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Vom Elektron Zum Higgs-Teilchen_Leseprobe

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Als die Physiker im zwanzigsten Jahrhundert die Welt der kleinsten Teilchen erkundeten, fanden sie nicht nur die Bauteile des Atoms, die Elektronen, Neutronen und Protonen, sondern einen wahren Zoo unterschiedlichster Teilchen, in dem es keine Ordnung zu geben schien. Erst in den 1960er Jahren erkannte man, dass die meisten Teilchen aus einigen wenigen Bausteinen zusammengesetzt sind, die man als Quarks bezeichnete. Aus dem unübersichtlichen Teilchenzoo wurde eine Liste von gerade einmal zwölf Grundbausteinen. Etwa zu gleichen Zeit entwickelte man die Quantenfeldtheorien, die Quantenelektrodynamik (QED) und Quantenchromodynamik (QCD), um die schwache und elektromagnetische bzw. starke Wechselwirkung zwischen den Teilchen zu erklären. Mit Hilfe der Supersymmetrie und der String-Theorie versucht man heute, auch die Gravitation als Quantenfeldtheorie zu beschreiben, doch bisher werfen diese Theorien mehr Fragen auf, als sie Antworten liefern.Immerhin konnte von den Experimentatoren am CERN vor kurzem bestätigt werde, dass der Higgs-Mechanismus die korrekte Antwort auf die Frage ist, wieso Teilchen überhaupt eine Masse besitzen. Diese kleine Einführung in die Teilchenphysik spannt den Bogen von der Entdeckung des Elektrons bis zur Entdeckung des Higgs-Teilchens.

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    Vom Elekron zum Higgs-

    Teilchen

    Kurt Martin

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    Copyright 2015 Kurt Martin, Red Horse, Mnchen Red Horse sind: Peter Hauser, Kurt Martin und Jack Eden

    Email: [email protected]

    http://www.facebook.com/pages/Red-Horse/148020228618240 All rights reserved.

    Das komplette Buch kann hier gefunden werden:

    http://www.amazon.de/dp/B00YISBA1S

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    1. EINLEITUNG

    2. DAS ATOM

    2.1. Der Aufbau des Atoms

    2.2. Radioaktivitt

    2.3. Der Tunneleffekt

    3. DER TEILCHENZOO

    3.1. Detektion von Elementarteilchen

    3.2. Der Zoo der Elementarteilchen

    3.3. Three quarks for Muster Mark

    4. WECHSELWIRKUNGEN

    4.1. Quantenfelder

    4.2. Symmetrie

    4.3. Die Grundkrfte

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    5. EXOTISCHE TEILCHEN

    5.1. Das Graviton

    5.2. Dunkle Materie

    5.3. Symmetrie und Strings

    5.4. Das Higgs-Teilchen

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    1. Einleitung Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Wissenschaftler, sich mit der Welt des Allerkleinsten, den Bausteinen unserer Materie, zu beschftigen. Ursprnglich ging man davon aus, dass die Beschreibung der Bausteine unserer Materie allenfalls eine Erweiterung der bekannten, heute als klassisch bezeichneten Physik bedeuten wrde. Doch schnell stellte sich heraus, dass in der Welt der Bausteine unserer Materie eine vllig neue und bis heute in vielen Teilen noch unverstandene Physik herrscht, die Quantenmechanik. Die Quantenmechanik war entstanden, weil man das Verhalten von Elektronen kleinen, negativ geladenen Teilchen, die Teil des Atoms sein mussten beschreiben wollte. Ernest Rutherford hatte in seinen berhmten Streuexperimenten mit Alpha-Teilchen an einer Goldfolie gezeigt, dass ein Atom kein gleichmiges Gebilde war, sondern dass sich im Zentrum des Atoms ein kleiner, positiv geladener Kern befand, der von Elektronen umgeben war. Wie sich die Elektronen auf ihren Bahnen halten konnten ohne in den positiv geladenen Kern zu fallen, war mit den damals bekannten Gesetzen der Physik jedoch nicht zu verstehen. Die Entdeckung des Elektrons hatte die Tr in eine neue Welt geffnet. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte man sich schwer damit getan, die Existenz von Atomen zu akzeptieren, kleinen Teilchen, aus denen unsere Materie bestehen sollte. Viele gingen noch davon aus, dass die Materie eigentlich ein Kontinuum war, das man in beliebig kleine Stcke teilen konnte. Dann stellte sich im Jahr 1897 mit der Entdeckung des Elektrons heraus, dass diese Unteilbaren (sie bersetzung des

    griechischen Worts atomos) gar nicht so unteilbar waren, sondern aus weiteren Elementarteilchen bestanden.

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    Damit noch nicht genug: In der Folgezeit entdeckte man, dass viele Atome auch nicht stabil waren, sondern sich in andere Atome umwandeln; die Radioaktivitt war entdeckt. Bei der weiteren Untersuchung der Welt des Allerkleinsten stie man auf weitere Elementarteilchen. Das Proton und Neutron formen den Kern der Atome, geheimnisvolle Neutrinos entstehen beim Betazerfall, und zu allem berfluss schien jedes Elementarteilchen auch noch ein Anti-Teilchen zu besitzen. Als wre das noch nicht genug, fand man bei der Untersuchung der kosmischen Strahlung, einer Strahlung, die aus den Weiten des Weltalls auf unsere Atmosphre trifft, Dutzende weitere Teilchen wie das Pion, Myon oder Kaon. Die Welt der Elementarteilchen wurde zu einem unbersichtlichen Zoo. Erst in der zweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts gelang es, Ordnung in diesen Zoo zu bringen. Man stellte die Theorien der Quantenfelder auf, die nicht nur die Teilchen, sondern auch die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen beschrieben. Zudem verstand man, dass die meisten Teilchen des Teilchenzoos aus nur sechs Quarks zusammengesetzt sind. Gemeinsam mit dem Elektron, den schweren Partnern des Elektrons, dem Myon und Tau-Teilchen, und den dazugehrigen Neutrinos bilden diese zwlf Teilchen die Bausteine der Materie, zu denen sich nur eine Handvoll Austauschteilchen gesellen, die fr die Wechselwirkung zwischen den Teilchen verantwortlich sind. Der Zoo der Elementarteilchen war damit bersichtlich geworden. Allerdings sind die mathematischen Formeln, die man whlen muss, um die Physik zu beschreiben, nun alles andere als anschaulich. Und der Aufwand, die von der Theorie vorhergesagten Teilchen zu finden, wird immer grer. So hat es fast fnfzig Jahre gedauert, das schon in den 1960er Jahren vorhergesagte Higgs-Teilchen zu finden. Die Teilchenbeschleuniger, die man dafr braucht, kosten mehrere Milliarden Euro. Die Physik ist jedoch wie jede Naturwissenschaft auf das Zusammenspiel zwischen Theorie und Experiment angewiesen. Erst eine Theorie, die die wissenschaftlichen Daten erklrt, schafft es, Ordnung in unsere Welt zu bringen, sie uns

