, „JedesSchwein ist mehr wert als diesesDreckspack. Schweine bringen wirtäglich genug um……warum nichtauch dieses dreckige Ausländer-

pack?“ und „Wir holen uns diesenMenschenmüll hier freiwillig hin! …heute hätten wir die richtige Brenn -stäbe für die Öfen!“ (Schreibweisewie im Original.)

Entwicklung der gegen Flüchtlingsun-terkünfte, Flüchtlinge und Flüchtlings-helfer gerichteten Straftaten | In Hessengab es im Berichtszeitraum sieben(2016: 25) Straftaten, die sich gegenAsyl- und Flüchtlingsunterkünfte richte-ten; diese entfielen alle auf den BereichPMK – rechts –. Die Anzahl der Straftatengegen Asylbewerber und Flüchtlingebelief sich auf 50 (2016: 72), davon ent-fielen 46 (2016: 67) auf den Bereich PMK– rechts –. Gegen Hilfsorganisationen so-wie ehrenamtliche und freiwillige Helferwaren zwei Straftaten zu verzeichnen(2016: drei), davon entfiel eine (2016:zwei) auf den Bereich PMK – rechts –. DieZahl dieser Straftaten lag somit aufeinem gleichbleibend niedrigen Niveaubei sinkender Tendenz.

Linksextremismus und Extremismus mitAuslandsbezug | Das Themenfeld „Anti-rassismus“ blieb für Linksextremistengrundsätzlich ein wichtiger Aktionsbe-reich. Allerdings beschränkten sich sol-che Aktivitäten im Berichtsjahr weitge-hend auf lokale oder regionale Projekte.Größere Bedeutung gewannen die be-gonnenen Rückführungen von Geflüch-teten in ihre Heimatländer, zum Beispielnach Afghanistan, oder die Einrichtungsogenannter Abschiebehafteinrichtun-gen, zum Beispiel auch in Darmstadt.Deswegen kam es zu demonstrativenAktionen, die friedlich verliefen.

<70 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Flüchtlinge im Visier von Extremisten <7<

Im Bereich des Extremismus mit Aus-landsbezug war festzustellen, dass dieBemühungen extremistischer Gruppie-rungen, Flüchtlinge gezielt anzuspre-chen und für ihre Sache zu gewinnen,auch auf Grund der deutlich zurückge-gangenen Anzahl der Geflüchtetennicht mehr von Bedeutung waren.

Islamismus/Salafismus | Seit August2015 wurden bundesweit und auch inHessen vermehrt Kontaktaufnahmen zuFlüchtlingen bzw. entsprechende Versu-che oder entsprechende Vorbereitungs-handlungen von Islamisten festgestellt,bei denen überwiegend von einem mis-sionarischen Hintergrund auszugehenist. Hierbei handelte es sich um Fälle, indenen auch mittels Unterstützungs- undHilfeleistungen versucht wurde, Flücht-linge für islamistische Weltbilder zu ge-winnen.

Flüchtlinge frequentierten zudem extre-mistische oder extremistisch beein-flusste Moscheen. Ob sie gezielt fürdiese Besuche angeworben oder ange-sprochen wurden, ist nicht in allen Fällenbekannt.

In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen,dass die Unterstützung hier lebenderMuslime und muslimischer Organisatio-nen für Flüchtlinge nicht pauschal als is-lamistische Missionierung oder Radikali-sierung vorverurteilt werden dürfen.

Eine besondere Aufmerksamkeit der Si-cherheitsbehörden ist zudem bei derEinreise von Mitgliedern, Unterstützernund Sympathisanten islamistischer Or-ganisationen gegeben. Unter den nach

Deutschland geflüchteten Personen be-fanden sich zum Teil auch solche, die vorihrer Flucht im Herkunftsland in unter-schiedlichem Maße in jihadistische Or-ganisationen eingebunden gewesensein sollen oder waren.

Bisweilen offenbaren sie diese Aktivitä-ten im Kontakt mit den Behörden. Dabeischildern sie beispielsweise den Aufent-halt in einem islamistisch-terroristischenTrainingslager oder die Auseinanderset-zung mit Regierungskräften des Her-kunftslandes.

Intensiver Aufklärung erfordert das Ent-decken von Terroristen unter Flüchtlin-gen. So gehen die SicherheitsbehördenHinweisen zu Personen nach, die unterdem Deckmantel der Migrationsbewe-gungen zur Erfüllung eines terroristi-schen Auftrags nach Europa gelangtsein sollen.

Nicht zu unterschätzen ist zudem dieProblematik, dass antisemitische Welt-bilder auch unter einigen Flüchtlingenbestehen.

Bewertung – Maßnahmen | Die Zahl derÜbergriffe auf Asylunterkünfte ging imBerichtsjahr deutlich zurück. Der Haupt-grund dürfte die Entwicklung der Flücht-lingszahlen sein. Viele Unterkünfte konn-ten deshalb geschlossen werden.Obwohl die Zahl der nach Deutschlandeinreisenden Flüchtlinge mittlerweilestark sinkt, ist davon auszugehen, dassdie rechtsextremistische Agitation ge-gen Flüchtlinge anhalten wird. Bei ent-sprechend öffentlichkeitswirksamen,emotionalisierenden Ereignissen be-

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steht die Gefahr der schlagartigen Inten-sivierung der Agitation.

In Hessen kam es bisher überwiegendzu den Deliktsfeldern Volksverhetzung,Verwenden von Kennzeichen verfas-sungswidriger Organisationen, Sachbe-schädigung durch fremdenfeindlicheFarbschmierereien und Brandstiftung.Unverändert besteht die Gefahr, dassRechtsextremisten Gewalt befürworten,damit zu Gewalttaten anstoßen bzw.selbst schwerwiegende Straftatengegen Flüchtlinge oder Flüchtlingsun-terkünfte begehen. Hierbei kann es auchzu Todesopfern kommen. Dies gilt ins-besondere vor dem Hintergrund, dassdie Themen „Flüchtlinge“ und „Flücht-lingspolitik“ auf unbestimmte Zeit Ge-genstand des in Teilen kontrovers ge-führten gesellschaftlichen und medialenDiskurses bleiben werden.

<72 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Flüchtlinge im Visier von Extremisten <73

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Organisierte Kriminalität

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Definition/Ziele

Organisierte Kriminalität (OK) ist einkomplexes Kriminalitätsphänomen.Seine wesentlichen Merkmale sind in § 2 Abs. 3 d) des Gesetzes über das Lan-desamt für Verfassungsschutz definiert.OK wird demnach beschrieben als dievon Gewinn- und Machtstreben be-stimmte planmäßige Begehung vonStraftaten, die einzeln oder in ihrer Ge-samtheit von erheblicher Bedeutung fürdie Rechtsordnung sind, durch mehr alszwei Beteiligte, die auf längere oder un-bestimmte Dauer arbeitsteilig tätig wer-den

unter Verwendung gewerblicher•oder geschäftsähnlicher Strukturenoderunter Anwendung von Gewalt oder•durch entsprechende Drohungenoderunter Einflussnahme auf Politik, Ver-•waltung, Justiz, Medien oder Wirt-schaft.

Akteure der OK – Täter, Hintermännerund Nutznießer – missbrauchen die frei-heitliche demokratische Grundordnung,

um ihre auf Gewinnmaximierung ausge-richteten Interessen mit dem Begehenvon Straftaten, dem Einsatz von Gewaltoder der Einflussnahme auf Institutionendurchzusetzen. Illegal erwirtschafteteGelder werden oftmals im Rahmen lega-ler Wirtschaftstätigkeit gewaschen undin legale und illegale Unternehmungenreinvestiert.

OK-Gruppen passen ihre Aktionsfelderkriminellen „Markterfordernissen“ anund reagieren flexibel auf deren Verän-derungen. Aktionen im Rahmen der OKsind generell darauf ausgelegt, nicht er-kannt zu werden. Da sie weitgehendund unter erheblichem Aufwand konspi-rativ durchgeführt werden, ist es schwer,kriminelle Handlungen als OK-Strukturzu erkennen. Die jährlich durch die OK verursachte Schadenssumme inDeutschland bewegt sich nachoffiziellen Schätzungen – zuletzt für dasJahr 2016 – auf 424 Millionen Euro.Unter Einrechnung einer erheblichenDunkelziffer kann von einem Schaden inMilliardenhöhe ausgegangen werden.

Rockerkriminalität

Hells Angels MC – Entwicklung nachdem Mord | Im Bereich der kriminellenRockergruppierungen (Outlaw Motorcy-cle Gangs, OMCG) in Hessen dauert dieAufklärung des Mordes am GießenerHells Angels MC-Präsidenten im Okto-ber 2016 noch an. Der bislang schwe-

lende Konflikt zwischen den Oldschool-Rockern und dem sogenannten Türken-Charter wurde offenbar beigelegt.

Gruppierungen nicht einheitlich | DieSzene zeigte sich in ihren Strukturennicht einheitlich. Zwar ähnelten Grup-

Organisierte Kriminalität

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pierungen wie der Osmanen GermaniaBox Club (OGBC), Osmanen Box Cluboder der Lions 21 optisch und in ihrenhierarchischen Strukturen den bekann-ten OMCGs, sie grenzten sich jedochselbst von diesen ab und verstandensich vielmehr als Streetgang. Motor -räder spielten innerhalb dieser Gruppie-rungen keine Rolle.

OGBC – Führungsfunktionäre in Haft | ImBerichtsjahr fiel der Fokus vor allem aufden OGBC, weil dieser im Verdachtstand, aus der Türkei gesteuert zu sein.Wichtige Protagonisten, darunter der inHessen wohnhafte ehemalige Weltprä-sident des OGBC sowie dessen ehema-

liger Stellvertreter, saßen in Stuttgart inUntersuchungshaft. Sie erwartet ein Ver-fahren wegen schwerer Gewaltverbre-chen.

Türkisch-kurdischer Konflikt | Zwischendem türkisch-nationalistisch eingestelltenOGBC und der kurdischen GruppierungBahoz hatte es 2016 zum Teilgewaltsame Auseinandersetzungen ge-geben. Im Berichtsjahr erklärte die kur-dische Gruppierung ihre Auflösung. Ins-gesamt gingen – auch infolge derVerhaftungen – im Berichtsjahr wenigerAktivitäten von dem OGBC aus als nochin den Jahren zuvor.

Italienische Organisierte Kriminalität

Bei Aktivitäten von kriminellen Gruppen– zum Beispiel der italienischen OK – be-obachtete das LfV besonders deren Ver-bindungen in das Rhein-Main-Gebiet.Hierbei ging es unter anderem um die

Aufklärung, inwieweit die italienischeOK ihre illegal erworbenen Gelder inGastronomie bzw. Hotelbetriebe und inlegale Immobiliengeschäfte investierte.

Maßnahmen des LfV

Die vom LfV überwiegend mit nachrich-tendienstlichen Mitteln und im Rahmender Zusammenarbeit mit anderen Ver-fassungsschutzbehörden und ausländi-schen Nachrichtendiensten gesammel-ten Erkenntnisse werden den einzelnenBedarfsträgern gezielt und in geeig -neter Form zur Verfügung gestellt. Diese

Erkenntnisse eignen sich selten für eineöffentliche Darstellung.

Seinem Auftrag entsprechend agiert derVerfassungsschutz bei der Beobachtungund Aufklärung der OK im Vorfeld kon-kreter Straftaten. Ziel ist die Erkenntnis-gewinnung in Bezug auf personelle, lo-

<76 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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gistische, organisatorische, finanziellesowie deliktische Strukturen. Nebendem frühzeitigen Ansatz der Erkenntnis-gewinnung bietet die Beobachtungdurch Nachrichtendienste den Vorteil ei-ner langfristigen und nicht auf einzelneStrafverfahren bezogenen Beobachtung.Die Strukturaufklärung des Verfassungs-schutzes ist dabei nicht auf die Bearbei-tung einzelner Delikte ausgerichtet, son-dern analysiert die kriminellenStrukturen in einem ganzheitlichen Zu-sammenhang. Daraus können in derFolge auch Erkenntnisse für Strafverfol-gungsbehörden resultieren.

In seiner Funktion als „Frühwarnsystem“unterstützt der Verfassungsschutz dieMaßnahmen von Politik, Polizei, weiterenstaatlichen Einrichtungen und anderenöffentlichen Stellen, indem er Erkennt-nisse über Gefahren, die von der OKausgehen, zur Verfügung stellt. Beson-ders wachsam werden weiterhin auchVersuche von OK-Gruppen beobachtet,welche möglicherweise darauf ausge-richtet sein könnten, Einfluss auf Politik,Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirt-schaft zu erlangen.

Organisierte Kriminalität

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Spionageabwehr

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Spionageabwehr <79

Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste

Das LfV geht aufgrund seines gesetzli-chen Auftrags jedem Spionageanfangs-verdacht nach, stellt sich auf gesell-schaftlichen, politischen und technischenWandel ein und trägt diesem in seinerArbeit Rechnung. Diese Arbeit wird miteinem „Rundumblick“ durchgeführt: DieVerfassungsschutzbehörden überprüfenalle Hinweise auf gegen deutsche Inte-ressen gerichtete nachrichtendienstlicheAktivitäten, unabhängig von welchemStaat sie ausgehen.

Zum Bereich der Spionageabwehr zäh-len folgende Beobachtungsschwer-punkte:

Geheimdienstliche Agententätig-•keit/Oppositionellenausspähung ge-mäß § 99 StGB,Proliferation,•Cyberabwehr,•Einflussnahme fremder Staaten auf•die Meinungsbildung und die Politikmittels Desinformation, Propaganda,hybrider Kriegsführung,Staatsterrorismus•

Ziele und Arbeitsweisen ausländischerNachrichtendienste | Nach wie vor wur-den Mitglieder der Gruppe der 20 wich-tigsten Industrie- und SchwellenländerOpfer nachrichtendienstlicher Angriffe.Die von den G20-Staaten getroffenenEntscheidungen in Bezug auf internatio-nale Finanz-, Wirtschafts- und Energie-fragen standen im Fokus des Interessesausländischer Nachrichtendienste. Wei-teres Ziel ist langfristig auch die EU alsmilitärischer Faktor in der NATO mitDeutschland als stabilem Partner der

großen Industrie- und Wirtschaftsnatio-nen. Unverändert standen neue militäri-sche Forschungserkenntnisse sowie zu-kunftsorientierte Technologien imZentrum von Spionageaktivitäten.

Ausländische Nachrichtendienste späh-ten fortgesetzt in Deutschland ansässigeOrganisationen und Volksgruppen aus,die im Herkunftsland als Oppositionellepolitisch verfolgt oder beobachtet wur-den.

Die entsprechenden Staaten nutzten fürnachrichtendienstliche Operationen inder Bundesrepublik Deutschland nebenamtlichen Einrichtungen (zum BeispielBotschaften, Generalkonsulaten) halb-amtliche Vertretungen ihrer Länder (soetwa Presseagenturen, Fluggesellschaf-ten). Ausländische Nachrichtendienstewaren in unterschiedlicher Stärke in denjeweiligen Einrichtungen ihrer Staaten inDeutschland präsent. Auch in Hessenwurden diese als Legalresidenturen be-zeichneten Stützpunkte ausländischerNachrichtendienste unterhalten. Getarntagierten sie aus den offiziellen Einrich-tungen heraus und nutzten den Schutzdes diplomatischen Status oder tratenals halboffizielle Vertreter von Presseor-ganen, Fluggesellschaften oder Firmenmit staatlicher Beteiligung der Her-kunftsländer auf. Dies geschah unterAusnutzen zum Beispiel der Pressefrei-heit oder in Firmen im Rahmen wirt-schaftlicher Gepflogenheiten.

Für den Banken- und Wirtschafts -standort Frankfurt am Main als Metro-

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pole der Rhein-Main-Region galt dies inerster Linie für dort ansässige General-konsulate.

Flüchtlinge im Visier ausländischerNachrichtendienste | Der überwiegendeTeil der im Berichtsjahr in die Bundesre-publik eingereisten Flüchtlinge stammtaus Ländern, in denen staatliche Struk-turen nur noch begrenzt vorhanden wa-ren, wie etwa Syrien und Irak. Es ist je-doch davon auszugehen, dass dieNachrichtendienste dieser Länder nachwie vor existent sind. Daher gilt für diein Deutschland ankommenden Flücht-linge: Wer sich im Heimatland gegendas Regime engagierte, gerät eventuellauch in Deutschland in das Visier frem-der Nachrichtendienste. Flüchtlinge undderen Familien in der Heimat könnenausgespäht werden, gegebenenfallsversuchen fremde Nachrichtendienste,sie als menschliche Quelle zu gewinnen.Darüber hinaus ist nicht auszuschließen,dass ausländische Nachrichtendienstedaran interessiert sind, Informationenüber bestimmte Flüchtlingsgruppenund das Agieren der in den Herkunfts-ländern verbliebenen Opposition zu er-halten.

Daneben stammten zahlreiche Flücht-linge, zum Teil ehemals hochrangige Re-gierungsbedienstete, aus der Türkei.Seit dem Putschversuch im Jahr 2016werden vor allem Personen ausgespähtund verfolgt, die seitens des türkischenStaates als Gülen-Anhänger gelten.

Nachrichten- und Sicherheitsdiensteder Volksrepublik China | Das von derKommunistischen Partei Chinas (KPCh)

autoritär regierte Land hat sich – auchunter Einsatz seiner Nachrichtendienste– als wirtschaftliche und militärischeGroßmacht etabliert. Beobachtung undKontrolle der Oppositionsbewegungenim Ausland blieben ein wichtigerSchwerpunkt seiner Dienste. Auch inDeutschland betrieben sie die Unter-wanderung der in China als „Fünf Gifte“bezeichneten Bewegungen:

Mitglieder der regimekritischen Me-•ditationsbewegung Falun Gong,Organisationen von Angehörigen•der muslimischen Uiguren,Organisationen von Unterstützern ei-•nes autonomen Tibets,Organisationen von Anhängern der•Demokratiebewegung,Organisationen von Befürwortern•der Eigenstaatlichkeit Taiwans.

Um politische, wirtschaftliche und militä-rische Informationsbeschaffung der chi-nesischen Dienste bei Auslandsbesu-chen in China abzuwehren, solltenBesucher der Volksrepublik China aufelektronische Angriffe achten.

Ferner beabsichtigt China, das freie In-ternet im Land bzw. die Virtual-Private-Network-Zugänge (VPN) einzustellen.Private Nutzer haben bereits seit einigerZeit keinen Zugriff zum freien Internet.Das war lediglich eingeschränkten Nut-zern vorbehalten, wie Firmen, die globalvernetzt sind und auf diese Weise mitanderen Firmenstandorten kommunizie-ren. 2018 sollen die VPN-Zugänge ge-sperrt werden, über die geblockteSeiten bisher einsehbar waren.

<80 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Spionageabwehr <8<

Im Dezember 2017 wies die EU daraufhin, dass bei zwei europäischen Bot-schaften in China im Herbst die VPN-Zu-gänge abgeschaltet wurden. Auch dieFinancial Times berichtete von fünf aus-ländischen Unternehmen, deren Be-triebs-VPNs gestört oder gar stillgelegtworden waren. China untermauertediese Politik mit dem Begriff „Cybersou-veränität“. Künftig sollen die Firmen einestaatlich genehmigte Software nutzen.Der Schutz vor dem Einblick oder gar ei-nem Eingriff des Staates ist damit nichtgewährleistet.

China versuchte darüber hinaus, Per-spektiventscheidungen der G20-Staatenin der Wirtschafts-, Energie- und Finanz-politik frühzeitig in Erfahrung zubringen, um entsprechende eigeneStrategien zu entwickeln. Im Berichtsjahrgab es verstärkt Hinweise auf Anwerbe-versuche chinesischer Nachrichten-dienste über soziale Netzwerke. ÜberFakeprofile bei LinkedIn wurde Kontaktzu Zielpersonen aufgebaut.

