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VEREINTE NATIONEN Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen Aus dem Inhalt Mehr als nur ein Namenswechsel. Der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Gunnar Theissen Reform vertagt. Deutschland muss weiter auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat warten Sven Bernhard Gareis Amerikas UN-Reformdruck Josef Braml »So Long as There Is Breath in Me ...«. Warum die Vereinigten Staaten kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs werden und der Rest der Welt heimlich erleichtert ist Mandana Biegi Aus dem Bereich der Vereinten Nationen Aktionsprogramm zu Klein- und Leichtwaffen 1. Überprüfungskonferenz 2006 Simone Wisotzki 4 06 54 . Jahrgang | Seite 137–180 ISSN 0042-384 X|M 1308 F Nomos Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN)

VN-Titel 4-06 1-8-2006 - dgvn.de · VEREINTE NATIONEN 4/2006 137 Editorial In Juni 2006 tagte zum ersten Mal der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Noch ein Jahr zuvor

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VEREINTE NATIONENZeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen

Aus dem Inhalt

Mehr als nur ein Namenswechsel.Der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Gunnar Theissen

Reform vertagt.Deutschland muss weiter auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat wartenSven Bernhard Gareis

Amerikas UN-ReformdruckJosef Braml

»So Long as There Is Breath in Me ...«.Warum die Vereinigten Staaten kein Vertragsstaatdes Internationalen Strafgerichtshofs werden und der Rest der Welt heimlich erleichtert istMandana Biegi

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen

Aktionsprogramm zu Klein- und Leichtwaffen1. Überprüfungskonferenz 2006Simone Wisotzki

40654. Jahrgang | Seite 137–180ISSN 0042-384X | M 1308 F

Nomos

Herausgegeben von der

Deutschen Gesellschaft für die

Vereinten Nationen (DGVN)

VEREINTE NATIONEN 4/2006

Inhalt

Anja PapenfußEditorial: Reform und immer wieder Amerika 137

Gunnar TheissenMehr als nur ein Namenswechsel. Der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 138

Sven Bernhard GareisReform vertagt. Deutschland muss weiter auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat warten 147

Josef BramlAmerikas UN-Reformdruck 153

Mandana Biegi»So Long as There Is Breath in Me ...«. Warum die Vereinigten Staaten kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs werden und der Rest der Welt heimlich erleichtert ist 160

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen

Politik und SicherheitSimone Wisotzki Aktionsprogramm zu Klein- und Leichtwaffen | 1. Überprüfungskonferenz 2006 164

Sozialfragen und MenschenrechteBirgit SchlütterSozialpakt | 34. und 35. Tagung 2005 166

RechtsfragenNina HüfkenVölkerrechtskommission | 57. Tagung 2005 168

Personalien 169

Buchbesprechungen 172

Dokumente der Vereinten Nationen 176

Abstracts | Impressum 180

Inhalt

VEREINTE NATIONEN 54. Jahrgang | 2006 | Heft 4

VEREINTE NATIONEN 4/2006 137

Editorial

In Juni 2006 tagte zum ersten Mal der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Nochein Jahr zuvor hatte kaum jemand ernsthaft damit gerechnet, dass ein so radikaler Reformschrittumgesetzt werden würde, noch dazu in so kurzer Zeit. Als also die Einrichtung des Rates be-schlossen und die weiteren Details im März 2006 von der Generalversammlung vereinbart wur-den, war ein Aufatmen in der UN-Szene spürbar. So wenig Positives war vor und nach dem Welt-gipfel von New York aus in die Welt gegangen, dass selbst eine Reform, die vielleicht nur ober-flächlicher Art sein mag, einen Hoffnungsschimmer darstellt.

Das erste Tagungsjahr des neuen Rates wird daher nach Ansicht von Gunnar Theissen vonentscheidender Bedeutung sein. Setzen sich in diesem Prozess die Staaten durch, die ein effizien-tes und schlagkräftiges Gremium wollen, wäre das ein großer Gewinn für die Weltgemeinschaft.

Von dieser Teilreform geht nun ein gewisser Hoffnungsschimmer aus, dass auch in anderenBereichen Änderungen in Reichweite sind – wie etwa die Reform des Sicherheitsrats. Sven Bern-hard Gareis konstatiert, dass die Chance für eine Erweiterung um neue ständige Sitze im Reform-jahr 2005 so gut stand wie nie zuvor. Warum sie nicht genutzt wurde, hat verschiedene Gründe.Doch keiner ist so überzeugend, dass es nicht noch einmal versucht werden sollte. Der VorschlagDeutschlands ist nach Meinung des Autors jedenfalls der »schlüssigste, durchdachteste und denErfordernissen angemessenste Entwurf«, der derzeit kursiert. Der Sicherheitsrat in seiner jetzi-gen Form ist ein Mängelwesen. Die Mehrzahl der Staaten will, dass er reformiert wird. Dochspricht vieles dagegen, dass dieser wichtige Schritt in Kürze oder auch nur in den nächsten fünfJahren passiert.

Mit ein Grund ist sicherlich die Haltung des mächtigsten Mitgliedstaats gegenüber einer – seinePosition in der Organisation verschlechternden – Reform. Generell sei nach den Recherchen vonJosef Braml die derzeitige Einstellung in den USA gegenüber den UN die negativste seit Jahren,wenn nicht gar Jahrzehnten. Diese ablehnende Haltung zieht sich nicht nur durch Kongress undVerteidigungsministerium, wie es schon immer tendenziell der Fall war, sondern mittlerweile auchdurch große Teile der Gesellschaft, Medien, Think Tanks und Regierung. Dem nichts entgegenzu-setzen, wäre ein großer Fehler. Jene amerikanischen Reforminitiativen, denen sich Deutschlandanschließen kann, sollten mitgetragen werden. Mit einer öffentlichkeitswirksamen Diplomatiekönnten die Vorteile der Lastenteilung durch die UN für die amerikanische Außenpolitik in dieamerikanische Debatte hineingetragen werden, so der Autor.

Gänzlich anders sieht dies Mandana Biegi im Fall Internationaler Strafgerichtshof. Bei denVerhandlungen zur Errichtung des IStGH vor acht Jahren wurde ihrer Meinung nach den Wün-schen der Amerikaner bereits viel zu sehr entgegengekommen. Viele aus Sicht der europäischenStaaten schmerzliche Konzessionen hätten vermieden werden können, hätten die Staaten die grund-legend ablehnende Haltung des Kongresses besser einzuschätzen gewusst. Was die ›Gleichge-sinnten‹ damals nicht hatten sehen wollen oder können, sollte die internationale Gemeinschaftdaher wenigstens heute sehen: Die USA werden das Statut nicht ratifizieren, und insgeheim istdas auch den meisten Staaten recht.

Den USA entgegenkommen oder nicht, das ist die Gretchenfrage, die sich wohl so lange stel-len wird, wie die USA eine herausragende Stellung in der Welt einnehmen. Für die Vereinten Na-tionen bleibt das Dilemma bestehen: Sie können nicht ohne die USA, mit aber auch nicht.

Ich wünsche eine anregende Lektüre.

Anja Papenfuß, [email protected]

Reform und immer wieder Amerika

138 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

Vom 19. bis 30. Juni 2006 trat zum ersten Mal derMenschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genfzusammen. Er ersetzt die seit 60 Jahren beste-hende Menschenrechtskommission. Damit ist einKernstück der UN-Reform umgesetzt worden, aufdie sich die Staats- und Regierungschefs auf demWeltgipfel im September 2005 verständigt hat-ten. Ob der neue Rat zu tatsächlichen Verbesse-rungen führt, wird maßgeblich vom Verlauf desersten Tagungsjahrs abhängen. Dieser Beitrag schil-dert die Hintergründe der Reform, stellt die Neue-rungen vor und gibt einen Überblick über die Ent-scheidungen, die der Rat in den nächsten Mona-ten treffen muss.

Am Anfang standen Erfolge …

Die Menschenrechtskommission der Vereinten Na-tionen (MRK) stand in den vergangenen 60 Jahrenim Zentrum des UN-Menschenrechtsschutzsystems.Sie durchlief in dieser Zeit unterschiedliche Phasen.1

In den ersten 20 Jahren konzentrierte sich das Gre-mium weitgehend auf die Kodifizierung internatio-naler Menschenrechtsstandards, allem voran die All-gemeine Erklärung der Menschenrechte und die bei-den Menschenrechtspakte. Erst nach und nach, imZuge der Entkolonisierung und als Reaktion auf dieMenschenrechtsverletzungen in Südafrika und La-teinamerika, wurden in der MRK weitere Instrumen-te für den Menschenrechtsschutz entwickelt. DieseInstrumente ermöglichten es ihr, sich mit Ländersi-tuationen in öffentlichen oder nichtöffentlichen Ver-fahren zu befassen und Sonderberichterstatter zu Län-dern und Themen einzusetzen.2 Die jährlichen Ta-gungen der MRK waren seit den achtziger Jahren zueinem wichtigen Treffen der internationalen Men-schenrechtsszene geworden. Die Berichte namhafterMenschenrechtsorganisationen, die anlässlich derMRK publiziert wurden, vermittelten jedes Jahr einungeschminktes Bild über die Lage der Menschen-rechte in allen Teilen der Welt.

… am Ende zunehmend die Kritik

Obwohl sich die Handlungsmöglichkeiten der MRKseit 1946 in erheblichem Maße ausgeweitet hatten,geriet das Gremium in den letzten Jahren mehr undmehr in Misskredit. Von Medien, NGOs und Regie-rungsvertretern wurde der Kommission mangelndeGlaubwürdigkeit und Effizienz vorgeworfen. DieKritik umfasste hauptsächlich vier Punkte:

Mehr als nur ein NamenswechselDer neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen

Gunnar Theissen,geb. 1971, Dipl.-Pol.,

ist seit April 2005Mitarbeiter im Amt

des Hohen Kom-missars der Verein-

ten Nationen fürMenschenrechte(OHCHR) in Genf.

Dieser Beitrag gibtausschließlich die

persönliche Mei-nung des Autors

wieder.

1. Selektivität im Umgang mit Menschenrechtsver-letzungen in bestimmten Ländern;

2. Lähmung durch eine zunehmende Polarisierung, ins-besondere zwischen der westlichen Staatengruppeeinerseits sowie der afrikanischen und asiatischenGruppe andererseits;

3. Zusammensetzung und

4. Mangelnde Reaktionsfähigkeit auf akute massiveMenschenrechtsverletzungen.

1. Selektivität

Obwohl die Kommission sich formal mit allen Men-schenrechtsverletzungen befassen sollte, wurden meistnur jene Staaten in Resolutionen kritisiert, die inter-national isoliert oder zu schwach waren, um ausrei-chend politische Gegenmacht zu mobilisieren. Nichtdas Zeugnis der Opfer, sondern politische Abspra-chen zwischen Delegationen waren häufig dafür ver-antwortlich, was als Menschenrechtsverletzung wahr-genommen, debattiert oder mit einer Empfehlungoder Resolution bedacht wurde.3 Eine Ausspracheüber die Menschenrechtslage in bestimmten Ländernwurde häufig durch Nichtbefassungsanträge bereitsim Keim erstickt.4 Im Laufe der über 60-jährigen Ge-schichte der MRK wurde lediglich zwei Mal ein stän-diges Mitglied des Sicherheitsrats (Russland) in ei-ner Resolution gerügt.

2. Polarisierung

Vertreter fast aller Staatengruppen kritisierten in denvergangenen Jahren eine ›Politisierung‹ der Menschen-rechtskommission. Gemeint war damit, dass immermehr Anträge aus ›politischen‹ statt aus ›sachlichen‹Erwägungen von den Delegationen eingebracht undbeschlossen wurden. Eine Politisierung der MRKwurde immer dann von den Staatenvertretern beklagt,wenn Länder oder Themen angesprochen wurden,die ihnen nicht genehm waren. Die Kommission litt aneiner Blockbildung entlang bestimmter Staatengrup-pen. Die afrikanische und asiatische Staatengruppewarf den westlichen Staaten vor, insbesondere ge-genüber Entwicklungsländern mit erhobenem Zeige-finger aufzutreten und mit zweierlei Maß zu messen.Umgekehrt blockierte die afrikanische und asiatischeStaatengruppe Beschlüsse zu schweren Menschen-rechtsverletzungen in Staaten ihrer Region.

3. Zusammensetzung

In der Vergangenheit konnte jedes UN-Mitglied auchMitglied in der Menschenrechtskommission werden,

Gunnar Theissen

VEREINTE NATIONEN 4/2006 139

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

sofern es über genügend Rückhalt in seiner regiona-len Gruppe verfügte, um nominiert zu werden. Dadie Regionalgruppen meist nur so viele Kandidatenpräsentierten, wie ihnen zustanden, fand durch denWirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) praktisch kei-ne Auswahl statt. Insbesondere in den USA sorgte dieTatsache, dass der Vorsitz der Menschenrechtskom-mission im Jahr 2003 an Libyen ging, für Empörung.Die afrikanische Staatengruppe hatte mit Simbabweund Sudan Staaten die Mitgliedschaft ermöglicht, dievon NGOs in besonderem Maße kritisiert wurden.

4. Mangelnde Reaktionsfähigkeit

Der jährliche Tagungsrhythmus ließ eine schnelle Re-aktion auf sich abzeichnende oder neu aufgetretenemassive Menschenrechtsverletzungen nicht zu. Be-richte von Sonderberichterstattern blieben häufig meh-rere Monate liegen, bevor sie von der Kommissiondiskutiert wurden. Die MRK hielt zwar in den Jahren1992, 1994, 1999 und 2000 Sondersitzungen zur Lageim ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda, Osttimor undIsrael/Palästina ab, doch im Regelfall konnten aktu-elle Menschenrechtskrisen nur einmal im Jahr wäh-rend der sechswöchigen Tagung besprochen werden.

Anstöße zur Reform

Bericht der Hochrangigen Gruppe

Am 2. Dezember 2004 erhielt die Reformdiskussiondurch die Veröffentlichung des Berichts der ›Hoch-rangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderun-gen und Wandel‹ neuen Schwung.5 Die HochrangigeGruppe schlug vor, die Mitgliedschaft auf alle Staa-ten auszuweiten und die Kommission zu reformieren.Ein solcher Schritt würde unterstreichen, dass dieCharta alle Mitglieder zur Förderung der Menschen-rechte verpflichtet (Abs. 285). Außerdem sollten al-le Mitglieder der MRK angesehene und erfahreneMenschenrechtler zu ihren Delegationsleitern be-stimmen. Die Gruppe empfahl ferner, die Diskussi-on über die Menschenrechtssituation in den Mit-gliedstaaten auf Grundlage eines Jahresberichts derHohen Kommissarin für Menschenrechte zu führen,der über die Verwirklichung aller Menschenrechte inallen Ländern Auskunft geben solle (Abs. 287f.).Schließlich wurde angeregt, die Menschenrechtskom-mission zu einem Menschenrechtsrat (MRR) aufzu-werten, das heißt von einem Unterorgan des ECO-SOC zu einem dem Sicherheitsrat gleichgestelltenCharta-Organ (Abs. 291).

Bericht des Generalsekretärs

In seinem im März 2005 veröffentlichten Bericht ›Ingrößerer Freiheit‹6 schloss sich Annan der Kritik derHochrangigen Gruppe größtenteils an, doch schlug ervor, die Menschenrechtskommission nicht zu ver-größern, sondern durch einen kleineren, ständig ta-

genden Menschenrechtsrat zu ersetzen. Dessen Mit-glieder sollten mit einer Zweidrittelmehrheit aller an-wesenden und abstimmenden Mitgliedstaaten direktvon der Generalversammlung gewählt werden undsich zur Einhaltung der höchsten Menschenrechts-standards verpflichten. Der Menschenrechtsrat kön-ne entweder ein Hauptorgan der Vereinten Nationenoder ein Nebenorgan der Generalversammlung wer-den (Abs. 183).

In einer Rede vor der MRK am 7. April 2005 undin einer Mitteilung7 präzisierte Annan seinen Vor-schlag: Alle Mitgliedstaaten sollten sich gegenseitigüberprüfen (Peer Review). Eine Kammer des Ratessolle in regelmäßigen Abständen untersuchen, in wel-chem Maße die Mitgliedstaaten ihren Menschen-rechtsverpflichtungen nachkämen. Annan versprachsich von einem solchen Verfahren weniger Selektivi-tät und Politisierung. Die bestehenden Sondermecha-nismen der MRK sollten an den Menschenrechtsratübertragen werden, der diese Mechanismen prüfen,präzisieren oder ändern könne.8

Risiken der Reform

Die Glaubwürdigkeitskrise der Menschenrechtskom-mission hatte sicherlich Annans Vorschlag beflügelt,die Kommission nicht zu reformieren, sondern durchein neues Gremium zu ersetzen. Damit ging der Ge-neralsekretär allerdings auch das Risiko ein, dassmanche erfolgreiche Mechanismen der Kommissionvon den Mitgliedstaaten zur Disposition gestellt wer-den könnten.

1 Eine ausgezeichnete Darstellung der Arbeit der Menschenrechts-

kommission zwischen 1946 und 1992 bietet Philip Alston, The Com-

mission on Human Rights, in: ders. (Ed.), The United Nations and Hu-

man Rights: A Critical Appraisal, Oxford 1992, S. 126–210.

2 Vgl. Julia Raue/Beate Rudolf, Bewährtes verteidigen und verbes-

sern. Zur Zukunft der Sondermechanismen des UN-Menschenrechts-

kommission, in: Vereinte Nationen (VN), 1-2/2006, S. 12–18.

3 Vgl. Theodor Rathgeber, 61. Menschenrechtskommission – die Krise

schwelt, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Jahrbuch

Menschenrechte, 8. Jg., Frankfurt/Main 2006, S. 199–206.

4 Grundlage dafür bildete Regel 65 (2) der Verfahrensordnung der

Fachkommissionen des Wirtschafts- und Sozialrats, UN-Dok. E/5975/Rev.1

(http://www.ohchr.org/english/bodies/chr/rules.htm). Eine Ausspra-

che zur Menschenrechtssituation in China hat es aus diesem Grund seit

Jahren nicht mehr gegeben.

5 Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung, Bericht

der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und

Wandel, UN-Dok. A/59/565 v. 2.12.2004.

6 In größerer Freiheit. Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und

Menschenrechten für alle, Bericht des Generalsekretärs der Vereinten

Nationen, UN-Dok. A/59/2005 v. 21.3.2005.

7 Erläuternde Mitteilung des Generalsekretärs, UN-Dok. A/59/2005/

Add.1 v. 23.5.2005.

8 Ebd., Abs. 10.

Insbesondere in denUSA sorgte die Tat-sache, dass der Vor-sitz der Menschen-rechtskommissionim Jahr 2003 anLibyen ging, für Em-pörung.

140 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

Menschenrechtskommission Menschenrechtsrat*

Status ■ Fachkommission des ECOSOC ■ Nebenorgan der Generalversammlung (GV)

Mitglieder

AfrikaAsienLateinamerika und KaribikWesteuropäische und andere StaatenOsteuropa

■ 53

■ 15 (28%)

■ 12 (23%)

■ 11 (21%)

■ 10 (19%)

■ 5 (9%)

■ 47

■ 13 (27,5%)

■ 13 (27,5%)

■ 8 (17%)

■ 7 (15%)

■ 6 (13%)

Dauer der Mitgliedschaft ■ 3 Jahre, Wiederwahl jederzeit möglich ■ 3 Jahre, auf maximal 6 Jahre begrenzt (nach 2Wahlperioden keine direkte Wiederwahl mög-lich)

Wahl ■ Durch einfache Mehrheit des ECOSOC (de factoBestätigung der Vorschläge der Regionalgrup-pen)

■ Durch GV; alle Kandidaten müssen einzeln, ingeheimer Wahl mit absoluter Mehrheit (min-destens 96 Stimmen) aller GV-Mitglieder ge-wählt werden

Wahlkriterien ■ Keine ■ Mitglieder des Rates sollen die höchsten Men-schenrechtsstandards einhalten und mit demRat uneingeschränkt kooperieren

■ Beitrag des Kandidaten zum Menschenrechts-schutz sowie freiwillige finanzielle Beiträge sollenberücksichtigt werden

Ausschluss eines Mitglieds ■ Nicht möglich ■ Die GV kann die Mitgliedschaft eines Staates,der für systematische Menschenrechtsverlet-zungen verantwortlich ist, mit einer 2/3-Mehr-heit aussetzen

Sitzungsanzahl und -dauer ■ Eine Sitzung von 6 Wochen Dauer imMärz/April jedes Jahres

■ Mindestens 3 Sitzungen pro Jahr von insge-samt mindestens 10 Wochen Dauer, ein-schließlich einer Hauptsitzung

■ Sondersitzungen auf Antrag von 1/3 der Mit-glieder möglich

Regelmäßiges, allgemeines Über-prüfungsverfahren

■ Kein Überprüfungsverfahren, das alle Mitglied-staaten umfasst

■ Alle Mitgliedstaaten der UN, beginnend mitden Mitgliedern des Menschenrechtsrats

■ Details sollen im ersten Jahr durch den Ratfestgelegt werden

Sondermechanismen (Sonderbe-richterstatter, usw.)

■ Ländermandate■ Thematische Mandate■ Arbeitsgruppen von Sachverständigen■ Unabhängige Experten

■ Überprüfung aller Mandate im Laufe des er-sten Tagungsjahrs

Beratung durch Experten ■ Unterkommission für die Förderung und denSchutz der Menschenrechte

■ Ein System der Expertenberatung soll erhaltenbleiben (Überprüfung im ersten Jahr)

Beschwerdeverfahren zu syste-matischen Menschenrechtsver-letzungen

■ 1503-Verfahren: nichtöffentliches Verfahrenzur Erörterung von (Individual)Beschwerden

■ Erhalt eines Beschwerdeverfahrens (Überprü-fung im ersten Jahr)

NGO-Beteiligung ■ Auf Grundlage von E/RES/1996/31 ■ Auf Grundlage von E/RES/1996/31 und derweiterreichenden Praxis der MRK

Übergangsregelungen ■ Auflösung der Kommission zum 16. Juni 2006 ■ Wahl der Mitglieder am 9. Mai, erste Sitzungam 19. Juni 2006

■ Überprüfung der Aufgaben und Funktionendes Rates durch die GV nach fünf Jahren (2011)

Menschenrechtskommission und Menschenrechtsrat: die wichtigsten Unterschiede

* (A/RES/60/251 v. 15.3.2006)

VEREINTE NATIONEN 4/2006 141

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

Sicherung der Rolle der Sonderberichterstatter

In offiziellen Verlautbarungen wird die Arbeit der UN-Sonderberichterstatter9 von Staatenvertretern über-wiegend positiv bewertet, solange es um ihren Ein-satz zum Schutz von Menschen in anderen Staatengeht. Doch sind die meisten Staaten empört, wenn Son-derberichterstatter ihre eigene Menschenrechtspra-xis kritisieren. Obwohl die Berichterstatter nur aufEinladung eines Staates Untersuchungen vor Ort an-stellen können, gibt es Bestrebungen, ihre Befugnisseeinzuschränken.10

Beteiligung von NGOs

Ohne die Arbeit von NGOs wäre eine solide Infor-mationsgrundlage für die Beurteilung der Menschen-rechtssituation in allen Teilen der Welt nicht gegeben.NGOs mit beratendem Status bei den Vereinten Na-tionen konnten bislang im Rahmen der MRK nichtnur schriftliche Stellungnahmen als offizielle UN-Dokumente in den Umlauf bringen, sondern hattenauch das Recht, an den öffentlichen Sitzungen derKommission teilzunehmen und mündliche Stellung-nahmen abzugeben. Die Mitwirkung von NGOs imRahmen der Kommission ging in der Praxis über dievom ECOSOC verabschiedeten Mitwirkungsrechtefür nichtstaatliche Organisationen weit hinaus.11 Pa-rallel zur Tagung der MRK fanden außerdem regel-mäßig zahlreiche NGO-Veranstaltungen statt, dieauch von Sonderberichterstattern, Vertretern von na-tionalen Menschenrechtsinstituten sowie Delegatio-nen besucht wurden. In der Menschenrechtsszenegab es daher Befürchtungen, dass dieser Forumcha-rakter mit der Umwandlung der Kommission in einenständig tagenden Rat verloren gehen würde. Außer-dem bestand die Gefahr, dass die weit reichenden Mit-wirkungsrechte für NGOs auf das Niveau andererUN-Gremien zurückgeschraubt werden könnten.

Die Verhandlungen

Annans Vorschlag, einen Menschenrechtsrat einzu-richten, war von vielen Staaten und den meistenNGOs positiv aufgenommen worden. Auf dem Welt-gipfel 2005 konnte man sich jedoch lediglich auf dieSchaffung des neuen Gremiums einigen. Größe, Zu-sammensetzung sowie seine genaue Funktions- undArbeitsweise blieben ungeklärt.12

Jan Eliasson, der Präsident der 60. Generalver-sammlung, wurde daher beauftragt, die Verhandlun-gen zum MRR fortzuführen. Erstes Ergebnis war einam 3. November 2005 veröffentlichtes Papier, das dieOptionen zur Ausgestaltung eines künftigen Men-schenrechtsrats aufzeigte.13 Anschließend fanden am21. und 22. November 2005 Konsultationen unterLeitung Eliassons mit Regierungsvertretern der Re-gionalgruppen, dem Amt des Hohen Kommissars derVereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR)

und NGOs statt. Ein erster Resolutionsentwurf mitzahlreichen Formulierungsvorschlägen wurde am 28.November 2005 allen Vertragsstaaten zugeleitet undbildete die Grundlage für weitere Verhandlungen.14

Mitte Dezember 2005 bestand aber nach wie vorkeine Einigung in Bezug auf folgende Punkte:

1. Anzahl der Mitglieder des Menschenrechtsrats;

2. Wahlmodus und Kriterien für die Mitgliedschaft;

3. Anzahl und Dauer der Sitzungswochen und

4. Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit für dieVerabschiedung von Länderresolutionen.15

Der südafrikanische und panamaische Verhand-lungsleiter ließen schließlich am 1. Februar 2006 ei-nen überarbeiteten Resolutionsentwurf zirkulieren,der nur noch eine strittige Passage enthielt.16 Erklä-rungen Chinas, der EU und der USA verdeutlichtenaber, dass bei vielen Fragen noch immer kein Kon-sens erreicht worden war.

Im Februar 2006 versuchte Eliasson, in intensivenbilateralen Gesprächen eine Einigung zu erzielen. DieZeit war knapp, denn eine Resolution zum Menschen-rechtsrat sollte noch vor Beginn der 62. Tagung derMRK, am 13. März 2006, in der Generalversamm-lung im Konsens angenommen werden. Gemeinsammit dem UN-Generalsekretär präsentierte Eliasson am23. Februar 2006 seinen Kompromissvorschlag.17

Den meisten Staaten schien der ausgehandelte Reso-lutionsentwurf ein annehmbarer Kompromiss zu sein.Die Vereinigten Staaten kündigten jedoch überra-schend an, gegen die Resolution stimmen zu wollen.Der amerikanische UN-Botschafter John Bolton ver-langte Neuverhandlungen oder eine Verschiebungder Beratungen um mehrere Monate.18 Die USA be-harrten unter anderem darauf, dass die Mitgliedernicht mit absoluter Mehrheit, sondern mit einer Zwei-drittelmehrheit durch die Generalversammlung ge-wählt werden müssten. Außerdem sollten Mitgliederdes Rates, die für schwerwiegende Menschenrechts-

9 Zu den Aufgaben und Leistungen der Sonderberichterstatter, siehe

Raue/Rudolf, Bewährtes verteidigen, a.a.O. (Anm. 2) sowie die Über-

sicht, VN, 1–2/2006, S. 26f.

10 Ausführlich dazu: Raue/Rudolf, Bewährtes verteidigen, a.a.O.

(Anm. 2), S. 16.

11 UN Doc. E/RES/1996/31 v. 25.7.1996.

12 UN-Dok. A/RES/60/1 v. 16.9.2005, Abs. 157–160.

13 Options Paper, 3.11.2005; alle Entwürfe sind zu finden unter: http://

www.reformtheun.org/index.php/united_nations/c464?theme=alt2

14 Compilation Text, 28.11.2005, ebd.

15 Co-Chair’s Text, 19.12.2005, ebd.

16 Co-Chair's Text, 1.2.2006, ebd.

17 Resolutionsentwurf, vorgelegt vom Präsidenten der Generalver-

sammlung, UN-Dok. A/60/L.48 v. 24.2.2006. Dieser Entwurf wurde

unverändert angenommen, UN-Dok. A/RES/60/251 v. 15.3.2006.

18 U.S. Opposes U.N.’s Planned Rights Panel, Washington Post, 28.2.2006.

In der Menschen-rechtsszene gab esBefürchtungen, dassder Forumcharaktermit der Umwand-lung der Kommissionin einen ständigtagenden Rat verlo-ren gehen würde.

142 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

de dieser Vorschlag aufgegriffen. Die Generalver-sammlung soll aber den Status des Gremiums inner-halb von fünf Jahren überprüfen. Sitz des Rates bleibtGenf.21

2. Allgemeines Überprüfungsverfahren

Annan hatte vorgeschlagen, die Achtung der Men-schenrechte in allen Staaten regelmäßig auf Grund-lage eines einheitlichen Verfahrens zu überprüfen.Wie ein solcher ›Peer-Review‹-Mechanismus genauaussehen sollte, hatte der Generalsekretär offen ge-lassen. Als Modell für einen solchen Mechanismuswurde unter anderem das Verfahren der Internatio-nalen Arbeitsorganisation (ILO) diskutiert. Dabei wer-den jedes Jahr die Arbeitsbedingungen in den 178ILO-Mitgliedstaaten durch ein Expertengremiumuntersucht und die Verstöße gegen ILO-Übereinkom-men in einem öffentlich zugänglichen Bericht festge-halten.22 Von der EU, Mexiko und der Schweiz wur-de vorgeschlagen, dass das Überprüfungsverfahrenhauptsächlich die Umsetzung der Empfehlungen derVertragsausschüsse und Sonderberichterstatter durchdie Mitgliedstaaten zum Gegenstand haben sollte.Kuba, traditioneller Gegner von Länderresolutionen,sprach sich für einen thematischen statt länderbezo-genen Ansatz aus.23 Die lateinamerikanische Staa-tengruppe plädierte dafür, das Überprüfungsverfah-ren auf Grundlage eines Jahresberichts der HohenKommissarin für Menschenrechte vorzunehmen.24

Die Resolution sieht nun ein Verfahren der allge-meinen regelmäßigen Überprüfung (Universal Peri-odic Review – UPR) vor, bei dem alle Mitgliedstaa-ten gleich behandelt werden sollen. Das Verfahrensoll auf objektiven und zuverlässigen Informationenberuhen und einen interaktiven Dialog mit dem je-weiligen Mitgliedstaat beinhalten. Mit dem Verfah-ren soll die Einhaltung der Menschenrechtsverpflich-tungen überprüft werden, die der jeweilige Staat ein-gegangen ist. Es soll die Arbeit der Vertragsausschüs-se25 ergänzen, nicht ihre Arbeit duplizieren (Abs. 5e).Mitglieder des MRR sollen während ihrer Amtszeitmindestens einmal überprüft werden (Abs. 9). Dies,so hofft man, könnte Staaten mit einer schlechtenMenschenrechtsbilanz abschrecken.

Viel wird von der konkreten Ausgestaltung desVerfahrens abhängen. Bleibt die Prüfung auf die ver-tragsrechtlich eingegangenen Menschenrechtsver-pflichtungen beschränkt, wäre wenig gewonnen. Staa-ten, die vielen internationalen Menschenrechtsüber-einkommen beigetreten sind, würden dann weitausintensiver evaluiert als jene Länder, die nur wenigenbeigetreten sind. Dies würde der Idee eines Verfah-rens widersprechen, das alle Staaten, beruhend auf ei-nem einheitlichen, allgemein gültigen Mindeststan-dard, evaluiert.

Bestrebungen, die Einrichtung des Überprüfungs-verfahrens zum Anlass zu nehmen, um das von eini-gen Staaten nicht besonders geliebte Instrument der

verstöße verantwortlich sind, mit einfacher Mehr-heit ausgeschlossen werden können. Derartige Vor-schläge, die durchaus von NGOs und westlichenStaaten unterstützt wurden, waren aber in der Ge-neralversammlung nicht mehrheitsfähig und hättendas gesamte Reformprojekt gefährdet.

Eine Abstimmung über den Resolutionsentwurf,die für den 10. März 2006 angesetzt worden war,wurde vom Präsidenten der Generalversammlungkurzfristig wieder verschoben. Es sollte Zeit gewon-nen werden, um vielleicht doch noch eine Annahmeder Resolution im Konsens zu ermöglichen. Die ame-rikanische Delegation zeigte sich aber nicht kom-promissbereit. Auch die Zusicherung von etwa 60Staaten, darunter die der EU, keine Staaten, die schwe-re Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hät-ten, in den Rat zu wählen, konnte an der amerikani-schen Haltung nichts ändern.

So wurde der Versuch, die Resolution im Kon-sens zu verabschieden, aufgegeben. Am 15. März2006 wurde schließlich Resolution 60/251 von ei-ner überwältigen Mehrheit von 170 Staaten bei vierGegenstimmern (Israel, Marshallinseln, Palau, Ver-einigte Staaten) angenommen. Belarus, Iran und Ve-nezuela enthielten sich. Bolton erklärte nach der Ab-stimmung, die USA würden trotz ihrer Vorbehaltegegenüber der verabschiedeten Resolution alles in ih-ren Möglichkeiten stehende tun, um den Menschen-rechtsrat so stark wie möglich zu machen. Der schwei-zerische Botschafter Peter Maurer betonte, die Reso-lution sei ein guter Kompromiss, auch wenn nicht dieAnliegen aller Mitgliedstaaten berücksichtigt werdenkonnten.

Nach der Verabschiedung der Gründungsresolu-tion kam die Menschenrechtskommission, die sichmehrfach vertagt hatte, um das Ergebnis des politi-schen Prozesses in New York abzuwarten, schließ-lich am 27. März 2006 zu einer sehr kurzen letztenSitzung zusammen. Alle Berichte, die der Kommissionvorlagen, wurden an den Menschenrechtsrat über-tragen.19 Eine inhaltliche Debatte fand nicht mehrstatt.

Im Folgenden wird ein Überblick über die wich-tigsten Streitpunkte bei den Verhandlungen gegeben.

