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Vergessene Metaphern als Kriterien der Datierung des altjavanischen Rämaya:Qa In memoriam. George Cmdes Von Wallher Ai<hele Die beiden großen Epen Altindiens, das Mahäbhärata und das RämäyCU)a, haben in zwei verschiedenen Kunstformen Eingang in die frühe alt- javanische Literatur gefunden. In deutlicher Abkehr von der mit kunstvollen poetischen Ziermitteln versehenen Form des Kakawin, des Kunstgedichts nach indischem Vorbild, wie sie das altjavanische Rämäyru:ta bot, wurden unter der Regierung des Königs Sri Dharmawansa teguh Anantawikramottunga- dewa (991-1007 A. D.) einige Parwas des Mahäbhärata, wie das Ädiparwa und das Wirätaparwa, in die Form des "Präkrta" gebracht (pinräkrta), d. h. in die "volkstümliche" indonesische Darstellungsweise, in der die eige- nen Mythen und Sagen seit alters her überliefert wurden. Dieser vielfach mit Dialogen belebte dramatische Erzählstil, in dem nunmehr die Sagen des Mahäbhärata auch dem Volke nahegebracht wurden, war wohl Anlaß, daß diese in der Folge zum bevorzugten und verehrten Inhalt von Zyklen des Schattenspiels werden konnten. Das leider undatierte altjavanische RämäyCU)a war von der europäischen Forschung im Anschluß an H. KERN 1 bekanntlich lange für eine relativ späte, etwa dem Beginn des 13. Jahrhunderts n. Chr. angehörige Dichtung gehalten worden, bis PoERBATJARAKA vor allem auf Grund linguistischer Beobachtungen zu dem Ergebnis kam, daß das Gedicht wohl schon etwa während der Regie- rungszeit des mitteljavanischen Königs Balitung, der von 898-910 A. D. regierte, also um das Jahr 900 n. Chr. verfaßt sein müsse 2 PoERBATJARAKAS These findet heute wohl die fast ungeteilte Zustimmung der Fachgenossen. Neben den von ihm vorgebrachten Fakten sprechen für sie auch noch andere und gewichtigere Gründe. Dabei darf gesagt werden, daß alles, was für die von PoERBATJARAKA angenommene frühe Entstehungszeit des Gedichts ange- führt wird, ebenso für eine noch frühere Datierung gelten kann. Vor allem können die in manchen Abschnitten des altjavanischen Rämä- YWJa so kunstvoll angewandten poetischen Mittel des indischen Kävya, so- 1 Im Vorwort zu seiner Ausgabe des RämäyCll)a Kakawin, 's-Gravenhage, M. Nijhoff, 1900, p. VI. 2 ,.De Da teering van het Oud-javaansche Rämäyat:J.a" in Kon . lnst. voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van N.-1., Gedenkschrift uitgeg. ter Gelegenheid van het 15-jarig Bestaan op 4. Juni 1926, p. 265-72. 127

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Vergessene Metaphern als Kriterien der Datierung des altjavanischen

Rämaya:Qa

In memoriam. George Cmdes

Von Wallher Ai<hele

Die beiden großen Epen Altindiens, das Mahäbhärata und das RämäyCU)a, haben in zwei verschiedenen Kunstformen Eingang in die frühe alt­javanische Literatur gefunden. In deutlicher Abkehr von der mit kunstvollen poetischen Ziermitteln versehenen Form des Kakawin, des Kunstgedichts nach indischem Vorbild, wie sie das altjavanische Rämäyru:ta bot, wurden unter der Regierung des Königs Sri Dharmawansa teguh Anantawikramottunga­dewa (991-1007 A. D.) einige Parwas des Mahäbhärata, wie das Ädiparwa und das Wirätaparwa, in die Form des "Präkrta" gebracht (pinräkrta), d. h. in die "volkstümliche" indonesische Darstellungsweise, in der die eige­nen Mythen und Sagen seit alters her überliefert wurden. Dieser vielfach mit Dialogen belebte dramatische Erzählstil, in dem nunmehr die Sagen des Mahäbhärata auch dem Volke nahegebracht wurden, war wohl Anlaß, daß diese in der Folge zum bevorzugten und verehrten Inhalt von Zyklen des Schattenspiels werden konnten.

Das leider undatierte altjavanische RämäyCU)a war von der europäischen Forschung im Anschluß an H. KERN 1 bekanntlich lange für eine relativ späte, etwa dem Beginn des 13. Jahrhunderts n. Chr. angehörige Dichtung gehalten worden, bis PoERBATJARAKA vor allem auf Grund linguistischer Beobachtungen zu dem Ergebnis kam, daß das Gedicht wohl schon etwa während der Regie­rungszeit des mitteljavanischen Königs Balitung, der von 898-910 A. D. regierte, also um das Jahr 900 n. Chr. verfaßt sein müsse 2• PoERBATJARAKAS These findet heute wohl die fast ungeteilte Zustimmung der Fachgenossen. Neben den von ihm vorgebrachten Fakten sprechen für sie auch noch andere und gewichtigere Gründe. Dabei darf gesagt werden, daß alles, was für die von PoERBATJARAKA angenommene frühe Entstehungszeit des Gedichts ange­führt wird, ebenso für eine noch frühere Datierung gelten kann.

Vor allem können die in manchen Abschnitten des altjavanischen Rämä­YWJa so kunstvoll angewandten poetischen Mittel des indischen Kävya, so-

1 Im Vorwort zu seiner Ausgabe des RämäyCll)a Kakawin, 's-Gravenhage, M. Nijhoff, 1900, p. VI.

2 ,.De Da teering van het Oud-javaansche Rämäyat:J.a" in Kon. lnst. voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van N.-1., Gedenkschrift uitgeg. ter Gelegenheid van het 15-jarig Bestaan op 4. Juni 1926, p. 265-72.

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wohl die der Lautkünste wie der Vergleiche und Metaphern, für eine -gegenüber den ostjavanischen Kunstepen - viel frühere Abfassungszeit entscheidend sein. Die vom Verfasser, im Gegensatz zu JuYNBOLL und POER­BATJARAXA, bereits vor Jahrzehnten in einigen Untersuchungen 3 vertretene Auffassung, gerade diese Partien des Gedichts seien Ausdruck echtester Kävya-Kunst und dürften nicht als späte Interpolationen angesehen werden, fand noch eine weitere Stütze, als P. Dr. BuLCKE S. J. die Vermutungen indi­scher Gelehrter bestätigen konnte, daß das indische Kunstgedicht Bhattikä­vya dem Autor des altjavanischen Gedichts als Vorbild gedient hatte 4• Und schließlich konnte der hervorragende Kenner der alten Geschichte Javas und scharfsinnige Entzifferer ihrer Urkunden, Prof. J. G. DE CASPARIS, den bis da­hin als völlig unleserlich geltenden Inhalt des Seitenteils einer Steininschrift, der No. D 28 der Sammlung des Museums von Djakarta, zum großen Teil in lückenlosem Text mit Ubersetzung und reichem Kommentar der Fachwelt wiederschenken 5• Diese metrische Inschrift von 856 A.D., die wie das Rämä­yal)a im Stil den Kunstregeln des indischen Kävya folgt, gilt seit ihrer Publi­kation als das früheste Zeugnis der altjavanischen Dichtung, während man das Rämäyal)a auch weiterhin als etwa siebzig Jahre später unter der Regie­rung Balitungs abgefaßt dachte 6•

In ihrem ersten Teil berichtet die Inschrift von dem Ubergang der Herr­schaft über Mitteljava von Ratu Pikatan auf Dyah Lokapäla- ein Königs­name, den der allzu früh aus Leben und Arbeit entrissene Gelehrte L. C. D AMAIS mit dem unter dem Namen Kayuwangi bekannten Fürsten identifi­zieren konnte 7• Den Hauptteil der Inschrift nimmt die Schilderung des Baus und der Weihe eines schiwaitischen Heiligtums ein. Auf Einzelheiten des Textes wird in den folgenden Ausführungen noch einzugehen sein.

I.

Der Verfasser des altjavanischen RämäyQIJa hatte, wie der Text gelegent­lich verrät, danach getrachtet, in Nachfolge seines Vorbilds, des Bhattikävya, sein Werk als ein Lehrgedicht zu gestalten, das bei der verschiedenen Struk­tur der beiden Sprachen zum Teil andere Fragen als das indische Gedicht zu erläutern hatte. Diese lehrhafte Absicht gelang ganz unaufdringlich und konnte daher auch leicht übersehen werden. Neben der Demonstration der

3 z. B. "Grundsätzliches zur Kawi-Interpretation", Feestbundel Kon.Bat.Gen. van T<unsten en Wetenschappen, 1929, pp. 1-21.

4 In der in Hindi abgefaßten Dissertation Räma-Kathä, 1950. 5 J . G. de CASPARis, Prasasti Indonesia 11, Selected Specimens from the 'lth to the

~th Century A. D., Bandung 1956, XI, p. 280-330, "A Metrical Old Javanese Inscript-10~, dated 856 A. D." - Dem Kon. Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde, L~1den, sage ich_ für die . Anfertigung und generöse Uberlassung einer Photokopie dieses umfangre1~en Te1ls aus dem schwer zugänglichen Werk meinen besten Dank. B~.sonde~s habe 1ch Herrn Prof. Dr. A. Teeuw, Leiden, zu danken für die dabei ge­wahrte liebenswürdige Unterstützung.

• Vgl. C. HooYKAAS, From Leilkä to Ayodhyä by Pu~paka. Bijdr. Kon. Inst., Deel 114, 1958, p. 383.

7 L. C. DAMAls, • Epigraphische Aantekeningen, I, Lokapäla-Kayuwangi", Tijd­sdtrilt Bat. Gen,, 83, 1949, pp. 1-6.

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verschiedenen indischen Versmaße waren es die Lautkünste des Kävya, die der Dichter in der altjavanischen Sprache nachbildete. Ebenso versuchte er, angeregt vom Sanskrit-Kävya, neue Vergleiche und Metaphern zu finden und in die so entstehende altjavanische Dichtersprache einzuführen. Indessen fanden nicht alle spradllichen Neuschöpfungen in den späteren ostjavani­schen Kunstepen die erwartete Aufnahme.

So konnte vermutlich schon während der altjavanischen Literaturperiode nicht mehr jede Metapher in dem Sinne verstanden werden, den ihr der sprachschöpfende Dichter hatte geben wollen. Der Versuch, den alten Sinn wiederzuerkennen, ist eine zwar schwierige, aber auch lohnende Aufgabe, die der indonesisdlen Philologie heute gestellt ist. Ein Abschnitt aus dem Gedicht, Sarga 864-67, mag diesen Wandel in der Interpretation verdeut­lichen, der nicht selten zu einem auch über das Einzelne hinausgreifenden neuen Textverständnis und nicht zuletzt auch zu einer besseren Würdigung des dichterischen Werkes führen kann:

Rämäyat;1a 864-67:

n ton ta Ii kämi wwil seQeil yowanakweh moneil yar ton teja san hyan sasäilka mandon dwadwal riil rarä Iikan parawreg kapwasyan-syail kämini wwailnya mosyan

sämpun yanel kapwa meJ:tQek maluilguh mansö dwadwal san raranori päna sidhu mwan brem mästawa 8 dräk$a kiiica darpa Ii kämi yanaqah püft;la denya

lyan ta Ii sweccäpäna mahniii sugandha mungw in pintwan tulya carmifi jugaho cäyä san hyan candramä byakta ya Iikä lwirnya Ii kämi tulya Rähu n minum ya

läwan kämi bwat harep ri priyänya yekasai)Qiil tar madoh nityakäla arihin kriQä yeka menak ta liiinya maillanga twak ta r paweh medi yaglis

(64)

(65)

(66)

(67)

Vor bald fünfzig Jahren gab H. H. JUYNBOLL, der Obersetzer des größten Teils des Kakawin, von dem H. KERN die ersten sechs Gesänge übertragen hatte, diese Strophen wie folgt wieder in B. K. I. 19 (1923), p. 575:

"Hij zag de jonge räk$asa's, die in den bloei hunner jeugd waren. Zij waren vervuld van minverlangen bij het zien van den glans der maan.

8 Ein auch in den Strophen Räm. Sss und 17101 auftretender alter Abschreibefehler, beeinflußt etwa durch Stellen wie Nägarakrtägama 44. mästawa .,mit Lob bekannt" (< ma-astawa < Skr. sai[lstawa ,.Lob"} statt mäsawa (< ma-Skr. äsawa .,Rum"). Dagegen mäsawa ( < ma-äsawa) Räm.. 26uc·

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Zij hereidden een meelgebak voor de meisjes. Toen raakten zij in op. schudding. Allemeisjes sdueeuwden en stoven weg. {64)

Na haar omhelsd 9 te hebben, bukten zij en gingenzitten. Demeelkoeken werden gebrachtende meisjes dienden dranken rond, rum, rijstewijn, arak, wijn en kifica. De jongelingen waren dartel en aten volop. {65)

Andere dranken naar believen, belder en welriekend, waren in het voor­portaal1o, zoo belder als een spiegel. Die zou men kunnen vergelijken met den glans van den maan. De jongelingen waren als Rähu, als zij dronken. {66)

En de jongelingen waren zeer verliefd op hunne geliefden. Zij zaaten voortdurend naast haar, onafscheidelijk. Alleen het minnespei was aan­genaam, menden zij. Zij slurpten palmwijn, zonder diente geven, pla­gende, snel." {67)

Die gleichen Strophen versuche ich heute wie folgt wiederzugeben: "Da sieht er viele verliebte junge Räk~asas, wie sie voll Sehnsucht beim Anblick des Glanzes, den der Mondgott aus­

strahlt, die ,Süße' 11 erstreben bei Mädchen, die in aufgeregter Hast daher-

kommen. Immer wieder schreien die Schönen auf, da jene sie verfolgen. (64)

Erschöpft 12 lassen sich dann endlich alle nieder und setzen sich, aufkommt die ,Süße' 13 der den ,Trank' 14 gewährenden Mädchen. Rum, Reisbier, Arrak, Wein und was es auch sei 15 -

junge Leute, die das hemmungslos genießen, werden voll (berauscht) davon. (65)

Anders doch ist jener klare, duftende Sehnsuchtstrank von einem Lippenkelch 16, der wie ein Spiegel schimmert. Gewiß liegt der Mondglanz darauf,

• Versehentlich las JUYNBOLL anol statt aizel. 10 Nach H. H. JuYNBOLL's Oudjavaansch-Nederlandsch Woordenlijst, Leiden 1923,

noch fragend : pintwan voorportal. 11 dwadwal wie in Räm. 1212 = Skr. mädhurya "Gefühl der Süße•. 12 sampun ydilel 13 malisö dwadwal, vgl. ähnlich: mijil ta n sreilgära karul)a "zarte Sehnsucht über­

kam ihn" (C. HooYKAAS, Tantri Kämandaka, 1931, p. 78 oben). 14 päna "Trank" = "Küsse" 15 Sanskrit: ki111ca "ferner, etc.". Die Stelle gab offenbar schon früh Anlaß, kiiica

irrtümlich gleichfalls als Getränk, wenn auch als nichtalkoholisches, aufzufassen. Vgl. Mal. , Jav., Sundanes., Maduresisch kintja, wohl über den Einfluß von cinca. Z. B. 0 .1.0 . Nr. XXXI, p . 48 (Rückseite, Zeile 43): maninum siddhu ciiica.

1." pintwan "kleine Türöffnung, Pförtchen, zu mungw in pintwan .,vom Pförtchen

(tnnken) ". Vgl. murlgw in gec)ah "aus gläserner Trinkschale", mungw in pane "aus Becken", Räm. 2624c. pintwan als Metapher für "Mund" erinnert an Skrt. dwära "Tür" in .. nawadwära als altjav. Bezeichnung der "9 Körperöffnungen". Vgl. R. Gorus, BlJdrage tot de Kennis der Oudjavaansche en Balineesche Theologie, p. 67.

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denn die Jünglinge gebärden sich so wie (der Dämon) Rähu, wenn er ihn trinkt 17• (66)

Die Liebhaber, im Verlangen nach ihren Geliebten, schmiegen sich ohne Unterlaß eng an sie an. ,Das Liebesspiel allein ist Beglückung', meinen sie, ,wie man sie mit Reisweinschlürfen nicht erlangt',

spotten sie noch schnell." (67)

Diese Strophen enthalten Beispiele für Metaphern, die der Dichter offenbar neu in die Sprache des Kunstgedichts einbrachte, wie etwa dwadwal ("Lecke­rei") als Ausdruck des Gefühls der Süße, oder pintwan ("Pförtchen") "Mund, Lippe". Wie erwähnt, fanden sie in die späteren ostjavanischen Kunstepen keine Aufnahme und blieben in der Folge für einheimische wie europäische Interpreten unverständlich. Dennoch können sie das Ergebnis von Prof. PoERBATJARAKAS Untersuchung bestätigen, der als erster auf eine um Jahr­hunderte frühere Entstehungszeit des altjavanischen Rämäyar:za schloß, als sie H. KERN u. a. angenommen hatten. Sie zeigen das Bemühen des Dichters, eine der neuen Literaturgattung, dem Kakawin, gemäße Sprache zu gestal­ten. Die hier zitierten Strophen geben an sich zwar keinen festen Anhalt für die Datierung des altjavanischen Rämäyai).a, doch schien ihre Heranziehung erwünscht, da sie, wie später gezeigt werden wird ts, für die Kenntnis der ursprünglichen Textgestalt von Bedeutung sind.

Einen ungleich besseren Erfolg für die Bestimmung der Datierung ver­spricht dagegen die Betrachtung einiger Abschnitte aus den Gesängen 24 und 25 des Gedichts. Augenscheinlich bot die Schilderung der nach Räwanas Tod wiedererstandenen Residenz von LaiJ.kä mit ihrem herrlichen Park, die den Dichter an das Herrschaftsgebiet seines javanischen Königs denken ließ, die willkommene Gelegenheit, im 24. Sarga, Strophe 96-125, in allegori­scher Form und entrückt in epische Vorzeit ein Bild seiner zeitgenössischen mitteljavanischen Gegenwart zu zeichnen. Aus der friedlichen Stimmung, in der die Vögel des Parks sich dem Nestbau hingeben oder ihr Futter suchen, werden sie plötzlich durch die lockenden Rufe des Kuwong, des Kuckucks, gerissen, der sie für Buddhas Lehren zu werben sucht, in dem aber die "ge­köderten" (pikatan) Vögel ihren Feind zu sehen glauben. Dem Unruhestifter empfehlen sie, selbst die Forderungen der Särpkhya-Lehre mit ihren strengen asketischen Observanzen zu befolgen.