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    verstndlich zu machen. Und erst Experimente, die eine Theorie besttigen, geben uns Sicherheit, dass die Theorie, dass unsere Erklrung der Welt, auch wirklich sinnvoll ist. Da die Physik nur so sinnvolle Ergebnisse liefern kann und sicherstellen kann, dass eine Theorie nicht nur ein Hirngespinst ist, sondern die Realitt tatschlich beschreibt sehen einige Physiker die Entwicklung der modernen Teilchenphysik mit Sorge. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, eine Theorie von Allem zu entwickeln, eine Theorie, die die vier Grundkrfte der schwachen, starken und elektromagnetischen sowie der Gravitation beschreibt. Dabei geht man davon aus, dass die Natur supersymmetrisch ist und die Teilchen keine Teilchen sind, so wie man sie bisher verstand, sondern Strings, also Fden. Seit Jahrzehnten beschftigen sich Hunderte von theoretischen Physikern mit dieser Aufgabe. Doch bis heute ist es nicht gelungen, eine Theorie aufzustellen, die diesen Namen wirklich verdient, die berprfbar ist und Vorhersagen macht, die ber das Bekannte hinausgehen. So nimmt die String-Theorie an, dass wir in einer Welt mit neun Raumdimensionen leben. Da wir jedoch ganz offensichtlich in einer Welt leben, die nur drei Raumdimensionen hat, nimmt man weiter an, dass die zustzlichen Dimensionen so klein sind, dass wir sie nicht wahrnehmen knnen. Damit hat man das Problem der berzhligen Raumdimensionen zwar elegant umschifft, doch heute hat die String-Theorie es nicht geschafft, physikalische Zusammenhnge zu erklren, die im Standardmodell nicht erklrbar wren, und es war ihr bisher auch noch nicht mglich, Vorhersagen zu treffen, die man berprfen knnte. Zudem gibt es genau genommen nicht eine String-Theorie, sondern mehrere. Weshalb viele Physiker davon ausgehen, dass die String-Theorie noch nicht der Weisheit letzter Schluss sei, sondern diese nur eine Annherung einer umfassenderen Theorie sei, die als M-Theorie bezeichnet wird, und nun sogar zehn Raumdimensionen bentigt. Die M-Theorie ist reine Spekulation, doch die Membranen dieser Theorie werden heute schon in vielen

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    populrwissenschaftlichen Bchern als Realitt dargestellt. Aber niemand hat auch nur eine Ahnung, ob diese Spekulation die Realitt auch nur im Entferntesten beschreibt. Deshalb hlt manch ein Physiker die String-Theorie nicht fr eine Theorie, sondern fr Zeitverschwendung, fr eine metaphysische Spekulation, die uns nicht helfen wird, die Welt wirklich zu verstehen. Es scheint fast, als htte manch ein String-Theoretiker sich von der Eleganz der Mathematik verfhren lassen und dabei die Physik aus den Augen verloren. Aber ganz stimmt es nicht, dass die String-Theorie sich nicht berprfen lsst. Da die moderne String-Theorie auf der Supersymmetrie beruht, muss sie auch eine Vorhersage der Supersymmetrie erfllen: Danach gibt es zu jedem Teilchen, das wir kennen, einen sogenannten Superpartner, ein bis auf den Spin und die Masse identisches Teilchen. Die Masse ist allerdings so gro, dass wir den Superpartner in unserer Welt nicht wahrnehmen. Wir knnten ihn allenfalls in modernen Teilchenbeschleunigern erzeugen, wie man dies gerade im CERN in Genf versucht. Bisher war die Suche nach diesen Superpartnern jedoch nicht erfolgreich. Anders war dies beim Higgs-Teilchen, welches vor kurzem vom CERN gefunden werden konnte. Fr die Formulierung der Theorie erhielten Peter Higgs und Franois Englert dann im Jahr 2013 den Nobelpreis fr Physik.

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    2. Das Atom

    2.1. Der Aufbau des Atoms

    Unsere Welt weist zahllose, verschiedene Materialen auf. Metalle unterscheiden sich von Kunststoffen oder Holz, Seide unterscheidet sich von Steinen. Doch woraus besteht ein Stein oder ein Stck Eisen eigentlich? Wenn man es immer feiner zerlegt was findet man dann vor? Die Menschen der Antike nahmen an, dass alle Substanzen letztlich aus vier Elementen zusammengesetzt seien, eine Theorie, die wahrscheinlich auf den im 5. Jahrhundert vor Christus lebenden griechischen Philosophen Empedokles zurckgeht. Diese Elemente waren Erde, Wasser, Luft und Feuer. Je nachdem, wie viel eine Substanz von einem Element enthielt, war sie entweder leichter oder schwerer, hrter oder biegsamer, widerstandsfhiger oder leichter verbrennbar. Da sich die vier Elemente beliebig miteinander vermischen konnten, konnten sie beliebig viele Substanzen erzeugen und beliebig viele Substanzen gab es ja auch. Zeitgleich mit Empedokles lebte in Griechenland der Philosoph Demokrit, der eine andere Auffassung vertrat. Seiner Meinung nach bestand die Materie aus kleinsten, unteilbaren Einheiten, die er Atome nannte. Es gab eine unbegrenzte Anzahl unterschiedlicher Atome fr die unterschiedlichen Substanzen, die dann, indem sie sich miteinander verbinden, die verschiedenen Krper bilden, die uns umgeben. Allerdings schien die Vorstellung, es gbe Tausende unterschiedliche Elemente, die letztlich kleinen Krnern glichen, unglaubwrdiger als Empedokles Vorstellung, die Welt setze sich allein aus vier Elementen zusammen. Jedenfalls geriet Demokrits Idee von den Atomen wieder in Vergessenheit.