Die Streitpunkte

1. Status des Menschenrechtsrats

Kofi Annan hatte vorgeschlagen, den Menschen-rechtsrat zu einem Hauptorgan der Vereinten Natio-nen oder einem Nebenorgan der Generalversamm-lung aufzuwerten.20 Den Rat als ein Hauptorgan ein-zurichten, hätte aber eine Änderung der UN-Chartaerfordert. Deshalb wurde von einigen westlichenStaaten ein pragmatischer Ansatz vertreten, den Ratzunächst als Nebenorgan der Generalversammlungeinzurichten. In der verabschiedeten Resolution wur-

Am 15. März 2006wurde schließlichResolution 60/251

von einer überwälti-gen Mehrheit von

170 Staaten bei vierGegenstimmern

angenommen.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 143

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

Länderresolution einzuschränken, konnten sich bis-her nicht durchsetzen. Belarus und Pakistan wolltenin die Resolution einen Paragraphen einfügen, derstatt einer einfachen Mehrheit eine Zweidrittelmehr-heit erfordert hätte, um eine Länderresolution zu ver-abschieden.

3. Sonderberichterstatter

Laut Resolution soll der Menschenrechtsrat alle Man-date und Verfahren der MRK übernehmen, überprü-fen und, wenn nötig, verbessern und straffen. Die Re-solution spricht zugleich davon, ein System der Son-derberichterstatter zu erhalten (Abs. 6). Ein Bestands-schutz für die über 40 Sonderberichterstatter und Ar-beitsgruppen ist damit freilich nicht gegeben. Der Vor-schlag Singapurs und Chinas, jeden Hinweis auf dieSonderberichterstatter im Text zu streichen, fand kei-ne Zustimmung.26 Stattdessen wird der Rat nun be-auftragt, im Verlauf des ersten Tagungsjahrs die be-stehenden Mandate zu überprüfen.

Dem internationalen Menschenrechtsschutz wä-re sehr gedient, wenn das bewährte Instrumentariumder Sonderberichterstatter ohne Einschränkungendem MRR weiterhin zur Verfügung stünde. Dabeisollten die Sondermechanismen nicht nur an denRat überführt, sondern weiter ausgebaut und ver-bessert werden – etwa durch ein stärker an der fach-lichen Eignung orientiertes Auswahlverfahren derBerichterstatter. Angesichts bestehender inhaltlicherÜberschneidungen kann über die Ausrichtung einigerMandate neu nachgedacht werden.

Benötigt werden außerdem zusätzliche Anreize,um die Kooperation einiger Mitgliedstaaten mit denSonderberichterstattern zu verbessern. Diese Zusam-menarbeit sollte Gegenstand des vorgeschlagenen all-gemeinen Überprüfungsverfahrens werden. In diesemZusammenhang könnte auch untersucht werden, in-wieweit der jeweilige Staat die Empfehlungen der Son-derberichterstatter umgesetzt hat. Die Mitgliedstaa-ten könnten ihrerseits durch ständige Einladungen(standing invitations) den Sonderberichterstattern ge-statten, sich jederzeit über die Menschenrechtssitua-tion in ihrem Land zu informieren. Bisher haben erst55 Staaten derartige Einladungen ausgesprochen.27

Eine strittige Frage wird bleiben, ob der Rat nebenthematischen Sonderberichterstattern weiterhin Län-derberichterstatter einsetzen soll. So schlug die Grup-pe ›gleichgesinnter Staaten‹28 im Juni 2006 erneutvor, jene Sondermechanismen abzuschaffen, welchefür eine ›Politisierung‹ der MRK gesorgt hätten.

4. Beschwerdeverfahren

In Absatz 6 der Gründungsresolution ist auch derErhalt eines Beschwerdeverfahrens vorgesehen. DerRat muss nun innerhalb seines ersten Tagungsjahrsdarüber befinden, ob er das so genannte 1503-Ver-fahren in seiner bestehenden Form aufrechterhaltenmöchte. Bislang hatte eine Arbeitsgruppe in einem

19 Resolution 2006/1, UN Doc. E/CN.4/2006/122 v. 27.3.2006.

20 In größerer Freiheit, a.a.O. (Anm. 6), Abs. 183.

21 UN-Dok. A/RES/60/251 v. 15.3.2006, Abs. 1.

22 Vgl. International Labour Office: Handbook of Procedures Relating

to International Labour Conventions and Recommendations, Revised

Version 2006, Genf 2006, S.35–40.

23 Compilation Text, a.a.O. (Anm. 14), Abs. 5e) ter.

24 Ebd., Abs. 6d) ii.

25 Die Vertragsausschüsse sind für die Überwachung bestehender

internationaler Menschenrechtsübereinkommen zuständig. Derzeit

gibt es zu sieben Übereinkommen jeweils einen Ausschuss.

26 Proposal by the Chinese Delegation on the Draft Resolution on Hu-

man Rights Council, 6.2.2006.

27 Die Liste der Staaten, die bereit sind, jederzeit einen Sonderbe-

richterstatter zu empfangen, ist zu finden unter: http://www.ohchr.

org/english/bodies/chr/special/invitations.htm. Deutschland hat diese

ständige Einladung ausgesprochen.

28 Non-paper of the Like Minded Group on the Human Rights Council

(ohne Datum). Zur ›Like Minded Group‹ gehören u.a. China, Kuba und

Pakistan.

nichtöffentlichen Verfahren sämtliche, an das OH-CHR gerichtete Beschwerden untersucht und sie andie MRK weitergeleitet, sofern die Beschwerden ei-nen ›Gesamtzusammenhang von schweren Verlet-zungen der Menschenrechte erkennen lassen‹. DieMRK konnte anschließend in nichtöffentlicher Sit-zung entscheiden, ob die Situation weiter untersucht,ein Sonderberichterstatter eingesetzt oder öffentlichüber die Situation beraten wurde.

5. Die Unterkommission

Die 26-köpfige Unterkommission der MRK wird imAugust dieses Jahres das letzte Mal tagen. Die Reso-lution spricht lediglich vom Erhalt eines Systems derExpertenberatung (Abs. 6). Der MRR wird im Ver-lauf seines ersten Tagungsjahrs entscheiden, wie einneues beratendes Expertengremium aussehen soll.Viele NGOs hatten sich für den Erhalt der Unter-kommission ausgesprochen, die der wichtigste Ideen-geber der Kommission war. Schließlich sind in derVergangenheit fast alle Initiativen zu neuen Men-schenrechtsthemen von der Unterkommission aus-gegangen, die im Gegensatz zur MRK nicht mit Di-plomaten, sondern mit unabhängigen Sachverstän-digen besetzt war.

6. Mitwirkung von NGOs

Einschränkungen für die vergleichsweise weit reichen-de Mitwirkung von NGOs sind nicht zu befürchten.Die Resolution sieht vor, dass NGOs neben Staaten,die nicht Mitglied im Rat sind, Sonderorganisationen,sonstigen zwischenstaatlichen Organisationen und na-tionalen Menschenrechtsinstituten als Beobachter anden Sitzungen teilnehmen können. Für die Beteili-gung von NGOs im MRR gilt nicht nur Resolution

Viele NGOs hattensich für den Erhaltder Unterkommis-sion ausgesprochen,die der wichtigsteIdeengeber derKommission war.

144 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

1996/31 des ECOSOC, sondern die darüber hinausgehende Praxis der MRK (Abs. 11).

7. Größe und Zusammensetzung

In den Verhandlungen plädierten die EU, Japan, Ka-nada, Mexiko und Neuseeland für einen kleinerenMenschenrechtsrat, die USA sogar für einen Gremi-um mit maximal 30 Mitgliedern. Die meisten afri-kanischen und lateinamerikanischen Staaten woll-ten jedoch bei der Zahl von 53 bleiben.

In Absatz 7 der Resolution 60/251 wurde die An-zahl der Mitglieder schließlich auf unwesentlich we-niger, nämlich 47, festgelegt. Die Auswahl folgt demProporz der Regionalgruppen in der Generalversamm-lung. Somit erhalten die afrikanische und asiatischeStaatengruppe jeweils 13 Sitze, die osteuropäischenStaaten sechs, die lateinamerikanischen und karibi-schen Staaten acht und die westlichen Staaten siebenSitze. Die westeuropäischen und lateinamerikanischenStaaten haben daher im neuen Gremium an Gewichtverloren.

Damit im neuen Menschenrechtsrat auch kleine-re Staaten eine Chance erhalten, als Mitglied vertre-ten zu sein, kann ein Staat nach zwei Amtsperioden(insgesamt sechs Jahre) nicht mehr unmittelbar wie-dergewählt werden und muss vorübergehend ausset-zen. Die Vereinigten Staaten und China lehnten wäh-rend der Verhandlungen diese Zwangspause ab.29

8. Wahlverfahren und Mitgliedschaftskriterien

Annan hatte vorgeschlagen, die Mitglieder mit einerZweidrittelmehrheit unmittelbar durch die General-versammlung zu wählen. Damit sollte der Praxis,dass die Regionalgruppen die Mitglieder ohne Ge-genkandidaten aus den eigenen Reihen nominieren,entgegengewirkt werden. Laut Gründungsresolutionwerden die Mitglieder des Rates nun einzeln und un-mittelbar durch die absolute Mehrheit aller Mitglie-der der Generalversammlung in geheimer Wahl ge-wählt. Ein Staat muss also bei der derzeitigen Mit-gliedschaft von 192 Staaten mindestens 96 Stimmenauf sich vereinen. Die EU und die USA hatten eineZweidrittelmehrheit als wichtige Bedingung angese-hen, unter anderem um zu verhindern, dass Staaten,die wenig zum Schutz der Menschenrechte beitragen,Mitglied werden können.30

Die USA wollten darüber hinaus die Mitglied-schaft im Menschenrechtsrat an klare Bedingungenknüpfen. So sollten keine Staaten dem Rat angehö-ren, gegen die der Sicherheitsrat nach Kapitel VII derUN-Charta Sanktionen oder Zwangsmaßnahmen er-griffen hat.31 Die meisten anderen Staaten waren ge-gen eine Regelung, die bestimmten Staaten eine Mit-gliedschaft verwehrt. Die Resolution stellt klar, dassdie Mitgliedschaft im Menschenrechtrat allen Mit-gliedern der Vereinten Nationen offen steht. Im Textheißt es lediglich, dass die Mitgliedstaaten bei derWahl den Beitrag des Kandidaten zum Menschen-

rechtsschutz und die von ihm geleisteten freiwilligenBeiträge berücksichtigen sollen. Der Präsident derGeneralversammlung hatte dem Resolutionstext je-doch eine weitere Bestimmung hinzugefügt, die es derGeneralversammlung erlaubt, mit einer Zweidrittel-mehrheit die Mitgliedschaft eines Staates, der schwe-re und systematische Menschenrechtsverletzungenbegeht, im Menschenrechtsrat auszusetzen (Abs. 8).Die Vereinigten Staaten haben die Ablehnung der Re-solution unter anderem damit begründet, dass ihnendiese Bestimmung nach wie vor nicht ausreiche.

9. Die Tagungszeiten

Bei den Verhandlungen in New York reichten die Vor-schläge zur Tagungsdauer von der Beibehaltung derbisherigen Praxis der MRK (eine jährliche sechswö-chige Tagung) bis hin zu regelmäßigen Tagungen überdas ganze Jahr verteilt und einer Tagungsperiode vonnicht weniger als zwölf Wochen pro Jahr. Insbeson-dere kleinere Staaten, aber auch einige NGOs, diekeine Kontaktbüros in Genf haben, befürchteten, ei-nem dauerhaft tagenden Menschenrechtsrat in Genfnicht mehr angemessen folgen zu können. Die meis-ten NGOs befürworteten die Beibehaltung einerHaupttagung, um den Charakter eines jährlichenTreffens von Menschenrechtsverteidigern zu erhal-ten. Absatz 10 der Resolution sieht nun vor, dass derRat regelmäßig während des ganzen Jahres zusam-mentritt und nicht weniger als drei Tagungen im Jahrvon insgesamt mindestens zehn Wochen Dauer ab-hält. Eine dieser Tagungen soll als jährliche Haupt-tagung abgehalten werden. Sondertagungen sind aufAntrag eines Mitglieds mit Unterstützung von einemDrittel aller Mitglieder möglich.

Die ersten Wahlen zum Menschen-rechtsrat

Am 9. Mai 2006 fand die erste Wahl zum Menschen-rechtsrat statt. Es bewarben sich insgesamt 63 Staa-ten um die 47 Sitze. Die Vereinigten Staaten, die be-reits die Resolution zur Einsetzung des Menschen-rechtsrats nicht mitgetragen hatten, kandidiertennicht. Am stärksten umkämpft waren die Sitze derosteuropäischen Staatengruppe. Hier bewarben sich13 Staaten um sechs Sitze.

Im Vorfeld hatten alle Kandidaten Wahlverspre-chen eingereicht, die auf der Website der General-versammlung veröffentlicht wurden.32 Die Mitgliederdes MRR können nun an ihren abgegebenen Ab-sichtserklärungen gemessen werden. Deutschland ver-sprach, das Fakultativprotokoll zur Folterkonventionund das Protokoll gegen Kinderhandel der Kinder-rechtskonvention zu ratifizieren, seine Unterstützungfür das OHCHR zu erhöhen und einen nationalenAktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus, Rassen-diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit im Jahr2006 zu verabschieden.33

Laut Gründungs-resolution werdendie Mitglieder desRates nun einzeln

und unmittelbardurch die absoluteMehrheit aller Mit-

glieder der General-versammlung ingeheimer Wahl

gewählt.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 145

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

29 Vgl. Proposal by the Chinese Delegation, a.a.O. (Anm. 26).

30 Vgl. u.a. Informal Consultations of the Plenary on the Human Rights

Council, Statement of Gerhard Pfanzelter on Behalf of the European

Union, 6.2.2006.

31 Vgl. Compilation Text, a.a.O. (Anm. 14), OP 9 alt.

32 http://www.un.org/ga/60/elect/hrc/

33 Germany and the Human Rights Council. Voluntary Pledges and

Commitments in Accordance with Resolution A/RES/60/251, 5.4.2006,

http://www.un.org/ga/60/elect/hrc/germany.pdf.

34 Resolution 2006/1 v. 29.6.2006, UN Doc. A/HRC/1/L.2.

35 Resolution 2006/2 v. 29.6.2006, UN Doc. A/HRC/1/L.3.

36 Resolutionsentwurf A/HRC/S-1/L.1, mündlich ergänzt durch Pakis-

tan am 5. und 6.7.2006.

37 Tagungen 2006: 18.9.–6.10.2006 und 27.11.–6.12.2006; Tagung 2007:

12.3.–6.4.2007.

38 Beschluss 2006/105 v. 30.6.2006, UN Doc. A/HRC/1/L.13.

39 Beschluss 2006/104 v. 30.6.2006, UN Doc. A/HRC/1/L.12.; Beschluss

2006/106 v. 30.6.2006, UN Doc. A/HRC/1/L.14. Einen sehr guten Über-

blick über die Fragen, die die beiden Arbeitsgruppen behandeln wer-

den, gibt: International Service for Human Rights/Friedrich Ebert Stif-

tung, A New Chapter for Human Rights. A Handbook on Issues of Tran-

sition from the Commission on Human Rights to the Human Rights

Council, Genf 2006, http://www.ishr.ch/handbook/

40 Non-Paper of the Like Minded Group on the Human Rights Council

(ohne Datum).

41 Arbeitspapiere zu den Beratungen werden im Extranet des Men-

schenrechtsrats veröffentlicht. Der Zugang zum Extranet kann auf der

Website des OHCHR beantragt werden. http://www.ohchr.org/english/

bodies/hrcouncil/form.htm

42 Beschluss 2006/102 v. 30.6.2006, UN Doc. A/HRC/1/L.6.

43 Ebd.

Nach der Wahl wurde die Dauer der Mitgliedschaftausgelost. Es handelte sich dabei um ein einmaligesVerfahren, das sicherstellen soll, dass in Zukunft je-des Jahr ein Drittel aller Sitze neu bestimmt werdenkönnen. Deutschland erhielt innerhalb der westli-chen Staatengruppe die meisten Stimmen und wirddem Menschenrechtsrat für die nächsten drei Jahreangehören.

Die erste Tagung

Der Menschenrechtsrat trat das erste Mal vom 19.bis 30. Juni 2006 in Genf zusammen. Dabei verab-schiedete er unter anderem die Konvention gegen er-zwungenes Verschwindenlassen34 und die Erklärungder Rechte indigener Völker.35 Überschattet von derEskalation im Gaza-Streifen forderten 21 Mitgliederdes MRR am letzten ordentlichen Sitzungstag, eineSondersitzung zur Situation in Palästina einzuberu-fen. Auf dieser Sondersitzung am 5. und 6. Juli 2006wurde mit 29 zu elf Stimmen bei fünf Enthaltungeneine Resolution verabschiedet, die israelische Men-schenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das hu-manitäre Völkerrecht verurteilt. Die EU-Staaten, Ja-pan, Kanada, Rumänien und die Ukraine stimmtengegen die Resolution.36

In Bezug auf seine zukünftige Arbeitsweise be-schloss der MRR, im ersten Sitzungsjahr drei weite-re reguläre Tagungen abzuhalten.37 Auf der nächs-ten regulären Tagung im September/Oktober sollendie an den Menschenrechtsrat übergebenen Berichteder MRK sowie der Bericht der Unterkommissiondiskutiert werden. Berichte der Sonderberichterstat-ter sollen auf der nächsten Tagung und im März/April 2007 entgegengenommen werden. Während je-der Tagung können auch Resolutionen zu Themenoder Ländern eingebracht werden.38

Der Schwerpunkt wird im ersten Jahr allerdingsauf der Ausgestaltung der zukünftigen Arbeitsweiseliegen. Hierzu hat der Menschenrechtsrat zwei Ar-beitsgruppen eingesetzt, die sich zwischen den Plenar-sitzungen zu informellen und formellen Sitzungen tref-fen werden.39 Die eine Arbeitsgruppe wird sich mitdem allgemeinen Überprüfungsverfahren beschäfti-gen, die andere mit der Überprüfung aller Mandateund Mechanismen, die von der Kommission über-nommen wurden. Gegen den Widerstand der ›gleich-gesinnten Staaten‹40 konnte durchgesetzt werden, dassdas OHCHR und nichtstaatliche Akteure an denKonsultationen beteiligt werden.41 So wurde das Amtbeauftragt, Vorschläge für die Ausgestaltung des Über-prüfungsverfahrens zusammenzustellen.

Durch einen weiteren Beschluss wurden alle Man-date der MRK um ein Jahr verlängert und damit ver-hindert, dass während des Übergangs von der Kommis-sion zum Rat eine temporäre Schutzlücke entsteht.42

Die Unterkommission der MRK wird zu einerletzten Sitzung im August 2006 zusammentreffen.

Sie wurde beauftragt, eigene Empfehlungen zu einemzukünftigen Expertenberatungsmechanismus abzu-geben, der an ihre Stelle treten soll.43

Bewertung

Mit der Einsetzung des Menschenrechtsrats wurdeder Menschenrechtsschutz im System der VereintenNationen deutlich aufgewertet. Das erste Mal in derGeschichte der Vereinten Nationen wurde ein zen-trales Gremium abgeschafft und durch ein neues er-setzt. Der neue Menschenrechtsrat ist zwar keine ra-dikale Reform, wohl aber mehr als ein bloßer Na-menswechsel. Er wird länger und regelmäßig im Jahrtagen, wird über ein periodisches Überprüfungsver-fahren aller Staaten verfügen, ist der Generalver-sammlung direkt unterstellt und wird von ihr durchein neues Wahlverfahren gewählt.

Dieses neue Wahlverfahren wird den MRR nichtin eine Versammlung menschenrechtlicher Muster-knaben verwandeln, ermutigt seine Mitglieder aberzu mehr Engagement und steigert die Kosten derMitgliedschaft deutlich. Absichtserklärungen der Kan-didaten werden vor den Wahlen veröffentlicht undkönnen so von NGOs geprüft werden. Die vom Ge-

Das neue Wahl-verfahren wird denRat nicht in eineVersammlungmenschenrecht-licher Musterkna-ben verwandeln.

146 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Theissen | Mehr als nur ein Namenswechsel

neralsekretär vorgeschlagene Wahl durch zwei Drit-tel aller Mitglieder der Generalversammlung hätte esmanchem Kandidaten erschwert, in den Rat einzu-ziehen. Die ersten Wahlen zeigen jedoch, dass vieleKandidaten, unbeschadet von der Menschenrechtssi-tuation im Inneren, auch eine höhere Hürde über-wunden hätten (bei einer Zweidrittelmehrheit hättendie Kandidaten 126 statt 96 Stimmen auf sich verei-nigen müssen).

Ein Menschenrechtsrat, der allein aus gefestigtendemokratischen Rechtsstaaten mit sehr gutem Men-schenrechtsschutz bestünde, wie dies zuweilen in denVereinigten Staaten gefordert wurde, liefe Gefahr,in seiner Zusammensetzung nicht mehr repräsenta-tiv zu sein. Einem solchen Gremium würde es an Le-gitimität fehlen, Beschlüsse mit internationalem Gel-tungsanspruch zu fassen. Das neue Wahlverfahrenund die Möglichkeit, einen Staat wegen systemati-scher Menschenrechtsverletzungen von seiner Mit-gliedschaft zu suspendieren, tragen daher vermutlichmehr zum Schutz der Menschenrechte bei als Rege-lungen, die bestimmte Staaten vom Menschenrechts-rat von vornherein ausgeschlossen hätten.

Dass die Vereinigten Staaten im MRR nicht ver-treten sind, ist sicherlich zu bedauern. Es bleibt zuhoffen, dass das Land bei künftigen Wahlen kandi-dieren wird. Die gegenwärtige Abwesenheit der USAeröffnet aber vielleicht auch die Chance, im Ratschneller zu einem Konsens über die zukünftige Ar-beitsweise zu kommen.

Das Gremium wird auch in Zukunft durch diePolitikkoordination innerhalb bestehender Regio-nalgruppen und Staatenbündnisse geprägt sein. Fürdie EU wird es vermutlich weder leichter noch be-deutend schwerer sein, Mehrheiten für ihre Vorschlä-ge zu finden. Die neue Zusammensetzung des Ratesändert daran wenig. Bereits in der MRK verfügtendie afrikanische und asiatische Staatengruppe zusam-men über eine absolute Mehrheit. Die Blockbildungkann vermutlich nur überwunden werden, wenn dieMitglieder bereit sind, in wechselnden Koalitionenzu arbeiten und sich im Einzelfall offen zeigen, Be-schlüsse und Resolutionen mitzutragen, die aus re-gionaler oder nationaler Sicht geringere Prioritäthaben.

Der neue Menschenrechtsrat hat bewiesen, dass erschnell auf Menschenrechtskrisen reagieren kann. Dieeinberufene Sondersitzung zur Situation in Palästinaunterstreicht dies. Freilich zeigt der Vorgang aberauch, dass der MRR sich weiterhin – manchmal zuRecht, manchmal zu Unrecht – den Vorwurf gefal-len lassen muss, selektiv zu handeln. Dass geradeStaaten, die Länderresolutionen und Sonderberichter-stattern sehr kritisch gegenüberstehen, im Fall von Pa-lästina auf eben diese Instrumente zurückgegriffenhaben, gibt aber Hoffnung, dass die anstehende Über-prüfung der Mandate der Sonderberichterstatter nichtzu einem Kahlschlag führen wird.

Ausblick

Ob der MRR ein neues Kapitel im Menschenrechts-schutz der Vereinten Nationen aufschlagen kann, wirdsehr von der Ausgestaltung des allgemeinen periodi-schen Überprüfungsverfahrens abhängen, der einerselektiven Beschäftigung mit bestimmten Menschen-rechtssituationen entgegenwirken soll. Bisher reichendie diskutierten Modelle von einer Minimalvariante,bei der jeder Staat einen kurzen Bericht über sichselbst anfertigt, über den dann im Plenum diskutiertwird, bis hin zu komplexen Verfahren, die einen vor-herigen Besuch eines Berichterstatters in den über-prüften Ländern vorsehen.

Ob der Rat einen robusten Überprüfungsmecha-nismus etablieren kann, bleibt abzuwarten. Es ist einehrgeiziges Vorhaben, jedes Jahr etwa 40 Staatenauf ihre Menschenrechtsverpflichtungen zu überprü-fen. So viele Staaten müssten ungefähr jedes Jahr un-tersucht werden, wenn alle Mitgliedstaaten der UNalle fünf Jahre überprüft würden. Dies wird nur danneinen positiven Effekt haben, wenn ausreichend Zeitund Ressourcen zur Verfügung stehen. Zugleich istder Druck hoch, möglichst bald zu einer Einigung zukommen. Schließlich sollen die derzeitigen Mitgliederdes Rates bereits während ihrer Amtszeit überprüftwerden. Für 14 Mitglieder endet vielleicht schon imJuni 2007 ihre Amtsperiode, es sei denn, sie werdenwiedergewählt. Die Mitglieder des MRR sollten sichauch in die Beratungen zur Reform und Verbesse-rung der von der MRK übernommenen Mechanismeneinbringen. Das System der Sonderberichterstattermuss nicht nur verteidigt, sondern auch verbessertwerden. Ein neuer unabhängiger Expertenberatungs-mechanismus muss ins Leben gerufen werden, der diebisherige Think-Tank-Funktion der Unterkommis-sion übernimmt. Auch das 1503-Verfahren muss re-formiert werden.

So könnte ein Expertenausschuss die eingegange-nen Beschwerden überprüfen und anschließend fest-stellen, ob es in einem Staat Hinweise auf ein konsis-tentes Muster schwerer Menschenrechtsverletzungengibt. Eine solche Feststellung sollte dann zu einer öf-fentlichen Befassung mit der Menschenrechtslage indem betreffenden Staat im MRR führen.

Die Generalversammlung hat mit der Einrich-tung des Menschenrechtsrats eine wichtige Reformangeschoben. Es gilt nun, Neues auszugestalten undBestehendes zu verbessern. Der Menschenrechtsrathat entschieden, bei der Ausarbeitung des periodi-schen Überprüfungsverfahrens und der Reform derMandate alle Akteure zu beteiligen. Dazu zählennicht nur Regierungen, Sonderberichterstatter undMitglieder der Menschenrechtsausschüsse, sondernauch nationale Menschenrechtsinstitute und NGOs.Sie sollten die Chance nicht verstreichen lassen, dasMenschenrechtssystem der Vereinten Nationen zustärken.

Es ist ein ehrgeizi-ges Vorhaben, jedes

Jahr etwa 40 Staa-ten auf ihre Men-

schenrechtsverpflich-tungen zu über-

prüfen.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 147

Gareis | Reform vertagt

Seit seiner Wiedervereinigung hat sich Deutsch-land mit wechselnder Intensität um einen ständi-gen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationenbemüht. Nach einer engagierten Lobbyarbeit in ei-gener Sache schien dann im Reformjahr 2005 einPlatz im wichtigsten Hauptorgan für Deutschlandund seiner G-4-Partner Brasilien, Indien und Japanzum Greifen nahe. Doch angesichts hartnäckigenWiderstands der USA und Chinas sowie Unstimmig-keiten zwischen den Reformbefürwortern blieb dieChance ungenutzt, möglicherweise eine Zweidrit-telmehrheit in der Generalversammlung für eineReformresolution zu erreichen. Die Reform wurdebis auf weiteres vertagt. Sollte sich eine derartigeGelegenheit künftig noch einmal ergeben, müsstesie von Deutschland und seinen Partnern entschlos-sener genutzt werden.

Am 5. Januar 2006 brachte Deutschland gemeinsammit Brasilien und Indien aber ohne Japan fast unver-ändert noch einmal jenen Resolutionsentwurf zur Re-form des UN-Sicherheitsrats in die Generalversamm-lung ein, mit dem die vier Staaten als Gruppe der Vier(G-4) den Sommer 2005 hindurch die Debatte umdie Erneuerung des wichtigsten Hauptorgans derWeltorganisation maßgeblich geprägt hatten.1 ImKern werden weiterhin eine Erweiterung des Ratesum sechs ständige und vier nichtständige Sitze ge-fordert sowie ein Verfahren zur Auswahl der künf-tigen ständigen Mitglieder vorgeschlagen. Doch vonder noch wenige Monate zuvor herrschenden Re-formdynamik war bei dieser Einbringung nicht mehrviel zu spüren. Der neue Entwurf wurde nicht einmalmehr mit dem Ziel vorgelegt, ihn je zur Abstim-mung zu stellen. Als eingebrachter Entwurf soll ervielmehr als offizielles Referenzdokument für dieweitere Diskussion über die Reform des Sicher-heitsrats dienen.

Um diese steht es allerdings nicht gut. Zwar be-steht die Notwendigkeit fort, den Sicherheitsrat hin-sichtlich seiner Größe, seiner Repräsentativität sowieseiner Arbeitsweisen den Erfordernissen des 21. Jahr-hunderts anzupassen, doch gehen die Meinungen überZiele und Reichweite dieser Anpassung weit ausein-ander. Angesichts heftigen Widerstands seitens derUSA und Chinas sowie angesichts zweifelhafter Aus-sichten, die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 128der nunmehr 192 Mitgliedstaaten auf einen Entwurfeinzuschwören, dürfte die Reform bis auf weiteres ver-tagt sein. Aber auch in Deutschland setzt die schwarz-rote Bundesregierung seit November 2005 andere

Reform vertagtDeutschland muss weiter auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat warten

Dr. Sven BernhardGareis, geb. 1962, ist Wis-senschaftlicher Di-rektor und stellv. Lei-ter des FachbereichsSozialwissenschaf-ten an der Führungs-akademie der Bun-deswehr in Ham-burg. Er lehrt Politik-wissenschaft an derWestfälischen Wil-helms-UniversitätMünster.

außenpolitische Schwerpunkte als ihre rot-grüne Vor-gängerin. Das Projekt ›Sicherheitsrat‹ nimmt auf derAgenda von Bundeskanzlerin Angela Merkel offen-kundig keinen allzu prominenten Platz ein.

Rund ein Jahr nach dem fulminanten Anlauf, dendie Regierung Schröder/Fischer im Frühsommer 2005in Richtung Sicherheitsrat unternahm, dürften so fürsErste auch die deutschen Chancen dahin sein, in ab-sehbarer Zeit in die erste Liga der Weltpolitik aufzu-steigen. Es scheint daher an der Zeit, eine Art Zwi-schenbilanz der stets auch ambivalenten Bemühun-gen Deutschlands um einen ständigen Sitz zu ziehen,den substanziellen Gehalt der G-4-Initiative wie auchdie Umstände ihres Scheiterns zu analysieren undschließlich die Reformperspektiven in Verbindung miteinigen Anforderungen an die deutsche UN-Politikaufzuzeigen.

Anfänge der Reformdebatte

Mit der Überwindung der Ost-West-Konfrontation1989/90 erlangte der Sicherheitsrat eine bis dahin un-gekannte Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit,die er erstmals in der Irak-Kuwait-Krise 1990/91 unddann in rascher Folge in zahlreichen Szenarien vonKambodscha über Somalia und den Balkan bis hinzu El Salvador unter Beweis stellen konnte. Befreit vonder Dauerblockade durch den habituellen Einsatz desVetos seiner ständigen Mitglieder konnte sich derSicherheitsrat binnen kurzer Zeit wieder als das ei-gentliche Machtzentrum der Weltorganisation eta-blieren – zulasten allerdings der Generalversamm-lung, in welcher im Zuge der Entkolonisierung dieEntwicklungsländer zunehmend die Oberhand ge-wonnen hatten. Mit der Überwindung der bipolarenWeltordnung traten aber auch die anachronistischenStrukturen und Arbeitsweisen des Sicherheitsrats im-mer deutlicher zutage: So spiegeln die fünf ständigenMitglieder (Permanent Five, P5) die Machtkonstel-lation zum Ende des Zweiten Weltkriegs wider; dieZahl der nichtständigen Mitglieder wurde 1963 vonsechs auf zehn angehoben, um dem Zuwachs von ur-sprünglich 51 auf damals 115 Mitglieder Rechnungzu tragen.

Auf einen von Indien und einer Reihe weitererStaaten eingebrachten Antrag hin beschloss die 47.Generalversammlung daher, dass sich die Organisa-tion der Frage einer ausgewogeneren Zusammenset-zung des Sicherheitsrats annehmen solle2 und beauf-tragte den UN-Generalsekretär, bei den Mitglied-staaten um schriftliche Stellungnahmen ihrer Vor-

Sven Bernhard Gareis

148 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Gareis | Reform vertagt

stellungen von einer Reform zu ersuchen. Dieser Auf-forderung Folge leistend reichten im Laufe des Jah-res 1993 mehr als 140 Staaten bei GeneralsekretärBoutros Boutros-Ghali ihre mehr oder minder kon-struktiven Vorschläge zur künftigen Größe und Zu-sammensetzung sowie zu Entscheidungsstrukturenund Arbeitsweisen ein.3 Bereits recht früh zeichnetesich dabei ab, dass Staaten, die von einer Reform vor-aussichtlich nicht profitieren würden, Vorschläge un-terbreiteten, die eher auf den Erhalt des Status quodenn auf Reformen angelegt waren, durch die mög-liche Konkurrenten begünstigt würden. In Europatraf dies insbesondere auf Italien zu, das einen Auf-stieg Deutschlands zu verhindern trachtete und ei-nen vergleichsweise komplizierten Reformvorschlageinbrachte, der unterschiedliche Länderkategorien so-wie halbständige und rotierende Sitze vorsah.4 Dem-gegenüber forderten die USA in ihrem Antwortschrei-ben eindringlich eine Aufnahme Deutschlands undJapans,5 wohl nicht zuletzt, um durch die Hinzu-nahme dieser beiden bedeutenden Beitragszahler auchdie eigenen Aufwendungen vor allem im Bereich dersprunghaft gestiegenen Kosten für die Friedenssiche-rung reduzieren zu können.

