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ROTTWEILER HEIMATBLÄTTER Herausgegeben von Winfried Hecht für den Rottweiler Geschichts- und Altertumsverein e.V. Druck: Druckzentrum Südwest GmbH Redaktion: Andreas Pfannes, Rottweil 78. Jahrgang 2017 Nr. 3 Im Jahre 1851 trat der 1813 in Rottweil gebore- ne jüdische Mediziner Maier Joseph Roth- schild, der an der Universität Tübingen studiert hatte, als Redakteur bei der im Besitz von Sig- mund Schott in Stuttgart befindlichen Rottwei- ler Zeitung ein (vgl. zum Thema insgesamt H. Dom, Das Pressewesen in Rottweil von den ersten Anfängen bis zum Ende des 19. Jahr- hunderts. Masch. schr. Diss. phil. München 1956). Von 1838 an durfte der Arzt in der würt- tembergischen Oberamtsstadt praktizieren und wirkte endgültig seit 1847 als praktischer Arzt in der „Sonne“ in Rottweil (vgl. Rottweiler Anzeiger Nr. 29 vom 12. März 1847 S. 122). Rothschild gehörte 1848/1849 zu den führen- den Köpfen der Revolution in der einstigen Reichsstadt mit ihren gut 4000 Einwohnern und hat 1849 das Rottweiler Bürgerrecht erhal- ten (vgl. W. Hecht, Rottweiler Persönlichkeiten und Gruppierungen in der Revolution von 1848/49. In: Die Revolution von 1848/49 am oberen Neckar. Hrsg. von B. Rüth. Rottweil 2000 S. 81). Vom „Rottweiler Anzeiger“ zur „Schwarzwälder Bürgerzeitung“ „Seine“ Zeitung hat Rotschild noch 1855 um 10 000 Gulden auch erworben. Inhaltlich ver- einigte Maier Joseph Rothschild schon bald da- rauf mit Genehmigung durch das Oberamt das Anzeigenblatt „Rottweiler Anzeiger“ mit der „Rottweiler Chronik“, einem Nachrichtenblatt. Zeitungsverlag und Druckerei hatten zu diesem Zeitpunkt ihren Sitz schon einige Jahre im statt- lichen Gebäude Friedrichsplatz 16 (vgl. dazu W. Hecht, Der Rottweiler Klosterhof der Benedikti- ner von St. Blasien. RHbl 43. Jg. (1982) Nr. 6 S.1-S.2). Die Zeitung erschien damals dreimal in der Woche und hatte 800 Abonnenten. In den Monaten nach dem Kauf durch Roth- schild wurden die zugehörige Druckerei „we- sentlich“ modernisiert und vor allem zusätzliche Druck-Typen angeschafft. Unter dem 21. Sep- tember 1856 konnte der Kundschaft im „Rott- weiler Anzeiger“ mit einer halbseitigen Anzeige mitgeteilt werden, jetzt sei man in der Lage, „Beamtungen, Geschäftsleute, Advokaten, Ärz- te, Handel und Gewerbe sowie Landwirte“ mit „Tabellen, Geschäftsbüchern, Avisen, Adress- karten, Circulären, Frachtbriefen, Verlobungs- und Hochzeitskarten, Rechnungen und Quit- tungen“ zu bedienen, und wolle „alle Bestellun- gen ... ebenso schleunig als pünktlich“ ausfüh- ren (Rottweiler Anzeiger Nr. 109 vom 21. Sep- tember 1856 S. 446). 1862 wies Maier Roth- schild stolz darauf hin, dass in seinem Betrieb mit dem Schnellpressen-Druckverfahren ge- arbeitet wurde, offenbar mit einer in der Stutt- garter Maschinenfabrik Groß hergestellten Ma- schine. Im genannten Jahr druckte der Betrieb die Denkschrift „... über die für den südlichen Schwarzwald notwendigen Eisenbahnen“ im Auftrag des „Eisenbahn-Comité in Rottweil“, die den zuständigen Stellen in der Landeshaupt- stadt Stuttgart vorgelegt werden sollte. 1863 überschritt die Rothschildsche Bürgerzeitung mit ihrer Auflagenhöhe die „magische“ Zahl von 1000 Exemplaren. Nach arbeitsreichen Jahren hat die Verlagsdru- ckerei Rothschild 1868 der Großbrand schwer getroffen, dem am 5. September 1868 sieben Gebäude der östlichen Häuserzeile am Frie- drichsplatz bis auf das nördliche Eckhaus mit Rothschilds Unternehmen zum Opfer fielen. Dem tatkräftigen Einsatz von Feuerwehrleuten und Arbeitern vor allem aus Schwenningen war es zu verdanken, dass die Flammen erst vor M. Rothschilds Haus halt machten (vgl. W. Hecht, Brandfälle im Stadtkern von Rottweil. In: 125 Jahre Freiwillige Feuerwehr Rottweil. Fest- schrift. Rottweil 1981 S. 83 ff.). Die „Schwarz- wälder Bürgerzeitung“ fiel nach dem Brand aber nur mit einer einzigen Ausgabe aus. Die näch- ste wurde in Oberndorf in der Druckerei des „Schwarzwälder Boten“ von Wilhelm Brand- ecker gedruckt, einem Jugendfreund Roth- schilds. Schon zu diesem Zeitpunkt arbeitete in der Druckerei M. Rothschilds ältester Sohn An- ton (geb. 1840), der Buchdrucker gelernt hatte. Er muss in Rottweil bereits als junger Mann be- trächtliches Ansehen genossen haben, denn beim Bankett aus Anlass des Anschlusses von Rottweil an die Eisenbahn Ende Juli 1868 ge- hörte er im Hotel Gassner zu den Festrednern. Bald trat auch Antons 1845 geborener Bruder Moritz in den väterlichen Betrieb ein, von Beruf gleichfalls Buchdrucker. Wie sehr die Verlags- druckerei Rothschild inzwischen Fuß in Rott- weil gefasst hatte, zeigt 1864 das Erscheinen des gedruckten Katalogs der Bibliothek des katholischen Kapitels Rottweil bei Rothschild. Mit Anton und Moritz Rothschild Im Sommer 1870 lösten Anton und Moritz Rothschild ihren Vater an der Spitze seines Unternehmens ab; Maier Joseph Rothschild erklärte der Öffentlichkeit, er wolle künftig „alle seine Zeit seinem ärztlichen Berufe zuwenden“ und habe deshalb zum 1. Juli Buchdruckerei und Bürgerzeitung seinen beiden Söhnen ver- kauft (vgl. SBZ Nr. 70 vom 22. Juni 1870). Die Buchdruckerei ging mit den Rechten an der Bürgerzeitung zu zwei Dritteln an Anton Rothschild, mit einem Drittel an seinen Bruder Moritz. Je 2000 Gulden vom Kaufpreis von ins- gesamt 16 000 Gulden schenkte der Vater sei- nen Söhnen als Heiratsgut. Die übernahmen auch finanzielle Verpflichtungen des Betriebs gegenüber Gerichtsnotar Bach von Schwä- bisch Gmünd in Höhe von 4500 Gulden und dem Mannheimer Bankier Samuel Rothschild mit 1000 Gulden. Anton und Moritz Rothschild waren unter dem 14. Dezember 1869 ins Rottweiler Bürgerrecht aufgenommen worden, während ihre Brüder Hugo und Otto nach Amerika auswanderten (vgl. StadtA Rw, Bürgerbuch 1847 Nr. 1128 bzw. Nr. 1129); zu Hugo gab es 1887 Kontakte nach San Francisco (Klein, Beiträge S. 72). Am 6. Dezember 1884 ist Maier J. Rothschild „nach langem, schwerem Leiden“ gestorben und wur- de von seinen ärztlichen Kollegen „ehrenvoll zu Grab geleitet“ (vgl. SBZ Nr. 190 vom 10. De- zember 1884). Noch 1870 hatte Anton Roth- schild die Redaktion der Bürgerzeitung über- nommen, während sein Bruder danach die Ver- lagsdruckerei leitete. Dass die Familie Rothschild in Rottweil gesell- schaftlich inzwischen eng eingebunden war, zeigt der Blick auf ihre Mitgliedschaft in einigen Rottweiler Vereinen. Maier Joseph Rothschild war spätestens seit 1864 und bis zu seinem Tod Mitglied im einflussreichen Landwirtschaftlichen Verein der Oberamtsstadt (vgl. SBZ Nr. 25 vom 26. Februar 1864 Beilage). Sein Sohn Anton Rothschild war diesem wichtigen Verein schon vor dem Tod des Vaters beigetreten und spätes- tens im gleichen Jahr auch in den Ausschuss Verlag und Buchdruckerei Rothschild in Rottweil von Winfried Hecht Blick auf das Gebäude Friedrichsplatz 16: Hier arbeitete die Verlagsdruckerei Rothschild von 1855 bis 1936 erfolgreich. Foto: Pfannes