Nachrichten- und Sicherheitsdiensteder Russischen Föderation | PolitischeEinrichtungen der Exekutive und der Le-gislative in der EU waren nach wie vorvon zentralem Interesse für die beidenrussischen Auslandsnachrichtendienste:

Der Slushba Wneschnej Raswedki•(SWR) ist für zivile Objekte und The-men (speziell für Politik, Wirtschaftund Wissenschaft/Technologien) zu-ständig.Die Glawnoje Raswedywatelnoje•Uprawlenije (GRU, Hauptverwaltungbeim Generalstab der Streitkräfteder Russischen Föderation) interes-

siert sich für das gesamte militäri-sche Spektrum, insbesondere fürneue Technologien in der Entwick-lung und im Einsatz.

Die Aktivitäten des russischen Inlands-nachrichtendiensts Federalnaja SlushbaBesopasnosti (FSB, Föderaler Dienst fürSicherheit der Russischen Föderation)sind weiterhin anhaltend hoch. Vorallem die Reisen von Ausländern nachRussland ließen eine risikolose Anspra-che auf eigenem Territorium zu. DemFSB sind alle Grenztruppen angeschlos-sen, sodass bereits bei der Einreise „Vor-abkontrollen“ möglich waren.

Proliferation | Im sicherheitspolitischenZusammenhang bezeichnet der BegriffProliferation die Weiterverbreitung bzw.Weitergabe von Massenvernichtungs-waffen sowie den Erwerb passender Trä-gersysteme und entsprechender Tech-nologien an Staaten, die bislang nichtüber solche Waffen verfügen. Nebendem Import kompletter Waffensystemeumfasst Proliferation auch die illegaleBeschaffung von Komponenten, rele-vanten Technologien und Herstellungs-verfahren sowie die Abwerbung wissen-schaftlich-technischen Personals.

Vor diesem Hintergrund waren Massen-vernichtungswaffen weiterhin ein macht-politisches Instrument, das sowohl in re-gionalen als auch in internationalenKrisensituationen die Stabilität eines ge-samten Staatengefüges erschütternkann. Insbesondere Staaten wie Iran,Nordkorea, Pakistan und Syrien versu-chen im Rahmen der Proliferation solcheWaffen zu erwerben und weiterzuver-

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breiten, indem sie etwa die Transport-wege über Drittstaaten verschleierten.Ziel solcher nachrichtendienstlicherMaßnahmen war es, Kontrollmechanis-men in Staaten, die nicht besonderenEmbargo-Vorschriften unterliegen, zuumgehen.

Bezüglich der im Iran sowie in Nordko-rea, Pakistan und Syrien tätigen Firmensind folgende Aspekte, Hinweise undAnhaltspunkte, die eventuell auf prolife-rationsrelevante Aktivitäten hinweisen,zu berücksichtigen:

Der tatsächliche Verbleib der Güter•ist unklar und kann nicht plausibelerklärt werden.Der Kunde kann nicht erklären, wofür•das Produkt gebraucht wird.Der beabsichtigte Verwendungs-•zweck weicht erheblich von der vomHersteller vorgegebenen Produktbe-stimmung ab.Der Kunde handelt üblicherweise mit•militärischen Gütern.Die Person, die als Käufer auftritt, ver-•fügt nicht über das erforderlicheFachwissen.Die tatsächliche Identität eines Neu-•kunden ist nicht bekannt.Es werden ohne erkennbaren Grund•Zwischenhändler eingeschaltet, ge-gebenenfalls auch im Ausland (soge-nannte Umweglieferung).Der Kunde wünscht eine außerge-•wöhnliche Etikettierung oder Kenn-zeichnung bzw. Beschriftung, um dieGüter neutral zu bezeichnen.Angebotene Zahlungsbedingungen•sind besonders vorteilhaft, wie zumBeispiel Barzahlung, hohe Voraus-zahlungen oder ungewöhnliche Pro-

visionen.Der Käufer verzichtet auf das Einwei-•sen in die Handhabung, auf Service-leistungen oder auf Garantie.Firmenangehörige werden zu Ausbil-•dungszwecken zur Herstellerfirmanach Deutschland geschickt, obwohleine Einweisung vor Ort praktischerund sinnvoller wäre.Mitglieder von Besucherdelegatio-•nen werden namentlich nicht vorge-stellt.Zu weiteren Geschäftskontakten nach•Deutschland wird geschwiegen.Neutrale Handelsfirmen täuschen•den Verkäufer über den tatsächli-chen Kauf durch staatlich gesteuerteUnternehmen.Hochschulen des jeweiligen Landes•treten als Empfänger auf, um dieIdentität des Endverbrauchers zuverschleiern.

Es ist daher für Unternehmen, die mög-licherweise proliferationsrelevante Wa-ren ausführen, immer empfehlenswert,sich zu Detailfragen bei eventuell ge-nehmigungspflichtigen Sachverhaltenunmittelbar mit dem Bundesamt fürWirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA)in Verbindung zu setzen.

Gastwissenschaftler | Auch das Thema„Gastwissenschaftler“ steht im Zusam-menhang mit Proliferationssachverhal-ten. Der wissenschaftliche Austauschvon Studierenden und ausgebildetenFachkräften zwischen Universitäten undForschungseinrichtungen ist zwar poli-tisch und wirtschaftlich gewollt und sinn-voll, dennoch geschieht dies oft mitKenntnis der jeweiligen ausländischen

<82 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Spionageabwehr <83

Nachrichtendienste. Relevante Staatenmit solchen illegalen Beschaffungsme-thoden sind insbesondere Iran, Nordko-rea und Pakistan.

Beispiel hierfür ist der Bereich Elektro-technik im Verbund mit dem Einsatz vonZentrifugen im Prozess der Urananrei-cherung. Hier gibt es immer wieder Ver-dachtsmomente, dass ausländischeNachrichtendienste eigene Gastwissen-schaftler unter Druck setzen, um das ge-wünschte technische Know-how zu er-langen. Ein weiteres Beispiel fürnachrichtendienstliche Steuerung ist derForschungsaustausch von Universitäts-instituten in dem Sektor chemisch-bio-logischer Verfahren.

Cyber-Spionage | Im Rahmen der ge-setzlich festgeschriebenen föderalenAufgabenteilung analysieren die Sicher-heitsbehörden auf Bundesebene mög-liche Bedrohungen der eigenen digi -talen Kommunikationssysteme undüberprüfen diese auf mögliche Anhalts-punkte für Ausspähmaßnahmen. DieseMaßnahmen schließen die Regierungs-netze sowie die Systeme zur elektroni-schen Übermittlung und Verarbeitungvon Dateien ein.

Hinweise zu Cyberspionageaktivitätengegen Stellen in Hessen konnten im Be-richtszeitraum zu russischen, iranischenund chinesischen Gruppierungen beob-achtet werden.

Während bei russischen Aktivitäten ins-besondere staatliche und politische Ein-richtungen im Fokus standen, konnte beiiranischen und chinesischen Aktivitäten

auch ein andauerndes Interesse an wirt-schaftlichen Zielen, insbesondere in For-schungsbereichen festgestellt werden.

Bei staatlich gelenkten Cyberangriffenwar ebenso wie bei Akteuren aus demCybercrime eine Entwicklung hin zu An-griffen auf mobile Endgeräte zu beob-achten. Staatlich gesteuerte Angreiferkompromittierten gezielt WLAN-Netzeund setzten vermehrt Malware für mo-bile Betriebssysteme wie zum BeispielAndroid ein.

IT-gestützte Spionage | In den Bereichder IT-gestützten Spionage fallen nichtnur die Informationsbeschaffung, son-dern auch Aktivitäten, die auf das Schä-digen bzw. die Sabotage dieser Systemezielen. Elektronische Angriffe werdendabei oft durch die Informationsbe-schaffung seitens menschlicher Quellenergänzt. Diese Methode ist kostengüns-tig, in Realzeit durchführbar und besitzteine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit.Ernsthafte politische oder strafrechtlicheRisiken für die Urheber der Angriffe be-stehen nicht. Von IT-gestützter Spionagekönnen sowohl Behörden und öffentli-che Stellen als auch Wirtschaftsunter-nehmen und Forschungseinrichtungenbetroffen sein.

Der tatsächliche Umfang des Schadens,der durch Wirtschafts- und Konkurrenz-spionage entsteht, ist weitgehend unbe-kannt. Oft melden Unternehmen derar-tige Sicherheitsvorfälle den staatlichenStellen nicht, da sie eine Rufschädigungfürchten. Im Zuge der zunehmendenVernetzung und der steigenden Abhän-gigkeit von IT-Infrastrukturen ist dieses

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Thema hochbrisant. Es ist besonderswichtig, dass betroffene UnternehmenSpionagesachverhalte bzw. bereits Ver-dachtsmomente den Sicherheitsbehör-den offensiv anzeigen, um sie zu ver -folgen und Schutzmaßnahmen zuergreifen.

Im Berichtszeitraum gingen beim Verfas-sungsschutz eine Vielzahl an Verdachts-fällen hinsichtlich IT-gestützter Wirt-

schaftsspionage gegen hessische Unter-nehmen und Institutionen ein. Das LfVprüft diese Hinweise in Zusammenarbeitmit den Sicherheitsbehörden von Bundund Ländern und hilft den Betroffenenbei der Abwehr weiterer Angriffe. Häufigwaren Forschungseinrichtungen undforschungsintensive Branchen, wie zumBeispiel die Medizin- und Pharmabran-che, betroffen.

Regeln für Reisende

Gefahren drohen nicht nur, wenn sichein Benutzer weltweit im Internetbewegt oder entsprechende Kommuni-kationsmittel benutzt. Gefahren entste-hen auch bei Reisen in Länder, in denendie Verhältnisse politisch instabil sind,Unruhen herrschen oder sich Krisen aus-gebreitet haben. Der Aufenthalt in sol-chen Ländern ist stets mit einem hohenRisiko behaftet. Das persönliche Verhal-ten in solchen Regionen erfordertgrößte Vorsicht und ständige Aufmerk-samkeit.

Vor allem die Konflikte in Regionen Af-ghanistans sowie in Pakistan undSyrien/Irak, in denen Stammeszugehö-rigkeiten oder Glaubensgemeinschaftenüber gemeinsame Grenzen hinausrei-chen, stellen für Reisende ein besonde-res Sicherheitsproblem dar. Es bestehtdie Gefahr von Attentaten, Überfällen,Entführungen und anderen Gewaltver-brechen. Bei Reisen in Länder wie Chinaund Russland können Angehörige un-

liebsamer Minderheiten von erhebli-chem Interesse für die dortigen Nach-richtendienste sein. Dies trifft auch aufReisende zu, die über besonderes Wis-sen in Wirtschaft, Technik und Politik ver-fügen.

Wirtschaftsreisende und Teilnehmer po-litischer Delegationen sollten bei Besu-chen in solchen Staaten einige Regelnbeachten, um im Rahmen der vor Ortnotwendigen Kommunikation den un-nötigen Abfluss von Daten zuverhindern bzw. zu minimieren:

Telekommunikation so weit wie mög-•lich einschränken.Nur eigene Kommunikationsmittel•nutzen und Sprechdisziplin einhal-ten. Kein Kommunikationsmittel desGastgebers zum Austausch sensiblerInformationen verwenden.Informationen auf mehrere Kommuni-•kationsmittel sowie getrennte inhaltli-che Nachrichten aufteilen (E-Mail, Te-lefon, persönliche Gespräche).

<84 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Spionageabwehr <85

Bei Besprechungen Akku aus dem•Handy entfernen oder zumindest un-genutzte Schnittstellen (zum BeispielBluetooth, Infrarot, WLAN) deaktivie-ren.Laptops, Tablets, USB-Sticks, Handys,•Smartphones, Navigationsgeräteoder andere elektronische Gerätenicht aus der Hand geben bzw. nichtim Hotel zurücklassen.Überwachungen im Hotel einkalku-•lieren.Nur absolut notwendige Daten auf•(externen) Medien speichern.Sich des mangelnden Schutzes von•Patenten und Gebrauchsmustern be-wusst sein. Bei der Übertragung undLizenzierung von Patenten in Chinaist das Patentgesetz peinlich genauzu beachten. Das „Patent Law of thePeople’s Republik of China“ lässt dieÜbertragung von Rechten an Auslän-der nur mit der Erlaubnis der Regie-rung zu.

Auch bei Privatreisen empfiehlt es sich,einige Verhaltensregeln einzuhalten:

Visa- und Meldebestimmungen so-•

wie die Vorschriften bezüglich derEin- und Ausfuhr von Devisen beach-ten.Jede Beteiligung an illegalen Trans-•aktionen, unter anderem den Geld-tausch auf der Straße und den Kaufgefälschter Gegenstände, vermei-den.Sonstige Ein- und Ausfuhrbestim-•mungen beachten.Fotografier- und Filmverbote befol-•gen.Keine negativen Äußerungen über•das Gastland und sein Gesellschafts-system tätigen.Bei unverschuldetem oder auch ver-•schuldetem Fehlverhalten gegen-über Behörden sofort die nächste di-plomatische oder konsularischeVertretung der BundesrepublikDeutschland verständigen (schonvor Reisebeginn entsprechende Da-ten beschaffen).Vorsicht bei Taxifahrten walten lassen•und ein Fahrzeug eines öffentlichenTaxistands nehmen.Menschenmengen und Demonstra-•tionen meiden.

Straftatbestand „Spionage“/Agententätigkeit

Geheimdienstliche (Agenten-)Tätigkeitim Geltungsbereich des Grundgesetzesfür eine fremde Macht, das heißt einenNachrichtendienst eines fremden Staats,ist kein „Kavaliersdelikt“. Das Strafge-setzbuch (StGB) sieht dafürempfindliche Freiheitsstrafen vor. DasStGB bietet jedoch Möglichkeiten, so-

wohl strafbefreiend vom Versuch zu-rückzutreten als auch sogar bei bereitsvollendeten Delikten Strafbefreiungoder -milderung zu erlangen. Erforder-lich hierfür ist sogenannte tätige Reue,also ein ausreichender Beitrag zur Scha-densverhinderung bzw. -begrenzungseitens des Täters. Dann kann unter be-

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stimmten weiteren Voraussetzungenvon der Verfolgung der Tat oder von derBestrafung abgesehen werden. Der Ge-setzgeber sieht es als ausreichend an,wenn der Täter sein gesamtes mit der Tatzusammenhängendes Wissen einerDienststelle – zum Beispiel einer Verfas-sungsschutzbehörde – offenbart.

Zur strafrechtlichen Verfolgung derSpionage stehen im Wesentlichen zweiStraftatbestände zur Verfügung: DerLandesverrat gemäß § 94 StGB und diegeheimdienstliche Agententätigkeit ge-mäß § 99 StGB.

Der Landesverrat gemäß § 94 StGB setztvoraus, dass der Betroffene Zugang zuStaatsgeheimnissen hat. Nach Definitionder Generalbundesanwaltschaft für Lan-desverrat liegt die Bedeutungsschwelleder Information, für die ein Geheimnis-verrat vorliegen kann, sehr hoch.

Als geheimdienstliche Agententätigkeit(§ 99 StGB) definiert der Generalbun-desanwalt

„jede auf die Beschaffung von Informa-tionen für einen fremden Nachrichten-dienst gerichtete Tätigkeit, die deutscheSicherheitsinteressen beeinträchtigenkann. […] Erfasst wird auch die Ausspä-hung von in Deutschland lebenden Aus-ländern für Nachrichtendienste ihrerHeimatländer, die auf diese Weise Re-gimekritiker unter Kontrolle zu halten su-chen, sofern auch die Interessen derBundesrepublik Deutschland betroffensind. […] Tathandlung kann jedes Ver-halten sein, mit dem sich der Täter in denDienst des fremden Geheimdienstes

stellt. Dazu gehören Tätigkeiten mit typi-schen nachrichtendienstlichen Mitteln[…] genauso wie Allerweltshandlungen,die ihrem äußeren Erscheinungsbildnach völlig unauffällig sind. Die Informa-tionsbeschaffung braucht nur das Fern-ziel der Tätigkeit zu sein, erfasst wirdauch die logistische Unterstützung –[…] der Transport, die Observation usw.Das Erscheinungsbild der Spionage än-dert sich mit den Aufträgen und passtsich ihnen an. […] Der Geheimdienst ei-ner fremden Macht ist als solcher häufigschwer erkennbar. Für den Straftatbe-stand kommt es in objektiver Hinsichtund für den erforderlichen Vorsatz desTäters entscheidend auf die Fakten an,die einen Geheimdienst ausmachen:Eine Einrichtung eines fremden Staates,die in organisierter Weise Informationenheimlich beschafft und hierdurch deut-sche Interessen verletzt.“

<86 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Spionageabwehr <87

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Geheim- undWirtschaftsschutz

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Geheim- und Wirtschaftsschutz <89

Aufgaben/Ziele

Das Arbeitsfeld des LfV umfasst nichtnur die Beobachtung extremistischerBestrebungen, sondern erstreckt sichauch auf den sogenannten Geheim- undWirtschaftsschutz.

In den Bereich Geheimschutz fällt ins besondere die Mitwirkung des Verfassungsschutzes im Rahmen vonSicherheits überprüfungen nach demHessischen Sicherheitsüberprüfungsge-setz (HSÜG). So unterstützt das LfV Be-hörden und Unternehmen, die mit staat-

lichen Verschlusssachen umgehen müs-sen, bei der Bewältigung dieser Sicher-heitsaufgaben.

Ziel des Wirtschaftsschutzes ist es, Un-ternehmen in ihrem Bemühen zu unter-stützen, sich vor Ausspähung zu schüt-zen. Die gesammelten Erfahrungen unddas methodische Wissen des Verfas-sungsschutzes bilden dabei die Grund-lage für eine präventive Arbeit zumKnow-how-Schutz in Wirtschaft, Wissen-schaft und Forschung.

Geheimschutz

Definition/Aufgaben | Informationen,die als Verschlusssache eingestuft sind,bedürfen bei ihrer Bearbeitung und Auf-bewahrung eines besonderen Schutzes.Dies gilt für öffentliche Stellen und diePrivatwirtschaft gleichermaßen. Der Ge-heimschutz befasst sich mit dem ord-nungsgemäßen Umgang mit Ver-schlusssachen, das heißt mit imstaatlichen Interesse geheim zu halten-den Informationen, die Unbefugtennicht zur Kenntnis gelangen dürfen. Ent-sprechende Maßnahmen richten sichnach der Verschlusssachenanweisung(VSA) des Landes Hessen.

Das LfV berät alle Behörden und Unter-nehmen in Hessen, die Umgang mit Ver-schlusssachen haben. Es informiert, wieVerschlusssachen durch geeignete per-sonelle und materielle Maßnahmen vor

unberechtigtem Zugriff geschützt wer-den können. Staatliche Verschluss sachenwerden durch eine Vielzahl von Maßnah-men personeller und organisatorisch-technischer Natur geschützt (personellerund materieller Geheimschutz).

Personeller Geheimschutz | Zweck despersonellen Geheimschutzes ist es, zuverhindern, dass mit einem Sicherheits-risiko behaftete Personen Zugang zuVerschlusssachen erhalten oder an si-cherheitsempfindlicher Stelle innerhalbvon lebens- oder verteidigungswichti-gen Einrichtungen beschäftigt werden.Ein Sicherheitsrisiko besteht zum Bei-spiel bei:

Unzuverlässigkeit,•fehlender Verfassungstreue,•Erpressbarkeit durch Überschuldung•und

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bei besonderer Gefährdung durch•Werbungsversuche ausländischerNachrichtendienste, insbesonderebei Reisen in entsprechende Länder.

Bevor eine Person zum Umgang mit Ver-schlusssachen ermächtigt wird, musseine Sicherheitsüberprüfung durchge-führt werden. Hierbei ist das LfV mitwir-kende Behörde, die auf Ersuchen derzuständigen Stelle tätig wird. Sicher-heitsüberprüfungen im Rahmen des Geheimschutzes in der Wirtschaft veran-lasst das Hessische Ministerium für Wirt-schaft, Energie, Verkehr und Landes -entwicklung. Im HSÜG sind dieVerfahrensabläufe für unterschiedlicheÜberprüfungsarten geregelt. Eine Über-prüfung findet nur mit Einwilligung desBetroffenen statt. Im Rahmen der Mitwir-kung an Sicherheitsüberprüfungen wur-den im Jahr 2017 470 Überprüfungenabgeschlossen.

