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Hanns-Christof Spatz ViSUelleS Lernen bei D ro s op h ila Eines der Ziele der Biologic ist das Verstand- nis jener Vorgange in der Nervenzelle, in neuronalrn Netzwerken, irn Gehirn, die so entscheidende Prozesse wie Informationsver- drbeitung und Informationsspeicherung so- wie assoziatives Lernen errnoglichen. Die be- vorzugten Objekte der Erforschung des Lernverhaltens von Tieren sind Hunde und Ratten, und bei den Invertebraten die Bie- nen. So faszinierend die Studien im einzelnen sind, das Phanornen der spezifischen Infor- mationsspeicherung ist einer Erklarung auf zellularer oder molekularer Ebene bisher nicht zuganglich geworden. Besunders durch S. Benzer wurde die Mog- Iichkeit aufgezeigt, mit Hilfe genetischer Me- thoden komplexe Verhaltensweisen zu analy- sieren. So konzentriert sich das Interesse von Forschungsgruppen in den USA, Israel, Frankreich, England und Deutschland auf die Moglichkeit, die Taufliege Drosophila melanogarter auf olfaktorische [7] oder visu- elle Reize [6] zu konditionieren. Der neuro- anatomische und biochemische Vergleich von Mutanten des Lernverhaltens [2] mit dem normalen Wildtyp sol1 d a m dienen, die Prozesse irn Nervensystem kennenzulernen, die die spezifische Informationsspeicherung errnoglichen. 1. Visuelles Lernverhalten Urosophtla hat wie alle Diptrren tin Facet- tenauge von hochst regelmafiigern Aufbau und, bedingt dadurch, ein sehr regelmafliges und ubersichtliches visuelles System, beste- hend aus der Retina und den optischen Ganglien, der Lamina, der Medulla, der Lo- bula und der Lobulaplatte (Urnschlagbild und Abbildung 7). Vor allem der Miinchner Schule von Autrum und der Tiibinger Schule verdanken wir detaillierte Kenntnisse der Gehirnanatomie, der Elektrophysiologie so- wie mehrerer visuell gesteuerter Verhaltens- reaktionen. Wenngleich die Kornplexitat noch irnmer iiberwaltigend scheint, bietet doch das visuelle System von Drosophilu gute Voraussetzungen fur die Analyse von Funk- tionen eines Nerverisysrerns, nichr zulrrzr auch deshalb, weil Lichtreize in physikalisch genau definierter Weise geboten werden kon- nen. Die Arbeiren in unserein l.abu1- bzachaftigen sich deshalb vor allem rnit der Konditionier- barkeit von Drosophila auf visuelle Reize [ 1, 61. Abbildung 1 ist eine schematische Dar- stellung einer mikroprozessorgesteuerten, vollautomatischen ,,Lernapparatur", in der Populationen von Drosophila auf verschiede- ne Lichtreize trainiert werden, und in der irn darauf folgenden Test die relative Haufigkeir der Wahl zwischen zwei Lichtreizen photo- graphisch registriert wird. Die Abbildung 2 zeigt schematisch den typischen Ablauf einer Trainings- und Testprozedur. Sie besteht aus einem Vortest, dcrn Training und einem Test. Der Vortest ist in seiner Durchfiihrung identisch mit den] spateren Test und dient hier nur zur Gewohnung der Fliegen an das Gefai3 und an die spateren Testbedingungen. Das Training besteht aus rnehreren Trai- ningsphasen von je 60 sec Dauer. In unse- rein Beispiel wird der Behalter mit einer Po- pulation von ca. 100 Fliegen zunachst fur- 30 see homogen violett (406 nrn) beleuchtet. Gleichzeitig werden die Fliegen in kurzen Abstanden einern heftigen Schutteln ausge- setzt. Dies wirkt als ,,Strafreiz". Danach wird das Gefafi fur 30 see homogen rnit ei- nem anderen Licht (hier grun, 507 nm) be- leuchtet, wobei der Behalter mit den Fliegen in Ruhe ist. Diese Trainingsphase, Violett rnit Schutteln, Griin ohne Schiitteln, wird mehrfach wiederholt. Anschliefiend wird im Test die linke Halfte des Behalters griin, die rechte Halfte violett beleuchtet. Die Fliegen haben also die Wahl zwischen den beiden Lichtreizen. Darnit sie auch wirklich ,,zur Wahl gehen", bedienen wir uns eines Tricks. Der Behalter wird in seiner Halterung kurz- zeitig um 45" gekippt, geschuttelt und sofort wieder in die Horizontale gebracht. Hier- durch werden die Fliegen dazu gebracht, sich erneut aktiv im Lichtfeld zu verteilen. Nach zwei Minuten wird die Verteilung photogra- phisch registriert (Abbildung 3). Der Vertei- 65