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ROTTWEILER HEIMATBLÄTTERHerausgegeben von Winfried Hecht für denRottweiler Geschichts- und Altertumsverein e.V.

Druck: Druckzentrum Südwest GmbHRedaktion: Andreas Pfannes, Rottweil

78. Jahrgang 2017 Nr. 3

Im Jahre 1851 trat der 1813 in Rottweil gebore-ne jüdische Mediziner Maier Joseph Roth-schild, der an der Universität Tübingen studierthatte, als Redakteur bei der im Besitz von Sig-mund Schott in Stuttgart befindlichen Rottwei-ler Zeitung ein (vgl. zum Thema insgesamt H.Dom, Das Pressewesen in Rottweil von denersten Anfängen bis zum Ende des 19. Jahr-hunderts. Masch. schr. Diss. phil. München1956). Von 1838 an durfte der Arzt in der würt-tembergischen Oberamtsstadt praktizierenund wirkte endgültig seit 1847 als praktischerArzt in der „Sonne“ in Rottweil (vgl. RottweilerAnzeiger Nr. 29 vom 12. März 1847 S. 122).Rothschild gehörte 1848/1849 zu den führen-den Köpfen der Revolution in der einstigenReichsstadt mit ihren gut 4000 Einwohnernund hat 1849 das Rottweiler Bürgerrecht erhal-ten (vgl. W. Hecht, Rottweiler Persönlichkeitenund Gruppierungen in der Revolution von1848/49. In: Die Revolution von 1848/49 amoberen Neckar. Hrsg. von B. Rüth. Rottweil2000 S. 81).

Vom „Rottweiler Anzeiger“ zur „Schwarzwälder Bürgerzeitung“

„Seine“ Zeitung hat Rotschild noch 1855 um10 000 Gulden auch erworben. Inhaltlich ver-einigte Maier Joseph Rothschild schon bald da-rauf mit Genehmigung durch das Oberamt dasAnzeigenblatt „Rottweiler Anzeiger“ mit der„Rottweiler Chronik“, einem Nachrichtenblatt.Zeitungsverlag und Druckerei hatten zu diesemZeitpunkt ihren Sitz schon einige Jahre im statt-lichen Gebäude Friedrichsplatz 16 (vgl. dazu W.Hecht, Der Rottweiler Klosterhof der Benedikti-ner von St. Blasien. RHbl 43. Jg. (1982) Nr. 6S.1-S.2). Die Zeitung erschien damals dreimalin der Woche und hatte 800 Abonnenten.In den Monaten nach dem Kauf durch Roth-schild wurden die zugehörige Druckerei „we-sentlich“ modernisiert und vor allem zusätzlicheDruck-Typen angeschafft. Unter dem 21. Sep-tember 1856 konnte der Kundschaft im „Rott-weiler Anzeiger“ mit einer halbseitigen Anzeigemitgeteilt werden, jetzt sei man in der Lage,„Beamtungen, Geschäftsleute, Advokaten, Ärz-te, Handel und Gewerbe sowie Landwirte“ mit„Tabellen, Geschäftsbüchern, Avisen, Adress-karten, Circulären, Frachtbriefen, Verlobungs-und Hochzeitskarten, Rechnungen und Quit-tungen“ zu bedienen, und wolle „alle Bestellun-gen ... ebenso schleunig als pünktlich“ ausfüh-ren (Rottweiler Anzeiger Nr. 109 vom 21. Sep-tember 1856 S. 446). 1862 wies Maier Roth-schild stolz darauf hin, dass in seinem Betriebmit dem Schnellpressen-Druckverfahren ge-arbeitet wurde, offenbar mit einer in der Stutt-garter Maschinenfabrik Groß hergestellten Ma-schine. Im genannten Jahr druckte der Betrieb

die Denkschrift „... über die für den südlichenSchwarzwald notwendigen Eisenbahnen“ imAuftrag des „Eisenbahn-Comité in Rottweil“, dieden zuständigen Stellen in der Landeshaupt-stadt Stuttgart vorgelegt werden sollte. 1863überschritt die Rothschildsche Bürgerzeitungmit ihrer Auflagenhöhe die „magische“ Zahl von1000 Exemplaren.Nach arbeitsreichen Jahren hat die Verlagsdru-ckerei Rothschild 1868 der Großbrand schwergetroffen, dem am 5. September 1868 siebenGebäude der östlichen Häuserzeile am Frie-drichsplatz bis auf das nördliche Eckhaus mitRothschilds Unternehmen zum Opfer fielen.Dem tatkräftigen Einsatz von Feuerwehrleutenund Arbeitern vor allem aus Schwenningen wares zu verdanken, dass die Flammen erst vor M.Rothschilds Haus halt machten (vgl. W. Hecht,Brandfälle im Stadtkern von Rottweil. In: 125Jahre Freiwillige Feuerwehr Rottweil. Fest-schrift. Rottweil 1981 S. 83 ff.). Die „Schwarz-wälder Bürgerzeitung“ fiel nach dem Brand abernur mit einer einzigen Ausgabe aus. Die näch-ste wurde in Oberndorf in der Druckerei des„Schwarzwälder Boten“ von Wilhelm Brand-ecker gedruckt, einem Jugendfreund Roth-schilds. Schon zu diesem Zeitpunkt arbeitete inder Druckerei M. Rothschilds ältester Sohn An-