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    Erst zum Beginn der Renaissance befassten sich die Menschen wieder genauer mit der Frage, woraus sich die Stoffe, die uns umgeben, eigentlich zusammensetzen. Der Antrieb dieser Alchemisten war die Suche nach dem Stein der Weisen, einer Substanz, die Blei in Gold umwandeln konnte, von der einige aber auch annahmen, dass sie das ewige Leben versprach. Dabei entdeckten sie, dass man einige Substanzen nicht weiter zerlegen konnte, wie etwa Eisen, Kupfer, Kohlenstoff oder Gold. Der britische Naturforscher Robert Boyle verffentlichte im Jahr 1661 ein Buch mit dem Titel The Sceptical Chymist (Der skeptische Chemiker), welches als Geburtsstunde der modernen Chemie gilt. In diesem Buch definierte er ein Element als einen Reinstoff, der mit chemischen Methoden nicht weiter zerlegt werden kann. Alle Versuche, Kohlenstoff oder Gold weiter zu zerlegen, scheiterten, so dass es sich bei diesen beiden Substanzen zum Elemente handeln musste. Allerdings war immer noch nicht klar, woraus ein Element letztlich bestand. War es nur eine kontinuierliche Masse, die man immer weiter zerlegen konnte? Augenscheinlich schien dies der Fall zu sein. Denn nahm man ein Stck Kohlenstoff und schnitt es in immer kleinere Teile, dann waren diese kleinen Teile immer noch ein Stck Kohlenstoff, welches bis auf ihre Gre dem ursprnglichen Stck Kohlenstoff glich. Ein Element schien also in sich vllig homogen zu sein. Diese Ansicht nderte sich erst, als sich um 1800 der englische Meteorologe John Dalton fr die Chemie zu interessieren begann. Bei seinen Studien wunderte er sich ber ein merkwrdiges Verhalten chemischer Verbindungen. So hatten Chemiker vor ihm gezeigt, dass Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzt ist. Dabei ist der Sauerstoff immer achtmal so schwer wie der Wasserstoff. Wasserstoffperoxid

    ( ) besteht ebenfalls aus Wasserstoff und Sauerstoff, allerdings ist das Massenverhltnis von Sauerstoff zu Wasserstoff hier 16:1. hnliches beobachtete man bei anderen Verbindungen. Schwefel

    kann sich mit Sauerstoff zu Schwefeldioxid ( ) oder

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    Schwefeltrioxid ( ) verbinden. Die Massenverhltnisse von Schwefel zu Sauerstoff sind im Fall des Schwefeldioxids 1:1, im Fall des Schwefeltrioxids 2:3. Egal, welche Verbindungen man untersuchte, die Massen der beteiligen Elemente standen in einem ganzzahligen Verhltnis zueinander, wie John Dalton feststellte. Die Tatsache, dass die Massenanteile der Elemente in allen chemischen Verbindungen gleicher Elemente in einem ganzzahligen Verhltnis zueinander stehen, wurde von Dalton als Gesetz der multiplen

    Proportionen bezeichnet. Wenn aber ein Element eine beliebige, nicht definierte Ausdehnung hat (da es kontinuierlich verkleinert werden kann), dann sollte es auch eine beliebige Masse haben. Dann wre es aber schon ein ziemlicher Zufall, dass die Massen bei allen beobachteten chemischen Reaktionen in einem ganzzahligen Verhltnis zueinander stehen. Was mochte der Grund dafr sein? Dalton hatte die Antwort: Die Elemente haben eben keine beliebige Ausdehnung, sondern sie bestehen aus kleinsten, unteilbaren Teilchen, den Atomen, die fr jedes Element eine genau bestimmte Gre und Masse haben. Damit hatte er Demokrits Theorie wiederentdeckt, allerdings beschrnkte Dalton die Existenz der Atome auf Elemente, whrend Demokrit noch davon ausgegangen war, dass jeder Stoff aus einer eigenen Art von Atomen bestand. Die Vielzahl der Stoffe entsteht, weil sich die Atome der Elemente miteinander verbinden. Da sie eine feste Gre und damit eine feste Masse haben, stehen auch ihre Gewichte innerhalb der Verbindung in einem ganzzahligen Verhltnis zueinander. So beobachtet man bei Wasser das Verhltnis von Sauerstoff zu Wasserstoff von 8:1, weil der Sauerstoff sechszehnmal schwerer als ein Wasserstoffatom ist, es aber ein Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatome braucht, um ein Wasser-Molekl zu erhalten. Mit Daltons Gesetz der multiplen Proportionen sprach viel dafr, dass die Gase und alle anderen Stoffe um uns herum letztlich aus Atomen zusammengesetzt sind. Diese Theorie hat nur einen Nachteil: Man konnte sie nicht direkt beweisen; denn