Auf seinem Heimflug von Lailk.ä nach Ayodhyä, den Räma mit Sitä und seinem Gefolge im Pu~paka-Wagen unternimmt (Sarga 24255-25t-tn), teilt

17 Enthält eine utprek~ä, einen Vergleich, der auf einer witzigen Deutung beruht: Der Mondglanz muß auf den schimmernden Mädchenlippen liegen, denn die Jüng­linge trinken ihn ja, wie es bekanntlich der Dämon Rähu tut.- Eine sehr gedrängte Obersicht über die Stilmittel der altjavanischen Kunstdichtung gab mein Aufsatz .. Die Form der Kawi-Dichtung•. OLZ 29 (1926), p. 933ff., übersetzt von C. HooYKAAs: .. De Vorm der Kawi-Poezie", Djawa 11 (1931), p. 174ff. Besonders sei verwiesen auf den Aufsatz von Dr. C. HooYICAAs ,.Stylistic Figures in the Old-Javanese RämäyaJ;la Kakawin", Journal of the Griental Institute Baroda, VII1 (1958), p. 135ff.

18 Vgl. Anm. 102.

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er seiner Gemahlin alles mit, was er beim Oberfliegen der Landschaft be­obachtet. Der Dichter nimmt diese Gelegenheit wahr, seine Hörer und Leser aus Rämas Mund wissen zu lassen, wie nachhaltig der dem Kuwong erteilte Verweis gewirkt hatte. So deutlich die Hinweise und Anspielungen auf Per­sonen und Ereignisse sowie die religiösen und philosophischen Richtungen für die interessierten Zeitgenossen sicherlich gewesen sind, so schwierig ist es für den späten Interpreten, dem die genaue Kenntnis der jeweiligen Um­stände naturgemäß fehlt, diese verschlüsselten, keinesfalls unwichtigen historischen Daten dem Verständnis der Gegenwart zu öffnen.

Immerhin läßt sich für unsere Frage nach der Datierung des RämäyCUJa Kakawin ein verhältnismäßig klarer Hinweis entdecken. Vor vier Jahrzehn­ten habe ich aus dem- gegenüber dem indischen Vorbild zusätzlichen­Abschnitt des 24. Sarga, der von H. KERN, H. H. JUYNBOLL und PoERBATJARAKA als spätere Interpolation angesehen wurde, zum ersten Mal die Strophen 100-10719, dann wenige Jahre später die Strophen 111-115 20 zu über­tragen versucht. Damals war es mir darauf angekommen, für das Verständnis der Figur des Widu im alten Java Näheres zu ermitteln. Der in jenen Stro­phen enthaltene Hinweis auf den Zeitabschnitt, dem das Gedicht entstammt, blieb mir dabei verborgen und mußte nach dem damaligen Stand der altjava­nischen Philologie und unserer Kenntnis der mitteljavanischen Geschichte wohl noch verborgen bleiben.

Seitdem hat Prof. C. HooYKAAS sehr verdienstvolle vollständige Uber­tragungen jener angeblichen Interpolationen gegeben 21• Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, stimmen die darin gegebenen Interpretationen einzelner Textstellen nicht immer mit den von Prof. HooYKAAS vertretenen Auffassungen überein, was bei dem derzeitigen Stand der Forschung nicht anders zu erwarten ist. Eben daraus ergibt sich auch, daß ich selbst heute manches anders verstehe als vor vierzig Jahren.

Die für das Thema in Frage kommen Strophen Rä.m. 24u2-uslauten:

linan-lütian ya hünan muni manuk uyakan yekamidu-midu sambegä nin kuwoil 22 tekana hinanen-anen donyanpamejahi

11 "Altjavanische Beiträge zur Geschichte des Wunschbaumes•, Festschrift Mein­hof, 1927, p. 461 ff. = Oudfavaansche Bijdragen tot de Geschiedenis van den Wensch­boom, Djawa 8, 1928, p. 28 ff., übersetzt von Dr. C. HooYKAAS.

20 "Altjavanische Berufsbezeichnungen•, Zeitschr. I. Eingeborenensprachen XXI, 1931 , p. 230ff. = Oudjavaansche Beroepsnamen, Djawa 11, 1931, p. 230ff., übersetzt von Dr. C. HooYKAAS.

tt C. Hoonc~As, "The Paradise on Earth in Lerika.- (OJR XXIV, 87-126) Bijdragen v. h. Kon. Tnstttuut, Deel 114, p. 265 ff., und C. HooYKAAs, "From Lerikä to Ayodhya by Pu~paka being the Old-Javanese Rämäyana Sarga XXV mainly•. Bijdragen v. h. Kon. Jnstituut, Deel 114, p. 359 ff. ·

. u .Uber die Frage, welche Vogelart mit kuwon gemeint sei, besteht keine Uber­emstlmmung..: H. KERN deutet das Wort als Bezeichnung für den Pfau (V. G. IX, p. 119, zu Wrtta-Sancaya, 27), H. H. JuYNBOLL (Oudjavaansch-Nederlandsche Woordenlijst, 1923) fra~end .als Kr~he~art, C. f!~oYKAAs (B.K.I., Deel 114, 1958, p. 279 und p. 369) als " ~ule . Wie bere.Its m dem zthe!ten, 1931 erschienenen Aufsatz (vgl. Anm. 20) sehe;: Ich ~uch jetzt m dem Wort eme Bezeichnung für den männlichen Kuckuck. Dafur spncht m. E. die Charakterisierung des Vogels als eines heimatlosen, ehelicher

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ko n tai)Qall ko n kani!?thäkuta makuwu kuwun ko il kasmala kuwoil tan pomah tä katr!?nan laku widu mawayail ko m-gu~ya 2s saguQa (112)

ko takuil kewaläsä makuwu-kuwu rikä sail sre!?thi pu hiji käsyäsih ko n jalak ko mamanun umah umöt ton-ton tiru-tirun nel-nelen swail ya mamrih makuwu-kuwu tewas sansära kawilet tekwan kuQc;lailta liilku d laku ta wiku kuwun kuwwanta t-atapa (113)

nä liil niil pak!?i widw an manuk uyakan akon wikwäsusupana konan ta il kokilanüt n uni kakuli-kulik sabdanya masulit ko kilya il kokilapan mailinaki kalawan lagnamutusana bhukti bhakteil alas göil makula-kula kulit moles kuli-kulit (114)

kabwatnyan sor ujar niil manuk uyakan aken kwanyämeja-mejah sailkä rin har!?a donyar wulati hayu nikaö räjyöjwala muwah molih ämbeknya maprärthana n uwah apulih il udyäna saphala hetunyan arddha medan mamidu-midu durnon rowailnya pikatan (115)

"Umherschwirrend rufen die aufgescheuchten Vögel, während der nur seine Possen trieb:

,Einen Anschlag plant der Kuckuck mit der Absicht zu morden! Du Landstreicher, du Armenhäusler hast nur eine Höhle als Haus, du

schmutziger Kuckuck! Ohne Heim und liebeleer erscheinst du wie ein Gaukler

mit dem Schattenspiel, du in allen Rollen Gewandter!' (112)

(Der Kuckuck erwidert:)

,Du freilich ersehnst und trachtest nur danach, hier eine Wohnstatt zu haben, bester Herr Hidji (Herr Korn),

Zu bemitleiden bist auch du, Star, der du ein Haus zum Unterschlupf errichtest, damit es zur Nachahmung beschaut wird.

Vergeudet ist die Mühe, die nach fester Behausung strebt, wenn man doch vom Strudel der Geburten umschlungen wird.

Zugleich mit euren Genossen, meine ich, solltet ihr Mönche werden und eine Höhle zur Askese aufsuchen.' (113)

Auf diese Worte des Widu {"Spaß")-Vogels heißen die aufgeschreckten Vögel (nun ihn selbst) als Mönch in die Waldeinsamkeit gehen.

Auch die Kuckucksfrau, die einfiel mit gepreßter Stimme ,kuli-kulik' zu rufen, bekommt (von ihnen) die Weisung:

Li~be abholden Gesellen, ferner die im gleichen Zusammenhang mit "gepreßter Shmme" erscheinende Kuckuckin (kokilä) und schließlich die Strophe 27 des Wrtta­Sancaya, deren zweiter Vers lautet:

kuwwaii aillin tuhu-tuhu "Der Kuwmi ruft: "Gut so, gut so!" Denn jav. tuhu "wirklich, wahrhaft", ~as man aus dem Ruf des männlichen Kuckucks hören wollte, wurde auch zur Bezeichnung des Vogels. Vgl. Th. PIGEAUD, Javaans-Nederlands Handwoordenboek, 1938, P· 598.

23 ~93!, s. Anm. 20, von mir irrig in ko n gul)ya geändert. ?ie hier erhalte~e , auf das Ram<:yaiJa beschränkte "Konjugativ"-Form der 2. Pe~s . ~.m~ ., vgl. auch Ram. 5~s (ko m PUJI) und 24 (ko m pamankuk) deutet wie auch dte haufiger vertretene Form der 1. Pers. Plur. e~1~1. (mit kam gebildet) auf das Alter des Gedid:lts.

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,Werde du eine Nonne, Frau Kuckuck, wenn du Lust hast in Gesellschaft von Nacktgängern zur Erlösung zu gelangen,

und nähre dich von den Früchten des großen Waldes, wie es die Baum-rindensippe tut, die sich mit Rinde bekleidet.' (114)

Wie kleinlich erscheinen die Worte der aufgeschreckten Vögel mit ihrem Gerede vom Morden.

Aus Freude tat er (der Kuckuck) so, als er die Schönheit der Residenz wieder in ihrem Glanze sah.

Sein begehrender Sinn hatte erreicht, daß der früchtereiche Park nun wieder erstanden war,

das war es, weshalb er gar so verrückt zum Scherz nur seine heran-gelockten (sich bedroht fühlenden) Genossen angriff." (115)

In dem genannten Aufsatz hatte ich versucht, den Sinn des in der Strophe 114 vorkommenden Wortes widu, wie auch der Ableitung (m)amidu-midu in den Strophen 112 und 115, zu ermitteln. Ob nun widu wirklich auf ein Sanskrit-Lehnwort (<widw-än) zurückgeht, wie ich damals annahm, bleibe dahingestellt. Doch möchte ich den Hinweis auf die Entsprechungen im Bugi­nesischen widu-widu "scherzen, schäkern, Unsinn machen" und im Tagalog biro "Scherz, Spaß" wiederholen und ihn ergänzen mit einem Zitat aus L. BLOOMFIELD, Tagalog Texts with Grammatical Analysis, und zwar aus dem 11. Text 24

I der von den Zauberern (an maizkukulam) handelt. Ich gebe den Abschnitt in Bloomfields Ubertragung:

The great power of the sorcerer is used by him against his enemies, against people who have incurred his anger; or against their live stock, in case he wishes to make this latter the object of his vengeance. He also uses his power in playing jokes 25 on a person or animal that has gained his liking.

Hier wird also die mit pag- präfigierte reduplizierte Form (pagbibiro) in ähn­lichem Sinne gebraucht wie die von widu abgeleiteten Formen (m)amidu­midu.

Irrig hatte ich in dem zitierten Aufsatz von 1931 den Vers 115d mit den Worten durnon rowaimya pikatan, denen für diese Untersuchung entschei­dende Bedeutung zukommt, wiedergegeben als: " (er) forderte seine Gefähr­ten heraus nach Art eines Lockvogels". Aber dem Nomen "Lockvogel" ent­spräche eine altjavanische Form manuk pikat bzw. pamikat, während pikat­an als "herbeilockbar, auf den Leim gehend" zu verstehen ist, wie entspre­chend uyak-an "aufgescheucht", bzw. als "Platz, an den Vögel durch einen Lockvogel herangelockt werden". Auch nach der Struktur des Satzes ist pikatan als Attribut zu rowaimya "seine herbeigelockten Genossen" auf­zufassen.

Die Form pikatan ist jedoch nur noch Rämäyar;w 25 18 nachweisbar und auch hier, wie sich zeigen wird, mit deutlicher Bezugnahme auf den behan-

24 Part 1: Textsand Translation, University of Illinois, 1917, p. 40 (41). 25 Im Tagalog-Text: sa pagbibiro

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delten Abschnitt des 24. Sarga. In den späteren ostjavanischen Kunstepen ist sie nirgends sonst anzutreffen. Mit dieser ganz ungewöhnlichen Wahl des Wortes verbindet der Dichter offenbar eine besondere Absicht.

Nimmt man mit PoERBATJ.ARAKA an, das Rämäyal)a Kakawin sei unter der Regierung des Königs Balitung etwa um 900n. Chr. entstanden, so mußten die Hörer oder Leser des Gedichts bestimmt bei dem Wort pikatan auch noch zu jener Zeit aufgemerkt haben, und sie hätten sich. gewiß sogleich. an die be­deutende Herrschergestalt des Rakai Pikatan erinnert, der fast siebzig Jahre zuvor regiert hatte. Aber man fragt sich, weshalb wohl der Dichter eine solche Erinnerung hätte beschwören wollen. Viel sinnvoller erscheint die Annahme, der Dichter habe mit seinen Schilderungen auf z e i t g es c h ich t-1 ich e Ereignisse anspielen wollen, auf Kämpfe, die sein König Rakai Pikat­an zu führen hatte. So betradltet, zeigt sidl die Stelle

durnon rowa.rinya pikatan " (er) zog los gegen seine angelockten Genossen"

als doppeldeutig 28• Sie soll außerdem verstanden werden als "er griff an die Bundesgenossen von Pikatan".

Ebenso ist audl in Rämäyar:za 25t3 das Wort pikatan sowohl als "auf den Leim gelockte" (nämlich "Vögel") wie als eine Anspielung auf den Namen des Königs Rakai Pikatan ("Herr Pikatan") anzusehen. Die beabsichtigte Doppeldeutigkeit ist umso leichter zu erkennen, als das Wort pikatan im

26 Das Spiel mit der Doppeldeutigkeit, das zu den poetischen Mitteln des indischen Kiivya gehörte, findet noch in der späten altjavanischen Kunstdichtung Anklang. In der in dem Aufsatz "Fragmente- Kleine Beiträge zur Interpretation altjavanischer Dichtung" (B. K. I. 123, 1967, p. 245 f.) von mir zitierten Strophe 323 des Niigara­krtiigama (verfaßt 1365 n. Chr.) hatte ich in dem Vers 3d paiiciik~ara ri wekasan in praliipa sinamar-samar awetu laizö das Sanskritkompositum paiiciik~ara - ebenso wie vorher H. KERN (V. G. VII, p. 311) -allein als Andeutung des (mit "fünf Buch­staben" geschriebenen) Dichternamens FRAPA-CA aufgefaßt, während PoERBATJARAKA (B.K.l. 80, 1924, p. 2327), Gorus (Bijdrage tot de Kennis der Oudjavaansche en Bali­neesche Theologie, 1926, p. 63) und PIGEAUD (Java in the Fourteenth Century, Vol. IV, 1962, p. 95) annahmen, daß das Wort nur als religiöse Formel zu deuten sei. Nunmehr halte ich es für wahrscheinlich, daß der Dichter das Wort wegen seines Doppelsinns absichtlich gewählt hat. Er will in dem improvisierten Lied, von dem die Strophe berichtet, mit den "fünf Buchstaben" zunächst zwar seinen Namen andeuten, außerdem aber soll die so bezeichnete religiöse Formel auch seine Ver­ehrung an Schiwa (namal). Siviiya) ausdrücken, zu der er sich, beeindruckt von der Schönheit der schiwaitischen Eremitage, gedrängt fühlt . Die Verwendung des Wortes in diesem Doppelsinn macht den "poetischen Effekt" aus, auf den der Dichter in diesem Vers hinweist:

"Die 'fünf Buchstaben' am Ende des Liedes, etwas verhüllt, bewirken poetischen Effekt".

Die tolerante Haltung PRAPANCAS, der als Buddhist auch Schiwa seine Reverenz bezeigen kann, macht auch der letzte Vers des Gesanges deutlich, in dem der Dichter nach seinem Rundgang durch Sägara bekennt:

mokta Ii mala kalul?a rnihat banun wihikan in Siwapada sakala "Geläutert [fühlt sich), wer das schaut, als sei er mit der wahren Schiwa-Welt

vertraut" . Dazu sei bemerkt, daß PRAPANCA auch an anderen Stellen des Gedichts von der rei­nigenden Wirkung gesprochen hat, die von einem großen herrlichen Erlebnis aus­geht (vgl. mokta iz kle~a, 271d, muktapiipa, 919c). Ubrigens hat schon H. KERN im Anschluß an seine Interpretation des Verses auf die äußerst freundlichen Beziehungen hingewiesen, die im alten Java zwischen den religiösen Bekenntnisseil hP.standen (V. G. VII, p. 312).

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Gegensatz zu uyakan, 24 112, 114 und 115, an beiden Stellen ohne die Bezeich­nung manuk "Vogel" erscheint.

Die Strophen 25 13 _ 15 gehören zu den Schilderungen, die Räma seiner Gattin auf der Reise von Lailkä nach Ayodhyä von den mit dem Pu~paka­wagen jeweils überflogenen Landschaften und Siedlungen in 130 Strophen (Räm. 24 253 _26 6) gibt. Die nach dem altjavanischen Rämäyai).a 3 37 - 39 (die Strophen entsprechen Bhattikävya 3 41 - 44) rühmlich bekannte Eremitage des wundertätigen Sehers Bharadwäja bot sich, als Räma ihrer auf dem Heim­flug ansichtig wurde, als Deckname für eine mitteljavanische Eremitage an, in der, wie es sd:leint, der König Pikatan durch Askese das siegreiche Ende des Kampfes gegen Bälaputra herbeizuführen suchte. Während im Bhatti­kävya der Berg Citraküta, an dessen Abhang sieb die Einsiedelei des Bharad­wäja befindet, ebenso wie der Windhya-Berg- von diesem wird noch zu sprechen sein - nur kurz genannt werden, als sie von Räma und seinem Gefolge überflogen werden, nimmt der Dichter des altjavanischen Rämäyai).a die Gelegenheit wahr, in jeweils mehreren Strophen auf jenes zeitgeschicht­liche Ereignis anzuspielen.