ton (geb. 1840), der Buchdrucker gelernt hatte.Er muss in Rottweil bereits als junger Mann be-trächtliches Ansehen genossen haben, dennbeim Bankett aus Anlass des Anschlusses vonRottweil an die Eisenbahn Ende Juli 1868 ge-hörte er im Hotel Gassner zu den Festrednern.Bald trat auch Antons 1845 geborener BruderMoritz in den väterlichen Betrieb ein, von Berufgleichfalls Buchdrucker. Wie sehr die Verlags-druckerei Rothschild inzwischen Fuß in Rott-weil gefasst hatte, zeigt 1864 das Erscheinendes gedruckten Katalogs der Bibliothek deskatholischen Kapitels Rottweil bei Rothschild.

Mit Anton und Moritz Rothschild

Im Sommer 1870 lösten Anton und MoritzRothschild ihren Vater an der Spitze seinesUnternehmens ab; Maier Joseph Rothschilderklärte der Öffentlichkeit, er wolle künftig „alleseine Zeit seinem ärztlichen Berufe zuwenden“und habe deshalb zum 1. Juli Buchdruckereiund Bürgerzeitung seinen beiden Söhnen ver-kauft (vgl. SBZ Nr. 70 vom 22. Juni 1870). Die Buchdruckerei ging mit den Rechten ander Bürgerzeitung zu zwei Dritteln an AntonRothschild, mit einem Drittel an seinen BruderMoritz. Je 2000 Gulden vom Kaufpreis von ins-gesamt 16 000 Gulden schenkte der Vater sei-nen Söhnen als Heiratsgut. Die übernahmenauch finanzielle Verpflichtungen des Betriebsgegenüber Gerichtsnotar Bach von Schwä-bisch Gmünd in Höhe von 4500 Gulden und

dem Mannheimer Bankier Samuel Rothschildmit 1000 Gulden.Anton und Moritz Rothschild waren unter dem14. Dezember 1869 ins Rottweiler Bürgerrechtaufgenommen worden, während ihre BrüderHugo und Otto nach Amerika auswanderten(vgl. StadtA Rw, Bürgerbuch 1847 Nr. 1128 bzw.Nr. 1129); zu Hugo gab es 1887 Kontakte nachSan Francisco (Klein, Beiträge S. 72). Am 6.Dezember 1884 ist Maier J. Rothschild „nachlangem, schwerem Leiden“ gestorben und wur-de von seinen ärztlichen Kollegen „ehrenvoll zuGrab geleitet“ (vgl. SBZ Nr. 190 vom 10. De-zember 1884). Noch 1870 hatte Anton Roth-schild die Redaktion der Bürgerzeitung über-nommen, während sein Bruder danach die Ver-lagsdruckerei leitete.Dass die Familie Rothschild in Rottweil gesell-schaftlich inzwischen eng eingebunden war,zeigt der Blick auf ihre Mitgliedschaft in einigenRottweiler Vereinen. Maier Joseph Rothschildwar spätestens seit 1864 und bis zu seinem TodMitglied im einflussreichen LandwirtschaftlichenVerein der Oberamtsstadt (vgl. SBZ Nr. 25 vom26. Februar 1864 Beilage). Sein Sohn AntonRothschild war diesem wichtigen Verein schonvor dem Tod des Vaters beigetreten und spätes-tens im gleichen Jahr auch in den Ausschuss

Verlag und Buchdruckerei Rothschild in Rottweilvon Winfried Hecht

Blick auf das Gebäude Friedrichsplatz 16: Hier arbeitetedie Verlagsdruckerei Rothschild von 1855 bis 1936erfolgreich. Foto: Pfannes

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des Rottweiler Gewerbevereins gewählt wor-den (vgl. SBZ Nr. 41 vom 14. März 1884). 1889trat Anton Rothschild in den Rottweiler Ge-schichts- und Altertumsverein ein (vgl. SBZNr. 52 vom 2. März 1889 S. 3). Das Ansehen,das er bis zu seinen letzten Lebensjahren er-langt hatte, wird nicht zuletzt damit deutlich,dass Anton Rothschild von 1892 bis 1896 demVorstand der Rottweiler Handwerkerbank ange-hörte (vgl. Visionen, Menschen, Verantwortung,Vertrauen, Ziele. 150 Jahre Volksbank Rottweil.Rottweil 2012 S. 62). Anton Rothschild war mitseinem wallenden, dunklen Vollbart schon äu-ßerlich eine beeindruckende Gestalt.Als Zeitungsverlag hatte M. Rothschild noch1865 (1862 ?) den Titel seiner „Rottweiler Bür-gerzeitung“ in „Schwarzwälder Bürgerzeitung“verändert und ihr Format vergrößert. Am 24.Dezember 1864 wurde in Württemberg diePressefreiheit wieder hergestellt, was zweifel-los die journalistischen Möglichkeiten der„Schwarzwälder Bürgerzeitung“ erweiterte. DieZeitung, die jetzt regelmäßig sonntags, mitt-wochs und freitags erschien, war mit ihrem jüdi-schen Besitzer so auf jeden Fall eines der er-sten nicht religiösen Blätter mit lokaler und re-gionaler Verbreitung.M. Rothschild machte mit dem geänderten Titelferner deutlich, dass er über den RottweilerNahbereich hinaus zumindest das gesamteOberamt Rottweil als Verbreitungsgebiet seinerZeitung betrachtete, die natürlich von Nordenher durch den Schwarzwälder Boten unter eini-gem Druck stand, später auch mit dem „Heu-berger Boten“ von Süden. Ohne Mühe wurdeman dagegen am eigenen Standort mit derKonkurrenz von Matthias Linsenmann nach we-nigen Monaten fertig, der 1866 eine „RottweilerZeitung“ herausbrachte. Stärker wurde die Kon-kurrenz, als in Rottweil eine Aktiengesellschaftvom 1. Januar 1878 an den „Rottweiler Volks-freund“ als Organ des Zentrums herausbrachte,der ab 1. Juli 1895 ähnlich wie die „Bürgerzei-tung“ als „Schwarzwälder Volksfreund“ firmier-te. Wenig später trat in Rottweil ferner die Dru-ckerei von Heinrich Eller auf den Plan.Festzuhalten für die damalige Zeit ist, dass sichAnton Rothschild als Redakteur unter dem 1.August 1874 auf der Titelseite seiner Schwarz-wälder Bürger-Zeitung offensiv und ausführlichgegen den aufkommenden Antisemitismuswandte. Für seine Zeitung erklärte er, man be-kenne sich „gemeinschaftlich zur nationalenPartei,..., die sich über die Wiederherstellungund Wiedererhebung des Deutschen Reiches“freue (Schwarzwälder Bürgerzeitung Nr. vom 2.August 1874). Damit stand man dem RottweilerGroßindustriellen Kommerzienrat Duttenhofernahe und trat bisweilen als dessen kommunal-politisches Sprachrohr in Erscheinung. Alles inallem war die nationalliberale Tendenz der Bür-gerzeitung, die sich schon seit 1866 immer stär-ker abzeichnete, unübersehbar. Sie wurde viel-fach als „Parteizeitung“ betrachtet, die sich ent-schieden gegen die aufstrebende Sozialdemo-kratie, aber auch zeitlich nur geringfügigversetzt gegen das Zentrum wandte. Dazupasst, dass sich die „Schwarzwälder Bürgerzei-tung“ nicht nur um 1870 ausgesprochen fort-schrittlich äußerte, wenn etwa in ihr zu lesenstand, die „Verehrer von Altertümern“ müsstensich mit dem baldigen Abbruch des SchwarzenTores „wohl aussöhnen“, nachdem ihm „archi-tektonische Schönheit“ ja abgehe (vgl. W.Hecht, Rottweil 1802-1970. Von der Reichs-stadt zur Großen Kreisstadt. Rottweil 1997S. 101).Wichtig war der neuen Leitung der DruckereiRothschild, mit dem technischen Fortschritt in