Noch im Jahr 1993 wurde eine Offene Arbeits-gruppe (open-ended working group)6 ins Leben ge-rufen, die sich neben der Zusammensetzung auchmit den Arbeitsweisen des Sicherheitsrats befassensollte. Aus dieser bis heute tagenden Arbeitsgruppeging 1997 ein nach ihrem damaligen VorsitzendenRazali Ismail (Malaysia) benanntes Papier hervor,das mit seinen Vorschlägen zur Erweiterung der Zahlständiger wie nichtständiger Mitglieder bei Ausschlusseiner Erweiterung des Vetorechts eine Art Blaupau-se für die realistischeren der nachfolgenden Reform-vorschläge bildete.7 Seine Initiative, die auf der 52.Generalversammlung im Herbst 1997 in eine Rah-menresolution zur Sicherheitsratsreform hätte mün-den sollen, wurde indes durch eine Staatengruppeunter Führung Italiens zu Fall gebracht.8

Zauderer Kohl

Das wiedervereinte Deutschland wurde bereits 1990verschiedentlich für einen ständigen Sitz im Sicher-heitsrat ins Gespräch gebracht,9 doch wies Bundes-kanzler Helmut Kohl – durchaus im Einklang mitder Opposition – solche Initiativen als zu weit rei-chend für Deutschland und die UN zurück. Währendder Bundeskanzler insgesamt bei einer eher skepti-schen Haltung hinsichtlich eines deutschen ständigenSitzes blieb, entwickelte das Auswärtige Amt vor al-lem nach dem Ministerwechsel von Hans-DietrichGenscher zu Klaus Kinkel beachtliche Aktivitäten, dieauf eine Sicherheitsratsreform unter EinbeziehungDeutschlands zielten.

Bereits zur Eröffnung der 47. Generalversammlungim September 1992 machte Außenminister Kinkel

die deutschen Ansprüche geltend: »Wir ergreifen hierkeine Initiative. Wenn aber Änderungen der jetzigenZusammensetzung des Rates konkret ins Auge gefasstwerden, werden auch wir unseren Wunsch nach ei-nem ständigen Sitz vorbringen.«10 Einen etwas we-niger offensiven Ton schlägt dagegen die Bundesre-gierung in ihrer am 30. Juni 1993 vorgelegten Stel-lungnahme zur Resolution 47/62 an. Sie zeigte sichdankbar, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten die Mei-nung zum Ausdruck gebracht haben, dass »die Bun-desrepublik Deutschland ein natürlicher Kandidat füreine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat seinsollte« und erklärte sich bereit, die Verantwortung zuübernehmen, die mit einer ständigen Mitgliedschaftverbunden ist.11

Dieses Schreiben an den UN-Generalsekretär stelltzugleich das einzige offizielle Positionspapier derBundesregierung in dieser Frage dar – in der Praxisdagegen changierte die deutsche Politik zwischenEngagement und Desinteresse und erschien als we-nig abgestimmt. Während der nichtständigen Mit-gliedschaft 1995/96 betrieb das Auswärtige Amtaktiv und erfolgreich Lobbyarbeit in der Organisa-tion – wurde in seinem ambitionierten Vorgehendann aber durch den Bundeskanzler gebremst. Esdarf wohl als gesichert gelten, dass BundeskanzlerKohl am Außenamt vorbei gegenüber dem ameri-kanischen Präsidenten Bill Clinton deutlich gemachthatte, dass Deutschland kein vorrangiges Interessean einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat habe. Eineamerikanische Unterstützung für eine möglicher-weise erfolgreiche deutsche Kandidatur musste sounterbleiben.

Sicherlich war Helmut Kohl nicht explizit gegeneine ständige Mitgliedschaft Deutschlands. Aber ermaß den Vereinten Nationen ganz allgemein eine ver-gleichsweise geringe Bedeutung bei, was er schon da-durch zum Ausdruck brachte, dass er nie eine Redevor der Generalversammlung gehalten hat und sogar1995 beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungs-chefs zum 50. Jubiläum der Organisation fehlte. Auchim speziellen Fall der ständigen deutschen Mitglied-schaft im Sicherheitsrat hatte er Vorbehalte. So be-fürchtete er, ein Streben Deutschlands nach einem»Platz an der Sonne«12 könnte den europäischen Inte-grationsprozess zu stark belasten. Eine Befürchtung,die angesichts der im Prozess der deutschen Wieder-vereinigung aufgetretenen Spannungen mit Frank-reich und Großbritannien, aber auch im Hinblick aufdie kritischen Positionen Italiens und Spaniens bezüg-lich einer deutschen Kandidatur nicht von der Handzu weisen war. Zudem war für ihn eine ständige Mit-gliedschaft nicht akzeptabel, die Deutschland eineweniger privilegierte Position gegenüber den klassi-schen P5 beschert hätte. Dass diese in der Vetofragejedoch zu keinerlei Verhandlungen bereit waren, dürf-te das ohnedies stark ausgeprägte Desinteresse desKanzlers weiter vertieft haben.13

Früh zeichnete sichab, dass Staaten, die

von einer Reformnicht profitieren

würden, Vorschlägeunterbreiteten, die

eher auf den Erhaltdes Status quo dennauf Reformen ange-

legt waren.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 149

Gareis | Reform vertagt

Rot-grüne Reformdynamik

Auch die 1998 ins Amt gekommene rot-grüne Bun-desregierung behandelte die Frage einer möglichenständigen deutschen Mitgliedschaft zunächst ohnebesondere Priorität. In der ersten Koalitionsverein-barung ist lediglich festgehalten, dass Deutschlanddie Möglichkeit nutzen werde, »ständiges Mitglieddes Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu wer-den, wenn die Reform des Sicherheitsrats unter demGesichtspunkt größerer regionaler Ausgewogenheitabgeschlossen ist und bis dahin der grundsätzlich be-vorzugte europäische Sitz im Sicherheitsrat nicht er-reicht werden kann.«14 Auch Außenminister JoschkaFischer und Bundeskanzler Gerhard Schröder kon-zentrierten sich in ihren ersten Reden vor der Gene-ralversammlung vornehmlich auf inhaltliche Fragenwie Menschenrechte, humanitäre Interventionen oderEntscheidungsmechanismen im Sicherheitsrat und be-ließen es bezüglich der deutschen Ambitionen in Rich-tung ständiger Sitz bei der zurückhaltenden Formel,dass Deutschland im Falle einer Erweiterung des Ra-tes zur Übernahme entsprechender Verantwortungbereit sei.15 Tatsächlich bot die internationale Dis-kussion um die Jahrtausendwende mit ihrer Fokus-sierung auf die Millenniums-Entwicklungsziele auchkaum einen Rahmen, in dem Vorstöße in Richtungeiner Reform des Sicherheitsrats hätten lanciert wer-den können. Stattdessen bereitete das Auswärtige Amtdie dann am 27. September 2002 sehr erfolgreich ab-geschlossene Kandidatur Deutschlands für eine wei-tere nichtständige Mitgliedschaft für die Jahre 2003/2004 vor, die durchaus als Schaulauf eines Anwär-ters für einen ständigen Sitz in einer künftigen Re-formrunde zu verstehen war. Allerdings wurde dieseAmtszeit16 dann stark durch das deutsch-amerikani-sche Zerwürfnis in der Irak-Frage geprägt, in dessenFolge die frühere Unterstützung der USA für einendeutschen ständigen Sitz in offene Ablehnung um-schlug.

Ihre nach außen gepflegte Zurückhaltung gab dierot-grüne Bundesregierung indes bald nach der Wie-derwahl im September 2002 auf. Zwar hatte sie nochim Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie dasZiel einer ständigen Mitgliedschaft nur verfolgenwerde, »wenn ein europäischer Sitz nicht erreichbarscheint.«17 In der Praxis aber wurde dieser VorrangEuropas schnell beiseite geschoben18 und das Ziel ei-ner ständigen Mitgliedschaft als Ausweis einer eigen-ständigeren, von weniger europäischen Integrations-rücksichten geprägten Rolle Deutschlands im inter-nationalen System energisch verfolgt.

Diese nachdrückliche Vertretung des deutschenAnspruchs ging einher mit den Vorbereitungen vonGeneralsekretär Kofi Annan für eine umfassende UN-Reform zum 60. Jahrestag der Organisation im Jahr2005. Die durch den Generalsekretär eingesetzte sogenannte Hochrangige Gruppe für Bedrohungen,

Herausforderungen und Wandel legte im Dezember2004 eine umfassende Analyse der globalen Heraus-forderungen vor und schlug Reformschritte vor, die

1 UN-Dok. A/60/L.46 v. 5.1.2006; http://www.un.org/Depts/german

/gv-sonst/a60-l46.pdf

2 Frage der ausgewogenen Vertretung und der Erhöhung der Zahl

der Mitglieder im Sicherheitsrat und damit zusammenhängende Fra-

gen, UN-Dok. A/RES/47/62 v. 11.12.1992.

3 Siehe hierzu Winrich Kühne/ Katja Baumann, Reform des UN-Si-

cherheitsrates zum 50jährigen Jubiläum. Auswertung und Analyse

der Stellungnahmen im Überblick, SWP-AP 2919, Ebenhausen 1995.

4 Stellungnahme Italiens zu A/RES/47/62, vorgelegt am 30. Juni 1993,

UN Doc. A/48/264 v. 20.7.1993, S. 51f.; auf Deutsch: Europa-Archiv, Fol-

ge 19/2003, D 388.

5 UN Doc. A/48/264 v. 20.7.1993, S. 91f.

6 Der vollständige Name dieser Arbeitsgruppe lautet: Offene Ar-

beitsgruppe zur Frage der ausgewogenen Vertretung und der Erhö-

hung der Zahl der Mitglieder im Sicherheitsrat und zu anderen mit

dem Sicherheitsrat zusammenhängenden Fragen.

7 UN-Pressemitteilung GA/9228 v. 20.3.1997.

8 Zur Debatte um die Reform des Sicherheitsrats siehe Sven Bern-

hard Gareis/Johannes Varwick, Die Vereinten Nationen, Opladen und

Farmington Hills, 4. Aufl. 2006, S. 273ff.

9 Etwa durch Nikolai Portugalow, den deutschlandpolitischen Bera-

ter des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen

Partei und (kurzzeitigen) Präsidenten der Sowjetunion Michail Gorba-

tschow; Süddeutsche Zeitung, 19.9.1990.

10 Rede des deutschen Außenministers Klaus Kinkel vor der 47. UN-

Generalversammlung am 23.9.1992 in New York, Vereinte Nationen

(VN), 5/1992, S. 160ff.

11 Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland zu A/RES/47/62,

vorgelegt am 30. Juni 1993, UN Doc. A/48/264 v. 20.7.1993, S. 43f.; auf

Deutsch: Europa-Archiv, Folge 19/2003, D 385.

12 Bardo Fassbender, Wieder kein Platz an der Sonne?, Die Politische

Meinung, 12/1996, S. 61–67.

13 Vgl. hierzu ausführlich Lisette Andreae, Reform in der Warteschlei-

fe. Ein deutscher Sitz im UN-Sicherheitsrat?, München 2002, S. 116ff.

14 Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Par-

tei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen, 20.10.1998, Kap. XI, 7.

15 Rede des deutschen Außenministers Joschka Fischer vor der 54.

UN-Generalversammlung am 22.9.1999 in New York, VN, 6/1999, S.

169f.; Rede des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder vor der

55. UN-Generalversammlung am 6.9.2000 in New York, VN, 6/2000,

S. 200f.

16 Eine Bilanz dieser zwei Jahre zieht: Gunter Pleuger, Deutschland

im Sicherheitsrat, Bilanz aus zwei Jahren als gewähltes Mitglied, VN,

1/2005, S. 1–4.

17 SPD und Bündnis90/Die Grünen, Koalitionsvertrag 2002–2006:

Erneuerung, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, 18.10.2002, Kap. IX, S. 72.

18 Diese seit 1993 von allen Bundesregierungen verwendete Formel ist

ohnedies eher deklamatorischer Natur, zum einen, weil eine Mitglied-

schaft der EU in den Vereinten Nationen schon aus formalen Gründen

nicht möglich ist (die EU ist kein Staat), zum anderen, weil weder Frank-

reich noch Großbritannien der Aufgabe ihrer ständigen Sitze zugunsten

eines gemeinsamen europäischen Sitzes zustimmen werden.

In der Praxis wurdeder Vorrang Europasschnell beiseitegeschoben und dasZiel einer ständigenMitgliedschaft alsAusweis einer eigen-ständigeren RolleDeutschlands iminternationalenSystem energischverfolgt.

150 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Gareis | Reform vertagt

auch den Sicherheitsrat betrafen.19 Hier allerdingskonnte sich die Gruppe nicht auf einen gemeinsamenVorschlag einigen, sondern präsentierte zwei Mo-delle, von denen das eine unter anderem sechs neueständige Sitze (Modell A), das andere hingegen achtso genannte semi-permanente Sitze mit vierjährigerAmtszeit und der Möglichkeit der Wiederwahl (Mo-dell B) vorsah.

Dieses durch die Initiative des Generalsekretärsentstandene Momentum haben Bundeskanzler Schrö-der und Außenminister Fischer zielsicher genutzt. Am21. September 2004 verabredeten Fischer, BrasiliensPräsident Luiz Inácio Lula da Silva sowie die Minis-terpräsidenten Indiens und Japans, Manmohan Singhund Junichiro Koizumi, am Rande der Generaldebat-te zur 59. Generalversammlung gemeinsam eine Re-form des Sicherheitsrats anzustreben und für zusätz-liche ständige Sitze zu kandidieren.

Das Zusammengehen dieser vier gewichtigen Staa-ten in der G-4 bedeutete zum einen eine Bündelungder Kräfte, die zur Mobilisierung einer Zweidrittel-mehrheit in der Generalversammlung dringend be-nötigt wurden. Vor allem aber schien diese ›Paketlö-sung‹ als ein hoffnungsvoller Weg, die Präferenzenund Ablehnungen einzelner Kandidaten durch dieP5, deren Zustimmung letztlich ja gebraucht wurde,zu neutralisieren. So unterstützten die USA Japan,sprachen sich aber gegen Deutschland aus, im FalleChinas war dies genau umgekehrt. In der Abwägungihrer Interessen und ihrer Verantwortung für die Ver-einten Nationen, so das Kalkül, würden China unddie USA ihre Vorbehalte gegen einen Kandidaten zu-gunsten ihrer Protegés wie auch des Reformerfolgsinsgesamt zurückstellen. Unterstützt von 23 weite-ren Staaten brachte die G-4 dann am 6. Juli 2005 ei-nen Resolutionsentwurf in die Generalversammlungein, der sich am Modell A der Hochrangigen Gruppeorientiert und ein dreistufiges Verfahren zur Durch-führung der Reform vorsieht.

Der Reformvorschlag der G-4

Das Kernstück des Resolutionsentwurfs20 bildet dieErweiterung des Sicherheitsrats um sechs ständigeund vier nichtständige Sitze auf dann insgesamt 25Mitglieder. Von den vorgeschlagenen sechs neuenständigen Mitgliedern sollen je zwei aus der afrika-nischen und der asiatischen Staatengruppe sowie jeeines aus der Regionalgruppe der lateinamerikanisch-karibischen beziehungsweise der westeuropäischenund anderen Staaten kommen. Von den vier nicht-ständigen Sitzen sollen je einer der afrikanischen, derasiatischen, der osteuropäischen und der lateiname-rikanisch-karibischen Regionalgruppe zufallen.

Die neuen ständigen Mitglieder sollen nach die-sem Entwurf die gleichen Rechte und Pflichten ha-ben wie die klassischen P5, aber das Vetorecht nichtausüben dürfen, bis nach 15 Jahren eine Überprüfung

dieser Frage stattgefunden hat. Bezüglich der ob ihrermangelnden Transparenz immer wieder kritisiertenArbeitsmethoden des Sicherheitsrats sieht der G-4-Vorschlag vor, dass der Rat in der Regel öffentlicheSitzungen abhalten und nur im Ausnahmefall nicht-öffentliche Sitzungen beschließen solle. Bislang fin-den die entscheidenden Verhandlungen regelmäßigunter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Hinzu kom-men Vorschläge, die auf eine stärkere Einbeziehungzielen, wenn regelmäßige Konsultationen mit Nicht-mitgliedern des Rates, Truppenstellern sowie Beitrags-zahlern angemahnt und der Zugang von Nichtmit-gliedern zu den Nebenorganen des Sicherheitsrats an-geregt werden.

Die Realisierung dieses Reformvorschlags soll sichnach den Vorstellungen der Einbringer in drei Schrit-ten vollziehen, deren erster in der Zustimmung vonmindestens zwei Dritteln der Mitgliedstaaten zur Er-weiterung des Sicherheitsrats besteht. Danach solleninteressierte Staaten ihre Kandidatur für eine ständi-ge Mitgliedschaft beim Präsidenten der Generalver-sammlung anmelden; spätestens zwölf Wochen nachVerabschiedung der ersten Resolution sollen dann ingeheimer Wahl in der Generalversammlung die neu-en ständigen Mitglieder mit Zweidrittelmehrheit ge-wählt werden. In einem dritten Schritt soll dann ge-mäß der Artikel 108 und 109 der UN-Charta eine Re-solution zur Änderung der Charta verabschiedet undso der Prozess der Ratifizierung des geänderten Char-tatextes durch die Mitgliedstaaten in Gang gesetztwerden.21

Gegenvorschläge

Gegen den Ansatz einer Erweiterung des Sicherheits-rats um neue ständige Sitze hatte sich, wie oben ge-zeigt, schon in den neunziger Jahren heftiger Wider-stand bei einer Gruppe von Staaten geregt, die sichselbst nur geringe Hoffnungen auf einen unbefriste-ten Einzug in den Rat machen konnten. Zur Vermei-dung eines relativen Gewichtsverlusts gegenüber er-folgreichen Kandidaten stemmten sich diese Ländergegen jede Reform, die einzelne Mitglieder besser stel-len würde.

Am 21. Juli 2005 brachte – unter der Wortführer-schaft Italiens – eine zwölf Staaten umfassende Grup-pe einen ›Uniting for Consensus‹ genannten Entwurfin die Generalversammlung ein.22 Dieser sieht eben-falls eine Erhöhung der Mitgliederzahl im Sicher-heitsrat auf 25 vor, jedoch nur um zehn neue nicht-ständige Sitze. Allerdings soll das bislang in Art. 23,Abs. 2, der Charta verankerte Verbot der unmittelba-ren Wiederwahl aufgehoben werden. Wenn die Regio-nalgruppen dies beschließen würden, könnten durchpermanente Wiederwahl quasi-ständige Mitglied-schaften entstehen. Die 20 nichtständigen Sitze sollenso auf die Regionalgruppen verteilt werden, dass Afri-ka sechs, Asien fünf, Lateinamerika/Karibik vier, Ost-

Unterstützt von 23weiteren Staaten

brachte die G-4 am6. Juli 2005 einen

Resolutionsentwurfin die Generalver-

sammlung ein, dersich am Modell A der

HochrangigenGruppe orientiert.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 151

Gareis | Reform vertagt

europa zwei und die westeuropäischen und anderenStaaten drei Sitze erhielten.

Bereits am 14. Juli 2005 hatten 43 afrikanischeStaaten einen eigenen Entwurf vorgelegt,23 der be-züglich der Zahl neuer ständiger Mitglieder sowiederen regionaler Verteilung deckungsgleich mit demder G-4 ist. Auch die Forderung nach einem zusätz-lichen nichtständigen Sitz für Afrika dürfte einenUnterschied darstellen, der ausdiskutiert werden könn-te. Was den afrikanischen Entwurf indes grundsätz-lich von dem der G-4 unterscheidet, ist die Forderung,»den neuen ständigen Mitgliedern dieselben Vorrech-te einzuräumen wie den derzeitigen ständigen Mit-gliedern, einschließlich des Vetorechts«. Zu dieserPosition war der Exekutivrat der Afrikanischen Union(AU) gelangt, als er sich auf seiner Sondersitzung am7./8. März 2005 in Addis Abeba mit den Vorschlä-gen der Hochrangigen Gruppe befasste. In diesemals ›Ezulwini Consensus‹ bezeichneten Papier stellteder Exekutivrat klar, dass die volle RepräsentationAfrikas mindestens zwei ständige Sitze mit Vetorechtsowie fünf nichtständige Sitze verlange.24 Trotz in-tensiver Appelle der G-4 an die Adresse der AU-Mit-glieder, die wenig aussichtsreiche Forderung nachdem Vetorecht fallen zu lassen und sich ihrem prag-matischeren sowie aussichtreicherem Entwurf anzu-schließen, bekräftigte die AU auf ihren Gipfeltreffenam 5. Juli 2005 im libyschen Sirte sowie am 4. Au-gust 2005 in Addis Abeba ihre Haltung. Angesichtsdes Gewichts der afrikanischen Regionalgruppe mitihren 53 Staaten musste der G-4 daher die Organi-sation einer Mehrheit von 128 Staaten in der Gene-ralversammlung für ihren Entwurf mehr als unge-wiss erscheinen.

Das Scheitern der Reforminitiative

Während des Frühsommers 2005 hatte es eine Zeit-lang so ausgesehen, als stünde eine substanzielle Re-form der Vereinten Nationen unmittelbar vor demDurchbruch. Der Bericht der Hochrangigen Gruppevom Dezember 2004, der Reformbericht von Gene-ralsekretär Kofi Annan vom März 200525, nicht zu-letzt aber auch das massive und konzertierte Engage-ment Deutschlands und seiner Partner in der G-4 hat-ten dem Reformprozess gerade auch hinsichtlich desSicherheitsrats eine Dynamik verliehen, die kaum nochaufhaltbar zu sein schien.

Dass die G-4-Initiative dann schließlich doch schei-terte, lässt sich im Wesentlichen auf die folgendenGründe zurückführen: Statt ihren Entwurf wie ge-plant zur Abstimmung zu stellen, zögerte die G-4.Dies war zum einen der Rücksichtnahme auf die AUgeschuldet, die bis in den Sommer hinein eine inter-ne Debatte über ihre Position und Strategie in derReformfrage sowie über mögliche Kandidaten führte.Die afrikanischen Staaten, auf deren Stimmen dieG-4-Initiative angewiesen war, sollten nicht unter

Druck gesetzt, sondern durch diplomatische Ver-handlungen überzeugt werden, doch noch den G-4-Entwurf mit zu tragen. Hinzu kamen Unschlüssig-keiten auch innerhalb der G-4 selbst. Japan, das inseinen bilateralen Gesprächen mit möglichen Unter-stützerstaaten durchaus machtbewusst auftrat, scheu-te davor zurück, eine Abstimmung zu erzwingen. Alsschließlich die USA und China realisierten, dass dieInitiative eine ihren Interessen zuwiderlaufende Ent-wicklung nehmen könnte, verstärkten sie ihren Wi-derstand. China positionierte sich bereits ungewöhn-lich früh, verdeutlichte seine Ablehnung der G-4-In-itiative sowie seine Unterstützung für den ›Unitingfor Consensus‹-Entwurf und bemühte sich mit einemPositionspapier vom 7. Juni 2005, das gesamte Re-formtempo des Generalsekretärs zu drosseln.26 Fürdie USA leistete der neu ernannte UN-BotschafterJohn Bolton ganze Arbeit, als er den Entwurf des Ab-schlussdokuments für den Weltgipfel im September2005, den der Präsident der GeneralversammlungJean Ping mühevoll ausbalanciert hatte, mit hunder-ten von Änderungsanträgen geradezu zerlegte. DieGegner substanzieller Reformen errangen wieder dieOberhand. Der Elan auch für die Sicherheitsratsre-form kam aufgrund dieser dramatischen Wendungvorerst zum erliegen und konnte auch nach dem er-gebnisarmen Gipfeltreffen nicht mehr wiederbelebtwerden. Das ›window of opportunity‹ für die G-4-Initiative war im Sommer 2005 nur für sehr kurzeZeit geöffnet gewesen.

Bilanz und Perspektiven

Auch wenn es immer wieder Anstöße zur Wiederauf-nahme der Diskussion um eine Reform des Sicher-heitsrats gibt, dürfte diese mit dem faktischen Schei-

19 Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung, Bericht

der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und

Wandel, UN-Dok. A/59/565 v. 2.12.2004.

20 UN-Dok. A/59/L.64 v. 6.7.2005.

21 Zum Verfahren der Chartaänderung siehe ausführlich Gareis/Var-

wick, a.a.O. (Anm. 8), S. 269f.

22 UN-Dok. A/59/L.68 v. 21.7.2005.

23 UN-Dok. A/59/L.67 v. 14.7.2005.

24 The Common African Position on the Proposed Reform of the United

Nations: ›The Ezulwini Consensus‹, African Union, Executive Council, 7th

Extraordinary Session, Ext/EX.CL/2 (VII), Addis Ababa, 7./8.3.2005, S. 9.

25 In größerer Freiheit. Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und

Menschenrechten für alle, Bericht des Generalsekretärs, UN-Dok. A/

59/2005 v. 21.3.2005.

26 Position Paper of the People’s Republic of China on the United Na-

tions Reform, Beijing, 7.6.2005, http://www.china.org.cn/english/

government/131308.htm; ausführlich dazu Sven Bernhard Gareis, Das

Ende der Zurückhaltung? Chinas UN-Politik wird aktiver und machtbe-

wusster, VN, 4/2005, S. 127–131.

Der Elan für dieSicherheitsratsreformkam vorerst zum er-liegen und konnteauch nach dem er-gebnisarmenWeltgipfel 2005nicht wiederbelebtwerden.

152 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Gareis | Reform vertagt

27 So meinte der das Jahr 2005 über noch so beredt schweigende bri-

tische Premierminister Tony Blair am 30. Mai 2006 in einem Artikel in

der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Aber ein Weltsicherheitsrat, in

dem Frankreich einen ständigen Sitz hat, Deutschland aber nicht, in dem

Großbritannien ständiges Mitglied ist, Japan aber nicht, in dem China

ständiges Mitglied ist, Indien aber nicht – ganz zu schweigen davon,

dass Lateinamerika oder Afrika überhaupt nicht vertreten sind –, kann

in der modernen Welt nicht legitim sein.«

28 Annan lobt Einsatz Deutschlands für UN, Süddeutsche Zeitung,

12.7.2006.

29 Abs. 3 der Erklärung des AU-Gipfels; AU Doc. Assembly/AU/Dec.

105 (VI) v. 23./24.1.2006, http://www.africa-union.org/root/au/Documents

/Decisions/hog/AU6th_ord_KHARTOUM_Jan2006.pdf

30 Zur künftigen deutschen UN-Politik siehe Sven Bernhard Gareis,

Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik, Opladen 2005, Kap. 8 und 12.

tern der G-4-Initiative bis auf weiteres vertagt sein.27

Seit zudem Japan sein Glück allein und in Anlehnungan die USA versucht, existieren auch die G-4 nichtmehr wirklich. War das maßgeblich von Deutschlandbetriebene Projekt also umsonst, vielleicht sogar einevon vornherein aussichtslose Effekthascherei? Hier-zu gilt es zunächst festzuhalten, dass der Entwurf derG-4-Initiative alle Chancen hat, die zentrale Referenz-größe auch für die künftige Reformdiskussion zu sein.Schließlich kann kein Zweifel daran bestehen, dassdie Debatte früher oder später wieder aufgenommenwerden muss: Die gesamte UN-Reform bleibt un-vollständig ohne eine grundlegende Erneuerung deswichtigsten Hauptorgans der Organisation. Hieraufhat auch Kofi Annan bei seinem Besuch in Deutsch-land am 11. Juli 2006 noch einmal nachdrücklich hin-gewiesen.28

Der G-4-Vorschlag stellt den bislang sicherlichschlüssigsten, durchdachtesten und den Erfordernis-sen angemessensten Entwurf dar. Er verbindet eineder Zahl der UN-Mitglieder angemessene Größe desRates, die unterschiedlichen Gewichte der Mitglied-staaten sowie die Anforderungen an die Arbeitswei-sen und Entscheidungsfähigkeit des Sicherheitsratsin bestmöglicher Weise. Eine Realisierung des AU-Entwurfs dagegen würde mit der Ausweitung desVetorechts die Effizienz und Effektivität der Arbeitdes Rates nachhaltig gefährden – was jenseits der Ei-telkeiten der P5 seine völlige Aussichtslosigkeit be-gründet. Der Vorstoß Italiens und seiner Partner wie-derum trägt der Tatsache zu wenig Rechnung, dasseiner der entscheidenden Vorteile einer ständigen Mit-gliedschaft im Aufbau eines institutionellen Gedächt-nisses liegt, das die Entscheidungen der Staaten leitetund auf eine tragfähige empirische Basis stellt. Statt-dessen würde ein Dauerwahlkampf in die Regional-gruppen hineingetragen werden, der sich kaum vor-teilhaft auf die Arbeit und Entscheidungsfindung imSicherheitsrat auswirken dürfte. Insgesamt würdeder Entwurf der ›Uniting-for-Consensus‹-Gruppe alleNachteile eines vergrößerten Gremiums mit sich brin-gen, ohne diesen die Vorteile substanziell verbesser-ter Mitwirkungsmöglichkeiten durch eine repräsen-tative Auswahl von Staaten gegenüberzustellen. Zu-dem strahlt das ›Consensus‹-Papier auch deshalb we-nig Anziehungskraft aus, weil es nur die Einführungwenig prestigeträchtiger nichtständiger Sitze vorsieht.Damit würde es vermutlich selbst für die Verhinde-rung einer substanziellen Reform kaum ausreichendStimmen auf sich ziehen können. Ein erhebliches Hin-dernis auf dem Weg zur Reform stellt dagegen dieafrikanische Position dar: Auf dem 6. AU-Gipfel inKhartum/Sudan am 23. und 24. Januar 2006 bekräf-tigten die 53 Staaten noch einmal, an ihrem Resolu-tionsentwurf vom vergangenen Sommer festzuhal-ten.29 Solange diese Position aufrechterhalten bleibt,ist die Erreichung einer Zweidrittelmehrheit ein schwerzu kalkulierendes Unterfangen, selbst wenn man dar-

auf spekuliert, dass bei einer Abstimmung nicht alleAU-Mitglieder im Block abstimmen.

Aber auch Deutschland dürfte als ein ernstzuneh-mender Kandidat überzeugt haben, dem eine großeMehrheit in den UN zutraut, die Rolle eines ständi-gen Mitglieds im Sicherheitsrat auszufüllen. Gleich-wohl sollte Deutschland den fortdauernden Kandi-datenstatus nutzen, um vor allem für sich selbst zuüberlegen, welche Interessen das Land im Sicher-heitsrat verfolgt und welcher Mehrwert für Deutsch-land und die Welt aus der Wahrnehmung einer sol-chen Position resultiert. Eine solche nüchterne Ana-lyse sind bislang alle mit der Frage einer ständigenMitgliedschaft im Sicherheitsrat befassten Bundes-regierungen schuldig geblieben30 – mit der Folge,dass die deutsche Politik in dieser wichtigen Frageimmer zwischen Euphorie und übergroßer Skepsisoszillierte. Für ein Land von so großem wirtschaftli-chen und politischen Gewicht wie Deutschland istdas Streben nach einer Position, von der aus es dieEntwicklungen des internationalen Systems nachhal-tig beeinflussen kann, eigentlich eine Selbstverständ-lichkeit. Bevor Deutschland jedoch einen weiterenAnlauf in Richtung Sicherheitsrat unternimmt, soll-te es sich über die aus dieser Position erwachsendenAnforderungen und Verantwortlichkeiten klar wer-den.

Zudem haben die Entwicklungen des Sommers2005 gezeigt, wie wichtig es ist, den richtigen Zeit-punkt für eine Reforminitiative zu nutzen. GeheimeAbstimmungen entfalten stets ihre eigene Dynamikund auch in der afrikanischen Regionalgruppe gibt esStaaten, die den pragmatischeren G-4-Entwurf be-vorzugen. Wenn Deutschland und seine Partner alsoin Zukunft noch einmal die Chance eines ›windowof opportunity‹ erhalten, sollten sie bedenken, dassder Erfolg eines Antrags nicht nur in seiner inhaltli-chen Qualität begründet ist, sondern auch in der Ent-schlossenheit und Überzeugungskraft, mit der er zurAbstimmung gestellt wird.

Der G-4-Vorschlagstellt den bislang

sicherlich schlüssig-sten, durchdach-

testen und denErfordernissen an-

gemessenstenEntwurf dar.

Deutschland dürfteals ein ernstzuneh-

mender Kandidatüberzeugt haben,

dem eine großeMehrheit in den UN

zutraut, die Rolleeines ständigen

Mitglieds imSicherheitsrat aus-

zufüllen.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 153

Braml | Amerikas UN-Reformdruck

Die aktuelle amerikanische Debatte zur Reform derVereinten Nationen offenbart einen bisher nicht dagewesenen Grad an Ablehnung der UN, die sich durchalle Teile der Gesellschaft, über die Experten in denMedien und Think Tanks bis hin zur Regierung zieht.Deutsche Politik kann über die kritische Haltung derUSA gegenüber den Vereinten Nationen nicht einfachhinwegsehen. Damit sich die politischen Standpunk-te dies- und jenseits des Atlantiks nicht noch weiterauseinander entwickeln, sollte Deutschland im Sinneeines ›effektiven Multilateralismus‹ pragmatisch je-ne amerikanischen Reforminitiativen unterstützen,die im gemeinsamen transatlantischen Interesse lie-gen. Europäische Politiker wie NGOs könnten über-dies durch öffentlichkeitswirksame Diplomatie in denUSA auf ein größeres Verständnis für die Beiträge derUN zur Lastenteilung und zum langfristigen Erfolgamerikanischer Außenpolitik hinwirken.

Die Kontroverse um die Rede des StellvertretendenUN-Generalsekretärs vom 6. Juni 2006 warf erneutein Schlaglicht auf das angespannte Verhältnis zwi-schen den Vereinten Nationen und den VereinigtenStaaten. In seiner Rede mit dem Titel ›Power and Su-per-Power‹ übte Mark Malloch Brown massive Kri-tik an der ›Tarnkappen-Diplomatie‹ der USA.1 DerStändige Vertreter der USA bei den Vereinten Na-tionen, Botschafter John Bolton, nannte die Äuße-rungen einen »schwerwiegenden Fehler«, der den UNschaden werde. Er forderte UN-Generalsekretär KofiAnnan auf, sich von den Äußerungen seines Stell-vertreters zu distanzieren.2 Annan bekräftigte jedochMalloch Browns Forderung, dass sich die USA stär-ker innerhalb der Vereinten Nationen engagieren soll-ten. Das konstruktive Mitwirken der USA sei für dieerfolgreiche Arbeit und insbesondere die Reform derVereinten Nationen ausschlaggebend.3

In den USA, die maßgeblich an der Gründung derVereinten Nationen mitgewirkt haben, werden vie-lerorts Forderungen erhoben, die Weltorganisationgrundlegend zu reformieren. Dabei fiel es jedoch bis-lang selbst ausgewiesenen Kennern der Materie»schwer[,] die wahre Position der Vereinigten Staatengegenüber der Weltorganisation oder gar eine poli-tische Linie in der Kakophonie von Stimmen und An-sichten der Entscheidungsträger, Abgeordneten undihren Beratern [zu] erkennen.«4 Welche Reformfor-derungen werden in der öffentlichen Debatte in denUSA vorgebracht? Wie könnte die künftige ameri-kanische UN-Reformpolitik aussehen und wie soll-ten sich Deutschland und Europa darauf einstellen?

