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13 2 2 Technologische Grundoperationen Vom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben, vom Pfusche nie! Goethe 2.1 Zerkleinern 2.1.1 Allgemeines Die meisten Wirk- und Hilfsstoffe für die Arzneifor- mung lassen sich erst nach Zerkleinerung verwenden. Die Teilchen- bzw. Korngröße ist mitbestimmend für die Homogenität und für die optimale Wirkung und Reizlosigkeit der Arzneimittel. Für manche Arzneifor- men, wie z.B. Inhalationsaerosole, ist das Einhalten einer bestimmten Teilchengröße Voraussetzung für das Erreichen des Wirkortes. Auch Drogen müssen zunächst zerkleinert werden, um bei Auszügen eine möglichst quantitative Gewinnung der Inhaltsstoffe zu sichern. Grundsätzlich ist die Zerkleinerung mit einer Oberflächenvergrößerung verbunden, die einen großen Einfluss auf z.B. biopharmazeutische Parameter wie Freisetzung oder Resorption haben kann. 2.1.2 Mechanismen der Zerkleinerung Das Ausmaß der Zerkleinerung eines Gutes wird durch den Zerkleinerungsgrad definiert: Gleichung 2.1 | Z Zerkleinerungsgrad | d 0 Ausgangskorngröße | d 1 Korn- größe nach der Zerkleinerung Die Teilchenzerkleinerung wird durch Druck-, Schlag-, Reibungs-, Prall- und Scherkräſte erreicht. Welcher Mechanismus am effektivsten zur Zerkleinerung führt, hängt von den Eigenschaſten des Materials, v. a. von sei- ner Härte und Elastizität ab. Unter Einwirkung der Zer- kleinerungskräſte wird das Material zunächst elastisch bzw. plastisch verformt, bis es beim Überschreiten einer bestimmten Kraſt zum Bruch kommt. Feststoffpartikel weisen meist verschiedene Schwachstellen wie z. B. Ver- setzungen im Kristallgitter oder Risse auf ( Kap. 3.2.1), an denen Brüche bevorzugt vorkommen. Die Anzahl geeigneter Schwachstellen nimmt mit zunehmender Zerkleinerung ab, so dass mit steigendem Zerkleine- rungsgrad immer mehr Energie für eine weitere Korn- größenreduktion benötigt wird. Auch beim Vermahlen von Granulaten treten Brüche zunächst immer an Schwachstellen auf, hier also v.a. an Bindemittel- und Feststorücken zwischen den Einzelpartikeln. Von der gesamten zur Zerkleinerung eingesetzten Energie wird nur die Arbeit zur Neubildung von Ober- flächen als Oberflächenenergie im zerkleinerten Gut gespeichert, der Rest wird als Wärme abgegeben. Um den Energiebedarf der Zerkleinerung möglichst klein zu halten, sollte Sprödbruch angestrebt werden, d.h. das Material sollte sich möglichst wenig elastisch verformen las- sen (ggf. Kaltmahlung); der Feinanteil vor und möglichst auch während der Zerkleinerung abgetrennt werden; ein hoher Zerkleinerungsgrad durch stufenweises Zerkleinern und Klassierung realisiert werden und das Gut nur so fein wie notwendig vermahlen wer- den. 2.1.3 Arten der Zerkleinerung Neben der überwiegend angewandten Trockenmah- lung kann das Material auch unter Zusatz von Flüssig- keiten (Nassmahlung) bzw. bei tiefen Temperaturen (Kaltmahlung) zerkleinert werden. Nassmahlung. Das zu zerkleinernde Gut wird mit einer Flüssigkeit versetzt, in der es unlöslich ist, und dann einer geeigneten Behandlung unterzogen. Bevor- zugt werden Flüssigkeiten mit hoher Polarität wie Was- ser oder Alkohole. Gegebenenfalls ist der Zusatz von oberflächenaktiven Stoffen notwendig. Durch die Nass- mahlung kann die Mahleffektivität durch bessere Über- tragung der Scherkräſte deutlich erhöht und damit die erreichbare Korngröße reduziert werden. Ein weiterer Vorteil ist die Verringerung der Energie der neu

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2 Technologische GrundoperationenVom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben, vom Pfusche nie!

Goethe

2.1 Zerkleinern

2.1.1 AllgemeinesDie meisten Wirk- und Hilfsstoffe für die Arzneifor-mung lassen sich erst nach Zerkleinerung verwenden.Die Teilchen- bzw. Korngröße ist mitbestimmend fürdie Homogenität und für die optimale Wirkung undReizlosigkeit der Arzneimittel. Für manche Arzneifor-men, wie z.B. Inhalationsaerosole, ist das Einhalteneiner bestimmten Teilchengröße Voraussetzung für dasErreichen des Wirkortes. Auch Drogen müssenzunächst zerkleinert werden, um bei Auszügen einemöglichst quantitative Gewinnung der Inhaltsstoffe zusichern. Grundsätzlich ist die Zerkleinerung mit einerOberflächenvergrößerung verbunden, die einen großenEinfluss auf z.B. biopharmazeutische Parameter wieFreisetzung oder Resorption haben kann.

2.1.2 Mechanismen der ZerkleinerungDas Ausmaß der Zerkleinerung eines Gutes wird durchden Zerkleinerungsgrad definiert:

Gleichung 2.1

| Z Zerkleinerungsgrad | d0 Ausgangskorngröße | d1 Korn-größe nach der Zerkleinerung

Die Teilchenzerkleinerung wird durch Druck-, Schlag-,Reibungs-, Prall- und Scherkräfte erreicht. WelcherMechanismus am effektivsten zur Zerkleinerung führt,hängt von den Eigenschaften desMaterials, v. a. von sei-ner Härte und Elastizität ab. Unter Einwirkung der Zer-kleinerungskräfte wird das Material zunächst elastischbzw. plastisch verformt, bis es beimÜberschreiten einerbestimmten Kraft zum Bruch kommt. Feststoffpartikelweisenmeist verschiedene Schwachstellen wie z.B. Ver-setzungen im Kristallgitter oder Risse auf (▸Kap. 3.2.1),an denen Brüche bevorzugt vorkommen. Die Anzahl

geeigneter Schwachstellen nimmt mit zunehmenderZerkleinerung ab, so dass mit steigendem Zerkleine-rungsgrad immer mehr Energie für eine weitere Korn-größenreduktion benötigt wird. Auch beim Vermahlenvon Granulaten treten Brüche zunächst immer anSchwachstellen auf, hier also v. a. an Bindemittel- undFeststoffbrücken zwischen den Einzelpartikeln.

Von der gesamten zur Zerkleinerung eingesetztenEnergie wird nur die Arbeit zur Neubildung von Ober-flächen als Oberflächenenergie im zerkleinerten Gutgespeichert, der Rest wird als Wärme abgegeben. Umden Energiebedarf der Zerkleinerung möglichst kleinzu halten, sollte

󠀂 Sprödbruch angestrebt werden, d. h. das Materialsollte sich möglichst wenig elastisch verformen las-sen (ggf. Kaltmahlung);

󠀂 der Feinanteil vor und möglichst auch während derZerkleinerung abgetrennt werden;

󠀂 ein hoher Zerkleinerungsgrad durch stufenweisesZerkleinern und Klassierung realisiert werden und

󠀂 das Gut nur so fein wie notwendig vermahlen wer-den.

2.1.3 Arten der ZerkleinerungNeben der überwiegend angewandten Trockenmah-lung kann das Material auch unter Zusatz von Flüssig-keiten (Nassmahlung) bzw. bei tiefen Temperaturen(Kaltmahlung) zerkleinert werden.

Nassmahlung. Das zu zerkleinernde Gut wird miteiner Flüssigkeit versetzt, in der es unlöslich ist, unddann einer geeigneten Behandlung unterzogen. Bevor-zugt werden Flüssigkeiten mit hoher Polarität wie Was-ser oder Alkohole. Gegebenenfalls ist der Zusatz vonoberflächenaktiven Stoffen notwendig. Durch die Nass-mahlung kann die Mahleffektivität durch bessere Über-tragung der Scherkräfte deutlich erhöht und damit dieerreichbare Korngröße reduziert werden. Ein weitererVorteil ist die Verringerung der Energie der neu

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geschaffenen Oberflächen durch Lösungsmitteladsorp-tion, die Abnahme der Agglomerationstendenz, gerin-gere Wärmebelastung des Gutes sowie verminderteOxidation an den Bruchflächen. In der Regel muss dieDispergierflüssigkeit nach demMahlen wieder aus demGut entfernt werden, was jedoch zur Reagglomerationbeim Trocknen führen kann.

Kaltmahlung. Hier erfolgt die Zerkleinerung bei tiefenTemperaturen. Mit abnehmender Temperatur steigt dieSprödigkeit eines gegebenen Stoffes, so dass Brücheleichter entstehen. Die Kaltmahlung wird v. a. bei Stof-fen mit niedrigem Schmelzpunkt bzw. beim Vermahlenvon Stoffen angewandt, die zur Bildung von Eutektika(▸Kap.3.2.5) neigen. Kondensation von Luftfeuchte aufdemMahlgut sollte vermieden werden.

2.1.4 Probleme bei der ZerkleinerungBei der Trockenmahlung kommt es meistens zu einerWärmebelastung des Guts, die z.B. zu Modifikations-umwandlungen führen kann. Eine starke Zerkleine-rung verschlechtert durch erhöhte Agglomerationsten-denz das Fließverhalten des Pulvers. Auf Grund dergroßen Oberfläche weisen stark zerkleinerte Stoffemeist eine erhöhte Reaktivität auf, die zu einem Abbauempfindlicher Stoffe führen kann.

Bei der Trockenmahlung von organischen Stoffen,wie z.B. stärkehaltigen Produkten, besteht die Gefahreiner Staubexplosion durch elektrostatische Aufladungder Partikeloberflächen. Wesentliche Einflussfaktorensind Partikelgröße und Feststoffkonzentration in der

Luft. Zur Vermeidung einer Staubexplosion können dieMühlen mittels Einbau elektrostatischer Ableitungengeerdet oder ein Inertgas zugesetzt werden, um denSauerstoffgehalt der Luft abzusenken. Bei der Nassmah-lung ist durch die Bindung des Feinanteils desMahlgutsdie Gefahr der Staubexplosion nicht gegeben.

Um eine Kontamination des Mahlguts durch Ver-schleiß bzw. Abrieb von den verwendeten Mühlen zuvermeiden, sollten die Mahlwerkzeuge immer mindes-tens einenMohs’schen Grad härter als das Mahlgut sein(▸Kap. 3.2.6).

2.1.5 Geräte zur ZerkleinerungIm Rezepturmaßstab bedient man sich zur Zerkleine-rung oft manueller Methoden, z.B. der Reibschale unddes Pistills. Drogen lassen sich mit Hilfe von Stampf-mörsern oder, sofern sie nicht zu hart sind, mit Stampf-,Wiege- oder Rollenmessern zerkleinern. Zur Zerklei-nerung von Frischpflanzen oder Kräuterdrogen dienenKräuterschneidemesser. Sollen größere Mengen zer-kleinert werden, bieten sich verschiedene maschinelleZerkleinerungsgeräte wie z.B. Mühlen an.

Welche Zerkleinerungsgeräte im Einzelfall zurAnwendung kommen sollten, hängt von der Mengeund von den physikalischen Eigenschaften (Härte, Elas-tizität, Klebrigkeit) des Materials, von der Stückgrößedes Ausgangsmaterials und von der gewünschten Teil-chengröße des Endprodukts ab. Je nach dem zu erzie-lenden Zerkleinerungsgrad können Geräte zur Grob-,Mittel- und Feinzerkleinerung unterschieden werden(□Tab. 2.1).

Walzen- und Backenbrecher. Backenbrecher eignensich v. a. zur Zerkleinerung harter bismittelharter Stoffe.Der Mahlraum ist meist trichterförmig ausgebildet; dieSpaltweite des Produktaustrags lässt sich in Abhängig-keit von der gewünschten Feinheit des Produkts einstel-len. Die Zerkleinerung erfolgt v. a. durch Druckbean-spruchung zwischen einem feststehenden und einembeweglichenBrecharm.BeimWalzenbrecher (○Abb.2.1)wird das Mahlgut zwischen zwei oder mehrere gegen-läufig rotierende Walzen gepresst, wobei die Oberflächeder Walzen unterschiedlich gestaltet sein kann (glatt,gezahnt usw.). Die Zerkleinerung erfolgt durch Druckund Reibung, bei unterschiedlichen Walzengeschwin-digkeiten auch durch Scherung. Für die Grobzerkleine-rung ist die Oberfläche derWalzenmit Nocken, Zähnenoder anderen Brechorganen ausgestattet. Für die Fein-zerkleinerung werden Walzen mit glatter Oberflächeeingesetzt (s. a. Dreiwalzenstuhl, ▸Kap.15.4.2).

Mörsermühle. In Mörsermühlen (○Abb. 2.2) wird dasMahlgut zwischen den rauen Oberflächen von Reib-schale und Pistill zerrieben. Die Relativbewegung zwi-schen Schalenwand und Pistill wird meist durch Rota-tion der Reibschale erreicht. Um das Gut in der Mahl-

□ Tab.2.1 Leistungsfähigkeit von Zerkleinerungsmaschi-nen (Aufgrund der unterschiedlichen Bauarten der einzel-nen Mühlentypen und der Abhängigkeit des Zerkleine-rungsgrades vom Gut sind die Angaben der Feinheit alsRichtwerte aufzufassen.)

Zerkleinerungs-maschinen

Prinzip Feinheit desProdukts

Walzenbrecher,-mühlen

Reibung, Druck 10–1mm

Hammermühlen Prall, Schlag 2–0,3mm

Scheibenmühlen Reibung, Scherung 5–0,1mm

Kugelmühlen Reibung, Druck,Schlag

2–0,001mm

Stiftmühlen Prall, Schlag 500–20µm(teilw. bis 5µm)

Mörsermühlen Druck, Reibung 100–10µm

Luftstrahlmühlen Prall, Reibung 100–<1µm

Kolloidmühlen Reibung, Scherung 30–<1µm

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zone zu halten, ist ein ständiges Abkratzen des an derWandung anhaftenden Pulvers notwendig. Diesgeschieht durch einen Abschaber, der auch für dieDurchmischung des Mahlguts sorgt.

Scheibenmühlen. Diese Mühlen werden zur Zerklei-nerung elastischer bzw. fasriger Stoffe verwendet. DieZerkleinerung erfolgt im Spalt zwischen zwei Scheiben,von denen eine feststeht (Stator) und die andere mithoher Geschwindigkeit rotiert (Rotor). Beide Scheibenkönnen glatt sein oder mit Rippen, Nuten oder Zähnenbesetzt sein. Der Scheibenabstand ist je nach gewünsch-ter Korngröße einstellbar. Bei niedrigen Umdrehungs-geschwindigkeiten erfolgt die Zerkleinerung v. a. durchDruck- und Scherkräfte, bei höheren Geschwindigkei-ten zusätzlich durch Schlagbeanspruchung.

Schlag- und Prallmühlen. Durch schnell rotierendeSchlagbalken, -kreuze oder -stifte im Mahlraum wirddas Gut gegen das Mühlengehäuse geschleudert. DieZerkleinerung erfolgt v. a. durch Prall. Die Effektivitätder Mahlung ist umso größer, je schneller das Schlag-werkzeug rotiert und je höher die Dichte der Substanzist. Das entstehende Feingut kann peripher durch Siebeausgetragen werden. Hammermühlen (○Abb. 2.3) tra-gen alsMahlwerkzeuge amRotor pendelnd aufgehängteoder fest stehende Hämmer. Bewegliche Hämmer, diedurch die Fliehkraft im Betrieb radial nach außengerichtet sind, haben den Vorteil, dass sie bei schweroder nicht mahlbarem Gut ausweichen können (Über-lastungsschutz). Häufig sind die Mühlen mit einemSiebrost zur Austragung des Feingutes und der oberenBegrenzung der Produktkorngröße ausgestattet. DieStiftmühle (○Abb. 2.4) besteht aus zwei vertikal ange-ordneten Stiftträgern aus Metall, die jeweils eine grö-ßere Anzahl konzentrisch angeordneter Schlagstiftetragen. Die Stiftträger rotieren gegenläufig mit hoherGeschwindigkeit, wodurch das Zerkleinerungsgut nachaußen durch die Stiftreihen geschleudert wird und v. a.durch Prall und Schlag zerkleinert wird. Der Abstandder beiden Stiftträger ist in Abhängigkeit von der Fein-heit des Auftrageguts und der gewünschten Endkorn-größe einstellbar.

○ Abb.2.2 Mörsermühle○ Abb.2.1 Walzenbrecher

○ Abb.2.3 Hammermühle

○ Abb.2.4 Stiftmühle

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Kugelmühlen. In denmehr oder weniger zylindrischenMühlengefäßen wird das Gut durch rollende und/oderfallende Kugeln zerkleinert. Die Kugeln können ausStahl, Hartporzellan oder Achat bestehen. Das Prinzipdieses Mühlentyps kann an einer horizontal gelagertenKugelmühle (○Abb. 2.5) dargestellt werden. Durch dieRotation derMahlkammer werden die Kugeln ein Stückan der Mahlkammerwand mitgenommen, bis sie durchihr Eigengewicht wieder auf das Mahlgut zurückfallen.Diese fallende Bewegung der Kugeln bei höherenUmdrehungszahlen führt zu einer gröberen Zerkleine-rung als das „Verreiben in der Kugelschleppe“ bei gerin-geren Umdrehungszahlen. Zur gröberen Zerkleinerungwerden bevorzugt größere, schwerere Kugeln einge-setzt. Für die Fein- und Feinstzerkleinerung werdenviele kleinere Kugeln verwendet. Ab einer kritischenDrehzahl bleiben die Mahlkörper auf Grund der Zen-trifugalkraft an der Mühlenwand haften, so dass keineMahlung mehr möglich ist.

Bei der kritischen Drehzahl nkrit ist die auf die Kugelnwirkende Zentrifugalkraft (FZ) genauso groß wie dieGewichtskraft (FG) der Kugeln:

Gleichung 2.2

Durch Umstellen der ○Gleichung 2.2 nach n kann diekritische Drehzahl berechnet werden:

Gleichung 2.3

|m Masse einer Mahlkugel [g] | n Drehzahl der Mühle [U/min] |D Innendurchmesser der Mahlkammer [m] | g Erdbe-schleunigung [m/s2]

Kugelmühlen werden im Bereich um etwa 75% ihrerkritischen Drehzahl betrieben. Für das Vormahlen(gröbere Zerkleinerung) nutzt man wegen desgewünschten stärkeren Anteils der Fallbewegung meistein wenig höhere Drehzahlen, für die Feinmahlungwird die Drehzahl abgesenkt (bis auf 70 bis 50% des kri-tischenWertes), um das Verreiben zwischen den rollen-den Kugeln als Zerkleinerungsmechanismus zu nutzen.Für den Füllungsgrad der Mühle gilt:

Gleichung 2.4

Die Fliehkraftkugelmühle führt eine horizontale Rotati-onsbewegung aus. Eine exzentrische Lagerung desMühlengefäßes bewirkt, dass die Kugeln neben der rol-lenden auch eine der Fallbewegung der Kugeln in derhorizontal gelagerten Kugelmühle ähnliche Bewegungausführen. Bei der Planetenkugelmühle führt die Mahl-trommel neben der Kreisbewegung noch eine Rotationum die eigene Achse aus. Es wirken nun neben der Zen-trifugalbewegung der Kreisbewegung noch die Zentri-fugalkraft der Eigenrotation und die Corioliskraft aufdas Gut, was zu einer höheren Mahlbeanspruchung desZerkleinerungsgutes führt.

Bei der Schwingmühle wird das federnd gelagerteMahlgefäßmit Probengut undMahlkugel(n) in Schwin-gungen versetzt. Die beabsichtigte Unwucht des Mahl-gefäßes bei der Bewegung begünstigt die Zerkleine-rung, die durch die Schwingungen der Mahlkugel unddie Vibration des Mahlguts erfolgt.

Luftstrahlmühle. Luftstrahlmühlen werden zur Fein-und Feinstzerkleinerung von Pulvern eingesetzt. Essind unterschiedliche Bauweisen bekannt (○Abb. 2.6).Das Mahlgut wird einem Druckluftstrom zugegeben,der mit Schall- oder Überschallgeschwindigkeit in dieMühle führt. Der Zusammenprall sowie das Aufprallender Teilchen auf die Gehäusewand bewirken den Mahl-effekt. Gegebenenfalls ist eine Vorzerkleinerung desMahlgutes notwendig.Meist wird über einen Zyklon imZentrum der Mühle die Luft abgesaugt, wodurch diePulverteilchen je nach Korngröße auf Spiralbahnenbewegt und stark beschleunigt werden. Während dasFeingut die Mühle durch den zentralen Austrag ver-lässt, verbleibt das Grobgut auf Grund seiner Trägheitin der Mühle und wird weiter zerkleinert, bis dergewünschte Zerkleinerungsgrad erzielt ist. Wegen die-

○ Abb.2.5 Kugelmühle

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ses klassierenden Effekts werden relativ enge Korngrö-ßenverteilungen erhalten. Es lassen sich Teilchengrö-ßen bis in den unteren Mikrometerbereich, zum Teilauch in den Nanometerbereich erzielen. Durch denkühlenden Luftstrom ist dieWärmebelastung des Gutesin diesen Mühlen gering, so dass man den hohen Ener-giebedarf in Kauf nimmt, um thermolabile Arzneistoffeschonend auf den gewünschten Feinheitsgrad zu brin-gen. Ein Nachteil ist die hohe Agglomerationstendenzund meist auch schlechte Benetzbarkeit der entstehen-den Teilchen.

Kolloidmühle. In einem Gehäuse bewegt sich ein koni-scher Rotor mit hoher Geschwindigkeit. Der regelbareAbstand zwischen Rotor und dem Mühlengehäusebeträgt nur Bruchteile eines Millimeters (○Abb. 2.7).DasMahlgut wird suspendiert zugeführt und v. a. durchScherkräfte beim Passieren des feinen Spalts zerklei-nert. Mit Kolloidmühlen sollen Teilchengrößen bisunter 1µm erreicht werden.

2.2 Mischen

2.2.1 AllgemeinesMischvorgänge dienen der möglichst gleichmäßigenVerteilung mehrerer Stoffe. Eine homogene Verteilungder Bestandteile ist Voraussetzung für die exakte Dosie-rung von Arzneimitteln. Der Oberbegriff Mischenumfasst Rühren (Vermischen von Flüssigkeiten mitflüssigen, festen oder gasförmigen Substanzen), Kneten(Behandeln teigiger oder plastischer Massen) und Ver-mengen (Vereinigung pulverförmiger oder körnigerMaterialien).

Beim Mischen schieben sich die Teilchen einerStoffart zwischen die Teilchen einer oder mehrereranderer Stoffarten. Idealerweise ist die dabei entste-hende Verteilung rein zufällig (○Abb. 2.8), so dass dieWahrscheinlichkeit für das Vorhandensein an einem

bestimmten Ort des Mischers für jedes Einzelpartikelgleich ist (stochastische Homogenität, gleichmäßigeZufallsmischung). Eine ideale bzw. perfekte Homogeni-tät, bei der jede noch so kleine Probe exakt die gleicheZusammensetzung aufweist, kann durch Mischvor-gänge nicht erreicht werden. Eine Annäherung an denidealenMischzustand liegt bei den so genannten geord-neten Mischungen vor. Geordnete Mischungen werdenz.B. durch Adhäsion feiner Pulverpartikel an größereTeilchen, Überziehen von Partikeln mit einem wirk-stoffhaltigen Film oder Einbettung von Partikeln in eineMatrix erzielt. Hierbei handelt es sich nicht um eigentli-che Mischvorgänge.

Für denMischeffekt ist die Häufigkeit des Platzwech-sels der Teilchen je Zeiteinheit in alle drei Raumrich-tungen ausschlaggebend. Beim Mischen wirken dreiKräftearten auf das Gut ein: Zug- und Druckkräfte, dielediglich eine Volumenänderung des Gutes bewirken,und dreidimensionale Scherkräfte, die für den eigentli-chen Mischvorgang verantwortlich sind. Günstig ist einturbulenter Bewegungsablauf, um auch eventuell vor-handene Agglomerate zu zerstören. Um die dreidimen-sionale Bewegung zu ermöglichen, darf der Mischer

○ Abb.2.6 Luftstrahlmüh-len (links Gegenstrahl-mühle, rechts Spiralstrahl-mühle in Seiten- und Auf-sicht)

Sichtkammer ProduktzugabeProduktauslass(Zyklon)

ZerkleinertesGut

Mahlkammer

Zyklon(Produktauslass)

Luft-düsen

Luft-strom

Produkt-zugabe

Luft-strom

Luft-zufuhr

SuspendiertesMahlgut

Produkt-entnahme

○ Abb.2.7 Kolloidmühle

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nicht zu voll befüllt werden. ImWesentlichen unterliegtdas Mischgut drei Bewegungsarten (○Abb. 2.9):

󠀂 diffusionsartige Bewegung der Einzelpartikel relativzueinander durch Zufallsbewegung,

󠀂 konvektionsartige Bewegung von Teilchengruppenrelativ zueinander,

󠀂 Scherbewegung – Verschiebung von Teilchenschich-ten durch Ausbildung von Gleitebenen.