ihrem Bereich Schritt zu halten. 1880 teilte sieihrer Kundschaft mit (vgl. Schwarzwälder Bür-gerzeitung Nr. 64 vom 26. April 1880), sie arbei-te jetzt mit einer zweiten „Schnellpresse mitGasmotorenbetrieb“ und den neuesten Hilfs-maschinen. Sowohl in „Schwarz-, wie in Bunt-druck“ erledige sie Druckarbeiten „jeder Art“.Man fertige ganze Werke „mit und ohne Illustra-tionen“, Kataloge, Broschüren, Statuten, Pros-pekte, Grabreden, Programme und Briefköpfe -natürlich auch weitere, in der Akzidenz üblicheProdukte wie „Facturen, Rechnungen, Rund-schreiben, Visiten- und Hochzeitskarten, eben-so Wechsel, Anweisungen, Quittungen, Tabel-len und Formulare sowie Rechenschaftsberich-te“. Bei der Schwarzwälder Bürgerzeitung“ hat-te man etwa 1875 eine Auflagenhöhe von 2000Exemplaren je Ausgabe erreicht. Das Formatdes Blattes wuchs 1877 auf 36 cm x 26 cm.Wahrscheinlich nicht erst 1890 druckte man beiM. Rothschild von Fall zu Fall auch Plakate. Für1890 lässt sich dies nachweisen, als der Rott-weiler Viehmarkt wegen Maul- und Klauenseu-che abgesagt werden und dies im weiteren Um-kreis bekannt gemacht werden musste.Seit 1890 erschien die „Schwarzwälder Bürger-zeitung“ täglich außer an Sonn- und Feiertagen.Dass die Buchdruckerei M. Rothschild mit derNr. 7 einen der ersten Telefon-Anschlüsse er-hielt, nachdem in Rottweil 1891 eine „Telephon-anstalt“ in Betrieb genommen worden war, hatsicher nicht überrascht.Dass man bei den Rothschilds intensiv darübernachdachte, das Zeitungsgeschäft auszuwei-ten, machte 1887 die Ankündigung deutlich, ab1. Januar 1888 den „Trossinger Anzeiger“ drei-mal wöchentlich als „Volks- und Anzeigenblattfür die Baar“ herauszubringen (vgl. Schwarz-wälder Bürgerzeitung Nr. 209 vom 30. Dezem-ber 1887 (Anzeige)). Bei einer zeitweiligen Auf-lage dieses Blattes von 650 Exemplaren wurdees 1897 eingestellt. 1889 erhöhte die Schwarz-wälder Bürgerzeitung die Zahl ihrer Ausgabenauf wöchentlich sechs (vgl. W. Hecht, Rottweil1802-1970. Rottweil 1997 S. 124). Schon 1884kostete die Bürgerzeitung als Einzel-Exemplar60 Pfennig, im Postversand 80 Pfennig. Sie er-schien damals sonntags, montags, mittwochsund freitags. Dass der „Schwarzwälder Volks-freund“ 1895 gleichfalls als „Amtsblatt an-erkannt wurde, hat zweifellos die wirtschaftlicheSituation der Bürgerzeitung nicht verbessert.Sie erreichte 1895 eine Auflage in Höhe von2700 Exemplaren, 1904 von 2820 Exemplare;der Schwarzwälder Volksfreund lag schon 1901bei einer täglichen Auflage von 3000 Exempla-ren und ließ auf diesem Gebiet die Schwarzwäl-der Bürgerzeitung immer weiter hinter sich.Wenn der Papierpreis im Jahre 1900 spürbarangehoben wurde, traf es beide Rottweiler Zei-tungen gleichermaßen.Die Druckerei M. Rothschild blieb ein Familien-betrieb, auch als Anton Rothschild schon ver-witwet am 4. Januar 1896 starb (vgl. StadtA Rw,Bürgerliste 1886 Nr. 379). 1899 kaufte MoritzRothschild für 30 000 Mark in bar das GebäudeFriedrichsplatz 16 samt Buchdruckerei und denbeiden gewölbten Kellern von Kaufmann EugenRothschild in Basel (StadtA Rw, Kfb. 1899 vom25. Februar 1899 f. 30 b), was er offenbar mitdem Verkauf eines Hauses in der UnterenHauptstraße um 33 000 Mark an Isidor Augs-burger finanzierte (vgl. StadtA Rw, Kfb. 1899vom 3. November 1899 p.160 v). In die führen-de Stellung im Unternehmen wuchs mehr undmehr Moritz Rothschilds Sohn Wilhelm hinein,der am 8. April 1878 geboren und 1907 in die Li-ste der Rottweiler Bürger eingetragen wordenwar, später auch dessen deutlich jüngerer Bru-

der Ernst, am 11. April 1893 geboren und in derRottweiler Bürgerliste zunächst als „Kaufmann“bezeichnet (StadtA Rw, Bürgerliste 1886Nr. 1421 und Nr. 2207); Ernst Rothschild hattebei der Volksbank Rottweil gelernt. Die Fest-schrift zum 50-jährigen Bestehen der RottweilerVolksbank mit Plänen, Fotos und ausklappba-ren Statistiken druckte die Buchdruckerei M.Rothschild vor diesem Hintergrund vielleichtnicht ganz überraschend.