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    wie wollte man Atome sichtbar machen? Deshalb waren viele Forscher lange nicht berzeugt, dass es Atome wirklich gab, sondern dass sie allenfalls eine nette Hypothese waren, um einige Experimente zu erklren. Das nderte sich, als Anfang des 20. Jahrhunderts ein Schweizer Patentprfer eine berzeugende Erklrung fr ein Phnomen vorlegte, welches als Brownsche Bewegung bekannt war. Bei der Bronwschen Bewegung handelte es sich um ein Phnomen, welches der schottische Botaniker Robert Brown im Jahre 1827 beobachtet hatte. Er hatte entdeckt, dass sich Pollen auf der Wasseroberflche bewegten (er war wahrscheinlich nicht der erste, der dies beobachtet hatte, er war allerdings der erste, dem dies als bemerkenswert auffiel): Kleine Pollenkrner, die auf der Wasseroberflche schwammen, bewegten sich scheinbar zufllig in jede Richtung. Anfangs dachte Brown noch, dass dies ein Ausdruck der Lebenskraft der Pollen sei, die sie als lebendige Organismen (oder Teilen davon) besitzen mussten; er glaubte also, dass die Pollen sich aus eigener Kraft bewegten. Als guter Wissenschaftler machte Brown aber einige Experimente, um seine Theorie zu berprfen. So streute er auch Staubteilchen unterschiedlicher Art auf das Wasser und konnte beobachten, dass auch die Staubteilchen sich hnlich wie die Pollen bewegten (siehe Abbildung 1). Der Staub war jedoch anorganischer Natur und besa definitiv keine Lebenskraft. Also waren es nicht die Teilchen, die sich bewegten, sondern irgendetwas bewegte die Teilchen. Schon im 19. Jahrhundert vermutete man, dass die ominsen Wasserteilchen daran schuld sein konnten. Vielleicht bewegten sich die Wasserteilchen, stieen auf die Staubteilchen und Pollen und brachten sie so dazu, sich zu bewegen. Allerdings gelang es niemandem, eine mathematische Beschreibung dieses Phnomens vorzulegen, die das Verhalten der Teilchen genau beschrieb.

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    Dies sollte erst im Jahr 1905 geschehen, als der damals noch beim Schweizer Patentamt arbeitende Albert Einstein einen Artikel verffentlichte, in dem er die Brownsche Bewegung berzeugend durch Ste der Wasserteilchen erklrte und dabei einen Wert fr die mittlere Weglnge herleitete, der gut mit dem Experiment bereinstimmte. Sptestens nach dieser Arbeit war die Existenz von Atomen und Moleklen, also kleinsten Einheiten der Materie, allgemein anerkannt (im selben Jahr verffentlichte Einstein noch einen Artikel, indem er bewies, dass Licht aus Teilchen besteht, und einen anderen, in dem er seine spezielle Relativittstheorie vorstellte mehr grundlegende Erkenntnisse hat kein anderer Forscher in seinem ganzen Leben verffentlicht, weshalb man dieses Jahr auch als annus mirabilis (wunderbares Jahr) bezeichnet). In den 1960er Jahren erreichten Elektronenmikroskope dann eine Auflsung, die gro genug war, einzelne Atome aufzulsen. Zum ersten Mal konnte man Atome damit sehen nun konnte wirklich niemand mehr an ihrer Existenz zweifeln.

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    Im 18. und 19. Jahrhundert beschftigte sich die Physik intensiv mit der Elektrizitt. Im 19. Jahrhundert begann man, die ersten Maschinen zu bauen, die durch einen elektrischen Strom angetrieben wurden. Auch den Strom stellte man sich anfangs als ein Kontinuum vor, eine Art eine Flssigkeit, die durch einen Leiter fliet (daher noch der Ausdruck, dass der Strom fliet). Im Jahr 1874 schlug der irische Physiker George Hohnstone Stoney vor, dass auch der elektrische Strom aus kleinen Teilchen bestehe. Er prgte gemeinsam mit dem deutschen Physiker Hermann von Helmholtz den Namen Elektron fr den Trger der elektrischen Ladung, nach dem griechischen Begriff fr Bernstein, einem Material, an dem man schon frh elektrostatische Phnomene beobachtet hatte. Der Nachweis, dass es dieses hypothetische Teilchen wirklich gab, gelang dem britischen Physiker Joseph John Thomson im Jahr 1897 bei der Untersuchung der Kathodenstrahlen. Die Kathodenstrahlen waren im Jahr 1879 vom britischen Physiker William Crookes entdeckt worden. Er hatte untersucht, ob auch ein Vakuum noch den elektrischen Strom leiten wrde. Dabei hatte er Elektroden in einen Glaskolben eingebracht und diesen evakuiert. Die elektrisch negative geladene Elektrode (die Kathode) wurde erhitzt, und tatschlich konnte Crookes ein Leuchten beobachten, welches sich zur positiv geladenen Elektrode (der Anode) hin ausbreitete. Thomson legte nun elektrische und magnetische Felder an die Kathodenstrahlrhre an und konnte zeigen, dass die Strahlen von beiden Feldern abgelenkt wurden, dass sie also aus elektrisch geladenen Teilchen bestehen mussten. In einem zweiten Schritt zeigte Thomson nun, dass das Verhltnis aus Ladung und Masse fr alle diese Teilchen gleich ist und zudem unabhngig von dem Material, aus dem man die Kathode hergestellt hatte. Da es unwahrscheinlich erschien, dass mehrere Teilchen dasselbe Verhltnis aus Ladung und Masse hatten, schloss Thomson daraus, dass es sich bei allen Kathodenstrahlen in Wirklichkeit um ein einziges Teilchen handeln msste, die von Stoney postulierten Elektronen.

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    Abbildung 2 zeigt den schematischen Aufbau der Kathodenstrahlrhre, die Thomson fr seinen Versuch benutzt hat. Die Teilchen werden in der Kathode erzeugt und ber eine Spannungsdifferenz zu einem vor der Kathode angebrachten Schlitz beschleunigt. Sie fliegen durch ein Vakuum (damit sie nicht durch Teilchen der Luft abgelenkt werden) und erreichen die beiden Platten eines Kondensators, zwischen denen ein elektrisches Feld besteht. Von diesem Feld werden die Teilchen abgelenkt und treffen dann auf einen Leuchtschirm, der im Auftreffpunkt aufleuchtet, womit man den Endpunkt des unsichtbaren Teilchens leicht lokalisieren kann.