DasMischen ist ein zeitabhängiger Prozess, der anfangsschnell verläuft und nach einer bestimmten Mischzeitnicht mehr zu einer Zunahme der Mischgüte führt.Korngröße, -form und -größenverteilung sowie Kon-zentration und Fließverhalten beeinflussen in besonde-rem Maß den Mischeffekt. Die Dichte der Teilchenspielt als Einflussgröße lediglich bei erheblichen Dich-tedifferenzen der einzelnen Komponenten eine Rolle.Kräfte, die die Agglomeratbildung begünstigen (z.B.Kohäsions- und Adhäsionskräfte, Feuchte), verringernden Verteilungseffekt. Da solche Oberflächenkräfte mitVerringerung der Teilchengröße an Bedeutung gewin-nen, ergeben sich beim Mischen besonders feiner Pul-ver oftmals Probleme. Problematisch ist auch die Verar-beitung sehr niedrig dosierter Komponenten.

Je nach Eigenschaften des Mischgutes kann es beimMischvorgang zu einer stetigen Zunahme der Misch-

güte (kohäsive Güter) oder zum Durchlaufen einesMischoptimums kommen, nach dessen Überschreitenverstärkt Entmischungen auftreten (freifließendeGüter). Güter, die zu Entmischungen neigen, solltenmöglichst erst direkt vor der Herstellung bzw. Weiter-verarbeitung gemischt werden. Erschütterungen, Vi-brationen und Vorgänge, die mit einem Fließen oderdem freien Fall der Partikel verbunden sind, solltenmöglichst vermieden werden. Mit starken Entmi-schungstendenzen muss bei nadelförmigen Stoffen ge-rechnet werden, die durch ihre Sperrigkeit Hohlräumebilden, durch die feinpulverige Mischkomponentenhindurchfallen, oder bei Komponenten, die sich inihrer Partikelgröße wesentlich unterscheiden. Bei etwagleich großen kugelförmigen Partikeln treten dagegenderartige Entmischungen nicht auf.

Zur Ermittlung der optimalen Mischzeit und Sicher-stellung der Gleichförmigkeit des Gehalts von Arznei-formen wird dieMischgüte herangezogen. Die Beurtei-lung der Mischgüte erfolgt mit Hilfe statistischer Para-meter wie z.B. der Standardabweichung. Wichtig isteine ausreichende Anzahl (mind. 20) und Größe reprä-sentativer Stichproben. Die Entnahme der Stichprobenerfolgt nach dem Zufallsprinzip an unterschiedlichenStellen des Mischers.

Die Mischgüte ist – wie beschrieben – abhängig vonder Mischzeit. Aber auch Korngröße, -form, -größen-verteilung sowie Fließverhalten, Feuchtigkeitsgehalt,Dichte und Konzentration der Mischkomponentenhaben entscheidenden Einfluss auf die Mischqualität,welche z.B. eine notwendige Voraussetzung für dieDosiergenauigkeit ist. Aus Gründen der statistischenVerteilung ist eine genügend große Anzahl von Parti-keln des Wirkstoffes je Tablette notwendig. Nur unterdieser Bedingung wird die unvermeidliche Streuungder Partikelzahl je einzeldosierter Arzneiform keineunzulässigen Abweichungen im Gesamtgehalt ergeben.In diesem Zusammenhang ist neben der Partikelzahlauch die Partikelgröße bedeutsam. Die für die Dosier-genauigkeit (srel = 1%) zu tolerierende Partikelgröße istdosisabhängig und wird alsGrenzpartikelgröße bezeich-net. Für einen Wirkstoff mit einer durchschnittlichenDichte von 1,25g/ml werden bei einer Gesamttablet-

○ Abb.2.8 Ideale und sto-chastische Homogenität

Nicht gemischteKomponenten

Ideale Mischung Zufallsmischung

A

B

C

○ Abb.2.9 Bewegungsarten des Mischgutes. A Diffusions-artige Bewegung von Einzelpartikeln, B KonvektionsartigeBewegung von Partikelkollektiven, C Scherbewegung

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tenmasse von 100mg die in □Tab. 2.2 aufgeführtenWerte ermittelt.

Die Forderung nach Gleichförmigkeit des Gehalts(content uniformity) wird im ArzneibuchkastenPh. Eur. 2.9.40 näher beschrieben.

2.2.2 FlüssigkeitsmischerRührprozesse dienen dem Vermischen von Flüssigkei-ten, dem Lösen von Feststoffen, dem Wärmeaustauschbeim Aufheizen oder Abkühlen eines flüssigen Misch-gutes sowie dem Dispergieren von Feststoffen oderEmulgieren von Flüssigkeiten. Sie werden meist ingeschlossenen Ansatzbehältern durchgeführt(○Abb. 2.10). Das Behältnis kannmit einemTemperier-mantel und – um das Eintragen von Luft in die Flüssig-keit zu vermeiden – mit einer Vakuumvorrichtung ver-sehen sein.

Die Auswahl des Rührers richtet sich vor allem nachder Art der Rühraufgabe: Dispergier- und Emulgier-vorgänge erfordern z.B. eine höhere Scherwirkung desRührers, während bei reinen Vermischungsvorgängendie Umwälzbewegung im Vordergrund steht. Bedeut-sam ist weiterhin die Viskosität der Flüssigkeit, und u. a.auch die Ansatzgröße. Die verschiedenen Rührertypenentfalten ihreMischwirkung über unterschiedliche För-derung des Mischgutes: entweder axiale (Propeller-,Schrägblatt-, Wendelrührer), radiale (Blatt-, Gitter-,Kreuzbalken-, Impeller- und Scheibenrührer) oder tan-gentiale (Ankerrührer) Förderung des Mischgutes(○Abb. 2.11).

Zur Durchmischung niedrigviskoser Ansätze eignensich Propeller-, Scheiben-, Schrägblatt- und Impeller-rührer, für mittlere Viskositäten Kreuzbalken-, Gitter-oder Blattrührer, während hochviskose Ansätze z.B.den Einsatz von Anker- oderWendelrührern erfordern.Rührelemente, die für die Durchmischung höhervisko-ser Ansätze verwendet werden, haben meist eine imVergleich zumDurchmesser des Rührbehälters größereAbmessung als Rührer für niedrigviskose Medien undwerden mit einer geringeren Geschwindigkeit betrie-ben.

Vor allem bei hochviskosen Mischgütern ist es rat-sam, durch wandgängige Mischelemente für einenguten Stoffaustausch im Wandbereich des Rührbehäl-ters zu sorgen, damit es nicht zur Ausbildung höhervis-koser oder fester, den Wärmeübergang beeinträchti-gender Schichten (z.B. beim Abkühlen) oder thermi-scher Überlastungen kommt. Der zentrische Einbauvon Rührern kann zum reinen „Mit-Rotieren“ desMischguts sowie zur Ausbildung eines zentralen Wir-bels, einer Trombe, führen. Diesen Phänomenen kanndurch den Einbau von Strombrechern (z.B. wandstän-dig senkrecht angebrachten Blechen) begegnet werden.Diese erhöhen allerdings den Kraftaufwand und verlän-gern infolge des Auftretens von „toten Zonen“ dieMischzeit. Bei ausreichend kleinformatigen Rührernkann ihr exzentrischer oder schräger Einbau in denRührbehälter Abhilfe schaffen (○Abb. 2.12).

Für komplexe Mischaufgaben, wie sie z.B. bei derHerstellung disperser Systeme oder halbfester Zube-reitungen auftreten, ist es häufig sinnvoll, die hierbeschriebenen Rührer mit Mischelementen höhererDispergierwirkung zu kombinieren. So lassen sich z.B.Ankerrührer mit Rotor-Stator-Systemen (▸Kap. 15.4.5)gemeinsam in ein Rührbehältnis einbauen. In neuererZeit werden auch häufiger statische Mischer eingesetzt.Der statische Mischer besteht in der Mehrzahl dererhältlichen Systeme aus einem glatten Rohr mit einge-bauten links- und rechtssteigenden Wendeln. DerMischer führt das durchfließende Produkt gegen dieRohrwandung und wieder zurück. Durch die wechsel-seitige Anordnung von rechts- und linksgängigenMischelementen wird eine Rotationsumkehrung undStromteilung verursacht. Die Vorteile der statischenMischer gegenüber den gerührten Systemen liegendabei in der kontinuierlichen Prozessführung, dem

□ Tab.2.2 Grenzpartikelgröße in Abhängigkeit von derArzneistoffdosis (Tablettenmasse 100mg)

Arzneistoffdosis in derTablette (mg)

Grenzpartikelgröße (µm)

0,1 25

1,0 54

5,0 95

10,0 125

Stutzen

Rührwerk

Auslaufstutzen

Außenmantel(Temperierung)

Stutzen

○ Abb.2.10 Rührbehälter

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niedrigen Druckverlust, der geringen und gleichmäßi-gen Verweilzeit und der sicheren Auslegung der Misch-güte. Ein instruktives Video dazu unter www.youtube.com/watch?v=4H2Vk7_cCCc.

2.2.3 Mischer für feste StoffeEs gibt eine große Anzahl verschiedener Mischertypen,die, je nach Bauart, unterschiedliche Kräfteeinwirkun-gen auf das Mischgut erlauben. Die Wahl des Mischersrichtet sich nach den Eigenschaften und der Menge deszu mischenden Gutes. Um eine optimale Mischerwir-kung zu erzielen, sind v. a. folgende Punkte zu beachten:

󠀂 Die Expansion des Pulverbetts ist Voraussetzung fürdas gegenseitige Durchdringen der Pulverbestand-teile. Die Beladung erfolgt daher je nach Mischertypbis max. 30–80% des Fassungsvermögens.

󠀂 BeimMischen sollten Kräfte aus allen Raumrichtun-gen auf das Mischgut einwirken. Eine turbulenteBewegung der Partikel ist für den Mischvorgang

besonders günstig. Bei zweidimensionaler Bewe-gung des Gutes erfolgt die Durchmischung nur sehrlangsam.

󠀂 Die gesamte Masse sollte gleichzeitig in Bewegungsein, um tote Zonen ruhenden Materials zu vermei-den.

󠀂 Der Mischer sollte ausreichende Scherkräfte auf dasGut ausüben, die v. a. zum Zerteilen kohäsiver Güternotwendig sind. Mit Zunahme der Scherkräfte steigtjedoch auch die Gefahr der Zerkleinerung empfind-licher Güter.

󠀂 Um Entmischungen vorzubeugen, sollten v. a. Bewe-gungen, die mit einem freien Fall der Partikel ver-bunden sind, vermieden werden.

󠀂 Für jedes Gut und jeden Mischer muss eine geeig-nete Mischdauer gewählt werden.

Rotierende Fallmischer (Schwerkraftmischer)Zu diesem Mischertyp gehören alle sich drehendenMischtrommeln verschiedener Größe, Form und

○ Abb.2.11 Bauformenvon Rührern mit Strö-mungsschema einiger Rüh-rer, MIG = Mehrstufen-Impuls-Gegenstromrührer

Impeller-rührer

Scheiben-rührer

Kreuzbalken-rührer

Radiale Förderung

Axiale Förderung Tangentiale Förderung

Gitter-rührer

Blatt-rührer

Wendel-rührer

MIG-rührer

Anker-rührer

Schrägblatt-rührer

Propeller-rührer

○ Abb.2.12 Exzentrischerund schräger Einbau einesPropellerrührers, Strombre-cher

Exzentrische und schrägeAnordnung der Rührwerke

Stromstörer imRührbehälter

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2.2 Mischen 21

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Arbeitsweise (○Abb. 2.13). Beim kontinuierlich arbei-tenden Zick-Zack-Mischer (○Abb. 2.14) erfolgt an demeinen Ende die Befüllung, am anderen Ende wird dasgemischte Produkt entnommen. Durch Rotation deszick-zack-artigen, zum Auslass hin geneigtenMischarms wird das Gut gemischt und zum Auslassbewegt.

Das Mischen in Schwerkraftmischern erfolgt v. a.durch Konvektions- und Scherbewegungen ohne starkeBelastung des Gutes. Es tritt keine Kornzerkleinerungauf, so dass dieserMischertyp auch für dasMischen vonempfindlichen Granulaten geeignet ist. Durch den Ein-bau von sog. Schikanen kann die Mischeffektivitätgesteigert werden. Für sehr feine oder stark kohäsiveGüter sind diese Mischer nicht geeignet, da die Scher-kräfte für die Zerstörung größerer Agglomerate nichtausreichen.

SchüttelmischerEinen Sonderfall stellt der Turbula-Mischer dar. Hierkommt es durch einen komplexen dreidimensionalenBewegungsablauf des Mischbehälters mit Rotations-,Translations- und Inversions-Bewegungen zu einergewissen Scherbeanspruchung und einer verstärktendiffusionsartigen Bewegung der Partikel. Dies bringtaber auch eine erhöhte Beanspruchung des Mischgutesmit sich, die z.B. zu einer Beeinträchtigung des Zusam-menhalts von Granulaten führen kann.

Scher- und ZwangsmischerSchaufelmischer enthalten Schaufeln und Schaber, diemeist gegenläufig arbeiten und so das Vermengen desGutes bewirken. Im sog. Schnellmischer (○Abb. 2.15),der z.B. für die Mischgranulierung eingesetzt werdenkann, sorgen horizontal rotierende Mischflügel undseitlich angebrachte Zerhacker für die Durchmischungdes Gutes. Durch die hohe Drehgeschwindigkeit derRührwerke führen starke Scherkräfte zwar zu einergutenMischwirkung und kurzen Prozesszeiten, sie sindaber wegen der hohen Scherkräfte nicht für mechanischempfindliche Güter geeignet. Im kontinuierlich arbei-tenden Schneckenmischer wird das Gut (analog demTransport in einem Fleischwolf) mit Hilfe einer hori-zontalen Welle, die eine Spirale oder spiralförmig ver-

setzte Schaufeln trägt, zum Auslass transportiert undvermengt. Er ist für mechanisch empfindliche Güterwenig geeignet, da zwischen Schnecke und Gehäuse-wand starke Reibungskräfte auftreten. Der Kegelschne-ckenmischer (○Abb. 2.16) besteht aus einem aufrechtstehenden kegelförmigen Behälter, in dem sich eine spi-ralenförmige Schraube planetenförmig dreht. DasMischgut wird entlang der Kegelwand nach obengeführt und fällt dann in den Kegelraum zurück,wodurch die Gutumwälzung zustande kommt. Diemechanische Belastung des Gutes ist geringer als beimkontinuierlich arbeitenden Schneckenmischer.

○ Abb.2.13 SchematischeDarstellung rotierenderFallmischer

Kubusmischer V-Mischer RhönradmischerDoppelkonus-mischer

Aufgabe einer Vormischung

Entnahmeder

Mischung

180°

360°

○ Abb.2.14 Zick-Zack-Mischer (Neigung des Mischarmsüberzeichnet)

Seitenansicht Aufsicht

○ Abb.2.15 Schnellmischer

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Rezepturmäßige Herstellung von Pulver-mischungenDas Mischen kleinerer Quantitäten im Rezepturmaß-stab geschieht meist durch Verreiben. Die in der Reib-schale mit dem Pistill durchgeführten Mischvorgängeunterscheiden sich deutlich von denen in den o. g.Mischertypen. Der Mischvorgang ist hier viel ungleich-mäßiger, da immer nur der Teil des Gutes in Bewegungist, der gerade vom Pistill verrieben wird. Mit zuneh-mender Füllung der Reibschale nehmen die Ungleich-mäßigkeiten des Mischvorgangs und die Gefahr desAuftretens von toten Zonen zu. Ein häufiges Abkratzender Schalenwand und des Pistillkopfes ist zum Errei-chen einer hohen Mischgüte unerlässlich. Durch diehohe Druck- und Scherbeanspruchung kommt es zueiner Kornzerkleinerung. Beim Mischen von kleinenWirkstoffmengen mit Hilfsstoffen in der Reibschale isteine geometrische Verdünnung (○Abb. 2.17) zweckmä-ßig. Hierbei wird, nach Ausreiben der Reibschale mitHilfsstoff, der Wirkstoff vorgelegt und jeweils anteiligmit den Hilfsstoffen verrieben, woraus eine hoheMischgüte resultiert.

2.3 Trennen

2.3.1 FiltrierenAllgemeinesDurch Filtration wird entweder ein Filterrückstand alsHauptprodukt gewonnen – man spricht dann von einerTrennfiltration – oder die Flüssigkeit wird von uner-wünschten Inhaltsstoffen befreit; dies wird als Klär-bzw. Entkeimungsfiltration bezeichnet. Bei pharmazeu-tisch-technologischen Trennvorgängen handelt es sichin der Regel um Klär- bzw. Entkeimungsfiltrationen.Erfolgt die Filtration ohne zusätzliches Anlegen vonDruck oder Vakuum, so spricht man von einer Schwer-kraftfiltration. Die Durchflussleistung (Durchsatz) istvon der Abscheideleistung, von der Größe der filtrie-renden Fläche, von der Menge, Größe und Struktur derabzufiltrierenden Inhaltsstoffe, der Viskosität der Flüs-sigkeit und dem zur Verfügung stehenden Differenz-druck abhängig. Sie lässt sich durch Anwendung vonÜberdruck (Druckfiltration) oder vermindertem Druck(Unterdruckfiltration)erhöhen. Dies lässt sich quantita-tiv durch die Darcy-Gleichung beschreiben:

Gleichung 2.5

| ν Filtrationsgeschwindigkeit (Volumen/Zeit) | A Filterfläche| Δp Druckunterschied | η Viskosität des Filtrates | βi spezifi-scher Widerstand, fiktive Porenlänge in der Filter- (S) oderKuchenschicht (K) | hi entsprechende Schichthöhe

Die Abscheideleistung ist gegeben als diejenige Parti-kelgröße, die durch den betreffenden Filter gerade nochzurückgehalten wird. Sie ist ein genaueres Maß für dieFilterleistung als die Porenweite, denn die Partikelad-sorption im Filter spielt eine ebenfalls große Rolle, diedurch die alleinige Angabe der Porenweite nichtberücksichtigt würde.

EineOberflächenfiltration liegt vor, wenn die Inhalts-stoffe infolge Siebwirkung auf der Oberfläche des Filter-materials zurückgehalten werden. Bei der Tiefenfiltra-tion werden die Inhaltsstoffe nicht an der Filteroberflä-che zurückgehalten, sondern in der Tiefe der Matrix,d. h. im Inneren der gewinkelten oder gewundenen○ Abb.2.16 Kegelschneckenmischer

○ Abb.2.17 Mischen imRezepturmaßstab – beistufenweiser geometrischerVerdünnung

Wirkstoff

Füllstoff

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Poren abgeschieden. In der Praxis treten fast immerbeide Abscheidemechanismen nebeneinander auf.

In Abhängigkeit von der Anströmung unterscheidetman zwischen statischer und dynamischer Filtration(○Abb. 2.18). Bei der statischen Filtration (auch „dead-end-Filtration“ genannt) wird die Trübe (auch als„Unfiltrat“ bezeichnet) gegen die Filteroberflächegedrückt. Verunreinigungen werden in und auf demFilter abgeschieden und das Filtrat gesammelt. Bei derdynamischen Filtration (auch Querstromfiltration,Crossflow-Filtration oder Tangentialflow-Filtrationgenannt) wird die Trübe im Kreislauf tangential überden Filter geleitet. Da der Druck auf der Unfiltratseitehöher ist als auf der Filtratseite, wird ein Teil des Volu-menstromes durch den Filter gedrückt. Diesen Anteilbezeichnet man als Permeat. Die Verunreinigungenwerden dabei nicht in oder auf dem Filter abgeschie-den, sondern überströmen dessen Oberfläche, wodurcheinem Zusetzen des Filters vorgebeugt wird. Den mitVerunreinigungen angereicherten Anteil bezeichnetman als Retentat.

Traditionelle FiltrationstechnikenZum Filtrieren im Labormaßstab sind unter anderemFilterpapiere in Gebrauch. Die Filtriergeräte bestehenaus Glas oder Porzellan, gelegentlich auch aus Metalloder Kunststoff. Um bei großen Trichtern ein durch dasEigengewicht der Flüssigkeit bedingtes Reißen des Fil-ters an der Spitze zu verhindern, können Filtereinsätzeverwendet werden.

In vielen Fällen, z.B. zur Entfernung von Schweb-stoffen aus pharmazeutischen Lösungen, sind die übli-chen Filterpapiere nicht geeignet, da sie stets Fasernabgeben. Hier können Glassinterfilter (Glassintertiegel,Fritten, d. h. in gläserne Trichter eingeschmolzene Fil-terschichten aus gesintertem Glas) eingesetzt werden,die in verschiedenen Filtergrößen und Porenweiten zurVerfügung stehen. Sie weisen zahlreiche Vorteile gegen-

über Papierfiltern auf. So sind sie gegen saure und alka-lische Agenzien beständig, lassen sich nach Reinigungwieder verwenden und durch Heißluft oder Autokla-vieren sterilisieren.

MembranfilterEs gibt verschiedene Typen von Membranfiltern, diesich bedingt durch Ausgangsmaterial und Herstellver-fahren im Aufbau und bezüglich ihrer Einsatzgebietewesentlich unterscheiden.

Geschäumte Membranen (○Abb. 2.19, □Tab. 2.3), dieeine gleichförmige schwammartige Struktur besitzen,werden üblicherweise nach dem Phasenseparationsver-fahren hergestellt. Hierbei trennt man homogene Poly-merlösungen in eine polymerreiche feste Phase undeine flüssige Phase. Durch Verdampfen der flüssigenPhase entstehen die Poren als Hohlräume zwischen denaus der festen Phase gebildeten Schaumlamellen. Dieklassischen Materialien zur Herstellung dieses Mem-brantyps sind Celluloseacetat, -nitrat, -mischester undregenerierte Cellulose. Da diese Materialien meist denZusatz vonWeichmachern und/oder Netzmitteln erfor-dern, werden heute in der Industrie Polyamide, Polyvi-nylidenfluorid oder Polyethersulfon eingesetzt. Dietypische Abscheideleistung dieser Membranen beträgt20nm bis 5µm, die Schichtdicke liegt bei ca. 100µmund der Porenanteil bei bis zu 80%. Häufig werdendiese Membranen durch eingearbeitete Stützschichtenmechanisch verstärkt.

Geschäumte Membranen sind im Allgemeinen hy-drophil und werden daher vorzugsweise zur Sterilfiltra-tion von wässrigen Flüssigkeiten eingesetzt.

Polyamidmembranen sind in einer Variante verfüg-bar, die eine positive Oberflächenladung besitzt. Hier-durch werden zusätzlich Adsorptionskräfte wirksam,die negativ geladene Mikroorganismen und bakterielleEndotoxine binden (○Abb. 2.19, Beispiel Latexparti-kel).

○ Abb.2.18 Statische(links) und dynamische Fil-tration (rechts)

Produkt-fluss

Filtrations-druck

Filter

FiltratFiltrat

Produkt-fluss

Filtrations-druck

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Bei den gerecktenMembranen (○Abb. 2.20,□Tab. 2.4)werden die Poren durch kontrollierte zweidimensionaleReckung von Polymerfolien gebildet und geformt. Dastypische Material für diesen Membrantyp ist Polytetra-fluorethylen. Typische Abscheideleistungen für diesenMembrantyp sind 0,04–0,45µm bei einer Schichtdickevon 20µm und einem Porenanteil von 60%. GereckteMembranen sind materialbedingt hydrophob und wer-den daher zumeist als Luft- und Gassterilfilter oder alsBelüftungsfilter eingesetzt.

Da die Abscheideleistung eines Membranfilterswesentlich von der Tiefe der Matrix abhängt, werden

zur Erhöhung der Sicherheit häufig Doppelmembran-filter eingesetzt. Hierbei werden entweder zwei Mem-branen mit gleicher Porenweite oder auch Membranenmit unterschiedlicher Porenweite kombiniert, z. B. eine0,1µm Membran mit einer 0,2µm-Membran. Zusätz-lich gewährleisten diese Doppelmembranen infolge derpartiellen Abdeckung der möglicherweise vorhande-nen „großen“ Poren eine weitere Erhöhung der Sicher-heit.

Asymmetrische Membranen bestehen aus einemhomogenen Material, dessen Porengröße innerhalb derSchicht abnimmt, z.B. von 10µm auf 0,1µm, so dasssich größere Partikel im oberen Bereich absetzen unddie feineren Poren so nicht verstopft werden. Dadurchbesitzen diese Filter sehr gute Durchflussleistungen.

Zur Herstellung von Mikrofadenmembranen(○Abb. 2.21) sind alle Materialien geeignet, die sich inFaserform herstellen lassen, also Polymere wie Polypro-pylen, Polyamid, Polyvinylchlorid und Polyaramid,aber auch die unterschiedlichsten organischen undanorganischen Materialien wie Cellulose, Glas, Edel-stahl usw. (□Tab. 2.5). Wichtig ist eine vollständige Ver-netzung der Mikrofäden, da es ansonsten zu Faseraus-tragungen und Deformation der Membranstruktur,verbunden mit Partikeldurchbrüchen, kommen kann.DieserMembrantyp umfasst einen sehrweitenAbschei-deleistungsbereich, der von ca. 0,5µm bis über 100µmreicht. Die Schichtdicke liegt üblicherweise bei 200–300µm und kann in Einzelfällen auch weit größer sein.Der Porenanteil liegt bei ca. 50–80% je nach Materialund Feinheit. Mikrofadenmembranen werden fast aus-schließlich als Vor- und Partikelfilter eingesetzt.

