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Visualisierungsstrategien im architektonischen Entwurfsprozess Udo Beyer (KIT - Universität Karlsruhe (TH) - Fakultät für Architektur) Mit der zunehmenden technischen Perfektionierung und leichteren Erzeugbarkeit von fotorealistischen Darstel- lungen ungebauter Architektur tritt die Frage nach den Inhalten wieder verstärkt in den Vordergrund. Ausschlagge- bend ist nicht mehr allein das schillernde Präsentationsbild, erst im treffenden Zusammenklang zwischen Darge- stelltem und Darstellung entfaltet sich die Überzeugungskraft der jeweiligen Visualisierung. Dabei sind digitale Renderings nur eine Methode unter einer Vielzahl etablierter Techniken: Modell, Zeichnung, Storyboard, Diagramm und Collage beispielsweise werden von Architekten schon immer ergänzend angewendet und kombiniert. Die detaillierte Erkundung verschiedenster Visualisierungstechniken und ihres spezifischen Ein- flusses auf das Ergebnis und die Vorgehensweise im Entwurfsprozess war Thema einer Serie von Lehrveranstal- tungen und Vorträgen an der Architekturfakultät der Universität Karlsruhe. Stichworte: Architektur, Visualisierung, Rendering, Modell, Zeichnung, Storyboard, Diagramm, Collage Motivation Die Grundausbildung für Architekten im Fach Darstellende Geometrie in Karlsruhe legt den Schwer- punkt auf die Schulung des räumlichen Vorstellungsvermögens und die Vermittlung der wichtigsten Konstruktionsverfahren in Axonometrie und Perspektive. Der Umgang mit speziellen Visualisierungs- techniken kann in Vorträgen und Lehrveranstaltungen im folgenden Hauptstudium behandelt werden. Auslöser für die aktuellen Fragestellungen war ein steigendes Unwohlsein beim Betrachten der alleror- ten überhandnehmenden Hochglanz-Renderings von ungebauten Architektur-Visionen die augenschein- lich dabei sind, sich zu vereinheitlichen. Die Frage, ob bestimmte Visualisierungstechniken zu unifor- meren Ergebnissen führen wurde ab Sommersemester 2008 dann auf mehreren Ebenen untersucht. Montagsreihe »The Eye of the Architect« Um einen Einstieg in die Materie zu bieten, wurde die regelmäßig stattfindende Vortragsreihe der Fa- kultät (»Montagsreihe«) vom Fachgebiet Darstellende Geometrie mitorganisiert und unter das Thema »Visualisierung« gestellt. Es konnten Vertreter international bekannter Architekturbüros gewonnen wer- den, die über den Einsatz verschiedener Visualisierungstechniken in ihrem Arbeitsalltag berichteten. Der Fokus lag dabei nicht auf der perfekten Präsentation ausgearbeiteter Entwurfsergebnisse sondern vielmehr auf der gezielten Untersuchung der beim Entwerfen eingesetzten spezifischen Darstellungsme- thoden und der daraus resultierenden Beeinflussung des Entwurfsprozesses. Sieben klar unterschiedene Strategien kristallisierten sich am Ende der Reihe heraus, die von den vorgestellten Büros teilweise deutlich bevorzugt aber auch in unterschiedlichsten Kombinationen während der Entwurfsphase ange- wendet wurden. Die Bandbreite reichte von Storyboard (HG Merz) und Zeichnung (Kollhoff) über Mo- dell (UNStudio) und MockUp (Herzog&deMeuron, raumlabor) bis zu parametrischen CAD-Modellen (Zaha Hadid, Oosterhuis_Lénárd), Collagen und Diagrammen (cero9). cero 9 Kollhoff UNStudio Zaha Hadid HG Merz ONL - Oosterhuis_Lénárd raumlabor 5. Tagung der DGfGG 2009 U. Beyer 15

Visualisierungsstrategien im architektonischen Entwurfsprozess · Diagramm - Piktogramm - Perspektive Fabian Müller Fotomontage Melinda Müller Interaktive Lichtinstallation Helioglob,

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Page 1: Visualisierungsstrategien im architektonischen Entwurfsprozess · Diagramm - Piktogramm - Perspektive Fabian Müller Fotomontage Melinda Müller Interaktive Lichtinstallation Helioglob,

Visualisierungsstrategien im architektonischen Entwurfsprozess

Udo Beyer (KIT - Universität Karlsruhe (TH) - Fakultät für Architektur)

Mit der zunehmenden technischen Perfektionierung und leichteren Erzeugbarkeit von foto realistischen Darstel-lungen ungebauter Architektur tritt die Frage nach den Inhalten wieder verstärkt in den Vordergrund. Ausschlagge-bend ist nicht mehr allein das schillernde Präsentationsbild, erst im treffenden Zusammenklang zwischen Darge-stelltem und Darstellung entfaltet sich die Überzeugungskraft der jeweiligen Visualisierung.Dabei sind digitale Renderings nur eine Methode unter einer Vielzahl etablierter Techniken: Modell, Zeichnung, Storyboard, Diagramm und Collage beispielsweise werden von Architekten schon immer ergänzend angewendet und kombiniert. Die detaillierte Erkundung verschiedenster Visualisierungstechniken und ihres spezifischen Ein-flusses auf das Ergebnis und die Vorgehensweise im Entwurfsprozess war Thema einer Serie von Lehrveranstal-tungen und Vorträgen an der Architekturfakultät der Universität Karlsruhe.Stichworte: Architektur, Visualisierung, Rendering, Modell, Zeichnung, Storyboard, Diagramm, Collage

Motivation

Die Grundausbildung für Architekten im Fach Darstellende Geometrie in Karlsruhe legt den Schwer-punkt auf die Schulung des räumlichen Vorstellungsvermögens und die Vermittlung der wichtigsten Konstruktionsverfahren in Axonometrie und Perspektive. Der Umgang mit speziellen Visualisierungs-techniken kann in Vorträgen und Lehrveranstaltungen im folgenden Hauptstudium behandelt werden. Auslöser für die aktuellen Fragestellungen war ein steigendes Unwohlsein beim Betrachten der alleror-ten überhandnehmenden Hochglanz-Renderings von ungebauten Architektur-Visionen die augenschein-lich dabei sind, sich zu vereinheitlichen. Die Frage, ob bestimmte Visualisierungstechniken zu unifor-meren Ergebnissen führen wurde ab Sommersemester 2008 dann auf mehreren Ebenen untersucht.

Montagsreihe »The Eye of the Architect«

Um einen Einstieg in die Materie zu bieten, wurde die regelmäßig stattfindende Vortragsreihe der Fa-kultät (»Montagsreihe«) vom Fachgebiet Darstellende Geometrie mitorganisiert und unter das Thema »Visualisierung« gestellt. Es konnten Vertreter international bekannter Architekturbüros gewonnen wer-den, die über den Einsatz verschiedener Visualisierungstechniken in ihrem Arbeitsalltag berichteten. Der Fokus lag dabei nicht auf der perfekten Präsentation ausgearbeiteter Entwurfsergebnisse sondern vielmehr auf der gezielten Untersuchung der beim Entwerfen eingesetzten spezifischen Darstellungsme-thoden und der daraus resultierenden Beeinflussung des Entwurfsprozesses. Sieben klar unterschiedene Strategien kristallisierten sich am Ende der Reihe heraus, die von den vorgestellten Büros teilweise deutlich bevorzugt aber auch in unterschiedlichsten Kombinationen während der Entwurfsphase ange-wendet wurden. Die Bandbreite reichte von Storyboard (HG Merz) und Zeichnung (Kollhoff) über Mo-dell (UNStudio) und MockUp (Herzog&deMeuron, raumlabor) bis zu parametrischen CAD-Modellen (Zaha Hadid, Oosterhuis_Lénárd), Collagen und Diagrammen (cero9).

cero 9

Kollhoff UNStudio

Zaha Hadid

HG Merz

ONL - Oosterhuis_Lénárd

raumlabor

5. Tagung der DGfGG 2009 U. Beyer

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Seminar »Visualisierung«

Parallel dazu wurde in einem Seminar im Rahmen des Wahlfaches »Ausgewählte Gebiete der Geometrie« das Thema Visualisierung in einem offeneren Kontext behandelt. Fachleute aus den Bereichen Fotogra-fie, Szenografie, Produkt-Design (Konzeptionelles Gestalten), Animation und Kunst erweiterten das Spektrum der Darstellungsmöglichkeiten um Techniken wie MindMap, Tarnanzug, Fotomontage und Geräuschbild. Für die jeweilige Aufgabenstellung ergaben sich bei allen Methoden spezifische Vorteile. In einer kleinen Abschlussarbeit konnten die Studierenden dann eine ausgewählte Visualisierungstech-nik exemplarisch anwenden. Die Ergebnisse waren überraschend vielseitig und kreativ.

Atmosphärische ModellfotosBrigitte Gellrich

Collage-FotomontageJochen Krämer

FotomontageSebastian Salopiata

Collage-Bild Pail Pavilion, »Das Fest«Erika Hoppe

Buchstaben-BildGökhan Çatıkkaş

Mind-MapSigrid Hauler

Diagramm - Piktogramm - PerspektiveFabian Müller

FotomontageMelinda Müller

Interaktive LichtinstallationHelioglob, »Das Fest« Stefan Lotze

Mindmaps / CollagenSvenja Hohenreuther

Fotoserien zu Remix08, »Das Fest«Julie Riedo

ReliefperspektiveChristoph Köstel

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Experimentelles Entwurfs-Seminar »Im Visier«

Das Themenfeld war damit weit geöffnet und konnte im anschließenden Wintersemester 2008/09 ver-tieft bearbeitet werden. Dazu veranstaltete das Fachgebiet Darstellende Geometrie in Kooperation mit dem Entwurfslehrstuhl Grundlagen der Architektur, Prof. Janson, unter der Leitung von Anja Soeder ein experimentelles Entwurfsseminar, das die einzelnen Visualisierungs strategien genauer untersuchen soll-te. Die sieben aus der Montagsreihe identifizierten Techniken (Zeichnung, Collage, Storyboard, Modell, MockUp, CAD und Diagramm) wurden von den TeilnehmerInnen in einer ersten Analysephase vertieft recherchiert um daran anschließend einen Entwurf ausschließlich unter Anwendung einer einzelnen Technik auszuarbeiten. Das gewählte Medium durfte während des gesamten Entwurfsprozesses nicht verlassen werden, um das Potenzial und die Grenzen in den unterschiedlichen Phasen der Ideenfindung auszuloten. Ziel war es, im Idealfall neue, bisher nicht bekannte oder beachtete Möglichkeiten der Tech-nik zu erschließen. Von den anfänglich 21 TeilnehmerInnen beendeten 10 Studierende das Seminar. Die anspruchsvolle Entwurfsaufgabe – es sollte ein persönlicher Raum (»MySpace«) gefunden und gestaltet werden – im Zusammenhang mit der notwendigen Erkundung und Einarbeitung in teilweise ungewohnte Techniken erforderte einen hohen Arbeitsaufwand. Diejenigen, die sich dieser Herausfor-derung stellten, wurden am Ende jedoch durch eine anregende Erweiterung ihrer Ausdrucksfähigkeiten und hochwertige Ergebnisse belohnt.

Dorothea Draghiciu Anita Bahmüller

Meike Wittenberg Poliksen Qorri

Storyboard

klärt den eigenen Standpunkt und ermöglicht die Annäherung an ein von der Benutzung her definiertes Objekt

Collage

transformiert räumliche Quali-täten und erzeugt neue Zusam-menhänge

MockUp (1:1 Modell)

konzentriert sich auf haptisch-sinnliche Erfahrungen und Interaktionen (fühlen, hören, Geräusche erzeugen)

Soizic Lelandais

5. Tagung der DGfGG 2009 U. Beyer

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Fazit

Deutlich wurde die Vielschichtigkeit und Komplexität des architektonischen Raumes, dessen zahlreiche Wahrnehmungsebenen sich nie mit einer einzigen Visualisierungstechnik erschöpfend erfassen lassen. Bewegungseffekte, Licht, Temperatur, Geräusche, Luftbewegung, bis hin zu persönlichen Stimmungs-lagen und Erinnerungen beeinflussen das Erleben des Raumes und der Situation tiefgreifend. Diese As-pekte erfassen und ausdrücken zu können um sie dann zu kommunizieren ist eine Grundlage der Tätig-keit als Architekt. Der gesamte Entwurfsprozess lebt von der Fähigkeit, sich die eigenen Vorstellungen treffend selbst vergegenwärtigen zu können, um sie so weiter zu entwickeln (»l‘idée vient en parlant«). Die Beherrschung einer großen Bandbreite an Techniken und Hilfsmitteln im Bereich der Visualisierung ist die Voraussetzung für eine qualitative Steigerung der Entwurfsarbeit.

Literatur

[1] Montagsreihe der Fakultät für Architektur SS 2008, »The Eye of the Architect«, URL: www.arch.uni-karlsruhe.de/dg/montagsreihe2008[2] Realisierte Projekte auf »Das Fest« Karlsruhe, 2008, URL: www.liquid-campus.de[3] Reader zu den Seminarergebnissen »Im Visier«: in Vorbereitung, URL: www.arch.uni-karlsruhe.de/dg/aktuell

Dipl.-Ing. Udo Beyer, Fachgebiet Darstellende Geometrie, Fakultät f. Architektur, Universität KarlsruheEnglerstr. 7, 76131 Karlsruhe, Email: [email protected] URL: www.arch.uni-karlsruhe.de/dg

Andrada Mararoiu

Steve Belli

Sigrid Hauler

Diagramm

analysiert Verhaltensmuster und kombiniert öffentlichen Raum mit persönlicher Rezeption

Zeichnung

lässt innere Phantasie-Bilder wahrnehmbar werden

CAD

erzeugt durch regelbasier-tes, para metrisches Vorgehen ein prozesshaft veränder bares Ergebnis

5. Tagung der DGfGG 2009 U. Beyer

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