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1 VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS 1. Die chemischen Elemente 1.1. Entstehung 1.2. Vorkommen und Verbreitung 1.3. Nomenklatur chemischer Elemente 1.4. Der Element- bzw. Atombegriff 2. Das Atom 2.1. Elementarteilchen 2.2. Der Atomkern 2.2.1. Massendefekt 2.2.2. Kernreaktionen 2.3. Die Elektronenhülle 2.3.1. Das Bohrsche Atommodell 2.3.2. Quantenmechanische Beschreibung des Atoms 2.4. Quantenzahlen und Atomorbitale 2.5. Aufbau von Mehrelektronen-Atomen 3. Das Periodensystem der Elemente (PSE) 3.1. Aufbau 3.2. Trends im PSE 4. Die chemische Bindung 4.1. Bindungsarten 4.2. Chemische Bindung in Molekülen 4.2.1. Elektronegativität 4.2.2. Lewis Modell und VSEPR 4.2.3. VB-Modell

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VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

1. Die chemischen Elemente 1.1. Entstehung

1.2. Vorkommen und Verbreitung

1.3. Nomenklatur chemischer Elemente

1.4. Der Element- bzw. Atombegriff

2. Das Atom 2.1. Elementarteilchen

2.2. Der Atomkern

2.2.1. Massendefekt

2.2.2. Kernreaktionen

2.3. Die Elektronenhülle

2.3.1. Das Bohrsche Atommodell

2.3.2. Quantenmechanische Beschreibung des Atoms

2.4. Quantenzahlen und Atomorbitale

2.5. Aufbau von Mehrelektronen-Atomen

3. Das Periodensystem der Elemente (PSE) 3.1. Aufbau

3.2. Trends im PSE

4. Die chemische Bindung 4.1. Bindungsarten

4.2. Chemische Bindung in Molekülen

4.2.1. Elektronegativität

4.2.2. Lewis Modell und VSEPR

4.2.3. VB-Modell

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2

4.2.4. MO-Modell

4.3. Chemische Bindung in Festkörpern

4.3.1. Die metallische Bindung

4.3.2. Die ionische Bindung

5. Die chemische Reaktion 5.1. allgemeine Reaktionsbegriffe

5.2. Die Gibbs-Helmholtz Gleichung

5.3. Das Chemische Gleichgewicht

5.4. Säure-Base Reaktionen

5.5. Redox-Reaktionen

6. Die Chemie der Elemente 6.1. 1. Hauptgruppe

6.1.1 Wasserstoff

6.1.2. Alkalimetalle

6.2. 2. Hauptgruppe

6.3. 3. Hauptgruppe

6.4. 4. Hauptgruppe

6.5. 5. Hauptgruppe

6.6. 6. Hauptgruppe

6.7. 7. Hauptgruppe

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3

1. Die chemischen Elemente

Auf der Erde kommen die Elemente 1 (H) bis 92 (U) mit zwei Ausnahmen

natürlich vor; Ausnahmen sind:

- Technetium (OZ 43); nur radioaktive Isotope, wurde im

Weltall (in versch. Sternen) nachgewiesen.

- Promethium (OZ 61); ebenfalls nur radioaktive Isotope

Dazu kommen rund 20 künstlich hergestellte Elemente mit OZ ≥ 93

(Neptunium, Plutonium etc.) Diese „superschweren Elemente“ werden durch

künstliche Kernsynthese erzeugt, z.B. bei der GSI in Darmstadt.

1.1. Die Entstehung der Elemente

Die Entstehung der Elemente ist eng verbunden mit der Entstehung des

Universums.

Gängige Theorie: „heißer Urknall“

Ausgangspunkt: Konzentration der gesamten Materie des Universums auf

einen Bereich bzw. „Punkt“ (Dichte ≈ 1096 g⋅cm-3, T ≈ 1032 K);

Explosion dieses „Urkerns“ liefert die bekannten Elementarteilchen (e, p, n), die

sich innerhalb kürzester Zeit (10 – 500 sec.) zu 1H und 4He zusammenlagern

(Bedingungen wie im Fusionsreaktor).

Gestützt wird diese Theorie durch die beobachtete Expansion des Universums,

ausgehend von einem gemeinsamen Zentrum. Aus der Expansionsge-

schwindigkeit berechnet sich das Alter zu 1.8 ⋅ 1010 Jahren.

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4

Weiteres Argument für die Urknalltheorie ist die gemessene Temperatur des

interstellaren Raums von 2.7 K (Schwarzkörperstrahlung, energetischer Überrest

des Urknalls).

Die Entstehung der schweren Elemente erfolgt in den Sternen. Die nach den

Urknall gebildeten Elemente 1H und 4He bilden aufgrund der Gravitationskräfte

Sterne (∼ 20 Jahre), die weitere Kontraktion unter dem Einfluss der Gravitation

führt zu kontinuierlichen Freisetzung von Wärmeenergie, bis bei Temperaturen

von 107 K erste Kernprozesse einsetzen.

In Abhängigkeit von seiner Ausgangsmasse durchläuft ein Stern mehrere

Entwicklungsstadien, die durch stetige Kontraktion und Temperaturerhöhung

gekennzeichnet sind:

1. Stadium (Sonne):

T = 107 K

Wasserstofffusion

4 1 H 4 He + 2 e+ (Positron)1 2

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5

2. Stadium („Rote Riesen“):

T = 2 ⋅ 108 K

Heliumfusion

4 He + 4 He 8 Be22 4

8 Be + 4 He 12 C + γ4 2 6

12 C + 4 He 16 O + γ6 2 8 (analoger Aufbau von Ne, Mg)

Obwohl der Kern bei der Heliumfusion kontrahiert, wird der Stern zum „roten

Riesen“ weil der verbleibende Wasserstoff eine große Hülle um den schweren

Kern bildet.

3. Stadium („Weiße Zwerge“):

T ≈ 109 K

α-Prozess; bei sehr hohen Temperaturen kommt es durch energiereiche γ-

Strahlung zum Zerfall der bei der Heliumfusion gebildeten schweren Elemente:

γ + 20 Ne 16 O + 4 He = α-Teilchen10 8 2^

Die so gebildeten α-Teilchen sind so energiereich, dass sie bei Kollision

schwere Elemente bis Ti (OZ 22) bilden.

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6

Schwerere Elemente als Ti werden in Sternen durch Neutroneneinfang und vor

allem bei extremen Sternprozessen (Supernova) gebildet.

Bei den in einer Supernova herrschenden Bedingungen (T > 3 ⋅ 109 K) liegt ein

statistisches Gleichgewicht zwischen verschiedenen Atomkernen, Protonen und

Neutronen vor. Bevorzugt werden dabei die stabilsten Elemente wie z.B. Eisen

gebildet.

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1.2. Vorkommen und Verbreitung der Elemente

i) Im Weltall 90% H 9% He (Atomprozent)

ii) In der Erdhülle (dem für den Menschen zugänglichen Bereich der

Erde)

Erdhülle besteht aus:

Atmosphäre Hydrosphäre Biosphäre Lithosphäre (≈15 km)

N2, O2, CO2

H2O, Edelgase

H2O, Salze Organische

Verbdg ≙ C, H

Mineralien, Gesteine

Häufigkeit der Elemente in der Erdhülle (Massenprozent)

> 10 O (50.5), Si (27.5)

10 bis 1 Al (7.3), Fe, Ca, Na, K, Mg

1 bis 10-1 H (1), Ti, Cl (H nach Atom% an 3. Stelle!)

10-1 bis 10-2 P, C, S, N, F, Ba, Sr

10-2 bis 10-3 Li, Sn, Rb, Pb

10-3 bis 10-4 Cs, Br, Ge, As, Be, Ar

10-4 bis 10-5 Se, Sb, Tl, Bi, In

< 10-5 I, Te, Ne, He, Kr, Xe;

radioaktive Elemente: Ra, Po, Rn, Fr, At;

Edelmetalle: Ag 10-5, Au, Pt 5 ⋅ 10-7

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iii) ImErdinneren

flüssig

fest

Kruste

Kern

Mantel

ρ ~ 3 g/cm3

ρ ~ 6 g/cm3

ρ ~ 9 g/cm3

T = 4000 °C, p = 3 · 10 6 bar

schalenförmiger Aufbau mit 4 Bereichen

Kruste: O, Si, AlMantel: Silikate, Al, Fe, Ca, K, Na, Mg

Kern: Fe, Ni, O, S

40

2900

5000

6371

0 km

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9

1.3. Nomenklatur chemischer Elemente

Die Namen der Elemente sind ganz verschiedenen Ursprungs; oft leiten sie sich

von lateinischen bzw. griechischen Stammwörtern ab. Als Elementsymbol wird

der erste und meist ein weiterer Buchstabe des Namens verwendet. Beispiele für

die Ableitung von Elementbezeichnungen:

i) nach Eigenschaften

Brom (Br) von griechisch bromos (Gestank)

Chlor (Cl) von Griechisch chloros (gelb-grün)

ii) nach der Mythologie

Titan (Ti) nach dem Göttergeschlecht der Titanen

Thorium (Th) nach dem Donnergott Thor

iii) nach Planeten und anderen astronomischen Objekten

Helium (He) von griechisch helios (Sonne)

(Entdeckung der Spektrallinien von He im Spektrum der Sonne

durch Jansen und Lockyer im Spektrum der Sonne)

Uran (U) nach dem Planeten Uranus

Neptunium (Np) nach dem Planeten Neptun

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iv) nach Ländern oder Landschaften

Gallium (Ga)

Germanium (Ge)

Rhenium (Rh) nach Rhein bzw. Rheinland

v) nach Personen

Einsteinium (Es) Albert Einstein

Fermium (Fm) Enrico Fermi

vi) Nomenklatur für Elemente mit OZ > 100

1977 legte die IUPAC fest, dass der Elementname direkt aus der Ordnungszahl

abgeleitet wird und mit drei Buchstaben abgekürzt wird:

101 Un-nil-unium Unu

102 Un-nil-bium Unb etc.

Für die Elemente 101, 102 und 103 haben sich jedoch die von ihren

„Entdeckern“ vorgesehenen Namen durchgesetzt:

Mendelevium (101, Md),

Nobelium (102, No)

Lawrencium (103, Lr)

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1.4. Der Element- bzw. Atombegriff

Die Begriffe Element bzw. Atom sind eng miteinander verbunden. Ein Element

besteht aus Atomen derselben „Sorte“; sowohl das Element als auch ein

einzelnes Atom tragen denselben Namen. Das kommt auch in der

geschichtlichen Entwicklung des Elementbegriffs zum Ausdruck:

– 6. Jahrhundert v. Christus

Die griechischen Philosophen Thales, Anaximander, Anaximenes und Heraklit

vermuten, dass die Materie aus einfachsten, unveränderlichen Grundbausteinen,

den Elementen besteht.

– 490 – 430 v. Christus

Empedokles benennt die „vier Elemente“ Erde, Wasser, Luft und Feuer

– Mittelalter

Alchimisten erweitern die vier Elemente um Schwefel, Quecksilber und „Salz“

– 17. Jahrhundert

erste wissenschaftliche Versuche; Jangius (1642) und Boyle (1661) definieren

Elemente naturwissenschaftlich als „Substanzen, die sich nicht in andere Stoffe

zerlegen lassen“.

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12

– 1789

Lavoisier veröffentlicht eine Tabelle mit 21 Elementen

– 1808

Daltons Atomtheorie:

Chemische Elemente bestehen aus kleinsten, nicht weiter zerlegbaren Teilchen,

den Atomen. Alle Atome eines Elements sind einander gleich, besitzen also

gleiche Masse und gleiche Gestalt. Atome verschiedener Elemente haben

unterschiedliche Eigenschaften. Jedes Element besteht also nur aus einer für das

Element typischen Atomsorte.

– 1813

Berzelius führt die ersten Elementsymbole ein O, H, Fe, C

– 1869

Mendelejew stellt das Periodensystem mit den damals 63 bekannten Elementen

auf.

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2. Das Atom

2.1. Elementarteilchen

Im Gegensatz zur Annahme Daltons, dass Atome die kleinsten unteilbaren

Teilchen seien, wissen wir seit ca. 100 Jahren, dass Atome aus noch kleineren

Einheiten, den Elementarteilchen aufgebaut sind. Von den weit über 100

verschiedenen Elementarteilchen sind drei von fundamentaler Bedeutung für

den Aufbau von Atomen.

Proton, p m = 1.67252 ⋅ 10-27 kg = 1.007277 u

u ≙ atomare Masseneinheit, definiert über die Masse eines

Atoms 12C ≡ 12 u (1u = 1.660513 ⋅ 10-27 kg)

Ladung: q = 1.6021 ⋅ 10-19 C (Coulomb)

Das entspricht der kleinsten beobachteten Ladung ≙

Elementarladung

Neutron, n m = 1.67482 ⋅ 10-27 kg = 1.008665 u

Ladung: keine, elektrisch neutral

Elektron, e m = 9.1091 ⋅ 10-31 kg = 0.0005486 u

Ladung: q = -1.6021 ⋅ 10-19 C

≙ eine negative Elementarladung

Vergleich zeigt:

Zwei „schwere“ Teilchen (n und p) und ein leichtes (e); me ∼ 1/2000 mn

Zwei entgegengesetzt geladenen Teilchen (e und p) und ein neutrales (n)

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2.2. Der Atomkern

Der Atomkern besteht aus Protonen und Neutronen. Er macht über 99.99% der

Atommasse, aber nur 1/1000 des Atomdurchmessers aus. ⇨ extrem hohe Dichte

(Neutronensterne)

i) Kernladungszahl ≙ Protonenzahl Z

Z wird auch Ordnungszahl genannt – ein chemisches Element wird durch die

Anzahl der Protonen im Kern definiert; die zur Zeit rund 110 bekannten

Elemente haben die Ordnungszahlen 1-110 (also 1-110 p im Kern)

ii) Nukleonenzahl (früher Massenzahl) ≙ ∑ Protonenzahl, Neutronenzahl A

A bestimmt die Masse des Atoms

Atome einer Elementsorte haben immer die gleiche Z, können aber

unterschiedliche Anzahl von n, also unterschiedliche Masse haben → Isotope

Beispiel Wasserstoff:

„normaler“ Wasserstoff hat ein p und kein n im Kern:

H11

Nukleonenzahl (1 p, 0 n)

Ordnungs- bzw. Kernladungszahl (1 p)

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15

Wasserstoff (Deuterium) 1 p und 1 n : 2 H1

Wasserstoff (Tritium) 1 p und 2 n : 3 H1

Kohlenstoff: 12 C, 13 C, 14 C; oft lässt man die Kernladungszahl 6 6 6

weg und schreibt 12 C, 13 C etc.

"schwerer"

"überschwerer"

Die meisten Elemente sind Mischelemente ≙ bestehen aus mehreren Isotopen

unterschiedlicher natürlicher Häufigkeit

Rund 20 Elemente sind Reinelemente z.B. 19F, 31P, 55Mn ≙ nur ein natürlich

vorkommendes Isotop.

Zu den rund 110 Elementen gibt es ca. 350 verschiedene natürliche Isotope, aber

über 2000 künstlich hergestellte, z.B. Mn, Reinelement, aber 20 künstliche

Isotope.

Die Atommasse eines Elements erhält man aus den Atommassen der Isotope

unter Berücksichtigung der natürlichen Isotopenhäufigkeit.

Beispiel: Bor 10 B 19.78 % 11 B 80.22 %55

Mittlere Atommasse: 10.811 u

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2.2.1. Massendefekt

Die Summe der Massen aller Kernbausteine (p, n) ist immer größer als die

Masse des entsprechenden Atomkerns ≙ Massendefekt.

Bsp.: 42He besteht aus 2 p, 2 n; Masse der Teilchen = 4.0319 u

Masse des 42He-Kerns = 4.0015 u

Massendefekt = 0.0300 u

Nach Einsteinscher Formel (1) E = mc2 (c = 2.99793 ⋅ 108 ms-1)

entspricht der Massendefekt einer Energie von 28.3 MeV ≙ Energiebetrag, der

bei der Bildung des 42He-Kerns aus seinen Bestandteilen frei wird – Maß für die

Stabilität eines Kerns; aus (1) ⇒ 1u = 931 MeV.

Durchschnittlich beträgt die Kernverbindungsenergie 8 MeV pro Nukleon.

Elemente um die Nukleonenzahl 60 (Fe, Co, Ni) haben besonders stabile

Kerne.

Folie 1

2.2.2 Kernreaktionen

Chemische Reaktionen ≙ Veränderungen in der Elektronenhülle;

Energieumsatz ∼ 10 eV → keine Massenveränderung; Massenerhaltungsgesetz

gilt!

Kernreaktionen ≙ Veränderungen im Kern;

Energieumsatz ∼ 10 MeV (106 mal größer) → Massenänderungen treten auf.

Äquivalenz von Masse und Energie gilt (E = mc2)!

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17

i) Radioaktivität

Viele Kerne sind instabil und unterliegen dem radioaktiven Zerfall → Abgabe

von Elementarteilchen bzw. elektromagnetischer Strahlung.

drei wichtige Zerfallsprozesse:

– α-Strahlung

Abgabe von 42He-Kernen (α-Teilchen) → OZ - 2, A - 4

226 Ra 222 Rn + 4 He88 86 2

der Massendefekt beträgt hier 0.005 u = 4.78 MeV

diesen Energiebetrag erhält das α-Teilchen als kinetische Energie

– β-Strahlung

Abgabe von Elektronen; e stammen nicht aus der Elektronenhülle

sondern aus dem Kern nach:

n → p + e → OZ + 1, A unverändert

40 K 40 Ca + e19 20

– γ-Strahlung

Abgabe von elektromagnetischer Strahlung →

keine Veränderung von OZ und A

Folie 2

Page 18: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

18

ii) Kernfusion

Umkehrung des radioaktiven Zerfalls.

Läuft in Sternprozessen (Sonne) ab und wird zur künstlichen Erzeugung von

Atomen genutzt.

Erste künstliche Elementumwandlung, Rutherford 1919

14 Ne + 4 He 17 O + 1 H7 2 8 1

Entdeckung des Neutrons, Chadwick, 1932

9 Be + 4 He 12 C + n4 2 6

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19

2.3. Die Elektronenhülle

Aufgrund der geringen Masse der Elektronen, trägt die e-Hülle nur einen

Bruchteil (< 0.01 %) zur Gesamtmasse des Atoms bei, bestimmen aber die

Größe des Atoms:

∅ Kern ∼ 10-14 m ∅ Atom ∼ 2 ⋅ 10-10 m

Unterschied mehr als 3 Größenordnungen, d.h. wäre

∅ Kern 10 cm → ∅ Atom 2 km

Chemische Reaktionen verlaufen unter Veränderung der e-Hülle;

Energieänderung ∼10 eV → bei chemischen Reaktionen bleibt die Gesamtmasse

konstant.

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20

2.3.1. Das Bohrsche Modell des Wasserstoffatoms Folie 3

Annahme: Das Elektron bewegt sich auf einer Kreisbahn um den Kern; die Bahn

ist stabil, wenn sich elektrische Anziehungskraft und Zentrifugalkraft aufheben.

Wirkende Kräfte:

i) Elektrostatische Anziehung → Coulomb – Gesetz

Fel =1

4 π ε0

Q1 · Q2

r2

– ε0 = 8.854 ⋅ 10-12 A2s4 kg-1m-3 ≙ elektrische Feldkonstante

(Dielektrizitätskonstante im Vakuum)

– Q1, Q2 = q ≙ Elementarladung von Elektron bzw. Proton

|q| = 1.6021 ⋅ 10-19 C

⇒ Fel =

14 π ε0

q2

r2-

ii) Zentrifugalkraft

FZ =

mv2

r

– m ≙ Masse des Elektrons

– v ≙ Geschwindigkeit des Elektrons

Page 21: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

21

Für stabile Kreisbahn gilt:

-Fel = FZ

bzw.q2

4 π ε0 r2 =

mv2

r

bzw.q2

4 π ε0 r= mv2 (1)

Energie des Elektrons auf Kreisbahn:

Eges = Ekin + Epot

Ekin =

mv2

2 (kinetische oder "Bewegungs"energie

Epot = ∞

r

q2

4 π ε0 r2- dr = -

q2

4 π ε0 r

(potentielle Energie, d.h. elektrostatische Anziehung)

Page 22: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

22

Eges =12 mv2 -

q2

4 π ε0 rmit (1) ⇒

Eges =12

q2

4 π ε0 r- q2

4 π ε0 r=

q2

8 π ε0 r (2)-

nach (2) ist die Energie eines Elektrons nur abhängig vom Radius r der

Kreisbahn (umgekehrt proportional); für r sind alle Werte zwischen 0 (Eges = ∞)

und ∞ (Eges = 0) möglich.

Modell ist im Einklang mit den Gesetzen der klassischen Mechanik, nicht aber

mit klassischer Elektrodynamik: jede periodisch bewegte Ladung (hier Elektron)

gibt Energie in Form von Strahlung (z.B. Licht) ab. Würde das e ständig Energie

abstrahlen, würde es so langsam werden, dass es irgendwann in den Kern

(Proton) stürzt.

Annahme von Bohr:

Das Elektron kann auf bestimmten Bahnen „strahlungsfrei“ um den Kern

kreisen; für den Bahndrehimpuls (mvr) des Elektrons auf solchen Bahnen gilt:

mvr = n h2 π n = 1, 2, 3,... (3)

d.h. der Bahndrehimpuls ist ein ganzzahliges Vielfaches des Planck’schen

Wirkungsquantums h

h = 6.626 ⋅ 10-34 Js

v = nh

2 π m r (4)aus (3) folgt:

Page 23: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

23

aus (4) in (1) folgt: r =h2 ε0

π m q2 · n2 (5) = n2 · 0.53 · 10-10 m "Bohrscher Radius"

⇒ Elektronen dürfen nur auf Bahnen mit den Abständen 0.053 nm,

4 ⋅ 0.053 nm,

9 ⋅ 0.053 nm usw. u m den Kern kreisen.

Folie 4

aus (5) in (4) folgt: v = 1n ·

q2

2 h ε0(6) =

1n

2.18 · 106 ms-1

auf der innersten Bahn (n = 1) beträgt die Geschwindigkeit des Elektrons rund

2 ⋅ 106 ms-1

aus (6) in (2) folgt: Eges =m q4

8 ε02 h2 ·

1

n2

d.h. Elektronen auf stabilen Kreisbahnen können nur diskrete Energiewerte

annehmen.

Energiezustände sind gequantelt, n ist eine Quantenzahl.

Die Abfolge der Energieniveaus lässt sich in einem Termschema

veranschaulichen:

Page 24: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

24

Folie 5

Die Energie für das Elektron ist umso geringer, je kleiner n ist (negative Werte

auf der Energieskala).