    Aus der Bahn des Teilchens kann man dann bei bekannten Feldstrken das Verhltnis aus Ladung und Masse bestimmen. Im Jahr 1909 gelang es dann den amerikanischen Physikern Robert Millikan und Harvey Fletcher die Ladung des Elektrons zu bestimmen. Dazu brachten sie kleine, geladene ltrpfchen in ein homogenes elektrisches Feld zwischen zwei Platten. Die Schwerkraft zog die ltrpfchen nach unten, das elektrische Feld zog die ltrpfchen nach oben. Stellte man das elektrische Feld genau so ein, dass die ltrpfchen schwebten, dann konnte man ber das Gewicht der Trpfchen (die Gre der Trpfchen war bekannte), die elektrische Ladung der Trpfchen bestimmen. Wiederholte man Versuch mehrmals, so zeigte sich, dass die Ladung auf den ltrpfchen das Vielfache der Elementarladung

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    war (das Minuszeichen zeigt an, dass die Elementarladung negativ ist, siehe Abbildung 3).

    Nun wusste man also zum Beginn des 19. Jahrhunderts, dass das Atom alles andere als unteilbar war. Zumindest musste es noch ein Elektron enthalten. Aber wie sollte das Atom dann aussehen? Der Entdecker des Elektrons, Thomson, schlug ein Atommodell vor, bei dem negative und positive Ladungen miteinander vermischt waren. Das Atom sollte einem Rosinenkuchen (englisch: Plumpudding) hneln, in dem der Teig die positive Ladung und die Rosinen die negative Ladung darstellten. In der Summe wrden sich die Ladungen neutralisieren, das Atom wre also wie beobachtet neutral. Auerdem wrde die Nhe der unterschiedlich geladenen Teilchen zueinander, so hoffte Thomson, dafr sorgen, dass die gleichartig geladenen Teilchen sich nicht abstoen und das Atom auseinanderstrebt (siehe Abbildung 4).

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    Im Jahr 1909 fhrte der britische Physiker Ernest Rutherford ein Experiment durch, bei dem er kleine, positiv geladene Teilchen (die beim radioaktiven Zerfall auftretenden Alphateilchen) auf eine dnne Goldfolie schoss. Die meisten Teilchen flogen durch die Folie hindurch. Dies hatte Rutherford auch erwartet, da man den Rosinenkuchen des Thomson-Modells als gleichmig verteilte aber nicht allzu fest Masse annahm. Erstaunlich war jedoch, dass eine Teilchen gestreut wurden, manche gar so extrem, dass sie wieder zurckflogen (siehe Abbildung 5).

    Dieses Verhalten der Alphateilchen konnte man nur dadurch erklren, dass die Alphateilchen an einem extrem massiven Hindernis gestreut worden waren, welches allerdings nur einen kleinen Teil des Atoms einnahm. Rutherford nahm deshalb an,

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    dass das Atom aus einem sehr kleinen, harten Kern aufgebaut ist, und eine groe, sehr dnne Hlle hat. Der Kern war positiv geladen, die Elektronen negativ. Ursprnglich stellte sich Rutherford das Atom wie ein Planetenmodell vor, mit dem positiven Kern als Sonne in der Mitte und den Elektronen als Planeten, die den Kern umkreisen. Doch die Quantenmechanik zeigte uns, dass diese Vorstellung zu einfach ist. Stattdessen halten sich die Elektronen nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der Elektronenhlle auf, die den Kern umgibt. Die Frage war nun, woraus dieser positive Kern bestand. Die Antworte lieferte Rutherford gleich selber. Bei einem im Jahr 1919 durchgefhrten Experiment beschoss er Stickstoff mit Alphateilchen. Dabei entstanden Sauerstoff und ein weiteres Teilchen. Fing man dieses Teilchen ein, so fand man schlielich Wasserstoff vor. Rutherford nahm also an, dass dieses Teilchen der Kern des Wasserstoffs war (welcher nach einiger Zeit ein Elektron aus der Atmosphre aufnahm und ein Wasserstoffatom bildete). Er stellte die Annahme auf, dass der Wasserstoffkern ein fundamentaler Baustein aller Atomkerne sei, und nannte ihn Proton. Damit war sein Experiment folgendermaen abgelaufen: Er bombardierte ein Stickstoffatom mit sieben Protonen mit einem Alphateilchen, welches zwei Protonen enthlt, und erhielt ein Sauerstoffatom mit acht Protonen und einem freien Proton (dem Kern des Wasserstoffatoms). Die einzelnen Atome unterschieden sich also in der Zahl der Protonen im Kern. Dieses Bild brachte aber das Problem mit sich, dass Atomkerne kaum stabil sein konnten, besonders nicht Atome mit vielen Protonen; denn gleiche Ladungen stoen sich ab. Rutherford nahm deshalb an, dass es noch neutrale Teilchen im Atomkern geben msse, die quasi als Puffer zwischen den Protonen wirkten. Er nannte diese Teilchen Neutronen. Sie sollten nicht nur erklren, wieso ein Kern trotz der abstoenden Kraft zwischen den Protonen stabil war, sondern auch, wieso die Elemente schwerer waren, als nach der Anzahl der Protonen zu erwarten gewesen wre (die Elektronen haben