Kernspurmembranen stellen eine Besonderheit aufdemMembranfiltergebiet dar. Dünne Folien, z.B. Poly-carbonatfolien, werden mit Neutronen beschossen.Diese Neutronen erzeugen entlang ihrer Spur ein ver-ändertes Material, das durch chemische Ätzverfahrenentfernt werden kann, so dass sehr gleichförmige Porenentstehen (○Abb. 2.22). Der Porenanteil liegt bei diesenMembranen nur bei etwa 10%. Höhere Porenanteile

□ Tab.2.3 Beispiele für geschäumte Membranen

Material Hersteller Produkt-bezeichnung

Polyamid CunoPall

Sartorius

Zeta PlusUltipor N66,N66 PosidyneSartolon

Polyethersulfon PallSartorius

SuporSartopore

Polyvinylidenfluorid MilliporePall

DuraporeFluorodyne

Celluloseacetat Sartorius Sartobran

Cellulosemischester DomnickHunter

Asypore

○ Abb.2.19 Links: geschäumte Polyamidmembran (Ultipor N66®, Fa. Pall), rechts: geschäumte positiv geladene Poly-amidmembran mit adsorbierten negativ geladenen Latexpartikeln (Posidyne N66®, Fa. Pall, stärkere Vergrößerung)

□ Tab.2.4 Gereckte Membranen

Material Hersteller Produktbezeichnung

Polytetra-fluorethylen

CunoDomnick HunterMilliporePallSartorius

MicrofluorHighflow TetporAerexEmflonSartofluor

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würden eine dichtere Bestrahlung erfordern, wodurches zur Ausbildung von Mehrfachporen kommen kann.Kernspurmembranfilter sind reine Oberflächenfilterund haben in der industriellen Produktion auf Grundihrer Verstopfungsgefahr und geringen Durchflussleis-tung praktisch keine Bedeutung. Ihre enge Porengrö-ßenverteilung hat in der Partikel- und mikrobiologi-schen Analytik zu großer Verbreitung geführt.

Die Filtration mit den vorgenannten Membranenerfolgt in der Regel unter Druck oder mittels Vakuum,wobei die Filter in Haltevorrichtungen fixiert sind. Fürkleinere Chargen setzt man üblicherweise Filterschei-ben ein, für größere Chargen bevorzugt man Filterker-zen. Membranfilter haben sich in der Pharmazeuti-schen Industrie und in der Biotechnologie seit Jahr-zehnten in der Flüssigkeits- und Gasfiltration bewährt.

Die älteste Form der Membranfiltration ist der Ein-bau von Filterscheiben in einen Membranhalter(○Abb. 2.23). Diese Form der Filtration ist im Rezeptur-und Defekturmaßstab noch üblich. Auch die in Laborund Rezeptur gebräuchlichen Spritzenvorsatzfilterberuhen auf diesem Prinzip (○Abb. 2.24).

Obwohl Membranfilter üblicherweise einen Poren-anteil von etwa 80% besitzen, kann dieser hohe Anteilan aktiver Filterfläche bei der Filtration nur ungenü-gend genutzt werden, da der Lochanteil der vom Filterbelegten Stützsiebplatte in der Regel nur etwa 25–40%beträgt und die glatten Flächen der Platten (meist pho-togeätzte Siebplatten aus rostfreiem Edelstahl) diePoren der aufliegenden Filterschicht abdecken. Somitreduziert sich der nutzbare Porenanteil auf etwa20–32% der effektiven Filteroberfläche und somit auchdie Durchflussleistung und die Kapazität des Filtersgegenüber Feststoffen. Gewebeunterlagen verringerndie Auflagefläche der Membranfilter beträchtlich undvergrößern somit den Durchsatz.

○ Abb.2.20 Gereckte Polytetrafluorethylenmembran(Emflon®, Fa. Pall)

○ Abb.2.21 Polypropylenmikrofadenmembran (HDC®,Fa. Pall)

□ Tab.2.5 Mikrofadenmembranen

Material Hersteller Produktbezeichnung

Glasfasern Domnick HunterMilliporePall

Sartorius

Prepor GFLifegardUltipor GF plus,PreflowSartopure GF

Polypropylen CunoDomnick HunterMilliporePall

Sartorius

PolyPro, BetafinePeplyn PlusPolygardHDC, Profile Star,Profile StarSartopure PP

○ Abb.2.22 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmeder Oberfläche eines Nuclepore®-Filters (Corning Costar,Bodenheim)

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FilterkerzenIn der Industrie werden heute fast ausschließlich Filter-kerzen eingesetzt, die aus gefaltetem Filtermaterialbestehen. Diese werden in ein Filtergehäuse eingebaut,welches in der Regel aus Edelstahl besteht. Für Spezial-anwendungen stehen auch Filtergehäuse aus anderenMetallen oder Kunststoffen zur Verfügung.

Der entscheidende Vorteil von Filterkerzen bestehtdarin, dass auf kleinstem Raum eine große filtrierendeOberfläche untergebracht ist. Für eine Standardfilter-kerze von 70mm Durchmesser und 10 Zoll Länge(üblich sind hier die Durchmesserangabe in mm unddie Länge in Zoll) sind dies je nach Struktur der Faltung0,5 bis 1,6 m2. Dies erreicht man durch sternförmigeFaltung des Membranmaterials unter Mithilfe einesgeeigneten Stütz- und Drainagematerials (○Abb. 2.25).Das Stützmaterial erhöht hierbei die Festigkeit dergefalteten Struktur und somit den maximal zulässigenDifferenzdruck, während die Drainageschichten sicher-stellen, dass die Oberfläche in vollem Umfang genutztwird.

In der Vor- und Partikelfiltration werden neben dengefalteten Filterkerzen wegen der höheren Schmutzauf-nahmekapazität auch Tiefenfilterkerzen eingesetzt.Hierbei unterscheidet man zwischenWickelkerzen undgesinterten Filterkerzen. Bei den Wickelkerzen sindFäden aus den unterschiedlichstenMaterialien wie Cel-lulose, Baumwolle, Glasfasern oder Polymeren umeinen Kern gewickelt. Gesinterte Filterkerzen bestehenaus Metall-, Keramik-, Glas- oder Polymerpulver, wel-ches mit oder ohne zusätzliche Bindemittel thermischverfestigt wird.

Diese Filterkerzen gestatten je nach Betriebsbedin-gungen Durchflussleistungen von einigen m3/h. Für

○ Abb.2.23 Filterscheibenhalter

Luftauslassventil

Filtrat Trübe

Spritzen-körper

Umschaltventil

Filtergehäusemit Filter

○ Abb.2.24 Filtration kleiner Chargen mittels Spritzenvor-satzfilter

Filter-schicht

Kerzen-kern

nichtfiltriertesMaterial

1–Stützschicht und Rückstausicherung, 2–Vorfilter,3–Membranfilter (a–Vorfilter, b–Sterilfilter), 4–Stütz-gewebe (keine Filterwirkung), 5–Stützschicht

5 4 21

3b 3a

Schematischer Aufbaueiner Filterkerze

Filtrat

nichtfiltriertesMaterial

FiltratnichtfiltriertesMaterial

Aufbau der Filterschicht

○ Abb.2.25 Gefaltete Filterkerze

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größere Leistungen werden mehrere Filterkerzengemeinsam in einem Filtergehäuse installiert. Hierbeiordnet man die Filterkerzen sowohl übereinander alsauch nebeneinander an, um die größtmöglichePackungsdichte zu erzielen. In der pharmazeutischenIndustrie sind Filtergehäuse mit 20 bis 30 Filterkerzennicht unüblich. In der chemischen Industrie und derGetränkeindustrie kann die Anzahl über 100 betragen.Im Standardbetrieb werden Filterkerzen bei der Filtra-tion von außen nach innen durchströmt.

Sofern die Betriebsweise des Filters eine Reinigungdes Filters von Resten des Lösungsmittels gestattet,sollte diese durch Spülen in Fließrichtung geschehen,um Verunreinigungen auf der Filtratseite auszuschlie-ßen. Im Inneren der Filtermatrix abgeschiedene Parti-kel können in der Regel auch durch Rückspülung nichtausgetragen werden.

KomplettfilterBei den Komplettfiltern bilden Filterkerze und Filterge-häuse eine nicht lösbare Einheit. Dieser Filtertyp wirdin der pharmazeutischen Industrie immer häufiger ein-gesetzt, da die bei Filtergehäusen mit Filterkerzen not-wendige Validierung der Reinigungsprozedur entfällt.Auch bei Filtration von toxischen oder anderen kriti-schen Produkten hat sich dieser Filtertyp bewährt.

FilterschichtenFilterschichten sind Tiefenfilter und basieren auf Cellu-lose als Matrixmaterial. Die einzelnen Cellulosefasernwerden mittels Harzen zu einem Raumgeflecht zusam-mengefügt. Die Harze selbst geben derMatrix die erfor-derliche Nassfestigkeit und haben Einfluss auf dieLadung. Durch Zusatz von Kieselguren, Perlit oderAktivkohle können die Filtrationseigenschaften beein-flusst werden.

Filterschichten sind auf Grund ihres strukturellenAufbaus vergleichbar mit einem labyrinthartigen,äußerst engmaschigen Raumsiebmit einer Porosität von70–85%. Die zu filtrierende Flüssigkeit durchströmt dieKanäle dieses Raumsiebes relativ langsam, so dass einelange Kontaktzeit mit dem Filtermedium gegeben ist.Partikel, Mikroorganismen, Kolloide, Viren und Pyro-genewerden auf ihremWeg durch dieses feine Labyrinthfestgehalten, wobei die Oberflächenladung durchAdsorption die mechanische Raumsiebwirkung ergänzt.

Schichtenfilter (Rahmenfilterpresse)Schichtenfilterkonstruktionen zur Aufnahme von Fil-terschichten sind seit langen Jahren etablierte Gerätezur Klär- und Vorfiltration, Anschwemmfiltration undzur Abtrennung größerer Feststoffmengen. Sie sind dis-kontinuierlich arbeitende Druckfilter mit vertikal oderhorizontal angeordneten Filterkammern, zwischendenen Filterschichten unterschiedlicher Trennwirkung

eingesetzt werden können. Ihr Einsatz bietet die Mög-lichkeit, die Filtermedien und die Filterfläche jederzeitsich ändernden Anforderungen anzupassen, so dassgroße Anlagen existieren, die mehrere Meter lang undentsprechend breit sind und die durch die oft verwen-deten Stahlkonstruktionen erhebliches Gewicht haben.

Standard-Schichtenfilter bestehen aus einem Gestellmit einer variablen Zahl von Filterkammern in vertika-ler Reihenanordnung, wobei sich Unfiltrat- und Filtrat-kammern abwechseln und jeweils durch Filterschichtenvoneinander getrennt sind (○Abb. 2.26). Die gesamteKonstruktion wird nach dem Zusammensetzen manu-ell (z.B. durch Handspindel) oder automatisch mittelsHydraulik zusammengepresst.

Jede Kammer ist mit zwei oder mehr runden Zu-bzw. Ablaufstutzen (Kanal-Augen) versehen. Durch dasZusammenpressen der Kammern bilden die durch dieDichtungen gegeneinander abgedichteten Kanal-Augenden Zu- bzw. Ablaufkanal. Die Trübe tritt über dieZulaufkanäle in die Zulaufkammer ein und wird überdie Filterschicht filtriert. Das Filtrat fließt in die Ablauf-kammern und schließlich über die Ablaufkanäle ab.

ModulfilterEine technologische Weiterentwicklung der Schichten-filter sind die Modulfilter, die im Wesentlichen aus Fil-terzellen und dem Zentralrohr bestehen (○Abb. 2.27).Die einzelnen Filterzellen bestehen aus Filterschichten-material und Drainagesystem und werden im Spritz-gussverfahren randversiegelt. Die einzelnen Filterzellenwerden auf dem Zentralrohr gestapelt, komprimiert

○ Abb.2.26 Prinzip der Schichtenfiltration

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und zu einer Einheit verbunden. Spezielle Adapterdichten den Modulfilter im Filtergehäuse ab. Insgesamtentsteht ein komplett geschlossenes verlustfreies Filter-system, während beim Schichtenfilter prinzipbedingtLeckstellen auftreten können.

2.3.2 ZentrifugierenFür Trennaufgaben werden in der Industrie u. a. Sieb-zentrifugen (Filterzentrifugen) verwendet. Diese beste-hen aus einer um eine Achse rotierenden Siebtrommel,die an der Innenseite mit einem Filter ausgekleidet ist.Die Trübe wird in das Innere der Trommel geleitet.Durch die Rotation schlagen sich die Feststoffe auf demFilter nieder, das von der Flüssigkeit passiert wird.

Zur Klärung von Flüssigkeiten im Dauerbetrieb eig-nen sich weiterhin Separatoren. Je nach Bautyp werdensie zur Flüssigkeitstrennung, zur Entwässerung vonÖlen, zur Entschlemmung oder zum Befreien von Flüs-sigkeiten von Feststoffen eingesetzt (○Abb. 2.28). Aufder Unterseite der Tellerelemente fließt der spezifischschwerere Anteil nach unten und damit nach außen,sammelt sich durch die Zentrifugalkraft an der Wan-dung und wird nach oben ausgetragen, während diespezifisch leichteren Anteile auf der Oberseite der Tellernach innen wandern und dort abgeführt werden.

2.4 Trocknen

2.4.1 AllgemeinesTrocknen ist der Entzug von Flüssigkeiten, in der RegelWasser, durch Verdunsten, Verdampfen oder Sublimie-ren. Als Trockenmittel fungiert meist Luft, die bis zurSättigung Wasserdampf aufnehmen kann. Da mitZunahme der Temperatur das Wasseraufnahmevermö-gen der Luft und die Trocknungsgeschwindigkeitbeträchtlich ansteigen, wird bei Trocknungsvorgängenmeist Wärme zugeführt. Diese dient auch zur Kompen-sation der Verdunstungskälte. Festes Trocknungsgut

sollte in dünner Schicht ausgebreitet werden, da einegrößere Oberfläche und eine verkürzte Diffusionsstre-cke des Dampfes die Trocknungsgeschwindigkeit erhö-hen. Im Allgemeinen ist eine restlose Trocknung nichtmöglich, da sich ein Gleichgewicht zwischen der Feuch-tigkeit der zu trocknenden Substanz und derjenigen derLuft einstellt. Erfolgt das Trocknen bei Temperaturenunter dem Siedepunkt der Gutfeuchte, und ist derDampfdruck im umgebenden Trägergas geringer als imTrocknungsgut, liegt eine Verdunstungstrocknung vor;entsprechen die Temperaturen undDampfdrücke dage-gen nahezu dem Siedepunkt der Flüssigkeit, sprichtman von einer Verdampfungstrocknung. Bei derGefriertrocknung erfolgt die Verdunstung aus dem fes-ten Zustand des Wassers (Sublimation).

Die Zufuhr und Übertragung der Wärme kanndurch Konvektion (Konvektionstrocknung), Strahlung(Strahlungstrocknung) oder Leitung (Kontakttrock-nung) erfolgen. Bei der Konvektionstrocknung wird dieWärme von einem strömenden Medium (i. d.R. Luft)an das zu trocknende Gut herangeführt. Das strömendeTrocknungsmedium übernimmt gleichzeitig denAbtransport des Wasserdampfs. Bei der Strahlungs-trocknung erfolgt die Umwandlung von absorbierterStrahlung (IR-Strahlung) in Wärme. Hierbei könnenhohe Oberflächentemperaturen auftreten. Bei der Kon-takttrocknung berührt das Trocknungsgut unmittelbareine beheizte Fläche; Wärmestrom und Wasser wan-dern in die gleiche Richtung von der Heizfläche zurGutoberfläche.

Trocknungsoperationen führen in den meisten Fäl-len zu einer erhöhten Stabilität der Stoffe, da im trocke-nen Zustand chemische Zersetzungsreaktionen undmikrobiologische Vorgänge mit sehr geringerGeschwindigkeit ablaufen. Das gilt sowohl für chemi-sche Stoffe als auch für pflanzliche und tierische Pro-dukte. Wasserentzug stellt somit eine besonders wirk-same Stabilisierungsmethode dar. Bei Wärmeanwen-dung sollte einemöglichst kurzfristigeWärmebelastung

Filter-schichten

unfiltriertesMaterial

Filtrat

Filtergehäuse

○ Abb.2.27 Modulfilteraufbau

Zulauf

Ablauf derFlüssigkeit

Austrittder

Feststoffe

○ Abb.2.28 Separator

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angestrebt werden, da mit einer Temperaturerhöhungdie Reaktionsgeschwindigkeit chemischer Vorgängeansteigt und physikalische Instabilitäten wie z.B. Modi-fikationsumwandlungen begünstigt sein können.

2.4.2 TrocknungsverlaufWasser kann auf unterschiedliche Art an Feststoffegebunden sein (○Abb. 2.29). Die Art der Bindung ist fürden Trocknungsverlauf entscheidend. Ein Maß für dieBindungsstärke ist die Bindungswärme, die dem Ener-giebetrag entspricht, der zur Aufhebung der Bindungerforderlich ist.

Haftwasser befindet sich an der Oberfläche sowie ingrößeren Hohlräumen und Makrokapillaren (r>0,1µm) der Feststoffe. Es ist ungebunden, frei beweg-lich und weist den gleichen Dampfdruck wie ungebun-denesWasser auf. Haftwasser lässt sich leicht entfernen.

Kapillarwasser. Bei Mikrokapillaren (r <0,1µm) hängtder Dampfdruck vom Krümmungsradius der Flüssig-keitsoberfläche ab. Über wassergefüllten Mikrokapilla-ren ist der Dampfdruck deutlich niedriger als in grobenKapillaren oder über ungebundenem Wasser. Mitabnehmendem Kapillarradius nimmt die Dampfdruck-erniedrigung zu. Kapillarwasser ist daher schwerer zuentfernen als Haftwasser.

Quellungswasser. Hydrophile organische Makromole-küle wie z.B. Cellulosederivate und Gelatine vermögenWasser unter Quellung zu adsorbieren. Die Stärke derBindung ist relativ gering, so dass Quellungswasserdurch einfache Trocknung entfernt werden kann.

Adsorbiertes Wasser. An Oberflächen von Feststoffensind Adhäsionskräfte wirksam, die Wassermolekülefesthalten. Hierbei handelt es sich um substanzspezifi-sche Bindungskräfte. Die Beladung von Oberflächenbeginnt mit der Ausbildung einer Monomolekular-schicht, die hohe Bindungskräfte aufweist. An diesekönnen sich weitere Wassermolekülschichten mit ent-sprechend geringer Bindungsstärke anlagern. Die Anla-gerung kann durch Wasserdipole an Ionen von Salzenoder über Wasserstoffbrücken zu geeigneten funktio-nellen Gruppen (z.B. Hydroxyl-, Carboxyl-, Amino-gruppen) erfolgen. Das vollständige Entfernen adsorp-tiv gebundenen Wassers erfordert intensive Trock-nungsmaßnahmen.

Hydratwasser. Von kristallinen Stoffen kann Wasserunter Bildung von Hydraten aufgenommen werden,wobei die Wassermoleküle Strukturelemente des Kri-stallgitters sind. Infolge der starken Bindung ist ein Ent-fernen des Wassers erst bei hohen Temperaturen unterVerlust der entsprechenden Kristallstruktur möglich.

Bei den meisten pharmazeutischen Stoffen handelt essich um hygroskopische Stoffe, die im Gegensatz zu

nicht hygroskopischen Stoffen neben dem oberflächli-chen Haftwasser auch Wasser in kleineren Kapillarenbinden. Beim Trocknen hygroskopischer Güter werdenmehrere charakteristische Trocknungsschritte beob-achtet. Zunächst erfolgt die Abtrocknung des nur losegebundenen Haftwassers mit relativ konstanter Trock-nungsgeschwindigkeit. Die Trocknungsluft wird fastvollständig mit Wasserdampf gesättigt. Die Geschwin-digkeit des Abtrocknens des Haftwassers ist von derStrömungsgeschwindigkeit und Feuchte der Trock-nungsluft abhängig. Nach Entfernen des Haftwasserswandert der Verdunstungsort immer weiter in dasKorninnere. Die Trocknungsgeschwindigkeit hängtnun vor allem von der Dampfdiffusionsgeschwindigkeitab. Die Entfernung des adsorptiv gebundenen Oberflä-chenwassers erfordert drastische Trocknungsmaßnah-men und erfolgt auch dann sehr langsam. Trocknungs-diagramme, in denen die Abhängigkeit der Trock-nungsgeschwindigkeit von der Gutfeuchte dargestelltwird, weisen meist Knickpunkte im Kurvenverlauf auf,die für die einzelnen Trocknungsabschnitte charakte-ristisch sind (○Abb. 2.30). Eine vollständige Trocknungwird häufig nicht angestrebt, da eine geringe Rest-feuchte z.B. in Granulaten für das weitere Verarbeiten(z.B. das Verpressen) notwendig sein kann.

2.4.3 TrocknungsverfahrenDie Wahl des Trocknungsverfahrens hängt vomZustand, von derMenge und von den physikalisch-che-mischen Eigenschaften des zu trocknenden Materials(dünn-/dickflüssig, pastenartig, fest) ab.

Schrank- und VakuumtrocknerZur Trocknung bei erhöhten Temperaturen dienenelektrisch beheizte Trockenschränke. Die Warmluftwird über das im Innenraum auf Horden lagerndeTrocknungsgut geleitet („Hordentrocknung“).ModerneTrockenschränke sind mit Ventilatoren und Luftum-wälzern ausgestattet, die eine gleichförmige Temperaturinnerhalb des Schrankes und eine ausreichende Strö-mungsgeschwindigkeit der Luft sicherstellen sollen. Die

Haft- und GrobkapillarwasserKapillarwasserAdsorptiv gebundenes Wasser

WasserdampfLuftstrom

○ Abb.2.29 Trocknungsverlauf am Beispiel eines Granu-latkorns

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mit Wasser gesättigte Trocknungsluft muss ständigabgeführt werden. Temperaturempfindliche Stoffe kön-nen unter vermindertem Druck in Vakuumtrocken-schränken getrocknet werden. Die Zufuhr von Wärmeist hier z.B. über das Beheizen der Stellflächen möglich.

Kanal- und TrommeltrocknungIn der Industrie erfolgt die Trocknung häufig im konti-nuierlichen Betrieb. In Kanaltrocknern wird das ausge-breitete Feuchtgut auf einem Transportband mecha-nisch fortbewegt und in einen Kanal eingeführt, derdurch Dampf, Heißwasser oder heiße Luft beheizt wird.Ventilatoren sorgen für eine Luftumwälzung. Dasgetrocknete Gut kann am anderen Kanalende entnom-men werden. Der Trommeltrockner besteht aus einer aufRollen gelagerten, schwach geneigten Trommel. Das

stetig aufgegebene Trocknungsgut wird durch dieTrommeldrehung gemischt und durch die Neigung derTrommel zum Auslass bewegt. Das Trockengas kannsowohl im Gleichstrom als auch im Gegenstrom zurBewegung des Trocknungsgutes geführt werden. Inanderen Trocknern, z.B. Schnecken-, Schaufel- undMuldentrocknern, wird das Gut durch verschiedeneEinbauten durch den Trockner bewegt. Sie werdengleichfalls beheizt und gestatten einen kontinuierlichenMaterialdurchfluss.

WirbelschichttrocknungBei der Wirbelschichttrocknung wird feuchtes körnigesGut (Korngröße 0,01 bis 10mm), das sich auf einerporösen Unterlage (Siebboden) befindet, von unten miteinem Warmluftstrom durchströmt und in der Wirbel-schicht getrocknet. Der hohe Luftdurchsatz bedingteine sehr rasche Trocknung. Zu beachten ist ein mögli-cher Verlust von sehr feinen Bestandteilen durch Aus-trag und Abscheidung im Filter des Geräts bei zu star-ker Strömungsgeschwindigkeit der Trocknungsluft.

WalzentrocknungWalzentrockner (○Abb. 2.31) dienen der Trocknungvon flüssigen, brei- und pastenartigen Trocknungsgü-tern. Sie eignen sich besonders zur Herstellung großerChargen von z.B. Milchpulver, Pigmentfarben u.Ä.,gelegentlich auch zur industriellen Herstellung größe-rer Mengen von pharmazeutischen Trockenextrakten.Aus einem Vorratsbehältnis wird das Gut mit Hilfe vonAuftragswalzen in dünner Schicht auf eine beheizteMetallwalze aufgebracht. Die Wärmeübertragungerfolgt direkt von der Walze auf das Trocknungsgut.Der Trockenprozess dauert bei entsprechend aufgeheiz-terWalzenoberfläche nur einige Sekunden, denn bereits

ΔmGeschwindigkeit

Δt

desTrocknungsprozesses

erster Trocknungsabschnitt zweiter T. dritter T.

mehrschichtigadsorbiertesWasser

Haftwasser u. Grobkapillarwasser Rest HaftwasserKapillarwasser

Trocknung(abnehmenderWassergehalt)

○ Abb.2.30 Trocknungsdiagramm

Auftrag-walze

Trocken-walze

Abzug

Trockengut

○ Abb.2.31 Feinschichtwalzentrockner

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nach einer knappen Umdrehung wird das getrockneteMaterial mit Schabern von der Walze abgenommen.Für Substanzen, die selbst dieser kurzfristigen Erhit-zung nicht standhalten, können Vakuumwalzentrock-ner eingesetzt werden.