Für n = ∞ (Nullpunkt auf der Energieskala) ist die anziehende Kraft des Kerns

= 0 → Elektron verlässt Atom → Ionisierungsgrenze.

n = 1 ≙ energieärmster Zustand ≙ Grundzustand des H-Atoms

n > 1 ≙ energiereichere Zustände ≙ angeregte Zustände

Das Emissionsspektrum des H-Atoms

Beim Erhitzen (zuführen von Energie) geben H-Atome elektromagnetische

Strahlung (Licht) ab. Die emittierte Strahlung zeigt kein kontinuierliches

Spektrum, sondern Serien von scharfen Linien, die nach ihren Entdeckern

Lyman, Balmer, Paschen und Bracket benannt sind.

Erklärung über Termschema:

Folie 6

Folie 7

Page 25: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

25

2.3.2 Quantenmechanische Beschreibung

i) de Broglie (1924): Dualismus von Welle und Teilchen ≙ jedes bewegte

Elementarteilchen hat Wellen- und Teilchencharakter

λ =hp =

hmv

λ = Wellenlänge

p = Impuls

ii) Schrödinger (1926): Verknüpfung von Wellenfunktion und Energiewerten

des Elektrons

δ2ψ

δ x2 +δ2ψ

δ y2 +δ

δ z2 +8 π2 m

h2(E-V) ψ = 0

ψ = Wellenfunktion E ≙ Gesamtenergie

x, y, z ≙ Ortskoordinaten V ≙ Potentielle Energie

m ≙ Masse des Elektrons

Wellenfunktionen ψ die Lösungen der Schrödingergleichungen sind heißen

Eigenfunktionen und beschreiben stationäre Schwingungszustände des H-Atoms

(entsprechen den „stabilen Kreisbahnen“ des Bohr’schen Modells).

Die Energiewerte E, die zu den Eigenfunktionen gehören heißen Eigenwerte.

Die wellenmechanische Beschreibung des H-Atoms ist weniger anschaulich als

das Bohrsche Atommodell aber physikalisch korrekt und kommt ohne die

Bohr’schen Postulate aus.

Page 26: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

26

2.4 Quantenzahlen und Atomorbitale

Zur quantenmechanisch vollständigen Beschreibung eines Elektrons (im Atom)

werden vier Quantenzahlen benötigt:

– Hauptquantenzahl n n nimmt ganzzahlige Werte 1, 2, 3, 4…∞ an und

bestimmt die möglichen Energieniveaus, sogenannte

Schalen (analog Bohr) die mit K, L, M, N ...bezeichnet

werden.

Die Energie eines Elektrons in einer bestimmten

Schale berechnet sich in Übereinstimmung mit Bohr

nach:

En =m q4

8 ε2 h20

1n2-

e im H-Atom auf K-Schale ≙ Grundzustand

E1 = - 13.6 eV

e auf höherer Schale ≙ angeregter Zustand, E > - 13.6 eV

Führt man dem e auf K-Schale mehr als 13.6 eV Energie zu, verlässt es das

Atom und zurück bleibt ein positiv geladenes Proton ≙ Ionisierung,

Ionisierungsenergie.

Page 27: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

27

– Nebenquantenzahl l l ≤ n-1 ⇒ l nimmt die Werte 0, 1, 2, 3…n-1 an.

Quantenzustände werden mit s (sharp), p (principal), d

(diffuse), f (fundamental) bezeichnet.

– magnetische Quantenzahl ml nimmt Werte von - l bis + l an und gibt an, wie

viele s, p, d, f- Zustände existieren.

Page 28: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

28

Die drei Quantenzahlen n, l, ml beschreiben die Atomorbitale ≙

Orbitalquantenzahlen

n bestimmt die Größe des Orbitals

l bestimmt die Form des Orbitals

ml bestimmt die Lage des Orbitals im Raum

Folie 8

Folie 9

Page 29: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

29

s-Orbitale - kugelförmig

p-Orbitale - Doppelhanteln

d-Orbitale - Rosetten

Die Orbitale beschreiben die Aufenthaltsräume der Elektronen im Atom ≙

Elektronenwolke

Aufenthaltswahrscheinlichkeit = ψ2; aufgrund der Unschärferelation kann der

genaue Ort eines Elektrons zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht angegeben

werden.

– Spinquantenzahl ms

Elektronen zeigen eine Eigenrotation, die links- oder rechtsdrehend sein kann →

es gibt zwei Quantenzustände für den Eigendrehimpuls → zwei

Spinquantenzahlen ms = ± 1/2

Aus den erlaubten Kombinationen der vier Quantenzahlen n, l, ml, ms

ergeben sich die Quantenzustände des H-Atoms.

Jede Kombination von n l, m definiert ein AO. Für jedes AO gibt es zwei

Zustände mit der Spinquantenzahl + ½ bzw. - 1/2

Folie 10

Page 30: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

30

2.5. Aufbau von Mehrelektronen-Atomen

Aufbau ähnlich dem H-Atom, vergleichbare Orbitalformen.

Unterschiede in der energetischen Lage:

Im H-Atom sind alle AO mit der gleichen Hauptquantenzahl n energiegleich (≙

entartet).

In Mehrelektronenatomen wird diese Entartung aufgehoben. Nur AO’s des

selben Typs (s, p, d, f) sind energiegleich ≙ Unterschalen.

Folie 11

Page 31: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

31

Die Verteilung der Elektronen auf die AO (≙ Elektronenkonfiguration) folgt

bestimmten Regeln:

1. Im Grundzustand werden AO in der Reihenfolge steigender Energie

mit Elektronen gefüllt. Dabei ist zu beachten, dass nicht eine Schale

(Hauptquantenzahl n) nach der anderen aufgefüllt wird. Ab der M-

Schale überlappen die Energieniveaus (Unterschalen,

Nebenquantenzahl l) verschiedener Schalen.

Energetische Reihenfolge: 1s, 2s, 2p, 3s, 3p, 4s, 3d, 4p, 5s

Bsp.: K (OZ 19), 19. e nicht in 3d sondern 4s!

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32

Pauli Prinzip: Die Elektronen eines Atoms müssen sich in mindestens einer

Quantenzahl unterscheiden → jedes Orbital kann nur mit zwei Elektronen

entgegengesetzten Spins besetzt werden.

Bsp.:

aber nicht

1s 1s

n, l, ml sind gleich, Elektronenunterscheiden sich durch ms

Für 1. und 3. Elektron sindalle 4 Quantenzahlen gleich

2. Hund’sche Regel: Die Orbitale einer Unterschale werden so besetzt,

dass die Anzahl der Elektronen mit parallelen Spin maximal wird.

Bsp:

aber nicht

px py pz px py pz

Unregelmäßigkeiten:

Für die Elemente 24 (Cr) und 29 (Cu) wären die e-Konfigurationen

[Ar] 4s2 3d4 bzw. [Ar] 4s2 3d9 zu erwarten. Man findet aber:

Cr: [Ar] 4s1 3d5 Cu: [Ar] 4s1 3d10

Hier sind die 3d-Schalen halb (Cr) bzw. voll (Cu) besetzt, da halb-

bzw. voll besetzte d-Unterschalen energetisch besonders günstig sind. Folie 12

Page 33: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

33

3. Das Periodensystem der Elemente (PSE)

3.1. Aufbau

Bei der Auffüllung der Orbitale mit Elektronen nach den oben genannten Regeln

kommt es zu regelmäßigen (periodischen)Wiederholungen von gleichen

Elektronenanordnungen auf der äußersten Schale. (Valenzelektronen)

Elemente mit analogen Valenzelektronenkonfigurationen haben ähnliche

chemische Eigenschaften und werden zu Gruppen zusammengefasst.

Beispiele:

i) Alkalimetalle (Gruppe 1)

Li [He] 2 s1

Na [Ne] 3 s1

K [Ar] 4 s1

Rb [Kr] 5 s1

Cs [Xe] 6 s1

Alle Alkalimetalle zeigen die Valenzelektronenkonfiguration s1; das einzelne

Valenz – e kann leicht unter Ausbildung der entsprechenden Kationen M+

abgegeben werden. Alkalimetalle sind weiche, reaktive Leichtmetalle mit

niedrigem Schmelzpunkt. Wasserstoff hat eine analoge Valenz –e Konfiguration

1s1, zeigt aber andere chemische Eigenschaften und zählt nicht zu den

Alkalimetallen. (Sonderstellung im PSE)

ii) Halogene (Gruppe 17)

F [He] 2 s2 2 p5

Cl [Ne] 3 s2 3 p5

Br [Ar] 3 d10 4 s2 4 p5

I [Kr] 4 d10 5 s2 5 p5

Page 34: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

34

Alle Halogene haben 7 Valenzelektronen (s2p5); sie sind typische Nichtmetalle,

hochreaktiv und bilden mit Metallen Salze wobei unter Aufnahme eines

Elektrons die entsprechenden Anionen wie Cl- entstehen.

iii) Edelgase (Gruppe 18)

He 1s2

Ne [He] 2 s2 2 p6

Ar [Ne] 3 s2 3 p6

Kr [Ar] 3 d10 4 s2 4 p6

Xe [Kr] 4 d10 5 s2 5 p6

Außer He haben alle Edelgase 8 Valenzelektronen (s2p6), d.h. s- und p-

Unterschalen sind vollbesetzt. Energetisch sehr günstige

Elektronenkonfiguration → Edelgase sind sehr reaktionsträge und bilden nur

relativ wenige Verbindungen.

Folie 13

Unterteilung der Elemente:

- Haupt- und Nebengruppen, Lanthanoide, Actinoide

- s, p, d, f-Blockelemente

Die „alte“ Gruppennummer der HGE entspricht der Anzahl der

Valenzelektronen. Chemische Ähnlichkeit der Elemente einer Gruppe beruht auf

gleicher Anzahl Valenzelektronen.

Page 35: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

35

3.2. Trends im PSE

Aufgrund des regelmäßigen Aufbaus des PSE verändern sich die wichtigsten

chemischen und physikalischen Eigenschaften der Elemente periodisch (d.h.

folgen bestimmten Trends) ⇒

Die Kenntnis des PSE und deren Trends im PSE erlaubt Aussagen über die

chemischen Eigenschaften eines Elements ohne dessen Stoffchemie gelernt zu

haben.

⇒ PSE lernen !! ⇐

Beispiel:

Vorhersage des Elements und seiner wichtigsten Eigenschaften durch

Mendelejew.

Page 36: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

36

- allgemeine Trends

i) der metallische Charakter der Elemente steigt innerhalb einer Hauptgruppe

von oben nach unten und innerhalb einer Periode von rechts nach links.

⇒ Metalle links unten, Nichtmetalle rechts oben im PSE.

Alle Nebengruppenelemente, Lanthanoide und Actinoide sind Metalle.

ii) die Atomgröße (Radius) steigt von oben nach unten und von rechts nach

links.

- spezielle Trends

i) Ionisierungsenergie I

I ist ein Maß für die Festigkeit, mit der ein Elektron an das Atom gebunden ist.

X + I → X+ + e-

Folie 14

I nimmt innerhalb einer Periode von links nach rechts zu und innerhalb einer

Gruppe von oben nach unten ab. (zunehmende Kernladungszahl // zunehmende

Abschirmung durch innere Schalen)

Der Trend zeigt Unregelmäßigkeiten, da voll- und halbbesetzte Unterschalen

besonders stabil sind.

Beispiele:

I für Be (2 s2) größer als für B (2 s2 2 p1)

I für N (2 s2 2 p3) größer als für O (2 s2 2 p4)

Page 37: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

37

ii) Elektronenaffinität Eea

Eea ist die Energie, die frei wird (negative Eea-Werte) oder aufgewendet werden

muss (positive Eea-Werte), um ein Elektron an ein Atom unter Ausbildung eines

Anions anzulagern.

X + e- → X- ± Eea

Eea ist experimentell schwer zugänglich und nicht für alle Atome bekannt.

Page 38: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

38

Die Aufnahme eines Elektrons ist besonders günstig (negative Eea-Werte), wenn

damit eine halb- oder vollbesetzte Schale erreicht wird.

Beispiele:

- Alle Halogene erreichen s2p6 - Konfiguration

- Alkalimetalle erreichen s2 - Konfiguration

- Erdalkalimetalle und Edelgase überschreiten s2 bzw. s2p6- Konfiguration

⇒ positive Eea-Werte.

Page 39: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

39

4. Die chemische Bindung

4.1. Bindungsarten

Klassifizierung der Bindungsarten gemäß ihrer Stärke:

a) Hauptbindungsarten oder chemische Bindungsarten 1. Ordnung sind stark

und umfassen

- kovalente oder Atombindung (einschließlich der koordinativen und

dativen Bindung)

- Ionenbindung

- metallische Bindung

b) Nebenbindungsarten oder Bindungen 2. Ordnung sind schwach

- Van der Waals-Bindung

- Wasserstoff(brücken)bindung

Vor allem für a) gilt, dass die genannten Typen nur Idealfälle darstellen; in der

Realität sind die Übergänge fließend.

Die Eigenschaften einer Verbindung werden durch die Art der chemischen

Bindung festgelegt:

- NaCl ist eine ionische Verbindung mit hohem Schmelzpunkt (ca. 800

°C), die gut in polaren Solventien löslich ist; entsprechende Lösungen

sind elektrisch leitfähig.

- H2 ist eine kovalente Verbindung mit niedrigem Siedepunkt (-253 °C)

und in jedem Aggregat- oder Lösungszustand nichtleitend.

Page 40: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

40

- Fe ist ein Metall mit hohem Siedepunkt (2750 °C), typisch metallischem

Glanz und ist im festen Zustand ein guter elektrischer Leiter.

Beispiele für fließende Übergänge:

- BeCl2 ist überwiegend ionisch aber mit deutlich kovalenten

Bindungsanteilen → niedrigeren Schmelzpunkt (600 °C) als NaCl und gut

löslich in unpolaren Solventien wie Benzol.

- HF ist kovalent, bildet aber zusätzlich Wasserstoffbrücken aus → relativ

hoher Siedepunkt von 20 °C.

Moleküle bestehen aus einer endlichen, wohldefinierter Zahl von Atomen, die

durch kovalente Bindungen zusammengehalten werden.

Molekulare Verbindungen zeigen allgemein hohe Flüchtigkeit (niedrige

Schmelzpunkte bzw. Siedepunkte) und lösen sich in unpolaren Solventien.

Festkörper bestehen aus einer beliebigen Anzahl von Atomen, die durch

metallische oder ionische Bindungen zusammengehalten werden; → geringe

Flüchtigkeit, Metalle sind unlöslich, Salze sind löslich in polaren Solventien.

Page 41: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

41

4.2. Chemische Bindung in Molekülen

Zur Beschreibung der kovalenten Bindung in Molekülen können verschiedene

Modelle bzw. Theorien herangezogen werden.

Allen Beschreibungen ist gemein, dass sie in erster Linie die chemische Bindung

erklären und illustrieren sollen. Dabei zeigt sich, dass bestimmte Probleme mit

einem Modell besser zu erklären sind als mit einem anderen, da alle Modelle

spezifische Einschränkungen haben. Man darf daraus jedoch nicht

schlussfolgern, dass bestimmte Theorien anderen überlegen sind. Das gilt

insbesondere für den Vergleich zwischen VB- und Mo-Theorie, da beide auf den

gleichen quantenchemischen Grundlagen beruhen.

4.2.1. Die Elektronegativität

Zur Beschreibung der kovalenten Bindung in Molekülen ist der Begriff der

Elektronegativität von zentraler Bedeutung.

Definition: Elektronegativität beschreibt die Fähigkeit eines Atoms die

Elektronen einer Atombindung zu sich zu ziehen.

Verschiedene Elektronegativitätsskalen sind gebräuchlich:

Page 42: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

42

1) Pauling, 1932

Messung von Dissoziationsenthalpien:

A–A → 2 A• DA2

B–B → 2 B• DB2

A–B → A• + B• DAB

DAB =DA + DB

2+ Δ22

Die Dissoziationsenthalphie DE ist für ein heterodinukleares Molekül AB im

allgemeinen um Δ größer als das arithmetrische Mittel aus den DE der beiden

homodinuklearen Moleküle A2 bzw. B2:

Δ = k (χA - χB)2

Δ ≙ Maß für die Polarität der Bindung A–B

k ≙ Proportionalitätsfaktor; abhängig von der Einheit, in der χ angegeben

wird. (eV, k = 1; kJ/mol, k = 96.5)

χ = Elektronegativität

χ ≙ „chi“

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43

Folie 15

Experimentell zugänglich sind Differenzen von χ; zu Absolutwerten gelangt

man durch die Definition von Pauling:

χF ≡ 4.0

2) Mulliken, 1934

Messung von Ionisierungsenergien (EI) und Elektroaffinitäten (EA):

χ = 0.168 (EI - EA) - 0.207 (Anpassung an Paulingwerte)

In einem Molekül AB trägt das elektronegativere Element B umso mehr zum

Polaritätsunterschied bei, je bereitwilliger es Elektronen aufnimmt (negative EA-

Werte) und umso mehr Energie aufgebracht werden muss, um dass äußere

Elektron abzuspalten (positive EI-Werte).

-EA + B + e- → B-

hohe Elektronenaffinität von B → exotherme Reaktion, negative EA-Werte

Page 44: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

44

EI + B → B+ + e-

Ionisierung immer endotherm → positive EI-Werte.

Zur Bestimmung von χ nach Pauling bzw. Mulliken müssen DAB bzw. EA, EI

experimentell zugänglich sein!

3) Allred – Rochow, 1958

Berechnung von χ über Coulomb – Kraft.

F =Zeff e

2

4 π ε0 r2

F ≙ Coulomb – Kraft (Anziehung Kern-Elektron)

Zeff ≙ effektive Kernladung; Zeff = Z - S

Z ≙ Kernladung,

S ≙ Slater-Konstante (Abschirmung der Kernladung durch Valenzelektronen;

aus Quantenchemie zugänglich)

r ≙ Atomradius

e ≙ Elementarladung

ε0 ≙ elektrische Feldkonstante

χ ∼ F; χ = 3.59Zeff

r2 + 0.744

Für Hauptgruppenelemente steigt χ innerhalb einer Periode von links nach

rechts und innerhalb einer Gruppe von unten nach oben. Folie 15

Page 45: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

45

4.2.2. Das Lewis – Modell (G. N. Lewis, 1916)

- einfache und anschauliche Darstellung von Molekülen

- liefert Zusammenhang zwischen chemischer Bindung und

Molekülstruktur

- weist viele Einschränkungen auf

- liefert keine Erklärung über die Natur der kovalenten Bindung

Beschreibung einer kovalenten Bindung nach Lewis:

Eine kovalente Bindung wird ausgebildet, wenn zwei benachbarte Atome eines

Moleküls ein Elektronenpaar teilen (→ Einfachbindung, analog Doppel- und

Dreifachbindung)

2 H• → H–H

Elektronenpaare, die nur zu einem Atom gehören, heißen freie Elektronenpaare

(engl. „lone pairs“); sie tragen nicht zur kovalenten Bindung bei, beeinflussen

aber Geometrie und chemische Eigenschaften des Moleküls.

2 F · → F⎯F

Die Oktettregel

Die Elektronen werden so auf die Atome verteilt, dass jedem insgesamt 8

Valenzelektronen zukommen → s- und p-Unterschale voll besetzt →

stabile Edelgaskonfiguration.

Ausnahmen: – H kann nur zwei Elektronen aufnehmen → He-Konfiguration

– schwere Elemente ab 3. Periode können Oktett überschreiten

Page 46: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

46

Ermittlung der Lewis-Formel einer unbekannten Verbindung nach

folgendem Muster:

– Summe der Valenzelektronen ermitteln, bei Molekülionen

Gesamtladung berücksichtigen.

– Elektropositivstes Element als Zentralatom auswählen. (Vorsicht,

Abweichungen möglich; H ist nie Zentralatom).

– Valenzelektronen solange paarweise auf Bindungen und freie Paare

verteilen, bis alle Atome Oktett erreicht haben.

Beispiele:

N N O C O N

H H H

O

H H

, , ,

10 e 16 e 8 e 8 e

H elektropositiver als N bzw. O

aber nicht Zentralatom!

Page 47: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

47

S

O O

O

PO

OO

HHH

S und P dürfen Oktettregel überschreiten

N

O O

O

H

N

O O

O

H

“”

und nicht

N darf Oktettregel nicht überschreiten

Zur korrekten Lewisformel von HNO3 gelangt man nur, wenn man formale

Ladungen zulässt.

Formale Ladung ≙ Differenz zwischen der Anzahl der Valenzelektronen eines

Elements im Molekül und im Atom.

Page 48: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

48

N

O

O OH

Elektronenoktett nach heterolytischer Bindungsspaltung

Formale Ladung +1 nach homolytischer Bindungsspaltung⊕

Bei manchen (komplizierten) Molekülen kommt man unter Beachtung der

Oktettregel zu verschiedenen Lewis-Formeln:

O O

HH

O O

H

H“ ”

Der Anordnung mit den wenigsten formalen Ladungen ist Vorzug zu geben!

Lewisformel von HN3:

8 Elektronenpaare verteilen

N N N

H

N N N

H

“ ”

ein bzw. zwei N-Atome haben kein Oktett

N N N

H

N N N

H

”“ “”

Oktettregel erfüllt, beide Anordnungen haben je 2 formale Ladungen, welches

ist die richtige Lewisformel?

Page 49: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

49

Nur die Überlagerung beider Lewisformeln beschreibt das Molekül korrekt ≙

Resonanz

Die Summe aller korrekten Lewis-Strukturen beschreibt das Molekül

vollständig; eine Lewis-Struktur nennt man kanonische Form.

Beispiel: Ozon O3

O

O O

O

O O

” ”

1 2

zwei kanonische Formen 1 und 2 beschreiben die Struktur von O3; ein

Doppelpfeil kennzeichnet die Gesamtheit des Resonanzhybrids.

1 und 2 isoliert betrachtet legen eine O–O–Einfachbindung und eine O–O–

Doppelbindung im O3-Molekül nahe. Experimentell lässt sich nachweisen,

dass beide O–O–Abstände identisch sind und einer „1,5-fach“-Bindung

entsprechen:

O

OO

Page 50: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

50

Weiteres Beispiel: Aromatizität von Benzol

CC

CC

C

CH

H

H

H

H

H

CC

CC

C

CC

C

CC

C

C≡

H

H

H

H

H H

H

H

H

H

H

H

Page 51: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

51

4.2.3. Das VSEPR-Modell (N. Sidgwick, H. Powell 1940, R. Nyholm, R. Gillespie)

VSEPR = valence shell electron pair repulsion

Erweiterung des Lewis-Modells zur Vorhersage der Molekülgeometrie von

Molekülen AXnLm

Prinzip: alle Substituenten X und freien Elektronenpaare L ordnen sich mit

möglichst großem Abstand zueinander um ein gemeinsames Zentralatom A an,

um die Coulomb-Abstossung zu minimieren.