Räm. 25 13 - 15 :

Jawa jahli lor-kidul ikail pamacan pikatan tatan mawedi dibya marin i ruhur nirail re~i darän paturü masisik sesek ri sisi nin patiga

sahajän hiji n paseseh in dalima salimä ri 27 sornya hana sei).di pasail ya pasailgrahe tamuy amukti sadä wadararum i ruhur in mapasan 2s

apa sansaye sira mahär~i karih 29

matasak ta sakti ni samädhi nira nirapek~a sak~ai).a metu Ii. kaharep maregi n mare sira marin magirail

!7 salimii ri ist Sandhi aus salimar ri; vgl. Sundanes. salimar ,.Sitzbank, Sitzbänke

in einem Bootu. 28 ma-pasail halte ich für eine Lehnübersetzung aus ma-yoga und kann also der

~uffassung -yon C. Hoo~As.in seiner Ubertragung der Strophe (B.K.l. 114, p. 366), d1e er allerdmgs selbst mit emem Fragezeichen versah, nicht folgen. Die Stelle gibt A~la~, in;t Bericht des Ä_di.ea::~a (ed. Ju:NBOLL, p. 41, Zeilen 32 ff.) über die Wälakilya, namhch 1~ dem _Sat~: ~I sec;len _bhagawan Kiisyapa magawe yajfia, milu ta il dewatä masamb~n . sam~dh1, e~ne .~onJektur anzubringen. Statt des unmöglichen masambail ("patroUillieren ) samadh1 1st offenbar mamasail samädhi zu lesen und zu übersetzen: "~ähren~ der ehrwür~ige Käsyapa das Opfer verrichtete, begleiteten die Gott­he:ten {d1e_ Handlung), mdem sie gespannte Konzentration anwandten". Vgl. auch Nagarakrtagama 433 : yogasamädhi.

29 Statt kO.:ih ist - mit C. HooYKAAS (B.K.I. 114, p. 367) - des inneren Reimes

wegen, den die Strophe demonstriert, die Partikel mata zu lesen.

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"Jawa- und Jahli-(Kom)felder dehnen sich rings um die Eremitage so, die zu Ködernden (Vögel) sind ganz ohne Furcht, wunderbar und von himmlischem Zutrauen: über dem Einsiedler ruhen Tauben dicht gedrängt, sich putzend, auf der Seite der Brüstung.

Mit Eifer sind die Hidji-Vögel beim Nestbau auf den Dalima-(bäumen). Sitzbänke darunter, wohlgefügt auf ihre Stützen, stehen bereit für die Gäste, die stets dort speisen, Wadara-Früchte fallen von oben zu den Asketen herab.

Worüber doch soll sich der große Weise schon sorgen? Vollkommen ist die Macht seiner Konzentration: Soeben kaum gedacht, erscheint schon das Gewünschte und erfüllt den, der ihn aufsuchte, mit Behagen und Freude".

Die Strophe 25 13 wie der erste Vers der folgenden Strophe lassen erken­nen, wie sehr sich die Situation gegenüber der im Vorstehenden wiedergege­benen Szene im Park von Lallkä nunmehr gewandelt hat. Die harmlosen, dort durch die Rufe des Kuckudcs als eines Lockvogels in Aufregung und Angst versetzten Vögel dürfen nun hier in der Eremitage des Sehers Bharad­wäja in Ruhe und Gelassenheit sich ihres Lebens freuen. Wird dort - ver­schlüsselt - von einem Angriff auf die Verbündeten des Königs Pikatan gesprochen, so legt hier der Dichter nahe, den Vers 13 b:

pikatan tatan mawedi dibya marin auch so zu verstehen:

"Pikatan ist ganz ohne Furcht in himmlischer Gelassenheit". Damit läßt der Vers erraten, daß der König diesen für ihn entscheidenden Wandel in seinem Aufenthalt als Asket in einer hochangesehenen Einsiedelei erfahren hat, deren Bedeutung als Stätte geistigen Strebens in mehreren Strophen dargetan wird. Mit dem Namen des mythischen Sehers Bharadwäja, des Vorstehers der Eremitage, die Räma auf der Heimreise nach Ayodhyä über­flog, wollte der Dichter jenen Heiligen ehren, bei dem Pikatan zu Gast war.

Auch die im 24. Sarga des altjavanischen RämäyCU)a noch als Verführer, Heuchler und Heimtückische hingestellten Tiere und Vögel haben jetzt, be­eindruckt von Bharadwäjas Zaubermacht, bereut und tun Buße, wie der nun folgende Abschnitt 25 16 ff. wissen läßt. Gewiß blieb den kundigen Zeit­genossen des Dichters nicht verborgen, auf welche Personen oder Gruppen im Staat mit der Charakterisierung der einzelnen Tiere gezielt war. Vom fliegenden Hund, dem kalong, z. B. heißt es Räm. 24 119 c-d:

swari 31 sm1sail satwa kalwail satata taman ailel tüt riil brata tatiil mürkkömailsö maseilhit maililabi mahapek ko Ii päpa lalawä

30 Vgl. W. AICHELE1 "Lor-Kidul" I B.K.l., Deel 1151 19591 p . 330. 31 In dem Aufsatz "Fragmente, Kleine Beiträge zur Interpretation altjavanischer

Dichtung" 1 B.K.I. 1231 19671 p. 2301 habe ich den Sinn des Wortes leider irrig mit "entschlossen" wiedergegeben. Das Wort bedeutet vielmehr, wie der Vergleich zahlreicher Belegstellen lehrt, "umsonst, vergeblich, fruchtlos, widersinnig".

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"Umsonst hältst du dich so verkehrt, Kalwail, immerzu ohne zu ermüden, folgend dem Gelübde der Aufhängebuße, kommst (dann) ganz vonSinnen und wütend hervor, und übelriechendentfal-test du dich, du böser Flughund. u

Aber Räm 25 23 wird das gleiche Tier so gezeichnet: wiku mulya kalwan akemul maradin

"Ein würdiger Geistlicher ist der Kalwan, angetan mit reinem Gewand. u

So wenig wir wissen, wen der kalwan darstellen soll, so wenig wissen wir leider auch, wer sich in der Figur des kuwon, des n Spaßvogels u,

des manuk widu, verbirgt, der nach Strophe Räm. 24 115 - angeblich nur aus Ubermut - die Verbündeten des Pikatan angriff und der (nach der vorher­gehenden Strophe 114) von den aufgeschreckten "Beuteuvögeln gemahnt wurde, selbst als Asket in den Wald zu gehen, wohin auch Frau Kuckuck als Nonne ihm folgen sollte. Im Wirkungsbereich Bharadwäjas sind, wie Räm. 25 22 zeigt, beide dieser Aufforderung nachgekommen:

kawatek kuwon milu maningalaken ri wani nikail kayu wenan matapa si kelik 32 teken kalepasen saphala makamärga märga ni kuwon makuwun

" ... Davon beeindruckt, gibt auch der Kuwong (Kuckuck) (alles) auf: Auf Baumstümpfen vermag er Buße zu tun. Die ,Kichernde' 32 gelangt zur vollen Erlösung auf die Weise, wie sie der Kuwong, der in einer Höhle gehaust hatte, befolgte 83 u.

Vermutlich aber darf man in einem anderen Vogel eine Person erkennen, die, von der machtvollen Wirkung des Eremiten berührt, ihr bisheriges Ver­halten ändern mußte. Die Strophen 116 und 117 des 24. Sarga schildern näm­lich noch den Reiher, den kuntul nach seiner javanischen, den baka nach seiner indischen Bezeichnung, wie er heuchlerisch am Ufer steht, mit seiner ernsten, ruhigen Haltung die armen Fische täuscht, um sie dann unversehens und überraschend in großen Mengen zu verschlingen, wie aus der Strophe 24 117c zu ersehen ist:

mengep CUI;l~uk cumidren deleg amulayi ko il cai).~äla si baka "Mit dem Gehabe, als wolltest du die Deleg-Fischchen überlisten, bist du hergekommen, du geifernder gemeiner Baka. u

Die magische Willenskraft des großen Asketen, bei dem Pikatan als Gast weilt, hat dann aber nach Strophe 21 des 25. Gesangs mitgeholfen, den Baka in einen asketischen Schweiger zu verwandeln:

tat- ujar manuk widu widagdha dahat prakatäkatak manaji nätaka ya maneher muna il baka mari n baka ya aji sänkya sallka liranan larailan

• 32

• Räm. 24w, wird von der Kuckuddn gesagt: kakuli-kulik sabdanya "Kakuli-kulik 1st Ihre gepreßte Stimme". Daran und an kolik, die neujavanische Bezeichnung des weiblichen Kudmcks, läßt si kelik denken. V gl. Anm.. 22.

83 Vgl. Räm. 24111, s. p. 11 und p. 12.

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"Wir wollen nicht sagen, daß der Widu-Vogel besonders klug ist, laut nach Fröscheart spielt er auf. Darauf wird der Baka schweigsam und hört auf, ein Baka zu sein. Die Säqlidlya-Lehre ist (doch) ein Schwefelkrater 34, der zu meiden ist".

Sowie Räma im Pu~paka den Luftraum über der Eremitage des Bharadwäja verläßt, zeigen sich ihm die beobachteten Tiere nun nicht mehr als Büßer. Sie verhalten sich wieder ganz so, wie es ihrer Art zukommt. Der Sinnes­wandel, von dem dort der Kuckuck (kuwoiz), der Flughund (kalwaiz) oder der Reiher (baka) erfaßt waren und der die "Angelockten" (pikatan) von ihrer Furcht befreit hatte, hat hier keine Geltung. Die Strophen 36, 58-62, 68 und 71 des 25. Gesangs machen das deutlich. Wohl erscheint in jenem Abschnitt auch ein zu den "Angelockten" gehörender Vogel wieder, nämlich der preiijak in Strophe 67, aber die Sammelbezeichnung pikatan selbst ist nun nicht mehr zu finden. Darin darf ein sicheres Argument für die These der Doppeldeutigkeit des Wortes gesehen werden. Die enge Verbindung "König Pikatan" und "zu ködernde, herbeizulockende (Vögel)" ist untrennbar, und so erscheint das Wort auch nur da, wo an die Gegenwart des Königs gedacht werden soll, in der Fehde, auf die Sarga 24 115 anspielt, und in der Eremitage des Bharadwäja, Sarga 25 13 ff.

Diese Textstellen lassen freilich nicht erkennen, durch weld1es Ereignis Pikatan die heitere Gelassenheit wiedergefunden hat, wie sie die Szene in der Eremitage wiedergibt, nachdem er doch zuvor im "Park von Lankä" in ernste Bedrängnis geraten war. Um diese Frage zu klären, werden sich die Feststellungen von J. G. DE CASPARIS, zu denen er in einer Untersuchung drei er Sanskrit-Inschriften des Ratubaka-Plateaus 35 gelangt war, als beson­ders hilfreich erweisen. Denn in diesen Inschriften, von denen zwei vom Jahre 856 n. Chr. datieren, wird der ausfertigende Fürst mit Beinamen des "aus einem Krug geborenen" großen Sehers Agastya benannt (Sr! Kumbhaja bzw. Kalodbhava), wie ja auch der regierende Fürst der sechs Jahre späte­ren altjavanischen Inschrift von Pereng 36 , von der ein Teil, nämlich die drei einleitenden Huldigungsstrophen und ein aus zwei Strophen bestehender

34 Wohl zu lesen: sanku Jiraizan "Schwefelschüssel, Schwefelkrater" (sanku "metallene Schale, Becken", Jiranan "mit Schwefel behaftet, schweflig" < waliranan) nach Räm. 24122a JenJen Juizlun JumanJan tumuJuy aJayan (< a-laya-an) rin saizku Jiraizan "betäubt im Kreise trudelnd gehen sie (nämlich die tilil 'Schnepfen' aus Strophe 121) alsdann unter in der Schwefelschüssel". Gewiß waren im alten Java wie heute Schnepfen eine beliebte Jagdbeute (vgl. Encycl. van Ned.-Indie, 2ed Deel, 1918, p. 176 "Jacht"). In einer utprek~ä ("witzigen Deutung ") läßt der Dichter die Schnep­fen statt im Kochtopf in einem "Schwefeltopf", d. h. einem Schwefelkrater, enden. -Als Räma im Zorn auf den Ozean, der ihn von SHä trennt, einen Feuerpfeil abschießt und ihn so zum Sieden bringt, so daß die Fische und Meerestiere umkommen {Räm. 1517 ff.), heißt es Vers 27c mit der gleichen utprek~ä: satasaizkya sanka mati tan pa.sailku ya "zu Hunderten starben die Muscheln, doch nicht im Kochtopf". Der Vers will mit dem Bild des "Schwefelkraters" vielleicht andeuten, daß die strenge Befolgung der Sä!llkhya-Lehre, wie das Beispiel des in einen asketischen Schweiger gewandelten Reihers zeigt, zur schließliehen Auflösung der irdischen Da­seinsbedingungen führt.

35 J. G. de CASPARIS, Prasasti 1ndonesia 11, Bandung 1956, Nr. X. 36 Vgl. H. KERN, V. G. VI, 1917, p. 277, und PoERBATJARAKA, Agastya in den Archi­

pel, Diss., Leiden 1926, p. 45 ff.

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Mittelabsdmitt, in Sanskrit abgefaßt ist, die Namen Kalasaja bzw. Kum­

bhayoni trägt. Jene Ratubaka-Insduiften gehören somit dem gleichen Jahr an wie der

von DE CASPARIS so meisterhaft rekonstruierte, zum großen Teil wieder ver­ständlich gewordene Text der metrischen Inschrift, den er in den Prasasti Indonesia II als Nr. XI veröffentlichte. Da DE CASPARIS den darin erwähnten neuen mitteljavanischen Herrscher Lokapäla, im Anschluß an eine gewiß zutreffende Identifizierung durch DAMAIS, als den in der Balitung-Urkunde von 907 37 aufgeführten Sri mahäräja rakai Kayuwaili voraussetzte, war es deutlich, daß dessen Vorgänger, über den die metrische Inschrift berichtet, Sri mahäräja rakai Pikatan sein mußte, auch wenn er unter diesem Namen in den lesbaren Strophen der Inschrift nicht erwähnt ist. DE CASPARIS zog aus diesem Befund den Schluß, daß König Pikatan, der prabhu Jäti-nin-rät der Inschrift, identisch sein müßte mit Kumbhayoni und seinen Synonymen, den Beinamen von Agastya, in den Ratubaka-Inschriften. Ob diese Gleich­setzung der weiteren Forschung standhalten wird, darauf wird eine erneute Interpretation der metrischen Inschrift von 856 Antwort geben müssen.

Doch wer auch immer als neuer wiedererstandener Agastya in der Zeit von Pikatans Herrschaft anzusehen sein wird, die Annahme eines solchen Ehrentitels gründet sich offenbar, worauf auch DE CASPARIS hingewiesen hat 3s, auf die ruhmreiche Erfüllung großer und schwerer Aufgaben, die in ihrer Art an jene erinnern, die der große mythische Namensträger dereinst zu vollbringen hatte.

So erschien denn der Umgebung des Königs Pikatan der Sieger über den SaHendra-Prinzen Bälaputra als ein wiedergekehrter Agastya. Wie dieser dereinst den Windhya-Berg bezwang, der Indras Himmel bedrohte, so be­freite nun der Bezwinger Bälaputras, auch er nach einem Weg "nach Südenu, den Herrschaftsbereich des Pikatan von der Gefahr, die ihn durch den Aus­bau des Ratubaka-Plateaus zu einer mächtigen Festung bedroht hatte.

Es ist darum sicher nicht zufällig vom Dichter dargestellt worden, daß Räma beim Uberfliegen des Windhya-Gebirges seiner Gattin nicht nur des­sen Namen nennt, sondern ihr auch erzählt, wie Agastya den Windhya be­siegte, der Indras Himmel gefährdet hatte. Dabei berichtet Räma jedoch nur von der Erniedrigung des Bergs, nicht aber von der zu Pikatans Triumph aller­dings auch beziehungslosen anderen Tat, nämlich dem Leertrinken des Ozeans, wie sie im Mahäbhärata 39 geschildert wird. So konnte der Dichter des Rämäyal).a in den nachstehend wiedergegebenen drei Eingangsstrophen des 25. Sarga, die an den mythischen Sieg des Agastya über den Windhya erinnern, damit gleichzeitig den wiedererstandenen Agastya auch als den Besieger des Bälaputra, des Herrn der Ratubaka-Festung, feiern. Nachdem im Rämäya1;1a schon zuvor mehrfach das Windhya-Gebirge erwähnt wurde, an einigen Stellen des 7., dann im 8., 11. und 24. Gesang, wird erst hier im

37 Vgl. N. J. KROM, Hindoe-Javaansche Geschiedenis 2, p. 155. 38 Vgl. Prasasti lndonesia II, 1956 Nr. XI p 292 30 Vgl. PoERBATJARAKA's Zitat na& Mah,äb.här~ta III 104 in seiner Dissertation

Agastya in den Archipel, 1926, p. 6 ff.

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Zusammenhang der Abschnitte, die auf zeitgeschichtliche Ereignisse anspie­len, auf die Tat des Agastya hingewiesen und so ihre aktuelle Bedeutung erkennbar gemacht. Daß mit dem Uberfliegen des Windhya die Reisebeob­achtungen Rämas hier seltsamerweise einen neuen besonderen Sarga ein­leiten, ist vielleicht gerade in dem entscheidenden Ereignis begründet, auf das die Strophen anspielen wollen.