LufttrocknungEin einfaches Trocknungsverfahren, das v. a. für dieTrocknung von Arzneipflanzen eine Bedeutung hat, istdie Lufttrocknung. Das Gut wird flach ausgebreitet aufHorden, Regalen oder in Kästen vor direkter Sonnen-einstrahlung geschützt an der Luft getrocknet.

InfrarottrocknungInfrarotstrahlen (λ >800nm) äußern sich vorwiegenddurch ihre Wärmewirkung. Beim Trocknen von was-serhaltigen Gütern mit derartigen Wärmestrahlen istder Idealzustand dann gegeben, wenn genügend Ener-gie bis nahe an die Unterlage durchdringt, so dass dieAbsorption der Infrarotstrahlen in der gesamten zutrocknenden Schicht erfolgt.

MikrowellentrocknungBeim Mikrowellentrockner regen die Mikrowellen (λ≈12cm) hauptsächlich dieWassermoleküle zum Schwin-gen an. Die dabei entstehende Wärme lässt das Wasserverdampfen. Unterstützt wird der Verdampfungspro-zess durch ein anliegendes Vakuum, welches den Siede-punkt des Wassers gegenüber dem Siedepunkt bei Nor-maldruck erniedrigt. Das verdampfte Wasser wirdabgepumpt und aus der Vakuumkammer entfernt.

Sprühtrocknung (Zerstäubungstrocknung)Eine besonders schnelle Trocknung flüssiger Güter lässtsich in Sprühtürmen erzielen (○Abb. 2.32). Durch Ver-sprühen fließfähiger Lösungen oder Dispersionen zufeinen Tröpfchen im Heißluftstrom trocknet das Gutauf Grund der hohen Oberflächenvergrößerung inBruchteilen einer Sekunde zu einem feinen Pulver. DasVersprühen kann durch Zerstäuberscheiben oderSprühdüsen erfolgen.

Zerstäuberscheiben. Die Flüssigkeit wird auf die Mitteeiner schnell rotierenden Scheibe (4000–50000U/min)aufgegeben. Durch die Zentrifugalkraft wird die Flüs-sigkeit zum Scheibenrand transportiert, wobei sich eindünner Flüssigkeitsfilm ausbildet, der am Rand derScheibe in kleine Tröpfchen zerreißt (○Abb. 2.33).

Zerstäuberdüsen. Bei Einstoffdüsen wird die Flüssig-keit mit hohem Druck durch ein enges Lumen gepresstund in einer Drallkammer in eine spiralig rotierendeBewegung versetzt. Beim Austritt aus der Düsenöff-nung zerreißt der Flüssigkeitsfilm in kleine Tröpfchen.Einstoffdüsen neigen auf Grund ihres geringen Durch-messers zu Verstopfungen und eignen sich daher weni-

ger für das Versprühen von Dispersionen. Zweistoffdü-sen sind aus zwei ineinander geschobenen Röhren auf-gebaut. In der inneren Röhre wird die Flüssigkeit einerzentralen Austrittsöffnung zugeführt. Aus einem dieseÖffnung umgebenden Ringspalt strömt ein Gas (nor-malerweise Druckluft) mit hoher Geschwindigkeit.Dieses zerreißt die Flüssigkeit beim Austritt aus derDüsenöffnung zu einem feinen Sprühnebel. Zweistoff-düsen sind weniger anfällig für Verstopfungen als Ein-stoffdüsen (○Abb. 2.34).

Die zu trocknende Flüssigkeit wird üblicherweise vonoben in den Sprühturm eingesprüht. Bei der Gleich-stromtrocknung wird die Trocknungsluft in Sprührich-tung geführt. Das wärmste Gas trifft auf die flüssigkeits-reichsten Tröpfchen, die durch die frei werdende nega-tive Verdunstungswärme ständig gekühlt und somitschonend getrocknet werden. Die Tröpfchen verweilenallerdings nur relativ kurze Zeit im Luftstrom; durcheine spiralförmige Luftführung kann die Verweilzeitetwas verlängert werden. Wird die Trocknungsluft ent-

Proben-aufgabePumpe

Zerstäuber-düse

Trocknungs-kammer

Luft-erhitzer

Abluft

Zyklon

Produkt

Abscheidunggroßer,nicht getrockneterTropfen

○ Abb.2.32 Sprühtrockner

Flüssigkeit

○ Abb.2.33 Zerstäuberscheibe

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gegengesetzt zur Sprührichtung geführt, spricht manvon Gegenstromtrocknung. Die Tröpfchen verbleibenlänger im Luftstrom, allerdings trifft die wärmste Trock-nungsluft auf die schon getrockneten Partikel, so dassdieWärmebelastung des Gutes höher als bei der Gleich-stromtrocknung ist. Sehr feine Tropfen können mitdem Gasstrom wieder hochgetragen werden und durchFlüssigkeitsanlagerung wachsen, so dass das getrock-nete Gut eine relativ enge Korngrößenverteilung auf-weist.

Ausgehend von der Tropfenform der versprühtenFlüssigkeit werden bei der Sprühtrocknungmeist annä-hernd kugelförmige Partikel (20–200µm) erhalten.Nicht selten entstehen durch eine Krustenbildung aufden trocknenden Tropfen hohlkugelförmige Partikelbzw. deren Bruchstücke. Der Trockenschaumcharakterder Partikel fördert ihre schnelle Auflösung. DieSprühtrocknung wird auch zur Mikroverkapselung vonätherischen Ölen und oxidationsempfindlichen Verbin-dungen, z.B. Vitaminen, eingesetzt.

GefriertrocknungDie Gefriertrocknung (Lyophilisation) ist ein beson-ders schonendes Verfahren zum Trocknen von thermo-labilen und hydrolyseempfindlichen Wirkstoffen. Siewird angewendet zum Trocknen von Antibiotika, Vita-minen, Hormonen, Blutplasma, Seren, Impfstoffen,Proteinen, empfindlichen Pflanzenextrakten sowieauch für kolloidale Zubereitungen, z.B. Liposomenfor-mulierungen.

Das Prinzip der Gefriertrocknung beruht darauf,dass selbst gefrorenes Wasser noch einen deutlichenDampfdruck besitzt und daher durch Sublimation ent-fernt werden kann. ○Abb. 2.35 zeigt das Phasendia-gramm des Wassers. Die Sublimation von gefrorenemWasser ist nur dann möglich, wenn der Wasserdampf-partialdruck in der Umgebung des Eises niedriger ist als

der Sättigungsdampfdruck; der entstehende Dampfmuss also ständig durch Abpumpen und/oder Konden-sation aus dem System entfernt werden.

Gefriertrocknungsanlagen bestehen aus einer tem-perierbaren Trocknungskammer mit Einstellplatten fürdas Gut, einer Kondensatorkammer zur Abscheidungdes entstehenden Wasserdampfes und einer Vakuum-pumpe (○Abb. 2.36).

Die Gefriertrocknung kann in 3 Phasen unterteiltwerden (○Abb. 2.35):

󠀂 Einfrieren,󠀂 Primärtrocknung (Sublimation) und󠀂 Sekundärtrocknung.

Das Einfrieren erfolgt unter Normaldruck. Dabei sinddie Verhältnisse bei pharmazeutischen Zubereitungenkomplexer als bei reinem Wasser. Durch die Anwesen-heit gelöster Arznei- und Hilfsstoffe wird der Gefrier-punkt des Wassers erniedrigt, und im Zustandsdia-gramm treten Mehrphasengebiete auf (▸Kap. 3.2.5).Beim Abkühlen wird zunächst nur reinesWasser als Eisaus der Lösung abgeschieden (die Größe der sich dabeibildenden Eiskristalle beeinflusst sowohl das Verhaltenbei der Trocknung als auch beim späterenWiederauflö-sen des Trocknungsgutes), so dass die Konzentrationder übrigen Bestandteile in der Lösung zunimmt. Liegteinfaches eutektisches Verhalten vor, kristallisieren dieletzten flüssigen Bereiche beim Erreichen der eutekti-schen Temperatur des Gesamtsystems (bei pharmazeu-tisch üblichen Produkten meistens zwischen –20 °Cund –30 °C). Es kann im Laufe des Einfriervorgangesjedoch auch zu einem amorphen Erstarren der konzen-trierten Lösung neben den Eiskristallen kommen. Einsolches Verhalten, das z.B. oft in Gegenwart vonZuckern zu beobachten ist, kann der Stabilität empfind-licher Wirkstoffe, z.B. Proteine, sehr förderlich sein, daschädigende Einflüsse (z.B. durch extrem hohe Salz-

Einstoffdüse Zweistoffdüse

GasFlüssigkeit

○ Abb.2.34 Einstoff- und Zweistoffdüse

Tripelpunkt0,61

0,0099 Temperatur (°C)

gasförmig

flüssigfest

A

B

C

Druck(kPa)

○ Abb.2.35 Phasendiagramm des Wassers und Schritteder Gefriertrocknung: A Einfrierphase, B Primärtrocknung,C Sekundärtrocknung

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konzentrationen oder das Ausfallen von Puffersalzen)vermindert werden (Kryoprotektion). In jedem Fallmuss durch Wahl der Einfrierbedingungen eine voll-ständige Verfestigung des Trocknungsgutes gewährleis-tet sein.

Bei der Primärtrocknung wird das gefrorene Wasserdurch Sublimation bei vermindertem Druck entzogen,wodurch sich an der Stelle der Eiskristalle Poren imProdukt bilden. Der entstehende Wasserdampf wird aneinem Kondensator, dessen Temperatur unterhalbderer des Trocknungsgutes liegt, abgeschieden. DemAbkühlen der Probe durch den Verlust von Sublimati-onswärmewird durchWärmezufuhr über die beheizba-ren Stellflächen entgegengewirkt. Es darf nur so vielWärme zugeführt werden, dass die Guttemperaturunter der eutektischen Temperatur des Gemischs bzw.der Glasübergangstemperatur der amorphen Bereichebleibt, damit es nicht durch Erweichung zum Verlustder Struktur des sich bildenden porösen Trocknungs-produkts kommt. Die Schichthöhe des Trocknungsgu-tes sollte möglichst klein sein, um einen ausreichendenTransport des sublimierenden Wassers aus den tieferenSchichten des Gutes zu gewährleisten.

Die Sekundärtrocknung dient der Entfernung von amGut anhaftender Restfeuchte. Das Produkt wird dabeibei erhöhter Temperatur (z.B. 20 °C) im Vakuum nach-getrocknet.

Für die Herstellung parenteraler Produkte muss dieGefriertrocknung unter aseptischen Bedingungendurchgeführt werden. Eine Endsterilisation ist i. d.R.nicht möglich. Die Beschickung der Gefriertrock-nungsanlage sollte von einem Reinraumbereich ausmöglich sein, während sich die notwendigen techni-schen Aggregate (Vakuumpumpen, Kompressorenusw.) außerhalb des Reinraums befinden sollten. Nachder Trocknung erfolgt ein automatisches Verschließender Gefäße innerhalb der Trocknungskammer.

Die Restfeuchte gefriergetrockneter Produkte istsehr gering (<1%). Die Lyophilisate haben eine feine,hochporöse Struktur, die ein schnelles Auflösen ermög-licht, da Flüssigkeit sehr gut eindringen kann. Oft wer-den dem zu trocknenden Gut Hilfsstoffe mit zahlrei-chen Hydroxylgruppen imMolekül (meist Zucker oderZuckeralkohole) zugesetzt, die Polypeptide und Prote-ine stabilisieren können, das Auflösen des Lyophilisatserleichtern und zusätzlich der Isotonierung der rekons-tituierten Zubereitung dienen können.

○ Abb.2.36 Gefrier-trocknerTrocknungskammer Kondensatorkammer

Beschickungstür

Belüftungs-ventil

Heiz- und Kühlkreislauf fürStellflächen Kondensator

Ventil

Vakuum-pumpe

Ablass fürKondensator-wasser

Manometer

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9 TablettenDas Große kommt nicht allein durch Impuls zu Stande, sondern ist eine

Aneinanderkettung kleiner Dinge, die zu einem Ganzen vereint worden sind.

Vincent van Gogh

9.1 Allgemeines

Unter den Arzneiformen besitzen die Tabletten (Com-pressi) und die sich hiervon ableitenden Typen heutezweifelsfrei die größte Bedeutung. Altehrwürdige Arz-neiformen zur peroralen Einnahme, wie Pillen, Kügel-chen, Boli und Pastillen, können als Vorläufer angese-hen werden. Die stürmische Entwicklung, die die Arz-neiform Tablette nahm, beginnt mit der Erfindung derTablettenpresse durch den Engländer W. Brockedon imJahre 1843. Zunächst vergingen allerdings noch Jahr-zehnte, bis weitere Patenterteilungen für Tablettenpres-sen erfolgten (USA: J.A. McFerran 1874, J. P. Reming-ton 1875, J. Dunton 1876). Bemerkenswert ist weiter-hin, dass bereits umdas Jahr 1900Maschinen entwickeltwurden, die eine Ummantelung von Tabletten gestatte-ten.

Man darf annehmen, dass heute mindestens 40%aller Arzneistoffe zu Tabletten verarbeitet werden. DieArzneiform Tablette erweist sich insofern als vorteil-haft, als sie maschinell in Massen und somit billig her-stellbar ist. Tabletten sind genau dosierbar, gut zu ver-packen, zu transportieren und zu lagern (gute Haltbar-keit der Wirkstoffe in der Arzneiform). Sie lassen sichleicht einnehmen.

Der Name Tablette leitet sich von „tabuletta“ = Brett-chen, Täfelchen ab. Einige Arzneibücher, darunter diePh.Eur., bezeichnen die Tabletten als Compressi (com-primere = zusammenpressen), auch als Komprimate,und weisen damit auf das übliche Herstellungsverfah-ren hin.

Tabletten sind einzeldosierte feste Arzneiformen. Siewerden meist aus trockenen Pulvern oder Granulaten,in der Regel unter Zusatz von Hilfsstoffen, in entspre-chenden Maschinen unter Anwendung eines hohenDrucks gepresst. Tabletten können Zylinder-, Würfel-,Stäbchen- und Diskusform besitzen, aber auch ei- oderkugelförmig sein. Durchgesetzt hat sich insbesonderedie runde, mehr oder weniger stark bikonvex gewölbteForm bzw. die Diskusform. Der Tablettendurchmesser

beträgt im Allgemeinen 5–17mm, die Tablettenmasse0,1–1g.

Die Gestalt der Tablette beeinflusst wesentlich dieTransport- und Lagerfestigkeit. So werden bei einerbiplanen, scheibenförmigen Tablette sehr leicht dieKanten abgestoßen; Tabletten mit facettiertem Randerweisen sich daher als günstiger. Bikonvexe Tablettenberühren sich bei der Verpackung in einem Tabletten-röhrchen nur an ihrem dicksten und unempfindlichs-ten Teil und sind so hinsichtlich Beschädigung wenigergefährdet als z.B. biplane Typen (○Abb. 9.1). Auch derZerfall der Tablette kann durch die Größe und durchdie Form in gewissem Ausmaß beeinflusst werden.

□Tab. 9.1 gibt einen Überblick über Tablettenartendes Europäischen Arzneibuchs und ihre Anwendung.

9.2 Hilfsstoffe zur Tablettierung

9.2.1 AllgemeinesDie Palette der Hilfsstoffe, die zur Tablettierung benö-tigt wird, ist groß. Eine strenge Klassifizierung in Grup-pen ist nicht ohne weiteres möglich, da einzelne derSubstanzen mehrere Funktionen haben können.Grundsätzlich sollten Tablettierhilfsstoffe indifferent,geruch- und geschmacklos und möglichst farblos sein.Ob bzw. welche Hilfsstoffe in welcher Konzentrationverarbeitet werden, muss im Einzelfall überprüft wer-den.

9.2.2 FüllmittelBei Verarbeitung sehr geringer Wirkstoffmengen (z.B.Alkaloide, Hormone, Vitamine usw.) werden Füllmittel(Streckmittel) benötigt, um überhaupt eine Kompri-mierung zu Tabletten zu ermöglichen. Füllmittel sorgendafür, dass die Tablette die notwendige Größe bzw. dienotwendige Masse (0,1–1g) erhält. Füllstoffe solltenchemisch und physiologisch indifferent sein oder gutverdaut werden können. Eingesetzt werden insbeson-dere Stärken (Mais-, Kartoffel- und Weizenstärke) und

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Lactose. Bessere Tablettierungseigenschaften als kristal-line Lactose besitzt sprühgetrocknete Lactose, die auchnach Zusatz von Gleit- und Schmiermitteln für dieDirekttablettierung geeignet ist. Besonders bewährt hatsich mikrokristalline Cellulose (z.B. Avicel®), vor allemfür die Direkttablettierung.Weitere Füllmittel sindGlu-cose, Mannitol und Sorbitol insbesondere für Sublin-gual-, Lutsch- und Vaginaltabletten.

9.2.3 BindemittelDiese Hilfsstoffgruppe ist für die Festigkeit und Wider-standsfähigkeit der Tabletten verantwortlich. Bindemit-tel sorgen auch für den Zusammenhalt der Pulverparti-kel in einemGranulatkorn. Die Festigkeit einer Tablettelässt sich sowohl durch den Pressdruck als auch durchBindemittel beeinflussen. Zu beachten ist, dass sichTablettenfestigkeit und Zerfall häufig wie Antipodenverhalten. Deshalb sollte möglichst wenig Bindemittelverwendet werden. Die in 9.2.2 aufgeführten Füllmittelerfüllen zum Teil auch Bindemittelfunktion. Die Binde-mittel werden beim Granulieren (▸Kap. 8.4) oder derDirekttablettiermischung (▸Kap. 9.3.2) zugefügt. Typi-sche Bindemittel für die Feuchtgranulierung sind Poly-vinylpyrrolidon (Povidon, Kollidon®), Stärkekleisterund Celluloseether wie z.B. Natriumcarboxymethylcel-lulose (Nymcel®), Hydroxyethylcellulose (Cellosize®)und Methylcellulose (Methocel®). Ein typisches Tro-ckenbindemittel ist z.B. mikrokristalline Cellulose(Avicel®, Emcocel®, Vivacel®). Polyethylenglycole(Molekülmasse 4000–6000) verfügen über gute Binde-mitteleigenschaften, weisen allerdings zahlreicheInkompatibilitäten mit Wirkstoffen auf.

9.2.4 FlieβregulierungsmittelFließregulierungsmittel verbessern die Flieβeigen-schaften von Pulvermischungen und erhöhen die Gleit-fähigkeit der Tablettiermasse durch Verringerung derinterpartikulären Reibung, so dass diese besser aus demFüllschuh in dieMatrize fließen kann. Somit verbessernFließregulierungsmittel (▸Kap. 5.2.5) die Dosiergenau-igkeit. Als Flieβregulierungsmittel kommt insbeson-dere hochdisperses Siliciumdioxid (Aerosil®) in einerKonzentration von 0,05–0,5% zum Einsatz. Die Wir-kung von Flieβregulierungsmitteln kann durch dreiMechanismen erklärt werden:

󠀂 vermittels Adhäsion des Fließregulierungsmittels andas Schüttgutteilchen werden neue Oberflächengeschaffen, zwischen denen geringere Reibungs- undHaftkräfte wirksam sind,

󠀂 Reduktion der Feuchtigkeit auf der Oberfläche,󠀂 durch abgerundete nichtadhärierende Gleitmittelag-

glomerate (Aerosil®) von hoher Eigenbeweglichkeittritt ein „Kugellagereffekt“ auf, der zu einer teilwei-sen Umwandlung der Gleitreibung in Rollreibungführt.

Natürlich kann nicht jedes Problem mit der Fließfähig-keit eines Tablettiergutes durch den Zusatz vonFlieβregulierungsmitteln gelöst werden. Klebt ein Gra-nulat im Trichter oder Füllschuh auf Grund zu hoherGranulat- bzw. Pulverfeuchtigkeit, so muss nachge-trocknet werden. Durch Klimatisierung kann auch dieLuftfeuchtigkeit reduziert werden.

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biplane gewölbtefascettierteTablette

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○ Abb.9.1 Wichtige Tablettenformen und Bezeichnungen: h Steghöhe, c Dicke, d Durchmesser, r Radius, f Facettenrand,t Facettentiefe, α Facettenwinkel, rwWölbungsradius, hwWölbungshöhe

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□ Tab.9.1 Übersicht über die Tablettenarten im Europäischen Arzneibuch

Tablettenart Charakteristika Kommentar/Anforderungen an den Zerfall

Nicht überzogeneTabletten

Einfache oder mehrschichtige Tabletten, keinespezifische Beeinflussung der Wirkstofffreiset-zung durch die verwendeten Hilfsstoffe

Rascher Zerfall innerhalb von 15 min,Anforderungen an den Zerfall gelten nicht fürKautabletten

Überzogene Tabletten Tabletten mit Überzügen verschiedenster Art,z.B. Zuckerüberzuge (Dragees) oder dünnePolymerüberzüge (Filmtabletten)

Anforderungen an den Zerfall abhängig vonder Art des Überzugs (Filmtabletten: innerhalbvon 30 min, Tabletten mit anderen Überzü-gen: innerhalb von 60 min),Anforderungen an den Zerfall gelten nicht fürüberzogene Kautabletten,Mit Ausnahme von Tabletten mit dünnenÜberzügen (Filmtabletten) ist unabhängig vonder Wirkstoffmenge immer eine Prüfung aufGleichförmigkeit des Gehalts notwendig

Brausetabletten Nicht überzogene Tabletten, die in Kontakt mitWasser rasch CO2 freisetzten, enthalten Säurenund Carbonate/HydrogencarbonateEinnahme nach Auflösen/Dispergieren in Wasser

Zerfall innerhalb von 5 min unter Gasentwick-lung,Brausetabletten sind feuchtigkeitsempfindlich

Lösungs- undDispersionstabletten

Nicht überzogene oder FilmtablettenEinnahme nach Auflösen/Dispergieren in Wasser

Rascher Zerfall innerhalb von 3 min,ergeben eine klare oder opaleszierendeLösung oder eine homogene Dispersion

Schmelztabletten Nicht überzogene Tabletten, die im Mund raschzerfallen, bevor sie geschluckt werdenHerstellung durch Kompression oder Schmelz-extrusion

Zerfall innerhalb von 3 min,der Name „Schmelztablette“ ist irreführend,da die Tablettenbestandteile nicht schmelzen,sich die Tabletten jedoch in Kontakt mit Was-ser rasch auflösen bzw. zerfallen

Tabletten mitmodifizierter Wirkstoff-freisetzung

Filmtabletten oder nicht überzogene Tabletten,die spezielle Hilfsstoffe enthalten, die dieGeschwindigkeit, den Ort oder den Zeitpunktder Wirkstofffreisetzung bestimmen,verlängerte, verzögerte oder pulsierende Wirk-stofffreisetzung

Tabletten mit Retardüberzügen oder Tablettenmit einer die Wirkstofffreisetzung kontrollie-renden Tablettenmatrix (Matrixtabletten),Tabletten mit Retardüberzügen dürfen nichtgeteilt werden,die veränderte Wirkstofffreisetzung muss miteinem geeigneten Test nachgewiesen werden

MagensaftresistenteTabletten

Tabletten mit verzögerte Wirkstofffreisetzung,resistent im Magen und Wirkstofffreisetzungerst im Dünndarm,Film- oder Matrixtabletten

Kein Zerfall in 0,1 M HCl über 2 h, rascher Zer-fall in Phosphatpuffer pH 6,8 innerhalb von60 min,magensaftresistente Filmtabletten dürfennicht geteilt werden

Tabletten zur Anwen-dung in der Mundhöhle

Normalerweise nicht überzogene Tabletten zurAnwendung in der Mundhöhle,Lutschtabletten und Pastillen: feste, einzeldo-sierte Zubereitungen zum Lutschen, um einenlokale oder systemischen Effekt zu erzielen,Sublingual- und Buccaltabletten: feste, einzel-dosierte Zubereitungen zur Applikation unterder Zunge (Sublingualtabletten) oder in derBackentasche (Buccaltabletten) zur Erzielungeines systemischen Effekts

Müssen der Monographie „Zubereitungen zurAnwendung in der Mundhöhle“ entsprechen,langsame Wirkstofffreisetzung in der Mund-höhle,für Sublingual- und Buccaltabletten muss dieWirkstofffreisetzung mit einem geeignetenTest nachgewiesen werden

Orale Lyophilisate Feste Zubereitungen zur Anwendung in derMundhöhle oder zur Dispergierung in Wasservor der Einnahme,Herstellung durch Gefriertrocknung

Zerfall innerhalb von 3 min

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9.2.5 Gleit- und SchmiermittelGleit- und Schmiermittel sollen das Kleben der Tablet-tenmasse an den Stempeln und an der Matrizeninnen-wand verhindern, indem sie

󠀂 das Ausstoßen der Tablette aus der Matrize dadurcherleichtern, dass die Reibung zwischen InnenwandderMatrizenbohrung und Tablettenseitenfläche her-abgesetzt wird, sowie

󠀂 die Reibung des Unterstempels in der Matrizenboh-rung verringern und dadurch ein Festfressen desUnterstempels verhindern.

