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CAS «E-HEALTH – GESUNDHEIT DIGITAL» Vernetzte Gesundheit Für viele Menschen ist das Leben ohne Internet kaum mehr denkbar. Und die weltweite Vernetzung macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt. Die neuen «e-Patienten» mit ihrem Wunsch nach Kommunikation, Partizi- pation und Transparenz revolutionieren das alte Gesundheitssystem grundlegend. Von Prof. Dr. Andréa Belliger Internet und Social Media haben unseren Umgang mit Gesundheit und Krankheit verändert. Über 80 % der Internetnutzer recher- chieren heute im Internet nach ge- sundheitsbezogenen Themen, Pa- tienten überprüfen ihre Diagnosen vermehrt online und sprechen ihren Arzt auf die Informationen aus dem Netz an. Und diese recherchierten Informationen verändern das Ver- halten der Patienten. Mehr als ein Drittel hat deshalb bereits einen Arzttermin vereinbart, abgesagt oder die Einnahme von Medika- menten geändert. Das Internet hat sich in den letzten Jahren von einem Medium der Informationspublika- tion zum Web 2.0 gewandelt, das heute eine grosse weltumspannen- de Kommunikations- und Vernet- zungsplattform ist. Treiber dieser Veränderung ist nicht so sehr eine technologische Innovation, sondern eine soziale Bewegung. Eine Bewe- gung, in deren Zentrum eine einfa- che, aber bestechende Philosophie steht – jene des Teilens, Mitteilens, des Interagierens und des Partizi- pierens. e-Patienten in allen Altersklassen zu finden Die Auswirkungen dieser Entwick- lung sind auch im Gesundheits- bereich spürbar. Im Zuge der Web 2.0-Bewegung entsteht gegen- wärtig eine vernetzte Konsumen- ten- und Patientengeneration: die ePatients. ePatients kommunizie- ren und informieren sich auf vielfäl- tige Weise. Sie lesen und schreiben in Blogs, vernetzen sich, kommuni- zieren mit anderen Patienten und Ärzten in Portalen und virtuellen Sprechstunden, tauschen Gesund- heitsdaten aus und beeinflussen da- mit Selbstdiagnose, Arztwahl, Me- dikation und Therapie. Dabei steht das kleine «e» vor ePatient, nicht so sehr für «elektronisch», als vielmehr für «empowered» – befähigt, aktiv, kompetent. ePatients sind nicht nur in der Altersklasse der NetGenera- tion, also bei den computerverrück- ten jungen Leuten zwischen 15-35 Jahren zu finden. Zunehmend ge- sellen sich die Silver Surfers, Men- schen ab 60, dazu. Die ePatients sind zu einer neuen Einflussgrösse auf dem Gesundheitsmarkt gewor- den und fordern vom Gesundheits- system und seine Akteuren, von Ärzten, Versicherungen, Spitälern und der Pharmaindustrie Kommu- nikation, Partizipation und Trans- parenz. Dass Gesundheitsinformationen zunehmend via Internet erschlos- sen werden, ist keine neue Sache. Patienten sind heute aber nicht nur digital informiert, sondern zu- nehmend digital vernetzt. Online Health Communities, auf denen sich Patienten in krankheitsspezifischen Gruppen wie etwa der Parkinson- Community mit über 8000 Mitglie- dern organisieren, austauschen und gegenseitig unterstützen, sind stark am Wachsen und sind zu wichtigen Wissensnetzwerken gerade im Um- gang mit chronischen Krankhei- ten geworden. Der Umgang mit Ge- sundheit und Krankheit geschieht zunehmend in Netzwerken, seien dies Patienten-Communities, Ärzte- netzwerke oder Ansätze der integ- rierten Versorgung. Aktive Beteiligung birgt grosses Potenzial Die Zugänglichkeit von qualitativ hochwertiger Information verän- dert die Rollen im Gesundheits- wesen. Das Wissen liegt nicht mehr einseitig bei den Fachperso- nen. Das macht die Grenzen zwi- schen Experten und Laien durch- lässig. Laien und Patienten sehen sich zunehmend weniger als pas- sive Empfänger von Gesundheits- dienstleistungen, sondern als aktive und selbstbestimmte Kommuni- kationspartner, als Initianten von Enrico Kopatz arbeitete nach dem Diplom am MAZ Luzern in der Medienbranche, u. a. als Chefredaktor, Programm- leiter und Geschäftsführer bei verschiedenen Bündner Medien. Danach war er Informationsbeauftragter in der kanto- nalen Verwaltung von Graubünden. Seit 2008 ist er stellvertretender Leiter Kommunikation des Departements Gesund- heit und Soziales im Kanton Aargau. Nach seinem CAS «eHealth – Gesundheit digital» am Institut für Kommunikation & Führung IKF hat er zusätzlich die Programmleitung von «eHealth Aargau» übernommen. Sein nächstes Ziel: «Bis Ende 2015 sollen die stationären und die ambulanten Leistungserbringer im Gesundheitswesen des Kantons Aargau eigene Handlungsstrategien im Bereich eHealth entwickelt haben und – vernetzt – umsetzen.» Enrico Kopatz (45): von den Bündner Medien ins aargauische Gesundheitswesen (Fortsetzung auf Seite 26) Foto: Dieter Seeger Tages-Anzeiger | 13. Mai 2013 25 |