Die Mitwirkung bei Sicherheitsüberprü-fungen von Beschäftigten an sicherheits-empfindlichen Stellen in lebenswichti-gen oder verteidigungswichtigen Ein-richtungen (Sabotageschutz) ist seit2013 ebenfalls Aufgabe des Verfas-sungsschutzes. In diesem Zusammen-hang wurden im Berichtsjahr zusätzlich406 Sicherheitsüberprüfungen abge-schlossen.

Materieller Geheimschutz | Der mate-rielle Geheimschutz umfasst organisato-rische und technische Maßnahmen. Siesind im Wesentlichen in der VSA zusam-mengefasst, die sich auch an die Unter-nehmen in Hessen richtet. Die VSAregelt unter anderem die Herstellung,Aufbewahrung und Vernichtung vonVerschlusssachen. Das LfV hat auch hiereine mitwirkende Funktion, das heißt, esberät und unterstützt Dienststellen undgeheimschutzbetreute Unternehmen,die Verschlusssachen erstellen und be-arbeiten.

Wirtschaftsschutz

Definition/Aufgaben | Aufgabe des Ver-fassungsschutzes ist es, Spionageaktivi-täten zu verhindern und die Wirtschaftdurch Beratung und Aufklärung vor sol-chen Angriffen zu schützen. Hierzu ist esnotwendig, die Sensibilität von Unter-nehmen und wissenschaftlichen Einrich-tungen gegenüber Gefahren, die durchAngriffe drohen, zu erhöhen, Kenntnisseüber Methoden und Ziele ausländischerNachrichtendienste zu vermitteln und

Hilfestellung beim Einsatz geeigneterSchutzmaßnahmen zu leisten („Präven-tion durch Information“).

Die Erfahrungen und das methodischeWissen des Verfassungsschutzes bildendie Grundlage für die präventive Arbeitim Wirtschaftsschutz. Es liegt im staatli-chen Interesse, einen Beitrag zum Know-how-Schutz in Wirtschaft, Wissenschaftund Forschung zu leisten. Zur erfolgrei-

<90 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Geheim- und Wirtschaftsschutz <9<

chen Bekämpfung dieser Herausforde-rung ist daher eine intensive Zusammen-arbeit zwischen Wirtschaft und Verfas-sungsschutz nötig.

Das LfV als Ansprechpartner | Ziel desWirtschaftsschutzes des LfV ist es, zumBeispiel bei Unternehmen, Forschungs-einrichtungen und Verbänden das Sicherheitsbewusstsein nachhaltig zufestigen und mit klein- und mittelständi-schen Firmen in Hessen eine vertrauens-volle Sicherheitspartnerschaft zu entwi-ckeln.

Wer einen Ausspähversuch vermutet,Angriffe auf Informations- und Kommu-nikationstechnik feststellt oder allge-meine Fragen zum Schutz von Know-how hat, kann sich unter folgendenKontaktdaten an den Wirtschaftsschutzdes LfV wenden:

Telefonnummer: 0611-720600E-Mail-Adresse: wirtschaftsschutz@

lfv.hessen.de

Zur vertraulichen Kommunikation bietetdas LfV verschiedene verschlüsselteÜbertragungswege an. Weitere Informa-tionen hierzu erhalten Sie auf der Home-page des LfV unter

lfv.hessen.de/presse/anfragen-oder-be-ratung-zum-thema-wirtschaftsschutz

oder bei einem persönlichen Kontakt.

Das LfV bietet eine vertrauliche Zusam-menarbeit an. Das umfangreiche Prä-ventionsangebot des LfV enthält unteranderem folgende Komponenten:

Vorträge und Hintergrundgespräche•zur Wirtschaftsspionage allgemein,Vorträge und Hintergrundgespräche•zu IT-gestützter Spionage,Hintergrundgespräche zu Spionage-•aktivitäten bestimmter Länder (zumBeispiel China, Russland, Iran),Beratung vor Auslandsreisen,•Überlassung von Publikationen zu•spionagerelevanten Themen (zumBeispiel Besuchermanagement, Ein-bruchsdiebstahl, soziale Netzwerkeusw.),Informationsaustausch zu bekannten•Spionagefällen (sowohl klassischeSpionage als auch IT-gestützte Spio-nage).

Gerade auf dem Gebiet der Cyberan-griffe ist in diesem Rahmen ein weitest-gehend anonymisierter Informations-austausch möglich. Rein technischeInformationen können in Form von so-genannten Indicators of Compromisezwischen Sicherheitsbehörden und Wirt-schaftsunternehmen ausgetauscht wer-den, um sich gemeinsam vor Angriffenzu schützen.

Auf Seiten der Unternehmen liegt oft-mals nur ein diffuser Anfangsverdachtvor: Eine verdächtige E-Mail oder dieBefürchtung, dass auf einer Geschäfts-reise ein unbefugter Dritter Zugriff aufein mobiles Endgerät wie zum Beispielein Smartphone oder ein Laptop hatte.Manchmal hat auch die unternehmens-eigene IT-Abteilung bemerkt, dass einVerbindungsaufbau zu einer oder voneiner unbekannten IP-Adresse stattfand.

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Diesen Spuren nachzugehen, sie richtigeinzuordnen und zu bewerten, ist eineder Aufgaben des Wirtschaftsschutzes.Das LfV gibt den Betroffenen ein erstesFeedback, ob es sich wirklich um einengezielten Angriff handelte oder ob ähn-liche Angriffe in der Fläche festzustellensind. Die Erstbewertung des LfV gibtAufschluss, ob es sich um Cybercrimeoder gezielte Spionage handelt.

Im Berichtszeitraum intensivierte das LfVseine präventive Arbeit im Bereich desWirtschaftsschutzes weiter. Insgesamtwurden über 100 Präventions- und Be-ratungstermine bei Unternehmen direktund bei Verbänden und Vereinen alsMultiplikatoren durchgeführt.

So wurden im Rahmen der 2016 ge-schlossenen Sicherheitskooperation mitdem Verband für Sicherheit in der Wirt-schaft e. V. (VSW) neue, gemeinsameWorkshops mit Firmenvertretern etab-liert.

Der Wirtschaftsschutz des LfV war aufdem 2. Cybersicherheitsgipfel des Lan-des Hessen vertreten und unterstütztebei verschiedenen Formaten der Indus-trie- und Handelskammern in Hessenmit Fachvorträgen.

Insbesondere Firmen aus Know-how-in-tensiven Branchen wie Luft- und Raum-fahrt, Chemie, Medizin und Pharma bie-tet das LfV im WirtschaftsschutzUnterstützung bei der Aufklärung vonSpionagesachverhalten an.

Auch Unternehmen, die den sogenann-ten kritischen Infrastrukturen (KRITIS) zu-

zurechnen sind, stehen im Austausch mitdem LfV, um sich vor möglichen Gefah-ren durch Spionage und Sabotage zuschützen.

<92 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Geheim- und Wirtschaftsschutz <93

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Mitwirkungsaufgabendes LfV

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Mitwirkungsaufgaben des LfV <95

Gesetzlicher Auftrag | Neben der Beob-achtung extremistischer Bestrebungenals Kernaufgabe des Verfassungsschut-zes kommt dem LfV die wichtige Auf-gabe zu, auf Ersuchen von Behörden beider Überprüfung von Antragstellern mit-zuwirken. Eine Behörde kann nur dannein Ersuchen zur Mitwirkung an das LfVrichten, wenn dies gesetzlich vorgese-hen ist (§ 2 Abs. 5 Nr. 4 des Gesetzesüber das Landesamt für Verfassungs-schutz Hessen).

Das LfV trägt mit seinen Erkenntnissenund Empfehlungen dazu bei, dass etwaExtremisten weder ihren Aufenthalt inder Bundesrepublik Deutschland verfes-tigen können noch Zugang zu sicher-heitsempfindlichen Infrastrukturen er-halten.

Erteilung von Aufenthaltstiteln | Soübermitteln die Ausländerbehörden vorErteilung oder Verlängerung eines Auf-enthaltstitels die personenbezogenenDaten des Antragstellers zwecks Fest-stellung von Versagungsgründen an dasLfV (§ 73 Abs. 2 des Gesetzes über denAufenthalt, die Erwerbstätigkeit und dieIntegration von Ausländern im Bundes-gebiet – AufenthG). Werden dem LfVnachträglich sicherheitsrelevante Infor-mationen bekannt, ist das LfV verpflich-tet, diese mitzuteilen (sogenannte Nach-berichtspflicht nach § 73 Abs. 3AufenthG).

Einbürgerung | Auch bei Einbürge-rungsbewerbern, die das 16. Lebensjahrvollendet haben, fragen die Regierungs-präsidien vor ihrer Entscheidung im Ein-bürgerungsverfahren beim LfV nach Er-

kenntnissen an (§§ 32, 37 Abs. 2 desStaatsangehörigkeitsgesetzes – StAG).

Visumverfahren | Beantragt ein Auslän-der aus einem konsultationspflichtigenStaat bei einer Auslandsvertretung einVisum zur Einreise nach Deutschlandbzw. in das Gebiet der Schengener Staa-ten, ist eine Vielzahl inländischer Stellen,wie etwa die nationalen Sicherheitsbe-hörden, zu beteiligen. Zur Feststellungvon Versagungsgründen oder von sons-tigen Sicherheitsbedenken ist dabeieine Übermittlung von personenbezo-genen Daten über das Bundesverwal-tungsamt (technischer Dienstleister) andas BfV möglich. Ergibt sich bei einemautomatisierten Datenabgleich mit demNachrichtendienstlichen Informations-system (NADIS) von Bund und Länderneine Eintragung des LfV, wird das LfV andem Verfahren beteiligt (§ 73 Abs. 1 Auf-enthG).

Konsultationsverfahren im Asylprozess |Seit 2017 wird bei unerlaubt eingereis-ten bzw. aufhältigen Personen sowie beiAsyl- und Schutzsuchenden mit der Erst-registrierung im Ausländerzentralregis-ter ein automatisierter Sicherheitsab-gleich initiiert, an dem das LfV –vergleichbar dem Visumsverfahren – be-teiligt wird (§ 73 Abs. 1a, 3a AufenthG).

Überprüfung der Zuverlässigkeit | Fer-ner wirkt das LfV etwa bei der Zuverläs-sigkeitsüberprüfung nach dem Spreng-gesetz (SprengG), Luftsicherheitsgesetz(LuftSiG) und Atomgesetz (AtomG) mit.Werden bei der Zuverlässigkeitsüber-prüfung nach dem LuftSiG bzw. AtomGim Nachhinein Informationen bekannt,

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die für die Beurteilung der Zuverlässig-keit von Bedeutung sind, besteht für dasLfV eine Nachberichtspflicht. Auch Per-sonen, die ein Bewachungsgewerbe be-treiben oder als Wachperson arbeitenwollen, unterliegen einer Zuverlässig-keitsüberprüfung durch das LfV (§ 34ader Gewerbeordnung – GewO).

Das LfV wertet im Rahmen seiner Mitwir-kungsaufgaben allein die ihm bereitsvorliegenden Erkenntnisse aus. Der Ein-satz nachrichtendienstlicher Mittelkommt im Rahmen der Mitwirkungsauf-gaben nicht in Betracht.

Zahlen | Wurden im Jahr 2016 noch152.985 Mitwirkungsanfragen an dasLfV gerichtet, betrug ihre Zahl für dasJahr 2017 bereits 182.454. Damit stiegdie Zahl der Mitwirkungsanfragen ge-genüber dem Vorjahr um fast 20

Prozent. Hierbei ist insbesondere einsignifikanter Anstieg bei den Anfragender Ausländerbehörden zu verzeichnen(2017: 88.987, 2016: 66.604).

Zu den anfragestärksten Mitwirkungs-aufgaben zählen insbesondere die Beteiligung bei Aufenthaltstiteln, Ein -bürgerungen, Visa und die Zuverlässig-keitsüberprüfungen nach dem Luftsi-cherheitsgesetz.

<96 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

Sonstige Bewacht/HEAE/Akkreditierung

Einbürgerung VISA LuftSiG Aufenthalt

1.494 2.468

11.721

2016

Anzahl der Anfragen

2017

8.833 21

.38

2

19

.68

9

27

.85

5

29

.92

6

23

.92

9

32

.55

1

66

.60

4

88

.98

7

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Mitwirkungsaufgaben des LfV <97

Aufenthalt49%

Sonstige1%

Bewach/HEAE/Akkreditierung5%

Einbürgerung11%

VISA16%

LuftSiG18%

Prozentualer Anteil der Anfragen

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Glossar undAbkürzungsverzeichnis

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis <99

AfDAlternative für Deutschland.

ag5antifaschistische gruppe 5.

AKKAntikapitalistisches Kollektiv.

AKPAdalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung).

Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag)… ist ein jährlich am letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan stattfindender schii-tischer „Gedenktag“, den der damalige iranische Religionsführer Ruhollah MusawiChomeini (1902 bis 1989) im Jahr 1979 im Iran nach seiner Rückkehr aus dem fran-zösischen Exil ausgerufen hatte. Mit dem al-Quds-Tag, an dem weltweit Demonstra-tionen stattfinden, soll den Palästinensern Solidarität für ihren „Befreiungskampf“ausgesprochen werden.

AMGTAvrupa Millî Görüş Teskilatları (Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V.).

AMISOMAfrican Union Mission in Somalia.

AMKAAmt für multikulturelle Angelegenheiten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main.

AnarchismusDer „klassische“ Anarchismus entstand als erste Absplitterung vom Kommunismusaus einem Streit zwischen den Anhängern von Karl Marx (1818 bis 1883) und demrussischen Revolutionär Michail A. Bakunin (1814 bis 1876). Der Anarchismus gehörtzu den revolutionären gesellschaftspolitischen Bewegungen. Sein Ziel ist eine herr-schaftsfreie Gesellschaft, die im Unterschied zum Sozialismus und Kommunismusnicht nur eine klassenlose oder genossenschaftliche, sondern auch von jedwedemunnötigen institutionellen Überbau befreite sein soll. Es wird daher jede Form derRegierung, ob Monarchie, Republik, Diktatur oder Demokratie, abgelehnt. Das be-deutet jedoch nicht, dass im Anarchismus jede gesellschaftliche Ordnung aufgeho-ben werden soll, vielmehr soll diese auf der Basis völliger Freiwilligkeit geordnetwerden. Im Gegensatz zum Marxismus-Leninismus vertraut der Anarchismus auf dieSpontaneität der Massen und nicht auf die organisierte Revolution durch eine Partei.

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Nach anarchistischer Auffassung führt der Drang des Menschen zur Selbstbestim-mung zu einer sozialen (nicht politischen) Revolution, durch die von der Basis hereine anarchistische Gesellschaftsform entsteht. Im Gegensatz zu anderen linksextre-mistischen Richtungen fehlen dem Anarchismus eine verbindliche Theorie und ge-meinsame Organisationsstrukturen. In seiner Entwicklung bildeten sich daher ver-schiedene politische Ausrichtungen, deren Verhältnis untereinander zum Teilspannungsgeladen war und ist. Als Denkrichtungen werden unterschieden: Indivi-dual-Anarchismus, Sozial-Anarchismus, Anarcho-Kommunismus, Anarcho-Syndika-lismus und Anarcho-Liberalismus.(Vgl. http://www.mik.nrw.de/verfassungsschutz/linksextremismus/ideologie-undbegriffe/anarchismus.html, abgerufen im Mai 2017.)

ANFAjansa Nûçeyan a Firatê (Firatnews Agency).

„Antifaschismus“„Antifaschismus“ als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ableh-nung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmenjedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass derkapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daherrichtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintlicheRechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, ins-besondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. (Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar, abgerufen im Mai 2017.)

„Antiimperialismus“Der Imperialismus, bei dem russischen revolutionären Politiker Lenin (eigentlich Wla-dimir I. Uljanow, 1870 bis 1924) als „höchstes Stadium des Kapitalismus“ definiert,ist für Linksextremisten ein Gegenstand heftigster Ablehnung. Nach der klassischenmarxistisch-leninistischen Imperialismus-Theorie neigen „kapitalistische“ Ökonomienund Staaten dazu, sich zur Maximierung des Profits Märkte für Rohstoffe,Arbeitskräfte und den Absatz von Produkten notfalls gewaltsam zu erschließen, waszu Kolonialismus und Kriegen zwischen „kapitalistischen“ Staaten führe. DieseAnalyse legt für Linksextremisten eine „antiimperialistische“ und „internationalisti-sche“ Ausrichtung nahe: Sie verstehen sich als solidarisch mit den „um ihre nationaleBefreiung von kolonialistischer Ausbeutung kämpfenden Völkern“, falls letztere ein„sozialistisches“ Regime errichten wollen.(Vgl. http://www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/33626/antideutsch-eund-antiimperialisten?p=all, hier die komplette Fassung des – aufgrund seines gro-ßen Umfangs – oben stark gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2018.)

200 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 20<

„Antikapitalismus“Aus linksextremistischer Sicht kennzeichnen den „Kapitalismus“ nicht nur soziale Miss-stände, sondern auch gesellschaftspolitische Phänomene wie Faschismus, Rechtsex-tremismus, Rassismus, Repression, Gentrifizierung und Militarismus. Umso wichtigererscheint Linksextremisten folglich der „antikapitalistische Kampf“. Insbesondere dieglobale Wirtschafts- und Finanzkrise bildet vor diesem Hintergrund den Bezugsrahmenfür verschiedene Protestaktionen unter Beteiligung von Linksextremisten. Im Fokus dersogenannten Krisenproteste steht dabei Frankfurt am Main, deutsche Finanzmetropoleund zugleich Sitz der Europäischen Zentralbank, die unter Linksextremisten gleichsamals Symbol der „kapitalistischen Gesellschaft“ gilt („Haut den Banken auf die Pranken“).(Vgl. Linksextremismus. Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale. Hrsg. v.Bundesamt für Verfassungsschutz. Köln 2016, S. 26.)

Antisemitismus… ist ein zentrales Ideologieelement des Rechtsextremismus, ist aber auch im Isla-mismus sowie im Linksextremismus und Extremismus mit Auslandsbezug von Be-deutung. Insgesamt zielt der Antisemitismus auf die Diffamierung und Diskriminie-rung einer angeblichen Gesamtheit „der Juden“ ab.Der rechtsextremistische Antisemitismus baut insbesondere auf dem rassistischenWeltbild des Nationalsozialismus auf, welches das Judentum als „nichtdeutsche,fremde Rasse“ definierte und diesen „Feind der eigenen Rasse“ „ausmerzen“ wollte.Nicht zuletzt aufgrund der strafrechtlichen Konsequenzen meiden Rechtsextremistenin ihrer Propaganda offenen, rassistisch motivierten Antisemitismus. Vielmehrweichen sie auf einen nur angedeuteten Antisemitismus aus, indem sie einen über-mäßigen politischen Einfluss von Juden unterstellen. Oftmals findet antisemitischePropaganda nur unterschwellig statt, unter anderem durch subtil judenfeindlich ge-färbte Zeitungsartikel oder Anspielungen. Rechtsextremisten nutzen die mitunter inPolitik und Gesellschaft geäußerte Kritik an der Politik Israels, um dessen Existenz-berechtigung in Frage zu stellen. Rechtsextremistische Gleichsetzungen der israeli-schen Politik mit den nationalsozialistischen Verbrechen an Juden sind ein gängigesMuster des antizionistischen Antisemitismus.Auch Islamisten sehen Israel bzw. „die Zionisten“ als Feinde an. Je nach Standort imislamistischen Spektrum wird den Juden mehr oder weniger offen die verschwöre-rische Manipulation „westlicher“ Staaten, vor allem der USA, unterstellt. Die jüdischeEinwanderung in Palästina, die Entstehung des Staats Israel und der ungelöste Nah-ost-Konflikt waren Auslöser für das Entstehen des islamistischen Antizionismus.Dieser war und ist stark antijüdisch gefärbt, insofern auch auf die prinzipielle, nachAuffassung von Islamisten im Koran belegte und durch die islamistische Geschichts-auffassung gestützte „ewige“ Feindschaft „der Juden“ gegen die Muslime bzw. denIslam Bezug genommen wird. Im Unterschied zum Antisemitismus deutscher Rechts-extremisten ist der islamistische Antisemitismus nicht rassistisch begründet.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar, abgerufen im März 2016.)

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Apo… ist die in der PKK übliche Bezeichnung für ihren inhaftierten Anführer AbdullahÖcalan.