Visuelles Lernen bei Drosophila

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Hanns-Christof Spatz ViSUelleS Lernen bei D ro s op h ila

Eines der Ziele der Biologic ist das Verstand- nis jener Vorgange in der Nervenzelle, in neuronalrn Netzwerken, irn Gehirn, die so entscheidende Prozesse wie Informationsver- drbeitung und Informationsspeicherung so- wie assoziatives Lernen errnoglichen. Die be- vorzugten Objekte der Erforschung des Lernverhaltens von Tieren sind Hunde und Ratten, und bei den Invertebraten die Bie- nen. So faszinierend die Studien im einzelnen sind, das Phanornen der spezifischen Infor- mationsspeicherung ist einer Erklarung auf zellularer oder molekularer Ebene bisher nicht zuganglich geworden.

Besunders durch S. Benzer wurde die Mog- Iichkeit aufgezeigt, mit Hilfe genetischer Me- thoden komplexe Verhaltensweisen zu analy- sieren. So konzentriert sich das Interesse von Forschungsgruppen in den USA, Israel, Frankreich, England und Deutschland auf die Moglichkeit, die Taufliege Drosophila melanogarter auf olfaktorische [7] oder visu- elle Reize [6] zu konditionieren. Der neuro- anatomische und biochemische Vergleich von Mutanten des Lernverhaltens [ 2 ] mit dem normalen Wildtyp sol1 d a m dienen, die Prozesse irn Nervensystem kennenzulernen, die die spezifische Informationsspeicherung errnoglichen.

1. Visuelles Lernverhalten

Urosophtla hat wie alle Diptrren tin Facet- tenauge von hochst regelmafiigern Aufbau und, bedingt dadurch, ein sehr regelmafliges und ubersichtliches visuelles System, beste- hend aus der Retina und den optischen Ganglien, der Lamina, der Medulla, der Lo- bula und der Lobulaplatte (Urnschlagbild und Abbildung 7). Vor allem der Miinchner Schule von Autrum und der Tiibinger Schule verdanken wir detaillierte Kenntnisse der Gehirnanatomie, der Elektrophysiologie so- wie mehrerer visuell gesteuerter Verhaltens- reaktionen. Wenngleich die Kornplexitat noch irnmer iiberwaltigend scheint, bietet doch das visuelle System von Drosophilu gute Voraussetzungen fur die Analyse von Funk-

tionen eines Nerverisysrerns, nichr zulrrzr auch deshalb, weil Lichtreize in physikalisch genau definierter Weise geboten werden kon- nen.

Die Arbeiren in unserein l.abu1- bzachaftigen sich deshalb vor allem rnit der Konditionier- barkeit von Drosophila auf visuelle Reize [ 1 , 61. Abbildung 1 ist eine schematische Dar- stellung einer mikroprozessorgesteuerten, vollautomatischen ,,Lernapparatur", in der Populationen von Drosophila auf verschiede- ne Lichtreize trainiert werden, und in der irn darauf folgenden Test die relative Haufigkeir der Wahl zwischen zwei Lichtreizen photo- graphisch registriert wird. Die Abbildung 2 zeigt schematisch den typischen Ablauf einer Trainings- und Testprozedur. Sie besteht aus einem Vortest, dcrn Training und einem Test. Der Vortest ist in seiner Durchfiihrung identisch mit den] spateren Test und dient hier nur zur Gewohnung der Fliegen an das Gefai3 und an die spateren Testbedingungen. Das Training besteht aus rnehreren Trai- ningsphasen von je 60 sec Dauer. In unse- rein Beispiel wird der Behalter mit einer Po- pulation von ca. 100 Fliegen zunachst fur- 30 see homogen violett (406 nrn) beleuchtet. Gleichzeitig werden die Fliegen in kurzen Abstanden einern heftigen Schutteln ausge- setzt. Dies wirkt als ,,Strafreiz". Danach wird das Gefafi fur 30 see homogen rnit ei- nem anderen Licht (hier grun, 507 nm) be- leuchtet, wobei der Behalter mit den Fliegen in Ruhe ist. Diese Trainingsphase, Violett rnit Schutteln, Griin ohne Schiitteln, wird mehrfach wiederholt. Anschliefiend wird im Test die linke Halfte des Behalters griin, die rechte Halfte violett beleuchtet. Die Fliegen haben also die Wahl zwischen den beiden Lichtreizen. Darnit sie auch wirklich ,,zur Wahl gehen", bedienen wir uns eines Tricks. Der Behalter wird in seiner Halterung kurz- zeitig um 45" gekippt, geschuttelt und sofort wieder in die Horizontale gebracht. Hier- durch werden die Fliegen dazu gebracht, sich erneut aktiv im Lichtfeld zu verteilen. Nach zwei Minuten wird die Verteilung photogra- phisch registriert (Abbildung 3). Der Vertei-