Amerikas UN-Reformdruck

Dr. Josef Braml,geb. 1968, ist Wis-senschaftlicher Mit-arbeiter der For-schungsgruppeAmerika bei der Stiftung Wissen-schaft und Politik(SWP) in Berlin.

Veränderte Rahmenbedingungen

Die innenpolitischen Rahmenbedingungen amerika-nischer UN-Politik haben sich seit Gründung derOrganisation deutlich gewandelt. Edward C. Luck,langjähriger Beobachter des ›ambivalenten‹5 Verhält-nisses zwischen den Vereinten Nationen und den Ver-einigten Staaten, legte in seiner Untersuchung aus demJahr 1999 sein Augenmerk auf den ›harten Kern vonSkeptikern‹, die seit jeher im Kongress sehr gut re-präsentiert, ja angesichts der damaligen, noch stärkermultilateralen Gesinnung der allgemeinen Bevölke-rung und der Außenpolitikexperten in den USA über-repräsentiert waren.6

Während der Kongress weiterhin von gut organi-sierten Interessengruppen beeinflusst wird und dieAbgeordneten und Senatoren – schon aus institu-tionellem Eigeninteresse7 – stets eine kritische Hal-tung gegenüber dem multilateralen UN-Regime ein-nehmen, ist unter Präsident George W. Bush auchdie Exekutive merklich unilateraler eingestellt als zurAmtszeit seiner Vorgänger Bill Clinton und GeorgeH.W. Bush.8 Der von Luck beschriebene ›multilate-rale Mainstream‹ amerikanischer Außenpolitikexper-ten und die öffentliche Meinungslage haben sich –nach einem zwischenzeitlichen Wiederaufleben nachden Anschlägen vom 11. September 20019 – ebensospürbar in Richtung unilateraler Tendenzen verla-gert.

Die Auseinandersetzung um den Irak-Krieg imUN-Sicherheitsrat und auch der Skandal um das Pro-gramm ›Öl für Lebensmittel‹ brachten die Wertschät-zung der UN sowohl in der öffentlichen als auch derElitenmeinung der USA auf einen historischen Tief-punkt. Vor diesem Hintergrund lässt die Analyse deramerikanischen Debatte zur Reform und Zukunft derVereinten Nationen darauf schließen, dass die Bush-Regierung eine für sie günstige innenpolitische Kon-stellation außenpolitisch nutzen kann: Sie kann mitdem Druck des Kongresses (dessen Reformprotago-nisten ihre legislativen Vorstöße mit der öffentlichenMeinungslage und Expertisen legitimieren) ihren Re-formforderungen gegenüber den UN Nachdruck ver-leihen, um ›amerikanische Interessen‹ durchzusetzen.

›Marktplatz der Reformideen‹

Nationale Interessen sind in freiheitlich verfasstenDemokratien nicht a priori gegeben oder selbstevi-dent, sondern Ergebnis eines fortlaufenden politi-schen Willensbildungsprozesses. Demnach ist das

Josef Braml*

154 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Braml | Amerikas UN-Reformdruck

Zentrale Forderungen Task Forceb

(Gingrich/Mitchell)Repräsentantenhausc

(Hyde)Senatd

(Coleman/Lugar)

Haushalts-/Finanzierungsreform

■ Mehr Programme auf freiwilligerFinanzierungsbasis

■ Zeitliche Befristung bei der Man-datierung neuer Programme(sunset clause)

■ Evaluierung von Programmen,die seit mehr als fünf Jahren laufen

■ Ergebnisorientierte Zuwendung derMittel (results-based budgeting)

■ Ausgliederung von 18 Program-men aus dem regulären Haushaltin die freiwillige Finanzierung

■ Kürzung der Mittel der General-versammlung (vor allem für Kon-ferenzen)

■ Neue Stimmgewichtung beiHaushaltsfragen: nach Beitrags-höhe

■ Mehr Programme auf freiwilligerFinanzierungsbasis

■ Mehr Transparenz hinsichtlich derVerwendung der Finanzmittel

■ Laufende Programmevaluierun-gen sowie zeitliche Befristungneuer Programme (sunset clause)

■ Neue Stimmgewichtung bei Haus-haltsfragen: nach Beitragshöhe

Managementreformdes Generalsekretariats

■ Einrichtung eines unabhängigenAufsichtsgremiums und einesGeschäftsführers (Chief Admini-strative Officer)

■ Mehr (Stellenbesetzungs-) Kom-petenzen für den Generalsekretär

■ Einsetzung eines unabhängigenKontrollgremiums, einesEthikbüros sowie eines Ge-schäftsführers

■ Stärkung der Position des Gene-ralsekretärs, auch um Persona-lentscheidungen durchzusetzen

■ Einrichtung eines unabhängigenAufsichtsgremiums und einesGeschäftsführers (Chief Admini-strative Officer)

Friedenssicherung/Kommission für Friedenskonsolidierung

■ Verbesserung der personellenund finanziellen Ressourcen fürdie Friedenssicherung

■ Einrichtung einer Kommissionfür Friedenskonsolidierung, einesihr zugeordneten Unterstüt-zungsbüros und eines freiwilli-gen Unterstützungsfonds

■ Mehr Ressourcen für die Hauptab-teilung Politische Angelegenheiten(DPA) und bessere Koordinierungmit der Hauptabteilung Friedens-sicherungseinsätze (DPKO)

■ Kein stehendes UN-Heer, aberschnelle Eingreiftruppe aus Mit-gliedstaaten

■ Entwicklung eines UN-(Krisen)Frühwarnsystems

■ Unabhängige Wirtschaftlichkeits-prüfung jedes Friedenssicherungs-einsatzes: einzelne Missionenwerden gegebenenfalls beendet,reduziert oder an eine neue Kom-mission für Friedenskonsolidie-rung delegiert

■ Die Kommission soll als Unterab-teilung des Sicherheitsrats des-sen Arbeit unterstützen

■ Kooperation mit IWF, Weltbankund regionalen Organisationen

■ Überprüfung aller Friedenssiche-rungseinsätze

■ Einrichtung einer Kommissionfür Friedenskonsolidierung, einesihr zugeordneten Unterstüt-zungsbüros und eines freiwilli-gen Unterstützungsfonds

Menschenrechts-kommission/Menschenrechtsrat

■ Abschaffung der Menschen-rechtskommission zugunsten ei-nes Menschenrechtsrats

■ Verpflichtung souveräner Staa-ten, die Menschenrechte ihrerBürger zu schützen

■ Abschaffung der Menschen-rechtskommission zugunsten ei-nes Menschenrechtsrats,

■ dessen Mitgliedsländer die Allge-meine Erklärung der Menschen-rechte achten müssen

■ Abschaffung der Menschen-rechtskommission zugunsten ei-nes Menschenrechtsrats

■ Kein Zugang zu Menschenrechts-gremien für Länder, die nicht dieAllgemeine Erklärung der Men-schenrechte achten

Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC)

■ Neuorientierung auf Fragen derguten Regierungsführung,Rechtstaatlichkeit, Korruptionsbe-kämpfung

■ Mitgliedschaft an Bedingungengekoppelt

■ Verbot geheimer Abstimmungen

■ Verbot geheimer Abstimmungen

Terrorismus-Konvention

■ Terrorismus soll definiert,■ eine Konvention verabschiedet

und deren Einhaltung durch dasGlobale Programm gegen denTerrorismus des UN-Büros fürDrogen- und Verbrechensbe-kämpfung überwacht werden

■ Verabschiedung einer umfassen-den Terrorismus-Konvention,

■ die auf der Terrorismus-Defini-tion der Hochrangigen Gruppefür Bedrohungen, Herausforde-rungen und Wandel beruht

■ Verabschiedung einer umfassen-den Terrorismus-Konvention,

■ die auf der Terrorismus-Defini-tion der Hochrangigen Gruppefür Bedrohungen, Herausforde-rungen und Wandel beruht

Tabelle 1: Die vom Kongress initiierten zentralen Reformforderungena

a Erstellt unter Mithilfe von Andreas Fischer, Praktikant der SWP-Forschungsgrup-

pe Amerika.

b Task Force on the United Nations, a.a.O. (Anm. 10).

c Henry J. Hyde United Nations Reform Act of 2005, H.R. 2745, v. 17.6.2005.

d United Nations Management, Personnel, and Policy Reform Act of 2005, S.1383,

12.7.2005.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 155

Braml | Amerikas UN-Reformdruck

nationale Interesse mehr als nur Ausdruck von Mei-nungen politischer Amtsträger und von Meinungs-umfragen in der Bevölkerung.

Expertisen und Ideen von Experten in Think Tanks,Universitäten und den Medien tragen in den USA we-sentlich zur diskursiven Herausbildung nationaler In-teressen bei: Experten und Meinungsführer könnenmitbestimmen, welche Themen von nationalem In-teresse sein sollen (agenda setting). Sie liefern aberauch Begriffe, Konzepte, Ideen, also Vorstellungsin-halte, und geben damit den Rahmen des politisch Vor-stellbaren und Möglichen vor (agenda framing).

Die Vereinten Nationen, vor allem die Überprü-fung ihrer Aufgaben und die Reform ihrer Institu-tionen, sind in den USA zur politisch relevanten, jaakuten Frage der nationalen Sicherheit geworden.Die Ideen zu Reform und Effizienzsteigerung der Ver-einten Nationen haben zwar keinen direkten (nach-weisbaren) Einfluss auf konkrete politische Entschei-dungen. Doch die Beiträge von Experten können dieöffentliche Meinung und das geistige Klima der ame-rikanischen Gesellschaft mitprägen. Indirekt, aberauch unmittelbarer über Kommissionen und An-hörungen oder die Übernahme von Regierungsver-antwortung finden sie im zentralen politischen Ent-scheidungssystem durchaus Beachtung. Nicht zuletztkönnen politische Entscheidungsträger ihre Politikauch mit wissenschaftlichen Fachurteilen oder derMeinung der Öffentlichkeit, vor allem der antizipier-ten Gunst ihrer Partei nahe stehender Wähler legiti-mieren.

Eine Vielzahl grundlegender Reformideen wurdein einer – vom amerikanischen Kongress initiiertenund finanzierten – parteiübergreifenden Experten-gruppe gebündelt.10 Die Expertengruppe sollte unter-suchen, ob die Vereinten Nationen noch ihren sat-zungsmäßigen Auftrag erfüllen und falls nicht, dieHindernisse identifizieren, die sie davon abhalten.Am 15. Juni 2005 präsentierten der frühere (Republi-kanische) Sprecher des Repräsentantenhauses NewtGingrich und der ehemalige (Demokratische) Mehr-heitsführer im Senat George Mitchell die Ergebnisseder von ihnen geleiteten Expertengruppe und spra-chen Empfehlungen aus, deren Kernpunkte mit zen-tralen Forderungen in den Gesetzinitiativen des Re-präsentantenhauses und des Senats (vgl. Tabelle 1auf Seite 154) überwiegend deckungsgleich sind.

Öffentliche Meinung

Aus historischer Perspektive verdeutlicht die Analy-se verschiedener Umfrageergebnisse (Pew, Gallup,PIPA11 und Chicago Council on Foreign Relations),dass es zwar »in den letzten Jahrzehnten einen be-ständig guten öffentlichen Rückhalt« für die Verein-ten Nationen gab. Doch die Auseinandersetzung umdie Billigung des Irak-Kriegs durch die UN und derSkandal um das ›Öl-für-Lebensmittel‹-Programm

brachten die öffentliche Zustimmung gegen Jahres-ende 2005 in den USA »auf den tiefsten Punkt seit40 Jahren.«12

In aktuelleren Umfragen geben die Vereinten Na-tionen in den Augen der Amerikaner ein noch schlech-teres Bild ab. Im Frühjahr 2006 konstatierte das re-nommierte Gallup-Institut einen neuen historischenTiefpunkt:13 Knapp zwei Drittel (64 Prozent) deramerikanischen Bevölkerung bescheinigten den UN

* Ich danke meinen Kollegen Volker Perthes, Peter Rudolf, Ulrich Schne-

ckener und Walther Stützle für ihre wertvollen Hinweise und Verbesse-

rungsvorschläge für eine diesem Beitrag zugrunde liegende SWP-Studie.

1 Mark Malloch Brown, Power and Super-Power: Global Leadership

in the Twenty-First Century, Address by United Nations Deputy Secre-

tary-General, 6.6.2006, New York: Century Foundation/Center for

American Progress; UN-Pressemitteilung DSG/SM/287 v. 7.6.2006.

2 Vgl. USUN Press Release No. 129 (06), v. 7.6.2006, http://www.un.

int/usa/06_129.htm

3 Annan Backs Deputy in Dispute with U.S., Associated Press, 9.6.2006.

4 So zum Beispiel Edward C. Luck, Die USA und die Vereinten Natio-

nen: Ein seltsames Paar wird sechzig, Vereinte Nationen (VN), 53. Jg.,

5/2005, S. 201–206, hier S. 202.

5 So bereits John G. Ruggie, The United States and the United Nati-

ons: Toward a New Realism, International Organization, 39. Jg.,

2/1985, S. 343–356, hier S. 355.

6 Edward C. Luck, Mixed Messages: American Politics and Interna-

tional Organization 1919–1999, Brookings Institution Press, Washing-

ton, D.C. 1999, S. 13.

7 Vgl. Matthias Dembinski, Unilateralismus versus Multilateralis-

mus. Die USA und das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demo-

kratie und Internationaler Organisation, Hessische Stiftung Friedens-

und Konfliktforschung (HSFK-Report Nr. 4), Frankfurt/Main 2002, S. 49.

8 Zur ›langsamen Wiederannäherung‹ während der Amtszeiten

Bush Seniors und Clintons nach einer Phase der ›Distanzierung‹ der

USA von der Weltorganisation während der Reagan-Regierung siehe

Volker Rittberger et al., Langsame Wiederannäherung. Das Verhältnis

zwischen USA und UN unter den Präsidenten Reagan, Bush und Clin-

ton, VN, 42. Jg. 2/1994, S. 45–52.

9 Jürgen Wilzewski, Die Bush-Doktrin, der Irakkrieg und die amerika-

nische Demokratie, Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), B45/2004,

S. 24–32, hier S. 27–29.

10 Für eine Übersicht der Experten und Koordinatoren siehe: Task

Force on the United Nations, American Interests and U.N. Reform, Uni-

ted States Institute of Peace, Washington, D.C., Juni 2005, S. 144–145.

Siehe auch Task Force on the United Nations, The Imperative for Action:

An Update of the Report of the Task Force on American Interests and

UN Reform, United States Institute of Peace, Washington, D.C. 2005.

11 PIPA steht für: Program on International Policy Attitudes.

12 Alynna J. Lyon, Through a Glass Darkly? Public Opinion and the Re-

lationship between the United States and the United Nations, Paper

präsentiert bei der Jahreskonferenz der International Studies Associa-

tion in San Diego, C.A., 22.–25.3.2006.

13 Laut Gallup-Umfrage vom 6.–9.2.2006; siehe Jeffrey M. Jones,

Americans’ Ratings of United Nations Among Worst Ever, 13.3.2006,

Gallup News Service, Washington, D.C.

Knapp zwei Drittelder amerikanischenBevölkerungbescheinigtenAnfang 2006 denUN schlechte Arbeit.

156 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Braml | Amerikas UN-Reformdruck

›schlechte Arbeit‹. Nur noch 30 Prozent der Ameri-kaner waren der Meinung, dass die UN ›gute Arbeitleisten, die an sie gestellten Aufgaben und Problemezu lösen‹. Diese Tatsache ist noch bemerkenswerter,wenn man sich vergegenwärtigt, dass nach den An-schlägen vom 11. September 2001 die Vereinten Na-tionen noch ein Rekordhoch im öffentlichen Ansehender USA genossen. Zwar erwartet die Mehrheit deramerikanischen Bevölkerung weiterhin und auch par-teiübergreifend, dass die UN eine wichtige Rolle beiinternationalen Angelegenheiten spielen sollten. Je-doch sind mittlerweile nicht nur Republikaner (74Prozent bewerten die Arbeit der UN negativ), sondernzunehmend auch Unabhängige (59 Prozent) und dieden Demokraten nahe stehenden Wähler (57 Prozent)skeptisch in punkto Leistungsfähigkeit der VereintenNationen.

Die schlechten Umfragewerte der UN dienen Kri-tikern und Reformbefürwortern im Kongress und inder Regierung als Argument, um ihre Reforminitia-tiven zu legitimieren: »Die Stellung der VereintenNationen im Meinungsbild der amerikanischen Öf-fentlichkeit ist zur Zeit alles andere als gut«, beur-teilte der republikanische Vorsitzende des Senats-ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, Rich-ard Lugar, die öffentliche Meinungslage in einer Kon-gressanhörung zum Thema UN-Reform.14 Für Ni-cholas Burns, der für politische Angelegenheiten zu-ständige Vertreter des Außenministeriums, ist der Mei-nungsumschwung für Reformzwecke nützlich: »Ichkenne die Meinungsumfragen hinsichtlich des man-gelnden Rückhalts der Vereinten Nationen in unse-rem Land. Diese kompromisslose Botschaft [unsererLandsleute] kann aber auch hilfreich für unsere Be-mühungen sein«, verdeutlichte Burns dem Ausschuss-vorsitzenden Lugar im Rahmen einer Erörterung zurFrage der Einbehaltung von amerikanischen Beitrags-leistungen als Druckmittel zur UN-Reform.15

Reforminitiativen im Kongress

Der Kongress hat mit dem Haushaltsbewilligungs-recht im politischen System der ›Checks and Balan-ces‹ in der Tat ein veritables Machtmittel zur Hand.Welche Reformvorschläge werden im Repräsentan-tenhaus und im Senat gemacht?

Gesetzesinitiative im Repräsentantenhaus

Am 7. Juni 2005 brachte der Republikanische Vor-sitzende des Ausschusses für Internationale Beziehun-gen, Henry J. Hyde, eine Gesetzesvorlage zur Reformder Vereinten Nationen ein, die vom Repräsentanten-haus als Henry J. Hyde United Nations Reform Act of2005 gebilligt wurde (siehe Tabelle 1 auf Seite 154).Geld spielt bei dieser Initiative eine zweifache Rolle:Zum einen als Druckmittel für die Reform der Orga-nisation, und zum anderen sollen die Effizienz der UNüberprüft und Beiträge der USA eingespart werden.16

Sollte die Vorlage Gesetzeskraft erhalten (das heißtauch in ähnlicher Form vom Senat gebilligt und vomPräsidenten unterzeichnet werden), müssten die USAals erste zentrale Forderung die Hälfte ihrer regulärenBeitragsverpflichtungen (etwa 22 Prozent des ordent-lichen UN-Haushalts; vgl. Tabelle 2 auf Seite 158) andie Vereinten Nationen zurückhalten, wenn diese biszum Jahr 2007 nicht 32 der im Detail aufgeführten40 Reformmaßnahmen umsetzen (einschließlich 15zwingend erforderlicher Reformen). Nach dem zwei-ten zentralen Punkt müssten die USA darauf drän-gen, ihre Zahlungsverpflichtungen für 18 UN-Pro-gramme, so genannte ›veranlagte‹ Programme, auf›freiwillige‹ Budgetierungsgrundlage zu stellen. Ge-mäß der dritten Hauptforderung sollen Aufstockun-gen bestehender und Bewilligung neuer Friedensmis-sionen nicht genehmigt werden, solange nicht auchEvaluierungen der Friedenseinsätze und daraus re-sultierende Reformmaßnahmen innerhalb der nächs-ten zwei Jahre umgesetzt werden.

Gesetzesinitiative im Senat

Am 12. Juli 2005 brachten die beiden durchaus in-ternationalistisch gesinnten Republikaner Norm Cole-man und Richard Lugar den United Nations Ma-nagement, Personnel, and Policy Reform Act of 2005in den Senat ein (vgl. Tabelle 1 auf Seite 158). DieSenats-Initiative gäbe dem Präsidenten auch ein fi-nanzielles Druckmittel zur Reform der Vereinten Na-tionen an die Hand. Im Unterschied zur Vorlage desRepräsentantenhauses würde der Präsident jedochnicht verpflichtet, es auch anzuwenden.

Welche der beiden Gesetzvorlagen letztlich in Krafttritt, hängt auch von der Haltung der Exekutive ab.Für Gesetzesinitiativen ist die Exekutive zwar auf denKongress angewiesen, doch hat der Präsident in derRegel das letzte Wort. Er und die Mitarbeiter seinerRegierung können aber auch schon im Vorfeld mit-tels Vetodrohungen oder durch öffentlichkeitswirk-sames und informelles Lobbying in die legislativeDebatte eingreifen.

Haltung der Bush-Regierung

Dass dem Weißen Haus der (Reform-)Druck auf dieVereinten Nationen ein dringendes Anliegen ist unddie Exekutive dafür – wenn nötig – auch alle ihr zurVerfügung stehenden Mittel gegenüber der Legisla-tive einsetzt, wurde mit der Nominierung John Bol-tons zum neuen Botschafter und Ständigen Vertreterbei den Vereinten Nationen deutlich. Bolton schei-terte zunächst beim Nominierungsverfahren im Se-nat. Doch Präsident Bush nutzte im August 2005 dielegislative Sommersitzungspause und nominierte Bol-ton per ›recess appointment‹.

Auch in der fortwährenden Auseinandersetzungmit dem Kongress verdeutlicht die Regierung ihrenMacht- und Gestaltungsanspruch. Sie befürwortet die

Sollte die VorlageGesetzeskraft erhal-

ten, müssten die USAdie Hälfte ihrer

regulären Beitrags-verpflichtungen an

die VereintenNationen zurückhal-

ten, wenn diese bisnicht 32 der im

Detail aufgeführten40 Reformmaß-

nahmen umsetzen.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 157

Braml | Amerikas UN-Reformdruck

Durch die ständige Finanzknappheit sind die Verein-ten Nationen von ihrem größten Beitragszahler be-sonders abhängig: Die Vereinigten Staaten tragen zu-sätzlich zu dem Anteil von 22 Prozent des ordentli-chen UN-Haushalts auch 27 Prozent des Friedenssi-cherungshaushalts.22 Insgesamt kommen die USAdamit für etwa ein Viertel des Gesamthaushalts derVereinten Nationen auf (siehe auch Tabelle 2). Mitdiesem Pfund – und auch mit angehäuften Zahlungs-rückständen23 – kann vor allem der Kongress wuchernund mit seiner ›power of the purse‹ seine Machtbe-fugnisse im Zuge der Haushaltsbewilligung gegen-

(damit aussichtsreichere) Senats-Initiative von Cole-man/Lugar, weil diese einerseits ein Druckmittel ge-genüber den Vereinten Nationen darstellt, aber an-dererseits nicht den politischen Handlungsspielraumdes Präsidenten gegenüber dem Kongress einschränkt.Bei der Vermittlung politischer Präferenzen zwischennationaler und internationaler Ebene wäre die Re-gierung damit gut positioniert: Mit der innenpoliti-schen Unterstützung des Kongresses könnte sie ihrerStimme auf internationaler Ebene Geltung verschaf-fen und mit Nachdruck Reformen fordern.

Inhaltlich befürwortet die Exekutive die Kernfor-derungen, die in beiden Gesetzinitiativen ähnlich an-gelegt sind: die Finanzierung so weit wie möglich auffreiwillige Basis zu stellen; damit auch die Aufsichtund Transparenz der UN zu verbessern; Program-me laufend zu evaluieren; Einsparmöglichkeiten zueruieren und die knapperen Ressourcen bevorzugtden von Amerika als nützlich erachteten Program-men und Einheiten zukommen zu lassen (Stichwort:›results-based budgeting and accountability‹). In die-sem Sinne ist das Weiße Haus daran interessiert, dieneu geschaffene Kommission für Friedenskonsoli-dierung und den im Juli 2006 eingesetzten Demo-kratiefonds mit den nötigen Mitteln auszustatten.Die diskreditierte Menschenrechtskommission wur-de zwar mittlerweile durch den Menschenrechtsratersetzt. Doch laut Bolton sind die bisherigen Verän-derungen zu geringfügig und eher kosmetischer Na-tur.17 Schließlich sollte auch ein umfassendes Über-einkommen über den internationalen Terrorismusratifiziert werden.

Diese Reformaspekte wären zunächst Prüfsteine,ob die UN fähig sind, auch grundsätzlichere Reform-fragen, wie eine mögliche Erweiterung des Sicher-heitsrats, anzupacken. Insgesamt, so AußenministerinCondoleezza Rice, beabsichtigen die USA mit ihrenReformanstrengungen, eine »nachhaltige Reform-Revolution« anzustoßen.18 Für Bolton gibt es keineZeit zu verlieren: »Die Zeit für diese Revolution istjetzt gekommen«, insistierte er nach dem UN-Re-formgipfel in seinem Bericht an den Senat.19

Nachhaltiger Reformdruck der USA: ›Voice or Exit‹Entweder finden Reform-Engagement und ›Stimme‹(voice) der USA Gehör, oder die Vereinigten Staatenvotieren für die Ausstiegsoption (exit), indem sie ih-re politische Aufmerksamkeit und Loyalität ande-ren Organisationen zukommen lassen, die Weltor-ganisation für ›bedeutungslos‹ erklären und ihr fi-nanzielle Mittel verweigern.20 Bisherige Erfahrun-gen aus den neunziger Jahren haben gezeigt, dassdas Ausmaß der Zuwendungsbereitschaft der USAgegenüber den Vereinten Nationen »in höchstemMaße Umfang und Nachhaltigkeit von UN-Han-deln beeinflusst.«21

14 Richard Lugar, Transkribierter Redebeitrag, Hearing of the Senate

Foreign Relations Committee: United Nations Reform, 21.7.2005, Fede-

ral News Service, Washington, D.C.

15 R. Nicholas Burns, Transkribierter Redebeitrag, ebd.

16 Dieses Druckmittel ist nicht neu: So wurde 1985 das so genannte

›Kassebaum-Solomon Amendment‹ als erster einer Reihe von Gesetz-

änderungsanträgen in den Kongress eingebracht, die die Einbehal-

tung der amerikanischen Beiträge an den ordentlichen UN-Haushalt

forderten, um Abstimmungen der UN-Generalversammlung über Haus-

haltsfragen nach den geleisteten Beiträgen zu gewichten.

17 Vgl. A Caterpillar in Lipstick? The UN’s Human Rights Council, The

Economist, 2.3.2006.

18 Condoleezza Rice, Address by the Secretary of State at the 60th

UN General Assembly, 17.9.2005, U.S. Department of State, Office of

the Spokesman, Washington, D.C.

19 John Bolton, Statement of the U.S. Permanent Representative to

the United Nations: Challenges and Opportunities in Moving Ahead

on UN Reform, 18.10.2005, U.S. Senate, Washington, D.C.

20 Wenngleich die USA nicht wirklich ernsthaft erwägen, aus einer

Organisation auszutreten, deren Handeln sie nicht zuletzt dank ihres

Vetorechts im Sicherheitsrat mitbestimmen können, stellt ein Desin-

teresse und Loyalitätsentzug (im Sinne des Wirtschafts- und Organi-

sations-Theoretikers Albert O. Hirschman) durchaus eine Ausstiegsop-

tion dar. Vgl. Albert O. Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty. Responses

to Decline in Firms, Organizations, and States, Cambridge, MA, 1970.

21 Rosemary Foot/S. Neil MacFarlane/Michael Mastanduno, Conclusion:

Instrumental Multilateralism in US Foreign Policy, in: dies. (Hrsg.), US

Hegemony and International Organizations: The United States and

Multilateral Institutions, Oxford 2003, S. 265–272, hier S. 271.

22 Siehe Marjorie Ann Browne/Vita Bite, United Nations Systems

Funding: Congressional Issues, 30.3.2006, Library of Congress (CRS Is-

sue Brief IB86116), Washington, D.C., S. 13.

23 Die seit dem 29.11.1999 gesetzlich verankerte so genannte Helms/

Biden-Vereinbarung erwirkte bereits die Reduzierung der Beitragssät-

ze (neben den Beiträgen zur Friedenssicherung auch den Beitrag zum

ordentlichen UN-Haushalt von 25 Prozent auf 22 Prozent) und knüpfte

den schrittweisen Abbau amerikanischer Zahlungsrückstände an wei-

tere Reformbedingungen. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind

die USA Pflichtbeiträge in Höhe von 1,111 Mrd. US-Dollar (inklusive 252

Mio. US-Dollar für den ordentlichen Haushalt) sowie 843 Mio. US-Dol-

lar ihrer veranlagten Friedenssicherungsbeiträge schuldig geblieben

(Stand 31.12.2005). Siehe ebd., S. 6.

Durch die ständigeFinanzknappheitsind die VereintenNationen von ihremgrößten Beitrags-zahler besondersabhängig.

158 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Braml | Amerikas UN-Reformdruck

hende ›Finanzkrise‹ der UN abgewendet und einKompromiss erzielt werden. So wurde zwar ein Zwei-jahreshaushalt verabschiedet, gleichzeitig aber aucheine Ausgabenhöchstgrenze in Höhe von 950 Mio.US-Dollar für das erste Halbjahr 2006 festgelegtund weitere Zahlungen von Reformen abhängig ge-macht.

Mit dem gedeckelten Haushalt wurde der (Zeit-)Druck auf die Vereinten Nationen erhöht, die auchvon UN-Generalsekretär Annan nach dem Weltgip-fel 2005 geforderten ›radikalen Reformen‹ umzuset-zen. Die USA wollen dem ›business as usual‹ bishe-riger Reformpraktiken ein Ende setzen.24 Denn bis-lang seien, so Bolton gegenüber dem Senat, mit Aus-nahme erster Reformschritte, wie der Schaffung derKommission für Friedenskonsolidierung sowie derEinsetzung eines Ethikbüros und Demokratiefonds,»keine wirklich nennenswerten Erfolge« zu vermel-den. Bolton versicherte jedoch den Senatoren, »un-nachgiebig den Reformdruck aufrechtzuerhalten«.25

Zu diesem Zweck habe sich auch die Unterstützungdes Kongresses als wertvolles Instrument erwiesen:»Sowohl das UN-Sekretariat als auch die Delegatio-nen anderer Mitgliedsländer zeigen viel mehr Aner-kennung, denn sie wissen, welche Bedeutung der Kon-gress – der die Haltung der amerikanischen Bevölke-rung widerspiegelt – dem Thema UN-Reform bei-misst.«26

Zwar hat die Regierung zunächst davon abgese-hen, den Haushalt der UN insgesamt zu blockieren;damit konnte schließlich die Deckelung des regulärenHaushalts aufgehoben werden.27 Das sollte jedochnicht als Anerkennung bisheriger Reformbemühun-gen seitens der USA missverstanden werden. NachMeinung des amerikanischen UN-Botschafters wür-de das Nichthandeln der Vereinten Nationen auch inden Augen der amerikanischen Bevölkerung das Ein-behalten der Beitragszahlungen und weiteres unila-terales Vorgehen der Bush-Regierung rechtfertigen.»Praktisch orientiert wie wir Amerikaner sind, sagenwir, dass wir entweder die Institution reparieren oderuns anderen Mechanismen zuwenden müssen, uminternationale Probleme zu lösen«, erklärte Boltonbereits am 14. November 2005 in einem Vortrag zuEhren seines politischen Mentors Jesse Helms, desüber Jahrzehnte prominentesten UN-Kritikers im Se-nat.28

Damit bringt Bolton den »instrumentellen Mul-tilateralismus«29 der amerikanischen Regierung aufden Punkt. Gemäß ihres Kosten-Nutzen-Kalkülskönnten die USA auf dem ›Markt‹ multilateralerDienstleistungen nach neuen Anbietern wie derWelthandelsorganisation oder der NATO nachfra-gen, aber auch neue Ad-hoc-Koalitionen bilden.Diese vormals neokonservativen Vordenkern zu-geschriebene Position30 ist mittlerweile zur Haupt-strömung konservativen Denkens in Washingtongeworden.31

Beiträgea 2004 2005 2006

Ge-schätzt

2007

vom Prä-sidentenangefor-dertb

Pflichtbeiträgeordentlicher UN-Haushalt

340 362 439 423

PflichtbeiträgeUN-Sonderorganisationen

455 484 465 500

Freiwillige BeiträgeUN-Fonds und -Programme

356 345 368 330

Friedenssicherung c 695 1113 1036 1135

Gesamt 1846 2304 2308 2388

a Zahlen wurden auf volle Mio. US-Dollar gerundet.

b Die Anforderung des Weißen Hauses für das Haushaltsjahr 2007 (1.10.2006–30.9.2007) ist

Grundlage für die laufenden Haushaltsverhandlungen im und mit dem Kongress. Damit sollen die

UN-Beiträge der USA für das Kalenderjahr 2006 beglichen werden.

c Im Entwurf für das Haushaltsjahr 2007 veranschlagte das Weiße Haus 1,135 Mrd. US-Dollar für

Friedenssicherungseinsätze. Sollte der Beitrag vom Kongress in dieser Höhe gebilligt werden, müss-

te zudem eine seit 1994 gesetzlich (P.L. 103–236, Sektion 404) festgelegte Obergrenze – ein maxima-

ler US-Anteil von 25 Prozent der Gesamtaufwendungen für die Friedenssicherung (ca. 4 Mrd. US-Dol-

lar) – aufgehoben werden. Zur Anhebung der Grenze auf 27,1 Prozent für die Kalenderjahre 2005 und

2006 brachte der Demokratische Senator Joseph Biden am 13.12.2005 eine entsprechende Gesetz-

vorlage (S. 2095) in die legislative Auseinandersetzung ein. Siehe Marjorie Ann Browne/Vita Bite,

United Nations Systems Funding: Congressional Issues, 30.3.2006, Library of Congress (CRS Issue

Brief IB86116), Washington, D.C., S. 6.

Quellen: Marjorie Ann Browne/Vita Bite, United Nations Systems Funding, a.a.O. (s. oben), S. 10

und 12f.; Marjorie Ann Browne, United Nations Peacekeeping: Issues for Congress, 5.7.2006,

Library of Congress (CRS Issue Brief IB90103), Washington, D.C.; S. 10.

Tabelle 2: Beiträge der USA an die Vereinten Nationen,Haushaltsjahre 2004–2007 (in Mio. US-Dollar)

über der beziehungsweise über die Exekutive zur Gel-tung bringen.