Vorgehen zur Bestimmung einer Molekülstruktur nach VSEPR:

i) Anzahl freier (LP) und bindender (BP) Elektronenpaare am Zentralatom A

ermitteln

ii) unterschiedlichen Raumbedarf der Elektronenpaare berücksichtigen:

- LP sind diffuser als BP und benötigen mehr Platz

- BP in Doppelbindungen benötigen mehr Platz als in Einfachbindungen

- → Abfolge der Abstoßung (Platzbedarf) zwischen Elektronenpaaren

LP–LP > LP–BP > BP–BP und BPDoppelbindung > BPEinfachbindung

iii) Pseudostruktur (PS) bestimmen

PS berücksichtigt die Anordnung von LP und BP um das Zentralatom

iv) Struktur (S) bestimmen

S berücksichtigt nur BP und damit die Anordnung der Substituenten um A

→ Bezeichnung der Koordinationsgeometrie

Page 52: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

52

PS muss jedoch zuerst ermittelt werden, da LP einen Einfluss auf die

Struktur des Moleküls haben (≙ PS sind in der Regel stereochemisch

aktiv). Tabelle 16

Folie 17

Page 53: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

53

Beispiele:

Cl Be ClAX2: AX3: B

F

F F

AX2L:

Sn

Cl Cl

• • AX4:

N

H

HH

H ⊕

AX3L: AX2L2:

N

HHH

• •

O

H H

• •• •

AX4L: AX3L2:

SF

F

F

F

• •

• •

Cl

F

F

F

• •

AX2L3:

Xe

F

F

• •

• •

• •

In Molekülen mit trigonal bipyramidaler PS besetzen die LP immer äquatoriale

Positionen (mehr Raum; Bindungswinkel 120° vs 90°)

Ähnliches gilt auch für SOF4:

SO

F

F

F

F

Die Doppelbindung benötigt mehr Raum als die Einfachbindungen und findet

sich in äquatorialer Position.

Page 54: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

54

C

H

HH

H109.5°

N

H

HH

107.3°

• •

O

H

H

• •

• •

104.5°

Der steigende Platzbedarf der LP führt zu einer Verkleinerung des H–E–H –

Winkels in der Reihe CH4 – NH3 – H2O

Grenzen und Einschränkungen von VSEPR:

- Bei geringen Energieunterschieden zwischen verschiedenen möglichen

Geometrien (AX5, AX7) versagt VSEPR oft

- Verbindungen schwerer Elemente (BrF6-, SeBr6

2-, SbCl63-) folgen im

allgemeinen nicht den VSEPR-Regeln, da ihre ns LP stereochemisch

nicht aktiv sind.

- VSEPR gibt keine Auskunft über die Natur der chemischen Bindung

- VSEPR ist nicht (gut) auf Verbindungen der Übergangsmetalle

anzuwenden.

Page 55: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

55

VSEPR-Modelle für größere Moleküle

– zweikernige Moleküle

C CHH

H HH H

Ethan C2H6

N NH H

H H

• • • •

Hydrozin N2H4

O O

H

• •• •

• •

H

• •

Wasserstoffperoxid H2O2

Page 56: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

56

4.2.3. Die Valence-Bond (VB) Theorie (W. Heitler, F. London 1927; weiterentwickelt durch L. Pauling, J.C. Slater,

C.A. Coulsdon)

Das VB-Modell war die erste quantenchemische Theorie zur chemischen

Bindung in Molekülen (Beschreibung des Lewis-Modells mit Hilfe von

Wellenfunktionen)

Prinzip: Diskrete Atome mit einem oder mehreren ungepaarten Elektronen

bilden eine Bindung durch Überlappung von Atomorbitalen. Dieser Prozess ist

begleitet von der Spinpaarung der betroffenen Elektronen.

H↑ H↑+ ↑↓ HH

1) Beschreibung des H2-Moleküls mit VB

i) Ausgangspunkt

HA (1) HB (2)••

Zwei diskrete H-Atome (A und B) mit jeweils einem Elektron (1 und 2) in

großem Abstand zueinander zeigen keinerlei Wechselwirkung.

ψ = ψA (1) ψB (2) (1)

E° = E1 + E2

Page 57: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

57

ii) H-Atome nähern sich und bilden Bindung aus

HA (1) + HB (2) H2 Eges

••

der Prozess ist exotherm → Eges < E°

Annahme: Gl. (1) beschreibt die Gesamtwellenfunktion des H2-Moleküls

korrekt.

Berechnung der Energie über ψ in Abhängigkeit vom Abstand der H-Atome r

(H r H) liefert eine Potentialkurve:

Beim annähern der beiden Atome kommt es zu elektrostatischer Anziehung

zwischen Elektronen und Kernen → die Energie sinkt, bis ein Abstand von

90 pm erreicht ist. Bei weiterer Annäherung überwiegen Abstoßungskräfte

zwischen gleichnamigen Ladungen und die Energie steigt.

Page 58: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

58

Aus Berechnung / Potentialdiagramm folgt:

- H2-Molekül ist um 24 kJ/mol stabiler als zwei H-Atome

- der günstigste Abstand (≙ H–H-Bindungslänge) beträgt 90 pm.

Experimentelle Werte:

Eges. = -458 kJ/mol

dHH = 74 pm

iii) Ansatz muss verbessert werden:

– Austauschenergie

Gl. (1) impliziert, dass die Elektronen (1) und (2) nur in der Nähe „ihrer“

Kerne A und B anzutreffen sind.

In Realität können die beiden Elektronen jedoch in der Nähe beider Kerne

angetroffen werden, d.h. ihnen steht wesentlich mehr Raum zur

Verfügung.

Die Energie eines Elektrons ist umgekehrt proportional zu dem Raum, in

dem es sich bewegen kann. (Modell Elektron im Kasten).

→ verbesserter Ansatz für ψ:

ψkov = ψA (1) ψB (2) + ψA (2) ψB (1)

ψkov beschreibt den kovalenten Bindungsanteil im H2-Molekül.

Die verbesserte Wellenfunktion ψkov führt zu einer deutlichen Absenkung

der Energie für das H2-Molekül (≙ Austauschenergie) auf ca. -303 kJ/mol

Page 59: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

59

– ionische Beiträge

Es wird berücksichtigt, dass sich beide Elektronen des H2-Moleküls in der

Nähe eines Kerns aufhalten können.

Beschreibung nach Lewis: H–H ↔ | H⊖ H⊕ ↔ H⊕ H⊖|

Beschreibung mit Wellenfunktion: HA⊖ HB⊕ ≙ ψA (1) ψA (2)

HA⊕ HB⊖ ≙ ψB (1) ψB (2)

ψion = ψA (1) ψA (2) + ψB (1) ψB (2) ≙ ionische Bindungsanteil

ψges = ψkov + λ ψion ; λ = ¼ ≙ Koeffizient für Anteil ψion

Die verbesserte Wellenfunktion ψges liefert Eges = -388 kJ/mol dH-H = 74.9 pm

Folie 18

Page 60: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

60

Die Potentialkurve f beschreibt einen instabilen Zustand; sie wird beschrieben

durch

ψ = ψA (1) ψB (2) - ψA (2) ψB (1)

H ↑ ↑ H

+ -bzw.- Wellenfunktionen haben unterschiedliche Vorzeiche

→ keine positive Überlappung

- Elektronenspins sind gepaart

→ Verstoß gegen Pauli-Prinzip

- geringe Elektronendichte zwischen den H-Kernen

(Knotenfläche)

→ Kerne stoßen sich ab

⇒ instabiler, nichtbindender Zustand

Folie 19

Bindungen (energetisch günstige Zustände) treten nur bei positiver Überlappung

der Orbitale auf.

Folie 20

Page 61: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

61

2. Einfache dinukleare Moleküle

F2: Fluor hat die Elektronenkonfiguration (im Grundzustand!) 1s2, 2s2, 2px2

2py2 2pz

1

2s 2p x y z

Im F2-Molekül überlappen die beiden pz-Orbitale unter Paarung der 2

Elektronen → Einfachbindung

- + + -∧ F—F

z

y

x

(Wahl der z-Koordinate wilkürlich)

Die Orbitale liegen rotationssymmetrisch zur Verbindungsachse der Kerne →

σ-Bindung

N2: 1s2, 2s2 2px

1 2py1, 2pz

1

2s 2p x y z

Folie 21

Page 62: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

62

Ausbildung einer σ-Bindung durch Überlappung der px-Orbitale und von zwei

π-Bindungen (nicht rotationssymmetrisch) durch Überlappung der py- bzw. pz-

Orbitale → Dreifachbindung |N≡N|

HF: H 1s1

F 1s2 2s2 2px 2py 2pz2 12

2s 2p x y z

x

z

y-+

HF

Ausbildung einer σ-Bindung durch Überlappung von 1s (H) und 2pz (F)

Im Gegensatz zu homodinuklearen Molekülen (H2, F2, N2 etc.) ist die

Verteilung der Elektronen in heterodinuklearen Molekülen nicht mehr

symmetrisch. Beschreibung durch drei mesomere Grenzformen:

H F H F H F“””“

Ψ1 Ψ2 Ψ3

Page 63: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

63

ψges = a ψ1 + b ψ2 + c ψ3; a, b, c ≙ Verteilungskoeffizienten

die kovalente Form 1 trägt am meisten bei; wegen der hohen EN von Fluor ist

der Beitrag der ionischen Form 2 am zweithöchsten → a > b > c. Wegen b

> c zeigt das HF-Molekül Dipolcharakter (höhere Elektronendichte an F)

H Fδ+ δ-

→ Auswirkungen auf physikalische und chemische Eigenschaften (hoher

Siedepunkt, H-Brücken etc.)

3. Polynukleare Moleküle

Befunde: – Be hat 1s2 2s2 (keine ungepaarten Elektronen!) bildet aber BeF2

– B hat 1s2 2s2 2p1 sollte BF bilden (instabil) bildet aber BF3

– C hat 1s2 2s2 2px

1 2py1 sollte CH2 bilden bildet aber stabi-

les CH4

– N hat 1s2 2s2 2px1 2py

1 2pz1; drei ungepaarte Elektronen in den

zueinander senkrecht stehenden p-Orbitalen → H−N−H-

Bindungswinkel in NH3 sollten 90° sein, sind aber 107°

Page 64: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

64

Um die Befunde mit VB-Theorie erklären zu können, müssen zwei

Erweiterungen eingeführt werden:

– Anregung

– Hybridisierung

2s12p

2s22p1 x y z

Grundzustand angeregter Zustand

B B*

Durch Anregung wird ein Elektron aus dem 2s in ein 2p-Orbital angehoben →

B* hat jetzt drei ungepaarte Elektronen in drei Orbitalen und kann drei

Bindungen ausbilden. Anregung kostet Energie; Energiebedarf wird geliefert

(überkompensiert) durch Freisetzen der Spinpaarungsenergie und durch

Ausbildung von drei statt einer Bindung.

Analog Beryllium:

2s1

2p1

2s2

Be Be*

Page 65: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

65

und Kohlenstoff:

2s1

2p3

2s2

C C*

2p2

Für Elemente der 2. Periode kann die Anregung der Elektronen nur in die 2p-

Unterschale erfolgen. Anregung in höheren Niveaus (z.B. 3s) erfordert zuviel

Energie und kann durch Ausbildung von zusätzlichen Bindungen nicht mehr

kompensiert werden:

2s1

2p4

2s2

F F*

2p5

3s1

Hybridisierung beschreibt die Kombination von Atomorbitalen zu so genannten

Hybridorbitalen. Mathematisch liegt dem die Linearkombination (Addition

bzw. Subtraktion) der entsprechenden Wellenfunktionen zugrunde.

– sp-Hybridorbitale

Folie 22

Page 66: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

66

Aus einem 2s- und einem 2p-Orbital entstehen zwei sp-Hybridorbitale.

ψ1 = 21 (ψs + ψp); ψ2 = 2

1 (ψs - ψp)

mit 21 ≙ Normierungskoeffizient.

Die Beiträge von ψs und ψp zur Gesamtfunktion des sp-Orbitals sind gleich groß

⇒ ein sp-HO hat 50% s- und 50% p-Charakter.

Folie 23

– sp2-HO

Ein 2s- und zwei 2p-Orbitale werden zu drei sp2-HO’s kombiniert (Anzahl AO’s

und HO´s immer gleich).

Folie 24

ψ1 = 31 ψs + 3

2 ψpx

ψ2 = 31 ψs - 6

1 ψpx + 21 ψpy

ψ3 = 31 ψs - 6

1 ψpx - 21 ψpy

Die Normierungskoeffizienten zeigen, dass der Anteil der p-AO’s doppelt so

hoch ist wie der der s-AO’s → sp2-HO’s haben 33% s- und 66% p-Charakter

Folie 25

Page 67: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

67

– sp3-HO

Folie 26

ψ1 = 1/2 ψs + 1/2 ψpx + 1/2 ψpy + 1/2 ψpz

ψ2 = 1/2 ψs - 1/2 ψpx - 1/2 ψpy + 1/2 ψpz

ψ3 = 1/2 ψs + 1/2 ψpx - 1/2 ψpy - 1/2 ψpz

ψ4 = 1/2 ψs - 1/2 ψpx + 1/2 ψpy - 1/2 ψpz

sp3-HO’s haben 25% s- und 75% p-Charakter

Folie 27

Folie 28

Page 68: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

68

4.2.4. Die Molekülorbital (MO) Theorie

(Mulliken, Hund, 1928)

Das VB-Modell betrachtet einzelne Atome und ihre Orbitale. Eine chemische

Bindung wird dadurch gebildet, dass die Atome sich in geeigneter Weise

annähern, so dass passende AO’s überlappen können.

Das MO-Modell verallgemeinert AO’s (die an Atomen lokalisiert sind) zu

Molekülorbitalen (MO’s), die sich über das ganze Molekül erstrecken (VB ≙

lokalisierten Ansatz ↔ MO ≙ delokalisierte Beschreibung).

Um das Elektronensystem eines Moleküls beschreiben zu können, müssen

einige Näherungen eingeführt werden:

– Orbital-Näherung: Ein Mehrelektronensystem (Molekül) mit n Elektronen

kann als Produkt von n ein-Elektronen Wellenfunktionen beschrieben

werden → ψges = ψ (1) ψ(2)... ψ(n)

– Ein Elektron in einem Molekül wird von dem Kern am meisten beeinflusst,

in dessen Nähe es sich aufhält

→ seine Wellenfunktion kann durch die eines AO’s angenähert werden →

MO in Kernnähe gleicht AO

→ MO’s können durch Linearkombination von AO’s beschrieben werden

(LCAO-Methode)

Page 69: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

69

1) MO-Modell von H2

HA1s1 HB1s1

Ψ1 Ψ2

addition

subtraction

σb-MO

Ψb = Nb (Ψ1 + Ψ2)

σ*-MO

Ψ* = N* (Ψ1 - Ψ2)

Energy

0

+

-

σ*-MO

σb-MO

HA1s1 HB1s1

H H

H H

H H

Die AO’s zweier isolierter H-Atome werden durch ein-Elektronen

Wellenfunktionen ψ1 bzw. ψ2 dargestellt.

Die Bildung des H2-Moleküls wird durch Linearkombination der beiden AO’s

zu zwei MO’s beschrieben.

Wichtige Punkte:

– positive Überlappung (Addition von ψ1, ψ2) führt zu einem MO, das

Elektronendichte zwischen den Kernen erlaubt → energetisch günstiger als

zwei isolierte H-Atome (bindendes MO)

– negative Überlappung lässt keine Elektronendichte zwischen H-Atomen zu

(Knotenebene) → energetisch ungüstiger als zwei H-Atome (antibindendes

MO)

– bindendes und antibindendes MO sind rotationssymmetrisch → σ-Symmetrie

Page 70: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

70

– die beiden Elektronen besetzen das energietiefste MO → stabiler Zustand

σ*

σb

HB 1s1HA 1s1

+

-

2.) Entwicklung eines MO-Schemas in 4 Schritten:

– AO’s aller beteiligten Atome auf der Energieachse eintragen

– Linearkombination von „geeigneten“ AO’s; (geeignet ≙ ähnliche Energie

und gleiche Symmetrie (σ oder π)) zu MO’s

– Auffüllen der MO’s mit allen verfügbaren Valenzelektronen (Pauli-Prinzip,

Hund’sche Regel einhalten)

– Bindungsordnung (BO) bestimmen

BO =Anzahl e in b MO's - Anzahl e in ab MO's

2

Page 71: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

71

3.) Beispiele

i) F2: FA + FB → FA – FB

Energy +

-

FA2s2 FB2s2

σ2s

σ*2s

FA2px2

σ2pz

σ*2pz

FA2pz2 FA2py

1

π*2px π*

2py

π2px π2py

x

z

y

FB2pz2 FB2px

2 FB2py1

wichtige Punkte:

– 2s - AO’s kombinieren zu σ2sb und σ2s

* wie im H2

– 2pz - AO’s sind σ-symmetrisch und kombinieren zu 2 σpz und 2 σpz*

– 2px – AO’s sind π-symmetrisch → π2pxb und π2px*

– 2py – AO’s entsprechend → π2pyb und π2py*

die so gebildeten π-MO’s unterscheiden sich nur in ihrer Lage im Raum

(senkrecht zueinander); sie sind energiegleich (entartet)

– ab MO’s haben mehr Knotenebenen als entsprechende b MO’s

BO = = 18 - 6

2 Folie 29

Page 72: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

72

ii) O2

2p

2s

O

O2

O

σ*2p

σ2p

σ*2s

σ2s

Nach Hundscher Regel müssen die beiden letzten Elektronen die entarteten π-

Orbitale einfach (mit parallelem Spin) besetzen → O2 ist ein Diradikal (zwei

ungepaarte Elektronen) und paramagnetisch.

Dieser Befund (exp. bestätigt) wird weder vom Lewis-Modell noch der VB-

Theorie erklärt.

BO = = 28 - 4

2∧ Doppelbindung O O

Page 73: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

73

iii) N2

σ2p*

π*

σ2p

π

σ2s*

σ2s

Wichtige Punkte:

- die Reihenfolge für π- und σ2p - MO's ist

umgekehrt. Grund ist stärkere Wechselwirkungzwischen 2s- und 2p - AO's für Elemente Li →Ν;

- BO = = 38 - 22

Page 74: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

74

ENDE Korrektur 2+ AUSDRUCK

Page 75: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

75

4.3. Chemische Bindung in Festkörpern

Unterhalb ihres Schmelzpunktes erstarren molekulare (kovalente) Verbindungen

zu einem Feststoff; die Anordnung der Moleküle kann hochgeordnet (kristallin)

oder ungeordnet (amorph) sein. Die Moleküle werden durch schwache

chemische Bindungen (Nebenbindungsarten) z.B. van-der-Waals

Wechselwirkungen zusammengehalten → niedrige Schmelz- und Siedepunkte

von chemischen Verbindungen, die aus Molekülen bestehen.

4.3.1 Die metallische Bindung

Rund 4/5 aller chemischen Elemente sind Metalle (bzw. Halbmetalle)

Folie 30

Typische Eigenschaften von Metallen:

metallischer Glanz

leichte Verformbarkeit (Duktilität)

gute elektrische und thermische Leitfähigkeit; elektrische

Leitfähigkeit nimmt mit der Temperatur ab.

höhere Smp. und Sdp. als kovalente Moleküle (Ausnahmen z.B.

Hg)

Diese Eigenschaften sind auf die Besonderheiten der metallischen Bindung

zurückzuführen; Metalle zeigen ihre typischen Eigenschaften auch im

geschmolzenen Zustand; verlieren sie aber beim Übergang in die Gasphase →

Eigenschaften an größere Atomverbände gebunden. Im festen Zustand weisen

Metalle eine hochgeordnete Struktur der Atome auf ≙ kristallin.

Page 76: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

76

Drei Kristallstrukturen sind von Bedeutung, in zweien davon lagern sich die

Metallatome so dicht wie möglich (dichteste Kugelpackungen); in den

Packungen hat jedes Metallatom 12 bzw. 8 direkte Nachbarn. →

Valenzelektronen reichen nicht aus, um alle Nachbaratome „kovalent“ zu

binden:

Valenzelektronen im Metall sind vollständig delokalisiert und können sich frei

bewegen (≙ sog. Elektronengas) → gute elektrische Leitfähigkeit

Folie 31

Metall besteht aus positiven Metallrümpfen und frei beweglichem

Elektronengas. Bei höheren Temperaturen schwingen die Atomrümpfe um ihre

Ruhelagen und behindern die Bewegung der Elektronen → Leitfähigkeit sinkt

mit steigender Temperatur. Zusammenhalt zwischen Metallatomen wird durch

elektrostatische Anziehung zwischen Atomrümpfen und Elektronengas

gewährleistet. Beim Verschieben der Gitterebenen gegeneinander bleiben die

Anziehungskräfte (anders als bei Ionenkristallen!!) erhalten.

Folie 32

Dichteste Kugelpackungen:

in einer Ebene 6 nächste Nachbarn

in jeder Schicht darüber bzw. darunter 3 nächste Nachbarn →

Koordinationszahl 12, Raumfüllung 74 %

Schichtenfolge ABAB... ≙ hexagonal dichteste Packung (hdp)

Schichtenfolge ABCABC... ≙ kubisch dichteste Packung (kdp) Folie 33

Page 77: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

77

Elementarzellen (≙ kleinste Wiederholungseinheit):

• •

• •

0 ½ 1

- hdp

Folie 34

• •

••• •

••

• •

•••

0 ½ 1

- kdp

Folie 35

Lücken: hdp und kdp weisen zwei Sorten von Lücken auf

– oktaedrische (von 6 Atomen umgeben) ≙ OL; es gibt genauso viele OL wie

Gitterplätze

– tetraedrische (von 4 Atomen umgeben) ≙ TL; es gibt doppelt so viele TL

wie Gitterplätze

Folie 36

Page 78: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

78

Kubisch innen(raum)zentrierte Struktur (krz):

Jedes Atom hat nur 8 nächste Nachbarn (Koordinationszahl 8, Raumfüllung

68%) aber 6 „übernächste“ Nachbarn

• •

•••

• •

••0 ½

Folie 37

Auf die drei Typen hdp, kdp, krz entfallen über 80% aller Metalle des

Periodensystems:

Folie 38

Zur Definition einer Elementarzelle benötigt man:

- Kantenlängen a, b, c

- Winkel α, β, γ

Folie 39

besonders wichtig sind:

- kubische Elementarzellen mit a = b = c; α = β = γ = 90°

- hexagonale Elementarzelle mit a = b ≠ c; α = β = 90°, γ = 120°

Metrik

Page 79: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

79

4.3.2 Die ionische Bindung

Ionenverbindungen entstehen bei der Reaktion von typischen Metallen (links im

PSE) mit typischen Nichtmetallen (Halogene Sauerstoff; rechts im PSE) ≙

Salze.