Die Frage jedoch, wer den entscheidenden Schlag führte, ob König Pikatan selbst, der nach DE CASPARIS aus diesem Grunde die Beinamen Agastyas, Kumbhayoni u. a., trägt, oder ob es ein anderer war, der die Voraussetzung dafür schuf, daß König Pikatan - wie die Strophe 25 13 zeigte - in Bharad­wäjas Eremitage so ruhig und gelassen verweilen konnte, kann hier noch nicht entschieden werden. Aber es darf vermutet werden, daß Bälaputras Fluchtburg den Namen, den ihr die Uberlieferung gegeben hat - Plateau des "Ratu Baka", des "Königs Reiher" - auf den vorwurfsvollen Spitz­namen baka "Reiher" zurückgeht, mit dem Bälaputra bereits in der ange­führten Strophe 24 117 persifliert wurde, der ihm nach der Niederlage aber nicht mehr anhing. Er hatte aufgehört, ein Baka zu sein, wie die Strophe 25 21

wissen ließ.

Die Strophen, die von der Bezwingung des Windhya (und, verschleiert, der Bergfestung des Bälaputra) berichten, lauten:

Räm. 25 1 - 3 :

(1) nä ta n Windhyä tinhali 40 srnganya manojiia yekä mahyun rakwa rumüga n pada kendran puiicaknyawän nyä tumuwuh nitya matämbeh mankin mäwän durbala ta ll SWarga kaSUI:lQUl

(2) san hyan Sakra gläna tumon swarga kaSUI:lQUl sembah sail hyan Sankara käru:Q.ya sireil rät mopäyakon san hyan Agastin jala r mi.gu rwan don sädhya swarga sukä ta n jala suddhya

(3) sailke Kailäsa hyan Agasti n panidul ta pintan tekan Windhya hawan haywa kitawän wet ni twan nin Windhya ri sail siddha Agastya ma:Q.Q.eh mei:lQ.ek märi manU:Q.Q.ul suka ta n rät

(1) "Da ist der Windhya, schau doch auf seinen schönen Gipfel. Wie es heißt, wollte er Indras Himmel verwüsten. Seine Spitzen wuchsen beständig in die Höhe und Weite, immer höher wurden sie, so daß der Himmel von dem Stoß machtlos

wurde.

40 Alter Abschreibefehler aus Windhyiit-tilihali, der die inkorrekte und metri causaunmögliche Schreibung Windhyä statt Windhya zur Folge hatte.

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(2) Niedergeschlagen sah Gott Indra, wie der Himmel gestoßen wurde, und auf den ehrerbietigen Vorschlag des Gottes Schallkara ( = Schiwa) 41,

der Mitleid hatte mit der Welt, bediente er sich des heiligen Agastya, als er im Wasser stand 42

, mit dem

Auftrag: ,Zwei Aufgaben sind zu erfüllen: der Himmel soll froh und rein das Wasser werden.

(3) Wenn du, heiliger Agastya, vom Kailäsa 43 her nach Süden gehst, mußt du den Windhya bitten, den Weg (dir freizugeben), (indem du sagst:) ,erhebe dich nicht so hoch!' Der Windhya, aus Respekt vor dem übermächtigen Agastya, bückte und duckte sich, hörte auf zu stoßen, und froh ward die Welt u.

II.

Die Textstellen des altjavanischen Rämäyal).a, die in ihrer Doppeldeutig­keit sich auch auf König Pikatan beziehen, berichten von ihm als einem Zeit­genossen. Die von DE CASPARIS veröffentlichte metrische Inschrift, die die vortrefflichen Eigenschaften und Taten des Königs Pikatan rühmt, gibt als Datum der Vollendung des im Siwa-Tempel erridlteten Standbilds des Gottes das Saka-Jahr 778, d. h. 856 A. D., an. Damit scheint auch erwiesen, daß das Gedidlt in seiner originalen Fassung um die Mitte des 9. Jahrhunderts fertig­gestellt war. So könnte der hier unternommene Beitrag, das altjavanische RämäyaJ)a zu datieren, mit dieser Feststellung abgesdllossen werden. Aber eine erneute Prüfung der Inschrift weckt den Zweifel, ob nicht einige Stellen ihres Textes eine andere Deutung zulassen oder gar fordern, als ihr Bearbei­ter in seinen zunächst überzeugend wirkenden Darlegungen vertreten hatte. Die Feststellung sprachlicher Ausdrucksformen, die die Inschrift und das altjavanische Rämäyal)a gemeinsam haben, kann, wie sich zeigen wird, das Verständnis der Inschrift fördern.

Da das von J. D. DE CASPARIS herausgegebene reich kommentierte Werk Prasasti Indonesia II, Selected Inscriptions from the 7th to the 9th Century A. D., auch für die Fachwissenschaft nur schwer zugänglich ist, erscheint es geboten, die Abschnitte der Inschrift XI, die für unser Thema von Bedeutung sind, aber auch einige wenige andere Stellen, die zu einer abweichenden

41 Abweichend übersetzte PoERBATJARAKA, Agastya in den Archipel, p. 34: "Hij maakte een sembah voor Schiwa en deze had met de wereld medelijden. Hij bedacht een list en beval Agastya plaats te nemen in het wateru. Daß Indra, der Götterkönig, vor Siwa eine ehrerbietige Haltung einnimmt, wäre doch ein unmöglicher Verstoß gegen die im himmlischen Bereich geltende Etikette.

42 um magische Kraft (siddhayätra) zu erlangen; vgl. auch DE CASPARIS, a. a. 0., p. 298 .

• 43 Mitteljava hatte bereits den Kailäsa-Berg, den Göttersitz Siwas, im Lande, wie

eme .Kupferplatte vom Saka-Jahr 800 anzeigt, die PoERBATJARAKA, Agastya in den Archipel, p. 74 ff ., behandelt. Vgl. auch N. J. KnoM, OJO, CIV (undatiert), p. 235, die von dem guru hyail i keläsa spricht.

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Interpretation Anlaß geben, in der Transkription und Ubersetzung von DE

CASPARIS hier im vollen Wortlaut wiederzugeben. Es sind die folgenden:

Strophen 7 c.d -11 44:

7 c.d : -- '-J - ~tala watunn = inatus = yat = uilsyan hantäwali mwail = anilä '-J [1 0] hi wälaputra

8: Nätha prasiddha ri jagat = ni '-J - '-J- _

rak~ä ni rowail = atha wira warul). swa<;Ila kälap kaläg~arawi[ll]prakulasthanäma

ginlar ri mamratipurastha ma<;lail ka<;latwan 9: Tlas mailkanoparata sail prabhu jäti niil rat

räjya ka (12) ratwan = asilil). tailanan inailsö dyal).lokapäla ranujämata lokapäla

swastha = il prajä sacaturä<;rama wipramu (13) khya 10: Räjfie ta sail patih = ayat = patihäkalailka

tar = sandihä rakaki mamrati wel). ri wantil merail ilunin iluni-ilunin sa[14]marän = thaniwuil

pril).-pril). patoliha ni tan pasisiha denya 11: Dewänubhäwa salakas ni lawas = nira ilke

tapwan [15] hana = il musuh = asih pailailennailenta pöilpöil hadep = ni hana niil wibhawäwyayädi

dharmä ta rakwa ginawainira san wida[16]gdha

7c,d: ... stones heaped up by hundreds for his refuge, a killer as fast as the wind ... Bälaputra.

8: A king, perfect in (this) world, ... , a protection for his comrades, indeed a hero who knew the duties of his rank; he adopted a name proper to a family of honourable Brähma.Jfas (rieb in) arts and virtues, and established his keraton at Me<;lang situated in the country (?) of Mamrati.

9: After these (deeds), the king Jätiningrat ("Birth of the World") re­signed; the kingship and the keraton were handed over to his suc­cessor: Dyah Lokapäla, who was equal to a younger brother of the (divine) Lokapälas; free were the subjects, divided into the four ä<;ramas with the Brähmai_las ahead.

10: A royal order went out to the Patih that he should prepare immaculate funeral ceremonies; without hesitation Rakaki Mamrati gave (grounds) to Wantil: he was ashamed for the past, especially for the fact that the village Iwung had been the battlefield (?), (and) took the utmost care nottobe equalled by him (?).

11: All his actions during the time he was here were inspired by a divine majesty; there were no enemies anymore: Iove (for his subjects) was

44 Prasasti II, p. 312, übers. p. 317-320. DE CASPARis' gelegentliche Schreibung ng für iz, wie der Velarnasal in den zitierten Textabschnitten der vorliegenden Abhand­lung gesduieben wurde, ist hier stets als n wiedergegeben.

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what he always strived after. When he could at last dispose of power and riches etc., it was only naturalthat sanctuaries were built by him, the able one."

Strophe 14b 45 :

teasa[20]turusnya tamwaka ta istaka ista karil:) " ... the heart (of the complex) with its own wall and bricks to construct the dam (?), for thus it was desired. 11

Strophe 15b 46 :

ri lawan = enal:)hi ra[22]nkan = analil:) ta alil:) pamawän II at the gate­ways, two small buildings were erected, different in construct~on. "

Strophen 24-25 a.b 47 :

24 : Ri käla nikanail sakä[39]bda wualun gunu(n) san wiku samärggac;irac;uklapak~a sawelas ya nä tail tithi

wrehaspati wagai lawan ma[40]wurukung ya nä wära wel:) yatekana tewek bhatära ginawai sinanskära wel:)

25a,b Huwus = nikana tan c;iwä[41]laya samäpta diwyottama lual:) ya inalil:)haken apaniyäniQ.ik palmahan

24: "In the time of the <;aka year (denoted by) eight, mountains and monks, in the bright half of the month Märgac;Ir~a, the eleventh lunar day, on the week-days Thursday, Wagai (of the five day's week) and Wurukung (of the six days' week) ... - that was the date at which the (statue of the) God was finished and inaugurated.

25 a.b: After the <;iva sanctuary had been completed in its divine splendour, the (course of the) river was changed so that it rippled along the grounds."

Zunächst einige grammatische Bemerkungen zu den vorstehend wieder­gegebenen Textabschriften. Die Sprache des Rämäyal).a unterscheidet wie die der Inschrift das respektvolle Präfix vor einem Nomen Ia und die ebenso als Ausdruck des Respekts fungierende (etymologisch mitdem Präfix verwandte) Partikel I (ai}, dien (an) entspricht und als Konjunktion dient.

Danach verstehe ich in Strophe 8, wo I vor einem mit dem altjavanischen Präfix a- verbundenen Sanskritkompositum wiprakulasthanäma "Name aus ßrahmanengesd:llecht'j steht,

kälap kalägu:r:ta r a-wiprakulasthanäma "begabt mit Kunst(sinn) und Tugenden als Träger eines Namens aus Brahmanengeschlecht II,

in Strophe 10: r äjfie ( <r äjfiä-i) ta san patih "als er den Patihs befahl ... u

Der gleiche Ausdruck findet sich im Rämäyal)a an drei Stellen: mankat sanken palankär kuliliili ikanail räjya r äjfiekanail wwil

45 Prasasti II, p. 313, übers. p. 322. 46 Prasasti II, p. 313, übers. p. 323. 47 Prasasti li, p. 316, übers. p. 328.

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kon ' 8 sail mantri Prahastömasuka tumitahail räk~asänuil matungwa mwail ta il konen{n)umetweil rru;ta sira sarru;tä niil watE~k wira riil prari

"er (RäwaJ).a) richtete sich in der Sänfte auf bei seinem Weg um die Residenz, indem er den Dämonen befahl, den Minister Prahasta aufzufordern, zur Audienz zu kommen, damit er diejenigen Räk~asa's bestimme, die (die Stadt) bewachen sollten, und diejenigen, denen befohlen werden sollte, in den Kampf zu ziehen als Reserve für die Helden auf dem Schlachtfeld."

Räm. 21 199 b - d

Auch die beiden anderen Stellen sollen noch mitgeteilt werden, um die hier vertretene Auffassung zu begründen gegenüber DE CASPARIS, der (1956) in der konjunktionalen Partikel (a)I das Präfix Ia zu sehen glaubte.

minailka sri naranätha Räma r äjfieka san wänararäja maswa Sugriwa mahyun mayasä rikeil pran kinon pwa mailkin ta sirätihar~a "Als so [beraten] der Fürst Räma den Affenkönig hieß vorzugehen, war Sugriwa, der Kampfesruhm wünschte, über den Befehl so besonders erfreut. • Räm. 2267

teka sira ri samipa nin räjya r äjfiekanail wänarärädhanädhäna 49

donyänumäne manah nin manonton

"Er 5° kam in die Nähe der Residenz, als er die Affen aufforderte, mit Gaben günstige Stimmung zu schaffen, damit die Herzen

der Zuschauer freundlich gesinnt würden ... " Räm. 2623 (b)

Bemerkenswert ist, daß in den drei Beispielen dem oder den Befehlsemp­fängern nicht der einfache Artikel (a)n bzw. sarivorgesetzt ist, daß vielmehr der Artikel mit dem auf Entferntes hinweisenden Pronomen ika bzw. ikana verbunden wird. Wie es scheint, soll damit die große Distanz ausgedrückt werden, die zwischen dem königlichen Befehlshaber und dem ihm unter­geordneten Befehlsempfänger besteht. Es fragt sich daher, ob in der Inschrift statt I äjfie ta (san patih) nicht I äjfieka zu lesen möglich wäre. Die Stellung der hervorhebenden Partikel ta zwischen "verbalem" Ausdruck. und Objekt wäre auch an sidl ungewöhnlich.

Ebenso wie im altjavanischen Rämäyar;a kann auch in der Inschrift dieser als Konjunktion fungierenden Partikel I, der Respektsform von n, ein ein­faches Nomen folgen in der Bedeutung "als, in der Eigenschaft als". Die Ver­bindung von n mit dem einfachen Nomen ist im Rämäyar;a durch zahlreichere

48 In der Ubersetzung, B. K. I. 90 (1933), p. 322, ist nicht erkannt, daß von r iijiie .. ,.als er befahl ... • der Inhalt des Befehls mit dem Imperativ auszudrücken ist; wörtlich: "der Minister soll geheißen werden, zur Audienz zu erscheinen".

48 metri causafür (a-)dhana "(mit) Gaben" 50 Der Text ist vielleicht unvollständig; "er• bezieht sich offenbar auf den Affen­

könig, obwohl dieser im vorangehenden Text nicht genannt ist.

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Beispiele belegt als in den späteren ostjavanischen Schriften 51; die Respekts­

formrist nur noch im Riimäyai)a und in der Inschrift erhalten. Vergleiche

R- 8 mengep siran wwil II benahm sich als Dämon" am. 69:

R 25 mari n baka "hörte auf als Baka ("Reiher") sich zu betäti-äm. 21:

Räm. 3u: Räm. 1121: Räm. 424:

gen, nicht mehr als Baka erscheinen • 1) c:;iatu "als König" (Sandhi aus n ratu) 1) c:;iaray "als Kind" (< n raray) ar weka san Raghüttama "als Sproß des vortrefflichen Raghu"

Eine Parallele dazu bietet Strophe 9 c der Insdlrift: dyah Lokapäla r anujä mata lokapäla ,,Prinz Lokapäla als jüngerer Bruder wurde Landesherr"

Die Wiedergabe des Verses bringt zum Ausdruck, daß mata nicht als Sanskrit­partizip, sondern als die altjavanische Nachdruckspartikel mata (neben ta, ata) anzusehen ist und das Prädikatsnomen lokapäla als Wortspiel gewählt wurde. Die Länge des auslautenden a in anujä ist metri causa bedingt.

In a-silih-tailan-an, Strophe 9b, sehe ich eine mit a- (bzw. ma-} präfigierte und mit -·an suffigierte Verbalform des reziproken Ausdrucks silih-tanan. Die Form deutet an, daß mehrere an der Handlung beteiligt sind. Danach verstehe ich die Form a-silih-tanan-an inailsö etwa als "im Wechsel des Hand­ergreifens, im Wechsel der Macht wurden übernommen".

räjya karatwan a-silih-tanan-an inarisö etwas frei übersetzt:

"Königtum und Residenz wurden in andere Hände gegeben." Die Konjunktion apan in dem Vers 25 b:

lual). ya inalihaken apan iyani<;lik palmahan ist wohl auch hier in der gewöhnlichen kausalen Bedeutung "da, weil" zu sehen und nicht, wie DE CASPARIS annimmt, in konsekutiver "so that" 52•

Danach wäre der Vers wie folgt wiederzugeben: "Der Fluß wurde umgeleitet, da er (wiederholt} in das Land einbradl."

Eine stilistische Besonderheit, die die Inschrift mit dem Rämäyal).a gemein­sam hat und die in der späteren Dichtung kaum noch angetroffen wird, ist die Verwendung der Form des sogenannten passiven Imperativs in Verbindung

51 In seinem ausgezeichneten Buch De Taal van het Ädiparwa, Verh. Kon. Bat. Gen. LXXIX, 1950, das die Einführung in die altjavanische Prosa so wesentlich erleichtert, führt Prof. P. J. ZoETMULDER als Beispiel ... an wiku (Ädip. 117, Zeile 15) " .. als monnik" an.

sz ~rasasti Indonesia II, p. 328. DE CASPARIS transkribiert (p. 316) apan iycinic;lik, aber m der Note 94, p. 238, anitik, das er mit "so that it rippled" wiedergibt. Ich d.e~ke .bei. der Form anic;lik an s-in-idik, Arjunawiwäha 165 : keiiar in arka sinidik i t1ba mkan hudan "Die Strahlen der Sonne wurden gebrochen durch den Fall des Regens". Freilich ist der Stamm sidik nur an dieser Stelle nachzuweisen, und es fra~t ~sich .. au.ch, ob sidik mit sic;lik gleichgesetzt werden darf. Wäre die Lesung anec;lek moghch, so könnte diese als Ableitung von dem in Räm. 435 und 24102 ver­tretenen Stamm sec;lek "bedrängen" gedeutet werden und fände einen Anhalt in den Angab~n der Encyclopaedie van Nederl. Indie, III, 1919, p. 154, s. Opak, wo von den gewalhgen Uberflutungen durch den Fluß berichtet wird.