Die Position der Exekutive entspricht dieser Hal-tung: Sie wurde deutlich, als Bolton zum Jahresende2005 gegen internationalen Widerstand und vor al-lem gegen die geschlossene Haltung der Europäerim Haushaltsbewilligungsverfahren den UN-Gene-ralversammlung amerikanische Reforminteressengeltend machte. Bolton beabsichtigte, den UN an-stelle des üblichen Zweijahreshaushalts (2006/2007)lediglich einen Übergangshaushalt für drei bis vierMonate zu gewähren und weitere Zahlungen vonReformfortschritten abhängig zu machen. Kurz vorJahreswechsel konnte schließlich doch noch die dro-

VEREINTE NATIONEN 4/2006 159

Braml | Amerikas UN-Reformdruck

Was (können wir) tun?

Vergleicht man die amerikanische mit der deutschenUN-Reformagenda, wird deutlich, dass es zwar eineReihe von thematischen Überschneidungen gibt, aberbei den Reformforderungen unterschiedliche Priori-täten gesetzt werden: Während die amerikanische Re-gierung primär nach Effektivitäts- und Effizienzge-sichtspunkten handelt, hat sich deutsche Politik be-müht, die Legitimität der UN zu stärken.

Auch wenn in Fragen der grundlegenden Struktur-reform der Vereinten Nationen (insbesondere bei derFrage der Erweiterung des UN-Sicherheitsrats) wenigtransatlantische Einigkeit erzielt werden kann, soll-te es deutscher Politik möglich sein, pragmatisch undspezifisch jene amerikanische Initiativen zu unterstüt-zen, die von gemeinsamem Interesse sind, nämlich sogenannte ›failing states‹ zu stabilisieren.

Im Rahmen von Friedenssicherung beziehungswei-se -konsolidierung könnte das traditionell schwieri-ge Verhältnis zwischen den Vereinten Nationen undder NATO (Stichwort: ›uneasy partnership‹) verbes-sert werden. Dafür spricht, dass UN-Friedenssiche-rungseinsätze auf robusten Militärschutz angewiesensind32 und sich jenseits des Atlantiks stärker bemühtwird, die NATO, das traditionelle Forum transatlan-tischer Verständigung, stärker zu nutzen.

Es ist im Interesse Europas wie auch Amerikas, dassdie Kommission für Friedenskonsolidierung fest imUN-System etabliert bleibt. Die Vereinten Nationenauf die Kernaufgabe zu konzentrieren, schwache undvom Zerfall bedrohte Staaten zu stabilisieren, findetin den USA parteiübergreifende Zustimmung. Deutsch-land könnte sich durch seine aktive Beteiligung anUN-mandatierten und -geführten Friedensmissionenals Führungsnation (lead nation) bewähren.33

Aus amerikanischer Sicht wird entscheidend blei-ben, ob sich die UN als effektives Instrument zur Be-wältigung globaler Probleme bewähren. Indem sieunter anderem auch durch deutsche und europäischeUnterstützung Problemlösungskompetenz demons-trieren, könnten die UN in den USA so genannte Out-put/Erfolgs-Legitimation erwirken, nämlich die da-mit auch in Amerika gemeinhin gehegte Annahme,dass die Weltorganisation Unterstützenswertes leis-tet. Zwar wird die Mehrzahl der Amerikaner denUN bis auf weiteres wohl kein Grundvertrauen, dasheißt eine ›diffuse‹ Unterstützung in Form leistungs-unabhängiger Identifikation und Legitimitätsüber-zeugungen entgegenbringen. Doch sollte es möglichsein, die ›spezifische‹ Unterstützung für die UN zuverbessern, die aber leistungsabhängig vom ›Output‹der Weltorganisation ist.34

Unterstützend sollten die Leistungen der UN durchgezielte öffentlichkeitswirksame Diplomatie in denpolitischen Willensbildungsprozess der USA kom-muniziert werden, um mittel- bis langfristig das An-sehen und Verständnis für die umfassenden Aufgaben

24 Bolton, Moving Ahead on UN Reform, Statement before the House

Appropriations Committee, Sub-committee on Science, State, Justice

and Commerce, 5.4.2006, U.S. House of Representatives, Washington, D.C.

25 Ders., Testimony before the Senate Foreign Relations Committee:

Challenges and Opportunities in Pushing Ahead on UN Reform, 25.5.2006,

U.S. Senate, Washington, D.C.

26 Ebd.

27 Vgl. U.S. Drops Insistence on UN Budget Cap for 2006, Reuters,

26.6.2006.

28 Vgl. Warren Hoge, U.S. Press for Reform Prompts Talk of Showdown

at the U.N., New York Times, 21.11.2005; siehe: http://www.truthout.

org/docs_2005/112105M.shtml

29 Peter Rudolf, George W. Bushs außenpolitische Strategie, Stiftung

Wissenschaft und Politik, Berlin, September 2005 (SWP-Studie Nr. S25), S. 19.

30 Ivo Daalder/James Lindsay, America Unbound: The Bush Revolu-

tion in Foreign Policy, Brookings Institution Press, Washington D.C.

2003, S. 44.

31 Selbst durchaus multilateral gesinnte Strategen wie Richard Haass,

Präsident des Council on Foreign Relations, sind gegenüber den Verein-

ten Nationen äußerst skeptisch eingestellt. Der ehemalige Planungs-

chef im Außenministerium unter Colin Powell erwartet auch keine we-

sentlichen Reformen der Weltorganisation und plädiert dafür, anderen

Institutionen wie der Welthandelsorganisation mehr Aufmerksamkeit

zu schenken; Richard Haass im Rahmen einer Konferenz des American

Enterprise Institute am 12.9.2005 in Washington, D.C., http://www.aei.

org/events/filter.all,eventID.1140/summary.asp

32 Vgl. Winrich Kühne, Die Friedenseinsätze der VN, APuZ, 22/2005,

30.5.2005, S. 25–32, hier S. 25 und 31.

33 So liege Deutschland bei der Beteiligung an (echten) UN-geführ-

ten Missionen nur auf Platz 38 der Liste der Truppensteller. »Deutsch-

land sollte weiter bemüht bleiben, auch als Blauhelm-Nation einen

Platz einzunehmen, der seiner Bedeutung als UN-Mitglied entspricht«,

befürwortet auch Peter Wittig, Leiter der Abteilung für Globale Fragen,

Vereinte Nationen, Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Auswär-

tigen Amtes; Wittig, Ein neues System kollektiver Sicherheit? Die UN

zwischen Stillstand und Reform, Internationale Politik, 61. Jg., 3/2006,

S. 76–83, hier S. 83.

34 Dieser Gedanke ist der Easton’schen Unterscheidung zwischen

diffuser und spezifischer Unterstützung politischer Systeme entlehnt;

vgl. David Easton, A Systems Analysis of Political Life, New York 1965.

der Weltorganisation zu verbessern. Die USA solltenvom Wert der Vereinten Nationen überzeugt werden.Denn in einer längerfristigen Perspektive bleibt imHinblick auf eine erforderliche Lastenteilung auchfür die Vereinigten Staaten die (internationale) Legi-timation und Beteiligung der Völkergemeinschaft beider Konfliktbewältigung oder bei Friedenseinsätzennach wie vor wichtig. Indem sie unter an-

derem auch durchdeutsche und euro-päische Unterstüt-zung Problem-lösungskompetenzdemonstrieren,könnten die UN inden USA so genann-te Out-put/Erfolgs-Legitimation er-wirken.

160 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Biegi | »So Long as There Is Breath in Me...«

Einen amerikanischen Beitritt zum Vertrag überden Internationalen Strafgerichtshof wird es soschnell nicht geben. Doch entgegen anders lauten-der öffentlicher Stellungnahmen sind die Vertrags-staaten des Strafgerichtshofs nicht besorgt, son-dern erleichtert darüber. Aus Interviews1 mit hoch-rangigen Vertretern des Internationalen Strafge-richtshofs wird deutlich, dass der Mehrheit der Ver-tragsstaaten daran gelegen ist, dass das Gericht kei-ne »Bastion des common law« wird. Ein weitererGrund für die heimliche Erleichterung ist, dass durcheinen amerikanischen Beitritt der Strafgerichtshofin den Augen arabischer und asiatischer Staaten zueinem »Gerichtshof des Westens« werden würde,mit der Folge, dass Beitritte aus diesen Regionennoch zögerlicher erfolgen würden. Der Fall Darfurhat gezeigt, dass eine stillschweigende Kooperati-on der USA ohne Beitritt für das Wirken und dieGlaubwürdigkeit des Gerichtshofs vorteilhafter ist.

Die Argumente der USA, dem Internationalen Straf-gerichtshof (IStGH; International Criminal Court)nicht beizutreten, sind in der Fachliteratur in aller Aus-führlichkeit diskutiert worden.2 Europäische und ame-rikanische Juristen haben jedes einzelne vom ameri-kanischen Sonderbotschafter für KriegsverbrechenDavid Scheffer und seinem Nachfolger Pierre-Ri-chard Prosper vorgetragene Argument zu entkräftenversucht, und aus der Perspektive der so genanntengleichgesinnten Staaten (like-minded states) ist diesauch gelungen.3 Die Regierung unter Präsident GeorgeW. Bush versucht heute nicht mehr, auf der Sach-ebene gegen den Gerichtshof zu argumentieren. Viel-mehr wurde er mit Grundsatzfragen des amerikani-schen Selbstverständnisses und politischer Identitätverknüpft. Konfrontiert mit Fragen der Souveränität,der Selbstverteidigung und der Autonomie ist ein prag-matischer Austausch über die internationale Funk-tion des Gerichts kaum noch möglich; ein Politikwech-sel auf amerikanischer Seite wird damit äußerst un-wahrscheinlich.

Ablehnung im Senat

Für das Gesetz zum Schutz amerikanischer Streit-kräfte (American Service Member’s Protection Act –ASPA), das nahezu jegliche Kooperation amerikani-scher Behörden mit dem Strafgerichtshof untersagt,haben im Jahr 2002 93 von 100 Senatoren gestimmt,also auch die meisten Demokraten. Auch heute, ineinem mehrheitlich republikanischen Senat, würde

»So Long as There Is Breath in Me ...«Warum die Vereinigten Staaten kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs werden und der Rest der Welt heimlich erleichtert ist

Dr. phil. Mandana Biegi,

geb. 1970, ist Post-doc-Stipendiatin des

nordrhein-westfä-lischen Wissen-

schaftsministeriumsund Lehrbeauftragte

am Institut für Poli-tische Wissenschaftder Rheinisch-West-

fälischen Techni-schen Hochschule

(RWTH) Aachen.

die Abstimmung ähnlich eindeutig ausfallen. Ein Sze-nario, in dem in absehbarer Zeit eine Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Vertragsbeitritt erreicht werdenkönnte, ist so unwahrscheinlich, dass selbst Optimis-ten solcherlei Ansichten kaum mehr vertreten können.Ebenso unwahrscheinlich ist, dass es einem neuenPräsidenten oder einer neuen Präsidentin gelingenkönnte, unter Einsatz aller zur Verfügung stehendenMittel einen Stimmungswechsel im Senat zu bewir-ken, ganz zu schweigen vom Verteidigungsministe-rium, dessen Position bereits unter Verteidigungsmi-nister William Cohen eindeutig und unmissverständ-lich gegen einen amerikanischen Vertragsbeitrittsfestgelegt war.

Eine Ratifizierung des Statuts ist aber womöglichgar nicht notwendig oder wünschenswert. Im Folgen-den wird die Auffassung vertreten, dass dem IStGHund der Mehrheit seiner Mitgliedstaaten eher darangelegen ist, dass die USA ihre aggressiven Maßnah-men gegen das Gericht aufgeben und die Haltung ei-nes guten Nachbarn einnehmen, als dass sie dem Ge-richt durch einen Vertragsbeitritt eher schaden alsnutzen.

›Rhetorical gap‹

Die Vereinigten Staaten haben sich entschieden, zu-gunsten der eigenen Autonomie und Immunität aufihren Einfluss bezüglich der weiteren Ausgestaltungdes IStGH zu verzichten. Dies wird in den Staaten, dieden Gerichtshof und die Verrechtlichung der inter-nationalen Beziehungen unterstützen, bedauert. Esfinden sich regelmäßig Stellungnahmen von Exper-ten, Politikern und anderen Persönlichkeiten des öf-fentlichen Lebens, die die USA auffordern, ihre Posi-tion zu überdenken und die die Hoffnung ausdrü-cken, die Amerikaner könnten das Römische Statutbald ratifizieren. Nun besteht oftmals eine tiefe Kluftzwischen politischer Rhetorik und den tatsächlichenPräferenzen der beteiligten Akteure und hier wird dieThese vertreten, dass im Hinblick auf einen amerika-nischen Vertragsbeitritt ein ebensolcher ›rhetoricalgap‹ vorliegt.

›Common law‹ unerwünscht

Die meisten Vertragsstaaten des Internationalen Straf-gerichtshofs sind entgegen anders lautender offiziel-ler Bekundungen erleichtert, dass die USA der neuenInstitution fernbleiben. Ein Grund hierfür liegt in ei-ner öffentlich wenig beachteten fundamentalen Diffe-

Mandana Biegi

VEREINTE NATIONEN 4/2006 161

Biegi | »So Long as There Is Breath in Me...«

renz. Bislang nahmen die USA auf nahezu alle inter-nationalen Rechtsinstitutionen seit ihrer Einrich-tung nach dem Zweiten Weltkrieg in der Weise Ein-fluss, dass in ihnen weitgehend die Grundsätze deranglo-amerikanischen Rechtstradition des ›commonlaw‹ zur Anwendung kam. Das jüngste prominenteBeispiel ist der Internationale Strafgerichtshof fürdas ehemalige Jugoslawien (International CriminalTribunal for the Former Yugoslavia – ICTY), der vonden Amerikanern zu einer »Bastion des ›commonlaw‹« ausgebaut worden sei, so der kritische Kom-mentar eines hochrangigen IStGH-Mitarbeiters. Dasist zwar weder verwerflich noch der Sache abträg-lich, steht aber den Präferenzen der Mehrheit derübrigen Staaten entgegen. Die bereits ausgearbeite-ten und 2003 von der Vertragsstaatenversammlungangenommenen Verfahrens- und Beweisregeln kön-nen als das vorerst letzte Zugeständnis an die Ame-rikaner betrachtet werden. Diese hatten im Ver-handlungsprozess des Statuts noch auf detailliertenRegeln bestanden, bevor sie sich aus den Verhand-lungen der Vorbereitungskommission zurückzogen.Es ist sicherlich nicht abwegig anzunehmen, dass derGerichtshof zu einer in weiten Teilen von den Grund-sätzen des ›common law‹ bestimmten Institution aus-gebaut werden würde, wären die USA in die Ausge-staltung des Gerichts in den Anfangsjahren invol-viert. Kritiker werden dem entgegenhalten, dass dieUnterschiede zwischen den Rechtskreisen immer wei-ter verwischen, weil auch im Rechtskreis des Zivil-rechts (civil law) die Relevanz der Rechtsprechungzunehme und das kodifizierte Recht (statute law) in›common-law‹-Systemen immer wichtiger werde.4

Dennoch zeigt das Beispiel des ICTY, dass es in-kompatible Auffassungen zur Ausgestaltung einesStrafgerichts gibt, und dass die USA diesbezüglicheStreitigkeiten in der Regel für sich entscheiden. DerIStGH sei derzeit frei von diesem inneren Druck, so einVertreter der Richterschaft. Die bisherige Entwick-lung bestätigt, dass die Rechtstraditionen der übrigenWeltregionen deutlich mehr Gewicht haben als diesbeim ICTY der Fall ist. Selbstverständlich ist auchjetzt noch innerhalb der Richterschaft spürbar, dassdie Versuchung groß ist, das Statut nach den Grund-sätzen des eigenen Rechtskreises zu gestalten, und dieProtagonisten üben sich täglich in der Erinnerung anden Kompromisscharakter des Statuts. Wäre ameri-kanisches Personal einbezogen, stünde die legitimeForderung nach stärkerer Berücksichtigung des ›com-mon law‹ im Raum.

Unnötiges Entgegenkommen

Im Verhandlungsprozess vor, in und nach Rom 1998haben die Amerikaner auf die Ausgestaltung des sogenannten Römischen Statuts starken Einfluss ge-nommen, worauf der amerikanische Verhandlungs-führer Scheffer mehrfach verwiesen hat.5 Die gleich-

gesinnnten Staaten haben eine Fülle aus ihrer Per-spektive schmerzlicher Kompromisse hingenommen,in der irrigen Annahme, dass ein Entgegenkommeneinen amerikanischen Vertragsbeitritt begünstige. Die-se Erwartung hat sich als grobe Fehleinschätzung er-wiesen, die sich aus den Imperativen internationalerVerhandlungen mit ihrem impliziten Konsensdruckerklären lässt. Dennoch ist verwunderlich, welch über-zogener Optimismus das Handeln der ›Gleichgesinn-ten‹ bestimmt hat. Es gab spätestens seit der sechstenSitzung der Vorbereitungskommission im Novem-ber und Dezember 2000 keinen Grund zur Annah-me, dass der amerikanische Senat das Statut ratifizie-ren würde. Aus der in persönlichen Gesprächen undsogar in Publikationen der Beteiligten immer nochspürbaren Verärgerung der ›Gleichgesinnten‹ lässtsich schlussfolgern, dass Scheffer und seine Delegationden Imperativen des Senats und des Verteidigungsmi-nisteriums strikt gefolgt sind. Der geringe Handlungs-spielraum der amerikanischen Delegation ist vonAnfang an unterschätzt worden. Es ist keine selteneund erst recht keine neue Konstellation, dass Senat

1 Alle im Text als Zitat kenntlich gemachten Stellen sind Interviews

entnommen, die im Oktober 2004 in Den Haag geführt wurden. Auf

eigenen Wunsch bleiben die interviewten Personen anonym. Der Ver-

fasserin liegen Mitschriften der Interviews und die Autorisierung der

Zitationen vor. Ich danke meinen Interviewpartnern am IStGH für ihre

Gesprächsbereitschaft.

2 Vgl. u.a. Michael P. Scharf, The ICC’s Jurisdiction over the Nationals

of Non-party states: A Critique of the U.S. Position, Law and Contem-

porary Problems, 63. Jg., 2000, S. 1–51; Sarah B. Sewall/Carl Kaysen

(Eds.), The United States and the International Criminal Court. Natio-

nal Security and International Law, Lenham 2000; Hans-Peter Kaul,

Der Internationale Strafgerichtshof. Das Ringen um seine Zuständig-

keit und Reichweite, Humanitäres Völkerrecht, 3/1998, S. 138–144;

Hans-Peter Kaul, The Continuing Struggle on the Jurisdiction of the In-

ternational Criminal Court, in: Horst Fischer/Claus Kreß/Sascha Rolf

Lüder (Eds.), International and National Prosecution of Crimes under

International Law. Current Developments, Berlin 2001, S. 21–46.

3 Zu dieser Gruppe gehörten ungefähr 60 Staaten aus allen Erdtei-

len. Vgl. dazu Mandana Biegi, Die humanitäre Herausforderung. Der

International Criminal Court und die USA, Baden-Baden 2004, S. 156ff.

4 Vgl. Dieter Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische

Recht. Rechtsquellenlehre, Methode der Rechtsfindung, Arbeiten mit

praktischen Rechtsfällen, 7. Auflage, München 2003, S. 2ff.

5 Vgl. Is a U.N. International Criminal Court in the U.S. National Inte-

rest? Hearing before the Sub-Committee on International Operations

of the Committee on Foreign Relations, United States Senate, 105th

Congress, 2nd Session, July 23, 1998, Washington, D.C., S. 12; David

Scheffer, The United States and the ICC, in: Dinah Shelton (Ed.), Inter-

national Crimes, Peace and Human Rights. The Role of the Internatio-

nal Criminal Court, Ardsley 2000, S. 203–206; ders., The U.S. perspective

on the ICC, in: Sarah B. Sewall/Carl Kaysen (Eds.); The United States

and the International Criminal Court. National Security and Interna-

tional Law, Lenham 2000, S. 115–118.

Der geringe Hand-lungsspielraum deramerikanischenDelegation ist vonAnfang an unter-schätzt worden.

162 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Biegi | »So Long as There Is Breath in Me...«

und Verteidigungsministerium in einer Frage koalie-ren, erfahrungsgemäß hat das Außenministerium dannfast keinen Spielraum mehr. Das hätten die ›Gleich-gesinnten‹ im Vorfeld stärker beachten müssen. Er-klären lässt sich diese Unterlassung allenfalls mit derEigendynamik eines internationalen Konferenzgesche-hens, wo die beteiligten Akteure das nationale Macht-gefüge hinter dem Rücken ihrer Verhandlungspart-ner immer noch zu leicht übersehen, wobei diese Be-dingungen in dieser Ausgeprägtheit auch nur für dieUSA gelten. Andere Delegationen kamen mit klaremMandat und vor allem exekutiver und legislativerRückendeckung.

Späte Einsicht?

Oftmals findet sich in der Literatur der Verweis, dassder amerikanische Senat die Konvention über die Ver-hütung und Bestrafung des Völkermordes erst 40Jahre nach ihrer Verabschiedung ratifiziert hat undsomit noch Hoffnung für das Römische Statut be-stünde. Übersehen wird bei diesem Verweis auf einenvermeintlich richtungweisenden Präzedenzfall jedoch,dass die Vorbehalte und Einschränkungen der Ver-tragsregelungen von Seiten des Senats hinsichtlich In-terventionsgebot und Strafverfolgung so umfassendsind, dass sie die Konvention regelrecht konterkarie-ren, und man daher die Konvention mit Fug und Rechtals ›zahnlosen Tiger‹ bezeichnen kann. Die Möglich-keit des Vorbehalts ist im Römischen Statut ausge-schlossen, so dass dieser vermeintliche Präzedenzfallkeinesfalls als solcher taugt. Der IStGH stellt unbe-stritten den fundamentalsten Eingriff in staatlicheSouveränität seit der Verabschiedung der UN-Chartadar und berührt potenziell amerikanische Praxis ingewalttätigen Konflikten. Ein frühzeitiger Blick aufdie Politikpräferenzen des Senats hätte eine realisti-

schere Sichtweise der Wahrscheinlichkeit einer ame-rikanischen Ratifizierung bewirken können. VieleKompromisse in strittigen Punkten hätte man sichschlicht sparen können. Hier wird von Seiten der Ver-treter der gleichgesinnten Staaten heute selbstkritischeingeräumt, dass ›zu viele Konzessionen‹ an die Ame-rikaner gemacht worden seien.

Mittelfristig kein Stimmungswandel im Senat

Nach dem Ausscheiden des erzkonservativen repu-blikanischen Senators Jesse Helms und nach der Über-nahme des Vorsitzes des Senatsausschusses für Aus-wärtige Angelegenheiten durch den moderaten repu-blikanischen Senator Richard Lugar seit dem Jahr2003, gelten bei manchen IStGH-Befürwortern dieChancen für eine mittelfristige Wende der Haltungdes Senats größer als je zuvor. Offenbar herrscht hierdie Auffassung vor, der Senat könne in den nächstenJahren, insbesondere durch die positive Anfangsbi-lanz des IStGH, seine Opposition abmildern, so dassunter einer demokratischen oder moderaten republi-kanischen Regierung in Zukunft die Chance bestün-de, die Spitzen der gegen den Gerichtshof gerichtetenMaßnahmen unter Präsident Bush zu kippen. Ge-meint sind damit insbesondere die bilateralen Immu-nitätsabkommen (bilateral immunity agreements),die von Vertretern der ›Gleichgesinnten‹ als »Zwangzum Vertragsbruch«, somit als »eine der stärksten Zu-mutungen im internationalen Staatenverkehr« bewer-tet werden. Mittelfristig erscheinen diese Hoffnun-gen allerdings unrealistisch.

Wünschenswertes Szenario

Aus der Binnenperspektive des IStGH und seiner Ver-tragsstaaten sieht das wünschenswerte Szenario derZukunft demnach anders aus, als die Rhetorik derAußenpolitik es zeichnet. Eine gut funktionierendenachbarschaftliche Beziehung, je nach Fall weitge-hend indifferent oder in Notfällen kooperativ, wärefür den Gerichtshof vorteilhafter als ein Beitritt derUSA, der dem Gericht stante pede den zumeist ausAntiamerikanismus gespeisten Vorwurf eintrüge, ein»Gericht des (amerikanischen) Westens« zu sein. EinMitarbeiter des IStGH äußerte sich im Gespräch be-sorgt, ein amerikanischer Beitritt könne insbesonde-re asiatische und arabische Staaten von der Ratifi-zierung abhalten, was dem erklärten Ziel einer größt-möglichen Legitimität durch universale Ratifizierungzuwiderlaufe. Derzeit scheint es vielen Staaten un-eingestandenerweise günstiger, auf die USA bei derErreichung dieses Zieles zu verzichten. Der ›rhetori-cal gap‹ ist hier offensichtlich. Die politische Forde-rung vieler Außenpolitiker weltweit weicht von dentatsächlichen Präferenzen der Akteure im IStGH-Prozess ab.

Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag, Niederlande. ©ICC-CPI / Wim van Cappellen-Reporters

Der IStGH stellt un-bestritten den fun-damentalsten Ein-

griff in staatlicheSouveränität seit derVerabschiedung derUN-Charta dar undberührt potenziell

amerikanischePraxis in gewalttäti-

gen Konflikten.

VEREINTE NATIONEN 4/2006 163

Biegi | »So Long as There Is Breath in Me...«

Zäsur Darfur-Resolution

»Der Sicherheitsrat, […]

1. beschließt, die Situation in Darfur seit dem 1. Juli2002 dem Ankläger des Internationalen Straf-gerichtshofs zu unterbreiten; […]

6. beschließt, dass Staatsangehörige, derzeitigeoder ehemalige Amtsträger sowie derzeitigesoder ehemaliges Personal eines beitragendenStaates außerhalb Sudans, der nicht Vertrags-partei des Römischen Statuts des Internationa-len Strafgerichtshofs ist, in Bezug auf alle be-haupteten Handlungen oder Unterlassungen auf-grund von oder im Zusammenhang mit Einsät-zen in Sudan, die vom Rat oder von der Afrika-nischen Union eingerichtet oder genehmigt wur-den, der ausschließlichen Gerichtsbarkeit diesesbeitragenden Staates unterliegen, es sei denn,dass dieser Staat auf die ausschließliche Ge-richtsbarkeit ausdrücklich verzichtet.«6

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Stimmenthal-tung der Amerikaner bei der Verabschiedung der Dar-fur-Resolution überhaupt nur möglich war, weil dasStatut eine eingeschränkte Zuständigkeit des IStGHenthielt. Wie es den Vorgaben des skizzierten ›rheto-rical gap‹ entspricht, mehrten sich unmittelbar nachder Verabschiedung der Resolution die Stimmen, dieden Amerikanern die altbekannten Vorwürfe mach-ten. Nur wenige hoben hervor, dass die Darfur-Re-solution für die USA einen großen Schritt bedeutete,der eine Modifikation ihrer bisherigen Politik impli-ziert. Bislang galt die noch aus der Zeit von JesseHelms stammende Maxime der ›no collaboration‹,wonach die USA keinerlei Überweisungen des Sicher-heitsrats an den IStGH mittragen würden. Vielmehrsetzte die amerikanische Politik zumindest rhetorischin den vergangenen Jahren wieder auf Ad-hoc-Ge-richtsbarkeit und den unbedingten Vorzug national-staatlicher Verfahren. Mit der Darfur-Resolution istdie zentrale Intention aller amerikanischen Maßnah-men gegen den IStGH, nämlich dessen Isolation, auf-gegeben worden. Konfrontiert mit einem möglichenVölkermord konnte die amerikanische Regierung ihreKooperationsverweigerung nicht mehr aufrechterhal-ten. Das ist ein außerordentlicher Vorgang, dessen Be-deutung für die Ausrichtung der zukünftigen IStGH-Politik der USA nicht zu unterschätzen ist.

Galten bislang die aggressiven Vorgaben des ASPA,so scheint sich die Regierung unter Präsident Bushinzwischen zu einer gelasseneren und abwartendenPolitik entschlossen zu haben, möglicherweise bedingtdadurch, dass der derzeitige UN-Botschafter JohnBolton aus seiner bisherigen Einflusssphäre im Außen-ministerium verdrängt worden ist. Dort hatte er alsspiritus rector nahezu aller amerikanischen Maß-nahmen gegen den IStGH gewirkt. Aus diesen Ent-wicklungen bereits eine Annäherung an den IStGHzu deuten, wäre sicherlich verfrüht. Gleichzeitig darf

jedoch nicht übersehen werden, dass die Enthaltungder Amerikaner bei der Darfur-Resolution zumindesteine partielle Aufgabe ihrer bisherigen strikten Ab-wehrhaltung und eine Hinwendung zu einer pragma-tischeren Rolle darstellt. Die Verfasserin hat bereitsan anderer Stelle darauf hingewiesen, dass sich dieamerikanische Haltung zum Strafgerichtshof erst mitdem ersten Praxistest offenbaren wird.7

Die Wahrnehmung der Verbrechen in Sudan in deramerikanischen Öffentlichkeit ist der entscheidendeFaktor, an dem sich die Politik der Regierung unterPräsident Bush ausrichtet. Und hier hat sich wie zuErwarten Folgendes eingestellt:

Nachdem der Begriff Völkermord nur ein einzigesMal gefallen und damit implizit Handlungsdruckentstanden war, konnte die Regierung nicht zu ihrervorherigen, weitgehend ignoranten Politik zurück-kehren. Insbesondere von Seiten der amerikanischenMedien hat es zahlreiche Forderungen an PräsidentBush gegeben, angesichts eines möglichen Völker-mords zu handeln. Da bot sich die Überweisung derDarfur-Situation als vergleichsweise einfache, für dieAmerikaner folgenlose und auch kostengünstige Maß-nahme an, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren,letztlich aber nichts tun zu müssen. Die Regierungunter Bush hat allerdings schon gewusst, dass sie mitdieser Neuausrichtung im Repräsentantenhaus aufwenig Gegenliebe stoßen würde und hat, um dieses zubesänftigen, entgegen den Bestimmungen des IStGH-Statuts keine Finanzierung des Falles Darfur vor demIStGH durch die UN zugelassen, sondern durchge-setzt, dass die IStGH-Vertragsstaaten und andereFreiwillige die Kosten übernehmen müssen.

* * *Jesse Helms hat bereits 1998 im Senat angekündigt,dass die Vereinigten Staaten dem IStGH nicht beitre-ten werden, weil sie seinen immanenten Anspruch aufEinschränkung staatlicher Souveränität nicht akzep-tieren werden:

»So long as there is breath in me, the United Stateswill never – and I repeat never, never – allow it’snational security decisions to be judged by any in-ternational criminal court.«8

Das Postulat der weltweiten Zuständigkeit des Inter-nationalen Strafgerichtshofs ist von den übrigen Staa-ten längst zugunsten eines pragmatischen Anspruchsan die USA aufgegeben worden. Rhetorisch und po-litisch fällt es hingegen schwer, idealistisch gefärbteVorstellungen einer Welt der formalen Rechtsgleich-heit aufzugeben.

6 UN-Dok. S/RES/1593 v. 31.3.2005.

7 Vgl. Biegi, Die humanitäre Herausforderung. Der International

Criminal Court und die USA, a.a.O. (Anm. 3), S. 125ff.

8 Is a U.N. International Criminal Court in the U.S. National Inte-

rest?, a.a.O. (Anm. 5), S. 6.

Mit der Darfur-Resolution ist diezentrale Intentionaller amerikanischenMaßnahmen gegenden IStGH, nämlichdessen Isolation, auf-gegeben worden.

164 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen | Politik und Sicherheit

Aktionsprogramm zu Klein- undLeichtwaffen: 1. Überprüfungskonferenz 2006 ■ Keine Einigung auf ein

Abschlussdokument■ Umsetzung des Aktionsprogramms

geht weiter■ Neue Initiativen zur Transferkontrolle

von Kleinwaffen

Simone Wisotzki

Die Enttäuschung stand den meisten Di-plomaten ins Gesicht geschrieben: Nachknapp zweiwöchigen Verhandlungen undmehreren informellen Sitzungen bis tief indie Nacht war keine Einigung erzielt wor-den. Die erste Überprüfungskonferenz desAktionsprogramms zur Verhütung, Be-kämpfung und Beseitigung des uner-laubten Handels mit Kleinwaffen undleichten Waffen unter allen Aspekten,die vom 26. Juni bis 7. Juli 2006 in NewYork stattfand, ging ohne die Annahmeeines gemeinsamen Abschlussdokumentszu Ende. Für das Scheitern der Konferenzwaren vor allem drei Gründe ausschlag-gebend: Erstens das Konsensprinzip, zwei-tens inhaltliche Schwächen des Aktions-programms und drittens unüberbrückbareMeinungsunterschiede zwischen den Staa-ten hinsichtlich der Bedeutsamkeit und denErfolgsaussichten dieser Form von ›huma-nitärer‹ Rüstungskontrolle.

Vorgeschichte

Im Jahr 2001 war das Aktionsprogrammmit dem Ziel verhandelt worden, den un-erlaubten Handel mit Kleinwaffen einzu-dämmen, da diese Waffengattung in einerVielzahl innerstaatlicher Konflikte zumvorrangigen Gewaltmittel geworden war(vgl. Herbert Wulf, Kleinwaffen – dieMassenvernichtungsmittel unserer Zeit,VN, 5/2001, S. 174–178). Schon damalskonnten sich die Staaten aufgrund des aufUN-Konferenzen üblichen Konsensprin-zips lediglich auf politisch verbindlicheRichtlinien einigen, die beispielsweise vor-

sehen, die Gesetzgebung gegen die illegaleProduktion und den Transfer von Klein-waffen zu stärken. Erhebliche Interessen-unterschiede führten dazu, dass wichtigeBereiche des unerlaubten Kleinwaffenhan-dels, wie der Waffenbesitz in den Händenvon Zivilisten oder der Waffentransfer annichtstaatliche Akteure, ausgeklammertblieben. Auch der legale Handel mit Klein-waffen zwischen Staaten blieb unberück-sichtigt.

Erwartungen an die Konferenz

Obwohl nur politisch verbindlich, halfendie im Aktionsprogramm festgeschriebe-nen zwei Umsetzungstreffen, ein gewissesMaß an Verbindlichkeit herzustellen. Zu-dem waren die Staaten aufgefordert, re-gelmäßig Fortschrittsberichte vorzulegen.Zahlreiche Staaten, vor allem die vonKleinwaffengewalt unmittelbar betroffe-nen Länder, bemängelten jedoch die De-fizite des Aktionsprogramms und forder-ten Nachbesserungen. Die Überprüfungs-konferenz im Sommer 2006 sollte nachAuffassung der Mehrheit der Staaten ge-nutzt werden, um das Aktionsprogrammzu stärken, beispielsweise durch ergänzen-de rechtlich bindende Vereinbarungen.Auch ging es darum, dass vorhandene Ak-tionsprogramm umzusetzen.