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lungsindex kann durch Auszahlen der Hie- genabbilder links und rechts des schwarzen Mittelringes ermittelt werden.

Eine zweite, n e w Population von cd. 100 Fliegen wird der glrichen Prozedur unterzo- gen, mit dem einzigen Unterschied, daB der Strafreiz Schutteln diesmal mit dem grunen Licht gekoppelt ist. Die zwei Experimente

dienzn so als wechselseitige Kontrulle: In be- zug auf Lichtreize und Schuttelreize sind sie vollig symmetrisch, nicht dagegen bezuglich der Kopplung dieser Reize. Als Lernindex wird dann die Differenz der Verteilungsindi- zes der beiden Populationen definiert (Abbil- dung 3). Sinngemai3 ist dies der Anteil der ,,richtigen" Wahlen minus dem Anteil der ,,fakchen" Wahlen in den beiden Experimen-

ten. Der Lcrnindex A = 0 bedeutet kein 1 . m nen, Lernindex A = 1 wurde perfekte Kon- ditionierung bedeuten.

Die gelaufige Definition cines Lzrnerfolges beinhaltet den Vergleich des Verhaltens vor und nach einer oder mehrerer Trainingspba- sen. Bei dieseni Vergleich mu13 allerdings be- rucksichtigt werden, da13 eine Anderung de5 Verhaltens ~ wie die Verteilung in einem Lichtfeld - auch auf das Schiitteln allein oder auf Adaptation der Fliegen an die Lichtbe- dingungen des Trainings zuruckgefuhrt wer- den konnte. Ohne die sogenannte Pseudo- kondi~ionierungs-Kontrolle waren solche Lerndaten also nicht interpretierbar. Bei der von uns gewahlten Definition des L.erner- folgs gewahrleistet die Symmetrie des Expe- riments, dai3 Effekte erster Ordnung, also solche durch Schutteln allein oder durch Licht allein, sich in der Differenzbildung herausheben, da sit. fur beide Populationen gleich wirksani sind. Nur die Effekte, die auf einer Assoziation von Lichtreiz und Strafreiz beruhen, sind fur die beiden Populationen verschieden. A ist also ein direktes Mag fur den Grad des assoziativen Lernens.

Abbildung 4 zeigt den lxrnindex alb Funk- tion der Anzahl der Trainingsphasen. Von al- len bisher getesteten Stammen zeigt AS, ein bei Achkarren im Kaiserstuhl gefangener Wildstamm, die beste Konditionierbarkeit auf visuelle Keize. Schon bei drei Trainings- phasen, also insgesamt einem Training von 3 min Dauer, ist ein Lernindex A > 0 nach- weisbar. Bei zwolf Trainingsphasen erreicht der Lernindex einen Wert von A = 0,28, der sich nur noch wenig steigern lafit. Bei Lernen von olfaktorischen Reizen wird ein Maximal- wert von A = 0,35 (bei Wildstamm C-S) er- reicht [7 ] . Diese Zahlen sollten nicht als die obere Grenze der Lernfahigkeit von Droso- phila angesehen werden, da die Fliegen unter naturfernen Bedingungen trainiert und gete- stet werden.

Eine der inliner wieder g ~ d i t e ~ l pragen 151

die nach dem Gediichtnzs. Abbildung 5 zcigt ein Experiment, bei dem zwischen Training und Test verschieden lange Zeitintervalle ein- gelegt wurden. Erstaunlich ist die Stabilitat der Informationsspeicherung. Selbst nach 14 Stunden haben die Fliegen das Gelernte noch nicht vergessen. Dies wirft die Frage auf, ob das einmal Gelernte fur lange Zeit unveran- derbar erhalten bleibt, oder ob das Ge- lernte iiberschrieben werden kann, wenn gegenteilige Erfahrungen gemacht werden.