Arab.Arabisch.

A.R.A.G.Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen.

Art.Artikel.

ATİKAvrupa Türkiyeli İşçiler Konfederasyonu (Konföderation der Arbeiter aus der Türkeiin Europa).

AUAfrikanische Union.

AUFAntifa United Frankfurt.

BAFABundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

BAMFBundesamt für Migration und Flüchtlinge.

B.A.S.H.Bündnis antifaschistischer Strukturen Hessen.

BCBoxclub.

BfVBundesamt für Verfassungsschutz.

BGBBürgerliches Gesetzbuch.

202 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 203

BKABundeskriminalamt.

BNDBundesnachrichtendienst.

BPjMBundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

BPolBundespolizei.

BRD… ist eine nichtoffizielle Abkürzung für die Bundesrepublik Deutschland.

CDKKoordînasyona Civaka Demokratîk a Kurdistan (Koordination der kurdisch-demokra-tischen Gesellschaft).

Cybergefahren… sind Gefährdungen, die den durch das Internet über territoriale Grenzen hinwegweltweit erreichbaren Informationsstrukturen drohen, zum Beispiel Sabotage, Da-tendiebstahl und -manipulation.

DAPDeutsche Arbeiterpartei.

da’waPolitische Salafisten versuchen, ihre Ideologie durch intensive Propagandaaktivitätenzu verbreiten. Dadurch wollen sie Staat und Gesellschaft in einem langfristigen Pro-zess nach salafistischen Normen umgestalten. Diese da’wa-Arbeit (arab. für Missio-nierung) betreiben sie insbesondere im Internet, über Musik sowie im Rahmen vonInfoständen, Islamseminaren und Benefizveranstaltungen. Die zunehmend profes-sionelle Verbreitung der salafistischen Ideologie übt eine beträchtliche Anziehungs-kraft aus auf vor allem junge, emotional und sozial noch nicht gefestigte Muslime,darunter auch Konvertiten. Für eine Reihe von Personen aus dem salafistisch-jiha-distischen Bereich sind die da’wa-Aktivitäten ein wesentlicher Baustein in ihrer Ra-dikalisierungsbiographie.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/islamismus/definition/strategie/dawa-arbeit/index.html, abgerufen im April 2017.)

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DGBDeutscher Gewerkschaftsbund.

DHKP-CDevrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front).

DKPDeutsche Kommunistische Partei.

DSDeutsche Stimme.

dt.Deutsch.

e. V.Eingetragener Verein.

ECFREuropean Council for Fatwa and Research (Europäischer Rat für Fatwa und Islamstu-dien).

EIHSEuropean Institute of Human Sciences [in Großbritannien] (Europäisches Institut fürHumanwissenschaften).

EIHWEuropäisches Institut für Humanwissenschaften in Deutschland e. V.

EMRKEuropäische Menschenrechtskonvention.

EMUGEuropäische Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft e. V.

EthnopluralismusMit dem Begriff Ethnopluralismus bezeichnet die sogenannte Neue Rechte ein Theo-riekonzept, das den für Rechtsextremisten typischen Rassismus neu und weniger an-greifbar begründen soll. Kritiker nennen ihn einen „Rassismus ohne Rassen“. DasWort „Ethnopluralismus“ – zusammengesetzt aus dem griechischen ethnos (Volk)und dem lateinischen pluralis (Mehrzahl) – propagiert eine Völkervielfalt. Es wurdegeprägt von Henning Eichberg, einem der wichtigsten deutschen Theoretiker der

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 205

Neuen Rechten. Vorläufer des Konzepts finden sich aber schon bei Carl Schmitt. DasGrundsatzprogramm der NPD enthält deutliche ethnopluralistische Elemente.Wie klassische Rassisten behaupten auch Ethnopluralisten, es gebe grundsätzlicheund unveränderliche Eigenschaften von Menschengruppen – und jede Gruppe seiumso besser und stärker, je ähnlicher sich ihre jeweiligen Angehörigen seien. Dabeivermeiden Ethnopluralisten aber biologistische Argumentationen, eine Abstam-mungsgemeinschaft oder genetische Homogenität wird von ihnen nicht mehr offengefordert. Stattdessen behaupten sie, Völker besäßen unveränderliche kulturelleIdentitäten, die vor fremden Einflüssen zu schützen seien. Dass sämtlichemenschliche Kulturen das Ergebnis gegenseitiger Beeinflussung sind, wird dabeivöllig ausgeblendet. Auch der Ethnopluralismus ist also ein ausgrenzender Natio-nalismus. Allerdings propagiert er nicht mehr ausdrücklich eine Höherwertigkeit dereigenen Nation oder der eigenen Kultur. Stattdessen betont er lediglich, jede ein-zelne solle sich getrennt von anderen halten (eine typische Parole wäre zum Beispiel:„Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken!“). Im Ergebnis kann damit ge-nauso eine Fremdenfeindlichkeit ideologisch begründet, kann eine Ausgrenzungvon und Gewalt gegen Migranten gerechtfertigt werden.(http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/173908/glossar?p=17,abgerufen im Mai 2017.)

EUEuropäische Union.

„Faschismus“… war und ist vor allem ein Kampfbegriff der Gegner des italienischen Faschismus(1922 bis 1943) und entsprechender Bewegungen in anderen europäischenLändern. Der „Faschismus“ ist unter anderem gekennzeichnet von „Führerprinzip“,Gegnerschaft gegen Liberalismus und Sozialismus, „Antikapitalismus“, Antikommu-nismus, Totalitarismus, Befürwortung und Einsatz von Gewalt, Rassismus, Nationalis-mus und Idealisierung der eigenen „Volksgemeinschaft“. Der Begriff findetbesonders unter Linksextremisten Verwendung.(Vgl. Kleines Lexikon der Politik. Hrsg. v. Dieter Nohlen. München 2001, S. 120f.)

FAUFreie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union.

FAU–IAAFreie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union – Internationale ArbeiterInnen Assoziation.

FFGIFrankfurter Forschungszentrum Globaler Islam.

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FIOEFederation of Islamic Organizations in Europe (Föderation IslamischerOrganisationen in Europa).

FNSFreies Netz Süd.

FPFazilet Partisi (Tugendpartei).

FRAEuropean Union Agency for Fundamental Rights.

Fremdenfeindlichkeit… richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oderHautfarbe von der eigenen als „normal“ erachteten Umwelt unterscheiden. Die mitdieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigen-schaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbe-sondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertungethnischer Zugehörigkeit, aus der unter anderem Fremdenfeindlichkeit resultiert.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lF, abgerufen im Mai2017.)

FSBFederalnaja Slushba Besopasnosti (Föderaler Dienst für Sicherheit der RussischenFöderation).

„Führerprinzip“… galt als Grundgesetz nationalsozialistischer Weltanschauung. Es verpflichtete nachdem Motto „Führer befiehl, wir folgen“ zu blindem Gehorsam und bedingungsloserTreue gegenüber Adolf Hitler (1889 bis 1945) als dem obersten „Führer“ und die je-weilige Gefolgschaft zu Gehorsam gegenüber den Befehlen der Führer auf mittlererund unterer Ebene. Das „Führerprinzip“ war unter Berufung auf Hitlers Buch „MeinKampf“ als Gegensatz zu jeder Art von demokratischer Entscheidung und Mitbe-stimmung formuliert und fand im Kult um die Person Hitlers seinen höchsten Aus-druck. Im Willen des Diktators war alle hoheitliche Gewalt des Reiches verkörpert.Nach der damals gültigen Definition war die „Führergewalt“ nicht durch Kontrollengehemmt, sie war ausschließlich und unbeschränkt. Mit der Anerkennung des na-tionalsozialistischen „Führerprinzips“, das bis 1933 nur innerhalb der Nationalsozia-listischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) galt und dann auf alle Bereiche vonStaat und Gesellschaft ausgedehnt wurde, verzichteten die Deutschen auf alle bür-gerlichen Rechte der Gestaltung ihrer Verhältnisse und damit auch auf rationale

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 207

Strukturen der Politik, die nun ausschließlich vom Willen der „Führer“ gesteuertwurde. Das „Führerprinzip“ galt nicht nur im politischen und sozialen Bereich, auchdie Wirtschaft wurde nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam gelenkt. Das„Führer prinzip“ war Inbegriff der Selbstaufgabe des Individuums im nationalsozia-listischen Staat. Als Anspruch ist das „Führerprinzip“ auch für den modernen Rechts-extremismus typisch und kennzeichnender Ausdruck antidemokratischer Gesin-nung.(Vgl. http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37986/argumente-ge-gen-rechte-vorurteile?p=9, abgerufen im März 2017.)

„Führerstaat“Der „Führerabsolutismus“ gründete sich nicht allein auf Hitlers Machtwillen oder be-sondere persönliche Qualitäten, sondern auch und vor allem auf die Zustimmungs-und Unterordnungsbereitschaft in Verwaltung und Gesellschaft sowie auf die be-sondere Herrschaftsmechanik im nationalsozialistischen Führerstaat. Der „Führer“-Mythos wurde zum gemeinsamen Nenner der inneren Herrschaftsmechanik sowieder Legitimation durch die Gesellschaft. Bereits während der Aufstiegsphase derNSDAP war Hitler zum machtpolitischen und ideologischen Bezugspunkt der natio-nalsozialistischen Bewegung geworden. Er hatte zudem diese Machtstellung durchdie „Führer“-Erwartung innerhalb der NSDAP sowie durch den „Führer“-Kult propa-gandistisch verstärken bzw. überhöhen können. Nach der Machtübernahme 1933übertrug sich dieser Prozess der wechselseitigen Verstärkung von allgemeiner Er-wartung einer charismatischen Erlöser- und Retterfigur und von dem nunmehr staat-lichen Kult um den „Führer“ auf die gesamte Gesellschaft.(http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/dossier-nationalsozialismus/39550/ausbau-des-fuehrerstaates?p=all, aufgrund seines großen Umfangs stark ge-kürzter Glossareintrag, abgerufen im Mai 2018.)

G 10-KommissionDie Verfassungsschutzbehörden dürfen zur Abwehr von drohenden Gefahren fürdie freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheitdes Bundes oder eines Landes die Telekommunikation überwachen und aufzeichnensowie die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegenden Sendungen(Art. 10 GG) öffnen und einsehen. Voraussetzung ist das Vorliegen von Anhaltspunk-ten für bestimmte, schwerwiegende Straftaten (zum Beispiel Hochverrat, geheim-dienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung). Außer-dem muss die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oderwesentlich erschwert sein. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs (G 10-Maß-nahme) richtet sich nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fern-meldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz). Über die Zulässigkeit und Notwendigkeitvon G 10-Maßnahmen entscheidet ein unabhängiges parlamentarisches Gremium(G 10-Kommission).

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GBAGeneralbundesanwalt.

GebietsrevisionismusVon Gebietsrevisionismus ist die Rede, wenn Rechtsextremisten die Anerkennungder deutschen Gebietsverluste, wie sie sich aus den beiden Weltkriegen ergebenhaben, verweigern oder noch weitere Gebiete – entgegen den vertraglichen Ver-pflichtungen, die Deutschland seit 1918 bzw. seit 1945 eingegangen ist – fürDeutschland beanspruchen. In der revisionistischen Agitation besteht das DeutscheReich in den Grenzen von 1937 fort. Wichtigster Aspekt des Gebietsrevisionismusist die Infragestellung der deutschen Ostgrenze (Oder-Neiße-Linie) bzw. die Forde-rung auf Herausgabe der „Ostgebiete“. Es existieren jedoch auch weiterreichendeVorstellungen, zum Beispiel ein Deutsches Reich in den Grenzen von 1914 – zumTeil unter Einschluss Österreichs, Südtirols, des Sudentenlandes und weiterer Ge-biete.Insgesamt versuchen Revisionisten, den historischen Nationalsozialismus positiv dar-zustellen und das nationalsozialistische Regime von Schuld zu entlasten oder ganzfreizusprechen. Man unterscheidet zwischen einem Revisionismus im engeren Sinne(Leugnung der Massenvernichtung von Juden) und einem Revisionismus imweiteren Sinne (zum Beispiel Leugnung oder Relativierung der deutschen Schuldam Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, Klage über die „Umerziehung“ derDeutschen durch die Alliierten, Diffamierung der Widerstandskämpfer als Vater-landsverräter). Die Leugnung des Holocaust ist in Deutschland strafbar.Durch eine vermeintlich entlastende und verzerrende Darstellung der Geschichteversuchen die Rechtsextremisten, nationalsozialistische Ideologie wieder politischanschlussfähig zu machen. Revisionisten stellen dazu angeblich positive Leistungendes Dritten Reichs heraus. Zugleich diffamieren sie die Widerstandskämpfer gegendas nationalsozialistische Regime und verschweigen, verharmlosen oder leugnendie Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.Revisionisten relativieren den Holocaust und andere Verbrechen der Nationalsozia-listen, indem sie sie mit Handlungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegsgleichsetzen. Forschungsergebnisse, die eindeutig belegen, dass der Holocauststattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst igno-riert. Im Rahmen einer gezielten „Revisionismus-Kampagne“ versuchen Rechtsextre-misten aus aller Welt seit Jahren, den millionenfachen Mord an den Juden zu be-streiten oder zumindest die Zahl der Opfer in Frage zu stellen. Dazu berufen sichRevisionisten auf häufig von ihnen selbst in Auftrag gegebene pseudowissenschaft-liche „Gutachten“ („Leuchter-Report“, „Rudolf-Gutachten“), in denen versucht wird,die Massenvernichtung in den Konzentrationslagern als technisch unmöglich dar-zustellen.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/definition/ideolo-gie/revisionismus/index.html, abgerufen im Mai 2017.)

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GentrifizierungDie Stadt gilt insbesondere gewaltorientierten Linksextremisten traditionell alszentraler Ort des Klassenkampfs, als Ort der Zuspitzung der Klassengegensätze. Durchdie Verbindung mit anderen Gruppen erhoffen sie sich Möglichkeiten der Massenmi-litanz, die in Städten leichter organisierbar ist als in bevölkerungsschwachen Räumen.Ziel gewaltorientierter Linksextremisten ist insbesondere der Erhalt sogenannter Frei-räume, die von der Szene als notwendige Widerstandsstrukturen angesehen werden.Mit dem Thema Antigentrifizierung versuchen Linksextremisten ihre eigenen Inte-ressen in eine aktuelle stadt- und gesellschaftspolitische Diskussion einzubetten unddamit in größeren Bevölkerungskreisen politisch Akzeptanz zu finden. Der BegriffGentrifizierung kommt ursprünglich aus der Stadtsoziologie und bezeichnet sozialeUmstrukturierungsprozesse in Stadtteilen, die zu steigenden Mieten und einer Ver-drängung der bisherigen Bewohner führen. Viele Bewohner von Großstädten be-schäftigt dieses Thema. Es bilden sich Initiativen, die in aller Regel von demokrati-schen Kräften getragen werden. Linksextremisten versuchen, sich diesen Initiativenanzuschließen beziehungsweise im gleichen Themenfeld eigene Aktionen zu ent-wickeln, um damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu steigern und sich vordergrün-dig als sozialpolitische Akteure zu profilieren, wobei sie extremistische Ziele verfol-gen, die deutlich über die Sozialpolitik hinausreichen.Autonome entwickeln im Zusammenhang mit dem Themenfeld Antigentrifizierungauch gewalttätige Aktivitäten: Insbesondere Immobilienmakler werden von ihnenals Mitverantwortliche für die „Gentrifizierung“ und damit als Feindbild wahrgenom-men. Büros und Fuhrpark von Immobilienfirmen sind immer wieder Ziel militanterAttacken aus der linksextremistischen Szene.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/definition/aktion-sfelder/antigentrifizierung/index.html, abgerufen im Mai 2017.)

GETZGemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum.

GGGrundgesetz.

GIGénération Identitaire.

GIZGemeinsames Internetzentrum

GRUGlawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (Hauptverwaltung beim Generalstab derStreitkräfte der Russischen Föderation).

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GTAZGemeinsames Terrorismusabwehrzentrum.

hadd… sind im Islam „Grenzvergehen“, bei denen es sich um Alkoholgenuss, außerehe-lichen Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Straßenraub und Raubmord handelt. Aus sa-lafistischer Perspektive müssen dafür Strafen wie Auspeitschen, Abtrennen vonGliedmaßen, Enthaupten oder Steinigen verhängt werden. Die Definition der„Grenzvergehen“ und deren Bestrafung haben ihre Grundlage im Koran und geltenfür Salafisten als unmittelbarer und unfehlbarer Wille Allahs. In diesem Rahmen be-sitzen die Menschenrechte für Islamisten keine Gültigkeit.(Vgl. Salafistische Bestrebungen in Deutschland. Hrsg. v. Bundesamt für Verfassungs-schutz und Landesbehörden für Verfassungsschutz. Köln 2012, S. 10 bis 12.)

HAMASHarakat al-Muqawama al-Islamiya (Islamische Widerstandsbewegung).

Heimattreue Deutsche Jugend e. V. (HDJ)Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wies am 1. September 2010 die Klage derHDJ gegen das Vereinsverbot ab. Es bestätigte damit das Verbot des Bundesminis-ters des Innern vom 31. März 2009. Dieses wurde verfügt, da sich die Ziele der Or-ganisation gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.Das Gericht stellte fest, dass die HDJ eine Wesensverwandtschaft mit dem National-sozialismus, vor allem mit der früheren Hitlerjugend, aufwies. Der Verein war der„Blut-und-Boden-Ideologie“ und der Rassenlehre der Nationalsozialisten verhaftetund verbreitete antisemitische Thesen.Die HDJ verstand sich nach eigenen Angaben als „die aktive volks- und heimattreueJugendbewegung für alle deutschen Mädchen und Jungen im Alter von 7 bis 29Jahren“. Der Verein versuchte bewusst, den Eindruck einer harmlosen Pfadfinder-gruppe zu erwecken. Tatsächlich verfolgte er jedoch eindeutig rechtsextremistischeZiele. Er versuchte, bereits Kinder und Jugendliche zu interessieren und ideologischzu vereinnahmen. Dazu gehörten Veranstaltungen, deren extremistische Zielsetzun-gen nicht auf den ersten Blick erkennbar waren, wie zum Beispiel Zeltlager, Fahrtenund Ertüchtigungsspiele.http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/1183.htm, abgerufen am 24. Januar 2018

„Heldengedenken“Rechtsextremisten nehmen den Volkstrauertag jährlich zum Anlass, um insbesondereden Gefallenen aus den beiden Weltkriegen zu gedenken. Der seit der Einführungwährend der Weimarer Republik (1918 bis 1933) staatliche Feiertag wurde von denNationalsozialisten übernommen und zum Heldengedenktag umbenannt. Damalsfand dieser jedoch noch im März jeden Jahres – zuletzt 1945 statt. Erst seit 1952 wird

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der Volkstrauertag im November zum Andenken aller Opfer von Kriegen und Ge-waltherrschaft begangen.(Vgl. https://www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de/aktuelles/rechtsextreme-demonstration-zum-201eheldengedenken201c-am-16.-november-in-wunsiedel-neu-gegruendete-partei-201eder-dritte-weg201c-tritt-in-bayernerstmals-an-die-oeffentlichkeit, abgerufen im Mai 2017.)

Hizb Allah (Partei Gottes)… ist eine schiitisch-islamistische Organisation, deren Ziel die Vernichtung Israelsist. Sie wurde Anfang der 1980er Jahre mit Unterstützung des Irans gegründet. Ihrpolitischer Arm ist Teil der libanesischen Regierung, der militärische Flügel ist fürAngriffe auf Israel verantwortlich.

HKEHessisches Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus.

HNGHilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V.