Salze zeigen hohe Sdp und Smp, sind löslich in polaren Solventien (Wasser)

und ihre wässrigen Lösungen sind elektrisch leitend.

Typisches Beispiel NaCl:

Na + •Cl• Na“ + Cl”

Na : [Ne] 3 s1 Na“ : [Ne]- e-

Cl : [Ne] 3 s2 3 p5 + e-Cl” : [Ne] 3 s2 3 p6 = [Ar]^

elementares Na gibt ein Elektron ab → Ne-Konfiguration

elementares Cl nimmt ein Elektron auf → Ar-Konfiguration

Im Salz liegen Na und Cl als Na⊕ bzw. Cl⊖-Ion mit Edelgaskonfiguration vor.

Im Gegensatz zu den hochreaktiven Elementen sind die so gebildeten Ionen

stabil und unreaktiv.

Der Zusammenhalt des ionischen Festkörpers (≙ ionische Bindung) beruht auf

elektrostatischer Anziehung zwischen Kationen und Anionen:

F =1

4 πε0

zKe · zAer2·

F ≙ Anziehungskraft

z ≙ Ladungszahl Kation / Anion

r ≙ Abstand zwischen K und A

Page 80: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

80

Die Anziehungskraft wirkt in jede Raumrichtung gleich. → Kationen bzw.

Anionen umgeben sich mit möglichst vielen Gegenionen → Ausbildung eines

dreidimensionalen hochgeordneten Kristallgitters.

Die Koordinationszahl (KZ ≙ Anzahl nächster Nachbarn) und die Anordnung

dieser „Nachbarn“ um ein gegebenes Ion sind charakteristische Größen für jedes

Kristallgitter.

Abhängig von:

– Zusammensetzung (AK, AK2, A2K, AK3, A3K etc.)

– Größe von A bzw. K (Radienquotient rA/rK)

Folie 40

Es folgt aus geometrischen Überlegungen:

– in einem Salz AnKm verhalten sich die KZ von A und K wie m zu n ≙

KZ A

KZ K=

mn

– die größtmögliche KZ in einem Salz ist 8

(12 kann nicht erreicht werden, da gleich geladene Nachbarn weiter von

einem gegebenen Ion entfernt sein müssen als entgegengesetzt geladene)

Page 81: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

81

Regeln zur Abschätzung von Ionenradien:

– Kationen sind kleiner als Anionen; nur die größten Kationen K+, Rb+, Cs+,

Ba2+ sind größer als das kleinste Anion F-.

– In den Hauptgruppen nimmt der Ionenradius (wie der Atomradius) mit

steigender Ordnungszahl zu:

Be2+ < Mg2+ < Ca2+ < Sr2+ < Ba2+

F- < Cl- < Br - < I-

– Bei Elementen mit mehreren Kationen sinkt der Radius mit steigender

Ladung:

Pb2+ > Pb4+

Einfache Strukturtypen ionischer Verbindungen

i) kubische Elementarzelle, Salze KA:

rK/rA KZ Koordinationspolyeder Typ

> 0.732 8 Würfel CsCl

0.44 bis 0.732 6 Oktaeder NaCl

< 0.44 4 Tetraeder ZnS (Zinkblende)

Bei der Form der Koordinationspolyeder können unter Umständen

Abweichungen auftreten (trigonales Prisma statt Oktaeder), bei der

Koordinationszahl nicht.

Page 82: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

82

CsCl NaCl Sphalerit (Zinkblende, ZnS)

Folie extra

Anionen- und Kationenteilgitter sind identisch

a) Cs Cl-Typ

Cs+ bilden kubisch primitives Teilgitter

Cl- in Würfelmitten

KZCl = 8

aber auch:

Cl- bilden kubisch primitives Teilgitter

Cs+ in Würfelmitten

KZCs = 8

Anionen- und Kationengitter sind identisch.

0 ½ 1 Die Gesamtheit von A- und K-Teilgittern entspricht der krz-Raumstruktur von

Metallen

Page 83: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

83

b) Na Cl-Typ:

Na bildet kdp-Teilgitter

Cl- in allen OL (eine OL pro Gitterplatz → 1:1 Stöchiometrie)

KZCl - = 6

aber auch:

Cl- kdp-Teilgitter

Na+ in allen OL

KZNa+ = 6

0 ½

c) Zinkblende-Typ (Sphalerit ZnS)

Zn2+ kdp – Teilgitter

S2- in ½ TL (zwei TL pro Gitterplatz → 1:1-Stöchiometrie)

KZS2- = 4

aber auch:

S2- kdp - Teilgitter

Zn2+ in ½ TL

KZZn2+ = 4

0 ¼ ½ ¾

Page 84: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

84

ii) kubische Elementarzelle, Salze KA2

rK / rA KZ und Koordinationspolyeder Kation Anion

Strukturtyp

> 0,732 8 Würfel 4 Tetraeder CaF2 (Fluorit) 0,44 bis 0,732 6 Oktaeder 3 Dreieck TiO2 (Rutil)

< 0,44 4 Tetraeder 2 Linear SiO2 (ß-Christobalit)

Ca (kdp)F (kub. prim.)

Ti (tetragonal) Si (Diamantgitter)

O O

Fluorit-Typ Rutil-Typ ß-Christobalit

Folie extra

a) Fluorit-Typ

Ca2+ kdp-Teilgitter

F- in allen TL (kub.primitives Teilgitter)

KZF- = 4

KZCa2+ = 8

0 ¼ ½ ¾

= F -^= Ca2+^

Page 85: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

85

b) Rutil-Typ

Ti4+ krz-Teilgitter (tetragonal verzerrt!)

O2- kdp-Teilgitter (tetragonal verzerrt!)

Ti4+ ist oktaedrisch (KZ = 6) von O2- umgeben

O2- ist trigonal planar (KZ = 3) von Ti4+ umgeben

0 ½

= Ti 4+^

= O 2-^

(manchmal geben Lehrbücher die Packung der O2- als hdp an; die Verzerrung

von hdp ist jedoch so groß, dass die Beschreibung als tetragonal dp zutreffender

ist)

c) β-Christobalit-Typ

Si4+ besetzt alle Gitterplätze der Zinkblende-Struktur

O2- besetzt Si–Si-Verbindungslinien

KZSi4+ = 4, tetraedrisch koordiniert

KZO2- = 2, linear koordiniert

0

= O 2-^= Si 4+^

1/81/4

3/81/2

5/8

3/47/8

Si-Gitterplätze ≙ Diamantstruktur

Page 86: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

86

iii) kubische Elementarzelle, Salze KA3 (nur ReO3-Typ wichtig)

Re6+ kubisch primitives Teilgitter

O2- auf allen Re–Re-Kanten

Re6+ ist oktaedrisch (KZ = 6) von O2- umgeben

O2- ist linear von Re6+ (KZ = 2) umgeben

0 ½

= Re 6+

= O 2-

^

^

Page 87: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

87

iv) hexagonale Elementarzelle, Salze KA

rK/rA KZ Koordinationspolyeder Typ

> 0.732

0.44 bis 0.732 6 Oktaeder/trig. Prisma NiAs

< 0.44 4 Tetraeder ZnS (Wurtzit)

a) NiAs-Typ

As3- hdp-Teilgitter (verzerrt)

Ni3+ in allen OL

As3- trigonal prismatisch von Ni3+ (KZ = 6) koordiniert

0 1/41/2

3/4

= Ni 3+

= As 3-

^

^

Page 88: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

88

b) Wurtzit-Typ (ZnS)

S2- hdp-Teilgitter

Zn2+ in ½ TL (KZ = 4)

aber auch

Zn2+ hdp-Teilgitter

S2- in ½ TL (KZ = 4)

0 3/81/2

7/8

= Zn 2+

= S 2-

^

^

Page 89: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

89

v) Weitere wichtige Strukturtypen

a) Korund-Typ Al2O3

O2- hdp-Teilgitter

Al3+ in 2/3 OL (KZ = 6)

O2- ist verzerrt tetraedrisch von Al-koordiniert (KZ = 4)

Al / O = 2/3 ⇒ KZ Al / KZ O = 3/2 = 6/4!

Folie 40

b) Cd Cl2-Typ

Cl- kdp-Teilgitter

Cd2+ besetzt alle OL in jeder zweiten Schicht

0 ½

= Cl -

= Cd 2+

^

^

1

= unbesetzte OL^

Verwandtschaft zur NaCl-Struktur aber ½ OL bleibt unbesetzt (Stöchiometrie

1:2) → abstoßende Kräfte zwischen Cl - werden nicht überall komprimiert →

Schichtengitter mit leichter Spaltbarkeit

Page 90: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

90

b) Cd I2-Typ

Hexagonales Gegenstück zu CdCl2 →

I- hdp-Teilgitter

Cd2+ alle OL in jeder zweiten Schicht besetzt

0 3/87/8

= I -

= Cd 2+

^

^

d) Spinell-Typ Mg Al2 O4

O2- kdp Teilgitter

Mg2+ in 1/8 TL

Al3+ in ½ OL

O2- ist tetraedrisch vor einem Mg2+ und drei Al3+ koordiniert

wichtiger Strukturtyp für tertiäre (aus 3 Bestandteilen) Oxide

KnK’mO4

Die Kationen K,K’ müssen 8 negative Ladungen kompensieren ⇒

2,3 -Spinelle K2+ K’23+ O4; Zn Al2 O4, Mg Cr2 O4, Fe2+ Fe2

3+ O4

4,2 –Spinelle K4+K’22+ O4; Ge Mg2 O4 usw.

6,1 –Spinelle K6+ K’22+ O4; Mo Na2 O4 usw.

Page 91: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

91

e) Perovskit-Typ CaTiO3

Ti4+ und O2- bilden ein ReO3-Gitter

Ca2+ besetzt die Würfelmitte

Folie 41

O2+ ist linear von Ti4+ koordiniert

Ti2+ ist oktaedrisch von O2- koordiniert

Ca2+ ist von 12 O2- kuboktaedrisch koordiniert

0 ½

= Re 6+

= O 2-

^

^*

* = Ca 2+^

Page 92: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

92

Der Born-Haber Kreisprozess

Thermodynamische Betrachtung der Bildung eines Salzes aus den Elementen;

Bsp.: NaCl

Page 93: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

93

Für die Standardbildungsenthalphie ΔHB0 gilt:

ΔHB0 = ΔHS

0 + ½ ΔHD0 + I + Eea + Ug

exotherme Beiträge:

– Bildung von NaCl; ΔHB0 = -411 kJ/mol

– Anlagerung von e - an Cl¸ Eea = -349 kJ/mol (Elektronenaffinität)

endotherme Beiträge:

– Sublimation Na; ΔHS0 = 108 kJ/mol

– Dissoziation von Cl2 in zwei Cl – Atome ½ ΔHD0 = 121 kJ/mol

– Ionisierung von Na(g) zu Na(g)+ ; I = 496 kJ/mol

⇒ - 411 = 108 + 121 + 496 - 349 + Ug

Ug = -787 kJ/mol

Die Bildung des NaCl-Gitters aus Na(g)+ und Cl(g)

- -Ionen ist stark exotherm.

Anwendung des Born-Haber Kreisprozesses:

– Berechnung von Gitterenergien

– Bestimmung von Elektronenaffinitäten

– Abschätzung der Stabilität hypothetischer Salze

Bsp.: NeCl:

ΔHB0 = ΔHS

0 + ½ ΔHD0 + I + Eea + Ug

ΔHB0 = 0 + 121 + 2084 - 349 + Ug = 1856 + Ug

Die äußerst hohe Ionisierungsenergie von Ne verhindert, dass ΔHB0 negative

Werte annehmen kann ⇒ NeCl ist nicht stabil

Page 94: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

94

Zintl-Phasen und kovalente Festkörper

a) Hochgeordnete Festkörperstrukturen, die ausschließlich von kovalenten

Bindungen zusammengehalten werden sind vor allem von einigen

Elementmodifikationen bekannt:

i) Kohlenstoff

– Diamantstruktur (Si, Ge, α-Sn)

von jedem C gehen 4 kovalente Bindungen ideal tetraedrisch zu den

nächsten Nachbarn aus ⇒ Zinkblende-Typ (Zn 2+- und S 2- Plätze

von C besetzt)

– Graphit

planare Schichten von C6-Ringen („Benzol“)

π-Elektronen in den Schichten delokalisiert → elektrische Leitfähigkeit

großer Abstand zwischen den Schichten (keine kovalenten Bindungen) →

Isolator senkrecht zu den Schichten, leichte Spaltbarkeit.

Folie 42

Page 95: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

95

ii) graues As (Pb, Sb, Bi)

jedes As bildet 3 kovalente Bindungen zu Nachbaratomen aus und weist

außerdem ein freies Elektronenpaar auf (am Atom lokalisiert) ⇒

– Schichten von gewellten σ-Ringen

– keine kovalente Bindung zwischen den Schichten

– keine Leitfähigkeit in den Schichten

Folie 43

b) Kombination von elektropositiven HG-Elementen (1. und 2. HG) mit HG-

Halbmetallen (Tl, Si, Ge, Se etc.) führt oft zu Zintl-Phasen.

Aufbauprinzip:

– elektropositives Element gibt seine Valenzelektronen an Halbmetall ab (wird

selber zum Kation)

– Halbmetall bildet eine anionische, kovalente Festkörperstruktur

– Struktur wie isoelektronisches HG-Element

– Kationen besetzen Lücken / Freiräume im anionischen Gitter

Bsp.: NaTl:

– NaTl ≙ Na+ Tl–

– Tl– ist isoelektronisch zu Pb (4Valenzelektronen, 4. HG)

– Na+ besetzt alle OL und ½ TL im Diamantgitter ⇒

1:1 Stöchiometrie Folie 44

Page 96: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

96

5. Die chemische Reaktion

In den Kapiteln 1-4 wurden atomare Bausteine, Atome, Moleküle und

Festkörper behandelt (≙ chemische Stoffe).

Jetzt werden stoffliche Veränderungen (≙ lösen oder schließen chemischer bzw.

physikalischer Bindungen) betrachtet.

Wichtig sind dabei:

– Richtung und Ausmaß der stofflichen Veränderung (≙ Thermodynamik)

– Geschwindigkeit der Veränderung (≙ Kinetik)

5.1. Allgemeine Reaktionsbegriffe

– Stoffmenge n, Einheit mol ≙ Anzahl gleichartiger Teilchen (Atome,

Moleküle, Ionen) aus denen ein Stoff besteht

Def.: 12 g 12C enthalten 1 mol Atome

1 mol ≙ 6.02217 ⋅ 1023 Avogadro-Konstante NA

Bei chemischen Reaktionen ist die Teilchenanzahl besonders wichtig ⇒

vorzugsweise mit Stoffmengen (n) und nicht mit Masse (m) rechnen.

Page 97: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

97

– Molare Masse M, Einheit g/mol ≙ molare Masse eines Stoffes X

M(X) =m (X)n (X)

Quotient aus Masse (m) und Stoffmenge (n)

Bsp.: M (12C) = 12 g/mol

M (Na) = 22.99 g/mol; M (Cl) = 35.45 g/mol

M (NaCl) = 58.44 g/mol

– Stoffmengenkonzentration (kurz Konzentration) c, Einheit mol/l

c (X) =n (X)

VStoffmenge pro Volumen =^

– Beschreibung einer chemischen Reaktion

aA + bB → c C

A, B, C ≙ Reaktanden; A, B ≙ Edukte und C Produkt

a, b, c, ≙ stöchiometrische Koeffizienten

Bsp.: 2 H2 + O2 → 2 H2O

Page 98: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

98

Aussagen:

– H2 reagiert mit O2 zu Wasser

– ein Wassermolekül besteht aus 2 H- und einem O-Atom

– 2 mol H2 (4.032g) und ein mol O2 (31.999 g) bilden 2 mol Wasser

(36.031 g) ⇒ Erhaltung der Masse

vergleiche Kernreaktionen! E = mc2

– Energieumsatz einer chemischen Reaktion

2 H2 + O2 → 2 H2O + Energie

Reaktion von H2 mit O2 verläuft spontan

unter Wärmeentwicklung (Energieabgabe)

Energie + 2 H2O → 2 H2 + O2

Die umgekehrte Reaktion (Spaltung von

H2O in H2 und O2) erfordert Energie

⇒ Energiegehalt von Edukten (HE) und

Produkten HP) ist unterschiedlich

es gilt für E → P

i) HE > HP, ΔH = HP – HE < 0

⇒ die Reaktion setzt Energie (in Form von

Wärme) frei ≙ exotherm

ii) HE < HP, ΔH = HP –HE > 0

⇒ die Reaktion verbraucht Energie ≙

endotherm

Page 99: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

99

Bsp.: (1) 2 H2 + O2 → 2 H2O; ΔH = - 572.04 kJ/mol

(2) 2 H2O → 2 H2 + O2; ΔH = 572.04 kJ/mol

ΔH ≙ allgemeine Reaktionsenthalpie oder Reaktionswärme

für (1): Bildungsenthalphie von H2O aus den Elementen

für (2): Spaltungsenthalpie von H2O in die Elemente

Folie 45

H ist abhängig vom Druck (p) und Temperatur (T) ⇒ Standardbedingungen

definieren um zu vergleichbaren Zahlenwerten zu kommen.

– T = 25 °C = 298 K (Raumtemperatur)

– p = 1 atm = 1.013 bar (Normaldruck)

Definition (willkürlicher Nullpunkt): die stabilste Form eines Elements

(Graphit für C, nicht Diamant) hat unter Standardbedingungen die Enthalpie 0.

Standardbildungsenthalpie eines Elements (stabilste Modifikation!) ≙ ΔHB0 = 0

Folie 46

ΔHB0(CO2) = -394 kJ/mol

Standardbildungsenthalpie einer Verbindung ist die Reaktionsenthalpie, die bei

der Bildung von 1 mol der Verbindung aus den Elementen auftritt (alles unter

Standardbedingungen).

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100

Anwendungen:

– Berechnen von Reaktionsenthalpien

Fe2O3 (s) + 3 CO (g) → 2 Fe (s) + 3 CO2 (g)

ΔH0 = 3 ΔHB0 (CO2) + 2 ΔHB

0 (Fe) – (ΔHB0 (Fe2O3) + 3 ΔHB

0 (CO))

∑ΔH0 (Produkte) – ∑ΔH0 (Edukte)

ΔH0 = 3 (-393.8) + 2 (0) – (-824,8) - 3 (-110.6)

ΔH0 = -24.8 kJ/mol

– Berechnung von Dissoziationsenergie (Bindungsenergie)

HCl ½ H2 + ½ Cl2 H + Cl1 2

3

1 ≙ Umkehrung der Bildung von HCl aus den Elementen H2 und Cl2

ΔH10 = - ΔHB

0 (HCl) = - (-92) = + 92

2 ≙ Bildungsenthalpien von H- und Cl-Atomen aus den Elementen H2 und

Cl2 ;

ΔHB0 (H) = 218

23 1= + = 92 + 218 + 122 = 432 kJ/mol = ED (HCl)

Dissoziationsenergie von HCl

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101

5.2. Die Gibbs-Helmholtz-Gleichung

Eine fundamentale Frage in der Chemie lautet:

Können zwei Stoffe miteinander reagieren, d.h. läuft eine Reaktion

A + B → C (Bildung von C aus A und B) freiwillig ab,

oder ist ihre Umkehr

C → A + B (Zerfall von A in B) bevorzugt?

ΔG = ΔH – TΔS Gibbs-Helmholtz Gleichung

ΔG ≙ freie Enthalpie

ΔH ≙ Reaktionsenthalpie

ΔS ≙ Entropie („Unordnungsfunktion“)

anschauliche Beschreibung: ein Stoff enthält umso mehr Entropie, je mehr

Anordnungsmöglichkeiten es für seine Bestandteile gibt.

Bsp.: – Kristall bei 0 K; alle Teilchen auf festen Gitterplätzen, keine

Schwingung ΔS = 0

– Stoff geht in die Gasphase, alle Teilchen können sich frei und

ungeordnet bewegen ΔS = max

Page 102: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

102

Veränderung von ΔS lässt sich über Teilchenzahl abschätzen:

[Ni(H2O)6]2+ + 6 NH3 → [Ni(NH3)6]2+ + 6 H2O

7 Teilchen 7 Teilchen

Verdrängung von 6 H2O-Liganden in einem Ni-Komplex durch 6 NH3-

Liganden;

Teilchenzahl Edukt = Teilchenzahl Produkt ⇒ keine Entropieänderung

[Ni(H2O)6]2+ + 3 „en“ → [Ni(en)3]2+ + 6 H2O

4 Teilchen 7 Teilchen

Verdrängung von 6 H2O-Liganden durch 3 „en“-Liganden;

Teilchenzahl Produkte > Teilchenzahl Edukte ⇒ Entropie nimmt zu

(Chelateffekt bei Komplexen)

CH2 CH2

NH2H2Nen = Ethylendiamin

Reaktionen die Wärme freisetzen, verlaufen exotherm, ΔH < 0

(umgekehrt ΔH > 0 → endotherm)

analog:

ΔS < 0 exotrop, ΔS > 0 endotrop

ΔG < 0 exergonisch, ΔG > 0 endergonisch

Reaktionen für die gilt ΔG < 0 laufen freiwillig ab. (≙ haben Triebkraft).

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103

Fallbeispiele: ΔG = ΔH - T ΔS

eine Reaktion verläuft:

– exotherm und endotrop ⇒ ΔG ist immer negativ, Reaktion hat Triebkraft

– endotherm / exotrop ⇒ ΔG > 0 ⇒ keine Triebkraft

– exotherm / exotrop ⇒ für kleine T (niedrige Temperatur) gilt

|ΔH| > |T ΔS| ⇒ ΔG < 0 ⇒ Triebkraft

– für hohe Temperaturen wird |T ΔS| > |ΔH| ⇒ ΔG > 0 ⇒ keine Triebkraft

– endothern / endotrop ⇒ umgekehrte Temperaturabhängigkeit

5.3. Das Chemische Gleichgewicht

Bis jetzt wurde davon ausgegangen, dass chemische Reaktionen

A → B

irreversibel von links nach rechts verlaufen. Für viele chemische Reaktionen ist

aber auch die Rückreaktion möglich

A ⇆ B

es herrscht also ein Gleichgewicht.

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104

Bsp.: HI 9.46 kJ + 2 HI ⇆ H2 + I2

HI ist ein bei Raumtemperatur farbloses Gas, das beim Erwärmen auf 180 °C in

H2 und I2 (violette Dämpfe zerfällt).

Beim Abkühlen des H2/I2 –Gemisches bildet sich HI zurück.