Während des 1. Weltkriegs

Für eine kleine Regional-Zeitung wie die„Schwarzwälder Bürgerzeitung“ brachte der 1.Weltkrieg, in den man mit einer durchschnittli-chen Tagesauflage von 2800 Exemplaren ging,erhebliche Belastungen. Noch mit unüberseh-barer nationaler Begeisterung brachte man inden ersten Kriegsmonaten vom 24. Juli 1914 anzusätzlich eine beeindruckende Reihe von „Ex-trablättern“ heraus – gegen 100 allein bis MitteSeptember 1914. Danach wechselte sich die„Schwarzwälder Bürgerzeitung“ mit dem„Schwarzwälder Volksfreund“ beim Druck derExtrablätter ab. Der Druck der Verlustlisten magbereits früh für alle mit ihrer Herstellung Befass-ten eine emotionale Belastung gewesen sein.Zu erwähnen ist für die Kriegsjahre außerdem,dass täglich 200 Exemplare der Bürgerzeitungins Feld versandt wurden, zwei Drittel davonunentgeltlich (vgl. E. Ritter, Rottweil im Welt-krieg. Rottweil 1934 S. 151 ff.).Durch Einberufungen und seit 1915 auf Grundvon Papiermangel wurde die Herstellung vonZeitungen und Drucksachen bald immerschwieriger. Für die Redaktion der Bürgerzei-tung war nominell Wilhelm Rothschild verant-wortlich, der jedoch vom zweiten Halbjahr 1914bis 1916 an der Front und beim Militär war. Ver-treten hat ihn zunächst sein Bruder Ernst Roth-schild, der allerdings gleichfalls 1915 eingezo-gen wurde. Danach redigierte, druckte und ver-legte ihr 70-jähriger Vater Moritz Rothschild dieBürgerzeitung, der sie ja schon früher redigierthatte; Moritz Rothschild war seit 1885 und bis1916 auch Rechner der jüdischen Gemeinde inRottweil (Klein S.74). Man kann sich vorstellen,wie hart es ihn getroffen hat, als sein SohnSiegfried, der vor dem Krieg als Bankprokuristin Basel gearbeitet hatte, als Leutnant der Re-serve am 13. Juli 1917 nach schwerer Verwun-dung mit 36 Jahren in einem Feldlazarett starb.

Nach dem 1. Weltkrieg

Am 26. Dezember 1920 starb Moritz Rothschildan einem Gehirnschlag. Als Besitzer der Ver-lagsdruckerei M. Rothschild traten dem Rott-weiler Adressbuch von 1921 zufolge danachseine Witwe Esther und Wilhelm Rotschild inErscheinung (a. a. O. S. 110). An gleicher Stellewird Ernst Rothschild als „Kaufmann“ und seineSchwester Mathilde als „Kontoristin“ erwähnt.Ernst Rothschild wurde am 23. Januar 1923vom Gemeinderat das Rottweiler Vollbürger-recht verliehen (vgl. Gemeinderatsprotokoll derStadt Rottweil, Verwaltungsabteilung 1923/1924 § 50 S.29).Wilhelm Rothschild wohnte damals bereits inder Oberndorfer Straße 7, die anderen Mitglie-der der Familie noch im Haus Friedrichsplatz16. Im folgenden Rottweiler Adressbuch von1925 erscheint nun auch Ernst Rothschild als„Buchdruckereibesitzer“, aber bereits wohnhaftim neu bebauten Anwesen Duttenhofer-Straße5 im Stadtteil Hinterprediger. Esther Rottschildhatte sich offenbar aus der Firmenleitung ganzzurückgezogen, ihre Tochter Mathilde wird im-

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mer noch als „Kontoristin“ geführt und dürfteauch für die Buchhaltung und ähnliche Aufga-ben zuständig gewesen sein. Wilhelm Roth-schild wohnte 1925 in der Oberndorfer Straße21 und wurde 1924 in den „Kirchenvorstand“der neu als Körperschaft konstituierten jüdi-schen Gemeinde Rottweil gewählt (Klein S. 77).Erwähnenswert scheint im Hinblick auf die Lei-stungen der Firma Rothschild, dass sowohl1921 wie 1925 das Rottweiler Adressbuch mitjeweils an die 300 Seiten gemeinsam mit denRottweiler Druckereien des SchwarzwälderVolksfreund und von Heinrich Eller hergestelltwurde. Zusammen mit dem SchwarzwälderVolksfreund brachte die Verlagsdruckerei M.Rothschild 1928 ebenso die Festschrift zur Er-öffnung der Bahnlinie Rottweil-Schömberg imgroßen Format heraus. Im selben Jahr über-nahm die Verlagsdruckerei Rothschild die Be-wirtschaftung der Plakatsäulen in Rottweil;1932 wurde die entsprechende Pachtgebührvon Seiten der Stadt ermäßigt (vgl. Gemeinde-ratsprotokoll der Stadt Rottweil, Verwaltungsab-teilung vom 29. Oktober 1929 § 780).Im Verlag Rothschild erschien auch Belletristik.1924 kam ein kleiner Band mit Gedichten vonTheo Schinle mit dem Titel „Aus deutscher See-le“ heraus, der sich auch gegen den „Todesver-trag von Versailles“ wandte. Von Sidonie Bran-denburger wurde um die gleiche Zeit das Bänd-chen „Erinnerungsblätter aus dem Leben“ die-ser Rottweilerin veröffentlicht, den die Autorin„ihrem geliebten Gatten und ihren lieben Kin-dern“ gewidmet hatte. Wenn seit 1922 in derBuchdruckerei M. Rothschild Jahr für Jahr dergemeinsame Wanderplan für die RottweilerOrtsgruppen von Albverein und Schwarzwald-verein hergestellt wurde, dann hatte dies sehrwahrscheinlich damit zu tun, dass Ernst Roth-schild im Ausschuss des Albvereins tatkräftigmitarbeitete, während im SchwarzwaldvereinWilhelm Rothschild 1927 als Gründungsmit-glied der Ortsgruppe Rottweil geehrt wurde (vgl.W. Hecht, 125 Jahre Schwäbischer Albverein inRottweil 1889-2014. Rottweil 2013 S. 12 ff. undW. Hecht, Die Ortsgruppe Rottweil desSchwarzwaldvereins (1902-1939). RHbl 76. Jg.(2015) Nr. 4 S. 2).1926 erschien von Pfarrer Albert Aich das be-achtlich erfolgreiche Buch „Albbilder“, offenbarin enger Fühlungnahme mit dem SchwäbischenAlbverein. Es folgte 1926 der Stadtführer „Rott-weil am Neckar“ mit 28 Seiten nach einem Bei-trag im Rottweiler Adressbuch von 1925. 1928erschien bei der Buchdruckerei M. Rothschildder „Klassiker“ „Die Rottweiler Fasnacht“ vonEugen Ritter. Im Jahr 1928 stellte man fernerden anspruchsvollen „Führer durch die Alter-tumshalle in Rottweil“ von Peter Goessler mit112 Seiten und zahlreichen Schwarzweiß-Ab-bildungen für den Rottweiler Geschichts- undAltertumsverein her; schon der Vorgänger die-ser Veröffentlichung, Ludwig Sontheimers „Füh-