Vernetzte Gesundheit

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Page 1: Vernetzte Gesundheit

CAS «E-HEAltH – GESundHEit diGitAl»

Vernetzte GesundheitFür viele Menschen ist das leben ohne internet kaum mehr denkbar. und die weltweite Vernetzung macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt. die neuen «e-Patienten» mit ihrem Wunsch nach Kommunikation, Partizi-pation und transparenz revolutionieren das alte Gesundheitssystem grundlegend. Von Prof. Dr. Andréa Belliger

Internet und Social Media haben unseren Umgang mit Gesundheit und Krankheit verändert. Über 80 % der Internetnutzer recher-chieren heute im Internet nach ge-sundheitsbezogenen Themen, Pa-tienten überprüfen ihre Diagnosen vermehrt online und sprechen ihren Arzt auf die Informationen aus dem Netz an. Und diese recherchierten Informationen verändern das Ver-halten der Patienten. Mehr als ein Drittel hat deshalb bereits einen Arzttermin vereinbart, abgesagt oder die Einnahme von Medika-menten geändert. Das Internet hat sich in den letzten Jahren von einem Medium der Informationspublika-

tion zum Web 2.0 gewandelt, das heute eine grosse weltumspannen-de Kommunikations- und Vernet-zungsplattform ist. Treiber dieser Veränderung ist nicht so sehr eine technologische Innovation, sondern eine soziale Bewegung. Eine Bewe-gung, in deren Zentrum eine einfa-che, aber bestechende Philosophie steht – jene des Teilens, Mitteilens, des Interagierens und des Partizi-pierens.

e-Patienten in allen Altersklassen zu findenDie Auswirkungen dieser Entwick-lung sind auch im Gesundheits-

bereich spürbar. Im Zuge der Web 2.0-Bewegung entsteht gegen-wärtig eine vernetzte Konsumen-ten- und Patientengeneration: die ePatients. ePatients kommunizie-ren und informieren sich auf vielfäl-tige Weise. Sie lesen und schreiben in Blogs, vernetzen sich, kommuni-zieren mit anderen Patienten und Ärzten in Portalen und virtuellen Sprechstunden, tauschen Gesund-heitsdaten aus und beeinflussen da-mit Selbstdiagnose, Arztwahl, Me-dikation und Therapie. Dabei steht das kleine «e» vor ePatient, nicht so sehr für «elektronisch», als vielmehr für «empowered» – befähigt, aktiv, kompetent. ePatients sind nicht nur

in der Altersklasse der NetGenera-tion, also bei den computerverrück-ten jungen Leuten zwischen 15-35 Jahren zu finden. Zunehmend ge-sellen sich die Silver Surfers, Men-schen ab 60, dazu. Die ePatients sind zu einer neuen Einflussgrösse auf dem Gesundheitsmarkt gewor-den und fordern vom Gesundheits-system und seine Akteuren, von Ärzten, Versicherungen, Spitälern und der Pharmaindustrie Kommu-nikation, Partizipation und Trans-parenz.

Dass Gesundheitsinformationen zunehmend via Internet erschlos-sen werden, ist keine neue Sache. Patienten sind heute aber nicht nur digital informiert, sondern zu-nehmend digital vernetzt. Online Health Communities, auf denen sich Patienten in krankheitsspezifischen Gruppen wie etwa der Parkinson-Community mit über 8000 Mitglie-dern organisieren, austauschen und gegenseitig unterstützen, sind stark am Wachsen und sind zu wichtigen Wissensnetzwerken gerade im Um-gang mit chronischen Krankhei-ten geworden. Der Umgang mit Ge-sundheit und Krankheit geschieht zunehmend in Netzwerken, seien dies Patienten-Communities, Ärzte-netzwerke oder Ansätze der integ-rierten Versorgung.