– Zerfallsgeschwindigkeit von HI (rZ):

rZ = kZ C2HI ⇒ Geschwindigkeit ∼ Konzentration

rZ ist proportional der HI-Konzentration (genauer C2HI);

kZ ≙ Proportionalitätsfaktor (Geschwindigkeitskonstante)

– Bildungsgeschwindigkeit von HI (rB):

rB = kB CH2 ⋅ CI2

Im Gleichgewichtszustand gilt:

rZ = rB ⇒ kZC2HI = kB CH2 CI2

C2HI

CH · CI2 2

=kB

kZKC=⇒

KC ≙ Massenwirkungskonstante

KC ist abhängig von der Temperatur; für HI / H2, I2 beobachtet man:

1) T < 180 °C: 100% HI kein statischer Zustand! Im GG ist die Anzahl

2) T = 300 °C: 81% HI sich bildender und zerfallender HI-Moleküle

3) T = 1000 °C 67% HI gleich groß geworden.

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105

Kinetische Deutung des MWG:

– Hinreaktion schneller als Rückreaktion → großer Wert für KC (>1)→

Gleichgewicht liegt auf Seiten der Produkte (CProdukte >> CEdukte)

Anwendung des MWG:

– Beim Erhitzen von 2.94 mol I2 und 8.10 mol H2 entstehen in einer

Gleichgewichtsreaktion

I2 + H2 ⇆ 2 HI

5.64 mol HI; wie groß ist KC ?

C2HI

CH · CI2 2KC =

CHI = 5.64 mol

CI2 = 2.94 - ½ ⋅ 5.64 mol

CH2 = 8.10 - ½ ⋅ 5.64 mol

K =5.642

(8.10 - ½ · 5.64) · (2.94 - ½ · 5.64)= 50.20

GG-Konzentrationen!

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106

– Für die Dissoziation von Essigsäure in Protonen und Acetationen

CH3CO2H ⇆ CH3CO2- + H+

beträgt KC = 10-5 (bei Raumtemperatur);

wie groß ist die Protonenkonzentration, wenn in 1l H2O 0.1 mol Essigsäure

gelöst wird?

3 2

KC =CH · CCH CO -3 2

CCH CO H

+

– CH+ = CCH3CO2- ; Essigsäure dissoziiert in gleich viele H+ und CH3CO2- -

Ionen.

im GG-Zustand ist CCH CO H =3 2 0.1 - CH

moll

⇒ KC =CH 2

0.1 - CH= 10-5 ⇒ CH = 10-3 mol/l+

+

+

+

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107

Das Prinzip von Le Chatelier

„Übt man auf ein System, das im Gleichgewicht ist, Zwang aus, so stellt sich ein

neues Gleichgewicht ein, bei dem dieser Zwang vermindert ist“

(System weicht Zwang aus – Prinzip des kleinsten Zwangs)

Zwang ≙ Änderung von – Konzentration

– Druck

– Temperatur

Beispiele:

i) SO2 + ½ O2 ⇆ SO3

SO3 ist von technischer Bedeutung für die H2SO4-Produktion → hohe

Ausbeute an SO3 nötig

KC = CSO3

CSO · CO21/2 bzw. KCCO

1/2

2 =CSO

2

3

CSO2

O2-Konzentration erhöhen → SO3-Konzentration (Reaktionsumsatz) steigt.

Zwang ausüben durch Erhöhung der Edukt-Konzentration.

System weicht aus durch erhöhte Bildung von Produkt.

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108

ii) technisch wichtige Ammoniak-Synthese

3 H2 + N2 ⇆ 2 NH3 ΔH0 = –92 kJ/mol

Die Bildung von NH3 aus den Elementen erfolgt exotherm

(Wärmeentwicklung). Wollte man den Umsatz durch Zufuhr von Wärme

steigern, würde das System dem Zwang (Wärme) dadurch ausweichen, das es

Wärme verbraucht → Spaltung von NH3 in Edukte.

Bildung von NH3 verläuft unter Volumenverringerung (4 gasförmige Teilchen

→ 2 gasförmige Teilchen) → Synthese unter hohem Druck, System weicht

Zwang durch Volumenabnahme aus → erhöhte NH3-Bildung.

Folie 47

iii) C + CO2 ⇆ 2 CO ΔH0 = +173 kJ/mol

Boudouard–Gleichgewicht; große technische Bedeutung für den

Hochofenprozess (Eisengewinnung)

– CO-Bildung ist endotherm → Zufuhr von Wärme erhöht die CO-Bildung

– Reaktion verläuft unter Volumenzunahme → Erhöhung des Drucks fördert

den Zerfall von CO in die Edukte

Folie 47

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109

Die Aktivierungsenergie

für die Reaktionen

H2 + ½ O2 ⇆ H2O (1)

bzw. ½ H2 + ½ Cl2 ⇆ HCl (2)

liegen die Gleichgewichte ganz auf der rechten Seite;

H2/O2 – bzw. H2/Cl-Gemische reagieren jedoch nicht spontan zu den Produkten

→ Zufuhr von Aktivierungsenergie (Wärme, Licht, elektrische Entladung etc.)

nötig Folie 48

Knallgas (1) bzw. Chlorknallgas (2) sind so genannte metastabile ≙ kinetisch

gehemmte Systeme.

– Mechanismus der Chlorknallgasreaktion (Kettenreaktion):

Cl2 → 2 Cl⋅ Startreaktion (benötigt Energie)

Cl⋅ + H2 → HCl + H⋅

H⋅ + Cl2 → HCl + Cl⋅

Cl⋅ + H⋅ → HCl

Cl⋅ + Cl⋅ → Cl2

H⋅ + H⋅ → H2

Kettenfortpflanzung

Kettenabbruch

Page 110: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

110

Die Kettenfortpflanzung verläuft sehr rasch (Bildung von 106 HCl–Molekülen

bevor Kette abbricht; freiwerdende Wärme kann nicht schnell genug abgeführt

werden → noch mehr Ketten werden gestartet → Explosion

Einfluss von Katalysatoren auf die Aktivierungsenergie:

Folie 49

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111

5.4. Säure-Base-Reaktionen Wasser als Solvens

Assoziation über Wasserstoffbrücken aber ungeordneter als im Kristall.

Konsequenz der H-Brücken sind relativ hohe Smp. bzw. Sdp.

(Verdampfungsenthalpie siehe unten). Beim Schmelzen bricht die kristalline

Packung der H2O-Moleküle zusammen und in der flüssigen Phase können sich

die Moleküle dichter packen → “Anomalie“ des Wassers (≙ Eis hat geringere

Dichte ρ = 0,92 gcm-3 als Wasser ρ = 1 gcm-3, schwimmt oben)

Die Stärke einer H-Brückenbindung in Eis/Wasser beträgt 25 kJ/mol (relativ

schwach).

O

H

H O

H

H

O

H

H

H O

H

H

Die Moleküle lagern sich rasch um; die Lebensdauer eines gegebenen H2O-

Moleküls beträgt ca. 10-12 sec.

Eigendissoziation:

2 H2O ⇄ [H3O]+ + [OH]-

Kw =C(H3O

+) · C(OH-)

C2(H2O)~ C(H3O

+) · C(OH-) = 1.0 · 10-14 mol2 l-2

Ionenprodukt des Wassers

Die GG-Konstante ist sehr klein → GG liegt links, Wasser ist nur zu geringem

Teil dissoziiert.

Page 112: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

112

Freie Protonen kommen in H2O nicht vor sondern sind immer solvatisiert. Auch

die Beschreibung als Hydroxoniumion H3O+ ist streng genommen unzureichend,

da weiter hydratisierte Spezies wie [H5O2]+, [H7O3]+ und [H9O4]+ vorliegen.

(auch OH- hydratisiert, nicht frei).

Molarität von Wasser:

Dichte ρ = 1 g cm-3

→ 1000 cm3 H2O wiegen 1000 g

Mw H2O = 18 g mol-1

1000 g18 gmol-1 = 55.55 mol (H2O-Moleküle in 1 l Wasser)

Säure – Base Definitionen (Auswahl)

1648 Glauber Säure + Alkali → Salz

Alkali ≙ Hydroxid bzw. Carbonat von Natrium und

Kalium

1663 Boyle Säuren haben sauren Geschmack und färben Lackmus.

1777 Lavoisier Sauerstoff ist das “saure Prinzip“ eines Stoffes und

notwendiger Bestandteil jeder Säure.

1815 Davey, Dulong Wasserstoff ist der notwendige Bestandteil jeder Säure.

Säure + Base → Salz + Wasser

Page 113: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

113

1838 Liebig Eine Säure ist eine Verbindung, in der ein

Wasserstoffatom durch ein Metall ersetzt werden kann.

1887 Arrhenius Eine Säure ist eine Wasserstoff-haltige Substanz, die in

Wasser in Protonen und Anionen dissoziiert.

Eine Base ist eine Hydroxyl-haltige Substanz, die in

Wasser in Hydroxydionen und Kationen dissoziiert.

Zusatz: eine Lösung die überschüssige Protonen enthält ist

sauer (überschüssige Hydroxylionen → basisch); eine

Lösung mit gleichen Anteilen H+ und OH- ist neutral.

→ erste quantitative Definition von Säure–Base Verhalten

1923 Brönstedt-Lowry Säuren sind H+ Spender,

Basen sind H--Akzeptoren.

(Allgemeiner als Arrhenius, Wasser nicht mehr einziges Solvens)

1923 Lewis Säuren sind Elektronenpaar-Akzeptoren,

Basen sind Elektronenpaar-Spender.

1939 Usanovich Eine Säure ist eine chemische Spezies, die mit Basen

reagiert, Kationen abspaltet oder Anionen bzw.

Elektronen aufnimmt.

Versuch der Verallgemeinerung. Die Definition beinhaltet nicht nur

Brönsted/Lewis Definition sondern auch Redoxchemie.

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114

Generelle Definition

Acidität ist die positive Eigenschaft einer Spezies, die durch Reaktion mit einer

Base vermindert wird.

Basizität ist die negative Eigenschaft einer Spezies, die durch Reaktion mit

einer Säure vermindert wird.

Brönsted Säuren und Basen

A1 ⇄ B1 + H+ (1)

Nach Definition ist A1 eine Säure, die ein Proton unter Bildung von B1 abgibt.

Im Fall der Rückreaktion (GG) nimmt B1 das Proton auf und reagiert zu A1

zurück, ist also eine Base.

A1/B1 bilden eine konjugiertes Säure-Base Paar; zu jeder Säure gibt es genau

eine konjugierte Base und umgekehrt.

Bei allen Reaktionen in einem Medium hat Gleichung 1 lediglich fiktiven

Charakter, da freie H+ hier nicht existent sind. Es muss einen Reaktionspartner

geben, der H+ aufnimmt, d.h. als Base reagiert.

H+ + B2 ⇄ A2 (2)

Durch Aufnahme von H+ reagiert B2 zur konjugierten Säure A2.

Page 115: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

115

Kombination von (1) und (2) liefert die vollständige Säure-Basen Reaktion

A1 ⇄ B1 + H+ (1)

H+ + B2 ⇄ A2 (2)

A1 + B2 ⇄ B1 + A2 (3)

In der Gesamtgleichung (3) taucht die fiktive H+-Konzentration nicht mehr auf

→ MWG kann angewendet werden.

K =

CB1 · CA2

CA1 · CB2

Wasser als Solvens / Medium:

A1 ⇄ B1 + H+

H+ + H2O ⇄ H3O+

A1 + H2O ⇄ B1 + H3O+

B1 · H3O+

H2OCCC CK =

A1·

(4)

Beim Arbeiten in verdünnten wässrigen Lösungen (< l molar) kann CH2O (55.55

mol l-1!!) als konstant angenommen werden. Man schreibt auch CH+ für CH3O+

(keine freien H+!!) und Gleichung (4) vereinfacht sich zu

B1 · H+

CC CK =

A1

MWG - Konstante heißt Säurekonstante und ist ein Maßfür die Stärke einer gegebenen Säure

Wann ist A1 besonders stark? Bei großem KA, d.h. bei kleinem CA1, d.h. bei

möglichst vollständiger Dissoziation von A1!

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116

Analoges gilt für die Basenkonstante KB:

H2O ⇄ OH- + H+

H+ + B1 ⇄ A1

H2O + B1 ⇄ A1 + OH-

OH- · A1

CC CK =

B1

B

Auch hier gilt: je stärker B1 dissoziiert ist, umso größer ist KB.

KA und KB eines konjugierten Säure-Base Paares sind voneinander abhängig:

B

CC CK =

ABAK A · OH- · A

CC C

B

H+·= CH+· · COH- = Kw= 10-14 mol2l-2

Ionenprodukt des Wassers

Ist KA bekannt, kann man KB der konjugierten Base ausrechnen nach:

K =

BA

K WK

Bei den in verdünnten Lösungen auftretenden Konzentrationen ist es sinnvoll

pKA- bzw. pKB -Werte einzuführen:

pKA = -log KA; pKB = -log KB; pKW = -log KW = 14 pKA = 14-pKB

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117

Analoges gilt für pH und pOH:

pH = -log CH+ pOH = -log COH-

pH + pOH = pKW = 14

Für reines H2O gilt: H2O ⇄ H+ + OH-

COH- = CH+ = 10-7

bzw. pH = pOH = 7 und pH + pOH = 14

Dissoziiert Säure in Wasser, steigt die H+-Konzentration d.h. pH wird kleiner

als 7.

Dissoziiert Base in Wasser, sinkt die H+-Konzentration d.h. pH wird größer

als 7.

Klassifizierung von Säuren und Basen

Kenntnis der pKA bzw. pKB-Werte erlaubt die Einteilung in 5 Klassen.

Klasse stark mittelstark schwach sehr

schwach

extrem

schw.

pKA-

Bereich

< -1 -1 bis 4 4 bis 10 10 bis 15 > 15

Beispiele HClO4 -9 HF

3.14

CH3CO2H

4.75

H2O2 11.6 NH3 23

HCl -6 H3PO4

2.22

H2SO4 -3 HSO4-

1.92

Page 118: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

118

Aufgabe: analoge Klassifizierung der konjugierten Basen vornehmen.

1. Schritt: konjugierte Base ermitteln → Halbgleichungen aufstellen

HClO4 → H+ + ClO4- etc.

HCl → H+ + Cl-

H2SO4 → H+ + HSO4-

2. Schritt: pKB-Wert ermitteln

pKB (ClO4-) = 14 – (-9) = 23

pKB (Cl-) = 20

pKB (HSO4-) = 17

3. Schritt: Klassifizierung (analoge Bereiche wie Säuren)

extrem schwache Base: pKB > 15

sehr schwach : pKB 10 bis 15

schwach : pKB 4 bis 10

mittelstark : pKB -1 bis 4

stark : pKB < -1

Man erhält folgende Tabelle:

Klasse extrem schw. sehr schwach schwach mittelstark stark

pKB-Bereich > 15 15 - 10 10 bis 4 4 bis -1 < -1

Beispiele ClO4- 23 F- 10.86 CH3CO2

- 9.25 HO2- 2.4 NH2

- -9

Cl- 20 H2PO42- 11.78

HSO4- 17 SO4

2- 12.08

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119

Aufgrund der Abhängigkeit von pKA und pKB gilt:

je stärker eine Säure, desto schwächer ihre konjugierte Base (und umgekehrt).

starke Säure ⎯ extrem schwache Base

mittelstarke Säure ⎯ sehr schwache Base

schwache Säure ⎯ schwache Base

sehr schwache Säure ⎯ mittelstarke Base

extrem schwache Säure ⎯ starke Base

Gründe für die Stärke von Säuren

A ⇄ B + H+ je stärker A dissoziiert ist, umso größer ist die

Konzentration von H+ (GG rechts) umso stärker ist A.

Wann dissoziiert A besonders gut?

1.) hohe Polarität der E-H Bindung

Je stärker die Bindung im Sinne von E-H polarisiert ist, umso leichter

kann H+ übertragen werden. Die Polarität ist abhängig von der Differenz

der Elektronegativitäten von E und H.

→Je elektronegativer E umso stärker ist die Säure E-H. (Gilt streng nur

für den Vergleich von E aus derselben Periode!)

NH3 < H2O < HF

PH3 < H2S < HCl

δ– δ+

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120

2.) Radienverhältnis E/H

Je unterschiedlicher die Radien von E und H sind, umso schlechter

können die Atomorbitale überlappen, umso schwächer wird die E-H

Bindung. H ist sehr klein (rkov = 0.34 pm). → Je größer E umso stärker ist

die Säure E-H

HF < HCl < HBr < HJ

H2O < H2S < H2Se < H2Te

3.) Verhältnisse bei Oxosäuren

Verbindungen vom Typ E-O-H; für E = Metall ist die E-O-Bindung

aufgrund der geringen EN von M stark polar bzw. ionisch → dissoziiert

leicht in H2O → M-OH sind Basen.

Bsp.: NaOH, KOH, Ba(OH)2 etc.

Für E = Nichtmetall mit höherer EN ist die E-O-Bindung kovalent. Je elektronegativer E ist, umso stärker ist die O-H-Bindung im Sinne von O-H

polarisiert → umso stärker ist die Säure E-OH.

HOI < HOBr < HOCl

δ– δ+

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121

Je mehr O-Atome an E gebunden sind, umso höher ist die Gruppen E-N von

EOx → umso stärker ist die Säure OxE-OH.

HOCl < HOClO < HOClO2 < HOClO3

H O Cl H O Cl O H O Cl O H O Cl O

O

O

O

Hypochlorige Chlorige Chlorsäure Perchlorsäure

Säure Säure

Außerdem gibt es für das Perchlorat-AnionClO4- mehr mesomere Grenzformen

als für das Hypochlorit ClO-. Das heißt ClO4- ist stabiler also auch die

schwächere konjugierte Base.

Amphoterie

HSO4- kann sowohl als Säure wie auch als Base reagieren:

HSO4- ⇄ SO4

2- + H+

HSO4- + H+ ⇄ H2SO4

HSO4- ist ein Amphoter;

Page 122: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

122

weitere Beispiele:

H3O+ H2O OH-

+ H+ - H+

NH4+ NH3 NH2

-+ H+ - H+

H3PO4 H2PO4- HPO4

2-+ H+ - H+

H2PO4- HPO4

2 PO43-

+ H+ - H+

pH-Wert Berechnung in wässriger Lösung

A ⇄ B + H+ KA

Für den Fall, dass eine Neutralsäure A in Wasser gelöst wird, sind folgende

Größen bekannt:

nAO : Ausgangsmenge an A

V : Volumen der Lösung (im GG !)

KA und KW

folgende Größen sind unbekannt:

CH+, COH-, CA, CB (alles GG-Konzentrationen!)

Für vier unbekannte Größen muss ein Gleichungssystem mit vier Beziehungen

aufgestellt werden.

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123

KA =(1)CH · CB

CA

(2) KW = CH · COH;

(3) CH = CB + COH Elektroneutralitätsbedingung; wir starten mit einer

neutralen Säure in neutralem H2O. Im GG muss

die Lösung immer noch neutral sein d.h. die Anzahl

Anionen (CB + COH).

neutral im Sinnvon elektrisch neutral !

(4)nAO

V = CAO = CA + CBStoffbilanzgleichung; Stoffmenge AO pro Volumen

liefert die Ausgangskonzentration an Säure CAO

Im GG ist noch undissoziierte Säure (CA) vorhanden.

Aus jedem Molekül dissoziierte Säure wird ein Molekü

konjugierte Base (CB).

von Kationen (CH) ist gleich der Anzahl von

+

+

+ -

-

Aus den Beziehungen (1)-(4) ergibt sich eine Bestimmungsgleichung 3. Grades

für CH (und damit pH):

CH + KACH - (KW + KACAO) · CH - KAKW = 0 (5)3 2

++ +

Um die Gleichung bequemer anzuwenden ist es sinnvoll, Näherungen

einzuführen:

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124

1.) starke Säuren

KA >> KW; für verdünnte Lösung ist CH+ < 1 < KA

→ C3H+ und Glieder mit KW können vernachlässigt werden.

CH+ = CAo

d.h. die H+ - Konzentration im GG entspricht der Ausgangskonzentration an Säure(vollständige Dissoziation)

pH = -logCAo

Beispiele: 0.1m HCl in H2O: pH = 1

0.01m HClO4 in H2O pH = 2

2.) mittelstarke Säuren

KA >> KW → Glieder mit KW fallen weg.

CH+ = -KA

2+ KACAO + KA

4

2

(1)

Diese Näherungsformel lässt sich auch direkt aus dem MWG ableiten;

Bsp. Essigsäure:

CH3CO2H ⇆ CH3CO2- + H+ KA

KA =CH+ · CB

CA

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125

von der eingesetzten Säure ist nur ein Teil dissoziiert; für die Konzentration an

undissoziierter Essigsäure gilt:

CCH 3 2CO H = CA = CAO - CB = CAO - CH+

CB = CH+ wegen Elektroneutralität

= KA =CH+ · CB

CA

CH+

CAO - CH+

2

CH+ + KACH+ - KACAO = 02

pq-Formel → (1)

negative Lösung physikalisch sinnlos

3. Schwache Säuren

KA wird kleiner, Glieder KA

2und

2in (1) können vernachlässigt werdenKA

4

CH+ = KACAO bzw. pH = ½ (pKA - logCAO)

Bsp.: 0.1 m NH4+ -Lsg.; pKA = 9.2

pH = ½ (9.2-1) = 4.1

Page 126: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

126

4.) sehr schwache Säuren

In Gl. (5) kann man KAKW, aber nicht mehr KW neben KACAO vernachlässigen;

Glieder mit KA2 gegen KA streichen →

A0AWH CKKC +=+

5. extrem schwache Säuren

WH KC =+ bzw. pH = 7

Dissoziation von A ist so schwach, dass die Dissoziation von H2O den pH

bestimmt.

Mehrprotonige Säuren

Sie enthalten mehr als ein dissoziierbares H+ pro Molekül,

Bsp.: H2SO4, H3PO4. Die H+ dissoziieren schrittweise, für jeden Schritt ist ein

eigener KA-Wert definiert:

1) H3PO4 ⇆ H+ + H2PO4-

KA1 = CH+ · CH PO2 4

CH PO3 4

= 7.5 · 10-3; pKA1 = 2.22

→ mittelstarke Säure

Page 127: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

127

2) H2PO4- ⇆ H+ + HPO4

2-

CH · CHPO4CH PO -2 4

= 6.2 · 10-8; pKA2 = 7.22-+

KA2 =

→schwache Säure

3) HPO42- ⇆ H+ + PO4

3-

KA3 = CH · CPO4

CHPO 4

= 1 · 10-12; pKA3 = 12.03-

2-+

→sehr schwache Säure

Allgemein gilt: KA1 > KA2 > KA3

Page 128: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

128

Pufferlösungen

Die Mischungen von Säuren und ihren konjugierten Basen, sofern diese der

Klasse schwach (ggf. noch mittelstark / sehr schwach) angehören, wirken als

Puffer, d.h. sie halten den pH-Wert bei Zugabe von Säuren/Basen in einem

bestimmten Bereich konstant (physiologische Systeme z.B. Blut).