Biologic IN uiiwrer Lei1 ,' I0 J&rg lV80 1 N r 3 67

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Die Abbildung 6 x i g t das Kesultar von Experimenten, in denen Fliegenpopulationen drei unmittelbar aufeinander folgenden Trai- nings- und Testprozeduren unterworfen wurden. Allr moglichen Kombinationen von gleichsinnigern oder gegensinnigem Training wurden durchgefiihrt. Die mit ABA bezeich- nete durchgezogene Linie verbindet die Punkte fur ein mehrfaches Umlernexperi- ment. Die Abbildung zeigt, dafi die im Test abfragbarr Information durch Training in die umgekehrte Richtung iiberschrieben oder gar ausgeloscht und neu aufgebaut werden kann.

2. HelligkritsunterscheidunlS

J rdr der 700 Oniniaridien des Facettrnauges von Drosophila besitzt 6 niorphologisch und funktionell sehr ahnliche Kezeptorzellen R1- R6 sowie eine Rezeptorzelle R7 und eine, vom Lichteinfall her gesehen dahinterlie- gende Rezeptorzelle R8 [ S ] . Die Axone von sechs Kezeptorzellen R L R 6 mit gleichen op- tischen Achsen werden in der Lamina gan- glionaris in einer sogenannten Saule zusam- mengefafit. Die Axone der Zellen R7 und R8 dagegen gehen ohne Kontakt in der Lamina direkt zur Medulla (Abbildung 7). Kirschfeld

[S] hat die Vurstellung vun zwei visuellen Subsystemen gepragt: einem besonders licht- empfindlichen System (,,Nachtsehsystem"), dessen Eingang die Rezeptorzellen R L R 6 bilden, und einem zweiten System (,,Tagseh- system") mit R7 und R8 als Eingang. Auf ho- here Lichtempfindlichkeit des ersten Systems deuten die grofiere Lange und der gro8ere Querschnitt der Rhubdomere (der lichtab- sorbierenden Strukturen) der Zellen R1 -R6 im Vergleich zu R7 und R8, sowie die Tatsa- che, da8 jeweils 6 Zellen auf ein neurales Element in der Lamina zusammengefa8t sind.

Die i r n vorigen Abschnitt dargestellte Me- thode bietet die Moglichkeit, die Bedingun- gen in Training und Test in physikalisch ge- nau definierter Weise zu variieren. Das Lern- verhalten kann deshalb benutzt werden, um die Leistungen des visuellen Systems der Fliege zu untersuchen [I] . Insbesondere kann ~ wie die grofiartigen Experimente von v. Frisch an Bienen gezeigt haben - iiber Lern- experimente auf Wahrnehmungsqualitaten geschlossen werden.

Abbildung 8 Leigt die Ergebnis\e einrs Ver suchs zur Helligkeitsunterscheidung des

Wildtyps von Drosopbzld. Uie Fliegen wzr- den auf eine hellere und eine im Verhaltnis 1 : 100 dunklere Beleuchtung gleicher Wel- lenlange trainiert. Der anschlieflende Test fragt, ob die Fliegen zwischen dem heller und dem dunkler beleuchteten Teil des Gefa- fies unterscheiden. Verringert man unter Bei- behaltung des Verhaltnisses der Helligkeiten von 1 : 100 die Intensitat der beiden Lichter gleichermafien in Training und Test, so nimmt der Lernindex ab. Die Schwelle der Helligkeitsunterscheidung (A = 0) des Wild- typs liegt bei der a d e r s t geringen Lichtin- tensitat von rund Watt/m2.:' Dies ent- spricht der aus einer ganzen Reihe von ande- ren Experimenten bestimmten Sehschwelle der Fliege. Ein anderes Experiment (Abbil- dung 9) mifit das Auflosungsvermogen fur Helligkeitsunterschiede. Anders als bei dem Experiment zu Abbildung 8 wird die hochste Lichtstarke festgehalten und das Verhaltnis variiert, indem nur die Lichtstarke der dunkleren Beleuchtung geandert wird. Die Experimente zeigen, da8 Helligkeitsunter-

;?ZumVergleich: Das Licht des Vollmonds erreicht in einer klaren Nacht eine Intensitat von etwa 2x10-3 Watt/m2.