HolocaustDas Wort Holocaust stammt von dem griechischen Wort holókaustus und bedeutet„völlig verbrannt“. Der Begriff wird verwendet, wenn von der systematischen Ver-nichtung ganzer Bevölkerungsgruppen während des Nationalsozialismus gespro-chen wird. Im Hebräischen spricht man von Schoah, was auch große Katastrophebedeutet. Als die Nationalsozialisten in Deutschland 1933 die Herrschaft übernah-men, begannen sie, einzelne Bevölkerungsgruppen auszugrenzen. Die Nationalso-zialisten betrachteten sich als „Herrenrasse“. Die Juden waren für sie eine „minder-wertige Rasse“ und wurden für viele Missstände im Land verantwortlich gemacht.Sie wurden angegriffen und viele durften ihre Berufe nicht mehr ausüben. Wehrenkonnten sie sich nicht, weil man ihnen auch ihre Bürgerrechte entzogen hatte. Siemussten ab 1941 den sogenannten Judenstern tragen. Man nahm den Juden ihr Ei-gentum, ihre Wohnungen und Häuser, sie wurden aus Deutschland deportiert. Vielevon ihnen wurden direkt in Lager getrieben und dort ermordet. Mehr als 180.000vertriebene Juden wurden in den von Deutschland besetzten Ländern in Osteuropain Ghettos angesiedelt. Als die Nationalsozialisten ihren Eroberungskrieg auf ganzEuropa ausdehnten, wurden die Juden überall verfolgt. Es begann einsystematischer Völkermord. Die Nationalsozialisten schafften die Juden wie auchSinti und Roma, Obdachlose, Behinderte, politisch Verfolgte, sogenannte Asozialeund Kriegsgefangene in Konzentrationslager. Über sechs Millionen jüdische Men-schen wurden von 1933 bis 1945 getötet.(Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/161214/holocaust, abgerufen im Mai 2017.)

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HPGHêzên Parastina Gel (Volksverteidigungskräfte).

HSKHeyva Sor a Kurdistanê e. V. (Kurdischer Roter Halbmond).

HSÜGHessisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz.

IACIsmail Aĝa Cemaati.

IBDIdentitäre Bewegung Deutschland.

IBHIdentitäre Bewegung Hessen.

IBÖIdentitäre Bewegung Österreich.

ICCBIslami Cemaat ve Cemiyetler Birligi (Verband der islamischen Vereine und Gemein-den e. V.).

IdeologieDer Begriff steht für sogenannte Weltanschauungen, die vorgeben, für alle gesell-schaftlichen Probleme die richtige Lösung zu haben. Menschen, die solche weltan-schaulichen Ideen oftmals starr und einseitig vertreten, nennt man „Ideologen“. DasWort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Lehre von den Ideen“. Bis ins 19.Jahrhundert war „Ideologie“ eine Bezeichnung für die Wissenschaft, die sich mit derEntstehung und Entwicklung von geistesgeschichtlichen und philosophischen Ideenbefasst.(Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/161222/ideologie, abgerufen im Mai 2017.)

IESHInstitut Européen des Sciences Humaines (Europäisches Institut für Humanwissen-schaften [in Frankreich]).

IGDIslamische Gemeinschaft in Deutschland e. V.

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 2<3

IGMGIslamische Gemeinschaft Millî Görüş e. V.

ILInterventionistische Linke.

Imperialismus… bezeichnet eigentlich das Streben von Staaten, ihre Macht weit über die eigenenLandesgrenzen hinaus auszudehnen. Das kann dadurch geschehen, dassschwächere Länder gezielt politisch, wirtschaftlich, kulturell oder mit anderen Me-thoden beeinflusst und vom stärkeren Land abhängig gemacht werden. Manchmalführt auch ein stärkeres Land direkt einen Krieg gegen ein schwächeres Land, umdie Kontrolle über dieses Land zu erreichen. Als Zeitalter des klassischen Imperialis-mus gilt der Zeitraum zwischen 1880 und 1918. Damals teilten die Kolonialmächtedie Gebiete Afrikas und Asiens, die noch keine Kolonien waren, unter sich auf.(Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/161225/imperialismus, abgerufen im Mai 2017.)

ISIslamischer Staat.

Islamseminare… wurden seit 2002 regelmäßig von Salafisten abgehalten. Die zumeist mehrtägigenVeranstaltungen dienten in erster Linie dazu, neue Anhänger zu gewinnen und dieseim salafistischen Sinne zu indoktrinieren. In der Regel zielten Islamseminare auf einenüberregionalen Teilnehmerkreis. Als Redner traten bekannte Prediger auf, die mitihren Vorträgen und Predigten versuchten, vor allem Jugendliche und junge Heran-wachsende zu rekrutieren. Im Rahmen der Islamseminare wurden Kontakte gepflegt,bereits radikalisierte Muslime konnten sich vernetzen und darüber hinaus weiter ra-dikalisieren. Strukturen, die den gewaltsamen Jihad unterstützen, konnten auf dieseWeise entstehen, sodass die Seminare eine wichtige Rolle als Einstieg in den jiha-distischen Islamismus spielten. Die bei Islamseminaren gehaltenen Vorträge wurdenvielfach im Internet veröffentlicht, sodass ihr Radikalisierungspotenzial deutlich überdie eigentliche Veranstaltung hinausreichte.

ITInformationstechnik.

IUEIslamische Union Europa e. V.

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JihadDie wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist „Anstrengung“ oder „Bemühung“. Esgibt zwei Formen des Jihad: Die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen umdas richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmen-schen (sogenannter großer Jihad) und den kämpferischen Einsatz zur Verteidigungoder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad).Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terror-anschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip diesesJihad ihren gewalttätigen Kampf/„heiligen Krieg“ gegen die angeblichen Feindedes Islam.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lJ, abgerufen im Mai2017.)

JNJunge Nationaldemokraten.

JXKJinên Xwendekarên Kurdistan (Studierende Frauen aus Kurdistan).

KADEKKongreya Azadî û Demokrasiya Kurdistanê (Freiheits- und Demokratiekongress Kur-distans).

Kalifat… ist eine autokratische Herrschaftsform, in der sowohl die politische als auch diereligiöse Herrschaft durch eine Person, das heißt den Kalifen, ausgeübt wird.(Vgl. Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Bd. 1. Hrsg. v.Richard Heinzmann in Zusammenarbeit mit Peter Antes, Martin Thurner, MuallaSelçuk u. Halis Albayrak. Freiburg, Basel u. Wien 2013, S. 392f.)

Kameradschaften… sind in der Regel neonazistische lokale Gruppierungen, die meistens zehn bis 20Mitglieder umfassen. Im Gegensatz zu den einzelnen Gruppen der subkulturell ge-prägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene/Skinheads sind sie deutlichdurch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl Kameradschaften meistkeine oder nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eineverbindliche Funktionsverteilung deutlich strukturiert.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lK, abgerufen im Mai2017.)

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 2<5

KCD-EKongreya Civakên Demokratik a Kurdistanîyên li Ewrupa (Kurdischer DemokratischerGesellschaftskongress in Europa).

KCKKoma Civakên Kurdistan (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans).

KIAKoordinierte Internetauswertung.

KJBKoma Jinen Bilind (Union der stolzen Frauen).

KommunismusKommunisten glauben an die Lehre von Karl Marx (1818 bis 1883), der zufolge sichdie gesamte Menschheitsgeschichte als Wechselspiel von Ausbeutung und Revoltedagegen verstehen lässt. Daran beteiligten Gruppen werden materielle Interessenunterstellt, die in der kommunistischen Lehre als „objektiv“ verstanden werden.Sollen es in der Geschichtsauffassung der Kommunisten erst Sklavenhalter und Skla-ven, dann Feudalherren und Bauern gewesen sein, die einen „Klassenkampf“führten, so stehen sich heute angeblich „Bourgeoisie“ und „Proletariat“ gegenüber.Das „Proletariat“ soll eine Diktatur errichten, die den Übergang zu einer klassenlosenGesellschaft einleiten wird. Besonders die von Wladimir I. Lenin (1870 bis 1924) ein-geführte Lehre, wonach das „Proletariat“ dabei von einer „Avantgarde“ geführt wer-den muss, hat die Erscheinungsform kommunistischer Gruppen in den letzten Jahr-zehnten geprägt. Von der marxistisch-leninistischen Orthodoxie abweichendekommunistische Strömungen berufen sich oft auf Berufsrevolutionäre wie Leo Trotzki(1879 bis 1953), Joseph Stalin (1878 bis 1953) oder Mao Zedong (1893 bis 1976).(Vgl. http://www.verfassungsschutz.brandenburg.de/cms/detail.php/lbm1.c.336524.de,abgerufen im Mai 2017.)

KON-KURDKonfederasyona Komelên Kurd li Avrupa (Konföderation der Kurdischen Vereine inEuropa).

KONGRA GELKongreya Gelê Kurdistanê (Volkskongress Kurdistans).

Koran… ist das heilige Buch des Islam, das die vom Propheten Mohammed verkündetenOffenbarungen Allahs enthält. Der Koran ist in 114 Abschnitte (Suren) unterteilt, dieErzählungen über Propheten, Weissagungen, Belehrungen, Vorschriften, Predigten

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und die Auseinandersetzungen mit „heidnischen“ Mekkanern, Juden und Christenumfassen. Die islamische Welt betrachtet den Koran als Gesetzbuch und als religiöseUnterrichtung.(Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. derLexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004,S. 370-372.)

Koranverteilaktion „LIES!“Seit 2011 verteilten vor allem salafistische Missionierungsvereinigungen in Deutsch-land, Österreich, Frankreich, Spanien, Nordafrika sowie in der Schweiz und derUkraine kostenlos Koranexemplare in der jeweiligen Landessprache. Ziel desProjekts war es, 25 Millionen Stück zu verteilen, um nahezu jedem Haushalt inDeutschland ein Buch zur Verfügung zu stellen. Die Beteiligung an der „LIES!“-Kam-pagne war für Sympathisanten – in den meisten Fällen Jugendliche – oft der Einstiegin die salafistische Szene. Hierdurch konnte ein Prozess angestoßen werden, derSympathisanten zu Anhängern der salafistischen Ideologie, dann zu aktiv eingebun-denen Akteuren und letztlich zu salafistischen Propagandisten werden ließ. DieserProzess musste nicht per se den Anfang einer weiteren Radikalisierung bedeuten,dennoch zeigen Fälle ehemaliger „LIES!“-Akteure, die nach Syrien und in den Irakausreisten, um sich dort am gewaltsamen Jihad zu beteiligen, dass der Übergangvom politischen zum jihadistischen Salafismus ein fließender ist und „LIES!“ als En-gagementplattform für Salafisten jeglicher Couleur die hierfür nötigen Kontakte er-möglichte. Mit dem im November 2016 vollzogenen Verbot der Vereinigung DieWahre Religion (DWR) kamen die „LIES!“-Verteilaktionen, nachdem sie bereits vorherzurückgegangen waren, endgültig zum Erliegen.

KOREXKompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus.

KPChKommunistische Partei Chinas.

KPDKommunistische Partei Deutschlands.

KRITISKritische Infrastrukturen.

kuffar… bedeutet im Arabischen „Gottesleugner“ bzw. „Ungläubige“.

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 2<7

KURD-AKADNetzwerk kurdischer AkademikerInnen e. V.

Laizismus… ist eine Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich entstandene Bezeichnung füreine politische Bewegung, die sich gegen jeden Einfluss des Klerus auf Staat, Kulturund Erziehung wendet, sich für die Trennung von Staat und Kirche ausspricht unddie Kirchen in den rein sakralen Bereich zurückdrängen will.(Vgl. http://www.wissen.de/lexikon/laizismus, abgerufen im Mai 2017.)

LfVLandesamt für Verfassungsschutz.

MADMilitärischer Abschirmdienst.

Maoismus… ist die Bezeichnung für die Gesamtheit der Lehren Mao Zedongs (1893 bis 1976)sowie für die von ihm maßgeblich bestimmte Theorie und Praxis des chinesischenKommunismus. Der Maoismus verbindet Gedanken des Marxismus-Leninismus mittraditionell chinesischen Elementen. Das im Westen verbreitete Bild des Maoismuswurde unter anderem durch die „Kulturrevolution“ (1966 bis 1969) geprägt:• die betont nationale Ausrichtung,• die Ablehnung einer zentralen Führung der kommunistischen Weltbewegung,• die Verbundenheit mit der Dritten Welt im Kampf gegen die Supermächte,• die Auffassung, dass die armen Bauern (und nicht das Proletariat) die Hauptkraft

der Revolution bilden,• die Konzeption der Machteroberung durch Guerillakrieg von ländlichen Stützpunk-

ten aus,• die Auffassung, dass Klassenkampf und Revolution auch unter sozialistischen Ver-

hältnissen fortdauern.Der Maoismus ist verantwortlich für Millionen von Opfern unter der chinesischenBevölkerung (so etwa während der Zeit des Großen Sprungs nach vorn, 1958 bis1961, und während der Kulturrevolution).(Vgl. http://www.wissen.de/lexikon/maoismus, abgerufen im Mai 2017.)

Marxismus… ist eine von Karl Marx (1818 bis 1883) und Friedrich Engels (1820 bis 1895) be-gründete Gesellschaftslehre und Theorie der politischen Ökonomie, zu deren Kern-punkt die von Marx kritisierten kapitalistischen Produktionsverhältnisse in seiner Zeitgehören. Danach wird die Gesellschaft nicht durch die politischen, rechtlichen odermoralischen Vorstellungen bestimmt, sondern durch den Fortschritt der materiellen

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Produktionstechnik. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bewirken nach mar-xistischer Auffassung, dass sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung vertieft und derwirtschaftliche Reichtum nur von der Arbeiterklasse (Proletariat) geschaffen wird,während sich der Reichtum und das Eigentum an den Produktionsmitteln in denHänden immer weniger Kapitalisten konzentriert. Dieser, von Marx als Grundwider-spruch der kapitalistischen Produktion bezeichnete Gegensatz zwischen gesell-schaftlicher Produktion durch die Arbeiterklasse und der privaten Aneignung derGewinne durch die Kapitalisten, kann nur durch die revolutionäre Erhebung der Ar-beiterklasse beseitigt werden. Die Arbeiterklasse enteignet dabei die Kapitalistenund das Eigentum an den Produktionsmitteln wird in Gesellschaftseigentum über-führt. Der Kapitalismus wird vom Sozialismus abgelöst. Letztlich wird aber die Schaf-fung einer klassenlosen Gesellschaft im Kommunismus angestrebt.(Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20092/marxismus,abgerufen im Mai 2017.)

MBMuslimbruderschaft.

MCMotorcycle Club.

MLPDMarxistisch-Leninistische Partei Deutschlands.

MNPMilli Nizam Partisi (Nationale Ordnungspartei).

Monotheismus… ist das Bekenntnis und die Verehrung nur eines einzigen Gottes, der im Glaubenals personales Gegenüber verstanden wird und im Verständnis der Gläubigen alsSchöpfer und Erhalter der Welt gilt. Theologisch zeichnet sich der Monotheismussomit durch den Ausschließlichkeitscharakter und Universalitätsanspruch Gottes aus.(Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. d. Lexikonredaktiondes Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 442 f.)

NachrichtendiensteNachrichtendienste sammeln Informationen über die innere oder äußere Sicherheiteines Staates gefährdende Bestrebungen und werten sie aus. Hierbei können dieNachrichtendienste verdeckt arbeiten. Die Ergebnisse der Analyse werden in Be-richtsform zusammengefasst und den politischen Entscheidungsträgern sowie denKontrollgremien zur Verfügung gestellt. In der Bundesrepublik Deutschland gibt esdrei Nachrichtendienste:

2<8 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 2<9

Inlandsnachrichtendienst (Verfassungsschutzbehörden: Bundesamt für Verfas-•sungsschutz und Landesämter für Verfassungsschutz),Auslandsnachrichtendienst (BND),•Militärischer Abschirmdienst (MAD).•

Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert.Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV)und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz. Sie arbeiten gemäß dem Bundes-verfassungsschutzgesetz bzw. den Landesverfassungsschutzgesetzen in Angelegen-heiten des Verfassungsschutzes zusammen. Die Verfassungsschutzbehörden derLänder können als untergeordnete Abteilung unmittelbar im jeweiligen Innenminis-terium angesiedelt sein oder sind als eigenständige Landesoberbehörde dem je-weiligen Innenministerium nachgeordnet.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lN, abgerufen im Mai2017.)

Nachrichtendienstliche Mittel… ist der Oberbegriff für technische Mittel und Arbeitsmethoden der geheimenNachrichtenbeschaffung. So darf das LfV Hessen nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes überdas Landesamt für Verfassungsschutz Methoden, Gegenstände und Instrumente zurverdeckten Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Ge-währspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere undTarnkennzeichen anwenden.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lN, abgerufen im Mai2017.)

NADISNachrichtendienstliches Informationssystem.

Nationaler Sozialismus… ist ein Begriff, der in der Neonazi-Szene verwendet wird, um sich einerseits aufden historischen Nationalsozialismus zu beziehen und andererseits durch die leichtesprachliche Abwandlung ideologische Modernität zu suggerieren.

Nationalismus… ist ein übersteigertes Bewusstsein vom Wert und der Bedeutung der eigenen Na-tion. Im Gegensatz zum Nationalbewusstsein und zum Patriotismus (Vaterlandsliebe)glorifiziert der Nationalismus die eigene Nation und setzt andere Nationen herab.Zugleich wird ein Sendungsbewusstsein entwickelt, möglichst die ganze Welt nachden eigenen Vorstellungen zu formen.(Vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-politik/16503/nationalismus,abgerufen im Mai 2017.)

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National Socialist Black Metal (NSBM)… ist eine Stilrichtung des Blackmetals, die Ende der 1980er Jahre in Skandinavienentstand. Als Unterströmung der Metal-Musik transportiert sie antichristliche, lebens-feindliche, satanistische und heidnische Positionen. Der NSBM ist die rechtsextre-mistische Zuspitzung dieser Inhalte.

NationalsozialismusUnter Nationalsozialismus versteht man die völkisch-antisemitisch-nationalrevolutio-näre Bewegung in der Zwischenkriegszeit (1918 bis 1939), die sich in Deutschlandals Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) organisierte und die unterder Führung Adolf Hitlers (1889 bis 1945) 1933 bis 1945 eine totalitäre Diktatur er-richtete. Der Nationalsozialismus gehört überdies in den Zusammenhang der euro-päischen faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die außer in Deutsch-land nur in Italien aus eigener Kraft und ohne ausländische militärische Unterstützungan die Macht kamen. Der Nationalsozialismus stellt innerhalb der europäischen Fa-schismen aufgrund seines Rassenantisemitismus und seiner Vernichtungspolitik dieradikalste Variante dar. Die Geschichte der NSDAP unterteilt sich in die sogenannteBewegungsphase (1919 bis 1933) und die Regimephase (1933 bis 1945).(Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politischessystem/202075/nationalsozialismus?p=all, hier die komplette Fassung des – aufgrund seinesgroßen Umfangs – oben stark gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2017.)

NATONorth Atlantic Treaty Organization (Organisation des Nordatlantikvertrags).

NAV-DEMNavenda Civaka Demokratîk ya Kurdên li Almanyayê (Demokratisches Gesellschafts-zentrum der KurdInnen in Deutschland e. V.).

NetzDGGesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerk-durchsetzungsgesetz).

Neue RechteBei der Neuen Rechten handelt es sich um eine in den 1970er Jahren in Frankreichaufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechts-extremismus bemüht. Sie beruft sich unter anderem auf antidemokratische Denker,die bereits zur Zeit der Weimarer Republik (1918 bis 1933) unter der BezeichnungKonservative Revolution aktiv waren. Die Aktivisten der Neuen Rechtenbeabsichtigen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokra-tischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden

220 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 22<

kulturellen Einfluss zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaatzu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern.(Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lN#neue-rechte, abge-rufen im Mai 2017.)

NGONon-governmental organization (Nichtregierungsorganisation).

NIASNachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle.

NPDNationaldemokratische Partei Deutschlands.

NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.

NSUNationalsozialistischer Untergrund.

OKOrganisierte Kriminalität.

OLGOberlandesgericht.

OMCGOutlaw Motorcycle Gang.

OSSOldschool Society.

PAAFPhänomenbereichsübergreifende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismusund Fremdenfeindlichkeit

PIASPolizeiliche Informations- und Analysestelle.

PKKPartiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans).

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PKVParlamentarische Kontrollkommission Verfassungsschutz.