Problematisch für das Kleben an der Matrizenwandkönnen hygroskopische Substanzen sein. Auch Verbin-dungen mit einem Schmelzbereich unter 75 °C klebensehr stark und sind nicht ohne weiteres tablettierbar.

Mittel der 1. Wahl sind Magnesiumstearat, Calcium-behenat und Glycerolmonostearat (Precirol®), als Mittelder 2. Wahl gelten Stearinsäure und hydrierte Pflanzen-fette (hydriertes Rizinusöl, hydriertes Baumwollsa-menöl = Sterotex®). Gemeinsame Stoffeigenschaft die-ser Gleitmittel ist ihre deutliche Hydrophobie. Dasbedeutet, dass diese Substanzen auch die Benetzbarkeitder Tablette verringern und damit den Zerfall der Tab-lette ungünstig beeinflussen können. Deswegen ist derEinsatz mengenmäßig auf ein Minimum zu begrenzen.Für Tabletten, die vor der Applikation aufgelöst werden(Brausetabletten, Lösungstabletten), kommen wasser-lösliche Gleitmittel wie z.B. PEG 4000, Natriumdode-cylsulfat undMagnesiumdodecylsulfat zum Einsatz. DerEinfluss auf den Zerfall der Tabletten ist geringer als beiden oben genannten Substanzen, weil die Arzneiformimmer noch gut benetzbar ist.

Das viel verwendete Talkum ist ein eher schlechtesGleitmittel. Talkum kann lediglich bei suboptimalenMagnesiumstearatkonzentrationen die Gleitwirkungverstärken.

9.2.6 ZerfallsmittelUnter den Tablettierhilfsstoffen besitzen Zerfallsmittel(Sprengmittel) eine besondere Bedeutung, da Tabletten– von Sondertypen abgesehen – schnell imWasser oderMagensaft zerfallen sollen. Zahlreiche Faktoren sind fürden Zerfall verantwortlich. Bereits Art und Menge derverarbeiteten Wirkstoffe sind von Einfluss, gleicherma-ßen alle zugesetzten Hilfsstoffe, wobei besonders dieBindemittel (insbesondere Feuchtbindemittel für dieGranulierung), aber auch Schmier- und Gleitmittel dieZerfallsgeschwindigkeit oftmals stark herabsetzen. EineVerbesserung lässt sich häufig dadurch erreichen, dassder Anteil der Hilfsstoffe verringert wird oder dassHilfsstoffe ausgetauscht werden. Größe und Form derGranulatkörner sind gleichfalls zu berücksichtigen. Ins-besondere aber spielt die aufgewendete Presskraft einedominierende Rolle. Oft ist durch deren Verringerung

ein günstigerer Zerfall erzielbar. Genannt seien weiter-hin Größe und Form sowie das Alter der Tablette. Beiungenügendem Tablettenzerfall werden der Tablettier-mischung zerfallsbeeinflussende Hilfsstoffe zugesetzt.

Zerfallsmittel können in drei Gruppen eingeteiltwerden:

󠀂 Substanzen, die die Kapillarität erhöhen, Feuchtig-keit absorbieren und quellen,

󠀂 Verbindungen, die bei Einwirkung von Feuchtigkeitunter Gasentwicklung aufbrausen,

󠀂 Substanzen, die die Benetzbarkeit der Tablettenerhöhen (Hydrophilisierungsmittel).

Die meisten Zerfallsmittel gehören zur 1. Gruppe. Essind Substanzen, die in Gegenwart von Wasser quellen.Bedeutsam für den Zerfall ist der Quellungsdruck, derden Bindekräften, die dem Formling die Festigkeit ver-leihen, entgegenwirkt und sie aufhebt. Wichtig für denZerfall ist weiterhin die Porosität der Tablette. Abgese-hen davon, dass ein hoher Pressdruck die Porosität ver-ringert und damit das Eindringen von Wasser in dieTablette als Voraussetzung für den Zerfallsprozess ver-schlechtert, üben auch die Zerfallsmittel einen ganzwesentlichen Einfluss auf die Kapillarität aus. In diesemZusammenhang spielt nicht nur eine hohe Porositäteine Rolle, sondern vor allem die Benetzbarkeit. Offen-sichtlich besitzen Zerfallsmittel dann eine hohe Wir-kungseffektivität, wenn sie begrenzt quellbar sind,einen hohen Quellungsdruck haben und in der Tabletteein Porensystem ausbilden, das eine genügende Benetz-barkeit aufweist.

Die Komplexität des Zerfallvorgangs wird bei denStärken, den ältesten und am häufigsten angewendetenZerfallsmitteln, sichtbar. Häufig werden vorgelatinierteStärken (Lycatab®) eingesetzt. Die größte Bedeutungbesitzt Maisstärke, von der Zusätze von 5–10% oftmalsausreichen, um gut zerfallende Tabletten herzustellen.In Wasser quillt Stärke unter erheblicher Zunahme desVolumens. Berücksichtigt werden muss, dass Stärke-körner durch den Kompressionsdruck eine plastischeVerformung erfahren und hierdurch möglicherweiseveränderte Quelleigenschaften aufweisen. Stärke zähltdarüber hinaus zu denHydrophilisierungsmitteln, d. h.,sie erhöht die Porosität und die Benetzung der Tabletteund erleichtert dadurch das Eindringen von Wasserdurch die Poren in das Tabletteninnere (Dochtwir-kung), was eine Zerfallsbeschleunigung zur Folge hat.

Gute Zerfallsbeschleuniger sind Alginsäure undderen Salze bzw. Derivate. Die wasserunlösliche Algin-säure nimmt das Mehrfache ihrer Eigenmasse an Was-ser auf, sie quillt und löst dadurch den Zerfallseffektaus. Ihre Quellstärke bleibt selbst bei mehrfacherBefeuchtung und Trocknung erhalten. Da die sauerreagierende Alginsäure nicht für alle Tablettenrezeptu-

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ren geeignet ist, werden Calcium- bzw. Natriumalginateangeboten.

Ausgeprägte Quellfähigkeit sind Natriumcarboxy-methylcellulose (Carmellose, Nymcel®) zuzuschreiben.Weitere Zerfallsmittel der Gruppe 1 sind quervernetztesPolyvinylpyrrolidon (Crospovidon, Polyplasdone® XL,Kollidon® CL), quervernetzte Natriumcarboxymethyl-cellulose (Croscarmellose, Ac-Di-Sol®, Solutab®) sowiequervernetzte Natriumcarboxymethylstärke (Primojel®,Explotab®). Diese wasserunlöslichen Stoffe besitzen einbeträchtliches Quellvermögen sowie eine hohe Kapil-laraktivität und sichern einen spontanen und vollstän-digen Zerfall ohne Schleimbildung. Sie üben zugleicheine Bindemittelfunktion aus, so dass die Tabletten einehohe Abriebbeständigkeit aufweisen.

Als Beispiel für die 2. Gruppe sei Natriumhydrogen-carbonat angeführt. Tabletten mit einem derartigenZusatz zerfallen infolge Kohlendioxidentwicklung imMagen (saure Reaktion) schnell. Zur Gewährleistungeines schnellen Zerfalls in Wasser (Brausetabletten)bzw. bei Personen mit subazidem Magensaft wird imAllgemeinen den Tabletten gleichzeitig Citronen- bzw.Weinsäure zugefügt. Die Aufbewahrung von Tabletten,deren Zerfall bei Anwesenheit von Feuchtigkeit aufGasentwicklung beruht, erfolgt zweckmäßigerweise inRöhrchen, deren Stopfen ein Trockenmittel enthalten.

Die Vertreter der 3. Gruppe der zerfallsbeschleuni-genden Substanzen sind keine Zerfallsmittel im eigent-lichen Sinne. Sie ermöglichen vielmehr, dass Zerfalls-mittel optimal wirksam werden können. Die Tablettie-rung lipophiler Substanzen bereitet erfahrungsgemäßoftmals erhebliche Schwierigkeiten, da der Zerfallungenügend ist. Die Benetzbarkeit derartiger Tablettenist nur gering, so dass die eingearbeiteten Zerfallsmittelüberhaupt nicht oder nur sehr verzögert zur Wirkungkommen. Hier empfehlt sich der Zusatz von oberflä-chenaktiven Substanzen, die die Tabletten hydrophili-sieren und dafür Sorge tragen, dass Wasser die eingear-beiteten Zerfallsmittel erreicht und sie zur Wirkungbringt. Natriumlaurylsulfat als anionenaktive Verbin-dung und Polysorbate als nichtionogenen Tenside(▸Kap. 5.3.6) kommen hier zum Einsatz. Obgleich der-artige oberflächenaktive Verbindungen eine hohe phy-siologische Aktivität aufweisen, sind pharmakologischeBedenken in diesem Zusammenhang bisher nicht erho-ben worden. Einen schnellen Zerfall sichert auch hoch-disperses Siliciumdioxid. Es erleichtert ebenso wiemikrokristalline Cellulose das Eindringen vonWasser indie Tablette.

Es ist nicht möglich, ein Zerfallsmittel generell zuempfehlen, vielmehr muss stets im Einzelfall bei derArzneiformung Art und Menge des Zerfallsmittelsempirisch ermittelt werden.

9.2.7 FeuchthaltemittelIm Einzelfall kann die Anwendung von Feuchthaltemit-teln sinnvoll sein. Sie verhindern eine zu starke Aus-trocknung der Tablettiermischung (Vermeidung„deckelnder“ Tabletten) und der Tablette (Feuchtig-keitsspuren in der Tablette beschleunigen den Zerfall).Bewährt hat sich der Zusatz von Glycerol oder Sorbitolzur Granulierflüssigkeit. Als Feuchthaltemittel wirdauch Stärke positiv beurteilt. Sie bindet Luftfeuchtigkeitadsorptiv und fungiert als „Wasserregulator“ der Tab-lette.

9.2.8 AdsorptionsmittelSollen dünn- oder zähflüssige Wirkstoffe (ätherischeÖle, lipophile Vitamine, Extrakte) zu Tabletten ver-presst werden, so müssen diese zunächst an entspre-chende aufsaugende Hilfsstoffe (Lactose, Stärke undStärkederivate, Bentonit, Aerosil®) sorptiv gebundenwerden. Das geschieht häufig nach Lösen der Wirk-stoffe in organischen Lösungsmitteln (z.B. Ethanol)und Aufsprühen auf einen geeigneten Träger.

9.2.9 GegensprengmittelGegensprengmittel (Lösungsverzögerer) sind nur beiden Tablettentypen erforderlich, bei denen ein schnel-ler Zerfall (bzw. Lösung) unerwünscht ist (Lutschtablet-ten, Bukkaltabletten, Implantationstabletten usw.).Neben Saccharose, arabischem Gummi, Tragant undDextrin finden insbesondere fettartige Substanzen, wiehydrierte Fette, Stearin und Paraffin Verwendung. Auchhydrophile Verbindungen, wie Polyethylenglycole, kön-nen den Zerfall verzögern, wenn sie in entsprechenderKonzentration eingesetzt werden.

9.3 Direkttablettierung

9.3.1 AllgemeinesUnter Direkttablettierung (Direktkomprimierung) istdas Verpressen von pulverförmigen Wirkstoffen oderWirkstoff-Hilfsstoff-Mischungen zu verstehen. Da sichdie Direkttablettierung durch einen geringen Arbeits-aufwand auszeichnet und somit ökonomischererscheint als die Verpressung von Granulaten, kommtdieser Methode großes Interesse zuteil. Leider sinddazu meist teure direkttablettierbare Hilfsstoffe nötig.Besonders vorteilhaft wird eine Direkttablettierung beider Verarbeitung von feuchtigkeits- und wärmeemp-findlichenWirkstoffen eingeschätzt, deren Stabilität beiGranulierungsoperationen gefährdet ist.

Nur wenige Wirkstoffe eignen sich jedoch ohne wei-tere Vorbehandlung und ohne Zusatz von geeignetenHilfsstoffen zur Direktkomprimierung. Gelingt eineVerpressung zu Formlingen, so sind hierfür die durchdie Komprimierung ausgebildeten Kohäsionskräfte

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zwischen den Pulverpartikeln verantwortlich. Je nachWirkstoff und dessen kristalliner Struktur wird der auf-zuwendende Druck, der zu Presslingen mit entspre-chenden Festigkeitscharakteristika führt, unterschied-lich sein. Wesentlichen Einfluss auf den Komprimie-rungsvorgang hat die Kristallform, wobei eine kubischeKristallstruktur sich als besonders vorteilhaft erweisenhat. Weiterhin lassen sich grobe kristalline Substanzenleichter komprimieren als sehr feine Pulver. Bei Letzte-ren verhindern außerdem Lufteinschlüsse das Zustan-dekommen einer ausreichenden Tablettenfestigkeit.Ammoniumchlorid, -iodid, Kaliumchlorid und -chlo-rat, Natriumchlorid und -citrat sowie Zinksulfat sindBeispiele für Substanzen, die sich ohne weitere Zusätzedirekt verpressen lassen.

Einer Direkttablettierung stehen einerseits die gerin-gen Bindungskräfte zwischen den Partikeln, die zu Tab-letten mit ungenügenden Festigkeitseigenschaften füh-ren, sowie andererseits die generell schlechten Fließei-genschaften von pulverförmigen Haufwerken entgegen.Durch Änderung der Korneigenschaften (Korngröße,-form, Korngrößenverteilung), durch Zusatz von Hilfs-stoffen (Trockenbindemittel, Fließregulierungsmittel,Formentrennmittel) sowie durch maschinelle Einrich-tungen (hoher Pressdruck, Vorrichtungen, die die Mat-rizenfüllung erleichtern, z.B. Rührflügel) könnenjedoch Pulvermischungen erhalten werden, die sich fürdie Direkttablettierung eignen. Eine Korngröße vonetwa 0,5mm gilt als optimal. Es ist verständlich, dasssich abgerundete Partikel wegen ihrer guten Fließeigen-schaften (Rollreibung < Gleitreibung) relativ leicht undunter geringem Zusatz an Gleitmitteln verformen las-sen. Geeignete Partikelformen für direkttablettierbareSubstanzen und Hilfsstoffe entstehen bei der Sprüh-oder Zerstäubungstrocknung. Schmelzen könnenandererseits durch Sprüherstarrung in Kornstrukturenmit hoher Rieselfähigkeit überführt werden. Ein Gelin-gen der Direkttablettierung setzt voraus, dass die Subs-tanzen nur eine geringe Restfeuchte aufweisen.

Eine gute Mischbarkeit der Hilfsstoffe mit denWirk-stoffen ist Voraussetzung für die Direkttablettierung.Da Pulvermischungen zu Entmischungen neigen (z.B.aufgrund unterschiedlicher Größen und Dichten vonHilfsstoff- undWirkstoffpartikel), muss die Homogeni-tät der Mischung während aller Prozessschritte über-prüft und sichergestellt werden.

9.3.2 TrockenbindemittelHilfsstoffe für die Direkttablettierung sollen die Fließei-genschaften verbessern, durch ihr plastisches Verhalteneine Verpressung ermöglichen und zu Presslingen mitgeeigneter Festigkeit führen (Trockenbindemittel).

Für die Direkttablettierung werden vor allemmikro-kristalline Cellulose (MCC, Avicel®, Vivapur®) und Cel-lulosepulver (synonym: mikrofeine Cellulose, Elcema®,

Rehocel®) eingesetzt. MCC gilt als hervorragendes Bin-demittel in Tabletten und ist besonders gut für dieDirekttablettierung geeignet, weil es leicht plastischverformbar ist und zu bruch- und abriebfesten Tablet-ten führt. ImVergleich zu anderenHilfsstoffen kann beider Verpressung mit geringem Pressdruck gearbeitetwerden. MCC bewährt sich zugleich als Trägerstoff fürflüssige, halbfeste und hygroskopische Stoffe und alsFüllmittel (relativ hohes Schüttgewicht verringert Mas-seabweichungen). Ihre Hydrophilie bedingt kurze Zer-fallszeiten. Die Fließfähigkeit ist durch Wasserstoffbrü-ckenbildung behindert, lässt sich jedoch durchAerosil®-Zusatz (0,5–1%) erheblich verbessern. Silizifi-zierte mikrokristalline Cellulose (SMCC, ProSolv®) wirddurch gemeinsame Verarbeitung von 98% MCC und2% Aerosil hergestellt und weist verbesserte Kompak-tierungseigenschaften auf.

Aufgrund ihrer eher schlechten Fließeigenschaftensind native Stärken für die Direkttablettierung nicht sogut geeignet. Einsatz finden jedoch modifizierte undvorbehandelte Stärken, wie z.B. vorgelatinierte Stärke(Lycatab PGS®) sowie hydrolysierte Stärken wie Dex-tran (Emdex®) undMaltodextrin (Maldex®).

Für die Direktkompression eignet sich weiterhindurch Sprühtrocknung gewonnene Lactose (Sphero-Lac®, Tablettose®, SuperTab®) sowie tribasisches Calci-umphosphat (TRI-TAB®). Copovidon, ein Co-Polymeraus Polyvinlylpyrrolidon und Vinylacetat (KollidonVA64®) kann in geringen Konzentrationen (2–5%) alsBindemittel in der Direkttablettierung eingesetzt wer-den.

Heutzutage wurden immer häufiger gemeinsam ver-arbeitete Mischungen zweier oder mehrerer Hilfsstoffefür die Direkttablettierung eingesetzt. Die gemeinsameVerarbeitung der Hilfsstoffe führt zu Produkten, diebessere Flieβ- und Komprimierungseigenschaften auf-weisen als eine physikalische Mischung beider Stoffe.Die meisten erhältlichen gemeinsam verarbeitetenMischungen enthalten eine große Menge eines mehrspröden Hilfsstoffs (z.B. Lactose) und eine geringereMenge eines gut plastisch deformierbaren Hilfstoffs(z.B. mikrokristalline Cellulose). Beispiele für solcheFertigmischungen sind Microcelac® 100 (75% Lactoseund 25% mikrokristalline Celluose), StarLac® (85%Lactose und 15% Maisstärke) sowie Ludipress LCE®(96,5% Lactose und 3,5% Povidon). Ludipress® stellteine gemeinsam verarbeitete Mischung von drei Hilfs-stoffen dar: Lactose, Povidon K30 und quervernetztesPovidone (Crospovidone).

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9.4 Granulierung

Meistens ist es notwendig, die Wirk- und notwendigenHilfsstoffe vor der Tablettierung zu granulieren (lat.granula = Korn, ▸Kap. 8.4), d. h. die Pulverteilchen inGranulatkörner zu überführen. Hierdurch wird einProduktmit gröberer Körnung erhalten, das, verglichenmit Pulverpartikeln, eine bessere Fließfähigkeit auf-weist. Durch die gute Fließfähigkeit wird wiederumeine kontinuierliche, gleichmäßige Füllung der Matrizeder Tablettenmaschine erzielt. Die Gleichförmigkeit desGranulats bedingt somit die Gleichförmigkeit der Tab-letten. Hieraus resultieren eine konstante Tabletten-masse und eine hohe Dosiergenauigkeit. Münzel undAkay definieren das Granulatkorn als ein „zusammen-gekittetes“ asymmetrisches Aggregat aus Pulverparti-keln (ganzen Kristallen, Kristallbruchstücken, Drogen-partikeln). Es weist normalerweise keine harmonischegeometrische Form auf. Vielmehr wird die Gestalt einerKugel, eines Stäbchens, eines Zylinders usw. nur andeu-tungsweise erhalten. Die Oberfläche ist in der Regeluneben, gezackt oder aufgeraut und das Granulatkornist oft mehr oder weniger porös.

Bei der Granulierung verkleinert sich die Gesamt-oberfläche aller Pulverteilchen, was eine Verminde-rung der Adhäsionskraft zur Folge hat. Durch form-schlüssige Bindungen (Verzahnen, Ineinanderkeilen)zwischen Wasseradsorptionsschichten sowie Dank derplastischen Verformung nun möglichen van-der-Waals-Kräfte erhält der Pressling seine Festigkeit durchden Pressvorgang. Beim Tablettiervorgang entstehtdurch Druck ein Formkörper mit definierter Festigkeitund Zerfallscharakteristik, wenn im Tablettiergut aus-reichend starke Bindekräfte wirksam werden(▸Kap. 8.4.7).

Die an ein für die Tablettierung geeignetes Granulatzu stellenden Anforderungen lassen sich wie folgtzusammenfassen: Das Granulat soll

󠀂 in Form und Farbe möglichst gleichmäßig sein,󠀂 nicht mehr als 10% pulverförmige Bestandteile ent-

halten,󠀂 eine gute Fließfähigkeit besitzen,󠀂 eine ausreichende mechanische Festigkeit aufwei-

sen,󠀂 nicht zu trocken sein (3–5% Restfeuchtigkeit),󠀂 in Wasser gut zerfallen.

Die Herstellung und Prüfung von Granulaten wird in▸Kap. 8.6 besprochen.

9.5 Komprimierung

9.5.1 KomprimiervorgangDer Pressvorgang bei allen automatischen Maschinenist im Prinzip ähnlich. Alle besitzen zwei beweglicheStempel. Während der Unterstempel in der Matrizeläuft, wird der Oberstempel nur zur Pressung in dieMatrize eingeführt.

󠀂 Die Matrize nimmt das zu verpressende Pulver auf,wobei das zu verpressende Volumen durch dieunterste Position des Unterstempels bestimmt wird.

󠀂 Der Oberstempel gleitet in die Matrize, schiebt dasPulver zusammen und presst die Tablette. Von sei-nem Pressdruck hängen Dicke, Festigkeit und Press-glanz der Tablette ab. Die Einführungstiefe unddamit der Druck lassen sich regulieren.

󠀂 Der Unterstempel befindet sich innerhalb der Mat-rize, er begrenzt den Füllraum nach unten. Währenddes Pressvorgangs bildet er das Gegenlager. BeiRundläuferpressen ist er auch am Pressvorgangbeteiligt. Nach Abschluss der Pressung wird derUnterstempel nach oben geführt und bringt dadurchdie Tablette auf den Matrizenrand, wo sie ausgewor-fen wird. Nunmehr fällt der Unterstempel in seineAusgangsstellung zurück, und der Matrizenraum istzur Aufnahme der nächsten Füllung bereit.

󠀂 Der Fülltrichter, dessen unterster Teil Füllschuhgenannt wird, enthält das Tablettiergut. Der Bodendes Füllschuhs ist teilweise offen, so dass die Tablet-tenmasse beim Vorwärtsbewegen des Füllschuhs(Exzenterpresse) aus dem Trichter in die Matrizegleiten kann. Gleichzeitig schiebt der Füllschuh diebei der vorangegangenen Pressung geformte Tabletteauf eine Ablaufbahn.

9.5.2 TablettenpressenMan unterscheidet bei den vollautomatischen Tablet-tenmaschinen zwei Typen: Exzenterpressen und dieRundläuferpressen (Rundläufer, Rotationsmaschine).

ExzenterpressenBei diesen Maschinentypen wird der Oberstempel voneinemExzenter bewegt (○Abb. 9.2). Die Drehbewegungder Antriebswelle wird in eine Translationsbewegung(Auf- und Abbewegung des Stempels) verwandelt. Beijeder Umdrehung der Welle durchläuft der Oberstem-pel einmal seine höchste und seine tiefste Stellung.Durch Verstellen des Exzenters wird der Pressdruckreguliert. Die Einstellung des Volumens in der Matritzeerfolgt mit Hilfe des Unterstempels. Charakteristischfür Exzenterpressen ist, dass die Matrize feststeht undder Fülltrichter beweglich ist. Er gleitet auf der Matrizehin und her und sorgt für eine ständige Neufüllung derMatrize. Durch die Bewegungen des Füllschuhs kann es

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bei ungleichförmigem Granulat und insbesondere beiPulvermischungen zu einer partiellen Entmischungkommen, was eine fehlerhafte Dosierung zur Folge hat.󠀂 Phase 1: Ober- und Unterstempel sowie Füllschuh

befinden sich in der Ausgangsstellung. Der Matri-zenraum ist mit Tablettenmasse gefüllt.

󠀂 Phase 2: Der Oberstempel gleitet in die Matrize undpresst die Tablette.

󠀂 Phase 3: Der Oberstempel geht in die Ausgangsstel-lung zurück, der Unterstempel gleitet aufwärts undbringt die Tablette auf den Matrizenrand.

󠀂 Phase 4: Der Füllschuh gleitet vorwärts und schiebtdie Tablette auf die Ablaufbahn. Der Unterstempelfällt in die Ausgangsstellung zurück, gleichzeitigfließt Tablettenmasse für die nächste Pressung ausdem Füllschuh in den Matrizenraum.

Bei Exzenterpressen ist lediglich der Oberstempel amPressvorgang aktiv beteiligt. Der Druck erfolgt schlag-artig. Für Tabletten, die mit Exzenterpressen hergestelltwerden, ist typisch, dass die Tablettenunter- und -ober-seite nicht die gleiche Härte aufweisen. Exzenterpressenhaben normalerweise eine Stundenleistung von ca.2000 Tabletten. Leistungsfähige Exzenterpressen lie-fern 4000 Tabletten/h.