Wirkungsweise Pufferlösung über MWG erklären; Bsp. Essigsäure:

CH3CO2H ⇆ CH3CO2- + H+

KA = CH · CCH CO3

CCH CO H3= 1.8 · 10-52-

2

+

CH = KA

CCH CO 3

CCH CO H3

2-

2

bzw. pH = pKA + lgCCH CO

3

CCH CO H3

2-

2

(1)+

für ein äquimolares Gemisch aus Säure (CH3CO2H) und konjugierter Base

(CH3CO2-) wird daraus:

pH = pKA = 4.75 für Esssigsäure/Acatatpuffer

Bei Zugabe einer begrenzten Menge H+-Ionen, reagieren diese mit Acetat zu

Essigsäure. Bis zu einem Verhältnis CH3CO2- zu CH3CO2H von 10 zu 1 ändert

sich der pH-Wert nach Gl. (1) jedoch nur um 1.

Folie 50

pH = 4.75 + lg 10 = 5.75

Page 129: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

129

bzw. bei Zugabe von OH- bis zu einem Verhältnis CH3CO2-: CH3CO2H = 0.1

pH = 4.75 + lg 0.1 = 3.75

Hier werden die zugegebenen OH--Ionen durch Reaktion mit Essigsäure zu

Acetat und H2O abgefangen.

Die allgemeine Form von Gl. (1) ist die sog.

HENDERSON – HASSELBALCH GLEICHUNG

pH = pKA + lgCB

CA

Man erkennt, dass der geforderte Pufferbereich durch das Stoffmengenverhältnis

CB/CA eingestellt werden kann. Die größte Pufferkapazität hat jedoch immer ein

äquimolares Gemisch.

Beispiele für Puffer (nur äquimolare Mischungen):

H3PO4 / H2PO4- pH = pKA = 2.22

CH3CO2H / CH3CO2- pH = pKA = 4.75

H2PO4- / HPO4

2- pH = pKA = 7.2

NH4+ / NH3 pH = pKA = 9.25

HPO42- / PO4

3- pH = pKA = 12.3

Page 130: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

130

Fallbeispiel für Pufferwirkung:

0.1 mol Essigsäure und 0.1 mol Acetat in 1l H2O gelöst:

pH = pKA = 4.75

Zugabe von 0.01 mol HCl:

CH3CO2- + HCl → CH3CO2H läuft vollständig ab

in Lösung sind dann 0.11 mol Essigsäure und 0.09 mol Acetat

pH = 4.75 + log

0.090.11

= 4.66

ohne Puffer: pH-Wert einer 0.01 m HCl-Lösung in H2O

pH = -log CA0 = -log 10-2 = 2 !

Indikatoren

Säure-Base Indikatoren sind organische Säure-Base Paare, bei denen die

Indikatorsäure eine andere Farbe hat als die konjugierte Indikatorbase.

Indikator Säure-Base GG:

Ind H ⇆ Ind- + H+

Indikator- Indikator-

säure base

Indikatoren sind generell schwache Säuren/Basen und werden bei Titrationen

nur in sehr geringen Mengen zugegeben, um die eigentliche Titration nicht zu

verfälschen.

Es sind Indikatoren bekannt, die in verschiedene pH-Bereiche umschlagen: Folie 51

Page 131: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

131

Indikatoren können gemischt werden und zeigen so mehrere Umschlagbereiche

→ Universalindikatorpapier

Säure – Base Indikatoren

Methylorange

Na-Salz der p-Dimethylaminoazobenzolsulfonsäure

Phenolphthalein

C

NaO O

CO2Na

farblos

C

NaO ONa

CO2NaOH

rot

-NaOH

+NaOH

SO3-

N

N

NCH3H3C

gelborange

SO3-

N

N

NCH3H3C

H

rot

- H“

+ H“

Page 132: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

132

1. Beispiel: starke Säure / starke Base

100 ml 0.1m HCl mit 1m NaOH titrieren

0

1

7

14

5 ml 10 ml 15 ml 20 ml

••

Verbrauch NaOH in ml

pH

1) Startpunkt; pH = -logCA0 = -log 10-1 = 1

2) 5 ml NaOH; 5 ml 1m NaOH enthalten 5 mmol OH--Ionen

→ 50% der H+-Ionen sind neutralisiert

pH = -log 0.5 · 10-1 = 1.3 (die Volumenvergrößerung

auf 105 ml wurde vernachlässigt)

3) 9 ml NaOH 90% der H+-Ionen sind neutralisiert

pH = -log 10-2 = 2

4) Äquivalenzpunkt; alle H+-Ionen aus der vorgelegten HCl sind

neutralisiert

pH = ½ pKW = 7 Neutralpunkt

5) 20 ml NaOH; unter Vernachlässigung der Volumenvergrößerung

liegt jetzt eine 0.1 m NaOH-Lösung vor.

pOH = -logCB0 = -log 10-1 = 1

pH = 14 – pOH = 13

Page 133: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

133

2. Beispiel: schwache Säure / starke Base

100 ml 0.1m CH3CO2H mit 1m NaOH

0

1

7

14

5 ml 10 ml 15 ml 20 ml

••

Verbrauch NaOH in ml

pH

1 ) Anfangspunkt: pH = ½ (pKA – logCA0) = ½ (4.75 – log10-1) = 2.88

2) 5 ml NaOH: 50% CH3CO2H zu CH3CO2- umgesetzt

→ äquimolares Puffergemisch,

pH = pKA = 4.75

3) 9 ml NaOH: 90% CH3CO2H zu CH3CO2- umgesetzt

Puffergemisch mit CCH3CO2H = 1 · 10-2 mol/l

CCH3CO2- = 9 · 10-2 mol/l

pH = pKA + log

9 · 10 - 2

1 · 10 - 2 = 5.70

4) 10 ml NaOH: Äquivalenzpunkt, 0.1m CH3CO2- -Lösung

pOH = ½ (pKB – log CB0) = ½ (9.25 – log 10-1) = 5.13

pH = 14 – pOH = 8.78 ≠ Neutralpunkt !

Page 134: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

134

Lewis Säuren und Basen

Lewis Säuren (e-Paarakzeptoren) sind Teilchen (Atome Moleküle, Ionen) mit

unbesetzten Orbitalen in der Valenzelektronenschale, die unter Bildung einer

kovalenten Bindung ein Elektronenpaar aufnehmen können.

1) Moleküle mit Zentralatomen der Gruppe 13 (B, Al, Ga, In, Tl);

diese Elemente haben 1 Valenzorbital mehr als Valenzelektronen.

2) Moleküle mit Zentralatomen, die die Oktettregel verletzen können

(3. Periode und höher).

3) Moleküle mit Metallatomen oder Metallkationen als Zentralatom.

Lewisbasen sind Teilchen (Atome, Moleküle, Ionen) die ein freies

Elektronenpaar besitzen, das zur Ausbildung einer kovalenten Bindung geeignet

ist (e-Paardonatoren)

Beispiele für Lewis-Säure-Base Reaktionen:

+ F BF

FF

F ”

B

F

FF

-

BMe3 + NMe3 Me B NMe

MeMe

Me

Me

Page 135: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

135

SiF4 + 2 F- SiF

F

F

F

F

F

2-

Cu2+ + 4 NH3 → [Cu(NH3)4]2+

Ni + 4 CO → [Ni(CO)4]

Pearson-Konzept 1963

Qualitativ-empirisches Konzept zur Klassifizierung von Lewis Säuren/Basen

→ Unterscheidung zwischen “harten” und “weichen” Säuren/Basen (HSAB ≙

hard/soft acid/base).

Dabei nimmt die Härte mit abnehmender Größe, kleinerer Polarisierbarkeit und

zunehmender Ladung zu.

Addukte aus harten Säuren/harten Basen bzw. weichen Säuren/weichen Basen

sind besonders stabil.

Beispiele: [Al F6]3- ist stabiler als [Al I6]3-

hart/hart hart/weich

aber [Hg I4]2 ist stabiler als [Hg F4]2-

weich/weich weich/hart

Page 136: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

136

5.5. Redox-Reaktionen

Vorbemerkungen und Definitionen

Neben dem Säure-Base Begriff kommt den Redox-Reaktionen zentrale

Bedeutung in der Chemie zu.

Definition: Oxidation: Elektronenabgabe

Reduktion: Elektronenaufnahme

Teilchen (Atome, Moleküle, Ionen) die während der Reaktion Elektronen

aufnehmen, heißen Oxidationsmittel(Ox); analog heißen Teilchen die

Elektronen abgeben Reduktionsmittel (Rd). Ox werden also selber reduziert,

und Rd oxidiert.

Ox1 + e- ⇆ Rd1 (1) Redoxhalbgleichung

Die Halbgleichung (1) ist fiktiv, da freie e- nicht vorkommen. Zur

Vervollständigung einer realen chemischen Redox-Gleichung brauchen wir e-

Lieferanten (Rd)

Rd2 ⇆ Ox2 + e- (2)

Kombination von (1)/(2) liefert:

Ox1 + Rd2 → Rd1 + Ox2 (3)

In Analogie zum Säure/Base Begriff sind an der realen Redoxreaktion (3) zwei

korrespondierende Redox-Paare beteiligt.

Page 137: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

137

Oxidationszahlen

Um die Frage beantworten zu können, wie viele Elektronen bei einer

Redoxreaktion übertragen werden, muss man die Oxidationszahl der beteiligten

Teilchen kennen.

- einfacher Fall: bei Ionen entspricht die Oxidationszahl der Ionenladung, bei

Elementen ist die Oxidationszahl 0.

Beispiel: Zn2+ ≙ Zn (+II)

Cl- ≙ Cl (-I)

Zn0 ⇆ Zn2+ + 2 e-

Cl20 + 2 e ⇆ 2 Cl-

Zn + Cl2 ⇆ ZnCl2

- komplizierter: bei kovalenten Molekülen muss man die Oxidationszahlen

der beteiligten Atome durch “heterolytische Bindungsspal-

tung“ bestimmen; dabei werden die bindenden Elektronen

dem elektronegativen Partner zugeteilt. Bei Bindungen zwi-

schen gleichen Atomen werden die Elektronen gleichmäßig

verteilt.

Page 138: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

138

Erstellung von komplizierten Teilgleichungen:

Beispiel: MnO4– → Mn2+ Reduktion von Permanganat in saurer Lösung

1. Oxidationszahl ermitteln

2. Anzahl der übertragenen Elektronen bestimmen

3. Ladungs- und Stoffbilanz ausgleichen;

- in saurer Lösung durch Zufügen von H+ / H2O

- in alkalischer Lösung durch OH– / H2O

+7 MnO4

– + 5e– + 8 H+ → Mn2+ + 4 H2O +5 –3 NO3

– → NH3 Reduktion von Nitrat in alkalischer Lösung

+5 -3 NO3

– + 8e– + 6 H2O → NH3 + 9 OH–

+4 +6 SO3

2– → SO42– Oxidation von Sulfit in saurer Lösung

+4 +6 SO3

2– + H2O → SO42– + 2e– + 2 H+

Page 139: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

139

Erstellen komplizierter Gesamtgleichung:

Bei Kenntnis der Redox-Teilgleichungen muss man nur noch die

Elektronenbilanz beachten (zum kleinsten gemeinsamen Vielfachen erweitern).

Reduktion von Permanganat mit Sulfit in saurer Lösung:

+7 MnO4

- + 5e- + 8 H+ → Mn2+ + 4 H2O / x 2 +4 +6 SO3

2- + H2O → SO42- + 2e- + 2 H+ /x 5

2 MnO4- + 5 SO3

2- + 16 H+ + 5 H2O → 2 Mn2+ + 5 SO42- + 8 H2O + 10 H+

gekürzt → 2 MnO4- + 5 SO3

2- + 6 H+ → 2 Mn2+ + 5 SO42- + 3 H2O

Disproportionierung, Komproportionierung

Redoxreaktionen bei denen Rd und Ox Verbindungen desselben Elements sind;

Disproportionierung vor Br2 bzw. H2O2

0 +5 -1 3 Br2 + 6 OH- → BrO3

- + 5 Br- + 3 H2O

-1 0 -2 2 H2O2 → O2 + 2 H2O Komproportionierung von Permanganat und Mn2+ in alkalischer Lösung zu

Braunstein.

+7 +4 2 MnO4

- + 3 Mn2+ + 4 OH- → 5 MnO2 + 2 H2O

Page 140: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

140

Elektrochemische Behandlung des Redoxbegriffs

In Analogie zum pks-Wert in der Säure-Base Chemie kann man in der

Elektrochemie die Stärke eines Oxidationsmittels quantitativ durch das

sogenannte Standardpotential ausdrücken

Messung von Potentialen, das Daniell-Element

Cu2+ + Zn → Cu + Zn2+ (1)

Folie 52

Hier wird experimentell die Redoxgesamtgleichung (1) in ihre zwei

Halbreaktionen zerlegt.

links: Zn0 → Zn2+ + 2e-

rechts: Cu2+ + 2e- → Cu0

Die poröse Tonwand verhindert das Durchmischen der Lösungen (sonst

Abscheiden von Cu2+ auf Zn0, Folie 53

erlaubt aber den Durchtritt von SO42--Ionen zum Ladungsausgleich.

Wenn die chemische Reaktion in Gl. (1) abläuft:

– geht an der Anode (⊝-Pol) Zn0 als Zn2+ in Lösung. (wird oxidiert)

– scheidet sich an der Kathode Cu2+ als Cu0 ab. (wird reduziert)

– diffundieren SO42--Ionen von rechts nach links.

– fließt Strom (Elektronen) von links nach rechts

Page 141: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

141

⇨ Potential der Gesamtreaktion (1) kann mit Voltmeter gemessen werden

und ist abhängig von der Konzentration der Cu2+ und Zn2+-Ionen!

Die Abhängigkeit zwischen Potential und Konzentration der beteiligten

Redoxpartner liefert die Nernst´sche Gleichung:

E = E 0 +RTnF

lnCox

Crd für Rd Ox + ne -

hier bedeuten:

R = 8.314 VAs/Kmol allg. Gaskonstante bei Raumtemperatur

T = 298 K

n ≙ Anzahl der übertragenen Elektronen

F = 96.485 As/mol Faradaykonstante

Mit der Umrechnung von ln auf lg und Einbeziehung aller Konstanten

vereinfacht sich das zu:

E = E 0 +0.059

n · lgCox

CrdRd Ox + ne-

Page 142: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

142

Bestimmung der EMK (Spannungsdifferenz) des Daniell-Elements

EMK ≙ elektromotorische Kraft

Zn Zn 2+ + 2 e- EZn = EZn + 0 0.059

2 lgCZn

CZnEZn = -0.76 V

0

Cu Cu 2+ + 2 e- ECu = ECu + 0 0.059

2 lgCCu

CCuECu = +0.34 V

0

EMK = ΔE = ECu - EZn = ECu - EZn +00 0.059

2 lg CCu

CZn2+

2+

für CCu = CZn ⇒ ΔE = ECu - EZn = 1.10 V

00

2+

2+

2+ 2+

läuft die Reaktion ab, verringert sich die Cu2+-Konzentration, während Zn2+-

Konzentration steigt → Potential sinkt.

Page 143: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

143

Die Spannungsreihe

Interessant sind die Standardpotentiale für einen Vorgang Ox + ne– ⇆ Rd

um die Oxidationskraft einer gegebenen Spezies quantitativ erfassen zu können.

Problem: Halbgleichungen sind fiktiv (keine freien e– möglich); d.h. man kann

nur Potentiale für Gesamtvorgänge bestimmen (d.h. Potentialdifferenzen

bestimmen!). Um zu vergleichbaren Potentialwerten zu kommen, benötigt man

einen Standard, die Normalwasserstoffelektrode (NHE) Folie 54

Hier taucht ein platiniertes Pt-Blech in eine wässrige Lösung die 1mol H+/l

enthält; die Elektrode wird von H2-Gas umspült. Der Druck beträgt 1.013 bar.

Das Potential der NHE bei RT wird willkürlich gleich 0 gesetzt → Bestimmung

von Standardpotentialen anderer Redoxsysteme.

(Standard ≜ Konzentration 1mol/l bzw. Druck 1.013 bar und RT)

Redoxreaktion der NHE: H2 ⇆ 2 H+ + 2e–

Nernst-Gleichung anwenden:

EH = EH +0.059

2 · lgCH

PH 0 +

2mit EH = 0 und 0 CH = 1mol/l, pH = 1.013 bar +

2

£ EH = 0 Standardpotential der NHE

2

Im gezeigten Beispiel beträgt die Konzentration an Zn2+-Ionen in Lösung

1mol/l. Die gemessene Potentialdifferenz beträgt –0.76 V → Standardpotential

von Zink für die Redoxreaktion Zn ⇆ Zn2+ + 2e–

Auf diese Weise kann man Standardpotentiale beliebiger Redoxsysteme

bestimmen und gelangt so zur Spannungsreihe. Folie 55

Page 144: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

144

In der Form Rd ⇆ Ox + ne stehen die stärksten Reduktionsmittel in der

Spannungsreihe oben und die stärksten Oxidationsmittel unten. Die

Spannungsreihe erlaubt vorherzusagen, welche Redoxreaktionen unter

Standardbedingungen ablaufen;

Beispiel: Cu/Zn; das Standardpotential von Cu ist größer als das von Zn (Cu ist

“edler“) → Zn0 wird von Cu2+ zu Zn2+ oxidiert.

Allgemein gilt: Die reduzierte Form eines Redoxsystems (Rd) gibt Elektronen

nur an die oxidierte Form eines anderen Redoxsystems ab, das in der

Spannungsreihe darunter steht.

Spezialfall: Welche Metalle lösen sich in Gegenwart von Protonen (saure Lsg.;

Achtung: viele Säuren haben Anionen, die oxidierend wirken, z.B. NO3-, SO4

2-)

Metalle die in der Spannungsreihe über H2/H+ stehen (negatives E0) lösen sich in

nichtoxidierende Säuren (CH+ = 1mol/l) (HCl, HCO2CH3, H3PO4 etc.) und

werden als “unedel“ bezeichnet.

Metalle mit positivem E0 werden nicht von H+ aufgelöst → „edle Metalle“

Frage: welche Metalle lösen sich bereits in neutralem Wasser;

H2 ⇆ 2 H+ + 2e- ;

E = 0 + 0.0592 · lg

CH

PH + +

22

2

mit CH = 10-7 und pH = konst. £

E = 0 + 0.0592

· lg 10-14 = -0.41 V £ Alle Metalle, die ein kleineres Potential als -0.41 V haben lösen sich bereits in neutralem H2O;

Beispiel: Alkali- und Erdalkalimetalle.

Page 145: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

145

In der Praxis beobachtet man oft, dass sich Metalle aufgrund ihres Potentials in

Säure bzw. H2O lösen sollten, aber nicht angegriffen werden.

→ Passivierung und Überspannung

Viele Metalle wie z.B. Al lösen sich nicht, weil das Oxidationsprodukt

(Metalloxid) das Metall als Schutzschicht überzieht und die Weiterreaktion

verhindert.

Oft verhindert auch die sogenannte “Überspannung“ die zu erwartende

Reaktion, Beispiel Pb; elementares Pb sollte sich in 1m Säure lösen, dabei wird

H+ zu H2 reduziert. Die Bildung von H2 ist jedoch gehemmt (Überspannung)

und die Redoxreaktion läuft nicht ab.

Bleiakkumulator:

~~~~~~~~~~~~~

H2SO4

Pb0 PbO2

e-

Anode 2+

“ Pb0 + SO42- PbSO4 + 2 e- E0 = -0.36 V

E1

Kathode +2 ” PbO2 + 4 H+ + SO4

2- + 2 e- PbSO4 + 2 H2O E0 = 1.68 V

E2

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

Pb + PbO2 + 2 H2SO4 2 PbSO4 + 2 H2O

Page 146: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

146

ΔE = E2 - E1 = 1.68 V + 0.059

2lg

CPbO · CH · CSO22-4

+4

CPbSO · CH O42

2

- -0.36 V + 0.059

2lg

CPbSO4

CSO2- · CPb

0

4

ΔE = 1.68 V + 0.36 V + 0.059

2lg CH+4

= 2.04 + 0.118 · lg CH+

EMK nur abhängig von der H2SO4-Konzentration ⇒ Ladestandprüfung über

Dichtemessung

Nach Spannungsreihe wäre die Oxidation von Pb nach

0 2+ Pb + H2SO4 → PbSO4 + H2 E0 = 0.302V

zu erwarten. Läuft nicht ab wegen Überspannung von H2 an Pb

Page 147: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

147

6. Die Chemie der Elemente

6.1. 1. Hauptgruppe

6.1.1. Wasserstoff Sonderstellung im PSE

– kleinstes Atom, einfachste elektronische Struktur (1s1)

– im Vergleich zu Alkalimetallen:

• doppelt so hohe Ionisierungsenergie

• wesentlich höhere Elektronegativität

• typisches Nichtmetall

⇒ gehört nicht in Gruppe 1!

Vorkommen:

– häufigstes Element im Universum (66 % Gesamtmasse)

– Spuren in der unteren Atmosphäre, ca 16 % aller Atome in der Erdkruste sind

H (als H2O, R–OH)

Darstellung:

– aus Wasser (Labor)

2 Na + 2 H2O → H2 + 2 Na+ + 2 OH-

– aus Kohlenwasserstoff (technisch)

CH4 + H2O 3 H2 + CO ΔH0 = +206 kJ/mol

– aus Kohle (Koks)

C + H2O CO + H2 ΔH0 = +131 kJ/mol

Wassergas

[Ni]

Page 148: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

148

Verwendung:

– Synthesen von NH3 (50 %), CH3OH, HCl

– Fetthärtung (Hydrierung von C C )

– Reduktion von Metallen (hochrein)

Physikalische Eigenschaften

– leichtes Gas; 1l H2 wiegt 0.09 g

– größte Diffusionsgeschwindigkeit

– größte Wärmeleitfähigkeit (Gase)

Chemische Eigenschaften

– H2 (molekularer Wasserstoff) ist reaktionsträge

H2 ⇆ 2 H⋅ ΔH0 = +436 kJ/mol

und reagiert erst bei höheren Temperaturen (Knallgasreaktion,

Chlorknallgas)

Ausnahme: PdCl2 + H2 Pd + 2 HCl (Nachweis von H2)

– atomarer Wasserstoff H⋅ ist hochreaktiv und reagiert bei tiefen Temperaturen

H2 2 H•

Mikrowellen-entladung

i)

ii) Temperaturen > 3000 °C (Lichtbogen)

RT

Page 149: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

149

Verbindungen (Oxidationsstufen +1 und -1)

– kovalente H-Verbindungen mit Nicht- und Halbmetallen

δ+ δ- δ- δ+ δ+ δ- + δ- BeH2 BH3 CH4 NH3 H2O HF Polarität der Bindung ändert sich; geringste Polarität bei C–H -Bindungen

(viele Kombinationsmöglichkeiten)

– salzartige Verbindungen mit elektropositiven Elementen

LiH, NaH, MgH2, CaH2 etc.

Ionengitter aus M+ bzw. M2+ und H- Ionen;

Synthese: Li + ½ H2 → LiH ΔH0 = -91 kJ/mol

– metallische Verbindungen

H2 „löst“ sich atomar (H⋅) in vielen Metallgittern

(Mn, Cr, Ti, V, Pd etc). → Metallhydride (oft nicht stöchiometrisch

aufgebaut ≙ Phasen) Metallgitter wird durch H⋅ aufgeweitet, behält aber

in der Regel metallischen Glanz und Leitfähigkeit, wird aber

paramagnetisch.

6.1.2. Alkalimetalle Li, Na, K, Rb, Cs, Fr*

Vorkommen:

Na und K in Salzen und Gesteinen NaCl (Steinsalz), Na2CO3 (Soda), Na2SO4;

Meerwasser enthält 3 % NaCl (10 x soviel wie feste Vorkommen) KCl (Sylvin),

K[AlSi3O8] (Kalifeldspat)

Rb und Cs sind wesentlich seltener; kommen als „Begleiter“ von Na und K vor.

– alle Alkalimetalle kommen wegen ihrer hohen Reaktivität nur gebunden vor.

Page 150: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

150

Eigenschaften:

– hochreaktiv (e-Abgabe), reagieren mit H2O in Luft (unter Öl)

– weiche Metalle

– starke Reduktionsmittel

Verwendung:

– Na ist von technischer Bedeutung für Na2O2, NaNH2, NaH

Kühlmittel für Kernreaktoren (schnelle Brüter)

Darstellung:

– aus NaCl; Na+ ist schwer chemisch zu reduzieren → Elektrolyse

Downs-Schmelzelektrolyse

NaCl (mit CaCl2-Zuschlag zur Smp-Erniedrigung) wird bei 600 °C

elektrolysiert.

NaCl → Na0 + ½ Cl2 (11 kWh pro Na)

Folie 56

Page 151: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

151

Verbindungen (Oxidationsstufe +1)

– mit Sauerstoff

alle Alkalimetalle (M) bilden:

M2O : Oxide (enthalten O2-)M2O2 : Peroxide (O2

2-)MO2 : Hyperoxide (O2

-)MO3 (ausser Li): Ozonide (O3

-)

-1

-2

-

Erhitzen von M an Luft (Verbrennung) → Li2O, Na2O2, K/Rb/CsO2)

Natriumoxid: Na2O2 + Na → 2 Na2O

M-Peroxide hydrolysieren zu H2O2: M2O2 2 MOH + H2O2

– Hydroxide

alle Alkalimetalle bilden Hydroxide MOH

starke Basen

Synthese z.B. Na2CO3 + Ca(OH)2 → 2 NaOH + CaCO3

Soda

Kaustifizierung („ätzend machen“) von Soda; alter technischer Prozess.

Jetzt Chloralkalielektrolyse

H2O

Page 152: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

152

a) Diaphragmaverfahren

Folie 57

” Kathode: 2 H2O + 2e- → H2 + 2 OH- (Reduktion von H+)

“ Anode: 2 Cl- → Cl2 + 2e- (Oxidation von Cl-)

Gesamt: 2 NaCl + 2 H2O → 2 NaOH + H2 + Cl2

b) Amalgamverfahren

” Kathode aus Hg: Na+ + e- → Na-Amalgam

“ Anode: Cl- → ½ Cl2 + e-

Wegen hoher Überspannung von H2 an Hg wird Na+ statt H+ reduziert.

Na-Amalgam (NaHg-Legierung) hydrolysiert:

NaHgx + H2O → Na+ + OH- + ½ H2 + Hg000

Vorteil: – Cl- - freie NaOH

– reines Cl2

Nachteil: – Verwendung von Hg

– Halogenide

alle Kombinationen MX (X = Hal) bekannt; typische Salze

Synthese: NaOH + HCl → NaCl + H2O

Page 153: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

153

– technisch wichtige Verbindungen

a) Na2CO3 (Soda)

Verwendung für Gläser, Waschmittel

große natürliche Vorkommen

technische Synthese über Solvay-Verfahren:

2 NaCl + 2 H2O + 2 NH3 + 2 CO2 → NaHCO3 + 2 NH4Cl

thermische Zersetzung des Na-Hydrogencarbonats:

CaCO3 CaO + CO2Δ

für NH3-Rückgewinnung:

CaO + 2 NH4Cl → CaCl2 + 2 NH3 + H2O

brutto: 2 NaCl + CaCO3 → Na2CO3 + CaCl2

nur CaCl2 als „Abfallprodukt“

b) NaNO3 (Salpeter)

Verwendung als Dünger

große natürliche Vorkommen (Chile)

technisch: Na2CO3 + 2 HNO3 → 2 NaNO3 + H2O + CO2

Page 154: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

154

6.2. 2. Hauptgruppe, Erdalkalimetalle Be, Mg, Ca, Sr, Ba, Ra*

Vorkommen:

Be (selten) in Edel- und Halbedelsteinen wie Beryll Be3Al2[Si6O18],

Smaragd (Al3+ teilweise durch Cr3+ ersetzt), Aquamarin (hellblau, Al3+

teilweise durch Fe3+ ersetzt)

Mg, Ca, Sr, Ba als MSO4 (Sulfat) und MCO3 (Carbonat)

Eigenschaften:

– Mg → Ba ähnlich Alkalimetalle (weiche, hochreaktive Metalle)

– Be ist in seinen Eigenschaften dem Al ähnlicher als seinen höheren

Homologen Mg → Ba (≙ „Schrägbeziehung“)

Beispiele:

a) BeH2 ist wie AlH3 kovalent und polymer; MgH2 ist ionisch

b) BeCl2 und AlCl3 reagieren in H2O stark Sauer, MgCl2 nur

schwach sauer

c) Be(OH)2 und Al(OH)3 sind amphorer, bilden keine stabilen

Carbonate; Mg(OH)2 ist basisch und bildet stabiles Carbonat.

Gründe für Schrägbeziehung:

– ähnliche Elektronegativität

– ähnliche Ionenradien von Be2+ und Al3+

– Darstellung durch Schmelzflusselektrolyse

Verwendung von Be und Mg als Legierungsbestandteil

Page 155: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

155

Verbindungen (Oxidationsstufe +2)

a) Beryllium

Be ist kleiner, elektronegativer und schwerer ionisierbar als Mg → Ba

⇒ Tendenz zu kovalenten Verbindungen, ionische Verbindungen nur mit

elektronegativsten Elementen

BeF2 (Christobalit-Struktur)

BeO (Wurzit-Struktur)

In kovalenten Molekülen X–Be–X ist Be sp-hybridisiert; Elektronenmangel

wird ausgeglichen durch:

– Dreizentrenbindung

BeH

HBe

H

HBe

Eine Be–H–Be-Einheit (3 Zentren) teilen sich ein Elektronenpaar

(Elektronenmangelbindung)

– Koordinative Bindung (Lewis-Säure Base)

BeCl

Cl

BeCl

Cl

Be

Cl

Page 156: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

156

Δ

Δ

b) wichtige Verbindungen von Mg → Ba

MgO:

Verwendung für feuerfeste Steine (Magnesia)

Verbrennung von Mg an Luft: Mg + ½ O2 → MgO ΔH0 = –602 kJ/mol

themische Zersetzung von Mg-Carbonat: MgCO3 → MgO + CO2

CaO (gebrannter Kalk):

– CaCO3 → CaO + CO2 „Kalkbrennen“

– CaO + H2O → Ca(OH)2 ΔH0 = –65 kJ/mol „Kalk löschen“,

stark exothermer Vorgang¸ Verwendung von Ca(OH)2:

Ca(OH)2 + CO2 → CaCO3 + H2O (gelöschter Kalk) für Luftmörtel:

Sand/ Ca(OH)2; Aushärten durch Rh mit CO2

Ca(OH)2 in H2O → Suspension (Kalkmilch);

Verwendung von Ca(OH)2 als billigste technische Base

CaCO3

in verschiedenen Modifikationen (Kreide, Marmor, Perlen)

Wasserhärte: CaCO3 + H2O + CO2 ⇆ Ca2+ + 2 HCO3– (temporäre Härte)

auch CaSO4 (permanente Härte)

Page 157: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

157

1400 °C

CaSO4

Gips ≙ CaSO4 ⋅ 2 H2O

Anhydrit ≙ CaSO4

Gips CaSO4 ⋅ 0.5 H2O (gebrannter Gips)

erhärtet mit Wasser unter Rückbildung von CaSO4 ⋅ 2 H2O

BaSO4

wichtigste Bariumverbindung; Verwendung als Malerfarbe chemisch

beständig und unlöslich in H2O

BaSO4 BaO + SO2 + ½ O2

lösliche Bariumsalze (BaCl2, BaCO3 etc) sind hochgiftig; Beryllium und

seine Verbindungen sind krebserregend.

120 °C

Page 158: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

158

6.3. 3. Hauptgruppe B, Al, Ga, In, Tl

Vorkommen:

– Bor und Al oxidisch; Borate Na2B4O7 ⋅ 10 H2O (Borax), H3BO3 (Borsäure)

– Aluminium ist das dritthäufigste Element der Erdkruste (wichtigstes Leicht-

metall) kommt in Alumosilicaten vor, Al2O3 (Korund), Edelsteine Rubin

(Al2O3 mit Spuren Cr3+), Saphir (Co3+), Smaragd (Al, Cr)2Be3(Si6O18),

Topas Al2(SiO4 / (OH, F)2), Beryll Al2Be3(Si6O18)

– Ga, In, Tl kommen als Begleiter von Zn in der Zinkblende vor.

Verwendung:

– Bor als Legierungsbestandteil, harte Werkstoffe 10B in der Neutronenein-

fangtherapie (BNCT)

– Aluminium nach Eisen wichtigstes Gebrauchsmetall (leicht, Korrosions-

beständigkeit wegen Passivierung, guter elektrischer Leiter) 107 t/Jahr

Herstellung über Schmelzflusselektrolyse:

Folie 58

Al2O3 / Na3AlF6-Gemisch (Sm-Erniedrigung)

“ Anode: Al2O3 + 2 AlF63– ⇆ 3/2 O2 + 4 AlF3 + 6 e–

” Kathode: 6 Na+ + 6 e

– ⇆ 6 Na

Page 159: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

159

6 Na + 2 AlF3 ⇆ 2 Al + 6 NaF

Chemische Eigenschaften

a) Bor (Oxidationsstufe +3)

Besonderheiten:

wegen kleinem Radius und hoher Ionisierungsenergie für B3+ nur kovalente

Verbindungen!

AlF3 ist Salz (ReO3-Typ), Smp. 1290 °C,

BF3 ist kovalentes Molekül, Smp. –128 °C, Sdp. –100°C

– Bor ist Halbmetall, Al → Tl sind Metalle ⇒ elementares Bor zeigt kompli-

zierte Struktur

Folie 59

– Schrägbeziehung B–Si; mehr Gemeinsamkeiten als mit Al → Tl

In seine kovalenten Verbindung ist Bor sp2-hybridisiert → trigonal planar

koordiniert; in Verbindungen BX3 hat B nur ein Elektronensextett

(Elektronenmangelverbindungen).

Elektronenoktett wird erreicht durch:

Page 160: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

160

i) Ausbildung von π-Bindungen

B

F F

F

B

F F

F

” • • • •

delokalisierte π-Bindung; B–F Bindungslänge (130 pm) liegt zwischen B–F

(145 pm) und B=F (125 pm)

Zur formalen Ladung in Aminoboranen:

B NRR

R RB N

RR

R R

1 2

” “

2 ist ein polares Molekül, sollte Dipolmoment (auf B gerichtet) haben;

experimenteller Beweis für sehr kleines Dipolmoment, das auf N gerichtet ist (≙

N als „negatives Ende“)

ii) Ausbildung von Mehrzentrenbindung

BHH

H

2 BH

H H

HB

H

H

Diboran (6)

ΔH0 = -164 kJ/mol

Page 161: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

161

Die brückenständigen H-Atome sind durch 2 Elektronen an 2 Boratome

gebunden (3c2e-Bindung)

MO-Beschreibung: Folie 60

B–B–B Dreizentrenbindungen treten auf bei:

elementarem Bor

höheren Boranen, Carbaboranen

Metallboriden

iii) Donoraddukte

Verbindungen BX3 sind starke Lewis-Säuren und reagieren mit:

– neutralen Lewis-Basen (NR3, PR3, OR2, CO etc.) zu Boran-Addukten:

BF3 + |NH3 → F3B–NH3

Ammin-Boran

– anionischen Lewis-Basen zu „Boraten“:

BF3 + F– B

F

F FF

Wichtige Borverbindungen:

– Übergangsmetallboride

mehrere hundert Verbindungen bekannt; Zusammensetzung reicht von

metallreich (z.B. Mn4B) bis metallarm (z.B. YB66); komplizierter Aufbau mit

Page 162: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

162

fließenden Übergängen zwischen kovalenten, metallischen und ionischen

Bindungen.

Allgemeine Eigenschaften der ÜM-Boride:

große Härte

große Temperaturbeständigkeit

oft gute Leitfähigkeit

⇒ wichtige Werkstoffe für hohe Beanspruchung

– Borane

zahlreiche binäre Borane:

BnHn+4 n = 2, 5, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18

BnHn+6 n = 4, 5, 6, 8, 9, 10, 13, 14, 20

BnHn+8 n =8, 10, 14, 15, 30

BnHn+10 n = 8, 26, 40

keine Analogien zu anderen Element-Wasserstoffverbindungen

(Ausbildung von B-B und B-H Mehrzentrenbindungen).

Alle Borane leiten sich von geschlossenen Polyedern (Tetraeder,

Oktaeder, Ikosaeder etc.) ab. Je nach H-Gehalt des betreffenden Borans

bleiben mehr oder weniger Ecken des geschlossenen (closo) Polyeders

unbesetzt.

Beispiel unbesetzte Ecken Bezeichnung

BnHn+4 1 nido (Nest)

BnHn+6 2 arachno (Spinne)

BnHn+8 3 hypho (Netz)

Page 163: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

163

In closo-Boranen BnHn+2 sind alle Polyederecken besetzt; Verbindungen

nur als Dianionen BnHn2- bekannt

Folie 61

„Striche im Clustergerüst beschreiben nur die Topologie (Struktur) des

Käfigs, keine Bindungen Elektronendichte (≙ Bindungen) sind auf

Flächenmitte bzw. im Clusterinneren lokalisiert

Folie 62

– Borhalogenide

alle BX3 (X = F → I) bekannt

leichtflüchtige kovalente Moleküle; Aufbau

B

X “

XX

• • •

B–F-Bindung ist besonders stabil ⇒ unterschiedliche Reaktivität, z.B.

Hydrolyse:

BCl3 B(OH)3 + 3 HClH2O

RT

BF3 F3B–OH2 B(OH)3 + 3 HFH2O

RT

Δ

BF3 + HF → H[BF4] Tetrafluorborsäure; starke Säure

in Wasser:

HBF4 + H2O ⇆ H3O+ + BF4–

Page 164: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

164

Borsubhalogenide (niedrigere Oxidationsstufe als +3):

B BCl

Cl

Cl

Cl

+2Cl B B Cl

BCl

BCl

+1

– Borsäuren

H3BO3 ≙ B(OH)3

B

OH

OHHO

Borsäure

B

OMe

OMeMeO

+ 3 MeOH– 3 H2O

im Feststoff (Smp 171 °C) planare Schichten aus B(OH)3-Molekülen;

schwache Säure in H2O.

B(OH)3 + 2 H2O ⇆ B(OH)4– + H3O+ pks = 9.2

Erhitzen führt unter Kondensation zu Boroxiden:

B(OH)3 (HBO2)n B2O3> 90 °C

-H2O500 °C-H2Oortho- meta- Boroxid

Borsäuren

Page 165: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

165

BO

BO

BO

OH

OHHOα–HBO2 =̂

– Bor-Stickstoffverbindungen

B–N ist isoelektronisch (≙ gleiche Anzahl von Valenzelektronen) mit

C–C ⇒ viele Gemeinsamkeiten zwischen BN- und Kohlenstoffchemie.

i) Bornitrid BN

kovalentes Molekülgitter wie Kohlenstoffmodifikationen:

hexagonales BN: Schichtenstruktur aus BN-Sechsringen wie Graphit:

Folie 63

Unterschiede zu Graphit:

Schichtenfolge B über N

stärkere Lokalisierung der π-Elektronen wegen

Elektronegativitätsunterschied → BN ist weiß und Isolator

kubisches BN

BNhex BNkub90 kbar2000 °C

Page 166: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

166

Verwandlung analog Gaphit → Diamant (Hochdruckmodifikation)

Struktur (Zinkblende) und Härte wie Diamant besteht aus:

B N” “ dBN = 156 pm = Einfachbindung^

mit sp3 –hybridisierten Bor

– Borazin

½ B2H6 + NH3 H3B–NH3 H2B=NH2 HB�NH - H2 - H2

2 31

1 : Amminboran isoelektronisch zu H3C–CH3

2 : Aminoboran H2C=CH2

3 : Iminoboran HC≡CH

1, 2, 3 sind nur mit großen Resten beständig, z.B.: (H3C)3C–B≡N–C(CH3)3

HB≡NH trimerisiert sofort zu Borazin:

N

B

NB

N

B

H

H

H

H

H

H

N

B

NB

N

B

H

H

H

H

H

H

planarer, mesomeriestabilisierter 6-Ring wie Benzol

(Borazin ≙ anorganisches Benzol)

wegen Polarität der B–N-Bindung aber viel reaktiver.

Page 167: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

167

Δ

b) Aluminium (Oxidationsstufe +3)

– Alane und Alanate

–1

nach 3 LiAlH4 + AlCl3 → 3 LiCl + 4 AlH3 –1

oder 2 Al + 3 H2 → 2 AlH3 ΔH° = + 300 kJ/mol erhält man Alan; weder monomer noch dimer beständig ⇒ (AlH3)n

Alanate (M[AlH4]) sind wichtige Reduktionsmittel;

–1

4 LiH + AlX3 → Li[AlH4] + 3 LiX (X = Cl, Br)

Li[AlHn] + 4 H2O → 4 H2↑ + Li+ + Al3+ + 4 OH–

– Aluminiumhalogenide

alle AlX3 sind bekannt ( X = F, Cl, Br, I)

AlF3 ist eine ionische Verbindung (ReO3-Struktur, Smp. 1290 °C)

AlCl3 zeigt Schichtenstruktur ähnlich CdCl2, d.h. Cl- bildenKdp-Teilgitter,

Al3+ besetzt in jeder weiteren Schicht 2/3 der OL (Smp. 193 °C)

In der Schmelze liegen AlCl3-Dimere vor:

AlCl

ClAl

ClCl

ClCl2 AlCl3 (g)

Δ

ionische Al–Cl Bindung geht in kovalente über und KZ Al verringert sich von

6 auf 4 ⇒ Volumenzunahme beim Schmelzen um 85 %! und Verlust der

elektrischen Leitfähigkeit.

Page 168: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

168

– Aluminiumhydroxide und -oxide

Al(OH)3 kommt in mehreren Modifikationennatürlich vor

frisch hergestelltes Al(OH)3 ist amphoter

Al(OH)3 + 3 H3O+ → [Al(H2O)6]3+

Al(OH)3 + OH– → [Al(OH)4]–

und löst sich in Laugen und Säuren.

(Alterung; amorph → kristallin, wenig reaktiv)

Al(OH)3 γ-Al2O3 α-Al2O3400 °C

- 3 H2O1000 °C

zwei Modifikationen:

γ-Al2O3 (Tonerde) kristallisiert in Spinell-ähnlicher Struktur, wird als

Trägermaterial für Katalysatoren verwendet.

α-Al2O3 (Korund); Korund-Struktur: O2– bildet hdp, Al3+ in 2/3 OL; hartes

Material → als Schleifmittel verwendet

c) Gallium, Indium, Thallium

allgemeiner Trend: die Verbindungen der Oxidationsstufe +1 werden mit

steigender Ordnungszahl zunehmend stabiler; s-Elektronen werden nicht mehr

zur Bindung herangezogen (inert – pair Effekt)

Page 169: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

169

6.4. 4. Hauptgruppe C, Si, Ge, Sn, Pb

Vorkommen:

– Kohlenstoff elementar (Graphit, Diamant) und als Carbonat (CaCO3,

Kalkstein, Marmor; CaCO3 ⋅ MgCO3, Dolomit)

– Silizium kommt nicht elementar vor; zweithäufigstes Element der Erdkruste,

SiO2 (Sand) und Silicate

– Germanium ist sehr selten, kommt sulfidisch vor (Germanit Cu 6FeGe2S8)

– Zinn kommt nur selten gediegen vor; SnO2 (Zinnstein)

– Blei kommt natürlich nur in Oxidationsstufe +2 vor; vor allen PbS

(Bleiglanz)

Elementmodifikationen

– Kohlenstoff als Nichtmetall bildet kovalente Moleküle bzw. Molekülgitter