rer durch die Altertumshalle in Rottweil a. N.“,war 1913 in Oktav mit 60 Seiten und sehr sorg-fältig ausgeführt in „M. Rothschild’s Buchdru-ckerei“ herausgekommen. Bei Rothschild ge-druckt wurde außerdem 1925 die umfangreicheKölner volkswirtschaftliche Doktorarbeit „Orga-nisationsfragen in der deutschen Uhrenindu-strie unter besonderer Berücksichtigung derGroßindustrie“ des Rottweilers Albert Moker.

Das Ende der „Bürgerzeitung“

Seit dem 1. Juli 1932 erschien für die Oberäm-ter Oberndorf, Rottweil und Tuttlingen die NS-Volkszeitung als Bezirkszeitung und vom 1. Mai1933 an als eigene Rottweiler Tageszeitung.Zweifellos wurde das Nazi-Blatt so mehr undmehr zur Konkurrenz der „Schwarzwälder Bür-gerzeitung“, die freilich bis zum bitteren Ende1934 „Rottweiler Anzeiger“ und „Heimatblatt fürden Oberamtsbezirk Rottweil“ blieb. Noch beimJuden-Boykott vom 1. April 1933 blieben Verlagund Druckerei sogar unbelästigt, möglicherwei-se weil zur Belegschaft des Hauses auch Ange-hörige von NS-Formationen wie der SA gehör-ten.Verantwortlich für den politischen Teil des Blat-tes war damals H. Tröster, Stuttgart. Ernst Roth-schild vertrat ihn und trug die Verantwortung fürden lokalen Teil der Zeitung sowie ihre Anzei-gen-Abteilung. Das sollte sich nach einigen Mo-naten allerdings ändern, auch wenn ein derNSDAP angehöriger Abonnent der Bürgerzei-tung in einem Leserbrief mitteilte, die Zeitung

habe „den Nationalsozialismus nie bekämpftund überhaupt immer anständig und nicht ge-hässig“ geschrieben (vgl. Schwarzwälder Bür-gerzeitung Nr. 87 vom 13. April 1933). Die Inha-ber der Firma wurden im öffentlichen Leben inRottweil immer stärker ausgegrenzt (vgl. W.Hecht, NS-Rassenwahn im Rottweiler Albver-ein. In: Gedenkstätten-Rundschau Nr. 15 (No-vember 2015) S. 16-S. 20). Ihre Zeitung verlorunter dem Druck der örtlichen NSDAP auchden Status eines Amtsblattes.Zum 30. Mai 1934 verabschiedeten sich Wil-helm und Ernst Rothschild schließlich für Verlagund Redaktion des Schwarzwälder Bürgerzei-tung mit einem bewegenden Leitartikel „Dankund Abschied“ und stellten das Erscheinen ihrerBürgerzeitung ein (vgl. Schwarzwälder Bürger-zeitung Nr. 121 vom 30. Mai 1934). Auf Seite 3der entsprechenden Nummer dankten die Zei-tungsherausgeber in der kleinen Rubrik „Brief-kasten der Redaktion“ außerdem vielen für„warme Beweise ihrer Freundschaft“, die es er-leichtert hätten, „von unserem Leser- und Inse-rentenkreis Abschied zu nehmen und als Men-schen die Achtung unserer Mitmenschen trotzallem bewahrt zu haben“. Und auf Seite 4 die-ser letzten Nummer der Schwarzwälder Bürger-zeitung zeigte „M. Rothschilds Buchdruckerei“mehrspaltig „Behörden, Privaten, Handel undGewerbe“ aber auch an, man wolle weiterDruckarbeiten jeder Art in pünktlicher und ge-schmackvoller Art anfertigen.Doch auch auf diesem Gebiet kam rasch dasEnde: Im Rottweiler Adressbuch von 1936 istdie Buchdruckerei Rothschild zwar noch be-rücksichtigt, der entsprechende Eintrag im heu-te im Stadtarchiv befindlichen Handexemplarder Rottweiler Stadtverwaltung jedoch vonHand wieder gestrichen. Auch in Rottweil wur-den damit 1936 ein Unternehmen und seineBesitzer aus primitiv-rassistischen Gründen vonSeiten der Nazi-Partei aus der Stadt hinausge-ekelt, nachdem sie über Jahrzehnte im wirt-schaftlichen und gesellschaftlichen Leben Rott-weils eine ausgesprochen positive Rolle ge-spielt hatten.Zu erwähnen bleibt, dass Ernst Rothschild nochAnfang August 1937 „Das Rottweiler Spenden-buch“ über das „Jüdische Gemeindeblatt für dieisraelitischen Gemeinden in Württemberg“ ver-öffentlicht hat (neu herausgegeben von W.Kessl. Rottweil 2012) und wenige Tage spätermit Frau und Kindern seine Heimatstadt in Rich-tung Basel für immer verließ (Kessl, a. a. O.S. 7). Um diese Zeit existierte die Firma „M.Rothschild. Buchdruckerei. Rottweil/Neckar“als „Briefkastenfirma“ zunächst weiter und warin der Rosenbergstraße 111 in Stuttgart bei Wil-helm Rothschild telefonisch unter 6 56 76 zu er-reichen, wenn Drucksachen, Prospekte oderEtiketten benötigt wurden. Ins Haus Friedrichs-platz 16 in Rottweil zog die Druckerei Wohnlichund Wagner ein.

Der Viehtrieb in den Wald wurde auch in derRottweiler Gegend jahrhundertelang praktiziert(vgl. W. Hecht 2004 und 2012). Diese demWald sehr abträgliche Nutzung gab häufig An-lass zu Streit. Eine besonders heftige, jahrelan-ge Auseinandersetzung zwischen der neuenHerrschaft und der Gemeinde Neukirch beginnt1804 wegen der Waldweide im Vaihingerwald,

einem Waldbesitz der 1802/1803 säkularisier-ten Reichsabtei Rottenmünster. Hier hatte der Viehtrieb, begünstigt durch diestandörtlichen Voraussetzungen zu katastro-phalen Schäden geführt. Durch den Tritt desViehs waren umfangreiche versumpfte Flächenentstanden, auf welchen eine Waldverjüngungunmöglich war. Was dennoch an einzelnen

Jungbäumen hochkam, wurde vom Vieh ge-fressen. Der seit November 1803 in Rottweilamtierende kommissarische ForstamtsleiterCarl von Langen erkannte die Lage und handel-te umgehend: Bereits in der ersten Jahreshälfte1804 ist der Vaihingerwald (wie der gesamteHerrschaftswald) „verhäugt“; d. h. , ein Holzver-hau verhindert den Vieheintrieb.