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    nur ein 1836-stel der Masse eines Protons und knnen deshalb in erster Nherung vernachlssigt werden). Man htte sich die Neutronen auch als Gemisch aus Protonen und Elektronen vorstellen knnen, die zusammen die Masse eines Neutrons htte und ebenfalls elektrisch neutral wren. Doch quantenmechanische Rechnungen zeigten, dass die Masse eines Elektrons nicht auf den extrem kleinen Bereich des Kerns beschrnkt sein konnte. Neutronen mussten also eigenstndige, neue Teilchen sein. Die deutschen Physiker Walther Bothe und Herbert Becker entdeckten 1931, dass einige leichte Elemente wie Beryllium eine neue Art von Strahlung erzeugten, wenn sie mit Alphateilchen beschossen wurden. Die Strahlung war elektrisch neutral, weshalb man erst davon ausging, dass es sich um die vom radioaktiven Zerfall bekannte Gammastrahlung handelte. Gammastrahlung ist eine hochenergetische elektromagnetische Strahlung. Allerdings drang die Strahlung, die Bothe und Becker beobachteten, viel tiefer in Materie ein, als Gammastrahlung dies gewhnlich tat. Im Jahr 1932 konnten das franzsische Forscherpaar Irne und Frdric Joliot-Curie sogar zeigen, dass diese Strahlung Protonen aus wasserstoffhaltigen Substanzen wie Paraffin schlagen konnte. Man kannte zwar den photoelektrischen Effekt, bei dem Licht Elektronen aus Metall schlagen kann, aber Protonen sind knapp 2000mal schwerer. Es schien deshalb unvorstellbar, dass es sich bei dieser geheimnisvollen Strahlung um eine elektromagnetische Strahlung handeln konnte. James Chadwick, ein Mitarbeiter Rutherfords, sah sich diese Strahlung genauer an. Er machte zahlreiche Versuche mit unterschiedlichen Materialen, und konnte zeigen, dass ein Photon unmglich der Grund dafr sein konnte, dass Protonen aus den Substanzen herausgeschlagen wurden. Stattdessen konnte man die Experimente ganz einfach erklren, wenn man annahm, dass ein Teilchen mit derselben Masse wie das Proton auf das Proton traf. Da es zudem elektrisch neutral war, war die Existenz des Neutrons nachgewiesen.

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    Die Beobachtung von Bothe und Becker erklrte Chadwick dadurch, dass sich ein Berylliumatom, welches mit einem Alphateilchen beschossen wurde, in ein Kohlenstoffatom umwandelte, wobei ein Neutron abgegeben wurde. Mit der Entdeckung des Neutrons hatte man dann die drei Bausteine der Atome gefunden. Frs erste.

    2.2. Radioaktivitt

    Wir haben schon Alphateilchen und Gammastrahlung erwhnt, die den Nuklearphysikern der ersten Stunde als Hilfsmittel dienten, um die Geheimnisse des Atoms zu klren. Diese Teilchen wurden eher zufllig entdeckt und zeigten den Physikern, dass die Atome nicht so unteilbar waren, wie man gedacht hatte. Im Jahr 1896 untersuchte der franzsische Physiker Antoine Henry Becquerel die Fluoreszenz von Uran. Bestrahlte man Uran mit Sonnenlicht, dann leuchtete dieses Element auch noch, wenn man die Proben in den Schatten brachte. Als das Wetter schlechter wurde, verstaute er das Uran und die photographischen Platten, mit denen er die Fluoreszenz aufnehmen wollte, fr mehrere Tage in einer Schublade. Eher zufllig entwickelte er die photographischen Platten dann doch, obwohl er sie gar nicht belichtet hatte. Zu seiner berraschung musste er feststellen, dass sie belichtet waren. Offensichtlich war von dem Uran eine Strahlung ausgegangen, die die photographischen Platten belichtet hatte. Die polnische Physikerin und Chemikerin Marie Curie machte sich ein Jahr spter daran, diese eigenartige Beobachtung Becquerels mit ihrem Mann Pierre Curie zu untersuchen. Sie stellte fest, dass die Strahlung des Urans die Luft ionisierte. Dies gelang ihr mit einem einfachen Plattenkondensator, der sich in Anwesenheit von Uran recht schnell entlud (siehe Abbildung 6). Dabei stellte sie fest, dass die Entladung des Kondensators, und damit auch die Strahlung des Urans, nicht vom Druck abhing,

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    den man auf das Uran ausbte, oder von der Temperatur, auf die das Uran geheizt wurde, sondern allein von der Menge an Uran, die zur Verfgung stand. Die Strahlung war allein eine Eigenschaft der Uranatome.

    Die Curies benutzten fr dieses Phnomen als erste den Begriff Radioaktivitt. In den nchsten Jahren entdeckten die Curies weitere radioaktive Elemente wie das Polonium und das Radium. Ernest Rutherford wandte sich 1898 der Untersuchung der Strahlung zu, die bei der Radioaktivitt entstand (fr diese Untersuchungen sollte er 1908 den Nobelpreis fr Chemie erhalten ein Jahr, bevor er anfing sich mit dem Aufbau der Atome zu beschftigen). Rutherford fand zwei unterschiedliche Strahlungsarten, die unterschiedliche Materialien unterschiedlich tief durchdringen konnten. Er bezeichnete diese Strahlen einfach als Alpha- und Betastrahlung (nach den beiden ersten Buchstaben des griechischen Alphabets), wobei Betastrahlung die Materie strker durchdringt als Alphastrahlung. Die sterreichischen Physiker Stefan Meyer und Egon Schweidler konnten mit dem deutschen Chemiker Friedrich Giesel im Jahr 1899 zeigen, dass Alphastrahlen positiv und Betastrahlen negativ geladen sind. Dies gelang ihnen mit Hilfe magnetischer Felder, in denen die Strahlen in unterschiedliche Richtungen abgelenkt werden. Grund ist die Lorentz-Kraft, die

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    senkrecht zur Ebene wirkt, die von der Bewegungsrichtung des Teilchens und dem Magnetfeld aufgespannt wird. Positiv und negativ geladenen Teilchen werden dabei in genau die entgegengesetzte Richtung abgelenkt (siehe Abbildung 7).

    Der franzsische Physiker Paul Villard entdeckte im Jahr 1900 eine dritte Strahlung, fr die Rutherford sogleich die Bezeichnung Gammastrahlung vorschlug (nach dem dritten Buchstaben des griechischen Alphabets). Praktischerweise passte diese neue Strahlung auch in seine Abfolge der Durchdringungstiefe: Gammastrahlen dringen noch tiefer in Materie ein als Betastrahlen. Alphastrahlen konnte man wie ein Gas aufsammeln. Sie verloren mit der Zeit ihre Ladung (bzw. nahmen Elektronen auf, um neutral zu werden), und man konnte sie spektroskopisch untersuchen. Dabei zeigten sie dieselben Spektrallinien wie Helium. Bei Alphastrahlen musste es sich also um Heliumkerne handeln, wie Rutherford 1908 zeigte. Betastrahlen verhielten sich im Magnetfeld wie Elektronen, weshalb man diese mit Elektronen identifizierte. Im Jahr 1934 entdeckten Irne und Frdric Joliot-Curie, dass es auch radioaktive Ereignisse gab, bei denen Positronen, die Anti-

    Teilchen des Elektrons, entstanden. Analog zu den -Strahlen

    nannte man diese Strahlen -Strahlen.

