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ChristineLieberknecht schrieb über das Buch von Barbara Amling und Martin Engelhardt: „Ich habe das Buch mit großer Anteilnahme gelesen und mich natürlich, wie das wahrscheinlich jeder Leser tun wird, gefragt, wo auf dem Lebensweg der beiden Autoren die vielen Weichen lagen, wie sie gestellt waren und warum ein Mensch zu welchem Zeitpunkt diese oder jene Richtung einschlägt, wie er sich dabei fühlt und wie er mit den jeweils gegebenen Bedingungen zurecht kommt. Ich erwartete etwas Bitterböses und fand flüssig und ehrlich geschriebene Reminiszenzen auf die widersprüchlichen und häufig wenig amüsanten Ereignisse aus dem Alltagsleben in der DDR- Vergangenheit und auf die mühseligen Versuche, in der Aktualität des vereinten Deutschlands und speziell in der Heimatstadt der Autoren, Mühlhausen, Chancen zu finden oder zu ergreifen und einen auskömmlichen, befriedigenden und sinnvollen neuen Arbeitsplatz zu finden. Das Thema der Autoren des Buches, der Weg in die Arbeitslosigkeit, und damit der Weg des miterlebenden und wiedererkennenden Lesers ist ein schwieriger Erfahrungsprozess, der von der behüteten aber nicht problem-losen Kindheits- und Jugendidylle, der vermeintlichen Normalität,

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ChristineLieberknecht schrieb über das Buch von Barbara Amling und Martin Engelhardt:

„Ich habe das Buch mit großer Anteilnahme gelesen und mich natürlich, wie das wahrscheinlich jeder Leser tun wird, gefragt, wo auf dem Lebensweg der beiden Autoren die vielen Weichen lagen, wie sie gestellt waren und warum ein Mensch zu welchem Zeitpunkt diese oder jene Richtung einschlägt, wie er sich dabei fühlt und wie er mit den jeweils gegebenen Bedingungen zurecht kommt.Ich erwartete etwas Bitterböses und fand flüssig und ehrlich geschriebene Reminiszenzen auf die widersprüchlichen und häufig wenig amüsanten Ereignisse aus dem Alltagsleben in der DDR-Vergangenheit und auf die mühseligen Versuche, in der Aktualität des vereinten Deutschlands und speziell in der Heimatstadt der Autoren, Mühlhausen, Chancen zu finden oder zu ergreifen und einen auskömmlichen, befriedigenden und sinnvollen neuen Arbeitsplatz zu finden.Das Thema der Autoren des Buches, der Weg in die Arbeitslosigkeit, und damit der Weg des miterlebenden und wiedererkennenden Lesers ist ein schwieriger Erfahrungsprozess, der von der behüteten aber nicht problem-losen Kindheits- und Jugendidylle, der vermeintlichen Normalität, gelegent-lich auch in eine frustrierende Hoffnungslosigkeit geführt hat. Ich bin sehr angetan von den beiden Autoren und deren innerer, darstellerischer Kraft. Das Buch zeugt auch von literarischem Geschick, die vielen Geschichten zu erzählen und damit ein Mosaik des Lebens im schönen aber tristen Mühlhausen der Siebziger und Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zusammenzusetzen. Anerkennend möchte ich auch die neueren Fotos erwähnen, die einen Einblick in die altehrwürdige Stadt und ihre Umgebung gestatten. Vielleicht machen sie hier und da einen etwas trüben Eindruck, aber ich

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verstehe: Bilder auf der Sonnenseite wären hier nicht unbedingt passend gewesen.Sie (...) haben ein Buch verlegt, das einiges von der materiellen und psychischen Lage mancher Menschen in den östlichen Bundesländern preisgibt. Es ist, wie ich meine, das Ergebnis eines Denk- und Erfahrungs-prozesses, der aus Sicht der Autoren die Frage stellt, ob das gelebte Leben eigentlich umsonst war. Jeder hat da wohl seine eigene Antwort. Mir fällt dazu ein Bibelwort ein: „… und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen!“ Wenn man dabei noch anständig geblieben ist: Bravo!“ (18. September 2012)

Leseprobe: Die Titelgeschichte von Martin Engelhardt

Sie hat uns alles gegeben.Sonne und Wind und sie geizte nie.Wo sie war, war das Leben.Was wir sind, sind wir durch sie. … …

Die Partei, die Partei, die hat immer recht!Und, Genossen, es bleibe dabei;Denn wer kämpft für das Recht,der hat immer recht.