Rundläuferpressen (Rotationsmaschinen)Bei diesen Typen steht der Füllschuh fest, während dieMatrize beweglich ist. Eine runde Horizontalplatte(Matrizentisch) trägt eine Anzahl von Matrizen. Beikleineren Tablettenmaschinen sind es 3–5, im Allge-meinen jedoch mehr (z.B. 12–79). Zu jeder Matrizegehören ein Ober- und ein Unterstempel. Durch Gleit-bahnen werden die Stempel gehoben und gesenkt, sodass sich die Stempel in den einzelnen Arbeitsphasen inverschiedenen Höhen- und Tiefenstellungen befinden(○Abb. 9.3).

Durch Drehung der horizontalen Platte werden dieMatrizen mit ihren Stempeln nacheinander in füllbe-

reite Stellungen unter den Füllschuh gebracht. Mit denDruckrollen erfolgt die Einstellung des Pressdrucks. BeiRundläufern sind in der Regel beide Stempel mit glei-chem Druck am Pressvorgang beteiligt. Die Tabletten-masse wird somit von oben und unten zusammenge-schoben und zur Tablette geformt. Die Härte der Tab-lettenober- und -unterseite ist gleich. ○Abb. 9.3 gibtschematisch die Arbeitsweise eines Rundläufers wieder.Die Füllphase schließt mit einem Abstreifen des über-schüssigen Granulats ab. In der Ausstoßphase wird dervom Unterstempel angehobene Pressling von einemAbstreifer erfasst und über eine Rutsche in ein Auffang-gefäß transportiert.

Bei Doppelrundläuferpressen mit zwei Pressstatio-nen ist nur eine halbe Umdrehung der Matrizenscheibefür einen Arbeitsvorgang vorgesehen, bei der zweitenhalben Umdrehung schließt sich ein neuer Arbeitsgangin gleicher Folge (Füllen, Komprimieren, Ausstoßen)an. Es existieren Rundläufer, die bis zu vier Füll- undPressstationen aufweisen, die während einer Umdre-hung passiert werden.

Je nach Anzahl der Matrizen ist die Leistung der ein-zelnen Rundläufertypen unterschiedlich. Sie lässt sichweiterhin dadurch beträchtlich erhöhen, wenn statteinstempligen Werkzeugen (ein Stempelpaar je Mat-rize) Mehrfachstempel verwendet werden. Im Allge-meinen sind Stundenleistungen zwischen 20000 und60000 Tabletten bei einstemplig gefahrenen Rundläu-fern üblich. So genannte Schnellläufer arbeiten nachdem gleichen Prinzip, erbringen aber wesentlich höhereLeistungen (über 100 000 Tabletten/h). Hochleistungs-maschinen erreichen bis zu 1 000 000 Tabletten/h.

Der maximale Pressdruck von Tablettenpressen istsehr unterschiedlich. Im Allgemeinen liegt er zwischen500 und 1000 MPa (5·108 und 10·108N·m–2).

Spezielle TablettiereinrichtungenVielfältige technische Verbesserungen an den Tablet-tenmaschinen erleichtern den Komprimiervorgang,

1 2

Unterstempel

Ober-stempel

Matrize

Füllschuh

3 4

○ Abb.9.2 Schema des Pressvorgangs an einer Exzenterpresse

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sorgen für ein gleichmäßiges Nachfließen des Füllgutsund damit für eine konstante Matrizenfüllung. Eindirekt über der Matrize montierter Rührflügel streicht

z.B. mit seinen Flügelblättern das Füllgut in die Mat-rize. Er reguliert somit gleichfalls den Fließvorgang undverhindert eine Entmischung des Pulvers. Ein unbefrie-digendes Fließverhalten lässt sich auch durch Anbrin-gung eines als Vibrator wirkenden Magneten an denFuß des Füllschuhs erheblich verbessern. Bereits einfa-che Exzentermaschinentypen verfügen über einenRührstern – eine im Füllschuh rotierende, mit einerAnzahl Dornen („Spikes“) ausgerüstete Achse –, derdurch Auflockerung des Pulvers bzw. Granulats oderauch durch Zerstörung größerer Granulataggregatekurz über der Matrizenöffnung für deren gleichmäßigeFüllung sorgt (○Abb. 9.4).

Ein besonderes Problem stellt die Entlüftung desTablettierguts beim Tablettiervorgang dar. Haben Luft-einschlüsse im Pulver oder Granulat während des Kom-primierens keine Gelegenheit zum Entweichen, so tre-ten Tablettenfehler auf („Deckeln“, zu geringe Festigkeitusw.). Größere Maschinen verfügen daher über einenStufendruck (bzw. progressiven Druck), d. h. der Press-vorgang verläuft in einzelnen Phasen, so dass die Luftentweichen kann.

Besondere Beachtung wird Einzelkraftüberwa-chungssystemen geschenkt, mit denen heute Tabletten-maschinen weitgehend ausgestattet sind. Es werdenmikroprozessorgesteuerte Regel- und Überwachungs-geräte verwendet, die eine weitgehende Automatisie-rung der Hererstellung ermöglichen und zugleich dieInprozesskontrolle durchführen. Derartige Geräte zei-gen den Pressdruck mit den prozentualen Streuungen

1. Füllen 2. Pressen 3. Auswerfen

○ Abb.9.3 Arbeitsweise eines Rundläufers

Zuteilrad

Dosierrad

Füllrad

Füllplatte

Getriebegehäuse

○ Abb.9.4 Rührflügelschuh

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an und das Tablettengewicht wird innerhalb vorgegebe-ner Grenzen automatisch geregelt. Tabletten, die außer-halb der vorgesehenen Gewichtsgrenzen liegen, werdenaussortiert, und die gesamte Anlage einschließlich derSchwergängigkeit der Ober- und Unterstempel über-wacht (Ausschalten der Anlage, wenn vorgegebeneGrenzwerte über- oder unterschritten werden). Mögli-che Störursachen und die Presskräfte an den Stempelnwerden registriert, und nach der Fertigstellung der Pro-duktion wird ein Chargenprotokoll erstellt.

Aus GMP-Gründen müssen weiterhin zum Schutzvon Produkt und Umwelt folgendeMaßnahmen getrof-fen werden:

󠀂 Ummantelung der Pressen zum Schutz vor Staub-kontamination,

󠀂 Luftreinigungssystem, um den Raum staubfrei zuhalten,

󠀂 Klimatisierung und󠀂 Schalldämpfung.

Instrumentierung von TablettenpressenInstrumentierte Tablettenpressen werden sowohl in derForschung zur Formulierungsoptimierung und Cha-rakterisierung der auftretenden Bindungskräfte alsauch in der Produktion zur Überwachung des Herstel-lungsprozesses eingesetzt. Es werden hierbei die wäh-rend des Pressvorgangs auftretenden Kräfte in Abhän-gigkeit von der Zeit (Presskraft-Zeit-Diagramm) bzw.in Abhängigkeit des zurückgelegten Wegs des Stempels(Kraft-Weg-Diagramm) gemessen. Presskraft-Zeit-Dia-gramme sind geräteabhängig und werden daher ledig-lich zurMessung der auftretendenMaximalkräfte regis-triert. Beim Kraft-Weg-Diagramm wird der Weg desOber- oder Unterstempels ab dem Eintauchen in dieMatrize verfolgt. Der Kraft-Weg-Verlauf kann miteinem Speicheroszilloskop oder digital aufgezeichnetwerden. Bei modernen Anlagen wird das Signal übereinen Computer registriert und entsprechend weiter-verarbeitet.

Die Instrumentierung von Tablettenpressen erfolgtmit Dehnungsmessstreifen (DMS), piezoelektrischenKraftgebern oder induktiven Weggebern. Die Kraftauf-

nehmer können sowohl an bewegten (Stempelhalte-rung, Matrize) als auch unbewegten Teilen (Druckrolle,Ausstoßschiene, Abstreifarm) der Presse angebrachtwerden, wobei bei Messung an der Stempelhalterungdie größte Empfindlichkeit erreicht wird.

DehnungsmessstreifenDehnungsmessstreifen (DMS) sind Polymerfolien miteiner mäanderförmigen metallischen Leiterbahn. DieDMS werden in Richtung der Kraft auf belasteteMaschinenteile mit Spezialklebern aufgeklebt. Da eineanliegende Kraft eine direkt proportionale Stauchungbzw. Dehnung dieser Maschinenteile hervorruft, wer-den die aufgeklebten Messstreifen auch proportional zuden anliegenden Kräften verformt. Die dabei auftreten-den Längen- und Querschnittsänderungen der Leiter-bahn ergeben eine Widerstandsänderung, die sich miteiner entsprechenden Schaltung in elektrische Signaleumwandeln lässt. Temperatureinflüsse lassen sich,sofern nicht Spezial-DMS verwendet werden, durcheinen zweiten DMS, der quer zur Längsrichtung aufMaschinenteile aufgebracht ist, ausschalten. Die han-delsüblichen DMS weisen eine sehr unterschiedlicheAnordnung der leitenden Teile auf. ○Abb. 9.5 zeigteinige Beispiele.

Piezoelektrische KraftaufnehmerWirkt auf einen Piezokristall eine Kraft ein, so entste-hen Verschiebungen der positiven und negativen gela-denen Gitterbausteine. Diese bewirken, dass an derOberfläche elektrische Ladungen auftreten. Die dabeiauftretenden elektrischen Spannungen können abge-griffen und nach Verstärkung registriert werden. Piezo-kristalle sind meistens reine Quarzkristalle. Zur Kraft-messung müssen sie in die entsprechendenMaschinen-teile eingebaut werden.

Induktive WeggeberZur Registrierung der Wegänderung des Stempels wirdausgenutzt, dass ein in eine Spule eintauchenderMetall-stift die Induktivität in Abhängigkeit von der Eintauch-tiefe ändert. Die Änderung des Wechselstromwider-standes der Spule wird gemessen.

○ Abb.9.5 Typen von Deh-nungsmessstreifen

Kontakt

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9.5.3 Physikalische Vorgänge bei derKompression

Während der Verdichtung zu einem Formling könnendie Einzelpartikel mehrere Verformungsstadien durch-laufen:

󠀂 elastische Verformung,󠀂 plastische Verformung,󠀂 Bruch und Fragmentierung.

Wird auf das Tablettiergut durch die Stempel der Presseeine Kraft ausgeübt, so erfolgt zunächst eine elastischeVerformung. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass beiEntfernung der Kraft das Granulatteilchen seineUrsprungsform wieder annimmt.

Bei Anwendung einer höheren Kraft wird die Fließ-grenze des Materials überschritten und es kommt zurplastischen Verformung. Wird die Kraft wieder wegge-nommen, so bleibt der Körper irreversibel verformt.Das plastische Verhalten eines kristallinen Feststoffeswird überwiegend von Defekten im Kristallaufbaubestimmt, die als Versetzungen bezeichnet werden. Essind Unregelmäßigkeiten im Abstand der Gitterbau-steine, die sich linien- oder schraubenförmig über einenbestimmten Bereich im Kristall ausdehnen. Bei einerVerformung durchwandern sie den Kristall.

Wird die Kraft weiter erhöht, so erfolgt Fragmentie-rung des verdichteten Komprimats. Ursache für einenBruch ist, dass die Energie der Kristallgitterdefektehöher ist als die Bindungsenergie zwischen den Gitter-bausteinen.

Das Ziel des Tablettiervorganges ist es, so viel Ener-gie aufzubringen, dass die elastische Verformbarkeit desTablettiergutes überwunden wird, sich das Materialsomit plastisch verformt, aber das Komprimat nichtdurch Fragmentierung wieder in die einzelnen Kompo-

nenten zerlegt wird oder bei spröden Substanzen nachÜberschreiten des elastischen VerformungsbereichsSprödbruch entsteht. Fragmentierung erfolgt bei sprö-den Stoffen früher als bei zähen Stoffen.

Bei der Tablettierung liegen in der Regel Stoffgemi-sche vor, daher zeigen solche Materialien im Allgemei-nen ein komplexes Verformungsverhalten. Auchbedingt durch die inhomogenen Spannungsverhält-nisse im Tablettiergut existieren elastische und plasti-sche Verformungen sowie Bruchvorgänge nebeneinan-der.

9.5.4 Abschnitte und Energie des Tablet-tiervorganges

Der Tablettiervorgang lässt sich in folgende Abschnitteuntergliedern (○Abb. 9.6):󠀂 Nach kraftloser Vorkompression (a) vom Eintauch-

punkt (E) des Oberstempels in die Matrize bis zumBeginn eines Kraftanstiegs (S) werden die Granulat-körner in der Matrize durch den Oberstempelzusammengeschoben.

󠀂 In der Phase (b) erfolgt ein steiler Anstieg der Press-kraft. Hier beginnt die Verformung der Partikel. DiePresskraft (M) ist maximal, wenn der Oberstempelden unteren Totpunkt (U) erreicht hat. Zunächsterfolgt eine elastische Verformung.Wird der Bereichder elastischen Verformung überschritten, wird dasTablettiergut plastisch verformt. Bei sog. viskoselas-tischem Verhalten ist die Verformung von der Ver-formungsgeschwindigkeit und der Belastungszeitabhängig.

󠀂 Der sich aufbauende elastische Verformungsanteildes Presslings und der Maschine (elastische Rück-dehnung des Stempels und beanspruchter Maschi-nenteile) wird schließlich beim Zurückgehen desStempels im Abschnitt (c) abgebaut, bis bei (A) derStempel wieder vom Pressling abhebt.

󠀂 Die Abschnitte (d) und (a) ergeben sich aus demkraftlosen Zurückgehen des Stempels bis zum Ein-tauchpunkt. Eine normalerweise stattfindende wei-tere Ausdehnung des Presslings nach Abheben desStempels geht in das Diagramm nicht mit ein.

󠀂 Ein Partikel kann all diese Prozessemehrmals durch-laufen. Schließlich werden die Partikeloberflächenso eng zusammengebracht, dass zwischenpartikuläreAnziehungskräfte ausgebildet werden. Anderehyperbolische Kurvenverläufe können sich ergeben,z.B. durch󠀂 Änderung der Kristallstruktur des verpressten

Materials,󠀂 Sinterung,󠀂 Änderung der Korngrößenverteilung,󠀂 Änderung der Kompressionsgeschwindigkeit,󠀂 Änderung der Tablettendimensionen (Fülltiefe

bzw. Durchmesser der Matrize).

Pres

skra

ft

S A

M

UaE

E1

E2

d

Stempelweg

E3

b

c

○ Abb.9.6 Kraft-Weg-Diagramm für den Oberstempeleiner Exzenterpresse

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Aus obiger Betrachtung geht hervor, dass nicht nur derMaximaldruck, sondern der Druck- und Zeitverlauf dieQualität einer Verpressung bestimmen. Besonders kri-tisch sind die Restspannungen von elastisch verformtenStoffen, die z.B. zum Deckeln der Tablette führen kön-nen.

Verbindet man die Punkte (E) und (M) sowie (M)und (U) durch Geraden, so erhält man ein rechtwinkli-ges Dreieck (EMU). Die Fläche des Dreiecks ist derGesamtenergiemenge proportional, die bei der Kom-pression von der Tablettenmaschine zu leisten ist unterder hypothetischen Annahme eines linearen Anstiegsder Presskraft. Sie wird als Emax bezeichnet und setztsich aus den Energiemengen der Flächen E1, E2 und E3zusammen. Die Fläche E2 entspricht dem Energiebe-trag, der für die plastische Deformation der Teilchenund für die Reibung an der Matrizenwand aufgewandtwerden muss. Die Fläche E3 ist ein Maß für das elasti-sche Verhalten des verpressten Materials und bean-spruchter Maschinenteile. Sie stellt die elastische Rück-dehnungsenergie dar, die von der gepressten Tablette anden Oberstempel wieder zurückgegeben wird.

Zur Beurteilung der Presseigenschaft von Substan-zenwerden die einzelnen Flächen ins Verhältnis gesetzt,wobei ein möglichst großes Verhältnis (E2 + E3):E1 füreinen gut zu verpressenden Stoff angestrebt wird. EineKurve, die der Geraden EM entspricht, hat lediglichtheoretische Bedeutung, doch sollte die reale Kurve (b)dieser Geraden möglichst angenähert sein. Die FlächeE1 sollte also möglichst klein zugunsten einer möglichstgroßen Fläche E2 sein, die die in der Tablette verblei-bende Verformungsenergie darstellt. Desgleichen isteine kleine Fläche E3 bzw. ein geringer Abstand von Unach A wünschenswert.

An Hand des Kraft-Weg-Diagramms kann man fürdie Praxis nützliche Aussagen machen. Schlecht tablet-tierbare Substanzen lassen sich z.B. oft daran erkennen,dass sie eine stärkere Rückfederung besitzen (Neigungdes Abschnitts (c) in ○Abb. 9.6). Manchmal haben sieauch eine relativ lange Vorkompressionsphase. DieAbhängigkeit der auftretenden Maximalkräfte von derDosierung kann vor allem bei Rundläufern zur Produk-tionsüberwachung der Dosierungsgenauigkeit genutztwerden (○Abb. 9.7). Heutige Rundläufer haben eindigitales Kontrollsystem.

Die bei der Kompaktierung einer Substanz aufge-wandte Arbeit ist durch die Fläche des Kraft-Weg-Dia-gramms gegeben. Im Durchschnitt liegen die Arbeits-beträge, umgerechnet in das Wärmeäquivalent, zwi-schen 4,2 und 21 J/g Substanz. Der weitaus größte Teilder aufgewandten mechanischen Energie wird alsWärme wieder frei. Entsprechend der spezifischenWärme der Substanzen und der hohenWärmeableitungder Tablettierwerkzeuge ergeben sich deshalb meistTemperaturerhöhungen des fertigen Presslings gegen-

über dem Ausgangsmaterial, die zwischen 5 bismax. 20 K liegen.

Ein wesentlicher Faktor, der die Tablettierung beein-flussen kann, ist die Matrizenwandreibung. Auf Grunddieser Reibung treten an der Matrizenwand mitZunahme der Verdichtung immer größere Gegenkräfteauf. Da diese vom Stempel mit überwunden werdenmüssen, ergeben sich gegenüber einer Verdichtungohne Wandreibung erhöhte Arbeitsbeträge und damiteine erhöhte Erwärmung des Presslings. Von oft nochgrößerer Bedeutung ist, dass die Matrizenwandreibungeine homogene Dichteverteilung im Pressling behin-dert. Da dies zu geringer Festigkeit oder sogar zum„Deckeln“ der Tablette führen kann, ist eine möglichstgeringe Matrizenwandreibung anzustreben. Dies kanneinmal durch bestimmte Tablettierwerkzeugformenerreicht werden (geringe Steghöhe bei Drageeformenusw.) und zum anderen duch den Zusatz geeigneterSchmiermittel.

Die Kompressionskräfte beeinflussen die physikali-schen Eigenschaften der Tablette in mehrfacher Weise,wobei mit steigender Kraft die Tablettenfestigkeitzunimmt. Dadurch verringert sich die Zerfallsfähigkeit,und es wird oftmals notwendig sein, zwischen mecha-nischer Festigkeit und Zerfall einen Kompromiss zusuchen. Andererseits sind Fälle bekannt, bei denen dieErhöhung der Kompressionkraft zu Veränderungen inder Kristallstruktur des Wirkstoffes führten und somitzu einer Verbesserung der Auflösungsgeschwindigkeitund Resorption des Wirkstoffs.

9.6 Komplikationen bei der Tablettierung

9.6.1 AllgemeinesBeim Tablettieren können mannigfache Komplikatio-nen auftreten, die den Pressvorgang stören undmeist zufehlerhaften Tabletten führen. Die Ursachen könnendurch das Tablettiergut bedingt oder auch maschinen-bedingt sein. Im Folgenden sind nur einige besonders

a

Zeit

Kraft

○ Abb.9.7 Registrierung der Maximalkräfte zur Dosie-rungskontrolle bei Rundläufern mit einem Schnellschreiber(a = starke Dosisabweichung).

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23 Inhalanda, Aerosole

23.1 Inhalanda

Schon die Priesterin Pythia des Orakels von Delphi(800 v. Chr.) atmete betäubende Dämpfe ein, die auseiner Erdspalte im Apollontempel austraten, um sich inTrance zu versetzen. Dies ermöglichte erst die berühm-ten Orakelsprüche. Diese Vorhersagen endeten aller-dings 391 n. Chr., da alle „heidnischen“ Orakelstättenvon Kaiser Theodosius geschlossen wurden. DieBehandlung von Krankheiten der Atmungsorganedurch Inhalation ist sogar noch früher überliefert. Sofinden sich im Papyrus Ebers (1554 v. Chr.) bereits Hin-weise auf Inhalationen. Ein Inhalationsgerät zurBehandlung ist schon vonHippokrates (460–377) über-liefert.

Inhalanda liegen vor, wenn Wirkstoffe, entwedergelöst inWasser in Tröpfchenform oder als Trockensus-pensionen, meist mit Luft gemischt, über die Atmungs-organe dem Organismus zugeführt werden. Zuberei-tungen zur Inhalation sind flüssige oder feste Darrei-chungsformen, die als Dampf, Aerosol oder Pulver imRespirationstrakt angewendet werden, um eine lokaleoder systemische Wirkung zu erzielen. Die Ph.Eur.unterscheidet folgende Zubereitungen zur Inhalation:

󠀂 flüssige Zubereitungen zur Inhalation,󠀂 Flüssigkeiten zur Zerstäubung,󠀂 Zubereitungen in Druckgas-Dosierinhalatoren und󠀂 Pulver zur Inhalation.

Zu Narkosezwecken inhalierbare Gase fallen nichtunter diese Monographie.

23.1.1 Zubereitungen zur InhalationFlüssige Zubereitungen können heißem Wasser zuge-setzt und dann als Dampf inhaliert werden. Eine Über-führung in Aerosole durch geeignete Zerstäuber istauch möglich, führt jedoch nur zur Bildung größererPartikel, die nicht den Weg in die tieferen Bereiche derLunge finden.

Zur Erzeugung inhalierbarer Aerosole werden mit-tels unter Druck stehende Gase, Ultraschallvibrationenund weitere Methoden angewandt. Pulver zur Inhala-tion werden mit der Hilfe von Pulverinhalatoren verab-reicht.

23.2 Aerosole

23.2.1 AllgemeinesSind die zu applizierenden Arzneiformen nicht gasför-mig und lassen sich auch nicht einfach durch Verdamp-fen einatmen, so sind sie als Aerosol (im englischenSprachgebrauch: Spray) zu verabreichen. Unter einemAerosol ist ein disperses System aus Luft und darin ver-teilten kleinen festen oder flüssigen Teilchen zu verste-hen. Im ersten Fall handelt es sich um Staubaerosole(Rauch enthält feste und gasförmige Komponenten),und im letzteren um Nebelaerosole (Dampf enthältflüssige und gasförmige Komponenten).

Diese werden mit Hilfe von Zerstäubern auf dieSchleimhäute der Nase, des Mundes, des Rachens undder Luftröhre aufgebracht oder eingeatmet. Hauptan-wendungsgebiet sind allergische, chronisch obstruktiveoder entzündliche Atemwegserkrankungen (allergi-scher Schnupfen, Asthma bronchiale, chronische Bron-chitis, Mukoviszidose).

Entscheidend für das Erreichen des Zielgewebes inder Lunge und damit den therapeutischen Erfolg sindzwei Parameter: die Teilchengröße und die Geschwin-digkeit, mit der die Tröpfchen bzw. Partikel in den sichverästelnden Bronchialraum eingebracht werden. Sinddie Teilchen zu groß, lagern sich diese in den oberenLuftwegen ab. Zu kleine Teilchen werden dagegen nichtin der Lunge zurückgehalten, sondern wieder ausgeat-met. Ist die Geschwindigkeit der Teilchen zu groß, wer-den sie zum größten Teil in Rachen, Larynx und Tra-chea aufprallen. Wird eine minimale Einatmungsge-schwindigkeit nicht erreicht, kann oft dasInhalationsgerät nicht aktiviert werden.

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AblagerungsmechanismenFolgende Ablagerungsmechanismen werden unter-schieden (○Abb. 23.1):

Impaktion (Prallabscheidung). Abscheidung der gro-ßen und schnellen Partikel, die den Richtungsänderun-gen des Luftstromes nicht folgen, sondern sich aufGrund ihrer Trägheit und der einwirkenden Zentrifu-galkräfte geradlinig fortbewegen. Dadurch kommt es zueiner Abscheidung an Gabelungen oder Verengungen.Partikel über 10µm werden überwiegend im Mund-und Rachenraum, im Kehlkopf oder in den oberenBronchialästen durch Impaktion abgelagert.

Bei Sprays für den Nasen-, Mund- oder Rachenraumsollte die Teilchengröße deshalb >30µm sein, um zuverhindern, dass Wirkstoffe in die Lunge gelangen.Andere Verhältnisse liegen vor, wenn dieWirkstoffe diefeinsten Verästelungen der Lunge durch Einatmenerreichen sollen. Der optimale Teilchengrößenbereichliegt zwischen 0,5–5µm.