Vom ehemaligen Viehtrieb in den Vaihingerwaldvon Dietrich Kettler

Anzeige im Rottweiler Adressbuch von1921 mit dem Leistungsangebot derFirma Rothschild.

Vorlage: Stadtarchiv Rottweil

Page 4: Verlag und Buchdruckerei Rothschild in Rottweilgav-rottweil.de/wp-content/uploads/2018/11/2017_3_Heimatblaetter.… · druckerei Rothschild inzwischen Fuß in Rott-weil gefasst hatte,

Gegen dieses Verhäugen wehrt sich die Ge-meinde Neukirch mit der Begründung, die bis-herige Herrschaft, also das Kloster Rotten-münster, habe diesen Weidgang bewilligt. AlsBeweis legt die Gemeinde dem Forstamt einenProtokollauszug vom 27. Juni 1773 vor, nachwelchem das Reichs-Gottes-Haus Rotten-münster auf Antrag der Gemeinde den Weid-gang so bewilligt, dass „der Trieb in den Vaihin-ger Wald in der Maaß gestattet werden solle,dass der Herrschaft unbenommen seye, nachbefindlichen Umständen ein Stück von demWald einzuschlagen und den jungen Anflugnachpflanzen, … mit der Zuversicht, dass siegemeinde, den Viehtrieb soviel es möglich ohn-schädlich gebrauche und somit der Herrschaftnicht merklichen Schaden verursachen möge;… Schließlich wird noch angemerkt, dass beiEinschlagung des Waldes … niemalen auf eineZeit über 20 Jauchert eingeschlagen werdensollen.“Diesen Sachverhalt berichtet von Langen am15. Juni 1804 seiner vorgesetzten Stelle, demkurfürstlichen Forst-Departement in Ellwangenmit Hinweis, dass – wenn die Behauptung derGemeinde zuträfe – eine Waldverjüngung un-möglich sei; von Langen bittet um „Verhaltungs-befehle“. Die vom Forst-Departement daraufhinvorgeschlagene Bereitstellung von Ersatzwei-deland scheitert, weil alle Flächen der staatli-chen Domäne Vaihingerhof bereits an die land-hungrige Bevölkerung verpachtet sind.In seinem diesbezüglichen Bericht an dasForst-Departement vom August 1804 meint vonLangen scheinbar resigniert, man müsse ebenzuwarten, bis auch in Neukirch die Stallfütte-rung eingeführt sei. Dann aber teilt er mit, dasszwischenzeitlich die meisten Blösen im Waldeingehäugt seien und dass im kommendenJahr der gesamte Waldtrauf umhäugt werde.Weiter meint von Langen, die Neukircher seienvon der Notwendigkeit dieser Maßnahmenüberzeugt und sie würden „sich folgsam undunterthänig dazu verstehen, da diese Gegendholzbedürftig ist und somit ... Schonung undNachhaltigkeit dieser dem Dorf Neukirchnächstgelegene Waldung eigens Wohl und In-teresse ...“ ist.Selbst für den als „Seiteneinsteiger“ in denForstberuf gekommenen von Langen hat derGrundsatz einer nachhaltigen Waldnutzung ab-soluten Vorrang, auch vor der protokolliertenWeideerlaubnis von 1773. Noch im selben Mo-nat wird seine Handlungsweise vom Forst-De-partement genehmigt.Am 18. März 1805 folgt dann sogar die schrift-lich Weisung des Forst-Departements, „die da-selbst befindlichen Waldungen (Vohinger Wald)ohne weiteres forstmäßig zu behandeln, und al-le jene Schläge zu verhäugen, die dem Viehnoch nicht aus dem Maule gewachsen sind.“Das Protokoll von 1773 scheint jetzt auch fürdas Forst-Departement bedeutungslos zu sein.Schon am 5. Mai 1805 meldet von Langen Voll-zug, auf den man sich sogar einvernehmlich mitder Gemeinde verständigt habe. Das allerdingswar ein Irrtum: Am 25. Mai 1805 ersucht die Ge-meinde das Forst-Departement, die Restriktio-nen des Forstamtes aufzuheben. In seiner Stel-lungnahme hierzu schreibt von Langen am 10.September 1805: „Ich muß daher pflichtmäßigverlangen, dass die Gemeind Neukirch mitihrem Petito abgewiesen, derselben das Wald-weiden untersagt, und solche zur Einführungder Stallfütterung angewiesen werde.“Erst am 22. Januar 1806, offensichtlich nachPrüfung der Rechtslage, antwortet das inzwi-schen Königliche Forst-Departement mit derneuen Erkenntnis, dass Weidebeschränkungen