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    Etwas lnger dauerte es, bis die Gammastrahlen ihr Geheimnis preisgaben. Im Jahr 1914 konnte Rutherford mit seinem Kollegen Edward Andrade zeigen, dass Gammastrahlen an Kristallen gebeugt werden. Da man dies bisher nur von elektromagnetischer Strahlung kannte, wurde dies als Beweis dafr angesehen, dass es sich bei Gammastrahlen um elektromagnetische Strahlung mit einer noch etwas kleineren Wellenlnge als Rntgenstrahlung handelte (de Broglie verffentlichte seine Hypothese, dass auch Teilchen Welleneigenschaften zeigen knnten, erst 10 Jahre spter, Rutherfords Schlussfolgerung erwies sich aber dennoch als korrekt). Man hatte also Atome, die Strahlung aussendeten. Man kannte

    sogar die drei Strahlungsarten (wenn man - und -Strahlung zusammenfasst), die bei der Radioaktivitt ausgesendet werden konnten. Doch was passierte eigentlich im Atom, damit die Strahlung entstand? Rutherford vermutete schon 1903, dass die Radioaktivitt entstand, weil sich ein Element in ein anderes umwandelt. Schon drei Jahre vorher hatte er bemerkt, dass die Aktivitt eines Radionuklids in gleichen Zeitrumen um den gleichen Faktor abnimmt. Dies war seiner Meinung nach nur dadurch erklrbar, dass die ursprngliche Zahl der radioaktiven Atome abgenommen hatte, d.h. die radioaktive Aktivitt korreliert direkt mit der Anzahl der Atome.

    Hat man also Atome eines Radionuklids, und ndert sich ihre

    Anzahl in der Zeit mit der Zerfallskonstante , dann kann man die Tatsache, dass sie zeitliche nderung der Anzahl proportional zur Anzahl ist, mathematisch als

    schreiben (das Minus drckt aus, dass die Anzahl der Atome

    abnimmt). Diese Differentialgleichung fr die Funktion

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    kann man einfach durch eine Exponentialfunktion lsen, da diese ihre eigene Ableitung ist. Man hat also Lsung:

    Hierbei ist die ursprngliche Zahl der radioaktiven Atome. Die Zahl radioaktiver Atome nimmt also exponentiell ab.

    Die Halbwertszeit ist definiert als die Zeit, zu der nur noch

    die Hlfte der Atome vorhanden ist. Es gilt also fr

    . Setzt man dies ein, dann erhlt man:

    Nach aufgelst hat man:

    Der Faktor ist fr jedes Isotop anders und muss experimentell bestimmt werden. Ein Element wird durch die Zahl der Protonen bestimmt. Die Zahl der Neutronen kann jedoch fr ein Element unterschiedlich sein, man spricht dann von unterschiedlichen Isotopen eines Elements. Um die einzelnen Isotope zu unterscheiden, schreibt man die Zahl der Protonen unten vor das Elementsymbol, die Gesamtzahl der Nukleonen (Neutronen und Protonen) oben vor das Elementsymbol. So hat das hufigste und stabile Kohlenstoffisotop sechs Neutronen,

    und sein Symbol ist: . Daneben gibt es noch ein radioaktives

    Kohlenstoffisotop mit acht Neutronen, sein Symbol ist: . Diese unterschiedlichen Isotope sorgen auch dafr, dass die Atommasse eines Elements nicht eine ganze Zahl ist, bezogen auf die Masse des Wasserstoffs (also beispielsweise zwlf Mal der Masse des Wasserstoffs fr Kohlenstoff). Denn will man die Masse eines Elements bestimmen, dann bestimmt man die Masse

  • 26

    eines Isotop-Gemischs, so wie es in der Natur vorkommt. Die Atommasse, die man im Periodensystem findet, ist die Durchschnittsmasse aller Isotope gewichtet mit ihrer Verteilung.

    Da recht selten vorkommt, ist die Masse des Kohlenstoffs 12,011-mal der Masse des Wasserstoffs. Die Halbwertszeit sagt aus, wann sich die Anzahl der radioaktiven Atome halbiert hat. Sie kann je nach Isotop bei einigen Mikrosekunden oder Millionen von Jahren liegen. Allerdings ist es nicht so, dass sich nach zwei Halbwertszeiten alle Atome aufgelst haben. Nach der ersten Halbwertszeit liegt noch die Hlfte der Atome vor, nach der zweiten Halbwertszeit liegt noch die Hlfte dieser Hlfte vor, also ein Viertel der Atome. Die Radioaktivitt einer Substanz klingt deshalb nur langsam ab und es dauert oft mehrere Halbwertszeiten, bis sie ein ungefhrliches Niveau erreicht hat (siehe Abbildung 8).