Sedimentation. Partikel imGrößenbereich von 1–5µmwerden, beeinflusst durch die Gravitationskraft, haupt-sächlich durch Sedimentation abgeschieden. Dies fin-det in den peripheren Lungenbereichen, den Bronchio-len, Alveolargängen und Alveolen statt und ist somitder erwünschte Mechanismus für die Aerosoldeposi-tion.

Diffusion. Aerosolpartikel unter 0,5µm werden durchdie Stöße der Gasmoleküle bewegt (Brown’sche Mole-kularbewegung). Bewegen sich die Teilchen als Kollek-tiv, so wird dies als Diffusion bezeichnet. Je kleiner dieTeilchen sind, desto effektiver ist die Abscheidungdurch Diffusion. Allerdings verweilen Teilchen <1µmlange in der Schwebe und werden daher zu einem gro-ßen Teil wieder ausgeatmet, wenn nach Applikation desSprühstoßes die Luft nicht lange genug angehalten wird.Da pharmazeutische Aerosole eine monodisperseGrößenverteilung nur sehr selten erreichen, findenmeist alle Ablagerungsmechanismen nebeneinanderstatt, und deshalb wird nur ein Teil des Aerosols an den

tatsächlich gewünschten Ort innerhalb des Respirati-onstrakts gelangen.

Neben dem wichtigsten Einflussfaktor, der Teilchen-größe, sind für die erfolgreiche Deposition Partikelge-schwindigkeit, Inhalationstechnik, Verweildauer derPartikel im Respirationstrakt und die Geometrie derAtemwege entscheidend. So können durch langsamereInhalation größere Teilchen in tiefere Regionen vor-dringen und durch Anhalten der Luft nach dem Einat-men die Abscheidung durch Sedimentation und Diffu-sion begünstigt werden.

AerosolapplikationAus diesen Faktoren leiten sich Anforderungen an dasAerosolapplikationssystem ab:

󠀂 möglichst großer Anteil an Partikeln unter 5µm,󠀂 konstante Dosierung,󠀂 hohe Dosiergenauigkeit,󠀂 keine Beeinflussung des Partikelspektrums durch

Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Lagerung und Inhala-tionstechnik,

󠀂 einfach und sicher bedienbar, transportabel, umwelt-freundlich, preiswert.

Man unterscheidet folgende Verfahren zur Aerosoler-zeugung:

󠀂 treibgashaltige Dosieraerosole,󠀂 Vernebelung von in Wasser gelösten Wirkstoffen

und󠀂 Trockenzerstäubung von pulverförmigen Wirkstof-

fen.

Die Zerteilung des Wirkstoffes zum Aerosol erfolgtdurch Dispersion beim Versprühen von Flüssigkeitenoder durch Zerstäuben von Feststoffen (Aufwirbeln vonStaubsedimenten, mechanische Bearbeitung festerStoffe). Andere Verfahren zur Erzeugung von Aeroso-len durch Kondensation (Abkühlen unter die Dampf-sättigung oder chemische Reaktion zwischen gasförmi-gen Phasen) haben für pharmazeutische Präparate nuruntergeordnete Bedeutung.

Treibgashaltige Dosieraerosole = pMDI (= „pressurizedmetered dose inhaler“). Der Wirkstoff befindet sichvorwiegend suspendiert, aber auch gelöst in Treibgas,in einer Druckgaspackung, aus der beim Öffnen einesVentils Substanz als Aerosol entweicht.

Verneblung von in Wasser gelösten oder suspendiertenWirkstoffen. Düsen- und Ultraschallvernebler werdeneingesetzt, um aus Wirkstofflösung oder -suspensionFlüssigkeitströpfchen freizusetzen, die inhalierbar sind.

Trockenzerstäubung von pulverförmigen Wirkstoffen =DPI (= „dry powder inhaler“). Hierbei werden pulver-

Diffusion

Sedimentation

Impaktion

○ Abb.23.1 Depositionsmechanismen

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förmigeWirkstoffe durch die Inhalation freigesetzt unddispergiert. Seit neuestem befindet sich auch ein Tro-ckeninhalator (Maghaler®) auf demMarkt, der das Pul-ver in situ durch Aktuierung einer Klinge erzeugt, dieeine genau dosierte Menge in einer bestimmten Teil-chengröße von der Oberfläche einer isobarisch ver-pressten Tablette abreibt.

23.2.2 Aerosolpackung, treibgashaltigeDosieraerosole

Durch Entwicklung geeigneter Treibmittel, Behältnisseund Dosiereinrichtungen ist es gelungen, feine Verneb-lungen und Zerstäubungen von Flüssigkeiten, Emulsio-nen und Suspensionen zu erzielen. Die Dosieraerosoleerfüllen die Anforderungen konstanter Dosierung,hoher Dosiergenauigkeit, keinerlei Beeinflussung desPartikelspektrums durch äußere Einflüsse und Inhalati-onstechnik in hohemMaße.

Die erste Aerosolpackung wurde 1956 von einemIngenieur entwickelt, dessen 13jährige Tochter, die anAsthma litt und ihren Vater fragte, warum sie statt demumständlichen und zerbrechlichen Balloninhalator ihrMedikament nicht so anwenden könnte wie ihr Haar-spray.

In den Aerosolpackungen liegt der Wirkstoff miteiner Flüssigkeit, die einen Siedepunkt unterhalb derZimmertemperatur aufweist, und dem Treibgas ineinem druckdichten Behältnis vor. In der Packungherrscht ein Überdruck. Durch Öffnen des Ventils wirdder Wirkstoff in Form einer Lösung oder feinst verteil-ten Suspension herausgepresst. Dabei verdampft dasLösungsmittel explosionsartig, und der Wirkstoff wirddispergiert. Die Aerosolwolke verlässt das Ventil miteiner sehr hohen Anfangsgeschwindigkeit (30–50m/s)und besteht aus Treibmitteltröpfchen und Wirkstoff-partikeln, die von Treibmittel umgeben sind. Diese Pri-märpartikel haben einen großen Durchmesser (30–50µm), der durch die Verdampfung des Treibgasesrasch abnimmt. Bedingt durch Verdunstungskälte undVolumenexpansion des Treibmittels kühlt die Aerosol-wolke stark ab.

Bei diesen treibgasgetriebenen Dosieraerosolen tre-ten zwei Probleme auf, die bei vielen Patienten, aber vorallem in der geriatrischen und pädiatrischen Patienten-population, für einen therapeutischen Misserfolg ver-antwortlich sind:

1. Durch die Größe der Partikel wird ein großer Anteilim Mund-Rachen-Raum abgeschieden. Dies kannzu Nebenwirkungen führen. Insbesondere bei Glu-cocorticoiden ist die Gefahr eines Mundsoorsbeträchtlich.

2. Die hohe Geschwindigkeit des Aerosols erfordert dieSynchronisation von Auslösung des Sprühstoßesund Inhalation durch den Patienten. Der Patient ist

hier oft überfordert, was wiederum zur Abscheidungdes Materials im Mund-Rachen-Raum führt. DerKältereiz kann zudem einen Reflexhustenreiz oderbei Asthmapatienten einen weiteren Asthmaanfallauslösen. Die Anwendung der Dosieraerosole erfor-dert somit eine eingehende Beratung und Einwei-sung des Patienten, denn ca. 70% der Patientenbegehen Anwendungsfehler und beeinträchtigen sodenTherapieerfolg.

Das Dosieraerosol wird zur Suspensionshomogenisie-rung vor der Anwendung geschüttelt. Der Patient atmetvollständig aus, umschließt das Mundstück mit denLippen und atmet langsam und tief ein. Dabei löst erden Sprühstoß aus und atmet weiter tief ein. Anschlie-ßend hält er die Luft möglichst 10 s an, um die Verweil-dauer der Partikel im Respirationstrakt zu erhöhen.Danach kann er normal ausatmen. Sprühkopf und Aus-lassöffnung müssen regelmäßig mit warmem Wassergereinigt werden. Zur Inhalation von glucocorticoid-haltigen Aerosolen sollte ein Spacer (s. weiter unten)verwendet und anschließend derMund ausgespült wer-den.

AnwendungsbeispieleIn Aerosolform applizierteWirkstoffe werden imAllge-meinen wegen der großen Lungenoberfläche über dieLunge außerordentlich schnell resorbiert. Sprays inDruckdosen haben darüber hinaus vielfache Anwen-dungsmöglichkeiten, insbesondere in der Kosmetik, imHaushalt und auf vielen technischen Gebieten gefun-den.

Inhalationsaerosole werden überwiegend zur topi-schen Behandlung von Bronchialerkrankungen einge-setzt. Sie besitzen eine lokale Wirkung auf die Schleim-häute der Luftwege oder auf die Bronchialmuskeln(antiasthmatische Aerosole). Hierbei werden zur Akut-therapie der Bronchialobstruktion β2-Mimetika oderAnticholinergika eingesetzt. Die antiinflammatorischeTherapie bei Asthma bronchiale wird durch inhalier-bare Steroide, wie Beclometason und Budenosid,erreicht.

Eine systemische Wirkung kann mittels Inhalationebenfalls erzielt werden, erleichtert doch die großeinnere Lungenoberfläche die Resorption. PulmonaleResorption wird beiWirkstoffen ausgenutzt, die imGas-trointestinaltrakt dem Abbau unterliegen oder dort nurschlecht resorbiert werden. Diese bisher selten durchge-führte Therapie könnte in Zukunft durch die Verarbei-tung von Peptiden an Bedeutung gewinnen. Mit Wirk-stoffen wie Ergotamintartrat, Insulin oder Octylnitritwird bereits eine – vorerst noch nicht kontrollierbare –systemischeWirkung nach Inhalation erreicht.

Aerosole zur kutanen Anwendung – hierzu zählenVerbandmittel (spray bandages), die die erkrankte Haut

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durch Ausbildung von elastischen Membranen voräußeren Einwirkungen schützen. DieMembranenmüs-sen sich innerhalb vonmaximal 30 s ausbilden undwas-serdampfdurchlässig sein, um eine normale Regenera-tion unter dem Verband zu sichern. Sie können mitWasser abwaschbar (Polyvinylpyrrolidon, Cellulose-derivate) oder nichtabwaschbar (Acrylharze) sein undgegebenenfalls Wirkstoffe wie Antibiotika oder Anti-septika enthalten. Besonders fürWunden, die mit tradi-tioneller Verbandtechnik schwer abzudecken sind(Wunden im Hals-, Gesichts-, Kopf-, Achselhöhlen-und Analbereich), eignen sich Aerosolverbände. Spezi-elle chirurgische Präparate enthalten Ester der 2-Cyan-acrylsäure, die bei Anwesenheit von Feuchtigkeitsspu-ren in kürzester Zeit polymerisieren und blutungs-stillende Filme erzeugen, die zu einem Verkleben vonWundrändern führen.

Die eigentlichen dermatologischen Aerosole umfas-sen antiseptische, antimykotische, antiphlogistische,antipruriginöse, antiallergische und zur BehandlungvonVerbrennungen dienende Präparate. Mit ihrer Hilfelassen sich Lösungen, Suspensionen, Schäume, Salbenund Puder auf die Haut aufbringen. Eine besondereGruppe von Aerosolen ist zur Anwendung in Körper-höhlen bestimmt, z.B. zur Behandlung der Mundhöhleund des Rachens (Infektionen), des Rektums (Juckreiz,Hämorrhoiden) und zur intravaginalen Anwendungen(Kontrazeptiva).

Schließlich werden Aerosole zur Oberflächenanäs-thesie, zu diagnostischen Zwecken sowie zu Desinfek-tion der Luft, des Operationsfeldes und des chirurgi-schen Instrumentariums eingesetzt.

BehältnisseDie Behältnisse stehen unter Druck und müssen natür-lich die im Inneren auftretendenDrücke aushalten (z.B.ist der durch HFA 134a im Behältnis aufgebaute Druck6,7 bar bei 25 °C). Als Behältnismaterialien findenunterschiedliche Werkstoffe Verwendung, die Vor- undNachteile aufweisen.

Verzinntes Blech (Weißblech) zählt wohl zu den amhäufigsten gebrauchten Materialien. Es ist haltbar undvon relativ geringem Gewicht. Wegen einer zu befürch-tenden Korrosion (Angriff durch saure und alkalischeAgenzien, gegebenenfalls kann Chlorwasserstoff ausdem Treibmittel abgespalten werden) durch das Treib-mittel ist eine Innenschutzlackierung erforderlich (ein-gebrannte Epoxidharze). Ein ausreichender Schutz sollauch durch Zusatz von Gelatine und anderen hochmo-lekularen Stoffen zu erhalten sein.

Schwarzblech ist zwar billiger, doch muss wegen desvon außen angreifenden Rostes und einer Korrosions-möglichkeit im Innern eine beiderseitige Schutzlackie-rung der Behälter durchgeführt werden.

Aluminium hat als Dosenmaterial eine weite Ver-breitung gefunden, allerdings unterliegt es in noch stär-keremMaße einer Korrosion. Die Dosen werden daherlackiert oder eloxiert (Aufziehen einer Aluminium-oxidschicht auf elektrolytischemWege).

Glas schätzt man wegen seiner weitgehenden Indif-ferenz. DieWanddicke ist allerdings entsprechend starkzu wählen, um den Überdruck im Behälter zu kompen-sieren. Im Übrigen ist eine Plastikumhüllung als Schutzgegen die bei einer Berstung auftretenden Splitter uner-lässlich.

Kunststoffe haben sich als Behältnismaterial bishernicht durchsetzen können. Voraussetzung ist, dasssowohl Druckbeständigkeit, Undurchlässigkeit gegen-über Gasen und Flüssigkeiten als auch Temperatursta-bilität gewährleistet sind.

Man unterscheidet ein-, zwei- und dreiteilige Dosen.Bei dreiteiligen Dosen wird das Blech zylindrischzusammengerollt und überlappend zusammenge-schweißt oder gelötet. Der nach innen gewölbte Bodenund der Deckel (Dom) werden angerollt. Bei zweiteili-gen Dosen wird das Blech tiefgezogen und der Bodendoppelt aufrolliert. Einteilige Dosen (Aluminium) wer-den aus einem Block fließgepresst (Monoblock). Hier-durch entfallen Nahtstellen. Die Volumina der Behält-nisse betragen 10–600ml.

VentilsystemeDas Ventilsystem besteht aus dem auf einemVentiltelleraufsitzenden Ventilgehäuse mit mechanischer Vorrich-tung, dem Steigrohr, das in die Sprayflüssigkeit hinein-ragt, und dem aufgesetzten Sprühkopf (○Abb. 23.2). Andas Ventilsystem werden besondere Anforderungengestellt. Dichtigkeit und exakte Arbeitsweise sind fürdie Aerosolpackung entscheidend. Das Material unddie erforderlichen Dichtungen müssen indifferentgegenüber dem Doseninhalt sein. Man bevorzugtKunststoffe (Nylon®, Niederdruckpolyethylen), für diein vielen Systemen vorhandene Feder rostfreien Stahl.Durch Betätigung des Ventils mittels Fingerdruck wirdein Kanal freigegeben, so dass das Treibmittel dieWirk-stofflösung durch das Steigrohr in den Sprühkopfdrückt und die Zerstäubung erfolgt. Entscheidend istaber, dass sich nach Betätigung des Ventils dieses wie-der unverzüglich automatisch schließt. Der Feinheits-grad des Sprühguts wird im Wesentlichen durch denDurchmesser der Ventilöffnung, durch den Druck unddurch den Bau des Sprühkopfs festgelegt. Eine Kunst-stoffkappe schützt das Ventil vor Beschädigung undverhindert ein unbeabsichtigtes Versprühen.

Bei der Applikation von Wirkstoffen soll oftmalseine bestimmte Dosierung gewährleistet sein. Hierzusind Spezialventile erforderlich, die eine Dosierkammerbesitzen und damit pro Sprühstoß die Dosis in dieserKammer abgeben. In ○Abb. 23.3 ist eine von mehreren

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verfügbaren Versionen eines solchen Dosierventilsys-tems skizziert: Im Ruhezustand steht die Sprayflüssig-keit im Vorratsbehältnis (1) in Verbindung mit dereigentlichen Dosierkammer (3). Eine Feder (2) hält denVentilschaft (ein dünnes Rohr, weiß gezeichnet) inRuheposition. Beim Auslösen des Sprühstoßes (durchDrücken auf die Dose, siehe Pfeil) wird zuerst dieDosierkammer durch die Verdickung am Ventilschaftgegen die (Vorrats-)Sprayflüssigkeit abgedichtet. Durchdas weitere Gleiten des Ventilschaftes taucht die bisheraußenliegende Öffnung (4) im Ventilschaft in dieDosierkammer (3) ein. So kann die Sprayflüssigkeit inder Dosierkammer in diese Öffnung und über den hoh-len Ventilschaft unter Druck in den Ventilkopf (5) unddamit in die Düse austreten. Nach Loslassen drückt dieFeder (2) wieder den Ventilschaft in die Ruhepositionund die Dosierkammer kann sich über das Vorratsver-hältnis wieder füllen.

Was passiert nun genau im Ventilkopf? Sobald dieunter dem hohen Druck der Dosierkammer stehendeFlüssigkeit in die Expasionskammer des Ventilkopfeskommt, beginnt die Flüssigkeit explosionsartig zu sie-den, da dort normaler Luftdruck herrscht. Das sich ent-wickelnde Gas drückt die restliche siedende Flüssigkeitin Richtung Ventilöffnung. Die auf diesem Weg durchScherkräfte entstehenden Flüssigkeitsligamente werdendann in der Ventilöffnung nach außen in kleine Tröpf-chen zerteilt (nähere Details ○Abb. 23.3).

Druckfüllen

Sprühen

Ruhestellung

○ Abb.23.2 Ventilsystem

○ Abb.23.3 Dosierventil-system(1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)(7)

Anfangsgeschwindigkeit:30m/s

Initiale Partikelgröße:20-30µm

Verdunstung und Abkühlung

Treibgas sieded in derExpansionskammerScherkräfte erzeugen

Ligamente

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Hilfsmittel zur Verbesserung der AnwendungZur Verbesserung der nicht ganz unproblematischenHandhabung der klassischen treibgashaltigen Dosiera-erosole wurden einige Hilfsmittel entwickelt.

Verlängerungsstücke (Spacer) sind röhrenartigeHohlkörper mit einem Volumen zwischen 50 und900ml, die auf das Mundstück aufgesteckt werden undso den Abstand zum Mund vergrößern. Zusätzlichkann sich ein Rückschlagventil an dem Mundstück desSpacers befinden. Innerhalb des Spacers sinkt dieGeschwindigkeit des Aerosols, sowohl die Impaktions-rate im Mund-Rachen-Raum als auch der Kältereizwerden vermindert und die Koordination von Auslö-sung des Sprühstoßes und Inhalation ist nicht so kri-tisch. Nachteilig sind die physikalische Größe dieserHilfsmittel sowie die mögliche elektrostatische Wirk-stoffdeposition am Spacer.

Atemzugsausgelöste Dosierventile setzen das Aerosolerst frei, wenn der inspiratorische Luftstrom durch denentstehenden Unterdruck einen Sperrmechanismuslöst (z.B. Autohaler®). Vor der Inhalation wird durcheinen Hebel Wirkstoff vordosiert und erst durch dasEinatmen aus dem Behältnis freigesetzt. Damit entfälltdie sonst notwendige Synchronisation der Inhalationmit dem Auslösen des Sprühstoßes.

Ein computergesteuertes Hilfsgerät (SmartMist®,Aradigm Corp.), in das konventionelle MDI eingesetztwerden können, erlaubt die Freisetzung einer Dosisnur, wenn die notwendige Atmungsfrequenz erreichtist. Das Gerät speichert die Anzahl der ausgelöstenDosen und die Dosierungsfrequenz und kann auch soprogrammiert werden, dass Dosen nur in Minimalin-tervallen abgegeben werden. Compliance und Auswer-tung klinischer Daten werden dadurch signifikant ver-bessert.

TreibmittelAllgemeinesVoraussetzung für die Verwendung von Treibmitteln istihre physiologische Unbedenklichkeit bei beabsichtig-ter oder auch unbeabsichtigter Inhalation bei der Her-stellung. Sie müssen eine gute Hautverträglichkeit auf-weisen. Auch dürfen beim Erhitzen keine toxischenProdukte entstehen. Ein Kriterium für die Verträglich-keit ist diemaximaleArbeitsplatzkonzentration (MAK).Der MAK-Wert gibt an, wieviel ppm (Volumenanteileauf 1Million Volumenteile oder cm3/m3) der Mischungwährend eines 8-Stunden-Tages und einer 5-Tage-Woche ohne Gesundheitsschäden auf Haut oderSchleimhaut bzw. beim Einatmen vertragen werden.Treibmittel müssen bei Raumtemperatur einen hohenDampfdruck besitzen und dürfen keine Wechselwir-kungen mit den Wirkstoffen und den Behälter- undVentilmaterialien eingehen. Sie sollen weder brennbarnoch explosiv sein. Die Treibmittel sollten eine gewisse

Löslichkeit imArzneilösungsmedium besitzen, um eineAufrechterhaltung des Binnendrucks und eine guteVersprühbarkeit zu gewährleisten. Treibmittel werdeneingeteilt in komprimierte und verflüssigte Gase.

Komprimierte GaseEs finden vor allem Stickstoff, Kohlendioxid und Dis-tickstoffoxid Verwendung.

Molekularer Stickstoff (N2). Indifferenz, Geschmacklo-sigkeit, geringer Preis und leichte Füllbarkeit derBehältnisse werden als Vorteile geschätzt. Nachteiligwirkt sich aus, dass sich das Gas in den Lösungsmittelnpraktisch nicht löst, eine feine Verneblung kaumerreichbar ist undwährend des Sprühvorgangs die Dosenicht waagerecht gehalten werden darf (sofortiges Ent-weichen des Stickstoffs). Stickstoff wird dagegen fürSalben- und Pasten-Druckgaspackungen verwendet.

Kohlendioxid. Auch Kohlendioxid ist relativ indiffe-rent, geschmacklos und preisgünstig. Von Vorteil istweiterhin seine Löslichkeit in den verschiedenstenLösungsmitteln wie Wasser oder Ethanol. Hierdurchfindet kein starker Druckabfall bei der Anwendungstatt. Der Sprüheffekt ist günstiger als bei Stickstoff.Wegen der relativ geringen Lösungsgeschwindigkeit istder Füllvorgang aufwändiger.

Verflüssigte GaseHierunter sind Flüssigkeiten mit sehr tiefem Siede-punkt zu verstehen, die bei Zimmertemperatur gasför-mig, im Aerosolbehältnis infolge der vorliegendenDruckverhältnisse teilweise verflüssigt sind. Es bestehtzwischen Flüssigkeit und Gas, die nebeneinander in derDose vorliegen, ein Gleichgewicht. Entweicht durcheinen Sprühstoß Gas, so wird dieses durch Phasenüber-gang von flüssig zu gasförmig wieder ergänzt. DieAnwendung solcher Verbindungen (Hydrofluorkohlen-wasserstoffe, niedere Kohlenwasserstoffe) garantiert aufdieseWeise einen konstanten Doseninnendruck bis zurLeerung. Alle Gase haben eine sog. Kritische Tempera-tur, über der das Gas nicht mehr verflüssigbar ist, son-dern einen überkritischen Zustand hat. Der Drucksteigt dann stark an, so dass z.B. CO2 mit einer Kriti-schen Temperatur von 31 °C deshalb als verflüssigtesGas nicht zu gebrauchen ist.

Niederkettige Kohlenwasserstoffe. n-Propan (Sdp.–42 °C, Druck bei Raumtemperatur etwa 0,8 MPa, 8bar) und n-Butan (Sdp. 0,5 °C, Druck bei Raumtempe-ratur etwa 0,25MPa, 2,5 bar) sind physiologisch indiffe-rent und billig. Von Nachteil sind die Brennbarkeit unddie Explosionsgefahr. Diese Kohlenwasserstoffe bewäh-ren sich jedoch in Mischung mit fluorierten Kohlen-wasserstoffen, zumal sie in dieser Kombination diegenannten Nachteile nicht mehr aufweisen.