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schiede bis zu einem Intensitatsverhaltnis 1 : 3 noch wahrgenommen werden.

Die Untersuchung von Mutanten des Sehsy- stems gcstattet, das Koiizept der zwei visuel- len Subsysteme bei Drosophila auch funktio- nell zu ubcrprufen. Nutzlich hierfur war vor allem die Mutante rdgB, bei der in intensi- vem Licht die Rezeptorzellen R L R 6 funk- tionell degenericren. Abbildung 8 zeigt ne- ben der des Wildtyps die Helligkeitsunter- scheidung der Mutante rdgB. Im Gegensatz

zum Wildtyp zeigt die Mutante nur bei den hochsten hier verwendeten Lichtstarken, da13 sie den Helligkeitsunterschied wahrnimmt. Die Schwelle ist durch den Ausfall der Re- zeptorzellen Rl-R6 um etwa 3 Groflenord- nungen zu hoheren Lichtstarken verschoben, die Mutante ist gewissermaflen nachtblind.

Dieses Ergebnis, das die Vorstellung von zwei funktionell verschiedenen visuellen Subsystemen bestatigt, 1a13t sich nicht nur durch genetische, sondern auch durch phy-

siologische Manipulation erhaltcn. In der weiflaugigen Mutante w , aber niit einigen Kunstgriffen auch im rotaugigen Wildtyp, ist es moglich, durch intensives Blaulicht selek- tiv die Rezeptorzellen R1 -R6 zu inaktivieren. Auch hier zeigt sich, dafl die Inaktivicrung der Rezeptorzellen Rl-R6 zu einer Schwel- lenverschiebung von etwa 3 Groflen- ordnungen fuhrt.

Bci Lichtintensitaten oberhalb dieser Schwel- le ist das Auflosungsvermogen fur Hellig- keitsunterschiede bei der Mutante rdgB (Ab- bildung 9 ) nahezu so gut wie das des Wild- typs. Die Rezeptorzellen R7 und R8 allein konnen also bei hohen Lichtstarken diese Leistung vermitteln. Die Retina von Droso- philu laflt sich sogar um noch einen weiteren Rezeptortyp vereinfachen. Die Mutation sev bedingt das Fehlen aller Rezeptorzellen R7. Die Doppelmutante rdgB;sev hat (nach De- generation von R1 -R6) nur noch funktionelle Rezeptorzellen R8 (Abbildung 7). Auch die- se Mutante kann auf Helligkeitsunterscliiede konditioniert werden, allerdings nur bei Lichtstarken, die uni mehr als funf Zehner- potenzen oberhalb der Schwelle fur den Wildtyp liegen.

3. Farbensehen

Aus Messungen der elektrischen Signale im Auge von Drosophila als Antwort auf Licht- blitze verschiedener Wellenlange und Inten- sitat (Elektroretinogramrne) konncn die spektralen Empfindlichkeitscharakteristika der Rezeptorzellen erschlossen werden. Die Rezeptorzellen Rl-R6 haben zwei Empfind- lichkeitsmaxima, cines im Ultravioletten bei

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360 nrn uiid das andere in] Sichtbaren Bereich bei 480 nm. Die Antwort der Rezeptorzellen K7 und K8 wird im Wildtyp durch das viel grogere Signal der Rezeptorzellen R1 -R6 maskiert. Um die spektralen Empfindlich- keitscharakteristika von R7 und R8 zu ermit- teln, benutzt man die Mutanten, bei denen die Zellen RILR6 degenerieren (rdgB) oder die Rhabdomere nur rudimentar ausgebildet werden (oru), die Mutante sew, bei der alle Zellen K7 fehlen, sowie die Doppelmutante rdgB;sew, die nur noch funktionelle Rezep- torzellen K8 besitzt. Die Elektroretino- gramme dieser Mutanten zeigen, dai3 die Rezeptorzellen K7 ihre hochste Empfind- lichkeit im Ultravioletten besitzen, die Re- zeptorzellen R8 dagegen ihr Empfindlich- keitsmaximum bei 500 nm, also im Blaugrii- nen [3].