Politisch motivierte Kriminalität (PMK)… wurde als Definitionssystem zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alleStraftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der „klassischen“ Staatsschutz-delikte erfüllen sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische Moti-vation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durchdas Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert darge-stellt. Diese politischen Straftaten, die – sofern sie eine Verfassungsschutzrelevanzhaben – auch extremistisch motiviert sein müssen, werden folgenden Phänomenbe-reichen zugeordnet: rechts, links, Ausländerkriminalität und sonstige politisch mo-tivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Extremistisch motivierteStraftaten bilden also eine Teilmenge der PMK. Es handelt sich dabei um diejenigenStraftaten, bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie darauf abzielen,bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Kraft zu setzen, die fürdie freiheitliche demokratische Grundordnung prägend sind.(Vgl. auch http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lP, abgerufen imMai 2017.)

Proliferation… bezeichnet die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischenMassenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zuderen Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichenKnow-how. Im Fokus der Proliferation stehen Waren/Produkte, die sowohl für zivileAnwendungen als auch für militärische Zwecke (= doppelte Verwendbarkeit) geeig-net sind. Voraussetzung für eine Exportgenehmigung ist die eindeutige Feststellungeiner ausschließlich zivilen Nutzung durch den Endempfänger.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lP, abgerufen im März2016, u. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lD#dual-use-gueter,abgerufen im Mai 2017.)

PYDPartiya Yekitîya Demokrat (Partei der demokratischen Union).

Quelle/Quellenschutz… bezeichnet im nachrichtendienstlichen Sprachgebrauch die Herkunft einer Infor-mation. Quellen können Personen, aber auch Medien (so etwa Internet, Drucker-zeugnisse) oder Behörden sein. Unter Quellenschutz versteht man alle Maßnahmen,die erforderlich und geeignet sind, eine nachrichtendienstliche Quelle vor einer Ent-tarnung und deren Folgen zu schützen.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lQ, abgerufen im Mai 2017)

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 223

Radikalismus/ExtremismusDie Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen Extremismus und Radika-lismus, obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei Radikalismus han-delt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- undHandlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits von derWurzel (lat. radix) her anpacken will. Im Unterschied zum Extremismus sollen jedochweder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grund-prinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind zum Beispiel Ka-pitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- undGesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keineExtremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Ge-sellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungenrealisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtetwird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnunganerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die daraufabzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lE, abgerufen im Mai2017.)

RAFRote Armee Fraktion.

RassismusAllen Rechtsextremisten gemeinsam ist die Auffassung, die Zugehörigkeit zu einerEthnie, Nation oder „Rasse“ entscheide über den Wert eines Menschen. Rassistengehen von nicht oder kaum veränderbaren „Rassen“ aus. Sie leiten daraus „natur-bedingte“ Besonderheiten und Verhaltensweisen von Menschen ab und unterschei-den zwischen „höherwertigen“ und „minderwertigen“ Menschen.Mit der Bezeichnung als „Rasse“ werden Menschen nach ethnischen Besonderheitenin Gruppen aufgeteilt. Ab Ende des 17. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert ver-suchten zahlreiche Wissenschaftler dies zu belegen. Sie scheiterten allesamt. Den-noch fand der Rassismus weite Verbreitung. Über die Kriterien zur trennscharfen De-finition von „Rassen“ bestand keine Einigkeit. Die Anhänger des „Rasse“-Konzeptesbenannten die verschiedensten Unterscheidungsmerkmale. Mal war von nur zwei,mal von über 60 „Rassen“ die Rede.Bis heute sind menschliche „Rassen“ biologisch nicht belegt. Belegt sind dagegensoziologische Funktionen des Rassismus: „Rassen“ werden bemüht, um Menschenauszugrenzen und Zugehörigkeit zu erzeugen. Das „Rasse“-Modell bietet einfacheErklärungen. Rechtsextremisten finden es daher attraktiv.Rassisten meinen, „Rassen“ optisch unterscheiden zu können. Äußere Merkmale wer-den dadurch zum entscheidenden Kriterium, ob einer Person bestimmte Rechte zu-stehen oder nicht. Rassisten in Deutschland werten die „weiße“ bzw. „arische Rasse“

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auf und sehen alle anderen „Rassen“ als minderwertig an. Dabei haben sie keineeinheitliche Vorstellung einer „weißen“ oder „arischen Rasse“: Die einen denken da-bei an „Deutsche“ und Skandinavier, andere meinen alle Europäer, einige verstehendarunter alle optisch als „Weiße“ erkennbare Menschen.Nach der Vorstellung von Rechtsextremisten soll das deutsche Volk vor der Integra-tion „rassisch minderwertiger Ausländer“ und vor einer „Völkervermischung“bewahrt werden. Rechtsextremisten befürchten den Untergang der „Rasse“ desdeutschen Volkes infolge einer „Durchmischung mit fremdem Blut“.Der Rassismus verstößt gegen elementare Menschenrechte und damit gegen diefreiheitliche demokratische Grundordnung. Die Ausgrenzung jener Menschen, dienicht dem rassischen Ideal der Rechtsextremisten entsprechen, widerspricht demGrundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Die Würde des Menschenist bedingungs- und voraussetzungslos jedem Menschen eigen und nicht von derbiologisch-genetischen Teilhabe an der Volksgemeinschaft abhängig (Art. 1 GG).(Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/definition/ideolo-gie/rassismus/index.html, abgerufen im Mai 2017.)

Reconquista… heißt soviel wie „Rückeroberung“. Der Begriff steht symbolisch für die Wiederge-winnung der iberischen Halbinsel durch die Nachfahren der Westgoten. MuslimischeEroberer nahmen im frühen Mittelalter Anfang des 8. Jahrhunderts die iberischeHalbinsel ein und zerschlugen das westgotische Reich. Kurz danach formten sichneue Kräfte, die bis 1492 die iberische Halbinsel „zurückeroberten“.(http://www.enforex.com/spanisch/kultur/reconquista.html, hier die komplette Fas-sung des – aufgrund seines Umfangs – oben stark gekürzten Glossareintrags, abge-rufen im Mai 2017.)

Residentur… ist ein getarnter nachrichtendienstlicher Stützpunkt im Operationsgebiet. Befindetsich der Stützpunkt in einer offiziellen oder halboffiziellen Vertretung (zum BeispielBotschaft, Handelsvertretung) spricht man von einer Legalresidentur. Hiervon zu un-terscheiden ist eine illegale Residentur, die aus einer Gruppe von konspirativ arbei-tenden Agenten besteht.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lR, abgerufen im Mai2017.)

Revisionismus, rechtsextremistischerDer das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von Erkenntnissen beschrei-bende Begriff „Revisionismus“ wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Ver-gangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektiveErforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbilds, uminsbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 225

lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn,der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa diedeutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet.Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen undMethoden. So beinhaltet die Leugnung des „Holocaust“, das Ausmaß derErmordung von Millionen europäischer Juden durch das NS-Regime zuverharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente aufunseriöse Weise fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung derEreignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutigbelegen, dass die „Endlösung der Judenfrage“ unzweifelhaft stattgefunden hat, wer-den durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lR, abgerufen im Mai2017.)

RHRote Hilfe e. V.

RHDRote Hilfe Deutschlands.

RIGRat der Imame und Gelehrten e. V.

SAVSozialistische Alternative.

Scharia… ist das religiös begründete, auf Offenbarung zurückgeführte Recht des Islam. Esregelt nicht nur Rechtsfragen (zum Beispiel Ehe- oder Strafrecht), sondern enthältder Idee nach die Gesamtheit der aus der Offenbarung zu gewinnenden Normenfür das Handeln des Menschen im Verhältnis zu Gott und zu den Mitmenschen. Nachtraditioneller, heute jedoch nicht mehr von allen Muslimen geteilter Überzeugungist die Verwirklichung der Scharia ein zentraler, unverzichtbarer Bestandteil der isla-mischen Religion.(Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. d. Lexikonredaktiondes Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 289.)

Schwarzer BlockDer sogenannte schwarze Block, vermummte Aktivisten in einheitlicher Kampfaus-rüstung, ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomenSpektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird.Der schwarze Block ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisations -

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form, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Links -extremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Straf- und Ge-walttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder schwarze Block enthält jedochein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nachLageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleichder schwarze Block überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz(Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme einesschwarzen Blocks an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstra-tionsverlauf aus. Seit einigen Jahren ist die Aktionsform des schwarzen Blocks auchbei den rechtsextremistischen Autonomen Nationalisten zu beobachten.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lS, abgerufen im Mai2017.)

SDAJSozialistische Deutsche Arbeiterjugend.

Selbstverwaltete Freiräume…sind linksextremistische autonome Zentren, denen häufig Infolädenangeschlossen sind. Hier finden unter anderem Gruppentreffen, Vorträge und Mo-bilisierungsveranstaltungen vor Demonstrationen statt. Meist von einer Vielzahl vonGruppen und Einzelpersonen frequentiert, sind sie zudem ein Ort der Vernetzungder Szene. Darüber hinaus stellen solche Räumlichkeiten den meist nur locker orga-nisierten autonomen Gruppen eine Infrastruktur für deren politische Arbeit zur Ver-fügung. Hier können benötigte Informationen aus Archiven beschafft werden undes existiert eine umfangreiche Büroausstattung. Infoläden dienen außerdem häufigals Postadressen für konspirativ agierende Gruppen.

SeparatismusDer Begriff Separatismus kommt vom lateinischen Wort separare (dt. trennen) undbeschreibt die Absicht eines Teils der Bevölkerung, sich von dem Staat, in dem erlebt, zu trennen und einen eigenen Staat zu gründen. Manchmal wollen sich Sepa-ratisten nicht nur vom eigenen Staat trennen, sondern sie wollen sich auch einemanderen Staat anschließen.(Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/210464/se-paratismus-sezession, abgerufen im Mai 2017.)

SHAEFSupreme Headquarters, Allied Expeditionary Force (Oberstes Hauptquartier der Al-liierten Expeditionsstreitkräfte).

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 227

SicherheitsüberprüfungDie Verfassungsschutzbehörden haben auch die Aufgabe, bei der Sicherheitsüber-prüfung von Personen mitzuwirken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungs-bedürftige Informationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oderihn sich verschaffen können, oder die an sicherheitsempfindlichen Stellen von le-bens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sol-len.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lS, abgerufen im Mai2017.)

SMADSowjetische Militäradministration in Deutschland.

SPSaadet Partisi (Partei der Glückseligkeit).

SRPSozialistische Reichspartei.

StGBStrafgesetzbuch.

Sunna… ist die Gesamtheit der vom Propheten Mohammed überlieferten Aussprüche, Ent-scheidungen und Verhaltensweisen. Die Sunna ist neben dem Koran eine der Haupt-quellen des islamischen Rechts. Die Muslime, die sich an die Sunna halten, werdenSunniten genannt. Die Schiiten haben ihre eigene Sunna, die auf einer gesonderten,auf Ali und seine Angehörigen zurückgeführten, Tradition beruht.(Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. d. Lexikonredaktiondes Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 618.)

SWRSlushba Wneschnej Raswedki (= russischer Auslandsnachrichtendienst).

TAKTeyrêbazên Azadîya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans).

Terrororganisation… ist eine Gruppe von mehr als zwei Personen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, zurErreichung ihrer politischen, religiösen oder sozialen Ziele terroristische Straftatenzu begehen. Dies können Anschläge auf Leib, Leben und Eigentum anderer Men-

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schen, aber auch andere schwere Straftaten sein, die in § 129a Abs. 1 und 2 StGBgenannt sind.

THTürkische Hizbullah.

TKP/MLTürkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten).

Trennungsgebot… gibt eine organisatorische und funktionelle Trennung von Verfassungsschutz undPolizei/Staatsschutz vor. Dies ist für das LfV Hessen in § 1 Abs. 1 des Gesetzes überdas Landesamt für Verfassungsschutz geregelt. Eine solche Trennung verbietet je-doch nicht den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei.Dieser ist vielmehr notwendig, um trotz der Trennung effektiv arbeiten zu können.Nur durch eine Vernetzung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden ist esmöglich, die in der jeweiligen Sphäre gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen undzu analysieren.(Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lT, abgerufen im Mai2018)

Trotzkismus… ist eine politisch-ideologische Richtung, die auf Leo Trotzki (1879 bis 1940), einender Hauptakteure der russischen Oktoberrevolution 1917, zurückgeht. Ziel der Trotz-kisten sind eine „permanente Revolution“ und die „Diktatur des Proletariats“ unterihrer Führung. Trotzkistische Parteien stehen abseits von den übrigen kommunisti-schen Parteien. Um dennoch über ihre engen Zirkel hinaus Einfluss zu gewinnen, be-dienen sich Trotzkisten der Methode des gezielten Unterwanderns (Entrismus).(Vgl. http://www.verfassungsschutz.brandenburg.de/cms/detail.php/lbm1.c.336513.de,abgerufen im Mai 2017.)

UCCUniform Commercial Code.

Umma… bezeichnet allgemein die Gemeinschaft der Muslime.

USAUnited States of America (Vereinigte Staaten von Amerika).

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 229

V. Chr.Vor Christus.

VereinsverbotEin Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes möglich, wenn derZweck oder die Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegendie verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung rich-tet. Erst wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, wird nach§ 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes)behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landes- bzw. Bundesinnenminister er-lassen.(Vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lV, abgerufen im Mai2017.)

Verschlusssache (VS)Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Gegen-stände oder Erkenntnisse unabhängig von ihrer Darstellungsform (§ 2 desHessischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes). Eine Verschlusssache wird entspre-chend ihrer Schutzbedürftigkeit in folgender aufsteigender Wichtigkeit eingestuft:VS – Nur für den Dienstgebrauch, VS – Vertraulich, Geheim, Streng Geheim.

Verschlusssachenanweisung (VSA)… für das Land Hessen ist eine von der Hessischen Landesregierung beschlosseneVerwaltungsvorschrift. Sie regelt den materiellen und organisatorischen Schutz vonVerschlusssachen sowie deren Kennzeichnung und Aufbewahrung.

Völkisch… bezeichnet eine radikal-nationalistische Einstellung, die die Menschengruppe, zuder man sich zugehörig fühlt, das eigene „Volk“ verabsolutiert und als (ethnisch)reine Gemeinschaft definiert. Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun-derts erlangte die völkische Bewegung großen politischen Einfluss, sie war ein Weg-bereiter des Nationalsozialismus. Bis heute sind die Völkischen eine wichtige Strö-mung des Rechtsextremismus.Der Begriff „völkisch“ kam seit etwa 1870 im Deutschen Reich und in Österreich-Un-garn zunächst als sprachpuristische Eindeutschung des Wortes „national“ auf. ZumEnde des 19. Jahrhunderts formierte sich eine völkische Bewegung. Ihr Ziel war eineethnisch und kulturell homogene Nation, aus der vermeintlich „undeutsche“ Fremd-körper auszuscheiden seien. Als solche sahen die Völkischen einerseits – ihrer Ras-senideologie folgend – Juden, Slawen und generell Deutsche ausländischer Ab-stammung an. Andererseits wurden aber zum Beispiel auch körperlich oder geistigBehinderte, Freimaurer oder Sozialdemokraten und Kommunisten als „undeutsch“definiert.

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Zentral für die völkische Bewegung war zudem die Idee einer „arteigenen“ Religion.Diese sollte wahlweise ein germanisiertes Christentum sein (das existierende Chris-tentum wurde als von jüdischen Einflüssen überfremdet angesehen) oder ein eso-terisches Neuheidentum (hergeleitet aus germanischer Mythologie und Sagenwelt).Der später auch von den Nationalsozialisten gepflegte Runenkult fand sich schonbei der völkischen Bewegung. Als wichtige völkische Theoretiker gelten Guido vonList (1848 bis 1919), Jörg Lanz von Liebenfels (1874 bis 1954) und Houston StewartChamberlain (1855 bis 1927).Die völkische Bewegung war nicht nur antisemitisch, sondern auch antiegalitär undgenerell antimodernistisch. Sie lehnte Frauenemanzipation und Demokratie ab,ebenso Parlamentarismus und Republik, Industrialisierung und Urbanisierung, mo-derne Kunst und neuartige Sportarten wie Fußball. Stattdessen propagierte sie dieRückkehr zu vermeintlichen, idealisierten deutschen oder germanischen Ur-Zustän-den.Wichtige völkische Organisationen waren der Alldeutsche Verband, der Deutsch-völkische Schutz- und Trutzbund (allein dieser hatte Anfang der 1920er Jahre rund200.000 Mitglieder, vor allem aus dem Mittelstand und dem Bildungsbürgertum),die Thule-Gesellschaft oder der Deutschnationale Handelsgehilfenverband.Daneben existierten etliche völkische Kleinparteien, etwa die DeutscheArbeiterpartei (DAP), aus der später unter Adolf Hitler die NationalsozialistischeDeutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wurde. Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg (1914bis 1918) erlebte die Bewegung einen starken Aufschwung. Bis heute spielt die völ-kische Strömung im deutschen Rechtsextremismus eine wichtige Rolle.(Vgl. http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/173908/glossar?p=63, abgerufen im Mai 2017.)

„Volksgemeinschaft“… ist ein zentraler Begriff der nationalsozialistischen Ideologie. Er steht programm-atisch für die Idee des nationalen Sozialismus. Das Volk als Rasse- und Weltanschau-ungsgemeinschaft soll sich geschlossen hinter seinem Führer versammeln. Klassen-und Standesschranken sind aufgehoben. Durch „Gleichschaltung“ der öffentlichenMeinung in der nationalsozialistischen Propaganda und durch ein konsequent na-tionalsozialistisches Erziehungssystem sollte die „Volksgemeinschaft“ verwirklichtwerden.„Volksgemeinschaft“ war bereits um 1900 ein häufig gebrauchter Begriff. Als Ge-genbild zur modernen von Konflikten und sozialen Gegensätzen geprägten Gesell-schaft war er für die verschiedensten politischen Gruppierungen, völkischen undkonservativen, aber auch liberalen und christlichen, attraktiv. In der Euphorie derKriegsbegeisterung vom August 1914 und der anschließenden Kameradschaft imFeld sahen viele konservative, aber auch linke Kräfte geradezu das Modell der ver-wirklichten „Volksgemeinschaft“, in der alle Klassen- und Standesschranken gefallenwaren. Grundvoraussetzung für die Teilhabe an der nationalsozialistischen Volksge-

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 23<

meinschaft war die Angehörigkeit zur „arischen Rasse“. Während das einzelne Indi-viduum „vergänglich“ sei, sei das Volk „bleibend“. Obgleich es eine Vielzahl von „ras-sekundlichen“ Publikationen im Dritten Reich gab, fehlte eine exakte Bestimmungvon „Rasse“. Tatsächlich war „Volksgemeinschaft“ als „Rassegemeinschaft“ vor allemein negativer Begriff: So unpräzise „Rasse“ war, so klar war, gegen wen der Begriffsich richtete: vor allem gegen die Juden. Ausgeschlossen von der „Volksgemein-schaft“ blieben auch grundsätzlich und unabhängig von ihrer „Rassezugehörigkeit“diejenigen, die sich gegen den Nationalsozialismus stellten und die sich auch derweltanschaulichen Umerziehung widersetzen.(Vgl. http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/volksgemeinschaft/, hier die kom-plette Fassung des – aufgrund seines großen Umfangs – oben stark gekürzten Glos-sareintrags, abgerufen im Mai 2018.)

VPNViolence Prevention Network e. V.Virtual Private Network.