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mit dem Suffix -i 53 als Modus der Erzählung. Strophe 15b bietet ein Beispiel: ri lawan ena}fhi raiikail ailalih ta alih pamawän

In Abweidlung von De Casparis' Interpretation verstehe idl rankaiz aizalih nid:lt als "two small buildings", sondern als "bewegliche (transportable) Pavillons". Die Zusammenstellung analih "beweglid:l" mit alih "zwei" ist eine vom Didlter beabsid:ltigte Apartheit, die entspred:lend in der In­schrift wiederholt Ausdruck findet. In der Bedeutung analih "beweglidl" begegnet das Wort auch Arjunawiwäha 342 : wintan aiwlih "Stern­schnuppe" 54

• Auch an zwei Stellen des Rämäyal)a, Sarga 887 und 2079 , ist rankan "Pavillon" zu finden; pamawän (Stamm wawa) "Mittel, womit ge­tragen, gebracht wird; Sänfte". Vergl. Räm. 11 37 : pamawän-a "als Trage". Danach bietet sich als Wiedergabe des Verses:

"Am Tor wurden niedergesetzt, bewegbare Pavillons" d. h.: "Am Tor wurden in der Form von bewegbaren Pavillons zwei Trage­sessel niedergesetzt 55."

Als Parallele zu dem als Erzählform verwendeten Imperativ enahi sei aus dem altjavanischen Rämäyaria angeführt:

Räm. 825 : pasuki ta n nagara "betreten werde die Stadt"

(erzählend:) "betreten wurde die Stadt" "als, nachdem er die Stadt betreten hatte".

In Texten aus einigen Philippinensprachen, wo die versmiedeneo Formen des aktiven wie des passiven Imperativs als Modus der Erzählung dienen, fällt eine Stilfigur auf, in der eine am Ende eines Dialogs stehende Form der Aufforderung vom Erzähler alsbald gleichlautend aufgenommen wird, um mit ihr den Gang der Erzählung weiterzuführen. So entspridlt dann das gleiche Wort in unserer Erzählweise sowohl einem Imperativ als auch einem Präteritum. Doch offenbar handelt es sich um einen besonderen archai­schen Erzählstil, in dem der Erzähler gleichsam als Lenker die auftretenden Personen zu ihrem jeweiligen Handeln anweist und zugleich durch die Kraft dieser Suggestion seine Hörer an dem dramatischen Geschehen teilhaben läßt. Denn diese Stilfigur läßt wohl kaum eine andere Interpretation zu als die, in beiden Fällen in der gleidlen Ausdrucksform auch den gleichen Ausdruckswillen zu sehen, nämlich den der Aufforderung. Denn kein Hörer wird beim Vernehmen des gleichen Ausdrucks in so unmittelbarer Folge ihn

53 Vergl. H. KERN, V. G. VIII, p. 299 ("Passieve imperatif") . 54 Vergl. TH. PIGEAUD, Javaans-Nederlands Handwoordenboek, 1938, p. 242: !in­

fang ngalih "vallende star"). 55 Die Worte enahi "es wurde {werde) niedergesetzt" und rankan analih "beweg­

bare Pavillons" deuten darauf, daß es sich um Holzbau handelt. Daß die beiden pamawän am Tor niedergesetzt wurden, läßt an die von TH. P. GALESTIN in seiner Dissertation Houtbouw op Oost-Javaansche Tempelreliefs pp. 12-14 beschriebenen .. twee geboutjes ... aan weerszijden schuin, voor of achter een poort geplaatst" den­ken, die pengapit lawang "das Tor Flankierende" genannt werden. Sie dienten, nach GALESTIN, zur Aufnahme von Opfergaben für die Gottheit, den dewa dalem, und zu­gleich auch als magische Bewachung der Hauptpforte. -Ein pamawän ist wohl einem palailka vergleichbar, in dem sich die von Räma getrennte SHä wie in einem paiijara, einem Käfig, fühlt (Räm. 8153).- Derartige hölzerne Pavillons wurden demnach schon in mitteljavanischer Zeit zu beiden Seiten des Tempeltors gesetzt.

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differenziert, d. h. einmal als Imperativ und dann als Präteritum verstanden

haben 68•

Die frühen Erzähler hatten sidl demnadl, als sie den Stil ihrer Darbie-tungskunst prägten, nicht von der Spredlweise der Umgangssprache leiten lassen, die im Interesse der Information Geschehenes und Bevorstehendes unterscheidet. In den vielfach in die Erzählungen eingestreuten Dia 1 o g e n werden daher auch die Formen eines Modus Realis, der das bezeichnet, was ist oder geschah, und die eines Modus Intentionalis, der ausdrückt, was ge­sdlehen soll, erhofft wird oder zu geschehen droht, genau beachtet. Der Er­zäh I er aber berichtet vom Tun und Erleiden seines Helden und dessen Hel­fern oder Widersachern nicht in der Rückschau auf Vergangenes, sondern er gestaltet ihr Verhalten und den Fortgang der Handlung als Akteur und ist daher, um sie darzustellen, auf die Formen des IntentionaUs angewiesen.

Jene Stilfigur erscheint mit einigen wenigen Beispielen noch im Text des altjavanischen Rämäyal).a; in den späteren ostjavanischen Kakawins findet sie sich, soweit ich sehe, nicht mehr. Jedenfalls ist so in der Sprache des Riimäyal).a noch der Einfluß des altindonesischen, vorhinduistischen Erzähl­stils zu erkennen. Vergl. Räm. 107oc - d:

apusi pahateguh ikünya tunwi prisakiti ta hatinya weh sarantä "Er soll gebunden werden fest, sein Schwanz soll angezündet werden, gepeinigt soll werden sein Herz auch, daß er leide. •

Räm. 1071 b-c:

hana halala:ri aki:ri pamu:rikusnya rikü nira:ri Märuti apusi ta daluwail bwat keli:ri ku!?yara mwa:ri jaman "Da gab es trockenes Alang-Alang-Gras, womit Hanumäns Schwanz

umwickelt wurde,

511 Diese Auffassung beruht auf der Analyse mehrerer Sprachen der Philippinen­gruppe des Indonesischen, die die altindonesische Spradlstruktur gut bewahrt haben. Der Verfasser hofft eine vorbereitete Studie zu diesem Thema nodl veröffentlichen zu können. - Ein ähnlicher Erzählstil ist wohl auch in anderen, nidlt verwandten Spradlgruppen nadlzuweisen. Erwähnt seien hier nur die semitisdlen Spradlen, wo er nodl im Althebräischen und dem ihm nahestehenden Ugaritisdlen erhalten ist; dort wurde der "Jussiv"' neben seiner eigentlichen Funktion audl als "Präteritum" verwendet, zumal wenn ihm, wie im Althebräisdlen zumeist, eine für diesen Fall durdl die späteren Interpreten von der üblichen Form abweidlend vokalisierte Kon­junktion wa voranging, mit der sie diesen fremden (oder fremd gewordenen) Erzähl­stil ihrer aramäisdlen Spradle meinten anpassen zu können. Auch hier gab er Anlaß zu der besprodlenen Stilfigur, die von den Hörern wohl als eine Art "Echo-Effekt" e~pfunden wurde, z. B. die bekannte Stelle Genesis 13 : jehi'ör wajeNi'ör "es werde Ltcht und (nadl der seit den masoretischen Erklarungen herkömmlichen Interpre­tation:) es ward Licht" . Oder Exodus 1021 •22 nadl der masoretischen Vokalisierung: wihi J:ws~l!, ... wajehi J:zos~l! "und es werde Finsternis ... und es ward Finsternis"', wobei zu bemerken ist, daß der überlieferte unvokalisierte Text sowohl wihi als auch wajehi mit den gleichen Zeichen w j h j geboten hatte. - Als Beispiel aus dem Ugariti~dl~n sei auf die Zeilen 49 III 4-7 und die gleichlautenden 49 111 10-13 aus de~ Baal-Anat-Zyklus verwiesen, die Schilderung eines herbeigewünschten Traum­~esichts, das sowohl so, wie es sidl zeigen sollte, als audl, wie es sidl alsbald zeigte, 1m sogenannten "Jussif"' ausgedrückt wird. Vgl. CYRus H. GoRDON, Ugaritic Manual, 1955, p. 137 ff.

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und daran gebunden (soll werden) wurde Baumrinde, Kelingstoffe und Bänder(?)"

Räm. 17187 a (Selbstgespräm Sitäs): wulati kari ya kedwa ndan baneil ägamokta "Beamte dom, was als erforderlim in den Worten der Oberlieferung

enthalten ist. " Räm. 17tssc:

wulati ta sira dewl wet nikämbeknya bhakti "Die Prinzessin beamtete es mit hingegebenem Sinn."

In umgekehrter Folge erscheint der IntentionaUs zunächst als Narrativ, dann als Imperativ:

Räm. 24usa: Trijatä masö sira ri dewl wulati sira tlbra du]:lkita "Trijatä trat auf die Fürstin zu und sah sie in tiefer Betrübnis.''

Räm. 241611 a: Trijatari häh wulati täku atisaya il abhägya kasmala "Trijatä, Schwester, ach sieh mich an, wie sehr unglüddich und elend

ich bin." Vermutlim enthält die Insmrift außer enahi nom ein weiteres Beispiel für

die Verwendung des passiven Imperativs als Präteritum, und zwar in den Versen c, d der 7. Strophe, von denenDE CASPARIS den folgenden Wortlaut wiederherstellen konnte:

-- ._- ~tala watun inatus yat uilsyan hantäwali mwail anilä- hi wälaputra

Im versume, die Verse wie folgt zu ergänzen: (m)äwän 57 giri~thala watu n inatus yat uilsyan hantäwali 58 mwail anilälahi wälaputra "So erhöht das Bergplateau (auch) wurde mit Hunderten von Steinen zu

einer Fluchtburg, und ein wie mämtiger Täter im Bund mit dem Windgott er auch war,

wurde besiegt Bälaputra." Das in dieser Stelle erscheinende Yamaka (• giri~thala, anila, wiilaputra) legt die Konjektur alahi ("besiegt werde, besiegt wurde") nahe. Die Ergän­zung (m)iiwiin bzw. tambeh wird auch durch Räm. 251 nahegelegt, wo der Ubermut des Windhya-Berges gesmildert wird. Das Sanskritkompositum hantiiwali ist als "mächtiger Täter" wiedergegeben in der Annahme, daß w, wie so häufig und hier auch in wiilaputra, für b steht.

Daß ich einige in der Inschrift enthaltene Worte glaube anders deuten zu müssen als DE CASPARIS, mögen die folgenden lexikalischen Bemerkungen dartun:

57 Vielleicht ist aber tambeh zu lesen; vgl. Räm. 251c, wo von den Gipfeln des Windhya gesagt ist: tumuwuh nitya matambeh "sie wuchsen beständig in die Höhe und Weite".

58 = hantiibali.

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1. uparata.

DE CASPARIS fürt zu dem Sanskritwort uparata (Strophe 9a) aus: "The term rendered by 'resigned ' is uparata, the literal meaning of whidl is 'reposed, took a rest'. It does not seem likely that this term should indicate the death of the king; it rather suggests a resignation by his life 59

". Die beiden einzigen mir zur Zeit zugänglichen Belegstellen aus der Sanskritliteratur, die uparata enthalten, nämlich eine Fabel aus dem Paiicatantra 60 und ein Vers aus des Grammatikers BHART~HARI Dichtung Vairägyasatakam, dem "Hundertstro­phengedicht von der Weltentsagung" (Strophe 64) 61 sprechen allerdings dafür, daß doch eher an "dahingeschieden, vergangen" zu denken sei als an "(von einem Amt) zurückgetreten, in Ruhestand getreten".

In der 11 . Erzählung des ersten Buches des Paiicatantra wird von dem Vogel Sucimukha, der einer Affenschar mit seinem ungebetenen klugen Gerede lästig fällt , gesagt, daß er von einem erbosten Affen

(pak~abhyä!Jl grhHva silayam asphalita uparatas ca) "an beiden Flügeln gepackt und gegen einen Felsen geschmettert wurde,

so daß er verendete. 11

Und in dem Gedicht von der "Weltentsagung 11 heißt es: sa~p.praty anye vayam, uparata~p. balyam, ästhä vanänte "Andere sind wir jetzt, die Jugend ist dahin, die Sehnsucht [lockt] in

Waldeseinsamkeit" Als entscheidend aber dafür, daß uparata in der Inschrift im Sinne von "ver­storben" zu verstehen ist, können die beiden ersten Verse der Strophe 21 65

des RämäyaiJ.a gelten. H. KERN, der in seiner Edition des Gedichts den Lesun­gen der balinesischen Handschriften zumeist mit Recht den Vorzug gegenüber den javanischen 62 gegeben hat, bringt davon zwar den folgenden Wortlaut:

atisaya rin abhägya tE~kanail rät yar upahatä naranätha Rämabhadra

Doch in der der Textausgabe beigefügten Liste: "Verschil van lezingen" ist zu XXI65 bemerkt: J uparata, und diese Lesung ist sowohl im Blick auf das Yamaka, das Lautspiel mit ra, wie auch aus semasiologischer Erwägung als die ursprüngliche anzusehen. Denn von Räma ist in diesem Zusammenhang ja berichtet, daß er, getroffen von der Waffe nägapäsa (dem "Schlangen­netz") nun in tiefster Bewußtlosigkeit liegt, aus der ein Erwachen fraglich erscheint. Zu dieser Situation paßt wohl eher der Ausdruck "dahinscheiden II als "geschlagen, getötet werden 11

• Liest man mit J uparata, d. h. metri causa und sinngemäß uparatä statt upahatä, dann bedeuten die Verse:

"In größtes Unglück gerät die Welt, sollte dahinscheiden der Fürst Rämabhadra."

2. Daher kann auch sait prabhu Jäti-niri-rät ("Fürst Erdgeboren") nicht der Titel des Königs Pikatan sein, den er nach seinem Rücktritt geführt haben sollte, sondern entweder ein geistlicher Titel, den er bei der Ausübung reli-

59 Prasasti Indonesia II, p. 288. 60 zitiert nach B. LIEBICH, Sanskrit-Lesebuch, 1905, p . 172f. 61 B. LIE BICH, a. a. 0., p. 308. 62 mit J bezeichnet.

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giöser Handlungen innehatte, oder vielleicht nur ein Epitheton, mit dem der Verfasser der Inschrift auf die Vergänglichkeit aller menschlichen Kreatur hinweisen wollte- etwa in dem Sinne des Verses Rämäya(la 331 :

... prakrti jäti niil dadi kabeh matuiltuil pati "Nach dem Gesetz ihrer Natur enden alle Wesen mit dem Tod es. u

DE CASPARIS erinnert in der Einleitung zur Inschrift 64 an den Bericht des Calon Arang, wonach der große König Airlailga nach seinem Rücktritt vom Thron den Namen Jäti nili rät angenommen habe. In dieser Tatsache glaubt DE CASPARIS eine Stütze für seine Annahme sehen zu können, daß bereits König Pikatan als Eremit diesen Titel geführt habe.

Dazu muß bemerkt werden: Im Calon Arang erscheint Jäli nin rät als Name des Königs, mit dem er als geistlicher Würdenträger von seinem Lehrer-" Vateru Bharac;lah geweiht wurde, an drei Stellen 65 • Sie lassen er­kennen, daß der eigentliche Herrschername Airlailga bzw. Erlailga vom König weiter geführt wird und daß die weltlichen Funktionen des Fürsten von der geistlichen Würde keineswegs berührt werden. Ausdrücklich lassen das die Wendungen saß prabhü apu$pata Jatininrat, mahäräja Erlangyäbi$e­kanira bzw. pukulun ratw in Jawa, bhi$eka mahäräja Erlangya, apu$pata Jatiniilrat erkennen, nämlich: "der Fürst mit dem geistlichen Titel Jatiniilrat, dessen offizieller Titel "Großkönig Erlailgya ist" bzw. "der Herr König von Jawa, mit offiziellem Titel Großkönig Erlailgya, mit geistlichem Weihetitel Jatiniilrat".

Noch in den letzten Kapiteln des Calon Arang 66 wird von Erlailga als Großkönig, der in Daha residiert, gesprochen, offenbar geraume Zeit, nach­dem er die geistliche Weihe empfangen hatte und auch nachdem er seine beiden Söhne, die sich in den Regierungsgeschäften bewähren sollten, als Fürsten von Kac;liri und Jailgala eingesetzt hatte. So trifft der Heilige Bha­rac;la nach Erledigung der vom König Erlailga erhaltenen Aufträge diesen seinen "Sohn" in Daha an, als er gerade eine Funktion des Herrschers, die Abhaltung einer Audienz, wahrnimmt. Ob Erlailga in Erinnerung an das Epitheton des verstorbenen Königs Pikatan den geistlichen Titel erhielt, ist wohl kaum zu entscheiden. Der mit ihm verbundene Sinn, der an das memento mori gemahnt, mag wohl auch hier seine Wahl veranlaßt haben.

3. DE CASPARIS hat in Strophe 10 der Inschrift das Wort patiha abgeleitet von tiha als einer anderen Schreibung für tiwa und hat es entsprechend als "funeral ceremony" wiedergegeben 67 , und er vermutet, daß es sich dabei um die Leichenfeier für den Vorgänger des Königs Pikatan, den Rakai Garung (Patapän) gehandelt habe. DE CASPARIS nimmt weiter an, daß diese Feiern wahrscheinlich unmittelbar mit dem Tempelbau zusammenhingen, von dem die darauf folgenden Strophen berichten.

83 Vgl. auch Adiparwa, ed. JuYNBOLL, p . 7422 : jäti nikari janma makäwasäna il pati .,Die Natur des Menschen hat den Tod als Endeu.

84 DE C ASPARIS, Prasasti Jndonesia II, p. 291. 85 Vgl. De Calon Arang door R. Na. PoERBATJARAKA, B. K. I. 82, 1926, pp. 133, 136,

139 (in der Obersetzung: pp. 167, 170, 173). ss Vgl. Calon Arang XII und XIV, pp. 140 und 143 (175 und 178). 17 Prasasti Indonesia li, p. 319, Note 22.