Aktive Beteiligung birgt grosses PotenzialDie Zugänglichkeit von qualitativ hochwertiger Information verän-dert die Rollen im Gesundheits-wesen. Das Wissen liegt nicht mehr einseitig bei den Fachperso-nen. Das macht die Grenzen zwi-schen Experten und Laien durch-lässig. Laien und Patienten sehen sich zunehmend weniger als pas-sive Empfänger von Gesundheits-dienstleistungen, sondern als aktive und selbstbestimmte Kommuni-kationspartner, als Initianten von

Enrico Kopatz arbeitete nach dem diplom am MAZ luzern in der Medienbranche, u. a. als Chefredaktor, Programm-leiter und Geschäftsführer bei verschiedenen Bündner Medien. danach war er informationsbeauftragter in der kanto-nalen Verwaltung von Graubünden. Seit 2008 ist er stellvertretender leiter Kommunikation des departements Gesund-heit und Soziales im Kanton Aargau. nach seinem CAS «eHealth – Gesundheit digital» am institut für Kommunikation & Führung iKF hat er zusätzlich die Programmleitung von «eHealth Aargau» übernommen. Sein nächstes Ziel: «Bis Ende 2015 sollen die stationären und die ambulanten leistungserbringer im Gesundheitswesen des Kantons Aargau eigene Handlungsstrategien im Bereich eHealth entwickelt haben und – vernetzt – umsetzen.»

Enrico Kopatz (45): von den Bündner Medien ins aargauische Gesundheitswesen

(Fortsetzung auf Seite 26)

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(Fortsetzung von Seite 25)Präventionsmassnahmen, Verant­wortliche für Gesundheitsmoni­toring und Manager von «home based care». Das Potenzial der Be­teiligung von Patienten an Innova­tion im Gesundheitsbereich, etwa durch das Zurverfügungstellen der eigenen Gesundheitsdaten und der gleichberechtigten Mitwirkung an medizinischer Forschung (crowd­sourced healthcare), wird zuneh­mend ersichtlich und geht weit über das persönliche Gesundheits­management im Sinne von Präven­tion hinaus.

Umfassende Transparenz als GrundlagePartizipation und Entscheidungs­kompetenz von Patienten setzt Qualitätstransparenz und Ver­gleichbarkeit von Gesundheits­dienstleistungen voraus. Von zu­nehmender Bedeutung sind deshalb Online­Ratingsysteme von Spitä­lern, Arztpraxen und Krankenkas­

sen. Diese erhöhen die Transparenz, begünstigen den Wettbewerb und involvieren die Konsumenten in die Qualitätssicherung. Transparenz ist aber nicht nur bei Dienstleistungen gefordert, sondern auch im Umgang mit persönlichen Daten und Infor­mationen. Patienten – so zeigen Stu­dien – haben keine grundsätzlichen Ängste in Bezug auf die Digitalisie­rung ihrer medizinischen Daten, sie sind durchaus bereit, diese mit an­deren Patienten oder Forschungs­institutionen zu teilen, sie fordern aber berechtigterweise die volle Kontrolle und Verwaltung der eige­nen Daten und wollen eigenstän­dig je nach Verwendung über den Datenzugang entscheiden. Patien­ten würden es mehrheitlich begrüs­sen, wenn sie ihre Befunde, Rönt­genbilder oder Blutdruckwerte etwa über ein elektronisches Gesund­heitsdossier im Internet einsehen, selber verwalten und zu einer neuen medizinischen Ansprechperson mit­nehmen könnten. Die soziale Bewe­

gung des Web 2.0 hat das Gesund­heitssystem erreicht. Die Tragweite dieser Umgestaltung lässt sich nur schwer prognostizieren. Die Forde­rungen der heutigen Patientinnen und Patienten nach mehr Kommu­nikation, Partizipation und Trans­parenz bergen auf alle Fälle ein gros­ses Potenzial für die Gestaltung und Weiterentwicklung unseres Gesund­

heitssystems und zeigen, dass neben Fragen der Prozess­ und Kosten­optimierung im Gesundheitswesen die Themen Kommunikation und Transformation nicht vernachläs­sigt werden dürfen.

Prof. Dr. Andréa Belliger ist Prorektorin an

der PHZ Luzern und Co-Leiterin am Institut

für Kommunikation & Führung IKF.

WeiTerbildUnG in diGiTaler GesUndheiTDas Institut für Kommunikation & Führung IKF in Luzern bietet den CAS «eHealth – Gesundheit digital» mit folgenden Schwerpunkten an:– Vernetzte Gesundheit – Entwicklungen, Märkte, innovative Business-

modelle– Empowered Patients, Shared Decision Making– Partizipative Medizin, Mobile Health, Gesundheit und Daten, Social

Media Healthcare– Health Horizon: Tools, Technologien und TrendsZielgruppe sind Fach- und Führungspersonen im Gesundheitswesen (öf-fentliche Verwaltung, Praxen, Spital- und Heimverwaltung, Krankenkas-sen, Versicherungen, Pharmabereich, Medizinaltechnik). Der CAS dauert zehn Tage, jeweils Februar bis Juli. Nächste Durchführung: Februar 2014.Weitere Informationen: www.ikf.ch

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