    Nach und nach gelang es den Chemikern, die beim radioaktiven Zerfall entstandenen neuen Elemente zu identifizieren. Der

  • 27

    polnische Chemiker Kasimir Fajans und der britische Chemiker Frederick Soddy stellten mit diesem Wissen 1913 die sogenannten radioaktiven Verschiebungsstze auf, die sagten, wie man von einem radioaktiven Element durch einen Alpha- oder Betazerfall (der Gammazerfall nderte nichts, da kein Teilchen ausgesandt wurde) zum neuen Element kam. Nachdem man verstanden hatte, dass ein Atomkern sich aus Protonen und Neutronen zusammensetzt, konnte man diese empirisch gewonnenen Verschiebungsstze auch erklren. Um die radioaktiven Verschiebungsstze anzuwenden, trgt man die Isotope in einer Nuklidkarte auf. Die x-Achse zeigt die Neutronenzahl, die y-Achse die Protonenzahl. Die Isotope eines Elements befinden sich damit auf einer Parallelen zur x-Achse (da ja die Protonenzahl gleich bleiben muss). Bei einem Alphazerfall verliert ein Atom einen Heliumkern, also zwei Protonen und zwei Neutronen. Das neue Isotop befindet sich also vom ursprnglichen aus gesehen zwei Zeilen unterhalb und zwei Pltze zur Linken. Bei einem Betazerfall wandelt sich ein Neutron in ein Proton und ein Elektron um. Der neue Kern hat damit ein Proton mehr und ein Neutron weniger. Das neue

    Isotop findet sich links oben vom ursprnglichen. Beim -Zerfall wandelt sich ein Proton in ein Positron und ein Neutron um, das Isotop verliert also ein Proton und gewinnt ein Neutron, das neue Isotop befindet sich unten rechts (siehe Abbildung 9).

  • 28

    Nach und nach wandeln sich so verschiedene Elemente ineinander um. Es gibt in der Natur drei natrliche Zerfallsreihen, die von einem Ausgangselement nach etwa einem Dutzend Zerfallsschritte bei einem stabilen Isotop landen. Man bezeichnet sie mit dem Namen und der Massenzahl (also der Zahl der Nukleonen) des Ausgangselements. So gibt es die Uran-238-Reihe, die beim stabilen Isotop Blei-206 landet, die Uran-235-Reihe, die beim stabilen Isotop Blei-207 landet, und die Thorium-232-Reihe, die bei Blei-208 landet. Eine wichtige Anwendung des radioaktiven Zerfalls besteht in der Bestimmung des Alters von Gesteinen. Die unterschiedlichen Gesteinsarten auf unserer Erde setzen sich aus bestimmten Elementen zusammen. Diese Elemente weisen natrlich auch radioaktive Isotope auf, die mit der Zeit zerfallen und neue Elemente bilden, die eigentlich nicht in das Kristallgitter des Gesteins passen. Aus der Menge dieser Fremdkrper und den Halbwertszeiten der ursprnglichen Elemente kann man rckschlieen, wie alt das Gestein ist. Kennt man dann das Alter des Gesteins, dann wei man auch, wie alt ein Fossil ist, welches man in einer bestimmten Gesteinsschicht gefunden hat. So kommt man darauf, dass das Leben auf unserer Erde schon seit Hunderten Millionen von Jahren existiert. Das Alter von relativ jungen Artefakten kann man mit der bekannten Radiokarbonmethode bestimmen. Wie schon

    erwhnt, hat der Kohlenstoff die stabile Form und die

    radioaktive Form . Daneben gibt es noch eine weitere stabile

    Form, . Auf 100 C-12-Atome kommt ungefhr ein C-13 Atom, auf eine Billion C-12-Atome kommt ein C-14-Atom. Die Halbwertszeit des C-14 betrgt etwa 5730 Jahre. Die radioaktive Form des C-14 wird in der oberen Atmosphre permanent neu gebildet. Die kosmische Strahlung trifft auf die Atome der oberen Atmosphre und setzt dabei Neutronen frei. Das hufigste Atom in der Atmosphre ist das N-14-Atom (Stickstoff hat einen Anteil von 78% an unserer Atmosphre). Trifft das Neutron auf einen N-14-Atom, dann kann dieses

  • 29

    eingefangen werden, wobei ein Proton abgespalten wird. Es entsteht C-14:

    Die Bildung des C-14 ist ber die Jahre weitestgehend konstant. Ein lebender Organismus baut neben C-12 auch C-14 in seinen Krper ein. Das C-14 zerfllt dann zwar ber einen Betazerfall in

    , wird aber durch neue C-14-Atome ersetzt, so dass die Verteilung zwischen C-14 und C-12 konstant bleibt. Stirbt ein Organismus jedoch, dann wird kein neues C-14 mehr eingebaut. Der C-14-Anteil sinkt also mit der Zeit. ber das Verhltnis von C-12 zu C-14 kann man damit das Alter einer pflanzlichen oder tierischen Probe bestimmen, aufgrund der kurzen Halbwertszeit des C-14 jedoch nur bis zu einem Alter von etwa 60.000 Jahren. Die Radioaktivitt misst man heute im Prinzip noch so, wie Marie Curie dies vor ber 100 Jahren tat, nmlich ber die Ionisierung der Luft. Der bekannte Geigerzhler, entwickelte von Hans Geiger, einem Mitarbeiter Rutherfords, besteht nur aus einem mit Gas geflltem Rohr, durch dessen Mitte ein metallischer Faden luft. Zwischen der Innenwand des Rohrs und dem Faden liegt eine Gleichspannung an. Gelangt eine radioaktive Strahlung in das Rohr, dann ionisiert sie das Gas, und die Elektronen wandern zur Anode (dem Draht) und erzeugen einen kleinen Strom, den man messen kann. Dieser Elektronenstrom ist proportional zur radioaktiven Strahlung (siehe Abbildung 10). Ist das Messrohr mit einer dicken Metallfolie verschlossen, dann gelangt nur Gammastrahlung in den Geigerzhler, ist es nur mit einer dnnen Folie verschlossen, dann knnen auch Alpha- und Betastrahlung gemessen werden.

  • 30

    Die Aktivitt eines Radionuklids ist die Anzahl der Zerflle pro Zeiteinheit. Es gilt also:

    Und damit:

    Die Einheit der Aktivitt ist das Becquerel. entspricht einem Kernzerfall pro Sekunde. Das Isotop Uran-235, welches zum Beispiel fr Atombomben genutzt wird, hat eine spezifische

    Aktivitt von , also 80 Millionen Zerfllen pro Kilogramm und Sekunde. Die Elemente unserer Natur haben in ihrer natrlichen Zusammensetzung der Isotope eine typische spezifische Aktivitt

    von (wie Platin) ber (fr Kalium)

    bis zu fr Uran. