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Völker- und europarechtliche Wirkungen der UN- Behindertenkonvention – am Beispiel des Behindertenbegriffs Univ.-Prof. Dr. Werner Schroeder,

Völker- und europarechtliche Wirkungen der UN- Behindertenkonvention – am Beispiel des Behindertenbegriffs Univ.-Prof. Dr. Werner Schroeder, LL.M

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Völker- und europarechtliche Wirkungen der UN-Behindertenkonvention – am Beispiel des Behindertenbegriffs

Univ.-Prof. Dr. Werner Schroeder, LL.M.

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Ratifizierung des ÜBK

• „Übereinkommen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (ÜBK) ist ein völkerrechtlicher Vertrag.

• Wurde von 138 Staaten sowie der Europäischen Union (EU) unterzeichnet.

• ÜBK ist für Österreich seit 2008 und für die EU seit 2011 durch Ratifizierung völkerrechtlich in Kraft.

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Völker- und EU-rechtliche Bindung

Österreich ist EU-Mitglied und deshalb in doppelter Weise an das ÜBK gebunden: - durch völkerrechtlichen Vertrag aufgrund

seiner eigenen Ratifizierung in 2007 und- durch EU-Recht aufgrund der Ratifizierung der

EU in 2010.

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ÜBK als österr. Staatsvertrag

• Innerstaatlich ist das ÜBK ein Staatsvertrag iSv Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG.

• Wurde vom Nationalrat durch Gesetz genehmigt.

• ÜBK ist damit Bestandteil des österreichischen Rechts im Gesetzesrang.

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Erfüllungsvorbehalt

• Nationalrat hat nach Art 50 Abs 2 Z 4 B-VG beschlossen, dass Verpflichtungen aus dem ÜBK (nur) „durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen“ sind (Erfüllungsvorbehalt).

• Gerichte und Verwaltungsbehörden in Österreich dürfen ÜBK nicht unmittelbar anwenden.

• ÜBK begründet für Privatpersonen keine subjektiven Rechte und Pflichten.

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Völkerrechtskonforme Auslegung des österr. Rechts

• Gerichte und Behörden sind aber verpflichtet, innerstaatliche Rechtsvorschriften im Lichte des ÜBK auszulegen.

• Voraussetzung für völkerrechtskonforme Auslegung: sie verfügen über einen Spielraum im österreichischen Recht.

• Unbestimmter Rechtsbegriff wie der Behinderungsbegriff ist unter Berücksichtigung des ÜBK zu interpretieren.

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ÜBK als völkerrechtliche Übereinkunft der EU

• EU hat ÜBK als internationale Übereinkunft iSv Art 216 AEUV in allen Amtssprachen im ABl. kundgemacht.

• Worin besteht der Mehrwert der zusätzlichen Geltung des ÜBK als EU-Recht?

• ÜBK hat als EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht.

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Wirkung des ÜBK als EU-Recht

• ÜBK als vorrangiges Recht unmittelbar in Österreich anwendbar?

• EuGH, Rs. C-363/12: nein, ÜBK hat „programmatischen Charakter“. Umsetzung Sache der Vertragsstaaten (Art 4 Abs 1 ÜBK).

• Auch klar und bestimmt formulierte Pflichten wie zB Art 5 über Nichtdiskriminierung haben keine unmittelbare Wirkung.

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Völkerrechtskonforme Auslegung des EU-Rechts

• EuGH: ÜBK ist bei der völkerrechtskonformen Interpretation des bestehenden EU-Rechts heranzuziehen.

• Gilt für Rechte von Behinderten wegen RL 2000/78 zur Bekämpfung von Diskriminierungen in Beschäftigung u. Beruf.

• Und für Art 21 Grundrechtecharta, der auch Diskriminierungen „wegen einer Behinderung“ verbietet.

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Auslegung des EU-Behindertenbegriffs

• Weder RL 2000/78 noch Art 21 Grundrechtecharta definieren den Begriff der Behinderung.

• EuGH: Rückgriff auf Art 1 S 2 ÜBK erforderlich.• ÜBK - in der Auslegung durch den EuGH (!) -

bestimmt den Gehalt des EU-Rechts.• Auch relevant für österreichische Gerichte und

Behörden, die einschlägiges EU-Recht vollziehen.

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Begriff der Behinderung

Art 1 S 2 ÜBK„Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige, körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“

• Enthält keine Legaldefinition des Begriffs.• Offener Begriff, Verständnis entwickelt sich weiter.

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Beeinträchtigung

• Körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung erforderlich.

• Es geht nicht um eine Abweichung von einem „Normalzustand“ iSe medizinischen Ansatzes, sondern um jede Beeinträchtigung, die sozial-integrativ relevant ist.

• Der EuGH hat diese weite Definition bestätigt.

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Beeinträchtigung

• Körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung erforderlich.

• Es geht nicht um eine Abweichung von einem „Normalzustand“ iSe medizinischen Ansatzes, sondern um jede Beeinträchtigung, die sozial-integrativ relevant ist.

• Der EuGH hat diese weite Definition bestätigt:- Sehschwäche- Adipositas Grad III- Dauerhafte Rückenschmerzen.

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Langfristigkeit

• Beeinträchtigung muss langfristig sein.• Bestimmte Dauer iSe Mindestfrist (zB 6 Monate)

nicht erforderlich. • EuGH: ergibt eine Prognose, dass sich in absehbarer

Zeit keine wesentliche Änderung des Zustandes einstellt?

• EuGH: Auch eine heilbare oder unheilbare Krankheit kann Behinderung darstellen – muss nicht angeboren oder durch Unfall herbeigeführt worden sein.

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Hinderung an der vollen Teilhabe

• Wichtigstes Kriterium.• Barrieren bzw Unvermögen des Umfelds, sich auf

Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen einzustellen, sind konstitutiv für die Behinderung.

• Behinderung ist kein medizinisches, sondern ein soziales Phänomen.

• So auch Rechtsprechung des EuGH (zB Schmerzen oder Adipositas Grad III als Behinderung).

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Fazit

• Option für ein sozial-integratives Verständnis von Behinderung ist ein „Paradigmenwechsel“.

• Relevanz für das EU-Recht bisher für Diskriminierung von Behinderten im Berufsleben (RL 2000/78).

• Ausweitung der EU-rechtlichen Relevanz durch Art 21 Grundrechtecharta denkbar.

• Verbot der Nichtdiskriminierung von Behinderten als allgemeiner Rechtsgrundsatz (vgl EuGH, Rs. C-144/04, Mangold)?

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