Unüberbrückbare Differenzen

Für das Scheitern der Konferenz sind aberallem voran die beträchtlichen Interessen-unterschiede zwischen einigen wenigen undeiner großen Mehrheit von Staaten, die sichfür ein gestärktes Aktionsprogramm ein-gesetzt hat, verantwortlich. Aufgrund desKonsensprinzips in den Vereinten Natio-nen war es einer kleinen Minderheit mög-lich, ein konzertiertes Ergebnis zu verhin-dern.

Schon zu Beginn der Verhandlungen,bei der Bewertung des bisherigen Erfolgsdes Aktionsprogramms, traten die unter-schiedlichen Einschätzungen zu Tage.Trotz seiner lediglich politischen Verbind-lichkeit sind in den vergangenen fünf Jah-ren eine Fülle von Initiativen auf nationa-ler, regionaler und globaler Ebene auf denWeg gebracht worden. Gerade im Afrikasüdlich der Sahara sind aus dem Aktions-

programm subregionale Initiativen hervor-gegangen, wie die im Mai 2006 beschlos-sene ECOWAS-Konvention oder das Nai-robi-Protokoll, die nicht nur rechtlich ver-bindlich, sondern in ihrer Normsetzungweiter gehen als das Aktionsprogramm.Freilich sollte die Fülle von Gesetzen undInitiativen nicht darüber hinwegtäuschen,dass sich insgesamt am hohen Aufkommenunkontrollierter Kleinwaffen, die von ei-nem Konfliktgebiet ins nächste transferiertwerden, nicht wesentlich etwas geänderthat. Noch immer gelangen Kleinwaffenauf legalen oder geheimen Wegen von ver-schiedenen Lieferländern aus in die Kon-fliktregionen. Häufig fehlt es am politi-schen Willen, das Aktionsprogramm um-zusetzen. Die Umsetzung scheitert in denbetroffenen Ländern jedoch auch an demProblem fragiler Staatlichkeit, an defizi-tären Sicherheitsstrukturen sowie der wirt-schaftlichen Unterentwicklung und derArmut. Auf der Überprüfungskonferenzwar sich die Mehrheit der Staaten einig,dass die Gründe für die hohe Nachfragenach Kleinwaffen stärker zu berücksich-tigen.

Betroffene Staaten und das globaleNGO-Netzwerk IANSA versuchten da-her, den Zusammenhang zwischen Armutund Kleinwaffengewalt im Abschlussdo-kument zu verankern. So forderten sie bei-spielsweise einen Hinweis auf die notwen-dige Hilfeleistung und Rehabilitation fürOpfer von Schusswaffengewalt. Insgesamtwollten die betroffenen Staaten die huma-nitären Konsequenzen des unerlaubtenKleinwaffenbesitzes stärker hervorheben.Auch sollten die Geberländer aufgefordertwerden, ihre Unterstützung für betroffe-ne Staaten bei der Umsetzung des Ak-tionsprogramms zu erhöhen. Mit den EU-Staaten konnte hier eine einvernehmlicheSprachregelung gefunden werden, die derEntwicklungsproblematik Rechnung trägt.

Doch bereits bei diesem Punkt verwei-gerten die USA ihre Zustimmung. Dieenge Verknüpfung des Kleinwaffenpro-blems mit der Entwicklungszusammen-arbeit gehe weit über die Reichweite desAktionsprogramms hinaus. In den erstenVerhandlungsrunden lehnten die ameri-kanischen Verhandlungsführer selbst die

Politik und Sicherheit

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen

VEREINTE NATIONEN 4/2006 165

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen | Politik und Sicherheit

Verweise, dass Männer und Frauen aufunterschiedliche Weise von Kleinwaffenbedroht und betroffen sind, ab, obwohlzumindest die Frauen als jene Zivilisten,die im Konfliktfall im besonderen Maßebetroffen sind, bereits im Aktionspro-gramm Erwähnung finden. Der Verweisauf die Geschlechterperspektive und aufResolution 1325(2000) des Sicherheits-rats zum Thema ›Frauen, Frieden und Si-cherheit‹ fand zunächst keine Zustim-mung, ein Kompromiss konnte in letzterMinute erzielt werden.

Bei der Frage der verstärkten Transfer-kontrolle auf der Angebotsseite des Klein-waffenhandels verweigerten nicht nur dieUSA, sondern auch andere Staaten, unterihnen China, Indien, Iran, Israel, Pakistanund einige arabische Staaten ihre Zustim-mung. Hierbei geht es vor allem darum, si-cherzustellen, dass legal gehandelte Klein-waffen legal bleiben und nicht in Konflikt-regionen geraten. Eine Mehrheit von Staa-ten, unter ihnen die EU-Staaten und zahl-reiche betroffene Staaten, setzen sich seitgeraumer Zeit für globale Standards deslegalen staatlichen Kleinwaffenhandelsein und haben auf der regionalen Ebenebereits Standards gesetzt, wie beispielswei-se die EU mit dem Verhaltenskodex fürRüstungsexporte, dessen rechtliche Ver-bindlichkeit in nächster Zeit beschlossenwerden soll. Während sich zahlreiche Staa-ten sogar offen für ein rechtlich binden-des, universelles Abkommen zur Kontrol-le des Transfers von Kleinwaffen und leich-ten Waffen ausgesprochen hatten, konn-ten auf der Überprüfungskonferenz dies-bezüglich nicht einmal Kerngrundsätzevereinbart werden. Eine Minderheit be-harrte darauf, dass der legale Kleinwaffen-handel zwischen Staaten prinzipiell aus-genommen bleiben sollte. Die USA ver-weigerten sich wie bereits im Jahr 2001einem Verbot des legalen Kleinwaffen-transfers an nichtstaatliche Akteure (Re-bellengruppen, Terroristen) und lehntenerneut den Vorschlag ab, den privatenWaffenbesitz zu regulieren. Gerade einesolche Norm würde den Kern der Proble-matik des unerlaubten Kleinwaffenbesit-zes berühren, da sich zwei Drittel der welt-weit illegalen Waffenbestände in den Hän-den von Zivilisten befindet. Der amerika-nischen Waffenlobby (National Rifle As-sociation) gelang es hier einmal mehr, ih-ren Einfluss geltend zu machen. Die ameri-kanische Delegation sorgte dafür, dass der

unerlaubte private Waffenbesitz als Pro-blem unerwähnt blieb.

Doch auch jene Staaten, die mit einemhohen Kleinwaffenaufkommen zu kämp-fen haben, spielten nicht immer nur einekonstruktive Rolle und beharrten auf be-stimmten Formulierungen, anfangs mitwenig Kompromissbereitschaft.

Letztlich scheiterte die Konferenz aberauch an der Zeit: Zu viele Stunden warenin den ersten Tagen mit Erklärungen zumStand der Umsetzung in den einzelnenStaaten verschwendet worden. In der zwei-ten Woche fehlte mit dem amerikanischenUnabhängigkeitstag am 4. Juli ein weite-rer, wertvoller Verhandlungstag. Selbstzwei informelle Sitzungen bis tief in dieNacht, auf der durchaus Fortschritte er-zielt wurden, reichten nicht aus, um dieInteressengegensätze zu überwinden. Amletzten Verhandlungstag musste die mor-gendliche Sitzung sogar unterbrochen wer-den, weil die amerikanische Delegationauf Weisungen aus Washington wartete,die erst am Nachmittag übermittelt wur-den. So waren am Nachmittag noch 13Absätze ungeklärt und der strittigste Teildes Abschlussdokuments – die Zukunftdes Aktionsprogramms – war noch garnicht diskutiert worden. Hier hatten dieUSA eingangs bereits erklärt, dass derkünftige Umsetzungsprozess ihrer Ansichtnach nicht mehr auf der Ebene der Ver-einten Nationen stattfinden sollte, sondernnur noch auf regionaler Ebene. Im Klar-text bedeutete dies, dass sie weitere Staa-tentreffen alle zwei Jahre und eine Über-prüfungskonferenz für 2012 ablehnten.Großbritannien bemühte sich, einen Kom-promiss auf den Weg zu bringen, doch ar-beitete die Uhr gegen eine Konsensfindung.Am Ende musste der engagierte Konfe-renzpräsidenten Prasad Kariyawasam ausSri Lanka auf ein gemeinsames Abschluss-dokument verzichten.

Scheitern als Chance

Auch wenn die Überprüfungskonferenzgescheitert ist, bedeutet dies keineswegsdas Ende des Aktionsprogramms. Zahl-reiche Staatenvertreter brachten am letz-ten Tag der Konferenz ihre Enttäuschungdarüber zum Ausdruck, keinen Konsenserreicht zu haben. Zugleich verwiesen aberviele darauf, dass sie ihre Bemühungen beider Umsetzung des Aktionsprogrammsfortsetzen. Letztlich hatte das zähe Ringenum das Abschlussdokument ohnehin be-

reits zu vielen Kompromissen auf klein-stem gemeinsamen Nenner geführt, wei-ter führende Schritte wären auf dieserGrundlage kaum zu erwarten gewesen.

Im Scheitern des Abschlussdokumentsliegt die Chance für neue Initiativen. Zahl-reiche Staaten hatten zumindest inoffiziellschon ihre Bereitschaft erklärt, alternativeWege innerhalb und auch außerhalb desUN-Verhandlungssystems gehen zu wol-len. So wird sich ab Herbst dieses Jahreseine Expertengruppe mit dem Problem derprivaten Waffenhändler und möglichenglobalen Kontrollregime auseinanderset-zen. Kanada, das vor knapp zehn Jahrendas Übereinkommen zur Ächtung vonAntipersonenminen auf den Weg gebrachthat, will das Thema der globalen Standardsfür die Transferkontrolle von Kleinwaf-fen aufgreifen und plant, im kommendenJahr ein informelles Staatentreffen in Genf.In Großbritannien hat eine starke zivilge-sellschaftliche Bewegung für einen recht-lich verbindlichen Waffentransfervertragdie Regierung dazu gebracht, ebenfalls ini-tiativ zu werden und einen Konsens mitgleich gesinnten Staaten für eine gemein-same Initiative zur Transferkontrolle vonKleinwaffen zu erzielen. Mexiko will indie UN-Generalversammlung eine Reso-lution zur Kontrolle des zivilen Waffenbe-sitzes einbringen. Anders als bei interna-tionalen Verhandlungen kann dort überResolutionen abgestimmt und die Initia-tive dann auch mit Gegenstimmen fortge-setzt werden. Deutschland will sich auf dieMunitionskontrolle konzentrieren, um einweiteres Defizit des Aktionsprogramms zubeseitigen.

Jetzt kommt es darauf an, dass gleichgesinnte Staaten diese Vorhaben auf denWeg bringen und dem Umweg über dieGeneralversammlung einschlagen. Auchder globalen Zivilgesellschaft fällt bei derBekämpfung der unbegrenzten Kleinwaf-fenverbreitung eine bedeutsame Rolle zu.Sie muss Öffentlichkeit für das Thema derunerlaubten Kleinwaffen generieren undDruck auf die Politik ausüben. Das Ak-tionsprogramm bleibt eine politische Er-klärung mit Defiziten, ist aber dennochein Schritt in die richtige Richtung.

United Nations Conference to Review Progress madein the Implementation of the Programme of Actionto Prevent, Combat and Eradicate the Illicit Trade inSmall Arms and Light Weapons in All Its Aspects,26.6.–7.7.2006, New York; Website der Konferenz:http://www.un.org/events/smallarms2006/

166 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen | Sozialfragen und Menschenrechte

Sozialpakt: 34. und 35. Tagung 2005 ■ Drei Allgemeine Bemerkungen verab-

schiedet■ Beratungen zum geplanten

Fakultativprotokoll fortgesetzt■ Besondere Gefährdung wirtschaftli-

cher, sozialer und kulturelle Rechte durch HIV/Aids

Birgit Schlütter

(Dieser Beitrag setzt den Bericht von Birgit

Schlütter, Minderheiten in ihren Rechten bedroht,

Sozialpakt: 32. und 33. Tagung, VN 6/2005, S.

236ff., fort.)

Der Ausschuss für wirtschaftliche, sozia-le und kulturelle Rechte (CESCR) traf sichim Jahr 2005 zu seiner 34. Tagung vom25. April bis 13. Mai und zu seiner 35. Ta-gung vom 7. bis 25. November in Genf.Das 18-köpfige Sachverständigengremi-um hat die Aufgabe, die Einhaltung der imInternationalen Pakt über wirtschaftli-che, soziale und kulturelle Rechte (kurz:Sozialpakt) enthaltenen Menschenrechtein den Vertragsstaaten anhand von peri-odischen Berichten zu überprüfen. DenPakt, der 1976 in Kraft trat, hatten Ende2005 151 Staaten ratifiziert oder sind ihmbeigetreten. Im Verlauf des Jahres 2005waren keine weiteren Mitglieder hinzuge-kommen. Auf seinen Tagungen im Jahr2005 befasste sich der Ausschuss mit neunLänderberichten. Erstmals wurden Berich-te von Bosnien-Herzegowina, China, Sam-bia, Slowenien und Usbekistan behandelt.

Bei der Eröffnung der 34. Tagung desAusschusses berichte Alessio Bruni, einVertreter des Amtes des Hohen Kommis-sars der Vereinten Nationen für Menschen-rechte, über die Maßnahmen des Amteszur Verbesserung der Arbeit der Ausschüs-se. So seien mehrere Workshops und Re-gionaltreffen zum Thema effizientere Ver-tragsüberwachung organisiert worden. DieMenschenrechtskommission habe auf ih-rer 61. Tagung 28 Berichte zum Themawirtschaftliche, soziale und kulturelle Rech-te vorgelegt bekommen und insgesamt 16Resolutionen zu diesem Bereich verabschie-

det. Wichtigste Neuerung in dieser Hin-sicht ist die Bestätigung der Ernennung desbelgischen Völkerrechtsprofessors MarcBossuyt zum Sonderberichterstatter durchdie Menschenrechtskommission. Er sollzum Thema Nichtdiskriminierung nachArt. 2 (2) des Sozialpakts eine Studie an-fertigen. Die Kommission bat den Aus-schuss, so Bruni, ein besonderes Augen-merk auf die Gender-Aspekte des Rech-tes auf angemessene Wohnung und denZugang zu Medikamenten im Kontextvon Epidemien wie HIV/Aids, Tuberku-lose und Malaria sowie auf den Zusam-menhang von extremer Armut und Men-schenrechte zu legen.

Hinsichtlich des geplanten Fakultativ-protokolls zum Pakt berichtete Bruni vomStand der Arbeiten der von der Kommis-sion eingesetzten Arbeitsgruppe. Diese ha-be, um auf der nächsten Tagung eine fun-diertere Debatte führen zu können, ihremVorsitzenden die Erstellung eines Papiersübertragen. Darin sollten die verschiede-nen Möglichkeiten und die Bestandteileeines Individualbeschwerdeverfahrens her-ausgearbeitet werden. In ihrer Rede aufder Tagung der Arbeitsgruppe hatte dieHohe Kommissarin für Menschenrechteihre Unterstützung für das Protokoll zumAusdruck gebracht. Auch der Vertreterder UNESCO sprach sich auf einer gemein-samen Sitzung mit dem CESCR deutlichfür ein Individualbeschwerdeverfahrenzum Pakt aus. Aus seiner Sicht gäbe es dies-bezüglich keine Überschneidungen mit denMechanismen der UNESCO.

Die Experten verabschiedeten im Jahr2005 insgesamt drei Allgemeine Bemer-kungen. Die Allgemeine Bemerkung Nr.16 zur gleichberechtigten Teilhabe vonMännern und Frauen an wirtschaftlichen,sozialen und kulturellen Rechten nachArt. 3 des Paktes wurde auf der 34. Ta-gung verabschiedet. Der Ausschuss betonteden grundlegenden Charakter dieses Rech-tes und seine zentrale Bedeutung nicht nurim Sozialpakt, sondern auch im Zivilpaktund in der Charta der Vereinten Nationen,die ebenfalls die gleichberechtigte Teilha-be an den in darin verbürgten Menschen-rechten enthalten. Bezogen auf die im So-zialpakt garantierten Rechte ergäben sichspezielle Benachteiligungssituationen, wieetwa im Bereich des Rechtes auf Nahrungnach Art. 11 und des Rechtes auf Bildungnach Art. 14 des Paktes, die es auszuräu-men gelte.

Auf der 35. Tagung konnten die Expertendie Arbeiten an zwei weiteren AllgemeinenBemerkungen zum Abschluss bringen. Soverabschiedeten sie die Allgemeine Bemer-kung Nr. 17 zum Recht am eigenen Werknach Art. 15 (1) (c), 17 und 18 des Paktesund die Allgemeine Bemerkung Nr. 18 zumRecht auf Arbeit nach Art. 6 des Paktes.Der Verabschiedung dieser beiden Bemer-kungen, die jeweils recht problematischeBereiche ansprechen, war eine intensiveDebatte vorausgegangen (vgl. den Berichtder Autorin, Minderheiten in ihren Rech-ten bedroht, VN, 6/2005, S. 236 respek-tive Anja Papenfuß, Recht auf Arbeit,VN, 5/2004, S. 191).

Die Allgemeine Bemerkung zum Rechtam eigenen Werk hebt insbesondere dieVerpflichtung der Staaten nach Art. 15hervor, die Rechte der Angehörigen vonMinderheiten und indigener Völker anihren wissenschaftlichen, künstlerischenoder literarischen Werken sicherzustellen.Ferner müsse zwischen dem Unvermögenund der Weigerung des Staates in Bezugauf die Einhaltung des Rechtes unterschie-den werden. Der Staat sei verpflichtet, dieim Rahmen seiner Möglichkeiten liegen-den Maßnahmen zu ergreifen, um dasRecht am eigenen Werk sicherzustellen.

Beim Recht auf Arbeit betonte der Aus-schuss zwar sowohl dessen kollektive alsauch individuelle Dimension. Doch stehedas Recht ausdrücklich in erster Linie demIndividuum zu, mit dem Ziel, die Achtungseiner Würde sicherzustellen. Es umfasstsämtliche Aspekte der Arbeit, von derArbeitssuche bis zur Ausübung. Staatenmüssen mit geeigneter Gesetzgebung fürdie Einhaltung dieses Rechtes Sorge tra-gen.

34. Tagung

Auf ihrer Frühjahrstagung diskutierten dieSachverständigen insgesamt vier Staaten-berichte, darunter den ersten Bericht Sam-bias. Lobend erwähnten sie die Einrich-tung einer Kommission zur Erarbeitungeiner Verfassungsreform, die in einer neu-en Verfassung für eine bessere Umsetzungwirtschaftlicher, sozialer und kulturellerRechte Sorge tragen könnte. Die Mitglie-der äußerten sich jedoch besorgt über dieim Land vorherrschende extreme Armutund die Verbreitung von HIV/Aids. Diesbehindere die Durchsetzung der Paktrech-te erheblich. Auch die Anwendung des Ge-wohnheitsrechts habe zu massiven Diskri-

Sozialfragen und Menschenrechte

VEREINTE NATIONEN 4/2006 167

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen | Sozialfragen und Menschenrechte

minierungen von Frauen und Mädchen ge-führt. Der Ausschuss mahnte daher, allenotwendigen Maßnahmen zu ergreifen,um einen angemessenen Lebensstandardim Land sicherzustellen. Auch müssten so-ziale Sicherungssysteme errichtet werden,um die am meisten benachteiligten Grup-pen zu schützen.

Dem CESCR lag der erste Bericht derVolksrepublik China vor. Dabei wurdendie Sonderverwaltungsregionen Hongkongund Macau gesondert behandelt. Positivbewerteten die Ausschussmitglieder die Be-mühungen des Landes zur Eindämmungund Behandlung von HIV/Aids sowie dieVerabschiedung eines Rahmenprogrammszur Reform des Bildungssektors bis zumJahr 2020. Sie empfahlen China jedoch,durch entsprechende Gesetze sicherzustel-len, dass Asylverfahren nicht zu Diskri-minierungen führen. Der nächste Berichtsolle detaillierte Informationen über dieMinderheitensituation in der Region Xin-jiang (Uighuren) und in Tibet enthalten.Am Bericht der SonderverwaltungsregionHongkong, die 1997 von Großbritannienan China zurückgegeben worden war, be-grüßte der CESCR die Erhöhung des Straf-mündigkeitsalters bei Jugendlichen und dieEinrichtung einer Kommission zur Armuts-bekämpfung. Der Ausschuss legte der Son-derveraltungsregion jedoch nahe, die Anti-diskiminierungsgesetzgebung auch auf Mi-granten vom chinesischen Festland auszu-dehnen. In Bezug auf die 1999 von Portu-gal an China zurückgegebene Sonderver-waltungsregion Macau lobte der CESCRdie direkte Einklagbarkeit des Sozialpaktsdurch Individuen vor Verwaltungsgerich-ten. Ein Manko sei jedoch die mangelndesoziale Absicherung der Arbeiter; sie müs-se verbessert werden.

Beim ersten (und letzten) Bericht dervon 2003 bis 2006 bestehenden Staaten-union Serbien und Montenegro hob derAusschuss die zahlreichen legislativen undpolitischen Reformbemühungen des Lan-des positiv hervor, darunter die Einrich-tung eines Postens einer Ombudsperson.Besonders besorgt äußerte er sich hingegenüber andauernde Ausbrüche ethnisch mo-tivierter Gewalt und das Ausmaß des Mäd-chen- und Frauenhandels. Das Land solledagegen vorgehen und spezifische Antidis-kriminierungsgesetze erlassen sowie Maß-nahmen ergreifen, die die Sensibilität vonRichtern und Rechtsanwälten bei Diskri-minierungsfällen erhöhen.

Hinsichtlich des vierten Berichts Norwe-gens stellte der CESCR den Erlass einesGesetzes als begrüßenswert heraus, wel-ches Diskriminierungen aufgrund ethni-scher und religiöser Zugehörigkeit ver-bietet. Die Experten bemängelten jedochdie fortdauernde Diskriminierung von Per-sonen mit Migrationshintergrund, insbe-sondere von Frauen bei ihren Bemühun-gen, Arbeit zu finden. Der Vertragsstaatsolle daher die tatsächliche Einhaltung derAntidiskriminierungsgesetze sicherstellenund weitere Maßnahmen ergreifen, um dieSituation dieser Personengruppe zu ver-bessern.

35. Tagung

Der Ausschuss befasste sich auf seinerHerbsttagung mit insgesamt fünf Berich-ten, unter anderem dem ersten BerichtSloweniens. Die Sachverständigen stelltenpositiv heraus, dass in dem Vertragsstaatder Sozialpakt in das nationale Recht über-nommen worden sei und dass Beschwerdenin Bezug auf seine Einhaltung vor der na-tionalen Ombudsperson geltend gemachtwerden könnten. Ein Missstand sei aber,dass trotz erlassener Antidiskriminierungs-gesetzgebung weiterhin Frauen in der slo-wenischen Gesellschaft und im öffentli-chen Leben benachteiligt würden. Beson-ders besorgt äußerte sich der Ausschussüber die ›Löschung‹ der Nationalitäten ju-goslawischer Staatsangehöriger im Staats-angehörigenregister im Jahr 1992. DerAusschuss empfahl dem Land, ein Gesetzzu erlassen, das die Situation dieser Staa-tenlosen verbessert.

Beim dritten Bericht Österreichs lobteder CESCR die Entwicklung von Richtli-nien, die die Einhaltung der Menschen-rechte in Bezug auf Maßnahmen der in-ternationalen Finanzinstitutionen sichernsollen. Der Ausschuss zeigte sich besorgtüber die anhaltenden rassistischen undfremdenfeindlichen Tendenzen in Teilender österreichischen Bevölkerung. Weiter-hin hätte das Land zwar Fortschritte beimgleichberechtigten Zugang von Männernund Frauen zum Arbeitsmarkt gemacht,Frauen seien aber nach wie vor überpro-portional in schlechter bezahlten Teilzeit-jobs beschäftigt. Der CESCR empfahl demVertragsstaat daher, Maßnahmen zu er-greifen, um die Einhaltung des Grund-satzes gleicher Bezahlung für gleichwer-tige Arbeit sicherzustellen. Auch solleÖsterreich durch entsprechende Kampag-

nen für Toleranz und kulturelle Vielfaltwerben.

An Usbekistans erstem Bericht begrüß-ten die Sachverständigen die Einrichtungdes Postens einer Ombudsperson und ei-nes Aktionsprogramms zur Steigerung derQualität der Schulbildung. Sie zeigten sichbesorgt über die mangelnde Unabhängig-keit der Justiz und den Grad der Umwelt-verschmutzung; diese habe gravierendeFolgen für die Bevölkerung, insbesonde-re Frauen und Kinder. Der CESCR emp-fahl Usbekistan, die wirtschaftlichen, so-zialen und kulturellen Rechte in seine na-tionale Strategie zur Armutsbekämpfungaufzunehmen und dringend Maßnahmengegen die Ausbreitung von HIV/Aids zuergreifen.

Beim ersten Bericht Bosnien-Herzego-vinas bewertete der Ausschuss ein Gesetzzum Schutz der nationalen Minderheiten,das alle 17 Minderheiten des Vertrags-staats anerkenne, positiv. Ein Missstandsei gleichwohl, dass Rückkehrern oft derZugang zu den sozialen Sicherungssyste-men, zu Gesundheitsfürsorge oder Schul-bildung verweigert werde. Auch die Praxis,Kinder ethnischer Minderheiten getrenntvoneinander zu unterrichten, stehe nichtim Einklang mit dem Pakt. Der Vertrags-staat solle daher alle geeigneten Maßnah-men ergreifen, um die wirtschaftlichen, so-zialen und kulturellen Rechte von Rück-kehrern zu gewährleisten. Auch solle er si-cherstellen, dass Opfern sexueller Gewaltwährend des Konfliktes von 1992 bis 1995der Status von Kriegsopfern zuerkanntwürde.

Libyen hat die Internationale Konven-tion zum Schutz der Rechte aller Wander-arbeitnehmer und ihrer Familienangehö-rigen ratifiziert, was der CESCR für be-grüßenswert hielt. Auch sei das hohe Bil-dungsniveau im Vertragsstaat herauszu-stellen. Der Ausschuss monierte allerdings,dass Libyen den Gebrauch anderer Spra-chen als des Arabischen in vielen Bereichenverbieten würde. Außerdem bemängelteer, dass knapp 28 Prozent der Bevölkerung(insbesondere die Berber im Norden desLandes) keinen dauerhaften Zugang zusauberem Trinkwasser hätten. Der Aus-schuss empfahl dem Vertragsstaat, sicher-zustellen, dass die Berber (Amazigh) ihreMuttersprache erlernen und pflegen kön-nen. Schließlich solle Libyen das Recht aufInformations- und Meinungsfreiheit ge-währleisten.

168 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Aus dem Bereich der Vereinten Nationen | Rechtsfragen

Völkerrechtskommission: 57. Tagung 2005 ■ Fortschritt bei den Kodifizierungs-

arbeiten zur Haftung internationaler Organisationen und zu Vorbehalten bei Verträgen

■ Stillstand bei den Themen Gemeinsa-me natürliche Ressourcen und einsei-tige Akte von Staaten

Nina Hüfken

(Dieser Beitrag setzt den Bericht von Beate Rudolf,

Konzentrierte Arbeit, VN, 2/2005, S. 64f., fort.)

Die Völkerrechtskommission der Verein-ten Nationen (International Law Com-mission – ILC) hat auf der 57. Tagung(2.5.–3.6. und 11.7.–5.8. 2005) in Genfihre begonnenen Kodifizierungstätigkei-ten fortgeführt und die Grundlagen füreine erfolgreiche Bearbeitung zweier neu-er Themen gelegt. Keine Einigung ist dage-gen bei den bereits in den Vorjahren kon-trovers diskutierten Materien in Sicht.

Dazu gehört das Thema der Gemein-samen natürlichen Ressourcen. Die Kom-mission hatte bereits auf der 55. Tagungbeschlossen, sich zunächst auf den Be-reich der grenzüberschreitenden Grund-wasservorkommen zu beschränken, konn-te aber auch zwei Jahre später keine Eini-gung über strittige Punkte, wie der Rele-vanz zugänglicher Staatenpraxis und dieVorbildwirkung des UN-Übereinkommensüber das Recht der nichtschifffahrtlichenNutzung internationaler Flussgebiete ausdem Jahr 1997, erzielen. Eine Arbeitsgrup-pe überarbeitete acht der im dritten Be-richt des Berichterstatters Chusei Yamadavorgelegten 25 Artikelentwürfe und emp-fahl ihre Wiedereinsetzung im Jahr 2006.

Dagegen schritt die Kodifizierungstä-tigkeit zur Verantwortlichkeit internatio-naler Organisationen mit der Annahmevon neun Artikelentwürfen weiter voran.Diese behandeln das Vorliegen der Ver-letzung einer völkerrechtlichen Verpflich-tung und die Verantwortlichkeit interna-tionaler Organisationen für Handlungeneines Staates oder einer anderen interna-tionalen Organisation und orientieren sichwie die im Vorjahr verabschiedeten Ent-würfe an den Regeln über Staatenverant-

wortlichkeit. Lediglich Artikel 15 sieht zu-sätzlich die Haftung einer internationalenOrganisation für den Fall vor, dass sie ihreeigenen völkerrechtlichen Verpflichtungenumgehen würde, indem sie ihre Mitglie-der zu Handlungen veranlasst, die bei ei-gener Vornahme völkerrechtswidrig wä-ren. Der nächste Bericht des Berichterstat-ters Giorgio Gaja wird Umstände, welchedie Rechtswidrigkeit ausschließen, und dieVerantwortlichkeit von Staaten für völ-kerrechtswidrige Akte internationaler Or-ganisationen behandeln.

Durch die Annahme zweier weitererRichtlinien in erster Lesung konnten die34 Sachverständigen den Praxisleitfadenzum Thema Vorbehalte bei Verträgenebenfalls fortführen. Diese definieren Ein-sprüche gegen einen Vorbehalt, gegen dasverspätete Anbringen oder die Ausweitungdes Geltungsbereichs eines Vorbehalts undschließen so eine Lücke in den beiden Wie-ner Übereinkommen über das Recht derVerträge. Das Gremium leitete außerdemweitere Teile des Praxisleitfadens aus demzehnten Bericht des Berichterstatters AlainPellet an den Redaktionsausschuss wei-ter, die die Gültigkeit von Vorbehalten unddie Definition von Ziel und Zweck einesVertrags betreffen.

Da die Frist für Stellungnahmen derRegierungen zu den auf der 56. Tagungzum Thema Diplomatischer Schutz ange-nommenen Artikelentwürfen noch bis zum1. Januar 2006 lief, beschränkte sich dieILC auf die Diskussion des sechsten Be-richts des Berichterstatters John R. Dugardzu der ›Clean-hands‹-Doktrin. Derzufolgeschließt ein eigener Verstoß gegen eine völ-kerrechtliche Verpflichtung die Berufungauf ein korrespondierendes Recht aus.Die Schlussfolgerung des Berichterstat-ters, die Doktrin nicht in den Vertrags-entwurf einzubeziehen, fand allgemeineZustimmung. Aufgrund der zurückhalten-den Staatenpraxis im Hinblick auf eineGeltendmachung des Grundsatzes bei ei-nem Vorgehen im Wege des diplomati-schen Schutzes lehnten die Experten aucheine Einbindung als progressive Weiterent-wicklung des Völkerrechts ab.

Die Kommission beschäftigte sich wei-terhin mit dem Thema Auswirkungenkriegerischer Konflikte auf Verträge. AlsDiskussionsgrundlage diente der von Be-richterstatter Ian Brownlie erstellte ersteBericht. Darin enthalten war ein Über-blick über die Materie und ein aus 14 Ar-

tikeln bestehender Vertragsentwurf. DasHauptaugenmerk des Entwurfs lag aufeiner Stärkung der vertraglichen Beziehun-gen zwischen den Staaten. Die Expertenbeschlossen, als nächsten Schritt die Regie-rungen der UN-Mitgliedstaaten um Stel-lungnahmen zu ihrer jeweiligen Staaten-praxis zu bitten.

Ebenfalls neu auf der Agenda der ILCist das Thema Ausweisung von Auslän-dern. Berichterstatter Maurice Kamto leg-te hierzu einen ersten Bericht vor. Die Dis-kussion offenbarte, dass hinsichtlich desZuschnitts der zu untersuchenden Materienoch Klärungsbedarf besteht. Insbesonde-re die Frage, ob auch illegale Immigran-ten erfasst werden und Massenausweisun-gen in Konfliktsituationen in den Untersu-chungsgegenstand integriert werden sol-len, konnte nicht geklärt werden. Die Her-angehensweise des Berichterstatters fanddie Zustimmung der Kommission. Dem-nach ist eine gewohnheitsrechtliche Befug-nis der Staaten zur Ausweisung von Aus-ländern Ausdruck der Souveränität, wäh-rend die Begründungsmuster und die Artund Weise der Ausübung sich an völker-rechtlichen Grundsätzen, insbesondere sol-chen der grundlegenden Menschenrechte,messen lassen müssen.

Die Kommission diskutierte ferner denachten Bericht von Berichterstatter VictorRodriguez Cedeño zum Thema einseitigeAkte von Staaten, der eine Analyse vonelf Fällen unterschiedlichster Staatenpra-xis enthielt. Die wieder eingesetzte Arbeits-gruppe konzentrierte sich auf die Erarbei-tung vorläufiger Schlussfolgerungen. IhreErgebnisse sollen auf der nächsten Tagungdiskutiert werden.

Zu den Auswirkungen der Fragmentie-rung des Völkerrechts hörten die Experteneinen Bericht des Vorsitzenden der einge-setzten Studiengruppe Martti Koskennie-mi über den Stand der Diskussion. DieGruppe strebt an, auf der 58. Tagung einekonsolidierte Studie sowie Folgerungen,Richtlinien oder Grundsätze vorzulegen.

Als ein weiteres Thema nahm die ILCdie Verpflichtung auf, Strafverfolgung zubetreiben oder auszuliefern (aut dedereaut judicare), und setzte hierfür ZdzislawGalicki als Berichterstatter ein.