Louis Fürnberg (Aus dem „Lied der Partei“)

Ich hab mir für mein Land den Arsch aufgerissenDass ich den alten Horch P 3 noch mal wiedersehen würde, hatte ich nie für möglich gehalten. Das Leben ist doch fantasiereicher als wir. Unsere Begegnung im Grenzlandmuseum Bad Sooden-Allendorf, nach der Wende natürlich, weckte die Erinnerung an den 14. September 1982, gar nicht weit weg von hier: Ich führte als Unteroffizier eine Grenzschutz-einheit. Um 14.45 Uhr, am helllichten Tag also, hatte die Selbstschuss-Anlage 501 den grellen Alarm ausgelöst. Die Signaltafel bestätigte: Grenzalarm für die A-Gruppe in den Postenbereichen 25 - 30. War das nun wirklich ein echter Alarm oder eine Übung? Egal.Ich befahl meinen Leuten „Fertigmachen zum Einsatz!“ Das schnellst-mögliche Vervollständigen unserer Uniformen hatten wir -zigmal geübt. Wir trafen uns vor der Waffenkammer. Ich öffnete sie und verteilte die Maschinenpistolen.

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Wir rannten zu unseren Fahrzeugen und rasten los. Ein Gefreiter war schneller als ich am Steuer des P 3; ich setzte mich neben ihn, zwei Männer hinter uns. Ich zeigte in die Richtung Weferlingen. Ich wollte am Tor 23 den Abschnitt sichern. Die Straße war zu kurvig und wir fuhren zu schnell. Noch vor unserem Grenzabschnitt flog unser P3 in einer Linkskurve aus der Bahn. Der Wagen schlitterte schleudernd über eine Wiese. An einem Baum schlugen wir an und kamen zum Stehen. Unser Tankstutzen war auf-gerissen. Ich hörte und roch den ausgelaufenen Sprit und ich dachte daran, dass die Kameraden eben noch geraucht hatten. Die Kameraden hatten es offenbar leidlich überstanden. Ich befreite mich von den Planen und Stangen des Aufbaus und humpelte zur Straße. Noch spürte ich keinen Schmerz und ich hatte auch keine Zeit für meine Wunde. Ich sah aus unserem Fahrzeug herausgeschleuderte Munition und zwei zerdrückte Waffenmagazine. Ich rief: „Katastrophe, Männer! Die Mumpeln liegen auf der Straße herum!“ Ein Gefreiter machte sich energisch aus dem verbeulten P3 frei und rief: „Scheiße! Das gibt Ärger!“ Wir blockierten mit unserem Unfall die Fahrbahn. Der uns auch zu schnell folgende Trabant-Kübel war in den Straßengraben ausgewichen, noch relativ glücklich.Meine Kameraden hatten nur Schnitt- und Schürfwunden. Ich lehnte mich sitzend an einen Baum. Einer bot mir eine Zigarette an: „Du bist ja kreidebleich! Das ist bestimmt der Schock!“ Ein Traktor ratterte langsam vorbei. Die Feldarbeiter vermittelten uns Hilfe. Nach einer knappen halben Stunde hörten wir das Tatütata eines Krankenwagens. Eine ausgestiegene Notärztin fragte uns, wer die größten Schmerzen hätte. Ich humpelte mühsam zu ihr und sagte, dass ich nicht mehr auftreten könnte und dass sich mein linkes Bein taub anfühlte. „Drehen Sie sich mal um, Sie bluten ja stark aus dem Gesäß!“ Später erfuhr ich, dass sich ein Rundeisen aus dem P3-Aufbau in die Gesäßfalte zum Oberschenkel hin eingebohrt hatte. Aufgeschlitzt!Mähdrescherfahrer und Traktoristen brachten uns ins nächste Dorf. Ich meldete mich beim Bataillon und forderte medizinische Hilfe für uns an. Später, im Krankenhaus, übergab ich meine Pistole dem Stabschef. Kameraden aus dem Bataillon besuchten mich und brachten Fress-pakete. Der Militärstaatsanwalt leitete Ermittlungen ein, zwei Beauftragte der Staatssicherheit nervten mich mit Fragen. Immerhin waren unsere

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Waffen außerordentlich unbrauchbar geworden. Leichtfertiger Umgang mit Staatseigentum oder konnte man noch Schlimmeres argwöhnen? Nach zwei Wochen wurde ich zum Innendienst in die Kompanie ent-lassen. Wir kamen in unseren Gesprächen immer wieder auf den 14. September zurück. Der Kompaniechef zeigte mir Fotos unseres Unfall-ortes, auf denen unsere zerstörten Waffen und die Munition zu sehen waren, darunter auch meine „MPi – Kalaschnikow AK 47, verbogen und eindeutig unbrauchbar. Meine Wunde ist mit der Zeit vernarbt, aber bei jedem Wetterumschwung spüre ich nach mittlerweile dreißig Jahren Schmerzen in meinem linken Bein. Das fördert immer noch mein Grübeln über dieses Erlebnis.Ich habe mir im Dienst den Arsch aufgerissen! Für wen eigentlich und für was, verdammt noch mal?

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Es folgt ein Artikel des Anzeiger Mühlhausen:

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