Weiße RoseIn den Jahren 1942/43 verbreitete die Münchner Gruppe Weiße Rose sechs Flug-blätter gegen das nationalsozialistische Regime. Den Kern der Gruppe bildeten dieStudenten Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell (1917 bis 1943), ChristophProbst (1919 bis 1943), Willi Graf (1918 bis 1943) und der Professor Kurt Huber(1893 bis 1943). Weitere Studenten, Schüler, Lehrer, Professoren, Ärzte, Schriftstellerund Buchhändler hatten losen Kontakt zur Weißen Rose. In einer ersten Aktions-phase im Juni/Juli 1942 veröffentlichte die Gruppe vier „Flugblätter der WeißenRose“ in einer Auflage von jeweils etwa 100 Exemplaren. Verteilt wurden diese Flug-blätter an einen kleinen Kreis ausgesuchter Adressaten, von denen die meisten Aka-demiker in München und Umgebung waren. Im Januar 1943 entstand ein fünftesFlugblatt. Es erschien in einer Auflage von 6.000 bis 9.000 und tauchte in mehrerenStädten Süddeutschlands und in Österreich auf. Ab Februar 1943 unternahm dieGruppe nächtliche Aktionen, bei denen sie verschiedene Gebäude in München mitParolen wie „Nieder mit Hitler“, „Hitler Massenmörder“ und „Freiheit“ beschrifteten.Ebenfalls im Februar 1943 entstand das sechste Flugblatt der Gruppe. Es richtetesich an die Münchner Studentenschaft und forderte vor dem Hintergrund derSchlacht um Stalingrad dazu auf, sich vom nationalsozialistischen System zubefreien. Bei der Verteilung dieses Flugblatts wurden die Geschwister Scholl am18. Februar 1943 in der Münchner Universität beobachtet und verhaftet. Sie wurdenam 22. Februar zusammen mit Christoph Probst vom Volksgerichtshof unter RolandFreisler zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. In einem weiterenProzess wurden Graf, Schmorell und Huber am 19. April 1943 ebenfalls zum Todeverurteilt; auch sie wurden hingerichtet. Bis Mitte Oktober 1944 fanden noch fünf

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Prozesse statt, bei denen Freiheitsstrafen bis zu zwölf Jahren ausgesprochen wur-den.(Vgl. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/widerstand-gegen-den-nationalsozialismus/weisse-rose.html, abgerufen am 23. Januar 2018.)

VSAVerschlusssachenanweisung.

YEK-KOMYekitîya Komalên Kurd li Almanya (Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V.).

YKKYekitiya Kardarên Kurt Li Ewropa (Association of Kurdish Employers in Europe, AKEE,Verband der kurdischen Arbeitgeber in Europa).

YÖPYeni Özgür Politika (Neue Freie Politik).

YPGYekîneyên Parastina Gel (Volksbefreiungseinheiten), militärischer Arm des syrischenPKK-Ablegers PYD.

YXKYekîtiya Xwendekarên Kurdistan (Verband der Studierenden aus Kurdistan).

ZKAZollkriminalamt.

232 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis 233

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234

AA., Abshir Ahmed <43

Abduh, Muhammad <2<

Afghanistan 89, <20, <70

African Union Mission in Somalia <42, <99

(AMISOM)

Afrikanische Union (AU) <42, <99

Afrin (Syrien) <60

Ägypten 33, <28, <30, <3<

Ahnenrad der Moderne 52

ak raccoons 98

al-Afghani, Jamal al-Din <2<

al-Baghdadi, Abu Bakr <<6, <26

al-Banna, Hasan <30, <3<

al-Ikhwan al Muslimum fi Suriya <28

(Muslimbruderschaft von Syrien)

al-Jawziyya, Ibn Qayyim <22

Alldeutscher Verband 230

Almadinah Islamischer Kulturverein e. V. 32, <20

al-Nahda <28

al-Qaida <27, <42

Alsbach-Hähnlein <69

(Landkreis Darmstadt-Dieburg)

Alsfeld (Vogelsbergkreis) 64

al-Shabab (die Jugend) <42, <43

Alternative für 3<, 56, 87, 88, 93, 99, <99

Deutschland (AfD)

al-Wahhab, Muhammad Ibn Abd <22

Anarchisten 83, 85

Ankara (Türkei) <59

an-Nuqrâshî, Mahmud Fahmî <30

Antideutsche 96, 97

Antifa R4 98

Antifa United Frankfurt (AUF) 3<, 87, 202

antifaschistische gruppe 5 (ag5) 98, <99

Antiimperialisten 96, 97, 200

Antikapitalistisches 47, 49, 5<, 53, <99

Kollektiv (AKK)

Antinationale 96, 97

Apfel, Holger 59

Ariadne 52

Arminius 68

Armstroff, Klaus 63, 64

Aryans s. Kameradschaft Aryans

Aschaffenburg (Bayern) 48

as-Sadat, Anwar <30

Aßlar (Lahn-Dill-Kreis) 64

Atzbach (Lahn-Dill-Kreis) 64

Autonome 23, 3<, 84, 85, 87, 88, 9<,

94, 95, 96, 97, 98, 99, 209, 226

Autonome Region Kurdistan <60, <6<

Avrupa Millî Görüş Teşkilatları (AMGT, <35, <36

Vereinigung der neuen Weltsicht

in Europa e. V.)

Avrupa Türkiyeli İşçiler Konfederasyonu <03, 202

(ATİK, Konföderation der Arbeiter

aus der Türkei in Europa)

BBad Hersfeld (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) 64

Baden-Württemberg 27, 58, 65, 69, 93,

<05, <20, <29, <65, <69

Badi, Muhammad <28, <3<

Bahoz <76

Bakunin, Michail A. <99

Barcelona (Spanien) <<8, <<9

Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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235Register

Batman (Türkei) <40

Bayern 29, 48, 50, 58, 63, 64, 65,

8<, 94, <3<, 203, 209, 2<<, 224

Belgien <32, <40, <42

Bensheim (Kreis Bergstraße) <6<

Bercem – Frauenrat Gießen <62

Berlin 2<, 4<, 56, 64, <04, <05, <06, <29

Berserker Pforzheim – 49

Ortsgruppe Lahn-Dill

Beselich (Landkreis Limburg-Weilburg) <69, <70

Beuth, Peter 27

Bloc Identitaire – 43

Le mouvement social européen

Brandenburg 59, 64, <05, 2<5, 229

Bremen 58, 94

Buchara (Usbekistan) <36

Büdingen (Wetteraukreis) 54

Bündnis antifaschistischer 98, 202

Strukturen Hessen (B.A.S.H.)

Burma <20

CCafé ExZess 93, 98

Café KoZ 88, 98

Cambrils (Spanien) <<8, <<9

Çayir, Nusret <35

Centro 98

Chamberlain, Stewart 230

Chomeini, Ruhollah Musawi <99

Ciwanên Azad (Freie Jugend) 33, <56, <57,

<58, <60, <62

Cizîre (Syrien) <60

Çocuk (Kind) <39

Comat <8 Deutschland (C<8 Deutschland) 50

Committee for a Workers’ International <04

Dd.i.s.s.i.d.e.n.t. 86, 98

d.o.r.n. 86, 89

Darmstadt 33, 40, 46, 56, 86, 88, 90, 98,

<00, <0<, <03, <06, <29, <56,

<57, <6<, <62, <64, <65, <69,

<70

Deckert, Günter 58

Demokratische Kräfte Syriens <<6

Demokratisches Gesellschaftszentrum der <57

Kurdinnen und Kurden in Darmstadt e. V.

Der Dritte Weg/Der III. Weg 29, 38, 62, 63, 64,

65, 66, 67, <69

Deutsche Arbeiterpartei (DAP) 203, 220, 22<, 230

Deutsche Kommunistische 3<, 83, <00, <0<, <05,

Partei (DKP) <07, 204,

Deutsche Stimme (DS) 54, 204

Deutsche Volksunion (DVU) 69

Deutscher Freidenker Verband e. V. <65

Deutschnationaler Handelsgehilfenverband 230

Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund 230

Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi 33, 34,

(DHKP-C, Revolutionäre Volks <64, <65,

befreiungspartei-Front) <66, 204

Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) <64

DIE LINKE. <04

DIE RECHTE 38, 48, 69

Diehl, Jörg 27

Diyarbakır (Türkei) <40

Doğru Haber (Wahre Nachricht) <39, <4<

Dohar (Katar) <30

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236

Drewer, Christoph 69

Duisburg (Nordrhein-Westfalen) <65

EEichberg, Henning 204

Engel, Stefan <02

Engels, Friedrich 83, 2<8

England 50

Eniya Rizgariya Neteweyî ya Kurdistanê <58

(ERNK, Nationale Befreiungsfront

Kurdistans)

Erbakan Vakfı (Erbakan Stiftung) <38

Erbakan, Fatih <38

Erbakan, Neçmettın <33, <34

Erdoğan, Recep Tayyid <56, <59

Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) 46

Europäische Moscheebau und <36, 204

Unterstützungsgemeinschaft

(EMUG)

Europäisches Institut für Human- 32, <28, <29,

wissenschaften in Deutschland e. V. 30, <32, <33,

(EIHW) 204

European Coucil for Fatwa and Research <32, 204

(ECFR, Europäischer Rat für Fatwa

und Forschung)

European Institute of <32, 204

Human Sciences (EIHS)

Exil-Regierung Deutsches Reich 78

FFalun Gong <80

Faust 70, 75

Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) <36, 206

Fechtner, Gabi <02

Federalnaja Slushba Besopasnosti <8<, 206

(FSB, Föderaler Dienst für

Sicherheit der Russischen Föderation)

Fiedler, Jean-Christoph 54, 62

Fight-G20-Bündnis 9<

Finnland <<9

Firatnews Agency (ANF) <60, 200

Fischer, Matthias 65

Fiß, Daniel 39

FLAK 70

Föderation Islamischer <3<, <32, 206

Organisationen in Europa

(FIOE)

Frankenberg 64, 68, <57

(Landkreis Waldeck-Frankenberg)

Frankfurt am Main 30, 3<, 32, 33, 34, 40, 4<,

43, 46, 56, 57, 73, 86, 87,

88, 89, 90, 9<, 93, 97, 98,

<0<, <02, <03, <04, <05,

<06, <<5, <<9, <20, <26,

<28, <30, <32, <34, <35,

<37,<43, <55, <56, <57,

<6<, <62, <64, <65, <79,

<99, 20<

Frankreich 43, 57, <<7, <<8, <<9, <32,

<40, <42, 2<3, 2<6, 2<7, 22<

Franz, Frank 54, 59

Frauenrat Amara Frankfurt am Main e. V. <62

Freiburg im Breisgau (Baden-Württemberg) <69

Freie Arbeiterinnen- und 83, 205

Arbeiter-Union (FAU)

Freie Kräfte 52

Freier Widerstand Hessen (FWH) 48, 49

Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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237Register

Freier Widerstand Main-Kinzig 48, 49

(FWMK)

Freies Netz Süd (FNS) 62, 206

Freisler, Roland 232

Fulda (Landkreis Fulda) 34, 4<, 43, 46, 54, 55,

63, 64, 68, 90, <0<, <65,

<69

GGeisenheim (Rheingau-Taunus-Kreis) 49

Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis) 49

Génération Identitaire (GI) 43, 209

Georgensgemünd (Bayern) 8<

Gießen (Landkreis Gießen) <3, 24, 39, 40, 46,

54, 55, 86, 90, 9<, 98,

<0<, <03, <05, <56,

<6<, <62, <70, 202

Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije <8<, 2<0

(GRU, Hauptverwaltung beim

Generalstab der Streitkräfte der

Russischen Föderation)

Goebbels, Josef 69

Göppner, Christian 34

Graf, Willi 232

Greenpeace 40

Großbritannien 69, <04, <<8, <32, <40, 204

Großkrotzenburg (Main-Kinzig-Kreis) <34

Groupe Union Défense (GUD) 57

Gruppe Arbeitermacht (GAM) 90

Grup Yorum 34, <65, <66

Gülen, Fethullah <80

Gümüs, Bilal <<9

HHalle (Sachsen-Anhalt) 48

Hamburg 3<, 49, 58, 89, 9<, 92, 93,

98, 99, <03, <06, <<8, <64

Hanau (Main-Kinzig-Kreis) 54, 55, <6<

Hanbal, Ahmad Ibn <2<

Hannover (Niedersachsen) 58, 88

Hantusch, Thassilo 56, 57

Hantusch, Thomas 56

Harakat al-Muqawama al-Islamiya) <28, <4<,

(HAMAS, Islamische Widerstands- <50, 2<0

bewegung

Hattersheim am Main (Main-Taunus-Kreis) 58

Hayat-Tahrir As-Sham (HTS) <27

Heidelberg (Baden-Württemberg) 65

Heimattreue Deutsche Jugend e. V. 2<0

Hells Angels <75

Herborn (Lahn-Dill-Kreis) 64

Hermann s. Arminius

Hess, Rudolf 29, 63, 65

Heyva Sor a Kurdistanê (HSK, <62, 2<2

Kurdischer Roter Halbmond)

Hêzên Parastina Gel (HPG, <55, <58, 2<2

Volksverteidigungskräfte)

Hilfsorganisation für nationale 52, 2<<

politische Gefangene und deren

Angehörige e. V. (HNG)

Hitler, Adolf 50, 5<, 52, <50, <5<, 206,

207, 230, 23<

Hizb al-Hurriya wal-Adala (Partei der <3<

Freiheit und Gerechtigkeit)

Hizb Allah (Partei Gottes) <39, <43, 2<<

Hochtaunuskreis 64, 75

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238

Hofheim am Taunus 33, 58, <40

(Main-Taunus-Kreis)

Huber, Kurt 232

Hünstetten (Landkreis Limburg-Weilburg) 49

IIdentitäre Bewegung (IB) <9, 26, 29, 37, 39,

40, 4<, 42, 43, 47, 52,

2<2

Identitäre Bewegung 29, 39, 40, 4<, 42, 43, 44,

Deutschland (IBD) 45, 46, 2<2

Identitäre Bewegung Deutschland e. V. 43

Identitäre Bewegung 39, 40, 4<, 42, 46, 2<2

Hessen (IBH)

Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ) 43, 2<2

Identitärer Aktivist 39, 42

Ilim-Gruppe <40

Imrali (Türkei) <57, <59

Institut Européen des <32, 2<3

Sciences Humaines (IESH)

Internationalistische Liste/MLPD <02, <05, <06

Interventionistische 86, 88, 90, 9<, 98, 2<3

Linke (IL)

İnzar (Warnung) <39

Irak 32, 34, <<5, <<6, <<7, <2<, <25,

<26, <58, <60, <6<, <80, <84, 2<6

Iran <39, <43, <60, <8<, <82, <83, <9<, <99

Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi <43, 2<2

(ICCB, Verband der islamischen

Vereine und Gemeinden e. V.)

Islamische Gemeinschaft in 32, <27, <28, <29,

Deutschland e. V. (IGD) <30, <3<, <32, 2<2

Islamische Gemeinschaft in <3<

Süddeutschland e. V.

Islamische Gemeinschaft <30, <33, <36, <37,

Millî Görüş e. V. (IGMG) <38, 2<3

Islamische Union <35, <36, 2<3

Europa e. V. (IUE)

Islamischer Humanitärer <20, <26

Entwicklungsdienst e. V. (IHED)

Islamischer Staat (IS) 3<, 33, 4<, <<5, <<6,

<<7, <<8, <<9, <2<, <25,

<26, <27, <43, <50, <58,

<60, <63, 2<3

Ismail Aĝa Cemaati 33, <33, <34,

(IAC, Ismail-Aĝa-Gemeinschaft) <35, <36, <37,

<38, <39, 2<2

Israel 33, 96, 97, <<2, <24, <28,

<3<, <4<, <43, <47, <48, <50,

<5<, 20<, 2<<

Istanbul (Türkei) <<7, <40, <66

Italien 43, <39, <42, 220

JJerusalem (Israel) 32, <28, <33, <99

Jinên Ciwanên Azad <57, <62

(JCA, Junge Freie Frauen)

Jinên Xwendekarên Kurdistan <58, <62, 2<4

(JXK, Studierende Frauen

aus Kurdistan)

Jordanien <3<

Jung, Dr. Walter 27

Junge Nationaldemokraten (JN) 54, 2<4

KKalifatsstaat <43

Kameradschaft Aryans 29, 48

Kandel (Rheinland-Pfalz) <69

Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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239Register

Kaplan, Cemaleddin <43

Kaplan, Metin <43

Karataş, Dursun <64

Karayilan, Murat <55

Kartal, Remzi <55

Kassel 32, 40, 46, 52, 56, 64, 86, 89,

90, 98, <0<, <02, <03, <04, <20,

<2<, <56, <57, <58, <6<, <62, <70

Katar <28, <30, <33

Kemal Atatürk, Mustafa <35

Kenia <59

Kiew (Ukraine) 65

Kirchheim (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) <29

Kirchhundem (Nordrhein-Westfalen) 50

Klapperfeld 93, 98, 99

Kobane (Syrien) 33, <58, <60

Köln (Nordrhein-Westfalen) 22, 88, <32, <35,

<58, 20<, 2<0

Koltzschen (Sachsen) 2<<

Koma Civakên Kurdistan (KCK, <55, <59, <60,

Gemeinschaft der Kommunen 2<5

Kurdistans)

Koma Jinen Bilind <62, 2<5

(KJB, Union der stolzen Frauen)

Koma Komalen Ciwanen Demokratik <62

a Kurdistan (Komalên Ciwan,

Vereinigung der demokratischen

Jugendlichen)

Kommunistische Partei Chinas (KPCh) <80, 2<6

Kommunistische Partei <00, <03, 2<7

Deutschlands (KPD)

Konfederasyona Komelên Kurd li Avrupa <6<, 2<5

(KON-KURD, Konföderation der

Kurdischen Vereine in Europa)

Kongreya Azadî û Demokrasiya <59, 2<4

Kurdistanê (KADEK, Freiheits- und

Demokratiekongress Kurdistans)

Kongreya Civakên Demokratîk a <6<, 2<5

Kurdîstanîyên Ewrupa (KCD-E,

Kurdischer Demokratischer

Gesellschaftskongress in Europa)

Kongreya Gelê Kurdistan <55, <59, <60, 2<5

(KONGRA GEL, Volkskongress

Kurdistan)

Koordînasyona Civaka Demokratîk a <6<, 203

Kurdistan (CDK, Koordination der

kurdisch-demokratischen

Gesellschaft)

Korbach (Landkreis Waldeck-Frankenberg) <57

Kotku, Mehmet Zaid <36

Krebs, Dr. Pierre 52

Kreis Bergstraße <6<

Kreis Groß-Gerau 26, 64, <00, <03, <29, <57, <6<

kritik&praxis – 86, 88, 9<, 92, 98

radikale Linke [f]rankfurt

Kurdisch-Demokratisches <57

Gemeinschaftszentrum e. V.

Kurdisches Zentrum für <62

Öffentlichkeitsarbeit e. V. (Civaka Azad)

Kurdistan 33, 92, <40, <54, <55, <56, <57, <58,

<60, <6<, <62, 203, 2<4, 2<5, 22<,

227, 232

Kuwait <30, <33

LLahn-Dill-Kreis 40, 4<, 46, 49, 56, 57, 64, 66, 68

Lammel, Bernhard 26

Landkreis Darmstadt-Dieburg <00, <29, <69

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240

Landkreis Fulda 34, 4<, 43, 46, 63, 64, <65, <69

Landkreis Hersfeld-Rotenburg 64, <29

Landkreis Limburg-Weilburg 49, 64, 66, 68,

<56, <6<, <69, <70

Landkreis Marburg-Biedenkopf 40, 4<, 46, 88,

98, <29, <32

Landkreis Offenbach 73, <60

Landkreis Waldeck-Frankenberg 64, 68, <57

Laubach (Landkreis Gießen) <70

Leipzig (Sachsen) 48, 2<0

Lenin s. Uljanow, Wladimir Iljitsch

Leun (Lahn-Dill-Kreis) 56, 57

Libanon <3<, <39

Liebenfels, Jörg Lanz von 230

Liechtenstein 78

LIES-Kampagne <<9, <26, 2<6

Limbach (Sachsen) 2<0

Limburg (Landkreis 49, 55, 64, 66, 68, <56,

Limburg-Weilburg) <6<, <69, <70

linksunten.indymedia.org 3<, 87, 90, 93, <04

Lions 2< <76

List, Guido von 230

London (Großbritannien) <04, <<8

Lützelbach (Odenwaldkreis) <29

Luxemburg 78

Lyon (Frankreich) 57

MMain-Kinzig-Kreis 49, 70, <34, <6<

Main-Taunus-Kreis 33, 58, <40

Manchester (Großbritannien) <<8

Marburg (Landkreis 40, 4<, 46, 56, 69, 86,

Marburg-Biedenkopf) 88, 89, 90, 98, <0<, <29,

<32, <62

Mars Ultor 20<6 52, 53

Marseille (Frankreich) <<9

Marx, Karl 83, <99, 2<5, 2<8

Marxisten-Leninisten 83, 85, 94, 228

Marxistisch-Leninistische 3<, 83, <02, 2<8

Partei Deutschlands (MLPD)

Mecklenburg-Vorpommern 39, 54, 59

Med NUCE-TV <55, <60

Merkel, Dr. Angela 4<

Millî Gazete <33, <35, <37, <38

(Nationale Zeitung)

Millî Nizam Partisi (MNP, <35

Nationale Ordnungspartei)

Millî-Görüş-Bewegung <33, <34, <35, <36,

<37, <38

Modautal (Landkreis Darmstadt-Dieburg) <29

Mogadischu (Somalia) <42

Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) <00, <0<

Moscheebau-Kommission e. V. <3<

Mossul (Irak) 32, <<5, <<6

Mubarak, Husni <30

München (Bayern) 30, 72, 93, <03, <3<, 23<

Mursi, Mohammed <28, <3<

Muslimbruderschaft (MB) 32, <<2, <27, 2<8

NNaqshbandî, Baha‘ ad-Dîn <36

Naqshbandiya <36

National Socialist Black Metal (NSBM) 70, 220

Nationaldemokratische Partei 29, 3<, 38, 49, 53,

Deutschlands (NPD) 54, 55, 56, 58, 59, 60,

6<, 62, 69, 205, 22<

Nationale Sozialisten Main-Kinzig (NSMK) 48

Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

Page 241: Verfassungsschutz in Hessen · Wirtschaftsschutz ... die Entwicklungen in der digitalen Welt. Mit der Vernetzung über das Internet ist die Gefahr elektronischer Angriffe auf unsere

24<Register

Nationalsozialistische Deutsche 53, 58, 206, 207,

Arbeiterpartei (NSDAP) 220, 22<, 230

Nationalsozialistischer <0, 73, 22<

Untergrund (NSU)

Navenda Civika Demokratîk ya Kurdên li <56, <59,

Almanyayê (NAV-DEM, Demokratisches <6<, <62,

Gesellschaftszentrum der KurdInnen 220

in Deutschland e. V.)

Neonazis 29, 37, 38, 47, 48, 5<,

53, 59, 69, 7<

Neu-Isenburg (Landkreis Offenbach) <60

Niederlande <40, <42, <60

Niedernhausen (Rheingau-Taunus-Kreis) 58

Niedersachsen 58, <05, <58

Niger <20

Noborderffm 89

Nordglanz 70

Nordkorea <8<, <82, <83

Nordrhein-Westfalen 43, 49, 50, 59, 66,

68, 88, <06, <29, <32,

<35, <58, <65

Nujin kurdischer Frauenrat e. V. <62

OOAT-Marburg (Offenes Antifa 89

Treffen in Marburg)

Oberursel (Hochtaunuskreis) 74

Öcalan, Abdullah <55, <56, <57, <58,

<59, <6<, <62, 202

Odenwaldkreis <29

Offenbach am Main 73, 97, <03, <29, <34

Oldschool Society (OSS) 30, 72, 222

Osmanen Box Club <76

Osmanen Germania Box Club (OGBC) <76

Österreich 43, 78, <39, <40, <42, 2<2,

2<6, 230, 232

PPakistan <8<, <82, <83, <84

Palästina 96, <24, 20<

Palestine Liberation Organization (PLO, 96

Palästinensische Befreiungsorganisation)

Paris <<7, <<8

Partei für Soziale Gerechtigkeit (PSG) <06

Partiya Çareseriya Demokratik a Kurdistanê <60

(PÇDK, Partei für eine politische Lösung

in Kurdistan)

Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK, <60

Partei für ein freies Leben in Kurdistan)

Partiya Karkarên Kurdistan (PKK, 33, 34, 35, 92,

Arbeiterpartei Kurdistans) <40, <54, <55, <56,

<57, <58, <59, <60,

<6<, <62, <63, <67,

202, 22<

Partiya Yekitîya Demokrat (PYD, Partei <55, <58,

der demokratischen Union) <60, <6<,

223

Pastörs, Udo 59

Peschmerga 34, <58

Popular Front for the Liberation of <06

Palestine (PFLP, Volksfront zur

Befreiung Palästinas)

Postautonome 86, 88, 95

Probst, Christoph 232

QQutb, Sayyid <30, <3<

Page 242: Verfassungsschutz in Hessen · Wirtschaftsschutz ... die Entwicklungen in der digitalen Welt. Mit der Vernetzung über das Internet ist die Gefahr elektronischer Angriffe auf unsere

242

RRäbiger, Sebastian 65

Ramadan, Said 131, 199

Raqqa (Syrien) 32, 115, 116

Rat der Imame und 129, 132, 225

Gelehrten e. V. (RIG)

REBELL 103, 105

Reichsbürger und 19, 25, 30, 77, 78,

Selbstverwalter 79, 80, 81

Reinheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg) 100

Reuden (Sachsen-Anhalt) 81

Revolution (REVO) 90

Rheingau-Taunus-Kreis 49, 58, 87

Rhein-Lahn-Kreis 46

Rheinland-Pfalz 58, 63, 64, 66, 68, 103, 169

Rida, Rashid 121

Rojava 160

Rote Armee Fraktion (RAF) 103, 223

Rote Hilfe Deutschlands (RHD) 103, 225

Rote Hilfe e. V. (RH) 93, 103, 104, 225

Roza Kurdischer Frauenrat 162

Darmstadt e. V.

Rüsselsheim am Main 26, 102, 103, 129,

(Kreis Groß-Gerau) 157, 161

Russland 181, 184, 191

SS., Haykel 119

Sa’ud, Muhammad Ibn 122

Saadet Deutschland 134

Regionalverein Hessen

Saadet Partisi 33, 133, 227

(SP, Partei der Glückseligkeit)

Saarland 54, 59, 68, 103

Sachsen 48, 54, 59, 64, 73, 106, 210

Sachsen-Anhalt 48, 64, 81

Salafisten 26, 113, 114, 115, 120,

123, 124, 125, 126, 203,

210, 213, 216

Sara kurdischer 162

Frauenrat Offenbach e. V.

Saudi-Arabien 122, 131

Schäfer, Robert 13, 26

Schapira, Esther 27

Schirnding (Bayern) 50

Schleswig-Holstein 58

Schmitt, Carl 205

Schmorell, Alexander 232

Scholl, Hans 231

Scholl, Sophie 231

Schramm, Dr. Reinhard 27

Schröter, Prof. Susanne 26

Schuster, Dr. Josef 27

Schwalm-Eder-Kreis 46, 70

Schweden 118

Schweinfurt (Bayern) 64

Schweiz 120, 139, 140, 142, 216

Sengal (Irak) 33, 158

Serxwebûn (Unabhängigkeit) 155

siempre*antifa Frankfurt/M 91, 98

Sira-Projekt 129

Skinheads s. subkulturell orientierte

Rechtsextremisten/Skinheads

Slushba Wneschnej Raswedki (SWR) 181, 228

Somalia 120, 142, 199

Sozialistische Alternative (SAV) 104, 226

Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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243Register

Sozialistische Deutsche 90, <0<, <02, 226

Arbeiterjugend (SDAJ)

Sozialistische 3<, <05, <06, <07

Gleichheitspartei (SGP)

Sozialistische Reichspartei (SRP) 58, 227

Spanien <<8, 2<6

Sparta 46

Stalin, Joseph 2<5

Stalingrad (Russland) 64, 23<

Stêrk-TV/Med NUCE-TV <60

Stockholm (Schweden) <<8

Sturm <8 e. V. 52

Stuttgart (Baden-Württemberg) <65, <76

Subkulturell orientierte 47, 59, 69-72, 2<4

Rechtsextremisten/Skinheads

Swing 86

Syrien 32, 34, <<5, <<6, <<7, <20,

<2<, <25, <26, <27, <28,

<3<, <58, <59, <60, <6<,

<63, <65, <80, <8<, <82,

<84, 2<6

TT.A.S.K. 89, 98

Taiwan <80

Taymiyya, Taqi al-Din Ahmad Ibn <2<

Tevna Akademîsyenên Kurd <62, 2<7

(KURD-AKAD, Netzwerk kurdischer

AkademikerInnen e. V.)

Teyrêbazên Azadîya Kurdistan <55, <58, 227

(TAK, Freiheitsfalken Kurdistans)

Themar (Thüringen) 29, 70

Thule-Gesellschaft 230

Thule-Seminar e. V. 52

Thüringen 27, 29, 40, 59, 64, 65, 70, <02

Tibet <80

Tibi, Dr. Bassam 27

Trotzki, Leo 2<5, 229

Truckenthal (Thüringen) <02

Trump, Donald <04

Tschechien 73

Tunesien <<9, <28

Türkei 33, 34, <03, <<6, <<7, <20, <34, <35,

<36, <37, <38, <39, <40, <4<, <42,

<54, <55, <56, <57, <59, <60, <6<,

<62, <63, <64, <65, <66, <67, <76, <80,

202, 205

Türkische Hizbullah (TH) <39, 228

Türkische Union Europa e. V. <35

Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist 94

(TKP/ML, Türkische Kommunistische

Partei/Marxisten-Leninisten)

Turku (Finnland) <<9

UUkraine 65, 2<6

Uljanow, Wladimir Iljitsch 83, 200

…umsGanze!-Bündnis 90, 9<

Unikat e. V. <37

Usbekistan <36

Usingen (Hochtaunuskreis) 64

Ustaosmanoĝlu, Mahmud <35, <36

VVelioğlu, Hüseyin <39, <4<

Vereinigten Staaten 96, <04, <<2, <4<

von Amerika (USA) 20<, 228

Villmar (Landkreis Limburg-Weilburg) 64

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244

Vogel, Pierre <<9, <20

Vogelsbergkreis 64

Voigt, Udo 58, 59

WWackersdorf (Bayern) 94

We love Muhammad 32, <<5, <<9, <20,

<26

Weidenthal (Rheinland-Pfalz) 63

Weiße Rose 46, 23<

Werra-Meißner-Kreis 46

Wetteraukreis 54

Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) 4<, 49, 64

Wiesbaden <9, 26, 4<, 46, 49, 56,

58, 69, 89, <03, <40,

<42, <6<

Worch, Christian 69

Wunsiedel (Bayern) 29, 63, 65, 2<<

YYekîneyên Parastina Gel (YPG, <55, <58, 232

Volksverteidigungseinheiten)

Yekitiya Kardaren Kurt Li Ewropa (YKK)/ <62, 232

Association of Kurdish Employers in

Europe (AKEE, Verband der kurdischen

Arbeitgeber in Europa)

Yekîtiya Komalên Kurd li Elmanya <6<, 232

(YEK-KOM, Föderation kurdischer

Vereine in Deutschland e. V.)

Yekîtiya Xwendekarên Kurdistan (YXK, <58, <59,

Verband der Studierenden aus <62, 232

Kurdistan)

Yeni Özgür Politika <55, 232

(YÖP, Neue Freie Politik)

Yürüyüş (Der Marsch) <64, <66

ZZedong, Mao 83, 2<5

Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017

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245Register

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Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017246

Verzeichnis extremistischer Personenzusammen-schlüsse

Der Anhang zum Register enthält die in diesem Verfassungsschutzbericht aufgeführ-ten Gruppierungen, Publikationen u.a., die zum Beobachtungsauftrag gehören.

Ahnenrad der Moderne

ak raccoons

Al-Ikhwan al-Muslimum fi Suriya (Muslimbruder-

schaft von Syrien)

Almadinah Islamischer Kulturverein e. V.

Al-Nahda

Al-Qaida (Die Basis)

Al-Shabab (Die Jugend)

Antifa R4

Antifa United Frankfurt (AUF)

antifaschistische gruppe 5 (ag5)

Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen

(A.R.A.G.)

Antikapitalistisches Kollektiv (AKK)

Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden (AKU)

Ariadne

Avrupa Millî Görüş Teşkilatları (AMGT, Vereinigung

der neuen Weltsicht in Europa e. V.)

Avrupa Türkiyeli İşçiler Konfederasyonu (ATİK, Kon-

föderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa)

Bahoz

Bercem – Frauenrat Gießen

Berserker Pforzheim – Ortsgruppe Lahn-Dill

Bloc Identitaire – Le mouvement social européen

Bündnis antifaschistischer Strukturen Hessen

(B.A.S.H.)

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlich-

keitsarbeit e. V.

Ciwanên Azad (Freie Jugend)

Çocuk (Kind)

Combat <8 Deutschland (C<8 Deutschland)

Committee for a Workers’ International

d.i.s.s.i.d.e.n.t.

d.o.r.n.

Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdin-

nen und Kurden in Darmstadt e. V.

Der Dritte Weg/Der III. Weg

Deutsche Kommunistische Partei (DKP)

Deutscher Freidenker Verband e. V.

Deutsche Stimme (DS)

Deutsche Volksunion (DVU)

Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (DHKP-C,

Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)

Devrimci Sol (Revolutionäre Linke)

DIE RECHTE

Doğru Haber (Wahre Nachricht)

Eniya Rizgariya Neteweyî ya Kurdistanê (ERNK, Na-

tionale Befreiungsfront Kurdistans)

Erbakan Vakfi Hessen (Erbakan-Stiftung)

Europäische Moscheebau und Unterstützungsge-

meinschaft (EMUG)

Europäisches Institut für Humanwissenschaften in

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247Anhang zum Register

Deutschland e. V. (EIHW)

European Council for Fatwa and Research (ECFR,

Europäischer Rat für Fatwa und Forschung)

European Institute of Human Sciences (EIHS)

Exil-Regierung Deutsches Reich

Faust

Fight-G20-Bündnis

FLAK

Föderation Islamischer Organisationen in Europa

(FIOE)

Frauenrat Amara Frankfurt am Main e. V.

Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU)

Freier Widerstand Hessen (FWH)

Freier Widerstand Main-Kinzig (FWMK)

Freies Netz Süd (FNS)

Génération Identitaire (GI)

Gruppe Arbeitermacht (GAM)

Grup Yorum

Gündogdu

Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islami-

sche Widerstandsbewegung)

Hayat-Tahrir As-Sham (HTS)

Hells Angels MC (HAMC)

Heimattreue Deutsche Jugend e. V.

Heyva Sor a Kurdistanê e. V. (HSK, Kurdischer Roter

Halbmond)

Hêzên Parastina Gel (HPG, Volksverteidigungs-

kräfte)

Hilfsorganisation für nationale politische Gefan-

gene und deren Angehörige e. V. (HNG)

Hizb al-Hurriya wal-Adala (Partei der Freiheit und

Gerechtigkeit)

Hizb Allah (Partei Gottes)

Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)

Identitäre Bewegung Deutschland e. V.

Identitäre Bewegung Hessen (IBH)

Identitärer Aktivist

Ilim-Gruppe

Institut Européen des Sciences Humaines (IESH)

Internationalistische Liste/MLPD

Interventionistische Linke (IL)

İnzar (Warnung)

Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi (ICCB, Verband

der islamischen Vereine und Gemeinden e. V.)

Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)

Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland e. V.

Islamische Union Europa e. V. (IUE)

Islamischer Humanitärer Entwicklungsdienst

(IHED)

Islamischer Staat (IS)

Ismail Aĝa Cemaati (IAC, Ismail-Aĝa-Gemeinschaft)

Jinên Ciwanên Azad (JCA, Junge Freie Frauen)

Jinên Xwendekarên Kurdistan (JXK, Studierende

Frauen aus Kurdistan)

Junge Nationaldemokraten (JN)

Kalifatsstaat

Kameradschaft Aryans

Koma Civakên Kurdistan (KCK, Gemeinschaft der

Kommunen Kurdistans)

Koma Jinen Bilind (KJB, Union der stolzen Frauen)

Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Kongreya Azadî û Demokrasiya Kurdistanê (KADEK,

Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans)

Kongreya Civakên Demokratik a Kurdistanîyên li

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Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017248

Ewrupa (KCD-E, Kurdischer Demokratischer Gesell-

schaftskongress in Europa)

Kongreya Gelê Kurdistanê (KONGRA GEL, Volkskon-

gress Kurdistan)

Koordînasyona Civaka Demokratîk a Kurdistan

(CDK, Koordination der kurdisch-demokratischen

Gesellschaft)

kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt

Kurdisch-Demokratisches Gemeinschaftszentrum

e. V.

Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V.

(Civaka Azad)

LIES!-Kampagne

linksunten.indymedia

Lions 2<

Mars Ultor 20<6

Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands

(MLPD)

Medina-Moschee (Almadinah Islamischer Kultur-

verein e. V.)

Millî Gazete (Nationale Zeitung)

Millî-Görüş-Bewegung

Moscheebau-Kommission e. V.

Muslimbruderschaft (MB)

National Socialist Black Metal (SBM)

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Nationale Sozialisten Main-Kinzig (NSMK)

Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)

Navenda Civaka Demokratîk ya Kurdên li Alma-

nyayê (NAV-DEM, Demokratisches Gesellschafts-

zentrum der KurdInnen in Deutschland e. V.)

Tevna Akademîsyenên Kurd (KURD-AKAD, Netzwerk

kurdischer AkademikerInnen e. V.)

noborderffm

Nordglanz

Nujin kurdischer Frauenrat e. V.

OAT-Marburg (Offenes Antifa Treffen in Marburg)

Oldschool Society (OSS)

Osmanen Box Club

Osmanen Germania Box Club (OGBC)

Partiya Karkerên Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kur-

distans)

Partiya Yekitîya Demokrat (PYD, Partei der demokra-

tischen Union)

Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinen-

sische Befreiungsorganisation)

Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG)

REBELL

Reichsbürger und Selbstverwalter

Revolution (REVO)

Rote Armee Fraktion (RAF)

Rote Hilfe e. V. (RH)

Roza Kurdischer Frauenrat Darmstadt e. V.

Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit)

Saadet Deutschland Regionalverein Hessen

Sara kurdischer Frauenrat Offenbach e. V.

Serxwebûn (Unabhängigkeit)

siempre*antifa Frankfurt/M

Sira-Projekt

Sozialistische Alternative (SAV)

Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)

Sozialistische Gleichheitspartei (SGP)

Stêrk-TV/Med NUCE-TV

Swing

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249Anhang zum Register

T.A.S.K.

Teyrêbazên Azadîya Kurdistan (TAK, Freiheitsfalken

Kurdistans)

Thule-Seminar e. V.

Türkische Hizbullah (TH)

Türkische Union Europa e. V.

Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (TKP/ML,

Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-

Leninisten)

…umsGanze!-Bündnis

Unikat e. V.

We Love Muhammad

Yekîneyên Parastina Gel (YPG, Volksverteidigungs-

einheiten)

Yekitiya Kardarên Kurt Li Ewropa (YKK)/Verband der

Kurdischen Arbeitgeber in Europa e. V./Association

of Kurdish Employers in Europe (AKEE)

Yekîtiya Xwendekarên Kurdistan (YXK, Verband der

Studierenden aus Kurdistan)

Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue Freie Politik)

Yürüyüş (Marsch)

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Hessischer Verfassungsschutzbericht 2017250

HerausgeberHessisches Ministerium des Innern und für SportFriedrich-Ebert-Allee 1265185 Wiesbaden

Redaktionsschluss: Juni 2018

Gestaltungskonzept & ArtworkNina Faber de.sign, Wiesbaden

BildnachweiseS. 9: © HMdIS | S. 12 + S. 14: © Landesamt für Verfassungsschutz Hessen, Wiesbaden | S. 36: picturealliance / Markus Scholz | S. 76: © picture alliance/Patrick Seeger | S. 82: © picture alliance / ArneDedert | S. 152: © picture alliance / Andreas Arnold | S. 169: © picture alliance / Frank Rumpenhorst |S. 175: © picture alliance / Boris Roessler | S. 178: © picture alliance / Ulrich Baumgarten | S. 188: © picture alliance / Matthias Balk

© Landesamt für Verfassungsschutz Hessen – alle Rechte vorbehalten.

KontaktLandesamt für Verfassungsschutz HessenKonrad-Adenauer-Ring 4965187 WiesbadenTel.: 0611-7200Fax: 0611-720179Internet: www.verfassungsschutz.hessen.de

DruckChmielorz GmbH, Wiesbaden

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Die genannten Beschränkungen gelten unabhängig davon, wann, auf welche Weise und in welcher Anzahl diese Druckschrift demEmpfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer einzelnen Mitglieder zu ver-wenden.

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Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

Friedrich-Ebert-Allee 1265185 Wiesbaden

www.hessen.de

Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

Bericht 2017Verfassungsschutz in Hessen

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