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Eine derartige Gleichsetzung von • tiha und tiwa erscheint ungewöhnlidl. Ich deute stattdessen patiha in patihakalaizka als Form der Aufforderung, gebildet mit dem Suffix -a, zu patih "gehorsam, ergeben" 68 , einem auch im Rämäyal)a sich findenden Homonym von patih "Kanzler, Minister" 69• Für das auch in der Sanskritliteratur beliebte Spiel mit Homonymen konnte C. HooY­KAAS aus dem altjavanischen Rämäyal)a nur den Vers 332 b anführen:

masoca ta maweh tilem sira rikail tilem nüi wulan "Er (Bharata) erfüllte die Reinigungszeremonie und gab das Totenopfer

am letzten Tage des Monats 10."

In der Inschrift finden sich außer dem Beispiel in Strophe 10 a: . . . sari patih ay at patihakalaizka noch drei weitere, auf die DE CASPARis hingewiesen hat 71 • Der letzte Vers der Strophe 11 und der erste der Strophe 12 zeigen das Wort dharma in den Bedeutungen "fromme Stiftung, Tempel" und "Recht" 12,

und in Strophe 13 d mananumoda- numoda ( gawainya) in den Bedeutungen "zustimmen" und "anumoda genannte kleine Tempel" (wurden von ihnen errichtet).

Für patih als "gehorsam, treu ergeben" sprechen mehrere Stellen des RämiiyQI)a, wie 1419, 1424 , 1848• Um den Wortsinn an Beispielen zu verdeut­lichen, sind die folgenden ausgewählt:

Räm. 1958 u. 59 :

kapindra winarah rin ägama wineh wruhen lor-kidul tatan hana ta sambhawanya matihekanan säsana apafi capala jäti mü~ha ya tathäpi ta langhana prabhäwa nira san Raghüttama wenail sumik~ä n sarät

patih ta sahananya tan hana wihan riy äjfiä nira kapindra magiran sahar~;a ineneb te~uh niscaya mananti ya humeraken (n)ikana säilswa niil räk!?asa tathäpi kalalah manahnya panagih nikail. kawrayan

"Die Affenfürsten wurden unterwiesen in den Uberlieferungen und vorbereitet, die Welt zu verstehen.

Es fehlte ihnen die Fähigkeit, Befehlen zu folgen, da sie von unstetem Naturell und unbesonnen waren, ohne

jedoch widerspenstig zu sein. Die Geisteskraft des vortrefflichen Raghüfürsten war imstande,

alle zu belehren.

88 Vgl. Malaiisch patih "gehorsam•. 68

v _v~I. auch in Räm. 2622b: rikdn patiizkah patih saiz patih sail kagailsal ... tan kalenke manah "da waren in treu ergebener Haltung die fünf Patihs ... makellos von Gesinnung".

70 In der in Anm. 101 zitierten Schrift, p. 38. 71 Prasasti Indonesia II, p. 319, Note 26 (iz uni n nuni-izuni), p. 320, Note 36, p. 321,

Note 46. 72 In dieser doppelten Bedeutung erscheint dharma auch im altjavanischen Rämä­

ya.{la 354a und d·

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Gehorsam wurden sie alle, keiner widersetzte sich seinem Befehl. Die heiteren und frohen Affenfürsten sahen gelassen, ruhig und

entsdllossen wartend dem Ansturm der Räk~asas entgegen. Doch von brennender Ungeduld war die Angriffslust des Affenvolkes ". 73

Räm 2448, 49 [aus dem Abschnitt Räm. 2443 - 86 , der Rede Rämas an Wibhi~al).a über die Pflichten des Herrseilers]:

nihan krama ni de nin aildäni rät awakta 74 rumuhun warah riil hayu tEHas ta mapageh magöm ägama tekerikan amätya mantri tumüt (Räm. 2448)

patih 75 sail apatih patih satya 76 ta sabhftya paricära kapwacara teken anak anüt ulah tan salah prajä ya milu jägra niti hayu

In der deutschen Ubersetzung müssen gegenüber der komplizierten altjava­nischen Satzkonstruktion einige Worte der Verse 48c und 49a zum besseren Verständnis umgestellt werden:

"So vollzieht sich die Aufgabe dessen, der die Welt ordnet : Hat man 74 zuerst sid:l selbst belehrt über das (zu erstrebende) Wohl, und halten audl die Patihs mit Einschluß von Ministern und Räten schon fest an den überlieferten Lehren [miteinander verbunden]

in gleichem Gehorsam 75 , und wenntreuergeben auch alle Beauftragten und Diener sind, die alle wohlgesittet zusammen mit ihren Kindern keinem verkehrten Handeln folgen, dann sind auch die Untertanen achtsam, wohlberaten und glücklich".

Räm. 24124c,d:

tüs ny ämbek sail mawa il rät ya ta dumuluraken satwa sin atukar kähinyeka il ka<;latwan dglha pati mapageh bhaktinya ri sira.

Zwar gibt H. KERNS Textausgabe pati und n icht das in Frage stehende patih, aber die Lesung ist unsicher, denn in dem Anhang "Versdül van lezingen " ist zu der Stelle angemerkt: "B(alines. les.) hati, J(avan. les .) pada voor pati." Aber auch pati als "überall" ist wenig überzeugend. Doch bei Beachtung des

73 Die Ubersetzung der Strophe weidlt ab von der Ubertragung H. H. J uYNBOLLS in Bijdr. Kon. Inst., Deel 86, 1930, p. 545, in der patih hier als "Kanzler, Minister " an­gesehen wird.

74 Das Pronomen der 2. Person steht hier, wie gelegentlidl, fü r das indefinite "man".

75 Die beiden Strophen sind mite inander durdl ein in de r altjavanischen Dichtung wohl seltenes enjambement (tumüt patih) verbunden, wie es audl die metrische Inschrift in den Strophen 13-14 enthält. Vgl. Pr asasti Indonesia II, p . 313, Note 17. Die wörtli<he Wiedergabe lautet : "und nachdem dann auch die übe rlieferten Lehren festhalten mit Ministern und Räten verbunden (tumüt) in Gehorsam (patih) die Patihs (Subjekt} und treu ergeben auch alle Beauftragten und Diener sind . .. "

76 patih satya entspricht Sanskrit satyabhakti, vgl. Räm. Js5 •

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offenbar vom Didlter beabsidltigten Parallelismus, den der Vers enthält, läßt sidl wohl mit Sidlerheit der ursprünglidle Wortlaut wiederherstellen zu

kähinyeka n kaQ.atwan drQ.ha patih apageh bhaktinya ri sira Es ist deutlich, daß das Sanskritkompositum dr(fhabhakti 77 das Modell so­wohl für dr(fha patih wie für apageh bhakti (nya) bildete, wobei patih als Synonym von bhakti verwendet worden ist. Dann ergeben die beiden Verse den folgenden Sinn:

"Der geistige Einfluß des Herrschers führte die zerstrittenen Wesen zusammen,

nicht davon zu reden, daß (die Untertanen) des Reiches in fester Treue und beständiger Ergebenheit zu ihm standen".

Diese Beispiele aus dem Riimiiyal)a mögen genügen, um wahrscheinlich zu machen, daß audl die Inschrift das Wort patih in dieser zweiten Bedeutung verstanden wissen wollte. Nach der Ubernahme der Königsmacht forderte Prinz Lokapäla also ein uneingeschränktes 78 Treuegelöbnis von den Patihs.

Die zuletzt zitierten Verse des Riimiiyal)a 24124c, d, die herangezogen wur­den, um die Bedeutung des Wortes patih zu klären, lassen übrigens ver­muten, daß seit der im ersten Absdlnitt behandelten spannungsgeladenen Szene im Park von Lailkä (Räm. 24112 - 115) eine für Pikatan glückliche Wende im Streit mit seinen Gegnern eingetreten war. Offenbar war es gelungen, einige alte Anhänger des Königs, die für Bälaputras Werbungen anfällig gewesen waren, zurückzugewinnen. Die beiden unmittelbar folgenden Verse 24125a , b können diesen Eindruck bestätigen:

sakweh nin mürka märi n panimur-imur amor iii sajjana jenek mäbhyäsen bhä~itäsin gul).a pinahagenet pinrih ginul).ita "Ausgespielt haben alle die Wahnwitzigen, die als Werber sich

an wohlmeinende, zufriedene Menschen heranmachen, und einstudiert in schöner Rede wird eine Rolle, leicht eingehend mit

Eifer (ihnen) zugespielt." Diese Verse erinnern deutlich an den Auftritt des Kuwong, des manuk widu ("Vogel Mime") aus der Riimiiyal)a-Strophe 24112 , wo diesem (in dem sich wohl ein Agent des buddhistischen Prinzen Bälaputra verbirgt) vorgehalten wird:

tan pomah tä katr~nän laku widu mawayan ko m gul).ya sagul).a "Ohne Heim und liebeleer erscheinst du wie ein Gaukler mit seinem

Schattenspiel, du in allen Rollen Gewandter!" Man ist versucht zu fragen: Könnten nidlt die Strophen Räm. 24124 u. 125 ein Bild der Lage schildern wollen, wie sie bestand, als der erste Abschnitt des Kampfes mit Bälaputra beendet und weithin im Lande die Ordnung wieder­hergestellt war, jedoch die endgültige Entscheidung durch die Einnahme des von Bälaputra zur Festung ausgebauten Ratubaka-Plateaus, auf die Räm. 251 - s hinweist, noch bevorstand?

77 So Räm. 329 und 1782 • 78 akalanka. Audl in der vorstehend, Anm. 69, mitgeteilten Stelle aus Räm. 2622b

erscheint patih in der zwiefachen Bedeutung "Minister" und "gehorsam, treu ergeben" und ebenso auch in Verbindung mit dem Ausdruck tan kalenke manah.

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4. Eine letzte Bemerkung muß gemacht werden zu Strophe 14 b der In­schrift, zu teasaturusnya 79

, von DE CASPARIS mit "the heart (of the complex) with its own wall" wiedergegeben. DE CASPARIS nimmt an, daß das Wort teas, das in dieser archaischen Schreibung 80 altjavanisch twas entspricht, hier wahrscheinlich für die "zentralen Bauten II verwendet werde. Indessen ist in der altjavanischen Literatur das Wort twas (dessen Grundbedeutung "Kern­holz" die malaiische und mittenmalaiische Entsprechung teras, teyras be­wahrt) "hart, Herz" kaum als Metapher für "Herz, Kernstück" einer Gruppe nachweisbar. Dagegen wird in den altjavanischen Stiftungsurkunden des Zeitabschnitts, zu dem ja auch die metrische Inschrift von 856 A. D. ge­hört, teas (meist als watu teas oder watu sima bezeichnet) als der bei einer neuen Stiftung unverzichtbare Gründungs-, besser Garantiestein verstanden, durch den die mittels Opfer begütigten Erdgeister verpflichtet werden, diesen Stein als Garanten des mit ihnen geschlossenen Vertrags für alle Zukunft unverrückt zu lassen. Nach dem Ausweis der Inschriften blieb der religiöse Brauch dieser Steinsetzung durch den ganzen mitteljavanischen Zeitabschnitt und noch bis zur Regierung des Königs Sii).c;iok (929-947 A. D.) bewahrt, wird aber in späteren Stiftungsurkunden nicht mehr erwähnt.

N. J. KROM geht in seiner II Hindoe-Javaansche Geschiedenis• kurz auf den watu kulumpang, den Opferstein, ein, der in Verbindung mit dem watu teas genannt wird, ohne aber von dem letzteren, wesentlich bedeutsamer erschei­nenden zu sprechen 81 • Aus den Inschriften seien die folgenden Belege nach Prof. N. J. KRoM's Edition der Oud-Javaansche Oorkonden 82 angeführt: Nr. XXVI (907 n . Chr.) Z. 20 (p. 35):

inadaggakan ta san hyan teas "Errichtet wurde der heilige Teas"

Nr. XXX (915 n. Chr.) Z. 16 (p. 40): pinrati~ta ta sail hyail teas "Errichtet wurde der heilige Teasll

Nr. XXXVIII (929 n. Chr.) Seite A, Z. 21/22 (p. 67): manetek hayam mamantina[ka] n hantiga i sail hyan watu teas "schlachtet einen Hahn und wirft ein Hühnerei an den heiligen

Teas-Stein II Nr. XL VI (935 n. Chr.) Z. 27/28 (p. 88):

manuyut ta san makudur manetek gulu ni[n] hayam linai).c;iesakan in kulumpan mamantinakan hantlu in watu sima mamailmail manapathe saminanman nira rin danü i kateguhakna san hyail watu, ikana linnira ...

79 DE C ASPARIS hat die offenbar metri causa bedingte Schreibung gewiß mit Recht als teas saturusnya (Prasasti Indonesia II, p . 322, Note 48) interpretiert.

80 Diese Schreibung ist in den Inschriften beibehalten noch lange, nachdem die Literatursprache den Sandhi-Regeln gefolgt war. So ist ohne Bedenken in Strophe 14c der Inschrift auch Skrt. dvärapäla mit duarapalä wiedergegeben.

81 Vgl. Hindoe-Javaansche Geschiedenis (2), 1931, p. 176. 82 Oud-Javaansche Oorkonden, Nagelaien Transscri plies v an wijlen Dr. J . L . A.

Brandes, Verh. Bat. Gen. Deel LX, 1913. Erwähnt wird der Stein in den Inschriften Nr. XXIII, XXVI, XXX, XXXI, XXXVIII, XLIII, XL VI, XL VIII.

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" . . . ? der Makudur 83 durfischneidet den Hals des Hahns über dem Kulumpang 84 als Hackblock, wirft das Ei gegen den Stiftungsstein, in­dem er die Schwurformel beschwörend ausspricht in dem seit alters ge­brachten Wortlaut des Eides, damit gefestigt bleibe der heilige Stiftungs­stein, mit den folgenden Worten ... "

Nr. XLIII (930 n. Chr.) Z. 10-14 (p. 80) ersdleint teas ohne die vorangestell­ten Worte hyan "heilig" oder watu "Stein":

yäwat ikanail ilwail duräcära ... umulah-ulaha ikiil sima iluniwai}J. dumawuta ikiil susuk teas kulumpail tinanam niil kudur ... "Wenn jene Bösewidlte ... stören sollten dieses Freigebiet, besonders wenn sie diesen gestifteten Teas und Kulumpang, die der Opferleiter eingegraben hat, herausziehen sollten ... " (es folgen die Androhungen von Strafen, die jene dann zu erwarten haben).

Gegenüber den zitierten Insdlriften, die den Teas- bzw. Sima-Stein er­wähnen, hat dieser in der fünfzig Jahre älteren metrischen Inschrift von 856 n. Chr. den Zusatz saturusnya, von DE CASPARIS wiedergegeben mit "with its own wall". Nun ist das Wort turus in der altjavanisdlen Literatur zwar nicht nachzuweisen, es ist jedoch über Java verbreitet im Javanischen, Sunda­nesischen und auch im Maduresischen (hier toros), überall in der Bedeutung "Stöcke, Stangen für eine Umzäunung". So verstehe ich denn teas saturusnya als "Teas-Stein mit seiner Umzäunung". Dafür spricht wohl auch die in Sanskrit verfaßte Huldigungsstrophe, mit der die um sechs Jahre jüngere Inschrift von Pereng (862 n. Chr.) beginnt. Die zwei ersten Verse entrichten Gott Siva Reverenz, die beiden mittleren gelten dem Stiftungsstein. Die letzten beiden Verse erweisen dem regierenden Herrsdler in Walaing ihre Verehrung, mit dem, wie der darauf folgende altjavanische Text bezeugt, Kumbhayoni, also der jüngere Bruder von Pikatan, Dyah Lokapäla gemeint ist. Von dem Stiftungsstein heißt es:

pathagäpi düraduritä sünyäpi hitapradänimi~apürl)ä siwira 85 - wrtäpy atipütä silä yato janmibhi}J. püjyä 86

Der von POERBATJARAKA 87 gegebenen Interpretation, der für silä "Stein u sllä "Charakter" lesen will und in duritä den Namen der Göttin Durgä zu erken­nen glaubt, kann ich mich nicht anschließen und versuche die folgende Uber­tragung:

"Der Stein, der, obwohl dicht am Weg, doch in so sdlwer erreichbarer Ferne erscheint,

der zwar leer ist, doch Heil gewährt, erfüllt von göttlicher Art, der, wenn auch von sibira umgeben, doch von höchster Reinheit ist,

weshalb er zu verehren ist von den Menschen."

83 wohl "Leiter der Opferhandlung" . 84 Opferstein. 85 steht für sibira . . . Was für eine P flanz e als sibira bezeichnet wird, kann ich

nicht feststell en. N adl. H. KERN h andelt es sidl. um "Unkraut ... 86 Zitiert nach PoERßATJARAKA, Agastya in den Archipel, 1926, p . 45. 87 POERBATJARAK.A, a . a. 0 ., p. 46 f.

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H. KERN, dessen Ubersetzung 88 ich dabei weitgehend folge, hatte den Beginn der beiden Verse allerdings wiedergegeben mit: ., Ofsehoon aan den weg zieh bevindende, houdt (deze) steen 't kwaad verre van zieh ... " Demgegenüber vermute ich, daß düra .,fern", wie wiederholt in der altjavanischen Literatur, nicht lokal gemeint ist, sich vielmehr auf die für den gebildeten Javanen jener Zeit weitabliegende und nur schwer erfaßte (dUiitä) Symbolkraft des Steines bezieht.

In den Versen kommt zum Ausdruck, daß der Stein bei aller äußeren Un­scheinbarkeit, wie er aus ferner Vorhindu-Zeit überkommen ist, große innere Werte besitzt. Er steht unmittelbar am Weg und ist doch schwer erreichbar; er ist völlig leer ohne jedes kunstvolle Relief oder Ornament und wirkt doch segensreich; er ist nicht von Ziersträuchern, sondern von wild­wachsenden Pflanzen umzäunt und doch von vollkommener Reinheit.