International Law Commission, Report on the Workof its Fifty-seventh Session, Official Records of theGeneral Assembly, Sixtieth Session, SupplementNo. 10 (A/60/10); http://untreaty.un.org/ilc/reports/2005/2005report.htm

Rechtsfragen

VEREINTE NATIONEN 4/2006 169

Personalien

Abrüstung

Nobuaki Tanaka aus Japanfolgte am 6. April 2006 seinemLandsmann Nobuyasu Abe,der im Februar nach knapp dreiJahren Amtszeit zurückgetre-ten war, auf den Posten desUntergeneralsekretärs der Ver-einten Nationen für Abrüs-tungsfragen. Als solcher ist erunter anderem zuständig fürdie Koordinierung der mit Ab-rüstungsfragen befassten UN-Organe. Tanaka hat sich seit1970 im diplomatischen DienstJapans mit Sicherheitsfragenbeschäftigt und war zuletztBotschafter in Pakistan. Der59-jährige Diplomat hat be-reits auf verschiedenen Postenim System der Vereinten Na-tionen gearbeitet. So war er inder UNESCO als Beigeordne-ter Generalsekretär für Ma-nagement und Verwaltung undals Referent in der UN-Haupt-abteilung Presse und Informa-tion für Öffentlichkeitsarbeitzuständig. Neben seiner Arbeitin den Vereinten Nationenlehrte und forschte Tanaka anverschiedenen Hochschulen inJapan mit dem SchwerpunktAbrüstung sowie Nichtverbrei-tung von Waffen und brisan-ter Technologie.

Friedenssicherung

UN-Generalsekretär Kofi An-nan hat am 19. Juli 2006 denFranzosen Jean Arnault zu sei-nem neuen Sonderbeauftrag-ten für Georgien und zum Lei-ter der Beobachtermission derVereinten Nationen in Geor-gien (UNOMIG) ernannt. Ar-nault war schon mehrmals alsSonderbeauftragter für den Ge-neralsekretär in verschiedenenRegionen tätig gewesen. So lei-tete er von 1997 bis 2000 dieVerifikationsmission der Ver-einten Nationen in Guatema-la (MINUGA) und war bis zuseiner Ernennung zum Leiterder politischen Abteilung derUN-Hilfsmission in Afghani-stan (UNAMA) Sonderbeauf-tragter für Burundi. Den Pos-ten als Sonderbeauftragter inAfghanistan, den er zuletzt in-nehatte, übernahm vor kurzemder Deutsche Tom Koenigs.Seit 1993 überwachen die Ver-einten Nationen in Georgiendie Einhaltung des Waffenstill-standsabkommens. Das Man-dat wird alle sechs Monate er-neuert. Im Juli 2006 befandensich 120 Militärbeobachter,knapp 100 internationale und193 lokale Mitarbeiter für UN-OMIG im Einsatz. ArnaultsVorgängerin, die SchweizerinHeidi Tagliavini, machte aufihrer letzten Pressekonferenzam 12. Juli 2006 deutlich, dassder Friedensprozess wiederFortschritte mache. Gleichzei-tig räumte sie ein, dass es im-mer noch Widerstände bei denKonfliktparteien gebe. Taglia-vini war seit 2002 an der Spit-ze von UNOMIG (vgl. Perso-nalien, VN, 4/2002, S. 156).

Legwaila Joseph Legwaila istseit dem 1. Mai 2006 neuerUN-Untergeneralsekretär undSonderberater für Afrika. Der

69-Jährige leitet gleichzeitig dasim Jahr 2003 eingerichtete Amtdes Sonderberaters für Afrika(OSAA). Zu Legwailas Aufga-ben gehört, den Generalsekre-tär bei der Koordination derafrikabezogenen Aktivitätender UN zu beraten, insbeson-dere bei der Umsetzung derNeuen Partnerschaft für dieEntwicklung Afrikas (NE-PAD). Der ehemalige Grund-schullehrer aus Botswana ver-lässt damit seinen Posten alsSonderbeauftragter für dieMission der Vereinten Natio-nen in Äthiopien und Eritrea(UNMEE), den er seit demJahr 2000 innehatte.

Der ehemalige Botschafter Gu-atemalas bei der EuropäischenUnion Edmond Mulet ist zumneuen Sonderbeauftragten desGeneralsekretärs für Haiti undLeiter der Stabilisierungsmis-sion der Vereinten Nationen inHaiti (MINUSTAH) ernanntworden. Der 55-jährige Juristtritt damit die Nachfolge vonJuan Gabriel Valdés aus Chilean, der die Mission seit Au-gust 2004 geleitet hatte. DieUmstände, in denen Mulet

den Posten übernimmt, sindallerdings schwierig: Auch nachder Wahl von Präsident RenéPréval im Februar 2006 ist dieLage in dem Karibikstaat im-mer noch instabil. Im Juli 2006fanden zuletzt erneut gewalt-same Ausschreitungen statt.8700 Militär- und Polizeikräf-te befanden sich im Juli unterdem Mandat der UN in Haiti.Seit der Stationierung derTruppe Anfang 2004 sindneun UN-Soldaten getötet wor-den. Das Mandat von MINU-STAH wurde im Februar 2006für weitere sechs Monate ver-längert.

Der schweizerische DiplomatGérard Stoudmann hat am13. April 2006 die Nachfolgevon António Monteiro aus Por-tugal im Amt des Hohen Be-auftragten für die Wahlen inCôte d’Ivoire angetreten (vgl.Personalien, VN, 5/2005, S.211). Stoudmanns neue Auf-gaben bestehen darin, die ein-zelnen Etappen auf dem Wegzu den Wahlen zu beobachtenund ihre Durchführung sicher-zustellen. Dazu gehören zu-nächst die Erstellung eines

Edmond Mulet (Mitte) besucht Cité Soleil in Port-au-Prince, Haiti.UN Foto: 120797, Sophia Paris.

Personalien

Nobuaki Tanaka UN Foto: 120857

170 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Personalien

zur neuen Koordinatorin derVorsorgemaßnahmen für einepandemische Grippe benanntworden. Sie ist damit zustän-dig für die Vorbereitung derVereinten Nationen und ihrerin New York ansässigen Orga-nisationen auf eine möglicheÜbertragung des Vogelgrippe-virus auf den Menschen. Imel-da Henkin ist seit über 30 Jah-ren für die Vereinten Nationentätig. Zuletzt war sie Stellver-tretende Exekutivdirektorin desUN-Bevölkerungsfonds (UN-FPA) im Bereich Management,wo sie für Notfallschutz undMitarbeitersicherheit zustän-dig war.

Katastrophenvorsorge

Die Schwedin Marika Fahlenist auf der ersten Sitzung derneu gegründeten Beratungs-gruppe für den ZentralenFonds für die Reaktion aufNotsituationen (Central Emer-gency Response Fund – CERF)zur Vorsitzenden gewählt wor-den. Die restlichen elf Mitglie-der wurden am 28. April 2006auf Vorschlag der Regierungenund anderen Organisationenfür eine zweijährige Amtszeiternannt. Sie sollen den Fondsmit politischer Leitung und Ex-pertise unterstützen. Der miteinem Volumen von 500 Mil-lionen US-Dollar ausgestatte-te Fonds ersetzt seit dem 6.März 2006 (Resolution 60/124der Generalversammlung) denbisherigen Zentralen revolvie-renden Nothilfefonds. Dieserwar zuletzt wegen einer zulangsamen Reaktion auf dieKrise in Darfur/Sudan in dieKritik geraten.

Menschenrechte

Kofi Annan hat am 3. Mai2006 einen Beratenden Aus-schuss für die Verhütung vonVölkermord eingerichtet. DerAusschuss wird Juan Méndez,dem Sonderberater des Gene-

Wählerverzeichnisses und dieVerteilung der Wahlscheine.Das Büro des Hohen Beauf-tragten für die Wahlen unter-sucht außerdem, wie sich dieSituation in Côte d’Ivoire zumZeitpunkt der Wahlen – dernoch nicht endgültig festge-legt ist – gestalten wird, wennzahlreiche internationale Be-obachter und Vertreter nicht-staatlicher Organisationen vorOrt sind. Von besonderem In-teresse sind die technischen De-tails einer globalen Beobach-tung der Wahlen. Stoudmannhat wenig Erfahrung mit Afri-ka sammeln können, wohl abermit der Abhaltung von Wahl-en. So war er ab 1997 Leiterdes Büros der Organisation fürSicherheit und Zusammenar-beit in Europa (OSZE) für de-mokratische Institutionen undMenschenrechte in Warschau,wo er sich unter anderem auchmit der Unterstützung vonWahlen beschäftigte.

Generalversammlung

Zum ersten Mal seit 1969 hatam 8. Juni 2006 mit der Bah-rainerin Haya Rashed Al-Kha-lifa eine Frau den Vorsitz derUN-Generalversammlungübernommen. Sie ist damit diedritte Präsidentin der General-versammlung in der Geschich-te der Vereinten Nationen. Inihrer Amtszeit während der 61.

men der Millenniums-Entwick-lungsziele hat sich die interna-tionale Gemeinschaft vorge-nommen, die Verbreitung derKrankheit bis 2015 aufzuhal-ten und die Zahl der Infektio-nen zu senken. Tuberkulose istheute die Infektionskrankheitmit den höchsten Todeszahlen.

Peter Piot, Exekutivdirektordes Gemeinsamen Programmsder Vereinten Nationen fürHIV/Aids (UNAIDS), hat dieAmerikanerin Mary Davis Fis-her zur Sonderbeauftragten fürUNAIDS im Kampf gegen dieVerbreitung des HI-Virus er-nannt. Seit ihrer Infizierungmit dem Virus vor 14 Jahrenunterstützt Fisher mit Büchern,Kunstwerken und Reden dieweltweiten Bemühungen umdie Vorbeugung und Behand-lung von HIV/Aids. Fisher be-tont in ihren Reden und Wer-ken die Notwendigkeit derkontinuierlichen Aufklärunggerade auch in entwickeltenLändern wie den VereinigtenStaaten, wo allein im Jahr 2004etwa 16 000 Menschen an derImmunschwächekrankheit ge-storben sind. Weltweit lebenetwa 40 Millionen Menschenmit dem HI-Virus.

Am 18. Mai 2006 ist die Nie-derländerin Imelda Henkin

Tagung, die am 12. September2006 für die Dauer von einemJahr beginnt, will sie die vonihrem Vorgänger Jan Eliassonaus Schweden (vgl. Persona-lien, VN, 5/2005, S. 212) be-gonnenen Bemühungen für ei-ne Reform des UN-Systemsfortsetzen. Al-Khalifa blicktbereits auf einige persönlicheErrungenschaften zurück: Siewar eine der ersten beidenFrauen, die in Bahrain als An-wältin arbeiten durften undsetzte sich besonders vor isla-mischen Scharia-Gerichten fürdie Rechte von Frauen ein. Sobegrüßte auch Eliasson ihreWahl als einen bedeutendenBeitrag zur Gleichberechtigungder Geschlechter in den Ver-einten Nationen.

Gesundheit

Der ehemalige portugiesischeStaatspräsident Jorge Sampaioist erster Sondergesandter fürdie Initiative ›Stopp der Tuber-kulose‹. Kofi Annan ernannteden 65-Jährigen am 15. März2006. Als Sondergesandter imKampf gegen die Ausbreitungder Tuberkulose wird Sam-paio sich für die Förderungund Umsetzung des GlobalenPlanes zum Stopp der Tuber-kulose, der in diesem Jahr vonder Weltgesundheitsorganisa-tion (WHO) vorgestellt wor-den war, einsetzen. Im Rah-

Haya Rashed Al-Khalifa und Jan Eliasson UN Foto: 119604

Mary Davis Fisher UN Foto: 119538

VEREINTE NATIONEN 4/2006 171

Personalien

ralsekretärs für die Verhü-tung von Völkermord, bera-tend zur Seite stehen. Méndezist seit 2004 in dieser Positiondafür zuständig, Informatio-nen über massive und schwer-wiegende Menschenrechtsver-letzungen, die zu Völkermordführen können, zu sammelnund an den Sicherheitsrat wei-terzuleiten. Vorsitzender desAusschusses ist der emeritier-te Präsident der Carnegie Cor-poration David Hamburg. Zuden insgesamt neun Mitglie-dern des Ausschusses gehörtunter anderem auch der Frie-densnobelpreisträger DesmondTutu aus Südafrika. Im Mit-telpunkt der Arbeit des Aus-schusses steht derzeit die kriti-sche Analyse der Möglichkei-ten zur Verhütung von Völker-mord durch die Vereinten Na-tionen und den Sonderberater.Die Ergebnisse dieser Unter-suchungen und konkrete Vor-schläge sollen dem Generalse-kretär in einem Bericht vorge-legt werden.

Sekretariat

Yohannes Mengesha aus Äthi-opien ist seit Mai 2006 neuerBeigeordneter Generalsekretärder Vereinten Nationen für An-gelegenheiten der Generalver-sammlung und Konferenzdien-ste. Er tritt damit die Nachfol-ge von Angela Kane an, die im

Dezember 2005 in die Haupt-abteilung Politische Angelegen-heiten gewechselt war (vgl.Personalien, VN, 5/2005, S.213). Mengesha ist seit 1976für die Vereinten Nationen tä-tig. Der 55-jährige Jurist be-gann seine UN-Laufbahn imWelternährungsprogramm(WFP) und besetzte anschlie-ßend verschiedene Posten inder Hauptabteilung Humanitä-re Angelegenheiten, darunterdie Leitung des Programmsfür den Irak. Zuletzt war erDirektor im Büro des Stellver-tretenden Generalsekretärs.

Am 12. Juni 2006 hat der Bei-geordnete Generalsekretär JanMattsson als Exekutivdirektordie Leitung des Büros der Ver-

einten Nationen für Projekt-dienste (UNOPS) vom Kana-dier Nigel Fisher übernommen.Der 54-jährige Schwede warzuvor, ebenfalls schon als Bei-geordneter Generalsekretär, fürdas Entwicklungsprogrammder Vereinten Nationen (UN-DP) tätig, wo er sich als Leiterder Managementbüros unteranderem mit der Management-reform befasste. UNOPS wur-de 1995 gegründet und bietetin allen Tätigkeitsbereichen derUN Managementdienste an.Die Dienste beinhalten unteranderem Aufklärung überLandminen und die logistischeVorbereitung von Wahlen. DieOrganisation finanziert sichselber und ist damit zwar Teildes UN-System, aber nicht fi-nanziell von ihm abhängig.

Sonderorganisationen

Anna Kajumulo Tibaijuka ausTansania ist erneut zur Exe-kutivdirektorin des Programmsder Vereinten Nationen fürmenschliche Siedlungen (UN-HSP/UN-Habitat) gewähltworden. Seit dem Jahr 2000war sie zuerst Beigeordnete Ge-neralsekretärin und Exekutiv-direktorin des Zentrums derVereinten Nationen für Wohn-und Siedlungswesen (UNCHS).Im Jahr 2001 wurden UNCHSund die seit 1978 existierendeOrganisation Habitat als UN-Habitat mit dem Sitz in Nairo-bi in das UN-System eingeglie-dert. UN-Habitat beschäftigtsich vor allem mit der fortschrei-tenden Verstädterung und ih-ren Folgen und fördert dabeiverschiedene Projekte in 56Ländern, wie zum Beispiel zurArmutsbekämpfung und nach-haltigen Entwicklung. Im Ran-ge einer Untergeneralsekretä-rin wurde Tibaijuka 2002 zurersten Exekutivdirektorin vonUN-Habitat gewählt. Die UN-Generalversammlung verlän-gerte ihre Amtszeit am 28. Ju-ni 2006 für weitere vier Jahre

bis zum 31. August 2010. Sieist damit die derzeit rang-höchste Afrikanerin im Sy-stem der Vereinten Nationen.

Wirtschaft

Im April 2006 ernannte derUN-Generalsekretär den ers-ten Beirat für den GlobalenPakt. Das insgesamt 20-köpfi-ge Gremium besteht aus zehnVertretern von Unternehmen,vier Vertretern von Unterneh-mensverbänden und Gewerk-schaften und vier Vertreternvon Organisationen der Zivil-gesellschaft. Außerdem gehö-ren der geschäftsführende Lei-ter des Büros des GlobalenPaktes (Global Compact) undder Vorsitzende der Stiftungdes Globalen Paktes dem Bei-rat an. Im Bericht für die Jahre2004 und 2005 war die Ein-richtung eines solchen Beiratsvorgeschlagen worden, der dieKontinuität und die Weiter-entwicklung des Globalen Pak-tes durch strategische Unter-stützung bei der Umsetzung derGrundsätze des Paktes garan-tieren soll. Der Beirat soll ein-mal jährlich in New York ta-gen.

Zusammengestellt von Nina Hür-ter und Anja Papenfuß.

Jan Mattsson UN Foto: 99366 Anna Kajumulo TibaijukaUN Foto: 83534

Mitglieder des Beirats für den Globalen Pakt und Kofi Annan (Mitte). UN Foto: 120960

172 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Buchbesprechungen

Partnerschaften als Zauberformel

Kai Bethke

Nicht erst seit UN-Generalsekretär Kofi Annan sichim Jahr 2000 mit der Initiierung des Globalen Pak-tes (Global Compact) an die Spitze der Bewegunggesetzt hat, gibt es Partnerschaften zwischen den Ver-einten Nationen und der Privatwirtschaft. Schon im-mer kooperierten beide Seiten miteinander, beispiels-weise bei der Beschaffung von Material für UN-Pro-jekte oder in Katastrophenfällen. Dennoch hat sichder Tenor der Diskussion verändert, seit vor allem dieUN in solchen Partnerschaften anscheinend eine ArtZauberformel sehen, um die Probleme einer ausufern-den Globalisierung in den Griff zu bekommen. SindPartnerschaften zwischen den UN und der Privat-wirtschaft sinnvoll? Erfüllen sie das Kriterium nach-haltiger Entwicklung, für das sie geschaffen wurdenund immer noch werden? Und wie sollten Partner-schaften zwischen den UN und der Privatwirtschaftgestaltet sein, um dem eigentlichen Ziel einer gerech-ten Entwicklung auf dem Globus zu genügen? Kön-nen Sie vielleicht sogar den UN-Reformprozess be-fördern?

Diesen Fragestellungen versuchen zwei Publika-tionen jüngeren Datums nachzugehen – aus völligunterschiedlichen Blickwinkeln und mit interessan-ten Unterschieden in der Schlussfolgerung.

In Business UNusual beschreiben Jan Martin Wit-te und Wolfgang Reinicke im Auftrag des Büros fürden Globalen Pakt der UN nicht nur zahlreiche Bei-spiele verschiedener Partnerschaften zwischen denVereinten Nationen und der Privatwirtschaft, son-dern zeigen zudem anschaulich, warum die UN sol-cher, neuer, Aktionsmodelle bedürfen – und gebendie Antwort gleich selber: »In order to get the jobdone«.

Witte und Reinicke rekurrieren zu Beginn kurz aufden allgemeinen Handlungsrahmen der VereintenNationen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die Bedeu-tung der Millenniums-Entwicklungsziele und die ver-änderten globalen Rahmenbedingungen, aus denensie Reformbedarf ableiten. Allein, so argumentierensie, könnten die Vereinten Nationen ihre Aufgabennicht mehr bewältigen. Daher sei es wichtig, dassdie Organisation ihre Fähigkeiten und Instrumente,Partnerschaften mit dem Privatsektor mit Leben zufüllen, ausbaut.

Partnerschaften zwischen den UN und der Pri-vatwirtschaft (lies: mit privaten Großunternehmen)werden hier als adäquates Mittel zur Steigerung derpositiven Wirkung von UN-Programmen und -Pro-jekten verstanden. Mehr noch: Partnerschaften mit

dem Privatsektor stellen nicht nur sinnvolle und effi-ziente Formen der Kooperation auf der Ebene vonEntwicklungsprojekten, zum Beispiel bei der Armuts-bekämpfung, dar, sondern sind darüber hinaus auchgeeignet, die Richtung für den gesamten Reformpro-zess innerhalb der Vereinten Nationen vorzugeben.Deutlich wird das im vierten Kapitel, das aus denBeschreibungen erfolgreicher Partnerschaften einenMaßnahmenkatalog für den gesamten Reformprozessder Vereinten Nationen ableitet und generelle Hand-lungsanweisungen postuliert: Partnerschaften zwi-schen den UN und dem Privatsektor als das Mittelzur Neugestaltung des Gesamtsystems. Nicht weni-ger Wirkung schreiben die Autoren dieser Form derKooperation der Vereinten Nationen mit der Privat-wirtschaft zu.

Ganz so einfach ist es aber dann doch nicht. Wit-te und Reinicke stellen vielmehr fest, dass es natür-lich Defizite bei diesen Partnerschaften gibt, wobeisie allerdings nur mit Blick auf die UN beschriebenwerden. Ineffizientes Handeln, unklare und unüber-sichtliche rechtliche Grundlagen der Kooperation imUN-Recht sowie ungenügende und auch ungeschick-te Partnerwahl werden hier als Grundprobleme iden-tifiziert. Außer einer empirischen Untersuchung beiprivaten Unternehmen wird der Frage nach Defizi-ten und Schwierigkeiten nicht weiter nachgegangen.Lernen, Fähigkeiten aufbauen und Partnerunterneh-men gezielt auswählen sind dann auch die Mittel, umdas Problem zu lösen. Partnerschaften, die nach die-sem Schema gestaltet werden, könnten nicht nur spe-zifische, projektbezogene Aufgaben erfüllen, sonderngleich auch noch die gesamten Vereinten Nationenaufrütteln und neu aufstellen.

Witte und Reinicke haben eine kompakte Darstel-lung der bestehenden und potenziellen Chancen undHerausforderungen für Partnerschaften zwischen denVereinten Nationen und Unternehmen vorgelegt, dieanhand praktischer Beispiele und pragmatischer Lö-sungsvorschläge interessante Einblicke in die verschie-densten Partnerschaftsmodelle und die Projektpra-xis gibt. Doch gehen die Betrachtungen über eine Be-schreibung nicht wirklich hinaus und hinterfragenauch nicht die Rolle des Privatsektors im Allgemei-nen und die von Unternehmen im Besonderen. Part-nerschaften werden als Zauberformel des UN-Re-formprozesses angesehen, der die Kraft der Verän-derung innewohnt und allein damit die Reform vor-antreibt. Für eine solche Feststellung aber scheintdie Darstellung doch zu ungenau, und die eher de-

United NationsGlobal CompactOffice

Business UNusual.Facilitating UnitedNations ReformThroughPartnerships

New York: UnitedNations 2005, 112 S.,20 US-Dollar

VEREINTE NATIONEN 4/2006 173

Buchbesprechungen

skriptive Form der Analyse rechtfertigt eine entspre-chende Schlussfolgerung nicht. Auch werden die starkprozessorientierten Verbesserungsvorschläge zur ef-fektiveren und effizienteren Gestaltung von Partner-schaften, die sich vor allem auf die Mitarbeiter undderen Weiterbildung beziehen, alleine nicht ausrei-chen, um die strukturellen Probleme der VereintenNationen, die ja immer noch im Gewand der Nach-kriegszeit daherkommen, dauerhaft zu überwinden.Gleichwohl sollten sie natürlich beispielhaft für eineÖffnung eines an sich eher geschlossenen Systems ge-sehen werden. Als Anregung dafür steht der Beitragvon Witte und Reinicke. Die Typologisierung von be-stehenden Partnerschaften und die vielen Praxisbei-spiele vor allem, die die Autoren vorlegen, geben ei-nen sehr guten Ein- und Überblick in die Wirklichkeitvon Partnerschaften zwischen den Vereinten Natio-nen und der Privatwirtschaft.

Eine andere Perspektive wählt Valerie Weinzierl,Wirtschaftswissenschaftlerin beim Weltwirtschafts-forum im schweizerischen Davos, in ihrer Disserta-tion. Wo Witte und Reinicke beschreiben, versuchtWeinzierl eine theoretische Fundierung des Phäno-mens. Nun liegt es in der Natur von Dissertationenzu sozioökonomischen Phänomenen, oft ein wenigtrocken und sperrig zu sein. Und so liest sich das Buchauch über weite Strecken. Das sollte in diesem Fallaber nicht davon ablenken, dass die Autorin erfolg-reich den Versuch unternimmt, die Notwendigkeitvon Partnerschaften in sich geschlossen, anhand derLuhmann’schen Systemtheorie, zu begründen. Das istinteressant und gelingt ihr, und man versteht, warumsie es für beide Seiten als sinnvoll erachtet, Partner-schaften einzugehen: Auf beiden Seiten greifen ge-wohnte Verhaltensweisen nicht mehr. Das führt da-zu, dass bewährte Regularien an Sinn verlieren undbeide Seiten sich neu positionieren müssen, wenn siein immer komplexeren Umfeldern bestehen wollen.Wenn man Weinzierl folgt, indem sie Luhmann ent-sprechend interpretiert, dann ist eine Partnerschaft eingeeignetes Mittel, um die heute bestehende Komple-xität als Konsequenz der Globalisierung zu reduzie-ren.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Wit-te und Reinicke, jedoch fehlt ihnen die systemischeBegründung. Dort wird nicht wirklich deutlich war-um das, was ist, das Phänomen der Partnerschaftenzwischen UN und Privatsektor nämlich, auch auto-matisch gut und richtig sein soll. Das ist vor allemdann nicht hinreichend, wenn man daraus allgemein-gültige Handlungsanweisungen ableiten will, wie esdie Autoren tun. Weinzierl hingegen dient der theo-retische Rahmen dazu, die Elemente und Komponen-ten zu erklären, die notwendig sind, um Partnerschaf-ten erfolgreich zu gestalten. Und das heißt für sie vorallem nachhaltig in Bezug auf die Aufgaben der Ver-einten Nationen. Auf interessante Weise arbeitet siedie Zweck-Mittel-Beziehung zwischen Partnerschaf-

ten und nachhaltiger Entwicklung im Kontext derVereinten Nationen heraus und schafft somit einenReferenzrahmen zur weitergehenden Analyse vonebensolchen Partnerschaften, die sie im Übrigen klarvon allgemeiner Zusammenarbeit, zum Beispiel imBeschaffungsbereich, trennt, wie sie schon immer zwi-schen den UN und Unternehmen existierte.

Weinzierl legt die systemische Schablone über dieRealität, und stellt fest, dass Partnerschaften zwargrundsätzlich gut sind. Jedoch werden sie in den Ver-einten Nationen nicht wirklich effizient und schongar nicht nachhaltig gehandhabt. Das hat aus Sichtder Autorin drei zentrale Gründe: Erstens, die Struk-turen und der innere Aufbau der UN entsprechennicht den für eine effiziente Gestaltung von Partner-schaften benötigten Anforderungen. Zweitens gibtes keine klaren Strategien in den Vereinten Nationenund/oder in ihren Sonderorganisationen, wie Part-nerschaften grundsätzlich gestaltet werden sollen.Drittens sind Ausbildungsstand und Lernpotenzialder Mitarbeiter der Vereinten Nationen nicht dort,wo sie sein sollten. Die Autorin stellt nüchtern fest:»Obwohl die Vereinten Nationen bislang die Miss-stände dadurch rechtfertigen, dass sich die Partner-schaften in einem Entwicklungsstadium befinden,sind dringend Maßnahmen erforderlich, um das bis-lang seitens der Vereinten Nationen im Rahmen derPartnerschaften praktizierte ›Laissez-faire-Prinzip‹ zuüberwinden«. Mit anderen Worten: Gut gedacht, aberschlecht gemacht!

Doch Weinzierl beschreibt auch Wege aus demDilemma, und im Aufzeigen von Lösungsmöglich-keiten unterscheidet sie sich dann auch von Witteund Reinicke, die mehr oder weniger allein den Mit-arbeitern und ihrer engagierten und kenntnisreichenArbeit die Kraft verleihen, nicht nur Partnerschaftenerfolgreich zu gestalten, sondern gleich auch nochdas ganze System UN zu reformieren. Weinzierl ver-tritt hier zwar zum Teil die gleichen Ansichten wiedie beiden Autoren, indem sie den bloßen Willen zurinnovativen und intensiven Kooperation ganz allge-mein als Ausgangspunkt für Veränderungen auch imGesamtsystem UN anerkennt. Doch reichen ihr Maß-nahmen zur Mitarbeiterqualifikation und Strategie-findung nicht aus. Ihre zentrale Forderung im Maß-nahmenkatalog ist die Schaffung notwendiger struk-tureller Voraussetzungen für die erfolgreiche Umset-zung der anvisierten Partnerschaften, das heißt kon-kret die Schaffung einer zentralen Koordinierungs-stelle auf UN-Ebene. Innerhalb der UN-Sonderorga-nisationen und -Spezialorgane müsse das von der Ein-richtung so genannter ›focal points‹ begleitet wer-den, die mit entsprechenden Kompetenzen und Res-sourcen ausgestattet sein müssen, um ihrer Aufgabegerecht werden zu können.

In dieser Forderung und in der theoretischen Fun-dierung (vom Umfang einmal abgesehen) liegen dieHauptunterschiede zwischen den beiden Publikatio-

Valerie Weinzierl

Zur Zusammenarbeitzwischen den Ver-einten Nationen undder Privatwirtschaft.Die Partnerschaftenund ihre nachhal-tige und effizienteEntwicklung

Reihe InternationaleBeziehungen, Bd. 9Frankfurt am Main:Peter Lang Verlag2005, XVIII+262 S.,51,50 Euro.

174 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Buchbesprechungen

nen. Beide sehen Partnerschaften zwischen den Ver-einten Nationen und der Privatwirtschaft zwar alsein Mittel zur Unterstützung des UN-Reformprozes-ses. Witte und Reinicke allerdings wollen allein darinschon die hinreichende und nicht nur die notwendigeBedingung zur Reform erkennen. Weinzierl hinge-gen reicht das nicht: Sie fordert zusätzlich struktu-relle Veränderungen.

Auffallend ist, dass beide Publikationen Partner-schaften zwischen den Vereinten Nationen und demPrivatsektor fast ausschließlich aus dem Blickwinkeleben jenes privaten Sektors und seiner ihm innewoh-nenden Vorstellung von Effektivität und Effizienz be-trachten. Dahinter verbirgt sich wohl auch der Glau-be, der Privatsektor sei sozusagen per se effizient undeffektiv und mache die Dinge schon richtig. Die UNhingegen, bürokratisch und komplex, könnten danoch viel lernen. Es erstaunt aber nicht wirklich, dassder Privatsektor und sein Ziele und Motivationen inPartnerschaften mit den Vereinten Nationen in beidenDarstellungen grundsätzlich nicht hinterfragt werden.Das eben nicht zu tun, entspricht sicher dem Zeit-geist, greift aber zu kurz, wenn man die Thematikvollständig erfassen will. Eine solch verkürzte Betrach-tungsweise übersieht die durchaus komplexen undstarren Strukturen, die es ja auch in Unternehmengibt.

Dennoch ist die Lektüre beider Publikationen emp-fehlenswert vor allem in Kombination, da sie einenguten Überblick aus unterschiedlichen Blickwinkelnüber die Debatte verschafft und eine Diskussion, diehäufig auch ideologisch geführt wird, instruktiv ver-sachlicht.

Weltinnenrecht neu vermessen

Johannes Varwick

Klaus Dicke,Stephan Hobe, Karl-Ulrich Meyn, AnnePeters, Eibe Riedel,Hans-JoachimSchütz und ChristianTietje (Hrsg.)

Weltinnenrecht.Liber amicorum JostDelbrück

Veröffentlichungendes Walther-Schücking-Institutsfür InternationalesRecht an der Uni-versität Kiel, Bd. 155Berlin: Duncker und Humblot 2005,945 S., 128 Euro.

Die internationale Politik- und Rechtsordnung hatsich in den vergangenen Jahren – mit vielschichtigenKonsequenzen für Rolle und Funktion der VereintenNationen – fundamental gewandelt. Obgleich dasPrinzip der Staatensouveränität im Kern weiterhinerhalten bleibt, sind die ›domaines réservées‹ derStaaten deutlich geschrumpft. Es bleibt offen, ob die-se Entwicklung bereits als eine Veränderung derGrundsätze hin zu einer ›Weltinnenpolitik‹ angese-hen werden kann. Gleichwohl macht die Frage, obim Zeitalter der zunehmenden Interdependenz inter-national verbindliche Regelungen geschaffen werdenmüssen (und können), die die in zahlreichen Politik-feldern erodierende nationale Souveränität im globa-len Interesse relativieren und gleichzeitig die Fähig-keit zur Steuerung grenzüberschreitender Problemezurückgewinnen können, einen erheblichen Teil desgegenwärtigen Weltordnungsdiskurses aus.

Jost Delbrück, langjähriger Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an derChristian-Albrechts-Universität zu Kiel und wohl ei-ner der herausragenden deutschen Völkerrechtsge-lehrten, ist von Freunden, Wegbegleitern und Kolle-gen zum 70. Geburtstag eine Schrift gewidmet wor-den, die breite Aufmerksamkeit verdient. Der um-fangreiche Sammelband fasst Beiträge zum Staats-,Europa- und Völkerrecht zusammen, die sich dadurchauszeichnen, dass sie sowohl aktuelle als auch grund-sätzliche Fragen aufgreifen und hierzu über den en-geren juristischen Bereich hinausgehende Perspekti-ven aufzeigen. Der Schwerpunkt liegt auf Fragen ei-ner globalen, an der Aufgabe der Konstituierung desFriedens als Rechtsordnung orientierten, Weltinnen-politik. Als inhaltliche Klammer dient der von Del-brück geprägte Begriff ›Weltinnenrecht‹. Dieser Be-griff setzt, auch dies dürfte ganz im Sinne Delbrückssein, eine Verbindung von Völkerrechtslehre und Po-litikwissenschaft voraus.

So argumentiert etwa Anne Peters in ihrem Bei-trag ›Global Constitutionalism in a Nutshell‹, dasssich die Struktur des internationalen Rechts von derKoexistenz über die Kooperation zur Konstitutiona-lisierung entwickelt habe. »In the era of globalizati-on, a constitutionalist reconstruction is a desirablereaction to the visible de-constitutionalization on thedomestic level« (S. 536). Weniger euphorisch sehendas Franz Matscher (Über die Grenzen des Rechts),Karl Zemanek (Für mehr Offenheit und Realismusin der Völkerrechtslehre) und Fred Morrison (No LeftTurn: Two Approaches to International Law). Dar-

VEREINTE NATIONEN 4/2006 175

Buchbesprechungen

aus abgeleitet lassen sich sehr unterschiedliche Be-trachtungsweisen hinsichtlich der Bedeutung des Völ-kerrechts ausmachen.