(Graphit, Diamant) außerdem Fullerene:

Graphit C60, C70, C90 etc.Verdampfung

He-Atmosphäre

Folie 64

Page 170: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

170

– Silizium, Germanium, Zinn kristallisieren im Diamantgitter, Zinn auch in

metallischer Modifikation

α-Sn β-Sn13 °C

graunichtmetallisch

weißmetallisch

("Zinnpest")

– Blei nur metallisch, Kdp

Verwendung:

– Silizium

hochreines Si für Halbleitertechnik (Wafer)

Darstellung aus Rohsilizium:

SiO2 + 2 C Si + CO ΔH0 = +690 kJ/mol1800 °C

Si + 3 HCl HSiCl3 + H2300 °C

Trichlorsilan wird destiliert, dann zu Si reduziert:

HSiCl3 + H2 Si + 3 HCl1100 °C

– Blei

für Rohre, Akkumulatorplatten

Page 171: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

171

Darstellung nach Röstreduktionsverfahren:

PbS + 3/2 O2 PbO + SO2

PbO + CO Pb + CO2Hochofen

(Röstarbeit)

(Reduktionsarbeit)

Chemische Eigenschaften

a) Kohlenstoff (bevorzugte Oxidationsstufe (+4)

– Kohlenstoff in niedriger Oxidationsstufe - Carbide

i) kovalente Carbide mit B, Si (ähnliche Elektronegativität)

z.B.

SiO2 + 3 C SiC + 2 CO ΔH0 = +625 kJ/mol2200 °C

Diamant-ähnliche Struktur; Carbidbildung beeinträchtigt die Verwendung

von Koks als Reduktionsmittel

ii) salzartige Carbide mit elektropositiven Metallen

z.B.

CaO + 3 C CaC2 + CO ΔH0 = + 465 kJ/mol2200 °C

CaC2 Ca(OH)2 + H C C HH2O

Folie 65

Page 172: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

172

– Kohlenstoffoxide

i) CO

” “

|C≡O| isoelektronisch zu |N≡N|

Sehr giftig wegen Reaktion mit Fe in Hämoglobin, entsteht bei

unvollständiger Verbrennung von Kohlenstoff:

C + ½ O2 CO ΔH0B = –111 kJ/mol

Reduktionsmittel, Verwendung z.B. im Hochofenprozess

Darstellung im Labor:

HCO

OH

H2SO4 H2O + CO

Verwendung im Fischer-Tropsch Verfahren:

n CO + (2n+1)H2180°C CnH2n+2 + n H2O

ii) CO2

O C O

entsteht bei vollständiger Verbrennung von Kohlenstoff:

C + O2 → CO2 ΔH° = –394 kJ/mol

und Erhitzen von Carbonaten:

CaCO3 CaO + CO2

1000 °C

Page 173: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

173

Δ

und Ansäuern von Carbonaten:

CaCO3 + 2 HCl → CaCl2 + H2O + CO2

Photosynthese (Assimilation) an Chlorophyll:

2814 kJ + 6 CO2 + 6 H2O → C6H12O6 + O2

b) Silizium

– Wasserstoffverbindungen

kettenförmige Silane SinH2n+2 (bis n = 15) wie Alkane

zerfallen beim Erhitzen:

SiH4 → Si + 2 H2 ΔH° = –34 kJ/mol

entzünden sich spontan an Luft:

SiH4 + 2 O2 → SiO2 + 2 H2O

Darstellung z.B. aus Siliziden:

Mg2Si + 4 H+ → SiH4 + 2 Mg2+

Polarität:

C H aber Si H

δ-δ- δ+ δ+

Page 174: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

174

– Sauerstoffverbindungen

O Si O Si OO

O

O

Oa) SiO2 ist polymerer harter Festkörper aus

Einheiten (keine Si-O-Doppelbindungen wie CO2!)

verschiedene Modifikationen (z.B. α-Quarz, β-Christobalit etc.)

hohe Härte, Temperaturbeständigkeit und chemische Widerstandsfähigkeit →

Verwendung für Spezial-(Laborglas)

b) Kieselsäure

SiO2 + 2 H2O ⇆ H4SiO4

nicht in freier Form und nur in verdünnter wässriger Lösung beständig

wegen Autokondensation:

HO Si O Si OH

OH

OH

OH

OH

+ H2O ....2 H4SiO4

c) Silikate

Salze der Kieselsäure; Silikate und Hauptbestandteil der Erdkruste

(Mineralien, Gesteine);

weisen SiO4-Tetraeder als Baustein auf, der über gemeinsame Ecken

verknüpft wird; große Strukturvielfalt: Folie 66

wird in Silikaten Si durch Al ersetzt, können sich dreidimensionale

Raumnetzgitter ausbilden, z.B. Zeolithe

(Zeolith A ≙ Na12[Al12Si12O48] ⋅ 27 H2O)

Page 175: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

175

Δ

Folie 67

Verwendung von Silikaten für Gläser ≙ erstarrte, nichtkristalline Schmelzen

(amorph)

besondere Eigenschaften von Glas z.B. Durchsichtigkeit, langsames

erweichen beim Erwärmen (kein scharfer Schmelzpunkt) sind auf die

Nahordnung (keine Fernordnung wie in Kristallen) zurückzuführen

Folie 68

– Siliciumhalogenide

a) alle SiX4 bekannt, molekularer Aufbau hydrolyseempfindlich z.B.:

SiF4 + 2 H2O → SiO2 + 4 HF

Hexafluorokieselsäure

4 HF + 2 SiF4 → 2 H2SiF6

stake Säure in freier Form nicht beständig; viele Salze z.B.:

BaSiF6 → BaF2 + SiF4

b) Halogenide des zweiwertigen Siliziums

SiF4 + Si 2 SiF2 (g)1200 °Cz.B.:

SiF2 nur in der Gasphase beständig, sonst:

n SiF2 → (SiF2)n

c) Zinn ( Oxidationsstufen +2 und +4)

– Oxide

SnO2 (Zinnstein, Rutilstruktur)

SnO (polymorph)

Page 176: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

176

Δ

– Halogenide

alle SnX4 und SnX2 bekannt; z.B.:

Sn + Cl2 → SnCl4 (flüssig bei RT)

Sn + 2 HCl → SnCl2 + H2

SnCl

SnCl

Cl Cl

”Feststoff aus Ketten

d) Blei (Oxcidationsstufe +2 stabiler als +4)

z.B. Oxide

PbO2 → PbO + ½ O2

starkes Oxidationsmittel

Halogenide

alle PbX2 bekannt; PbCl2 hat im Gegensatz zu SnCl2 keine reduzierenden

Eigenschaften mehr

PbCl4 → PbCl2 + Cl2, Oxidationsmittel

Page 177: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

177

6.5. 5. Hauptgruppe N, P, As, Sb, Bi

Vorkommen:

– Stickstoff elementar als N2, Hauptbestandteil der Luft (78,1 Vol%); gebunden

in Nitraten z.B. Chilesalpeter NaNO3

– Phosphor nur in Verbindungen, vor allem Phosphate z.B. Apatit Ca5(PO4)3

(OH, F, Cl)

– Arsen selten elementar („Scherbencobalt“); sonst Arsenide (negative

Oxidationsstufen) z.B. Arsenkies FeAsS und Sulfide (positive

Oxidationsstufen) z.B. Realgar As4S4 rot, Auripigment As2S3 gelb.

Elementmodifikationen

– Stickstoff nur als N2 |N≡N|; sehr stabil wegen Dreifachbindung:

N2 ⇆ 2 N ΔH0 = +946 kJ/mol

Bei Raumtemperatur und ohne Katalysator regiert N2 nur mit Lithium zu Li3N

– Phosphor Folie 69

weißer P:

P

P

P

P gespanntes, hochreaktives Molekül (sehr giftig!)

Page 178: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

178

roter P:

P

P

P P

P

P

P P

violetter (Hittorfscher) P: komplizierte Schichtenstruktur

schwarzer P (stabile Modifikation): Schichten aus gewellten P6-Ringen

– Arsen, Antimon, Bismut

vorwiegend metallische Modifikationen

Verwendung

– Stickstoff

Verwendung als Labor und Industriegas; Gewinnung durch Verflüssigung

und fraktionierende Destillation von Luft

– Phosphor

Gewinnung von P4 durch Reduktion von Phosphatgesteinen; Verwendung zur

Herstellung von Phosphorsäure H3PO4

– Arsen, Antimon, Bismut

Verwendung als Legierungsbestandteil; As und Sb für III – IV- Halbleiter z.B.

GaAs

Page 179: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

179

Chemische Eigenschaften

a) Stickstoff (Oxidationsstufen –3 und +3; +5 nur mit Sauerstoff

– Verbindungen mit Wasserstoff

i) Ammoniak NH3

Synthese nach Haber-Bosch:

3/2 H2 + ½ N2 ⇆ NH3 ΔH0B = –46 kJ/mol

exotherme Reaktion, erfordert aber Katalysatoren und 450°C (sonst zu

langsam); bei hohen Temperaturen liegt das Gleichgewicht links → Synthese

unter hohem Druck (bis 1000 bar).

Verwendung von NH3(Ammoniumsalze NH+4) als Düngemittel.

Autoprotolyse (wie H2O):

2 NH3 ⇆ NH4+ + NH2

Flüssiges NH3 (Sdp. –33 °C) löst Alkalimetalle:

Me + NH3 ⇆ Me+(NH3)x + e–

(NH3)x

es entstehen solvatisierte Elektronen; Lösungen von Me in NH3 sind blau,

paramagnetisch, elektrisch leitfähig und stark reduzierend.

Page 180: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

180

ii) weitere N–H-Verbindungen

N NHH H H

Hydrazin

N N NH

N N NH

“” “ ”

Stickstoffwasserstoffsäure

N NH H

Diimin (Diazen)

Wegen schwacher N–N-Bindungen sind alle Verbindungen instabil und

zersetzen sich leicht (z.T. explosionsartig)

z.B.: 2 HN3 → 3 N2 + 2 H2 ΔH0 = –538 kJ/mol

– Verbindungen mit Sauerstoff

+1 +2 +3 +4 +5 N2O NO N2O3 NO2 N2O5

bis auf N2O5 sind alle Stickstoffoxide endotherm und zerfallen in die

Elemente;

NO und NO2 sind Radikale, die bei tiefen Temperaturen dimerisieren:

N O N NO O

NO

ON N

OO

O O

””“

braun farblos

2

•2“

farblos blau

Page 181: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

181

N2O5 ist das Anhydrid der Salpetersäure:

NO

NOO

O O2 N

O

OOH

”” ”

“ ““

H2O

Salpeter ist eine starke oxidierende Säure; Mischungen von konz. HNO3

und konz. HCl heißen Königswasser und lösen sogar Gold und Platin

(aktives Chlor); Nb, Ta, W werden von Königswasser nicht gelöst.

Salze der Salpetersäure heißen Nitrate; enthalten das resonanzstabilisierte

NO3–-Anion:

NO

O ONO

O ON

OO

O”

” ”” ”

“ “ “

Technische Synthese von HNO3:

N2H2

Haber-Bosch

NH3O2

OstwaldNO

O2 NO2O2, H2O HNO3

Ostwaldverfahren ≙ katalytische Ammoniakverbrennung:

4 NH3 + 5 O2 4 NO + 6 H2O ΔH0 = –906 kJ/mol900 °C

Pt

Page 182: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

182

+3 –1

–3 +1

Salpetrige Säure HNO2

nur in verdünnter Lösung haltbar; Zersetzung nach:

+3 +5 +2

3 HNO2 → HNO3 + 2 NO + H2O

Salze heißen Nitrite und enthalten das NO2– -Anion:

NO O

N

OO” ” –3 +3 0

NH3 + HNO2 → N2 + H2O

– Verbindungen mit Halogenen

Strukturen wie N–H-Verbindungen, d.h.

NX3, N2X4, N2X2, N3X

für X = F alle Kombinationen bekannt, Stickstoff in positiver Oxidationsstufe,

z.B. NF3

für X = Cl, Br, I nur NX3 und N3X (Halogenazide) bekannt, Stickstoff in

negativer Oxidationsstufe, z.B. NCl3

Reaktion mit Wasser:

+3 –1 +3 –1

NF3 + 2 H2O → HNO2 + 3 HF

aber

–3 +1 –3 +1

NCl3 + 3 H2O → NH3 + 3 HOCl

bis auf NF3 und N2F4 sind alle anderen endotherm und größtenteils explosiv.

Page 183: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

183

b) Phosphor (Oxidationsstufe +3 und +5)

– Verbindungen mit Wasserstoff

PH3, P2H4 und weitere Phosphane bekannt; weniger stabil als N–H-

Verbindungen

P Hδ– δ+

Polarität: (sehr ähnliche Elektronegativitäten)

– Verbindungen mit Sauerstoff

+3

P4O6; P4 + 3 O2 → P4O6 ΔH°B = –1641 kJ/mol

Folie 70

Einschub von O in jede P–P-Bindung von P4;

Anhydrid der Phosphonsäure H2PHO3

P4O6 + 6 H2O → 4 H2PHO3

O

POHHOH zweibasige Säure; P-H dissoziert nicht

+5

P4O10 P4 + 5 O2 → P4O10 ΔH°B = –2986 kJ/mol

Folie 71

Page 184: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

184

Anhydrid der Phosphorsäure

P4O10 + 6 H2O → 4 H3PO4 ΔH° = –378 kJ/mol

O

POH

OHHO

vgl. HNO3

O

N

OHO

P4O10 ist stark wasserentziehend (hygroskopisch) und wird als Trockenmittel

eingesetzt.

Phosphorsäure kondensiert zu Diphosphorsäure

P

O

OH

OHHO P

O

OH

OHHO P

O

OH

OHO P OH

O

OH–H2O

weitere Kondensation zu langen Ketten oder großen Ringen möglich

– Verbindungen mit Halogenen

+3 +5 +2 alle PX3, PX5, und P2X4 bekannt

PX

XP

XX

PF5 liegt in allen Aggregatzuständen als PFF F

FF

Molekül vor.

PCl5, PBr5 und Pl5 liegen im Feststoff als Salze [PX4]+X– (X = Br–, I–) bzw.

[PCl4]+[PCl6]– vor.

ClP

ClCl

Cl“ P

Cl

Cl

Cl Cl

ClCl

Page 185: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

185

6.6. 6. Hauptgruppe O, S, Se, Te, Po

Vorkommen

– Sauerstoff ist das häufigste Element in der Erdkruste; zu 2% elementar in der

Luft, sonst gebunden im Wasser, in Gesteinen (Silikate, Carbonate, Oxide

etc.)

– Schwefel elementar (große Lagerstätten) und in Gesteinen, Erzen (Sulfide,

Sulfate)

– Selen, Tellur in Spuren in Sulfiden

Elementmodifikationen

– Sauerstoff als O2 und O3 (Ozon)

Eigenschaften von Ozon: schwach blaues, stechend riechendes Gas; Entsteht

durch UV-Bestrahlung oder elektrische Entladung aus O2:

3/2 O2 ⇆ O3 ΔH°B = +142.7 kJ/mol

Die endotherme Verbindung kann bei höherer Konzentration explosionsartig

in O2 zerfallen.

In den obersten Schichten der Atmosphäre entsteht O3 aus O2 durch

Sonnenlicht (UV); O3 absorbiert UV-Licht stark → Schutz vor starker UV-

Strahlung

Wahrscheinlich wird die Ozonschicht durch FCKW, Stickoxide abgebaut.

Ozonide: 0 –2 –1/3 0 –2

5 O3 + 2 KOH → 2 KO3 + 5 O2 + H2O

Page 186: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

186

– Schwefel

cyclo-S8 Folie 72

stabilste Modifikation, daneben zahlreiche weitere Ringgrößen (6-26) bekannt Folie 73

– Selen

rotes Selen: Se8-Ringe

graues Selen: Spiralen aus Se-Ketten

Verwendung

– Sauerstoff

Verwendung als großtechnisches Oxidationsmittel (TiO2, Ethylenoxid etc.),

Raketentreibstoff; die erste Stufe der Saturn-V Trägerrakete (Apollo-

Programm) verbrannte innerhalb von 150 sec 550 t Kerosin mit Hilfe von

1450 t flüssigen Sauerstoff.

Gewinnung durch fraktionierende Destillation von Luft nach Linde Folie 74

– Schwefel

zur Herstellung von Schwefelsäure, Vulkanisation von Kautschuk

Gewinnung aus Lagerstätten nach Frosch-Verfahren (heißer Wasserdampf,

Druckluft)

Synthese aus H2S (Erdgas) nach Klaus-Prozess:

3 H2S + 3/2 O2 SO2 + H2O + 2 H2S 3 S + 3 H2O250 °C–2 +4 –2 0

unvollständige Verbrennung von H2S liefert H2S/SO2 im Verhältnis 2:1 →

Komproportionierung zu 5°

Page 187: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

187

Chemische Eigenschaften

a) Sauerstoff (Oxidationsstufe –2)

nach Fluor zweitelektronegativstes Element; außer in Fluoriden nur negative

Oxidationsstufen

– Verbindungen mit Wasserstoff

i) Wasser H2O

Am besten untersuchte chemische Verbindung, bildet in kondensierter Phase

H-Brücken aus:

OHH

HOH

O

HO

weist verschiedene kristalline Modifikationen auf (z.B. Eis II anti-β-Christo-

balit); Dichtemaximum bei 4 °C (sog. Anomalie des Wassers) → Eis

schwimmt auf Wasser

ii) Wasserstoffperoxid H2O2

schwache O–O-Einfachbindung → zum Teil explosionsartige Zersetzung:

H2O2 → H2O + ½ O2 ΔH° = –98 kJ/mol

Page 188: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

188

b) Schwefel (Oxidationsstufen –2, +2, +4, +6)

– Verbindungen mit Wasserstoff

H2S; Aufbau wie H2O:

SHH

–2

+1

H2 + S H2S ΔH° = –20 kJ/mol600 °C

H2S ist eine schwache, zweibasige Säure

H2S + H2O ⇆ H3O+ + HS– KS = 1.0 ⋅ 10–7

HS– + H2O ⇆ H3O+ + S2– KS = 1.3 ⋅ 10–13

bildet Hydrogensulfide (z.B. NaHS) und Sulfide (z.B. Na2S)

– Verbindungen mit Sauerstoff

+1 +2 +2 +4 +6 S2O SO S2O2 SO2 SO3

i) Schwefeldioxid SO2

SO O

aus S + O2 SO2 ΔHB° = – 297 kJ/mol

Anhydrid der schwefligen Säure H2SO3, die in freier Form nicht stabil ist,

aber stabile Salze (Hydrogensulfite, z.B. NaHSO3 und Sulfite, z.B. Na2SO3)

bildet.

Page 189: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

189

ii) Schwefeltrioxid

S

O

O Oaus SO2 + ½ O2 SO3 ΔH° = –99 kJ/mol

Anhydrid der Schwefelsäure

SO3 + H2O → H2SO4

starke oxidierende Säure; bildet Hydrogensulfate (z.B. NaHSO4) und Sulfate

(z.B. Na3SO4) reine H2SO4 wirkt stark wasserentziehend und wird als

Trocknungsmittel (Exsicatoren) verwendet

SO3 + H2SO4 HO S O S OHO

O

O

O

H2S2O7

– Verbindungen mit Halogenen

+2 +4 +6 SF2 SF4 SF6

SCl2 SCl4

i) SF6

S + 3 F2 → SF6 ΔH°B = –1220 kJ/mol

SF FF

F FF

S wird oktaedrisch von 6 F koordiniert und sterischabgeschirmt → sehr reaktionsträge, Verwendung als

gasförmiger Isolator in Hochspannungsanlagen.

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190

Hydrolyse nach

SF6 + 4 H2O ⇆ H2SO4 + 6 HF

läuft bis 500 °C nicht ab.

6.7. 7. Hauptgruppe F, Cl, Br, I, At

Vorkommen:

Hochreaktiv, deshalb Vorkommen nur in gebundener Form. Fast ausschließlich

als Halogenide (NaCl, NaBr) oder Mischsalze mit anderen Anionen.

Ausnahme Ca(IO3)2

Elementmodifikationen:

nur in Form zweiatomiger Moleküle |X–X|;

F2, Cl2 sind gasförmig, Br2 ist flüssig, I2 fest.

Verwendung

– Fluor

Verwendung zur Herstellung von SF6, UF6; Gewinnung durch Elektrolyse

von KF/HF-Gemischen.

– Chlor

Wird in großen Mengen produziert (1990 3,6 ⋅ 107 t/Jahr);

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191

Verwendung zur Chlorierung von organischen Verbindungen (1,2-

Dichlorethan, Vinylchlorid), Herstellung anorganischer Chemikalie (z.B. HCl,

AlCl3, SiCl4 etc.), Bleichmittel.

Gewinnung elektrochemisch (Chlor-Alkali-Elektrolyse)

– Brom

Verwendung zur Bromierung organischer Verbindungen (1,2-Dibromethan)

Gewinnung ausschließlich durch Oxidation von Bromiden (NaBr) mit Chlor:

2 Br– + Cl2 → Br2 + 2 Cl–

Chemische Eigenschaften

a) Fluor (nur Oxidationsstufe –1)

Als elektronegativstes (und reaktivstes) Element reagiert es mit allen anderen

Elementen direkt (außer He, Ne, Ar, N2);

Andere Elemente erreichen in ihren Fluoriden die höchsten Oxidationsstufen:

IF7, SF6, XeF6, AuF5, UF6, OF2

Arbeiten mit F2 erfordern spezielle Reaktoren aus Monel (Cu–Ni-

Legierungen), die durch F2 oberflächlich passiviert werden.

Synthese von F2 aus Fluoriden gelingt nur elektrochemisch.

– Verbindungen mit Wasserstoff, HF

Darstellung nach:

CaF2 + H2SO4 → 2 HF + CaSO4

Page 192: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

192

in kondensierter Phase H-Brücken:

HF

HF

HF

HF

wässrige Lösungen → Flußsäure; mittelstarke Säure, ätzt Glas:

SiO2 + 4 HF → SiF4 + H2O

– Verbindungen mit Sauerstoff

+2 0 –2 –1 +2 –1

i) OF2: 2 F2 + 2 OH– → 2 F– + OF2 + H2O

Reaktion in alkalischer Lösung:

OF2 + 2 OH– → 2 F– + O2 + H2O

ii) O2F2:

FO O

F

O2F2 entsteht bei tiefen Temperaturen aus F2/O2-Gemischen durch elektrische

Entladung und zerfällt oberhalb von –95 °C in die Elemente.

b) Chlor

– Verbindungen mit Wasserstoff, HCl

technische Darstellung aus den Elementen: H2 + Cl2 → 2 HCl

im Labor: NaCl + H2SO4 → NaHSO4 + HCl

wässrige Lösungen → Salzsäure; starke nichtoxidierende Säure

Page 193: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

193

– Verbindungen mit Sauerstoff (O elektronegativer als Cl)

OCl Cl

ClO O

ClO

O

O

OCl

O

OO-2 +4

+1

+7•

alle Halogenoxide außer I2O5 sind endotherm und instabil; Cl2O7 ist das

beständigste Chloroxid;

IO

IOO

O O

+5+5

Cl2O7 als Anhydrid der Perchlorsäure:

Cl OO

OHO Cl2O7

– 2 H2O+72

weitere Sauerstoffsäuren des Chlors:

H O Cl ClOHO

ClOHO

OHypochlorige- Chlorige- Chlor-

Säure

+1 +3 +5

HOCl durch Disproportionierung von Cl2:

0 +1 –1

Cl2 + H2O → HOCl + HCl

Page 194: VL Experimentalchemie WS 03/04 4 SWS

194

– Interhalogenverbindungen:

bekannt sind:

XY XY3 XY5 XY7

wobei X das elektropositivere Halogen ist.

Folie 75

vom Typ X–Y sind alle Kombinationen bekannt

Folie 76

von den anderen außer ICl3 nur Verbindungen mit F als Ligand:

Folie 77

– Bsp. für Interhalogenverbindungen

I

Cl

Cl

Cl Cl

FFF

F FCl

F FF

F FF

F

– Pseudohalogenide:

N3” | C�N |

| N�C–C�N|

Azid Cyanid Dicyan

HO– / H2O OCN”CN” +