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Fluorierte Chlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Unbrenn-barkeit undMischbarkeit mit aliphatischen und aroma-tischen Kohlenwasserstoffen und den meisten organi-schen Lösungsmitteln sind die Vorzüge fluorierterChlorkohlenwasserstoffe, die heute aber keine dominie-rende Rolle als Treibgase mehr spielen. Sie sind physio-logisch indifferent und weisen nur sehr niedrige Toxizi-tät auf. Mit steigendem Fluorgehalt und abnehmendemGehalt an Wasserstoff sinkt das Lösungsvermögen. Dergroße Nachteil von Fluorchlorkohlenwasserstoffen istihre Umweltschädlichkeit. Sie gelangen wegen ihrerchemischen Inertheit unbeschädigt bis in die Strato-sphäre; dort entstehen durch Sonneneinstrahlung radi-kalische Zerfallsprodukte. Diese zerstören allmählichdie Ozonschicht, die die Erde umgibt und sie vor inten-siver UV-Einstrahlung schützt. Zudem leisten sie einenhohen Beitrag zum Treibhauseffekt. Den sich hierausableitenden potenziellen Gefahren für die Menschheitund den Möglichkeiten ihrer Verhinderung gelten der-zeitige Forschungen. Das 1. Montrealer Protokoll von1987 sah vor, die FCKW-Produktion bis zum Jahr 1999um die Hälfte zu vermindern. Die EU-Staaten einigtensich auf eine Ausstiegsfrist bis zum 31. 12. 1995. DiesesZiel ist bis heute nicht vollständig erreicht. In Industrie-ländern werden FCKW inmedizinischenAerosolpräpa-raten noch in Ausnahmefällen (per Ausnahmegenehmi-gung) verwendet. Dies trifft vor allem auf pädiatrischeAnwendungen (Kinder bis 4 Jahren) zu. Global gese-hen, hat der Verbrauch von FCKW für Inhalanda zwarum ein Drittel abgenommen, dies ist aber weit wenigerals erwartet. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Einwichtiger ist, dass die Gesundheitssysteme in den Ent-wicklungsländern stark gewachsen sind und sich damitauch die Nachfrage nach Inhalatoren, die lokal oft aufder Basis von Dosieraerosolen hergestellt werden,erhöht hat. Eine neue Vereinbarung aus dem Jahr 2007sieht nun vor, dass es in den Industrieländern bis 2020und in den Entwicklungsländern bis 2030 kein FCKWmehr geben soll.

Dimethylether. Aus diesen Gründen gewinnen dieoben angeführten niederkettigen Kohlenwasserstoffetrotz ihrer Brennbarkeit wieder an Bedeutung. Alsbereits erprobter möglicher Ersatzstoff gilt weiterhinder umweltfreundlichere, da schnell abbaubare, mitWasser partiell mischbare Dimethylether, der allerdingsgleichfalls in reiner Form brennbar ist. Die Brennbar-keit lässt sich jedoch durch zugeführte Wasseranteileverringern.

Fluorkohlenwasserstoffe oder Hydrofluoralkane(HFA). Diese werden als Alternative zu FCKW einge-setzt und stellen seit 2006 die am meisten verwendetenTreibmittel in Inhalationsaerosolen dar. Durch die Sub-stitution des Chlors tragen sie nicht zum Abbau derOzonschicht bei, leisten wohl aber einen Beitrag zum

Treibhauseffekt. Ihre physikochemischen Eigenschaf-ten unterscheiden sich von denen der FCKW, so dassdie Umstellung der Produkte intensive Entwicklungsar-beiten, besonders an den Ventilsystemen erfordert. AlsTreibmittel kommen heute die Hydrofluorkohlenwas-serstoffe (HFKW) Apafluran (Heptafluorpropan, HFA227) und Norfluran (Tetrafluorethan, HFA 134a, HFC134a) zum Einsatz, die allerdings für die meisten Wirk-stoffe ein sehr schlechtes Lösungsverhalten zeigen. Des-halb müssen Co-Solventien wie z.B. Ethanol im Falleder Corticosteroide (Konzentration hier ca. 8%) zuge-setzt werden. BeiWirkstoffsuspensionenwerden außer-dem Hilfsstoffe wie Ölsäure, Sorbitantrioleat oder Leci-thin eingesetzt, die als Suspensionsstabilisatoren wieauch als Ventilschmiermittel dienen. Ein weiterer Vor-teil ist der kleinere mittlere Durchmesser der erzeugtenPartikel gegenüber den Partikelgrößen unter Verwen-dung von FCKWund eine geringere Austrittsgeschwin-digkeit (weniger Impaktion im Rachenraum).

23.2.3 MehrphasenaerosoleZweiphasenaerosolIst das verflüssigte oder gasförmige Treibmittel mit derWirkstofflösung mischbar oder liegt der Wirkstoff imverflüssigten Treibmittel gelöst oder suspendiert vor,liegt ein Zweiphasenaerosol vor (Gasphase, Wirkstoffim Treibmittel, ○Abb. 23.4A). Entscheidend für denFeinheitsgrad der Zerstäubung ist das Mengenverhält-nis Treibmittel zu Wirkstofflösung, der Dampfdruckdes Gemischs und die Löslichkeit des Treibmittels inder Wirkstoffmischung. Der als Gasphase vorliegendeAnteil des Treibmittels presst bei Zweiphasenaerosolen

A

B C

Gasphase

Gasphase

Arzneistoff-lösung

Treibmittel

Gasphase

Arzneistoff-lösung

Treibmittel

flüssige Phasemit gelöstemArzneistoff

○ Abb.23.4 Zwei- und Dreiphasenaerosol

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die flüssige Treibgasphase, in der der Wirkstoff gelöstoder suspendiert vorliegt, durch das Ventil. Durch eineschnelle Verdampfung erfolgt eine mehrhundertfacheVolumenvergrößerung und feinste Zerstäubung. DerWirkstoffanteil beträgt etwa 5–15%. Zur Herstellungvon Lösungen sind wegen der Mischbarkeit nur organi-sche Lösungsmittel anwendbar, insbesondere bewährensich Ethanol bzw. Ethanol-Wasser-Mischungen. BeiSuspensionen werden Teilchen von 2–5µm Durchmes-ser eingesetzt. Im Übrigen sind alle Kriterien dieserArzneiform zu beachten (Sedimentation, Aufrahmen,Teilchenvergrößerung). Ein Zusatz von Stabilisierungs-mittel kann erforderlich sein (Lecithin oder Ölsäure alsBenetzungsmittel).

DreiphasenaerosolIst die Wirkstofflösung in dem Treibmittel nicht odernur in geringem Ausmaß löslich, liegt ein Dreiphasena-erosol vor (Gasphase, Wirkstofflösung, flüssiges Treib-mittel). Ist die Dichte des verflüssigten Treibmittels grö-ßer als die derWirkstofflösung (z.B. Hydrofluoralkane),so bildet der flüssige Anteil des Treibmittels die unterstePhase (○Abb. 23.4C). In diesem Falle darf das Steigrohrnicht bis zum Boden der Sprühdose geführt sein. Leich-tere Kohlenwasserstoffe befinden sich oberhalb derWirkstofflösung (○Abb. 23.4B). Im letzteren Fall isteine sehr feine Aerosolisierung nicht gegeben. Da beiDreiphasensystemen das Treibgas nur zum Druckauf-bau dient und im Moment des Ausstoßens aus demBehälter ohne Einfluss auf die Versprühung ist, werdenspezielle Sprühköpfe mit mechanischer Durchwirbe-lung angewandt.

PuderaerosoleSie enthalten häufig Antibiotika oder Antimykotikaund haben weite Anwendung als Körper- und Fußspraygefunden. Ihre Formulierung bereitet in mehrfacherHinsicht Schwierigkeiten.

Die Feststoffe einschließlich der notwendigen Hilfs-stoffe (als Pudergrundlagen dienen modifizierte Stär-ken, Talkum, Kaolin) müssen auf eine Teilchengrößevon <30–40µm gebracht werden und in einer Flüssig-keit, die mit dem Treibmittel mischbar ist, homogenverteilt sein. Die Feststoffkonzentration beträgt im All-gemeinen nur 10–15%, umVentilverstopfungen zu ver-meiden. Der Treibgasanteil ist demnach bei Puderaero-solen sehr hoch (etwa 90%). Allerdings lässt sich durchweitere Teilchenreduzierung (Teilchengröße <10µm)der Feststoffgehalt steigern.

Bei hoher Feststoffkonzentration werden dem Füll-gut häufig Glas- oder Metallkugeln zur Verbesserungder Aufschüttelbarkeit beigefügt.

SchaumaerosoleSchaumaerosole bestehen im Allgemeinen aus einerO/W-Emulsion. Die dispergierte Phase wird von einemflüssigen Treibmittel, das in einer Lipidkomponente(pflanzliches Öl oder flüssiges Paraffin) gelöst vorliegt,gebildet. Als Emulgatoren dienen anionische oder nich-tionogene Tenside. Isopropylmyristat und -palmitatverbessern die Spreitbarkeit. Die Emulsion wird beimEntweichen aus einem speziellen Schaumventil, daswegen der Anwesenheit von Wasser im Füllgut einenbesonders korrosionsbeständigen Ventilträger besitzenmuss, durch die Expansion des in der inneren Phasegelösten Treibgases aufgebläht. In Abhängigkeit von derZusammensetzung ergeben sich stabile oder auch insta-bile wässrige Schäume.

Mit Hilfe der Treibgaskonzentration, die in Schaum-aerosolen in der Regel wesentlich niedriger liegt als beianderen Aerosolpräparaten (3–12%), und durch dieWahl des Emulgators lassen sich alle gewünschtenSchaumeigenschaften erzielen (da keine Versprühungvon Lösung in feinste Partikel erfolgt, ist die allgemeinübliche Bezeichnung Schaumaerosol nicht korrekt).

23.2.4 Füllen und Verschließen derBehältnisse

Komprimierte Gase müssen unter Druck eingefülltwerden. Bei verflüssigten Gasen bedient man sichzweier Verfahren. Bei der Kaltfüllung wird das unter-kühlte Treibmittel und Sprühgut als Flüssigkeit einge-führt, anschließend erfolgt das Verschließen der Dose.Zur Druckfüllung wird zunächst der zu versprühendeWirkstoff eingefüllt, die Luft entfernt und der Behältermit dem Ventil verschlossen. Die Druckgaspackung istjetzt fertig zusammengesetzt. Das unter Druck stehendeflüssige Treibmittel wird dann durch das Ventil einge-presst. Schließlich kann nach einemweiteren Verfahren(Under-the-cap-Füllung) das Behältnis mit Wirkstofflö-sung gefüllt und nach Anhebung des Ventils und Lufte-vakuierung das unterkühlte Treibmittel unter Druckzugegeben werden. Durch Aufsetzen des Ventils erfolgtder Verschluss.

23.2.5 Zweikammer-DruckgaspackungenDer Innenraum der Zweikammer-Druckgaspackungenwird durch einen flexiblen undurchlässigen Beutel(Hochdruckpolyethylen oder eine Aluminiumfolie) inzwei Kammern getrennt. Der Beutel wird mit dem Füll-gut beschickt, das Einpressen des komprimierten Gases(Stickstoff oder Luft) erfolgt über das Bodenloch, dasmit einem verformbaren Gummistopfen zu verschlie-ßen ist.

Beim Öffnen des Ventils übt das Treibgas auf denBeutel einenDruck aus, der das Füllgut aus der Packungpresst. In Abhängigkeit von Ventil und Sprühkopfsys-tem kann es zur Ausbildung eines Sprühnebels, eines

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Flüssigkeitsstrahls oder eines Salbenstrangs kommen.Da sich während der Entleerung der Dose das Volumendes Beutels verringert, sinkt der Betriebsdruck ab, sodass nach Leerung des Beutels nur noch ein Restdruckverbleibt.

Derartige Zweikammer-Druckgaspackungen habenden Vorteil, dass zwischen Füllgut, Behälter und/oderTreibgas keine Inkompatibilitäten zu befürchten sind.Dennoch werden sie die Flüssiggas-Aerosole nicht ver-drängen können, denn eine vergleichbare Feinheit derSprühteilchen und deren Konstanz wird nicht zu errei-chen sein. Ein anderer Nachteil ist der Kostenaufwanddurch erhöhten Materialeinsatz und komplizierteAbfülltechnologie. Sie eignen sich auch nicht zur Appli-kation von Pudern oder Schäumen.

23.2.6 VerneblerDie Verneblung von in Wasser gelösten oder suspen-dierten Wirkstoffen kann durch Druckluft oder Ultra-schall erfolgen. Das resultierende Partikelspektrum istin seiner Lungengängigkeit den Treibgas- und Pulvera-erosolen überlegen. Durch die geringe Wirkstoffkon-zentration ist jedoch eine Inhalationszeit von 10–20min notwendig. Diese Inhalationsart eignet sich fürschwere Asthmaformen und ist, bedingt durch die ein-fache Inhalationstechnik, auch für Kinder und Patien-ten mit Problemen bei der Atemzugskoordinationgeeignet. Es gibt sowohl stationär einsetzbare Geräte alsauch Kleinapparate für unterwegs. Diese sind natürlichimmer noch größer alsMDIs undDPIs. Unbedingt not-wendig ist Hygiene im Umgang mit den Geräten, sonstist das Infektionsrisiko sehr groß. Mundstück und Ver-neblerkopf müssen gereinigt werden. Die einsetzbarenArzneiformen beschränken sich auf mikrobiologischeinwandfreie, wässrige, isotonische und pH-neutraleLösungen oder Suspension.

Düsenvernebler. Seit längerer Zeit finden zur Zertei-lung von Lösungen einfache Geräte Verwendung, beidenen ein kräftiger Luftstrom über die Öffnung einesKapillarröhrchens geleitet wird, durch das die Lösunggesaugt wird (Prinzip Parfümzerstäuber). Bei Handzer-stäubern aus Glas (Nebulisator) wird der Luftstromdurch Zusammendrücken eines Gummiballs oderdurch Pumpen (Pumpzerstäuber) erzeugt. Neuere stati-onäre Geräte zur Aerosoltherapie sind mit Druckluftarbeitende Vernebler, die einen Anteil von über 50% imoptimalen Größenbereich (1–5µm) erzeugen können.Druckluft wird über eine Düse beschleunigt und reißtWirkstofflösung durch Kapillaren mit (Bernoulli-Effekt), die dabei dispergiert wird. Eine hinter der Düsebefindliche Prallplatte dient zusätzlich der Zerkleine-rung. Besondere Sperrvorrichtungen sorgen dafür, dassnur die kleinsten Partikel entweichen, während die grö-ßeren in das Reservoir zurückfließen und erneut verne-belt werden können.Während der Inhalation kommt es

zur starken Verdunstung. Bedingt durch die Verduns-tungskälte, führt dieses System zu einem kühlen Aero-sol und einer Konzentrierung der Wirkstofflösung.

Ultraschallvernebler. Ein Piezokristall wird durchhochfrequente Wechselspannung zu Schwingungenangeregt, die über ein Überträgermedium auf dieWirk-stofflösung übertragen werden und aus ihr feinste Flüs-sigkeitströpfchen freisetzen, aber auch die Flüssigkeitdabei erwärmen. Neuere Geräte (z.B. Omron®) sindauch recht transportabel. Allerdings sind diese Systemenicht für Suspensionen geeignet.

Einstoffdüsenvernebler. Dieses System (Respimat®Softhaler) kommt völlig ohne Energiequelle oder Luft-strom aus. Durch Drehen des Gehäuseunterteils wirdeine Feder stark gespannt, die dann einen Druck von250 bar aufbauen kann. Ein Kapillarrohr leitet die Arz-neistofflösung von der wechselbaren Kartusche (4ml)in die Dosierkammer (15µl). Nach Drücken des Auslö-sers wird die Arzneistofflösung aus der Dosierkammerdurch eine Spezialdüse (Zweistrahlimpaktionsdüse)gepresst, die dadurch einen sehr feinen Nebel (Partikel-größe hauptsächlich kleiner 5,8µm) erzeugt. WeitereVorteile sind die lange Sprühzeit (1,2 sec gegenüber 0,2sec bei Dosieraerosolen; geringere Austrittsgeschwin-digkeit (0,8m/s gegenüber ca. 6–30m/s bei Dosieraero-solen und daraus resultierend eine geringere Impaktionim Rachenraum. Dies führt zu einer ca. 3fach höherenLungendeposition.

23.2.7 PulverinhalatorenAllgemeinesPulverinhalatoren setzen das Aerosol durch den Inhala-tionsvorgang frei, wobei die Energie für die Dispergie-rung durch den inspiratorischen Fluss gewonnen wird.Diese Art der Aerosolerzeugung stellt besondere Anfor-derungen an die Pulververarbeitung. Um lungengän-gige Partikelgrößen zu erzeugen, muss das Pulver mik-ronisiert werden. Die extreme Zerkleinerung der Teil-chen führt dabei zu einer Zunahme der Oberfläche undder Oberflächenenergie der Partikel. Dadurch kommtes zur Bildung von Agglomeraten, die schlecht fließfä-hig und nicht lungengängig sind und deshalb desagglo-meriert werden müssen. Dazu dienen besondere Bau-teile der Pulverinhalatoren (Ventilator, Verwirbelungs-kanäle). Die nötige Energie wird auch hierfür durch deninspiratorischen Fluss zugeführt. Es ergeben sich dar-aus folgende Nachteile des Pulverinhalators:

󠀂 der inspiratorische Fluss des Patienten muss ausrei-chend groß sein, um ein lungengängiges Partikel-spektrum zu erzeugen,

󠀂 das Pulver verliert durch Feuchtigkeit seine feineVerteilung und muss deshalb davor durch aufwän-dige Verpackung geschützt werden.

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Verbesserungen der Dosierung können durch folgendeSchritte erreicht werden:

󠀂 Interaktive Pulvermischungen enthalten einen iner-ten, wesentlich gröberen Trägerstoff, an den sich dermikronisierte Wirkstoff anlagert. Dadurch werdendie Anziehungskräfte der mikronisierten Partikeluntereinander durch wesentlich schwächere Bindun-gen zum Träger ersetzt. Während der Inhalation ver-bleibt der Träger im Mund-Rachenraum, der Wirk-stoff löst sich ab und gelangt in den gewünschten Teildes Respirationstrakts. Als geeigneter Hilfsstoff giltα-Lactose-Monohydrat, dessen Kristalle eine glatteOberfläche besitzen. β-Lactose hingegen hat einestrukturierte Oberfläche; deshalb werden hier dieadhärierten Wirkstoffpartikel schlechter beim Flugvon der Düse in den Rachenraum freigesetzt.

󠀂 Kontrollierte Agglomeration überführt den mikroni-sierten Wirkstoff in größere Einheiten, die nicht zurAgglomeration neigen und während der Dosierungin die ursprüngliche Größe zerfallen (Turbohaler®,Astra Zeneca, ○Abb. 23.5).

Elektromechanische, d. h. batteriebetriebene Impeller,die via eingeatmete Luft bzw. die Einatmungsgeschwin-digkeit aktiviert werden, verbessern die verfügbareDosis und die Dosiergenauigkeit (Spiros®, Dura).

EinzeldosissystemeDiese Pulverinhalatoren enthalten immer nur eineWirkdosis, die sich in einer Hartgelatinekapsel befin-det. Im Bedarfsfall wird die Kapsel angestochen und das

Pulver inhaliert. Dabei wird das Pulver innerhalb desInhalators dispergiert. Geräteabhängig handelt es sichumPropellersysteme (Spinhaler®) oder Verwirbelungs-kanäle. Je nach Wirkstoffmenge ist ein Träger notwen-dig. Der Dosisanteil an Pulver, der die Kapsel verlässtund dispergiert werden kann, ist sehr variabel (30–60%) und beeinflusst dementsprechend die Dosier-genauigkeit.

Einzeldosierte MehrdosensystemeWiederverwendbare Systeme. Hier kann der Pulverin-halator mit mehreren Einzeldosen gleichzeitig bestücktwerden, das Pulver kann in Kapseln (Inhalator M®)oder Blistern (Diskhaler®) abgepackt vorliegen. Kap-seln und Blister werden nach Entleerung ersetzt.

Einmalsysteme. Der Pulverinhalator Diskus(○Abb. 23.5) enthält das Pulver in einem Blisterbandmit 60 Einzeldosen, das aufgerollt im Inhalator vorliegt.Über einen Transportmechanismus wird das Bandtransportiert, das obere Blisterband entfernt und je eineDosis vor den Luftkanal bewegt. Der entleerte Teil desBlisters wird erneut aufgerollt. Die noch enthaltenenDosen können über ein Zählwerk abgelesen werden.Nach Entleerung des Blisters muss der gesamte Inhala-tor weggeworfen werden.

MehrdosensystemeDer Pulverinhalator enthält eine Pulvermenge für 200Einzeldosen in einem Vorratsbehälter. Dabei kann dasPulver über ein Dosierrad durch Druck auf das Oberteilin den Inhalationskanal dosiert werden (Easyhaler)oder durch einmaliges Hin- undHerdrehen des Dosier-rades am unteren Teil des Inhalators dosiert und in denVerwirbelungskanal transportiert werden (Turbohaler,○Abb. 23.6).

Eine der neueren Entwicklungen ist derMAGhaler®.Er wird bestücktmit einer Ringtablette, in der dieWirk-substanz (Budesonid oder Salbutamol, Respicort® oderSalmundin® MAGtab®) mit dem Trägerstoff Lactosehochkomprimiert verpresst ist. Wird das Gerät ausge-löst, schneidet eine gehärtete Keramikfräse eine defi-nierte Menge an der Oberfläche dieser Tablette ab.Diese nun wieder pulverisierte Dosis kann mittels denbeschriebenen Geräteprinzipien inhaliert werden.

23.2.8 Mikrobiologische AnforderungenAerosole müssen eine hohe mikrobielle Reinheit auf-weisen. Für Präparate, die in der Chirurgie oder Oph-thalmologie Anwendung finden, wie auch für Wund-und Verbrennungsverbände, wird Sterilität gefordert.Die Erzielung der Sterilität ist bei Aerosolen recht kom-pliziert. Hier können zwei Methoden eingesetzt wer-den: Die einzelnen Bestandteile, d. h. Behältnis, Ventil,Wirkstoffe, werden einzeln sterilisiert und die Packung

Daumengriff

geöffnete Ansicht geschlossene Ansicht

Doppelblister-schnecke miteinzelnverpacktenDosen

abgezogeneVerschlussfolie

Aufrollsystem fürden leeren Streifen

Ladehebel

Mund-stückAerosol

○ Abb.23.5 Der Diskus® (Glaxo Wellcome GmbH & Co,Hamburg)

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unter aseptischen Bedingungen gefüllt. Die Packungkann aber auch unter Beachtung eines hohen Reinheits-grades gefüllt und anschließend das vollständige Präpa-rat sterilisiert werden (z.B. γ-Strahlen). Bei der WahlderMethode ist die Art derDichtungen und der Schutz-hüllenmaterialien sowie der Resistenzgrad des Lackesund des Wirkstoffs zu berücksichtigen.

23.2.9 Prüfungen und gesetzliche Bestim-mungen

Für Zubereitungen in Druckbehältnissen und zur Inha-lation sind umfangreiche Prüfungen vorgeschrieben.Sie erstrecken sich auf die einzelnen Bestandteile, aufden Doseninhalt und auf das fertige Produkt. Beson-ders hervorgehoben seien die Prüfungen der Behält-nisse auf Dichtigkeit und Verunreinigungen durchFremdpartikel.

Die Behältnisse werden auf Innendruckbelastbarkeit(mindestens 1 MPa, 10 bar), auf Qualität und auf Voll-ständigkeit der Innenlackierung und der Ventile (Größeder Bohrung, Formbeständigkeit, Funktionstüchtig-keit, Dichtigkeit) untersucht. Bei der Stabilität desWirkstoffes ist bei MDI besonders zu beachten, dass dieFCKWundHFA eine sehr gute Löslichkeit für O2 besit-zen, dessen Konzentration bei der Eingangskontrollebestimmt werden muss.

Die gefüllten Behälter unterliegen einer Innen-druck-, Fall- und Dichtigkeitskontrolle. Mehrere Prü-fungen betreffen die Brennbarkeit der fertigen Pro-dukte, Sprühtests sichern die Funktionstüchtigkeit, wei-tere Tests überprüfen das Druckhaltevermögen, dieDosierung und die Feinheit der Zerstäubung. Nacheinem Fall des Druckbehältnisses aus 2,5m Höhe darfes keine Beschädigungen daran geben. Schließlich sindPrüfungen auf physiologische Verträglichkeit (Hautrei-zung, Reizung der Nasen-, Rachen- und Augenschleim-häute) erforderlich.

Zur Verhinderung von Brand- und Explosionsschä-den durch Spraydosen existieren Sicherheitsbestim-mungen für den Transport und die Lagerung. Darüberhinaus sind gegebenenfalls besondere Kennzeichnun-gen undHinweise auf den Dosen anzubringen: Behältersteht unter Druck, nicht über 50 °C erwärmen (bei 50 °Cbildet sich z.B. mit HFA 134a ein Druck von 11 bar im

Behältnis auf, die Kritische Temperatur beträgt 122 °C);nicht gewaltsam öffnen oder beschädigen; vor direkterSonneneinstrahlung schützen; nur in völlig entleertemZustand wegwerfen; auch leere Behälter nicht ins Feuerwerfen (Explosionsgefahr); nicht in die offene Flammeoder auf heiße Flächen sprühen (Bildung toxischer Zer-setzungsprodukte).

Die Ph.Eur. lässt die Größe der zu inhalierendenAerosolteilchen (Aerodynamische BeurteilungPh.Eur. 2.9.18, ▸Kap. 3.3.4), die Gleichförmigkeit derDosis und die Anzahl der Sprühstöße je Behältnis prü-fen. Neben dem Twin-Impinger (Gerät A der Ph.Eur.,▸Kap. 3.3.4) findet besonders in der Industrie der Kas-kadenimpaktor Anwendung (○Abb. 3.22), da hier ingewissem Rahmen die Physiologie der Atmungswegesimuliert wird.

Aerosol

Mundstück

Dosier-einheit

abgeteilteDosis

Inhalations-kanal

Wirkstoff-behälter

Behältermit Tro-ckenmittel

○ Abb.23.6 Der Turbohaler (Astra Zeneca)