Daß der Ritus der Errichtung eines Stiftungssteines, des watu teas oder watu sima als Garanten für Leben und Sicherheit der neuen Gründung be­reits altindonesischen, vorhinduistischen religiösen Vorstellungen und Bräu­chen angehört, lehrt der Blick auf indonesische Volksstämme, auf die die indische Kultur nur ganz sekundär eingewirkt hat. So konnte ich schon früher auf den mit teas gleichnamigen Stein teza, wie er in der entsprechenden Lautgestalt benannt wird, im Stamm der Betsileo auf Madagaskar hinwei­sen 89• Wie im Altjavanischen blieb auch hier die Grundbedeutung "Kern­holz" nicht erhalten, vielmehr verbindet sich mit dem Wort auch hier der Sinn "beständig, dauerhaft" 9°).

Bei den Tontemboan in der Minahasa (Celebes/Sulawesi) war die Errich­tung eines Gründungssteins, des Tumotowa, bei der Anlage einer neuen Siedlung bis in unsere Gegenwart geboten. Konnte der Sd1amane nadl An­hörung einer vorgeschriebenen Anzahl von Vogelstimmen einen bestimm­ten Stein auswählen, so sprach er zu ihm die Worte:

Ja sapaka ko ja watu, ta'an ko indonami paragesen, wo ko il.arananami in Dewum-bene' wo Pokalam-bene', anae nio' en doko' itelesami iitjo 91 •

"Du bist zwar ein Stein, aber du wirst von uns genommen, um dir zu opfern, und du wirst von uns genannt· Rewum-bene' ("sprießender Reis") und Pokalam-bene' ("Reis im Uberfluß"), hier hast du ein Stück Lein­wand, mit dem wir dich kaufen".

Einige Tage darauf, nachdem weitere günstige Vogelstimmen die Wahl des Steines bestätigt haben, wird er vom Schamanen und seinen Helfern in der Nacht mit der Leinwand umwickelt und in das zu gründende Dorf gebradlt. Dort wird er eingegraben und aufgerichtet, und nun spricht der Schamane zu ihm:

88 H. KERN, Verspreide Geschriften VI, p. 277 ff. 811 "Sprachforschung und Geschichte im indonesischen Raum" (nach dem Text eines

Vortrags, gehalten vor der Philosophischen Fakultät der Universität Harnburg im Sommer 1946}. Griens Extremus, I, 1954, p. 118.

110 ABINAL ET MALzA.c, Dictionnaire Malgache-Francais, Cinquieme edition, 1955, p. 702.

111 Vgl. J. ALB. T. ScHWARZ, Tontemboansche Teksten, Leiden, 1907, p. 137 (Nr. 59), (Tontemboansche Teksten, Vertaling, 1907, p. 202f.).

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Sapaka ko, ja watu, ta'an ko indonami Tumotowa 92

wo Tundek im bale nDu bist zwar ein Stein, doch wirst du von uns angenommen als Rufer92 und Schirmherr des Dorfes".

Im Rahmen dieser Arbeit kann die Umschau nadl weiteren Parallelen in Indonesien nicht fortgesetzt werden. Das Beispiel aus dem Tontemboan mag genügen für die Annahme, daß es sich bei der Errichtung des Teas in der mitteljavanischen Ära um eine vorhinduistische für den Bestand einerneuen Gründung notwendige Maßnahme handelte, auf die auch beim Bau eines Hindutempels nicht, oder noch nicht, verzichtet werden konnte.-

Nachdem in den vorstehenden Ausführungen zu den aus der Insmrift zitierten, für unser Thema wichtigen Versen schon Interpretationen geboten wurden, die mitunter von der Auffassung DE CASPARis' abweichen, wird es genügen, hier nur die sowohl historisch wie auch für das Verständnis der In­schrift bedeutsamen Strophen 9-11 im Zusammenhang wiederzugeben.

"Danach schied dahin der Fürst, der Erdgeborene. Das Königtum und die Residenz wurden von anderen Händen

übernommen. Prinz Lokapäla wurde als jüngerer Bruder Landesherr

(lokapäla "Welthüter") . Zufrieden waren die Untertanen in den vier Asramas, mit den

Brahmanen an der Spitze. (9) Als er (Lokapäla) die Patihs aufforderte, (ihm) uneingeschränkt

ergeben zu sein 93,

zögerte das würdige Oberhaupt von Mamrati und auch 94 das von Wantil nicht,

beschämt, da sie früher vor allem beim Aufstand 95 (?) des Dorfes Iwung eifrig darauf bedacht waren, daß von ihnen Neutralität 96 gewahrt

bliebe. ( 1 0) Von göttlicher Hoheit war seine (des verstorbenen Königs) Haltung,

solange er im Diesseits 97 weilte.

92 Nach J. A. T. ScHWARZ, Tontemboansche Teksten, Vertaling, p. 188, verbürgt der Dorfstein Festigkeit und Dauer des Dorfes und die Gesundheit seiner Bewohner. Als ,.Rufer" lockt und ruft er die sich entfernenden Seelen von Erkrankten herbei.

93 Die Ubersetzung des Verses beruht auf der Lesung und Worttrennung: r äjfu?ka sail patih ay at-patihdkalailka. Dabei ist in der Ubersetzung, unserer Sprachweise gemäß, der Imperativ, eingeleitet mit der Interjektion ay (wie er im Altjavanischen auf Worte des Befehlens oder Bittens unter Beibehaltung der Form der direkten Rede folgt) in indirekter Rede wiedergegeben. Vgl. dazu die oben zitierte Stelle Räm. 21 199 b, d· Die Interjektion ay findet sich zumeist vor der angeredeten Person, kann aber auch für sich stehen, wie Räm. 986 :

ay haywäta sadenyän ahuripa ta karih tan dadya luputa .,0, er soll doch ja keine Chance haben, am Leben zu bleiben! Er darf also nicht

entkommen." 94 Das Wort weh ist wohl hier als eine im altjavanischen Rämäya.JJa viel ver­

wendete Konjunktion .,und, auch" anzusehen. Als einfaches Stammwort findet sich das gleichlautende weh ,.gegeben" wohl kaum in altjavanischen Texten.

95 Ist vielleicht statt (s)amaran: karaman ,.Meuterer, Aufständischer" zu lesen? 96 Text: ni tan pasisiha denya "daß nicht von ihnen an die Seite getreten würde",

d. h. daß von ihnen Unparteilichkeit (vgl. niederl. ,.onzijdigheid") gewahrt bliebe. 97 ilke ,.hier", d. h. "im Diesseits" = Skrt. ihatra, wie im altjavanischen Rämäyal)a

wiederholt; vgl. z. B. Räm. 2u, ~.

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Feinde hatte er nicht mehr, Freunden galt sein Gedenken. Dank 98 (dem Umstand), daß er über reiche Ausgabemittel verfügte, wurde auch das Dharma (der Tempel, sein Mausoleum) von ihm,

dem klug berechnenden, erbaut." (11)

III.

Die Interpretation der metrischen Inschrift führt somit gegenüber der bis­herigen Auffassung in einigen Punkten zu etwas abweichenden Erkennt­nissen. Es kann aber auch festgestellt werden, daß die Inschrift nicht aus zwei nur locker zusammenhängenden Teilen besteht, nämlich einer Einleitung, die dem Preis der Taten des Königs Pikatan, seinem Rücktritt von der Regierung und der Ubertragung des Königtums auf seinen - wie wir annehmen muß­ten - jüngeren Bruder, den Prinzen Lokapäla, gilt, und einem Hauptteil, in dem über den Bau eines großen schiwaitisd:len Tempelkomplexes berichtet wird. Das bedeutsamste Ereignis, von dem die Inschrift künden will und dessen Datierung in der 24. Strophe festgehalten ist, soll vielmehr in der Errichtung und der Weihe der Statue des vergöttlichten Königs und in der Vollendung eines herrlichen Schiwatempels gesehen werden. Die voran­gehenden Strophen geben die Laudatio auf den verstorbenen König Pikatan, mit der die Vergöttlichung begründet wird, und berichten, daß dieser noch in seiner Regierungszeit mit dem Bau des Tempels begonnen und ihn offen­bar selbst zu seinem Mausoleum bestimmt hatte. Wie aus der Strophe 16 der Inschrift hervorgeht, war Pikatan bereits 855 A. D., also ein Jahr bevor sie gesetzt wurde, verstorben. Wenngleid:l der Inhalt der Strophe nicht voll ver­ständlid:l ist, enthält sie doch die deutliche Angabe, daß ein Ki Muhur oder Muhürta genannter Baum dank seiner Nachbarschaft zu dem bhatära, d. h. dem vergöttlichten (in einer Aschenurne beigesetzten) König, in diesem einen Jahr ihres Besteheus ein ganz erstaunliches Wachstum erreicht habe.

Wenn nun auch diese Erklärung derjenigen von DE CASPARIS nicht in jeder Hinsicht entspricht und man aus dem Text der Inschrift nicht schon auf die Stiftung des ganzen Tempelkomplexes, wie ihn die Lara Djonggrang-Gruppe umfaßt, schließen kann, sondern nur auf die Vollendung des Hauptheilig­tums, des Schiwatempels, so ist doch keineswegs ausgeschlossen, daß Pla­nung und Anlage des Tempelbezirks bereits die Errichtung weiterer Tempel­bauten vorsahen. Dafür spricht, daß die Strophe 14 der Inschrift die für die geplante Ummauerung des Tempelbezirks erforderlichen Ziegelsteine er­wähnt. Und vielleicht darf auch unter diesem Aspekt die Mitteilung in der Strophe 25 gesehen werden, daß der Lauf des Flusses verlegt werden mußte, da er das Gelände bedrängte. Die Maßnahmen könnten also erforderlich ge­wesen sein, um das Tempelgelände im Interesse der vorgesehenen späteren Bauten zu sichern. Denn der Opak, an dessen linkem Ufer 99 der Tempelbezirk

98 pönpön ist hier wohl noch nicht als Konjunktion "solange als, bis", sondern im Sinne von "eine Gelegenheit wahrnehmend, einem Umstand Rechnung tragend" zu verstehen, den das Wort im altjavanisdlen Rämäyar:za hat.

99 Vgl. N. J. KRoM, Inleiding tot de Hindoe-Javaansche Kunst2 (1923), I p. 440.

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angelegt wurde, ist bekannt für seine gewaltigen Uberschwemmungen too. SQ führt die Inschrift wahrscheinlich in die Zeit, in der der erste Bauabschnitt des Lara Djonggrang beendet wurde.

Die Betrachtung der Strophen Räm. 24115 und 2513 hatte zu der Annahme geführt, daß der Dichter, indem er einige Vögel als pikatan "Anlockbare, durch Anlockung Gefährdete" bezeichnete, mit dieser ungewöhnlichen Me­tapher die Aufmerksamkeit auf den zeitgenössischen noch regierenden König Pikatan habe lenken wollen, als dieser im Kampf mit dem SaHendra-Prinzen Bälaputra stand. Der Inhalt der Inschrift legt den Gedanken nahe, daß die altjavanische Rämäym:za-Dichtung auch dem toten König und seiner postu­men Residenz mit der Schilderung des Schiwatempels von Larikä, in dem der vergöttlichte Sarikara (Siwa) seinen Standort hat, ein literarisches Denkmal setzen wollte.

C. HooYKA.AS 101, der 1958 annahm, der Dichter habe nicht einen bestimmten, sondern den für die mitteljavanische Periode typisdlen Tempelbau schildern wollen, sieht die folgenden Möglichkeiten, wie es zur Einfügung des Ab­schnitts in das Gedicht kam: "The description of the Saiwitic temple in U~rikä (VIII41 _ 58) appears to be additional in comparison with Bh(atti) K(ävya), it may have been included in the very first draft by the original poet, he may have added it as an afterthought, or it may have been inter­polated by a later hand".

Davon scheidet nach unserer Deutung sowohl der Textstellen aus dem Rämäym:za wie der Daten der Inschrift die erste Möglichkeit aus, und es kann auch nicht geklärt werden, ob der Dichter des Originals oder ein anderer, späterer die Schilderung verfaßt und eingefügt hat. Für ihre nachträgliche Einfügung spricht gewiß auch, daß an zwei anderen Stellen des Gedichts noch nicht von einem prunkvollen Präsäda, einem Tempelberg, die Rede ist. Vielmehr geht Indrajit, der Sohn Räwa:Q.as, um eine wirkungskräftige Waffe zu erbitten, zum Anrufplatz des Gottes (padewaharan), Räm. 20 52 , und ebenso begibt sich Räwa:Q.a vor dem Endkampf, um zu opfern, zu dem be­scheideneren Schiwa-Versammlungshaus, dem Anrufungsort des Gottes (Siwasabhägrha padiwaharan). Räm. 2371 .

Der von Strophe 843 bis 863 102 reichende Einschub, der vielleicht schon bald

nach der Vollendung des Schiwatempels und der Weihe der den vergöttlich­ten König Pikatan als Siwa darstellenden Statue vorgenommen worden sein

100 Vgl. Encyclopaedie van Nederl.-IndUP, Deerde Deel, 1919, p. 154. 101 The Old-Javanese Rämäyar:ta an Exemplary Kakawin as to Form and Content.

Verh. d. Kon. Nederl. Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterk., Amsterdam, 1958, p . 65.

102 Mit Strophe 843 beginnt meines Erachtens der Einschub; die Strophe 8u ent­spricht sinngemäß nodl der Sanskrit-Vorlage in Bhattikävya 8 35• Der Einschub endet mit Strophe 63, die besagt, daß Hanümän, nachdem er vergeblich nach Sitä Ausschau gehalten hat, beim Anblick der Räk$asas, die die vier Pforten zum Tempel bewachen, sich wieder entfernt. Zu Räk$asa-Statuen als Tempelwächter vgl. N. J. KROM, Inleiding tot de Hindoe-Javaansche Kunst 2, 1923, I, p. 118. An die Strophe 42 hatten sich in der Originalfassung des Gedichts zwanglos die in ~sere! Betrachtung eingangs wiedergegebenen Strophen 64--67 angeschlossen, die eme Liebesszene zum Inhalt haben. Nach der Textüberlieferung wird diese Szene von Hanilmän beobachtet, der ja doch kurz zuvor- Strophe 40- voller Wehmut

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mag, beschreibt den Tempel und seine Umgebung als steingewordene sym­bolische Darstellung der Legende, nach der die Götter das Milchmeer quirl­ten, um amrta, den Trank der Unsterblichkeit, zu gewinnen. Da erscheint -um nur Einiges aus der Schilderung herauszuheben - der Tempel, der präsäda 103 , als Abbild des Berges Mandara (Strophe 46), der bei jenem Akt als Butterstößel gedient hatte, der das Heiligtum umgebende hohe Damm als die Schlange Bäsuki (Strophe 57), die dabei als Tau verwendet wurde, und die aufgereiht stehenden prächtigen kleinen Gotteshäuser sind die abgestellten Flugwagen (Strophe 56), in denen die Götter zu diesem Tun herbeigeilt waren. Aus der Schilderung, die die Schönheit und Pracht des Tem­pels rühmt, seien die beiden Strophen 851 u. 52 mitgeteilt, die von der ständi­gen Anwesenheit des Gottes Sankara Kunde geben:

Räm. Bst - s2: hana len suwuk 104 lawan ikan pratimä ma~i candrakänta pinahat mahaH~p mawelü matanya dumelö malelö kadi Rähwa milw amarebut(t)amrta

an das getrennte Paar Räma und Sitä denkend, keinen Blick mehr an die sich liebenden jungen Räk$asas hatte verschwenden wollen. Also nicht Hanümän, sondern allein der Mondgott kann - schon dem Inhalt der Strophen nach - der ursprüng­liche Zeuge des in jenen Strophen geschilderten Liebesgetändels sein.

103 Die Erwähnung des Tempelberges, des präsäda (im altjavanischen Text stets prasäda) im altjavanischen Rämäyal)a ist somit ein deutliches Anzeichen für nachträglichen Einschub. So ist der Teil Räm. 8144 _ 177 , wo Sitä mit Trijatä den Tempel zum Gebet aufsudlt, erst nadl dem Zwischenstück 843 _ 113 entstanden. Da der Verfasser dieses interpolierten Abschnittes 843 _ 113 Hanümän vergeblich im Tempel­bezirk nach Sitä ausschauen läßt (Strophe 63), bemerkt dieser nun zu seiner Genug­tuung, wie sie zusammen mit Trijatä den Tempel aufsucht, um zu beten (8177, 178) . Um die Nacht im Gebet zu verbringen, begeben sich Sitä und Trijatä auch Räm. 171111 zum prasäda. Diese Strophe gehört zu einem größeren, wohl von Strophe 116-133 reichenden Textabschnitt. den ich schon früher ("Altjavanische Beiträge zur Ge­schichte des Wunschbaumsu, Festschrift Meinhof, 1927, p. 471, Note 38, = Oud­javaansche Bijdragen tot de Geschiedenis van den Wenschboom, Djawa 8, t en 2 (1928) pp. 28 ff.) als Einschub angesehen habe. Denn Sitä hat hier in Laii.kä statt bös­williger Dämoninnen mit einemmal eine ganze Schar ihr wohlgesinnter junger Räk­$asa-Mädchen um sich, die darin wetteifern- ebenso wie die nach der vorhergehen­den Schilderung doch a 11 ein ihr zugetane Trijatä - die Prinzessin mit Liedern und schönen Blumengebinden zu erfreuen. Ferner sei erwähnt Räm. 21 40 Trijatäs Ausruf über Sitä: ,.Sie ist mein Prasäda ... , mein Waringin (,Wunschbaum')l" Und schließlich Räm. 2644 , wo Sitä in Ayodhyä die nach Laii.kä zurückkehrende Trijatä mahnt: riil prasäda t-amu;en kanaka mm;uk "(für sie dem Bhatära) im Tempel aus Gold und Edelstein zu huldigen". Gelegentlich dieser textkritischen Bemerkungen sei ein altes Mißverständnis richtig­gestellt, das auf meiner mitunter wohl allzu gedrängten Ausdrucksweise beruht. In dem Aufsatz ,. Grundsätzliches zur Kawi-Interpretation" (Feestbundel Kon. Bat. Genootschap van Kunsten en Wetenschappen, Deel I, 1929, p. 18) hatte ich u. a. als ein mögliches Kriterium auch die "wieder h o I t e Anwendung eines an sich recht hübschen Gleichklangsu (Yamaka) , wie Jara Jarad "Weh verweht" angenommen. Damit sollte jedoch keineswegs der Dichter getadelt werden, der Jara larad hätte vermeiden sollen, wie C. HooYKAAs dies aus meiner Darstellung herausliest (B .K.I., Deel 114, 1958, p. 380, Note 74), sondern es wurde nur das Schicksal der Textüber­lieferung beklagt, daß ein Redaktor etwa, weil ihn ein Gleichklang besonders erfreut, diesen wenige Strophen später wiederholt.

.. 10

' Nach der Sdlilderung ist offenbar damit das Ornament der monströsen Kä!a­kopfe gemeint, die-s. N. J. KRoM, Hindoe-Javaansche Kunst I, p . 161 f.- an Em-

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wi~a kälaküta ya kunail malayti ikanail suwuk lawan atä matakut ri bhatära Sailkara ri päpahara hana rin prasäda ri dalem satata

"Auch dte Türhüter 104 vor diesen Reliefbildern, sdlön gemeißelt aus Juwelen und Mondstein, mit runden, hervorstechenden Augen starrend wie Rahu, kämpfen mit 105 um den Nektar.

Da jedoch entweicht das Gift Kälaküta 1011,

und die Türhüter ängstigen sich vor Gott Sankara (Siwa), dem Tilger des Bösen, der beständig im Tempelinnern verweilt. u

So gewiß denn die nachträglidle Einfügung der Strophen Räm. 843 _ 63 erst nach dem Jahr 856 A. D., in dem die Statue 107 des vergöttlichten Königs Pika­tan geweiht wurde, erfolgt sein kann, muß die Originalfassung des altjava­nischen Rämäyal).a schon zu Lebzeiten des Herrschers, also um 850 A. D., ge­dichtet worden sein. Noch das Ende der Dichtung scheint einen Hinweis dafür zu geben, daß Pikatan zu der Zeit, da sie in ihrer ursprünglichen Fassung ab­geschlossen wurde, noch lebte und regierte. Als Wibh!~ana und Sugr!wa, die Räma und SHä nach dem Sieg über Räwa~a nach Ayodhyä begleitet hatten, wieder heimkehrten, wird von Räma und SHä gesagt:

gängen oder in Nisdlen angebradlt sind. Zu suwuk vgl. Besernah (s. Bijdr. tot de Kennis v. h. Midden Maleisch door 0. L. HELFRICH, Verh. Bat. Gen. LIII p. 165) soeboq "lauern"; Tagalog subok "spähen, bewadlen". In der Bedeutung "Bewadl~r" wird das Wort auch in altjavanisdlen Inschriften angetroffen, doch hier immer als Be­zeichnung für die fünf göttlichen Wächter, die zur Sicherung neu gegründeter from­mer Stiftunqen aufqerufen werden, s. N. J . KROM, 010 Nr. XXX (p. 41), XXXI (p. 47), XLVIII (p. 101}, CII (p. 233}. Räm. 24115 (paiicakusika).

105 Nach der Darstellung des Dichters in den vorhergehenden Strophen 49 und 50 kämpfen auch die waffentragenden Reliefbilder, die pratimäs, um den Besitz des amrta, des durch Quirlen des Milchmeers entstandenen Nektars, der im Präsäda­Tempel, dem Abbild des Berges Mandara, enthalten ist.

1011 Die didlterische Deutung der in den Reliefs dargestellten Szene erinnert wohl an die Legende, die sich in einer freilich um mehrere Jahrhunderte späteren Auf­zeichnunq wiederfindet. In dem von Th. PIGEAUD herausgegebenen, übersetzten und kommentierten Tantu Panggelaran, Diss. Leiden, 1924, einer nach PIGEAUD zwischen 1500 und 1635 A. D. abgefaßten Schrift, wird (p. 64) geschildert, wie die Götter die Spitze des Berges Meru von Indien nach Java bradlten und, von der Arbeit ermüdet und durstig, das dem heiliqen Berg entströmende Wasser tranken. Statt Wasser aber hatten sie das Gift Kälaküta, den Brunstsaft des Berges, zu sich genommen, so daß sie starben. Gott Parameswara aber, der das sah, verwandelte dieses Gift in Nektar (amrta), wusch damit die Toten und erweckte sie wieder zum Leben.- DieseTantu Panggelaran-Sage hilft, wie es scheint, zum Verständnis der RämäyQl)a-Stelle, nach der die gewappneten Relieffiguren und ihre Wächter zu ihrem Schrecken bemerken, wie aus dem Präsäda-Tempel statt des begehrten und erwarteten Amrta das ge­fürchtete Kälaküta-Gift entweicht.

107 Vgl. N. J. KROM, Inleiding tot de Hindoe-Javaansche Kunst III, Plaat 39: Mahadewa van Lara Djonggrang.

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Räm. 2648b-d:

naranätha 108 kawekas humaywaken rät warmin sira bodhi möb ikiil rät kayu sämpail rwa ta pän nirämrteil rät

"Das Fürstenpaar 108, das zurückblieb, machte glücklich die Welt,

Wunschbaum und Baum der Erleuchtung sind sie, beschirmend die Welt, ein Doppelpaddel, ihre zwei Schaufeln (,Aste') sind Nektar für die Welt."

Darf man wohl vermuten, daß sich hinter Räma und Sitä das Fürstenpaar Pikatan und dessen Hauptgemahlin, die buddhistische Königstochter Prämo­dhavarddhani 109 (Sr! Kahulunan) verbirgt? Dann wäre die auf die Königin sich beziehende Metapher bodhi "Baum der Erleuchtung" verständlich. Ebenso wäre das Bild des kayu sampaiz, des Doppelpaddels, verständlich, das die offenbar recht aktive, auch in der Strophe 7 der metrisdlen Inschrift er­wähnte Königin mit einschließt.

So führen gerade jene Textabsdlnitte des Gedichts, in denen KERN, Jum­BOLL und PoERBATJARAKA wegen der reichlidlen Verwendung der verschiede­nen Verskünste spätere Einschübe gesehen hatten, zu dem Schluß, daß das altjavanische Rämäyal).a in seiner Originalgestalt etwa um die Mitte des 9. Jahrhunderts n. Chr. abgeschlossen war, mithin etwa 70 Jahre früher als PoERBATJARAKA aus Iinguistismen Erwägungen angenommen hatte.

Die Frage, die sich im ersten Abschnitt dieser Untersuchung stellte, ob Pikatan selbst der Träger von Agastyas Beinamen Kumbhayoni 110, Kum­bhaja 111 und Kalodbhava 112 war, wie DE CASPARIS geglaubt hatte, kann nun nach den Bemühungen um das Verständnis der 9. Strophe der metrischen Inschrift von 856 mit Sicherheit beantwortet werden. Danach war Pikatan in jenem Jahr nicht mehr unter den Lebenden. Dyah Lokapäla, wie Pikatans jüngerer Bruder Kayuwangi offiziell benannt wurde, hatte wohl sdlon im Jahr zuvor die Regierung übernommen. So konnte denn nur er mit die­sen ehrenden Namen, gleichsam als wiedergekehrter Agastya, gefeiert wer-

108 naranätha "Fürst(en)" ist hier sinngemäß mit "Fürstenpaar" wiedergegeben, da der Dichter mit den Methaphern Wunschbaum und lltlum der Erleuchtung, mit dem doch wohl die Zugehörigkeit der Königin zum Buddhismus angedeutet wird, sowie der zwei "Zweige" eines siimpaiz das Fürstenpaar bezeichnen will. Mit .kayu sampaiz, das die altjavanische Lexikographie bisher unerklärt ließ und das JuYNBOLL

(Bijdr. Kon. lnst., 94, 1936, p. 446) mit "een sampang-boom" wiedergibt, kann schwer­lich eine bestimmte Baumart gemeint sein, deren ,.zwei Zweige" das königliche Paar symbolisieren. Ich denke an das ehemalige ,.dubbele pagaai, waarmede beurtelings links en rechts geroeid wordt" nach der Encycl. van Ned.-lndie, 2de Druk, 5de Deel, 1927, p. 427 (sub ,vaartuigen'). Vgl. mal. sampang, menjampang "paddeln". Eine andere Metapher aus der Schiffahrt für die Herrschertätigkeit bietet Räm. 24107 : Der Fürst "führt das Steuer" (makakamur;li).

109 Ihr Name erscheint in der von DE CASPARIS in weitem Umfang meisterhaft wieder lesbar gemachten altjavanischen Inschrift von Karang Tengah, und zwar in der 10. Strophe der Sanskriteinleitung. Vgl. die Besprechung von F. D. K. BoscH: "J. D. DE CASPARIS, Prasasti Indonesia I, 1950", in den Bijdr. Kon. Inst., Deel 108, 1952, p. 191 ff. In Inschriften wird sie als Sri Kahulunan "Majestät Herrin" bezeichnet.

110 In der Inschrift von Pereng, 863 n. Chr. 111 In zwei Inschriften des Ratubaka-Plateaus, 856 n. Chr. U! In einer dritten Inschrift dieses Plateaus, 856 n. Chr.

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den. L. Ch. DAMAlS hatte schon vor Jahren in einer seiner wertvollen Inschrif­tenstudien wahrscheinlich gemacht, daß Kayuwangi schon zu dieser Zeit regierte 113•

Vielleicht, ja wahrscheinlich, wurden die Beinamen des Agastya dem Prin­zen Kayuwangi erst nach seinem Regierungsantritt und Jahre nach dem Sieg über Bälaputra und nach der Besetzung der Ratubaka-Festung gegeben. Im gleichen Jahr 856 n. Chr., aus dem die metrische Inschrift datiert, wurden als Siegeszeichen die drei Lingas auf dem Ratubaka-Plateau errichtet. Als Thron­erbe war der Prinz wohl schon vor diesem Jahr mit dem Titel Dyah Lokapäla "Prinz Welthüter" ausgezeichnet worden.

Gewinnt so Kayuwangi als Feldherr seines älteren Bruders, des Königs Pikatan, für das historische Verständnis der Zeit erhöhte Bedeutung, so darf gefragt werden, ob nicht in der altjavanischen Ramaya.r:za-Dichtung auf ihn angespielt wird. Gelegenheit dazu hätte schon der 7. Gesang mit den Stro­phen 56-59 geboten, die, der Darstellung des Bhattikiivya folgend, von dem so überaus schwer passierbaren Berg Windhya spredlen. Hanümän muß ihn zusammen mit einer Affenschar besteigen, die ihm bis zum Abflug nach Lankä das Geleit gibt. Dodl sah der Dichter hier nodl keinen Anlaß, an die Aufgabe Kayuwangis anzuspielen. Offenbar war sie ihm zu der Zeit noch nicht gestellt.

Jedoch in einem schon weit fortgeschrittenen Teil der Dichtung, im 21. Ge­sang, finden sich elf Strophen, für die das Bhattikavya kein Vorbild bot, in denen Räma in verzweifelter Lage den Heldenmut und Beistand des jün­geren Bruders Lak~mal)a rühmt. Nur eine Kette von Leid und Unglück sei der Lohn gewesen für das ihm gebrachte Opfer. Es ist die Situation, als Räma, der von der Waffe nagapasa, der Schlangenfessel, getroffen ist, aus seiner Ohnmadlt erwadlt, sidl seiner hoffnungslosen Lage bewußt wird und den ihm selbst wie auch Lak~mal)a drohenden Tod erwarten zu müssen meint.

Hat etwa eine kritische Phase im Kampf gegen Bälaputra den Dichter zu diesen Versen- Strophen 87 bis 102 114 - veranlaßt? Sollten in dem Bild, das er Räma von seinem jüngeren Bruder und dessen Treueverhältnis zu ihm zeichnen läßt, Pikatan und sein jüngerer Bruder Kayuwangi, der sich im Kampf gegen Bälaputra bewährte, erkannt werden? Dafür spredlen u. a. die beiden folgenden Stelle&l aus dieser Strophenreihe:

Räm. 21 98 c, d:

pojaranta ya hitapriya satya swägaten atithi mitra sagotra "Deine Rede ist wohlwollend und wahrhaftig, freundlich nimmst du Gäste auf, Freunde und Verwandte."

113 L. Ch. DAMAlS, ,. Epigraphische Aantekeningen, I., Lokapäla-Kayuwangi, • Tijd­schrift voor Indische Taal-, Land- en Volkenkunde, uitgeg. door het Kon. Bat. Gen. van Kunsten en Wetenschappen, Deel 83, 1949, p. 1 ff. Vgl. DE CASPARIS, Prasasti lndonesia II, p. 288, Note 32, p. 289, Note 34.

114 Es handelt sich um elf Strophen. In dem überlieferten Text des altjavanischen RämäyaiJ.a folgt die mit 98 numerierte Strophe unmittelbar auf die 92. Strophe.

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Denn schwerlich kann Räma von dem Bruder, der sein entbehrungsreiches Leben in der Wildnis mit ihm teilt, als von einem freundlichen Gastgeber spredlen. Eher passen die Verse zum Lebensstil eines javanischen Prinzen. Und in den Versen

Räm. 2199 c,d:

parwatopama kitekana Malaya 115

tulya candana gul)anta suci marüm "Verglichen mit Bergen bist du der Malaya, (denn) gleich dem Sandelbaum sind deine Tugenden rein und voll Wohl­

geruch" konnten die Zeitgenossen des Dichters unschwer die Anspielung auf den Namen des Prinzen Kayuwangi ("Baum Wohlgeruch") entdecken.

Nachdem nun das hohe Ansehen, das Kayuwangi als Feldherr seines älte­ren Bruders erworben hatte, uns deutlich geworden ist, werden auch die in den Strophen Sarga 21101 und 21 102 Räma in den Mund gelegten Worte ver­ständlich, etwa wenn er bekennt, daß seine Schuld gegenüber dem Bruder so gewaltig sei wie der Meru, so daß sie auch bei tausendjähriger Abzahlung nicht könne abgetragen werden. Oder wenn er darum bittet, in einem neuen Leben wieder mit dem Bruder vereint zu sein, dann aber als der jüngere von ihnen beiden, um ihm als dem älteren dessen Verdienste vergelten zu kön­nen. Es wäre schwer denkbar, daß solche Worte und Empfindungen dem Hel­den der Dichtung in einer indischen Version des RiimiiyaiJa zugeschrie­ben würden.

Später erst, vielleicht gleichzeitig mit der Schilderung des Schiwatempels, werden auch die oben zitierten Strophen Räm. 251 _ 3 in das Gedicht eingefügt worden sein. Denn auch hier erscheint der König Pikatan bereits als vergött­lichter Sankara. Uberträgt man nun die legendäre Darstellung der Strophen in die Sprache der Historie, so besagen sie, daß König Pikatan zu seinen Leb­zeiten seinen jüngeren Bruder Lokapäla - nach dessen vorbereitender As­kese -mit der Führung des Kampfes gegen Bälaputra betraut hatte, und daß jener nach der Einnahme der Ratubaka-Festung, vergleichbar dem Windhya der Sage, als wiedererstandener Agastya gefeiert wurde.

Als letztes soll noch auf eine reizvolle Aufgabe hingewiesen werden, die hier jedoch nicht mehr untersucht werden soll. Es stellt sich unter dem neuen Aspekt die Frage: Besteht eine Beziehung zwischen Pikatans jüngerem Bru­der und Nadlfolger, der als Prinz den Titel Swämi Kayu-Wangi geführt hatte, und dem vergöttlichten Agasti mahar~i, dem "Großen Seher Agasti", der unter dem ostjavanischen König Wawa 924 n. Chr., bzw. Sn Haricandana Agasti mahar~i, der nach 929 n. Chr., seit der Regierungszeit Sil)c;loks, nach dem Ausweis der Inschriften bei Weihefesten den ersten Platz in der Reihe der anzurufenden Sdlutzgottheiten eingenommen hat? PoERBATJARAKA hat die Belege aus den Inschriften, nach denen diese Anrufung noch Jahrhunderte

115 Der Malaya wird in der indischen Literatur wegen seines Reichtums an candana-Bäumen gerühmt. V gl. auch Räm. 24uo·

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danadl üblich war, in seiner Dissertation zusammengestellt 118• Wie in den Rämäya.l)a-Strophen 25 2 und 3 ersdleint auch hier die Form Agasti für Aga­stya, und Sri Haricandana-(Agasti mahar~i) "der erlauchte Gelb-Sandelholz-" (Agasti der "Große Seher") könnte doch wohl, was zu prüfen wäre, an den javanisdlen Titel Kayu-Wangi erinnern. Eine positive Beantwortung der Frage müßte gewiß für die hohe Wertung der Person Kayu-Wangis und sei­nen Rang in der Gesdlichte Javas spredlen, ohne daß dies freilich noch zu unserm eigentlichen Thema, der Datierung des altjavanischen Rämäyal)a, etwas Entscheidendes beitragen könnte.

Für die Datierung des Gedidlts gab, wie sich zeigte, die von De Casparis mit bewundernswertem Scharfsinn in großem Umfang wieder lesbar ge­machte metrische Insdlrift von 856 einen festen Anhalt. Freilich wurden im Laufe der vorstehenden Untersuchung auch manche Einzelheiten aus dieser Urkunde, die zwar unsere Kenntnis der Geschichte und Kultur Altjavas be­rühren, für das eigentliche Thema aber nur wenig aussagen können, in einer von Prof. DE CASPARIS abweichenden Interpretation aus philologischer Sicht zur Diskussion gestellt. Der einem überragenden Erforscher und Kenner der Geschichte und Kultur Südostasiens in Verehrung gewidmete Beitrag durfte sich auch diesen Fragen nicht entziehen*).

tu "Agastya in den Archipel•, p. 65 ff .

"} Prof. George Credes, dem der Beitrag gewidmet werden sollte, ist am 2. Oktober 1969 in Paris gestorben. So kann die Widmung nur dem Andenken an den hochverdienten Forscher und Gelehrten gelten, dessen hinterlassenes Werk seinen Namen lebendig erhalten und alle auf seinem weitgesteckten Arbeitsgebiet Tätigen noch lange überaus verpflichten wird.

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