Eine ›legalistische Schule‹ sieht in völkerrechtli-chen Regelungen ein extrem hohes Gut, dem politi-sche Erwägungen unterzuordnen sind. Wenn StaatenVerpflichtungen eingegangen sind, dann müssen siesich auch an diese halten, weil andernfalls eine Grund-voraussetzung internationaler Kooperation beschä-digt wird. Es wird akzeptiert, dass durch völkerrecht-liche Regelungen die staatliche Souveränität insofernbeschnitten wird, als dass diese staatliches Verhaltendeterminieren.

Eine ›politikorientierte Schule‹ stellt völkerrecht-liche Regelungen stärker in einen politischen Kon-text und betont, dass es letztlich politischen Entschei-dungen der Regierungen vorbehalten bleiben soll undmuss, ob sich diese an überstaatliche Regelungen hal-ten oder nicht. Völkerrechtliche Regelungen sind einAbwägungsfaktor unter vielen anderen und dürftendemnach nicht den Anspruch erheben, maßgeblichhandlungsleitend zu sein. Für beide Sichtweisen istPlatz in diesem Buch.

Die 55 Beiträge (davon 17 in englischer Sprache)versuchen, dem Begriff ›Weltinnenrecht‹ in seinen un-terschiedlichen Dimensionen auf die Spur zu kommen.Dabei wird ein breites Spektrum an Themen abge-deckt, das in der Gesamtschau einen eindrucksvol-len Trend zur Konstitutionalisierung internationa-ler Politik illustriert. Leider haben aber die Heraus-geber darauf verzichtet, die Beiträge nach inhaltlichenKriterien oder in Unterkapitel zu gliedern. Vielmehrsind die Texte unverständlicherweise in alphabeti-scher Folge nach Autoren aneinandergereiht, was esetwas mühsam macht, eine inhaltliche Konzeptioninnerhalb des weiten Feldes ›Weltinnenrecht‹ zu er-kennen.

Jenseits von Grundsatzfragen werden auch zahl-reiche konkrete Probleme mit direkter Relevanz fürdie Tätigkeit der Vereinten Nationen behandelt. Sostellt etwa Knut Ipsen die Frage nach Formen legiti-mer Gewaltanwendung neben dem Völkerrecht undkommt bei seiner Analyse der amerikanischen De-batte zu einer durchaus differenzierten Bewertung.Zwar sieht er die amerikanische Diskussion über dieLegitimierung von Waffengewalt außerhalb des Völ-kerrechts kritisch, erkennt aber gleichwohl wenig Sinndarin, die USA wegen Verletzung des Gewaltverbotsan den Pranger zu stellen. »Auf internationaler Ebe-ne die Deduktion der Legitimität allein aus dem exi-stenten Völkerrecht vorzunehmen, erscheint schondeshalb nicht als angängig, weil eine Vergleichbar-keit zwischen Rechtstaatsstruktur und Völkerrechts-struktur nur partiell gegeben ist« (S. 382). Vielmehrsei es erforderlich, auch künftig auftretende außer-rechtliche Legitimation von Gewaltanwendung wie-der völkerrechtlich einzuhegen. An anderer Stelle wen-den sich Christoph Schreuer und Christina Binder dem

Verhältnis von Generalversammlung und Sicherheits-rat bei Fragen der Friedenssicherung zu. So wird kom-petent diskutiert, ob vor dem Hintergrund der ›Uni-ting-for-Peace-Resolution‹ aus dem Jahr 1950 (mitder die Generalversammlung bei Lähmung des Sicher-heitsrats ein Teil dessen Kompetenzen bei der Wah-rung des Weltfriedens für sich beanspruchte) die all-fälligen Lücken, die sich in der Tätigkeit des Sicher-heitsrats auch bei gegenwärtigen Sicherheitsproble-men auftun, geschlossen werden könnten. Das Urteilfällt auch hier differenziert aus, denn das Verhältnisbeider Organe entziehe sich einer simplen Formel.Ein weiteres Beispiel für einen Aspekt des Konzeptsder Konstitution des Friedens als Rechtsordnung lie-fert Christian Tietje in seinem Beitrag über interna-tionales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwick-lung. Er sieht in diesem Nexus keineswegs einen Wi-derspruch, sondern arbeitet im Gegenteil zahlreicheBezüge zwischen beiden Themenkomplexen heraus.

Alle Beiträge sind gleichermaßen lesenswert undmachen das Buch zu einem Werk, an dem nicht nurdie Leser, sondern auch der Geehrte seine Freude ha-ben dürfte. Denn es gelingt in der Festschrift durch-aus, was die Herausgeber in ihrem Geleitwort für dasgesamte Wirken von Jost Delbrück konstatiert ha-ben: dass es nämlich jenseits der kultivierten Flächeder herrschenden Meinung noch Gebiete gibt, die neuvermessen werden können.

Diese Neuvermessung ist insbesondere beim The-ma ›Weltinnenrecht‹ noch nicht abgeschlossen, dervoluminöse Band liefert aber wertvolle Anknüpfungs-punkte und bietet insbesondere in der Gesamtschauder Beiträge eine anregende Bestandsaufnahme wich-tiger Konstitutionalisierungstendenzen mitsamt dernotwendigen analytischen Einordnung. Denn trotzaller zutreffend beschriebenen Bausteine auf dem Wegzum ›Weltinnenrecht‹ bleiben doch Stolpersteine be-stehen. So bleiben wichtige Bereiche des Völkerrechtspolitisches Recht, das in erster Linie von der Bereit-schaft der Staaten abhängt, sich diesem Recht frei-willig zu unterwerfen und es als handlungsleitend an-zuerkennen. Die Entstehung eines ›Weltinnenrechts‹ –also die Herausbildung von verbindlichen und sank-tionierbaren Regelungen – mag normativ wünschens-wert sein, die politische Realität hinkt diesen nor-mativen Konzepten aber noch ein großes Stück hin-terher.

176 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Dokumente

Ab dem Jahrgang 2006 werden in der Zeitschrift VEREINTE NATIONEN

nur noch besonders wichtige deutschsprachige Dokumente des Si-cherheitsrats, der Generalversammlung und anderer Organe der Ver-einten Nationen im Volltext abgedruckt. Stattdessen wird eine Listeder im zurückliegenden Zeitraum verabschiedeten Resolutionenund Erklärungen des Präsidenten des Sicherheitsrats sowie ausge-suchter Resolutionen der Generalversammlung oder anderer Or-gane mit einer kurzen Inhaltsangabe und den (etwaigen) Abstim-mungsergebnissen abgedruckt. Zu finden sind diese Dokumenteüber die Website des Deutschen Übersetzungsdienstes: http://www.un.org/Depts/german oder über das allgemeine elektronische Do-

Dokumente der Vereinten Nationen

kumentenarchiv der Vereinten Nationen (Official Document Sys-tem – ODS) unter: http://documents.un.org. (Zu den Recherche-möglichkeiten siehe: Monika Torrey, Der Deutsche Übersetzungs-dienst der UN. Ein Leitfaden für die Dokumentenrecherche, VN1–2/2006, S. 72f.)

In der folgenden Übersicht sind Resolutionen der Generalver-sammlung sowie Resolutionen und Erklärungen des Präsidentendes Sicherheitsrats von März bis Juli 2006 aufgeführt. Die Doku-mente sind alphabetisch nach Ländern, Regionen oder Themen sor-tiert. In der jeweiligen Rubrik erfolgt die Auflistung chronologisch(das älteste Dokument zuerst).

Generalversammlung

UN-Dok.-Nr. Datum Gegenstand Abstimmungs-ergebnis

Menschen-rechte

A/RES/60/251 15.3.2006 Die Generalversammlung beschließt, als Ersatz für die Menschenrechts-kommission den Menschenrechtsrat als ein Nebenorgan der Generalver-sammlung mit Sitz in Genf einzurichten. Der Menschenrechtsrat wird alleMandate, Mechanismen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Men-schenrechtskommission übernehmen, sie überprüfen und erforderlichen-falls verbessern und straffen. Der Rat besteht aus 47 Mitgliedstaaten, dieunmittelbar und einzeln von der Mehrheit der Mitglieder der Generalver-sammlung gewählt werden. Der Rat soll während des gesamten Jahres re-gelmäßig zusammenkommen, in jedem Jahr mindestens zu drei Tagungen,darunter eine Haupttagung, mit einer Gesamtdauer von mindestens zehnWochen. Die Wahl der ersten Mitglieder des Rates soll am 9. Mai 2006 unddie erste Sitzung des Rates am 19. Juni 2006 stattfinden. Der Rat soll seineTätigkeit und Funktionsweise fünf Jahre nach seiner Einrichtung überprü-fen und der Generalversammlung Bericht erstatten.+170; -4 (Israel, Marschallinseln, Palau, USA); =3 (Belarus, Iran, Venezuela)

+170; -4; =3

UN-Mitglied-schaft

A/RES/60/264 28.6.2006 Die Generalversammlung beschließt, die Republik Montenegro als Mitgliedin die Vereinten Nationen aufzunehmen.

Ohne förmlicheAbstimmungangenommen.

Sicherheitsrat

UN-Dok.-Nr. Datum Gegenstand Abstimmungs-ergebnis

Burundi S/RES/1692(2006) 30.6.2006 Der Sicherheitsrat beglückwünscht Burundi zur friedlichen Übertragung derAutorität an Regierung und Institutionen. Er stellt fest, dass, obwohl sich dieSicherheitslage gebessert hat, noch immer Instabilitätsfaktoren bestehen undbeschließt, das Mandat der Operation der Vereinten Nationen in Burundi(ONUB) bis zum 31. Dezember 2006 zu verlängern. Der Sicherheitsrat ver-längert außerdem im Einklang mit Resolution 1669(2006), die Vollmachtzur vorübergehenden Verlegung von höchstens einem Infanteriebataillon, ei-nem Lazarett und 50 Militärbeobachtern von der ONUB zur MONUC.

EinstimmigeAnnahme

Côte d’Ivoire S/PRST/2006/23 24.5.2006 Der Sicherheitsrat fordert die Gebergemeinschaft auf, dem Hohen Beauf-tragten für die Wahlen alle erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zustellen, um die vollständige Durchführung seiner Mission zu unterstützen.Er unterstreicht, dass viele der wesentlichen Aufgaben, die der Etappenplander Internationalen Arbeitsgruppe vorsieht, noch auszuführen sind und bit-tet die Regierung der nationalen Aussöhnung, mit Unterstützung der Ope-ration der Vereinten Nationen in Côte d’Ivoire (UNOCI) im Einklang mit ihremMandat, sofort alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Umset-zung des Etappenplans zu beschleunigen.

S/RES/1682(2006) 2.6.2006 Der Sicherheitsrat ist ernsthaft besorgt über das Andauern der Krise in Côted’Ivoire und genehmigt bis zum 15. Dezember 2006 eine Erhöhung der Per-sonalstärke der UNOCI um bis zu 1500 zusätzliche Personen, darunterhöchstens 1025 Soldaten und 475 Zivilpolizisten.

EinstimmigeAnnahme

VEREINTE NATIONEN 4/2006 177

Dokumente

Horn von Afrika

S/RES/1681(2006) 31.5.2006 Der Sicherheitsrat erinnert beide Parteien, dass sie eingewilligt haben, denBeschluss der Grenzkommission für Äthiopien und Eritrea über die Festle-gung und Markierung der Grenze als endgültig und bindend anzuerkennen.Der Rat beschließt, das Mandat der Mission der Vereinten Nationen in Äthio-pien und Eritrea (UNMEE) bis zum 30. September 2006 zu verlängern. Er ge-nehmigt die Umstrukturierung des militärischen Anteils der UNMEE und bil-ligt in dieser Hinsicht die Dislozierung von bis zu 2300 Soldaten, einschließ-lich bis zu 230 Militärbeobachtern.

EinstimmigeAnnahme

InternationaleStrafgerichte

S/RES/1684(2006) 13.6.2006 Der Sicherheitsrat beschließt die Verlängerung der Amtszeit von zehn stän-digen Richtern am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda bis zum 31.Dezember 2008.

EinstimmigeAnnahme

Irak S/PRST/2006/24 24.5.2006 Der Sicherheitsrat begrüßt den Amtsantritt der verfassungsgemäß gewähl-ten Regierung Iraks am 20. Mai. Er hofft, dass die Minister für Verteidigung,Inneres und nationale Sicherheit so bald wie möglich ernannt werden. DerRat unterstreicht die hohen Erwartungen an die neue Regierung, Verbesse-rungen unter anderem hinsichtlich der Sicherheit und Stabilität, der Men-schenrechte und der Rechtsstaatlichkeit herbeizuführen und fordert die Re-gierung nachdrücklich auf, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Er fordert außer-dem alle Staaten und zuständigen internationalen Organisationen mitgroßem Nachdruck auf, ihre Hilfe für die souveräne Regierung Iraks in dieserso entscheidenden Phase fortzusetzen und zu verstärken.

Konflikt-prävention/Konflikt-folgezeit

S/PRST/2006/28 22.6.2006 Der Sicherheitsrat wiederholt seine Aufforderung an die Mitgliedstaaten,ihre Streitigkeiten gemäß Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen auffriedlichem Wege beizulegen, indem sie unter anderem regionale Präventi-onsmechanismen in Anspruch nehmen und den Internationalen Gerichts-hof anrufen. Der Rat ist der Auffassung, dass die Ausweitung der Aktivitätenauf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit von entscheidender Bedeutung fürdie Friedenskonsolidierungsstrategien in Postkonfliktgesellschaften ist, undbetont die diesbezügliche Rolle der Kommission für Friedenskonsolidierung.Der Sicherheitsrat unterstützt die Idee, eine Unterstützungsgruppe Rechts-staatlichkeit innerhalb des Sekretariats zu schaffen, und erwartet mit Inter-esse die Vorschläge des Sekretariats zur Umsetzung der Empfehlungen inZiffer 65 des Berichts des Generalsekretärs (S/2004/616). Der Rat sieht Sank-tionen als wichtiges Instrument zur Wahrung und Wiederherstellung desWeltfriedens und der internationalen Sicherheit an. Diese sollen auf die Un-terstützung klarer Ziele ausgerichtet sein und ihre Wirksamkeit in einem an-gemessenen Verhältnis zu den möglichen nachteiligen Auswirkungen stehen.

Liberia S/RES/1683(2006) 13.6.2006 Der Sicherheitsrat begrüßt die bewiesene Führungsstärke der neu gewähltenPräsidentin Ellen Johnson Sirleaf sowie ihre Bemühungen um die Wiederher-stellung von Frieden und Sicherheit in Liberia. Die Mission der Vereinten Na-tionen in Liberia (UNMIL) muss die Regierung jedoch auch weiterhin unter-stützen. Tätig werdend nach Kapitel VII der UN-Charta beschließt der Sicher-heitsrat, dass die mit Ziffer 2 a) und b) der Resolution 1521(2003) verhängtenMaßnahmen keine Anwendung auf Waffen und Munition finden, die den An-gehörigen des Sondersicherheitsdienstes bereits für Ausbildungszwecke zurVerfügung gestellt wurden. Diese Waffen und Munition können für operativeVerwendungszwecke ohne Einschränkungen im Gewahrsam des Sondersi-cherheitsdienstes verbleiben. Selbige Maßnahmen finden keine Anwendungauf begrenzte Lieferungen von Waffen und Munition, die zur Verwendungdurch Mitglieder der Polizei- und Sicherheitskräfte der Regierung Liberias be-stimmt sind. Dem Ausschuss ist ein Antrag zur Ausfuhr vorzulegen. Im Falle ei-ner Genehmigung müssen Waffen und Munition gekennzeichnet werden.

EinstimmigeAnnahme

S/RES/1689(2006) 20.6.2006 Der Sicherheitsrat ist erfreut über die Überstellung des ehemaligen liberiani-schen Präsidenten Charles Taylor an den Sondergerichtshof für Sierra Leone.Der Rat betont, dass die UNMIL der Regierung auch weiterhin behilflich seinwird, ihre Autorität im ganzen Land, insbesondere in den diamanten- undholzproduzierenden Gebieten und den Grenzgebieten, zu etablieren und be-schließt, die Maßnahme in Ziffer 10 der Resolution 1521(2003), nicht zu verlän-gern. Dieser Beschluss soll nach 90 Tagen überprüft werden. Der Sicherheits-rat beschließt ferner, die mit Ziffer 6 der Resolution 1521(2003) verhängtenMaßnahmen um zusätzliche sechs Monate zu verlängern, wobei der Rat nachvier Monaten eine Überprüfung durchführen wird, um der Regierung Liberiasgenügend Zeit zu geben, ein wirksames, transparentes und international veri-fizierbares Herkunftszeugnissystem für den Handel mit liberianischen Roh-diamanten zu schaffen, mit dem Ziel, dem Kimberley-Prozess beizutreten. DerRat ersucht den Generalsekretär, das Mandat der Sachverständigengruppeum zusätzliche sechs Monate zu verlängern. Diese soll dem Rat über den Aus-schuss spätestens am 15. Dezember 2006 ihre Empfehlungen zu übermitteln.

EinstimmigeAnnahme

UN-Dok.-Nr. Datum Gegenstand Abstimmungs-ergebnis

178 VEREINTE NATIONEN 4/2006

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S/RES/1694(2006) 13.7.2006 Aufgrund der Empfehlungen des Generalsekretärs beschließt der Sicher-heitsrat, die Personalstärke des Zivilpolizeianteils der UNMIL um 125 zu er-höhen und die des militärischen Anteils um 125 zu verringern.

EinstimmigeAnnahme

Nahost S/RES/1685(2006) 13.6.2006 Der Sicherheitsrat begrüßt die Anstrengungen, die die Beobachtertruppe derVereinten Nationen für die Truppenentflechtung zwischen Israel und Syrien(UNDOF) unternimmt, um die Null-Toleranz-Politik des Generalsekretärs inBezug auf sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch anzuwenden.Der Rat beschließt, das Mandat der UNDOF um einen Zeitraum von sechsMonaten, das heißt bis zum 31. Dezember 2006, zu verlängern.

EinstimmigeAnnahme

S/PRST/2006/26 13.6.2006 Der Sicherheitsrat gibt im Zusammenhang mit Resolution 1685(2006) fol-gende ergänzende Erklärung ab: ›Bekanntlich heißt es in Ziffer 12 des Berichtsdes Generalsekretärs über die Beobachtertruppe der Vereinten Nationen fürdie Truppenentflechtung (S/2006/333): »… die Situation im Nahen Osten istsehr angespannt, woran sich voraussichtlich auch nichts ändern wird, solan-ge keine umfassende, alle Aspekte des Nahost-Problems einbeziehende Re-gelung erzielt werden kann.« Diese Erklärung des Generalsekretärs gibt dieAuffassung des Sicherheitsrats wieder.‹«

S/RES/1686(2006) 15.6.2006 Der Sicherheitsrat beschließt, das Mandat der Unabhängigen Internationa-len Untersuchungskommission (IIIC) bis zum 15. Juni 2007 zu verlängern. DieKommission soll dem Rat auch weiterhin vierteljährlich oder zu jedem ande-ren von ihr für geeignet erachteten Zeitpunkt über den Stand der Ermittlun-gen Bericht erstatten.

EinstimmigeAnnahme

Ostafrikani-sches Zwi-schenseen-gebiet

S/RES/1693(2006) 30.6.2006 Der Sicherheitsrat nimmt davon Kenntnis, dass die Wahl der Mitglieder derNationalversammlung und die erste Runde der Wahl des Präsidenten derDemokratischen Republik Kongo für den 30. Juli 2006 anberaumt sind undwürdigt die Hilfe, die die Gebergemeinschaft Kongo insbesondere für denWahlprozess gewährt. Er beschließt, die genehmigte Erhöhung der Personal-stärke des militärischen und des zivilpolizeilichen Anteils der Mission der Or-ganisation der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo(MONUC) bis zum 30. September 2006 zu verlängern. Der Rat ersucht denGeneralsekretär, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dieses zu-sätzliche Personal bis zum 30. September 2006 abzubauen oder zu repatri-ieren, sobald seine Präsenz in Kongo nicht mehr unerlässlich für die erfolg-reiche Durchführung des Wahlprozesses ist.

EinstimmigeAnnahme

Sierra Leone S/RES/1688(2006) 16.6.2006 Der Sicherheitsrat unterstützt den Antrag des Sondergerichtshofs für SierraLeone, den Prozess gegen den ehemaligen liberianischen Präsidenten Char-les Taylor an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu verlegen.Dies erfolgte aufgrund der Sicherheitsprobleme, die eine Inhaftierung Tay-lors in Freetown verursachen würde. Eine Strafkammer des Sondergerichts-hofs für Sierra Leone wird vom Sicherheitsrat ermächtigt, ihre Aufgabenauch außerhalb ihres Sitzes wahrzunehmen. Die Regierung des GastlandsNiederlande wie auch alle anderen Staaten werden dazu aufgerufen, alleBeweismittel und Zeugen zur Verfügung zu stellen. Der Sondergerichtshofwird ersucht, dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung Liberias den Ablauf desProzesses über Video verfolgen kann.

EinstimmigeAnnahme

Somalia S/PRST/2006/31 13.7.2006 Der Sicherheitsrat nimmt Kenntnis von dem Ersuchen der Staats- und Regie-rungschefs der Afrikanischen Union (AU), eine Ausnahme von dem gegenSomalia verhängten Waffenembargo zu prüfen, um den Weg für eine mög-liche Entsendung einer Friedensunterstützungsmission zu ebnen. Er be-grüßt, dass sich die Übergangs-Bundesregierung und das Übergangs-Bun-desparlament auf einen nationalen Sicherheits- und Stabilisierungsplan ei-nigen konnte. Im Zuge dessen wird eine begrenzte Änderung des Waffen-embargos von 1992 erwogen, um nationale Sicherheitsinstitutionen auf-bauen zu können. Der Rat verurteilt die jüngsten Kampfhandlungen in Mo-gadischu und fordert alle Parteien auf, die am 22. Juni 2006 vereinbarte Waf-fenruhe einzuhalten.

Terrorismus S/PRST/2006/29 29.6.2006 Der Sicherheitsrat ist entsetzt über den schrecklichen Tod von Mitgliedernder russischen diplomatischen Mission in Irak, die von einer terroristischenGruppe entführt worden waren und später von ihren Entführern erbarmungs-los und kaltblütig hingerichtet wurden und verurteilt dieses Verbrechen. DerRat fordert alle Staaten auf, bei den Bemühungen, die Täter, Organisatorenund Förderer dieser barbarischen Akte zu finden und vor Gericht zu stellen,aktiv zusammenzuarbeiten.

UN-Dok.-Nr. Datum Gegenstand Abstimmungs-ergebnis

VEREINTE NATIONEN 4/2006 179

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UN-Dok.-Nr. Datum Gegenstand Abstimmungs-ergebnis

S/PRST/2006/30 12.7.2006 Der Sicherheitsrat verurteilt auf das Schärfste die Bombenattentate vom 11.Juli 2006 in Mumbai, Indien, und spricht den Opfern und ihren Angehörigen,dem Volk und der Regierung Indiens sein tiefstes Mitgefühl und Beileid aus.Der Sicherheitsrat bekräftigt die Notwendigkeit, dass diejenigen, die diese zuverurteilenden terroristischen Handlungen begangen, organisiert, finanziertund gefördert haben, vor Gericht gestellt werden müssen.

Timor-Leste S/PRST/2006/25 25.5.2006 Der Sicherheitsrat nimmt mit großer Besorgnis die sich verschlechterndeSicherheitslage in Timor-Leste zur Kenntnis und verurteilt die Gewalt ge-gen die Bevölkerung. Der Rat nimmt Kenntnis vom Ersuchen der RegierungTimor-Lestes an die Regierungen Australiens, Malaysias, Neuseelands undPortugals im Rahmen bilateraler Vereinbarungen Verteidigungs- und Si-cherheitskräfte zu entsenden. Die positiven Reaktionen der Regierungenwerden begrüßt und eine enge Zusammenarbeit zwischen ihnen und demBüro der Vereinten Nationen in Timor-Leste (UNOTIL) befürwortet.

S/RES/1690(2006) 20.6.2006 Der Sicherheitsrat drückt seine Besorgnis über die weiterhin instabile Sicher-heitslage und die fortgesetzten Gewalthandlungen gegen die Bevölkerungin Timor-Leste aus. Der Rat beschließt, das Mandat von UNOTIL bis zum 20.August zu verlängern und ersucht den Generalsekretär, einen Bericht überdie Rolle der Vereinten Nationen nach Ablauf des Mandats vorzulegen. DieGebergemeinschaft wird aufgerufen, umgehend die humanitäre Hilfe fürdas Land zu erhöhen. Der Rat unterstützt die Initiative des Generalsekretärs,die Hohe Kommissarin für Menschenrechte um die Einsetzung einer unab-hängigen Sonderuntersuchungskommission zu bitten.

EinstimmigeAnnahme

UN-Mitglied-schaft

S/RES/1691(2006) 22.6.2006 Der Sicherheitsrat empfiehlt der Generalversammlung, die Republik Mon-tenegro als Mitglied aufzunehmen.

EinstimmigeAnnahme

S/PRST/2006/27 22.6.2006 Der Sicherheitsrat hat beschlossen, der Generalversammlung die Aufnah-me der Republik Montenegro als Mitglied in die Vereinten Nationen zu emp-fehlen. Der Sicherheitsrat begrüßt die Verpflichtung Montenegros, die Zieleund Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen hochzuhalten und alledarin enthaltenen Verpflichtungen zu erfüllen.

Westsahara S/RES/1675(2006) 28.4.2006 Der Sicherheitsrat fordert die Mitgliedstaaten auf, die Entrichtung freiwilli-ger Beiträge zur Finanzierung vertrauensbildender Maßnahmen zu erwä-gen, um insbesondere Besuche zur Familienzusammenführung zu ermögli-chen. Der Rat ersucht den Generalsekretär, auch weiterhin die erforderli-chen Maßnahmen zu ergreifen, um dafür zu sorgen, dass der Null-Toleranz-Politik der Vereinten Nationen gegenüber sexueller Ausbeutung und sexu-ellem Missbrauch im Rahmen der Mission der Vereinten Nationen für dasReferendum in Westsahara (MINURSO) tatsächlich Folge geleistet wird. Dietruppenstellenden Länder werden nachdrücklich aufgefordert, angemesse-ne Präventivmaßnahmen zu ergreifen. Der Sicherheitsrat beschließt außer-dem, das Mandat der MINURSO bis zum 31. Oktober 2006 zu verlängern.

EinstimmigeAnnahme

Zypern S/RES/1678(2006) 15.6.2006 Der Sicherheitsrat fordert die Parteien nachdrücklich auf, die Verhandlun-gen über eine umfassende Grenzregelung wiederaufzunehmen und alleHandlungen zu vermeiden, die zu einer Zunahme der Spannungen führenkönnte, wie die nicht genehmigte Errichtung von Wohn- und Geschäftsbau-ten in der Pufferzone. Der Sicherheitsrat ist besorgt über die Einschränkungder Bewegungsfreiheit der Friedenstruppe der Vereinten Nationen in Zy-pern (UNFICYP) an einzelnen Kontrollpunkten und fordert die türkische undgriechische Seite auf, das Mandat der UNFICYP in der Pufferzone zu achten.Der Sicherheitsrat bedauert die noch große Kluft zwischen Worten und Ta-ten beider Seiten und beschließt, das Mandat der UNFICYP bis zum 15. De-zember 2006 zu verlängern. Die Fortschritte bei der Minenräumung und dieAusweitung der Minenräumoperation der UNFICYP werden begrüßt.

EinstimmigeAnnahme

180 VEREINTE NATIONEN 4/2006

Abstracts | Impressum

VEREINTE NATIONENZeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorgani-sationen. Begründet von Kurt Seinsch. ISSN 0042-384XHerausgeber: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen(DGVN), Berlin.Chefredakteurin: Anja PapenfußRedaktionsassistenz und DTP: Monique LehmannRedaktionsanschrift:VEREINTE NATIONENZimmerstr. 26/27, D–10969 Berlin, Telefon 030 | 25 93 75–10; Telefax: 030 | 25 93 75–29, E-Mail: [email protected] und Verlag: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Waldseestr. 3–5, D–76530 Baden-BadenTelefon 0 72 21 | 21 04–0; Telefax 0 72 21 | 21 04–27.Erscheinungsweise: zweimonatlich. Bestellungen: Abonnementspreis jährlich (6 Hefte) Euro 49,–inkl. MwSt. zuzüglich Versandkosten; Einzelheft: Euro 10,– inkl. MwSt. zuzüglich Versandkosten. Bestellungen nehmen entgegen: Nomos Verlagsgesellschaft,Aloisia Hohmann, Telefon 0 72 21 | 21 04–39, Telefax 0 72 21 | 21 04–43, E-Mail: [email protected] sowie der Buchhandel; Abbestellungen vierteljährlich schriftlich zum Jahresende. Zahlungen jeweils im voraus an: Nomos Verlagsgesellschaft,Postbank Karlsruhe, Konto 73 636–751, und Stadtsparkasse Baden-Baden, Konto 5–002266.Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für die VereintenNationen ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.Anzeigenverwaltung und Anzeigenannahme: sales friendly,Bettina Roos, Maarweg 48, 53123 Bonn, Telefon 02 28 | 9 78 98–10, Telefax 02 28 | 9 78 98–20, E-Mail:[email protected] Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträgeund Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetzzugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht notwendiger-weise die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion wieder.

PräsidiumDr. Hans ArnoldProf. Dr. Kurt BiedenkopfDr. Hans Otto BräutigamDr. Eberhard BrechtDr. Fredo DannenbringProf. Dr. Klaus DickeBärbel DieckmannHans EichelManfred EiseleProf. Dr. Tono EitelJoschka FischerHans-Dietrich GenscherDr. Wilhelm HöynckProf. Dr. Klaus HüfnerPrälat Dr. Karl JüstenDr. Dieter KastrupDr. Klaus KinkelMatthias KleinertDr. Manfred KulessaDr. Hans-Werner LautenschlagerProf. Dr. Klaus LeisingerWalter LewalterIngrid Matthäus-MaierProf. Dr. Jens NaumannKarl Theodor PaschkeDetlev Graf zu RantzauPrälat Dr. Stephan ReimersAnnemarie RengerProf. Dr. Volker RittbergerDr. Irmgard SchwaetzerHeide SimonisDr. Frank-Walter SteinmeierProf. Dr. Rita SüssmuthDr. Helga TimmProf. Dr. Klaus TöpferProf. Dr. Christian TomuschatDr. Günther UnserDr. Hans-Joachim Vergau

Rüdiger Freiherr von WechmarDr. Ernst Ulrich von WeizsäckerDr. Richard von WeizsäckerHeidemarie Wieczorek-ZeulProf. Dr. Rüdiger WolfrumAlexander Graf York von Wartenburg

VorstandDr. Christoph Zöpel (Vorsitzender)Prof. Dr. Thomas Bruha (Stellvertretender Vorsitzender)Ekkehard Griep (Stellvertretender Vorsitzender)Ana Dujic (Schatzmeisterin)Detlef Dzembritzki, MdBWolfgang EhrhartProf. Dr. Manuel FröhlichArmin LaschetDr. Wolfgang MünchWinfried Nachtwei, MdBDr. Christian TamsKarl-Georg Wellmann, MdB

LandesverbändeProf. Dr. Karl-Heinz Meier-BraunVorsitzender, Landesverband Baden-Wü[email protected]. Dr. Alexander SiedschlagVorsitzender, Landesverband [email protected]. Christine KalbVorsitzende, Landesverband [email protected] DehézVorsitzender, Landesverband [email protected]

GeneralsekretariatDr. Beate Wagner, GeneralsekretärinDeutsche Gesellschaft für die Vereinten NationenZimmerstr. 26/27, D–10969 BerlinTelefon: 030 | 25 93 75–0; Telefax: 030 | 25 93 75–29E-Mail: [email protected] | Internet: www.dgvn.de

Deutsche Gesellschaft für die Vereinten nationenImpressum

Abstracts

Gunnar TheissenMore Than Just a Change of Name. The New UN Human Rights CouncilVEREINTE NATIONEN, Vol. 54, 4/2006, pp. 138–146.In June 2006 the newly established Human Rights Council held its firstregular session in Geneva. The Council has replaced the Commission onHuman Rights, which had become increasingly critizised in the pastyears. Whether the new Council can improve the UN’s human rightsmonitoring will depend to a large extent on the working methods, it willadopt during its first year. The article describes the process that led tothe reform, highlights the improvements of the Council compared to theCommission, and gives an overview of the Council’s future agenda.

Sven Bernhard GareisReform Postponed. Germany Has to Keep Waiting for a PermanentSeat in the UN Security CouncilVEREINTE NATIONEN, Vol. 54, 4/2006, pp. 147–152.After its reunification a growing number of UN member states beganto consider Germany a natural candidate for a permanent seat in anenlarged Security Council. However, Germany itself pursued this ob-jective with changing political energy and finally rejected a promisingopportunity in the mid-1990s. In 2004/05 Germany and its partners inthe Group of Four (G4), Brazil, India and Japan, took a new attemptwhich brought the Security Council closer to reform than any other initia-tive before. In the summer of 2005, however, also this initiative even-tually failed due to strong opposition by the US and China on the onehand and lacking coherence in the reform camp on the other hand. IfGermany and the reformers are again given the chance to advance a re-form initiative, they need to pursue it in a more determined manner.

Josef BramlAmerican Pressure for UN ReformVEREINTE NATIONEN, Vol. 54, 4/2006, pp. 153–159.The current debate on the reform of the United Nations in the UnitedStates reveals an alarming degree of negative attitudes in the Americanpublic, media, think tank community and in the US government. Ger-man policy-makers cannot ignore these critical stances. Washingtonmay grasp a domestic opportunity to legitimize its objectives: TheBush administration may take advantage of the Congress’ power ofthe purse, and benefit from the current disaffection both in the generalpublic as well as in the elites, in order to transform the organization in-to a more useful tool for advancing US interests.

Mandana Biegi“So Long as There Is Breath in Me ...”. Why the United States Won’tBecome a Party to the International Criminal Court and Why the Restof the World Is Secretly RelievedVEREINTE NATIONEN, Vol. 54, 4/2006, pp. 160–163.In this essay the author states that contrary to what reports may say, thestate parties of the International Criminal Court are relieved that the Uni-ted States has not joined the new institution. Based on interviews withhigh-ranking members of the ICC, the article indicates that a majority ofthe state parties involved try to avoid the ICC becoming ‘a bastion ofcommon law’. A second explanation is that if the United States were toratify the treaty the court could be perceived as a ‘court of the western he-misphere’, resulting in even more reservation from Asian and Arab states.The Darfur case has taken the ICC closer to a more advantageous sce-nario for the near future: American cooperation, but no participation.