Dab visuelle System VUII L)ro,ophh besitzt also Kezeptoren mit unterschiedlicher spek- traler Empfindlichkeit, eine der Vorausset- zungen fur ein Farbensehen. Tatsachlich beobachtet man in bestimmten Phototuxis- Experimenten, da13 die Fliegen qualitativ verschieden auf ultraviolettes und sichtbares Licht reagieren [7]. Ein Farbensehen im Sin- n e einer Furbwuhmehrnung lai3t sich aller- dings nur uber erfolgreiche Konditionierung auf Licht verschiedener Wellenlange nach- weisen [6]. Die Schwierigkeit des Nachwei- ses liegt darin, zu zeigen, da13 es wirklich die spektrale Zusammensetzung und nicht die verschiedene (fliegensubjektive) Helligkeit der Lichter ist, auf die trainiert wurde. Zu diesem Zweck haben wir die Intensitaten von blauem und gelbein'" Licht im Training um viele G r o h o r d n u n g e n variiert, im Test je- doch stets die gleichen mittleren Intensitaten blauen und gelben Lichtes geboten. Im Trai- ning war also einmal das blaue Licht sehr viel schwacher als das gelbe Licht, am anderen Ende der Skala war das blaue Licht viel inten- siver als das gelbe. Dennoch reagierten die Fliegen im Test bevorzugt auf die Wellenlan- ge des Lichtes und nicht so sehr auf die relati- ve Helligkeit, was sich in unserem Experi- ment in einem stets positiven Lernindex uber den gesamten Bereich der Lichtintensitaten zeigte (Abbildung 10). Ware nicht die Wel- lenlange, sondern nur der Helligkeitsunter-

"Blau und Gelb wird hier nicht in1 Sinne von Wahrnehmungsqualitaten gebraucht, son- dern nur der sprachlichen Einfachheit halber zur Charakterisierung von L c h t der Wellen- langen 470 und 580 nm.

schied bewertet worden, hatte man einen Obergang von positiven zu negativen L.ernin- dices finden mussen.

Drosophilu hut ~ l s o Jtr Fuhigkett Je, Far- bensehens. Die Fragen, die wir bemtwurten mochten, sind: Wie sind die Kezeptorzellen und nachfolgenden Nervenzellen verschaltet, um eine farbspezifische Auswertung der vi- suellen Information zu gewahrleisten? Sind Ale Rezeptortypen und damit beide visuellen Subsysteme am Farbensehen beteiligt oder geniigt allein das von R7 und R8 gespeiste ,,Tagsehsystem", um die Farbauswertung zu gewahrleisten ?

Wir konnen bisher nur die zweitr Fragc be- antworten, und auch das nur mit Vorsicht: Die Mutante YdgB bewertet ~ anders als der Wildtyp - bei einem Test rriit Spektrallicht von 377 und 530 nm nur den relativen Hellig- keitsunterschied, innerhalb der Meflgenauig- keit ist keine Unterscheidung der Lichter nach ihrer spektralen Zusammensetzung fest- stellbar [I] . Wir interpretieren diesen Befund dahingehend, dai3 der Ausfall der Rezeptor- zellen RI -R6 eine zuniindest partielle Farb- blindheit bei Drosophzla zur Polge hat. Wir glauben, dafl fur die farbspezifische Informa- tionsauswertung eine Wechselwirkung zwi- schen den visuellen Subsystemen, wie

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ale aUfgrUIld V U I l ~ ' h ~ L ~ t d X l ~ ~ X p ~ l l l l l ~ l l t ~ l l

pobtuliert wird, notwendige Voraussetzung 1st.

4. Exkurs zum olfaktorischen Lernen und Ausblick

Der Vergleich v o n Wildtyp und Mutante init defekten Rezeptorzellen erweist sich als wertvolles Hilfsmittel zur Analyse des Hel- ligkeits- und Farbensehens bei Drosophila. Der weitere Weg ist vorgezeichnet. Die Su- che nach neuroanatomisch wohldefinierten Mutanten des Sehsystems sollte fortgesetzt werden, vor allem auch solcher Mutanten, die Defekte in den nachgeschalteten, opti- schen Ganglien haben [4]. Sicher sind gerade beim Farbensehen noch viele Fragen am Wildtyp zu klaren. An Drosophila zu arbei- ren bedingt jedoch geradezu, die Moglichkei- ten der Genetik und insbesondere der Mu- tantenanalyse zu nutzen.