im Vaihingerwald nur einvernehmlich mit derGemeinde ausgehandelt werden können. DasForst-Departement schließt hieraus, „daß dasForstamt die Verhäugung des gedachten Wal-des für heuer mit möglichster Einschränkungdes Viehtriebs … jedoch der gestalt vorzuneh-men habe, dass die Gemeinde soviel möglichklaglos gestattet werde.“Die Entscheidung der vorgesetzten Behörde,den Viehtrieb einzuschränken, ohne der Ge-meinde Anlass zur Klage zu geben, verlangtvom Forstamt quasi die Quadratur des Kreises.Dieses reagiert auf seine Weise und verhäugtbis Anfang März 1806 den gesamten Vaihinger-wald. Die Auseinandersetzung eskaliert.Am 8. März berichtet Förster Riethmüller demForstamt, er habe erfahren, dass der staatlicheSteuereinnehmer Waldbauer der GemeindeNeukirch den Vieheintrieb in den VaihingerWald erlaubt habe. Auf diesen Sachverhalt ha-be er den Schultheis angesprochen und dieserhabe ihm gesagt: „ja, es seye Warheit und aufdas Wort fahren sie zu, ich möge einhäugenoder nicht.“ Und der Förster weiter: „… kurz ichspüre, dass die Leude auf dass boshafteste undbößartig werds, wo es in einem so neyen Landso große Mühe kostet, nur bis die Leude wis-sen, was Forst ist. Auch ware bis dato ...Schul-theis samt der Gemeindt geneigt, mir etlicheStückh von ihrer Allmand zu geben, wo ich dochzu meinem nötigen Unterhalt etwas Grondbiernund Krautt hätte bauen können. Allein gesternwurde es mir ganz abgesagt...“„Nach genauer, eingezogener Erkundung“ leitetdas Forstamt den als sachlich richtig erkanntenFörsterbericht am 13. März 1806 weiter an dasForst-Departement und zwar offensichtlich inUnkenntnis dessen, dass die Gemeinde bereitsdrei Tage zuvor, also am 10. März, in einer Peti-tion den König um Schutz gegen die forstamtli-chen Weidebeschränkungen gebeten hat. Inihrer Beschwerde schildert die Gemeinde ihrWeiderecht von 1773 und begründet die Not-wendigkeit der Beibehaltung dieses Rechts wiefolgt: „...nun hat uns das Forstamt diesen Waldganz eingehäugt und uns somit unser Wai-drecht gänzlich genommen. Da wir aber durchdiese forstamtliche Verordnung von unseremschriftlichen Vertrag … vertrieben sind, so se-hen wir uns zu der allerunterthänigsten Be-schwerde .. genötiget, und bitten dahero, unsgegen die ferner … forstamtliche Verordnungen… zu schützen, umso mehr, als wir bei Aufhe-bung dieses Waidganges nicht einmal mehreine Zuchtherde zu erhalten im Stande wären,und doch ist die Viehzucht in hiesigem Ort derHaupt und beinahe der einzige Erwerb, da beiunserer kleinen Marckung und der starken Be-völkerung nicht genug Frucht für die Menschenwachste … Mit tiefstem Respekt ersterbend,Euer Königlichen Majestät, AllunterthänigsteSchultheiß, Bürgermeister und Richter ...“Diese Korrespondenz zeigt zwei Grundpositio-nen des Verhältnisses Mensch-Wald, wie sieverschiedener kaum sein könnten: Da ist derForstmann, der den Wald in der für seine weite-re Existenz erforderlichen Nachhaltigkeit, aberauch, nicht zuletzt unter dem Druck seiner Herr-schaft, in der möglichst hohen Wirtschaftlichkeitsieht. Eine weitgehend flächendeckende Wald-weide ruiniert beides, Nachhaltigkeit und Wirt-schaftlichkeit. In seiner neuen Position als Ver-treter der neuen Herrschaft fühlt sich der För-ster stark genug, seine Auffassung ohne sichum bestehende Rechtsverhältnisse zu küm-mern kraft Autorität durchzusetzen.Die vom Auftreten der neuen Herrschaft ohne-hin nicht begeisterte Gemeinde sieht nach denunter Missachtung alten Rechts verhängten

Weiderestriktionen einen elementaren Be-standteil der Ernährungssicherung ihrer Bevöl-kerung gefährdet. Dass mit der hemmungslo-sen Weiterführung der Waldweide auch diese„Nutzungsart“ langfristig gefährdet ist, sieht sienicht. Die Gedanken richten sich nur auf zweiFragen. Wie erhalte ich hergebrachtes Recht?Und: wie ernähre ich morgen die Bevölkerung?Ob, und gegebenenfalls wie die Petition der Ge-meinde beschieden worden ist, geht aus denforstamtlichen Akten nicht hervor. Tatsache ist:Die Streitigkeiten gehen zunächst in gehabterWeise weiter: Das Forstamt häugt eigenmäch-tig ein, die Gemeinde lässt das Vieh auch in dieumhäugten Bereiche treiben und beschwertsich beim Forstamt über die Beschneidungihres Weiderechtes. Das Forst-Departementverweist auf sein Dekret vom 22. Januar 1806,wonach das Forstamt den Wald mit möglichsterEinschränkung des Viehtriebs zu verhäugen,gleichzeitig aber der Gemeinde den Trieb sovielals möglich zu erlauben hat. Dass das Forstamtdieser „eindeutigen“ Weisung nicht nachkommt,bleibt zunächst ohne Folgen. Erst durch Dekretvom 24. Dezember 1812 erhält das Forstamtdie nötige Zurechtweisung: „Das Oberforstamtwird daher ernsthaft angewiesen, diese frühe-ren Befehle pflichtmäßig zu befolgen und dieBeschwerden der Gemeinde dadurch möglichstabzuschneiden.“Bemerkenswert ist jetzt die Wandlungsfähigkeitdes Forstdepartements gegenüber dem Forst-amt: Am 18. März 1805 wird der Befehl zumEinhäugen erteilt. Am 22. Januar 1806 wird be-fohlen, den Wald einzuhäugen, ohne die Ge-meinde einzuschränken. Am 24. Dezember1812 kommt schließlich der Befehl, die Be-schwerden der Gemeinde zu vermeiden, undzwar mit dem Unterton, das Forstdepartementhabe ja nie was anderes befohlen.Die auch im Dekret vom 24. Dezember 1812vorgeschlagene freiwillige Vereinbarung mit derGemeinde, mit Hilfe eines Flächentausches dieWaldweide zu beenden, scheitert in den Folge-jahren.Danach beschränkt sich das Forstamt aufs Be-klagen des jämmerlichen Waldzustandes wieim Wirtschaftsplan 1822: Der miserable Zu-stand des Vaihinger Waldes rühre daher, dass„auf diesem Wald das verderbliche Onus ruht,dass die Gemeinde Neukirch berechtigt ist, dieganze Fläche (exc. 10 Mg.) zu beweiden.“Auch der Wirtschaftsplan 1829 verweist v. a. aufdie durchs Vieh verursachten Standortsschä-den und auf das vergebliche Bemühen, ver-sumpfte Stellen durch Grabenziehungen wie-der zu entwässern; die gezogenen Gräben sei-en durch den folgenden Vieheintrieb wiederrestlos zerstört worden. An dieser Stelle ist derWirtschaftsplan später durch folgende Randno-tiz ergänzt worden: „Durch höchstes Dekretvom 4ten Oktober 1830 hat der Verkauf derStaatsdomäne Vaihinger Hof an die GemeindeNeukirch um die Verkauf-Summe von 50 000 flund gegen Verzichtung von Seiten dieser Ge-meinde auf das … im Vaihinger Wald ihr zuste-hende Weidrecht die höchste Genehmigung er-halten. Wonach also für die Zukunft die Bewei-dung dieses Waldes gänzlich aufhört.“Durch diesen von der Gemeinde Neukirch an-gestoßenen Handel endet der Streit nach 27Jahren.

Quellen und Literatur:1 ) W. Hecht: Hirten und Herden in Alt-Rottweil. Kleine Schrif-ten des Stadtarchivs Rottweil 12. Rottweil 20042) W. Hecht: Vom Hardthaus und vom Haslerhof. RottweilerHeimatblätter 73. Jg. (2012) Nr. 6 S. 43) Archivalien im Staatsarchiv Sigmaringen