Dies gilt in besondereni Malie fur die neuro biologische Analyse des Lernverhaltens. Die im ersten Abschnitt dargestellten Experimen- te sollen dazu dienen, Mutanten des visuellen Lernverhaltens zu selektieren. Diese Aufgabe wird wohl noch Jahre in Anspruch nehmen, nicht so sehr weil es schwierig ist, ,,Nichtler- ner" zu finden, als diejenigen herauszufin- den, die wirklich in der Informationsspeiche- rung defekt sind.

Fur das Lernen olfakrorischer Keizr existie- ren mehrere Mutanten dunce [2). Sie sind zwar ebenso geruchsempfindlich wie der Wildtyp, konnen aber nicht auf olfaktorische Keize konditioniert werden. Diese Mutanten haben einen Defekt in einer CAMP-Phospho- diesterase'". Am California Institute of Tech- nology, in der Gruppe von S. Benzer, wird intensiv daran gearbeitet, festzustellen, oh ein ursachlicher Zusammenhang zwischen diesem biochemischen Defekt und dem Man- gel an Lernfahigkeit im olfaktorischen Test besteht. Zu unserer Oberraschung und zu- nachsr auch Enttauschung fanden wird, dati dunce keine generelle Lernmutation ist: In Zusanimenarbeit mit Y. Dudai haben wir zwei der dunce-Mutanten getestet. Bei Kon- ditionierung auf visuelle Reize waren sie kei- neswegs ,,dunce" (= Dummkopfe), der Lern-

"Enzyni, das zyklisches Adrnosinniono- phosphat (= CAMP) in den Zellen abbaut und den1 daher wichtige regulatorische Funktionen zukomnien.

index war ebensv g r d WIT der des Lugcho rigen Wildtyps CS.

Der Lerntest verlangt zweierlei, erbtens I n - formationsspeicherung wahrend des Trai- nings, zweitens Iriformations.wiedergabe wahrend des Tests. Das Verfahren, Kondi- tionierung auf olfaktorische Reize z u testen, ist in mancherlei Hinsicht verschieden von unserem Verfahren. Moglicherweise wirkt sich die Mutation dunce unter den speziellen Bedingungen des olfaktorischen Tests auf die fur die Informationswiedergabe notwendigen Verhaltensweisen aus. Wie W. G . Quinn ge- zeigt hat, gilt dies sicherlich fur die von ihm isolierte Gedachtnisinutante amnesiuc [8]. Im olfaktorischen Lerntest zeigt die Mutante un- mittelbar nach dem Training einen hohen po- sitiven Lernindex, aber schon 45 min nach dern Training ist der Lernindex auf nahe Null abgefallen. In einem kombinierten Gedacht- nis-Umlernexperiment (Training, 45 min Pause, gegensinniges Training, Test) zeigt amnesiac jedoch einen Lernindex Null: Ob- wohl sie im normalen Test nicht abgerufen werden kann, ist die Information des ersten Trainings also noch vorhanden und interfe- riert mit der Information des zweiten Trai- nings.

Die Mutanrrn zeigen uns, in welche un- abhangigen Schritte das Lernverhalten auf- zugliedern ist. Erst eine derart detaillierte Analyse kann die verschiedenen Komponen- ten dieses Verhaltens mit Prozessen im Ner- vensystem in Verbindung bringen.

Literatur

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Hannb-Christof Spatz, geboren 1936, Stu- dium 1957-1965 (Gottingen, FU Berlin); Di- plom- und Doktorarbeit am Max-Planck-In- stitut fur physikal. Chemie unter Leitung von Prof. Dr . Manfred Eigen. Nach der Pro- motion mehrere Jahre in den U.S.A. (Stan- ford, Yale Univ.). 1968-1971 Assistent, spa- rer Mitarbeiter am Max-Planck-Institut fur Molekulare Genetik, Berlin, Abt. Trautner. Seit 1972 Professor am Institut fur Biologie 111 der Universitat Freiburg, Lehrstuhl fur Biophysik. Hauptarbeitsgebier zur Zeit Ver- haltensgenetik bei Drosophila melanogaster. Kollegen und Freunden, die dem Autor bei der Abfassung des Manuskriptes geholfen haben, sei an dieser Stelle Dank gesdgt, ganz besonders Dr . M. Dzionara und Dr. D. Ha- se.

A n s h r i f t . Prof. Dr. f i -C hpdu, I r i s t i i u ~ tur Biulogie 111, Biophysik, Schan~lestratie 1, D-7800 Freiburg i.Br.

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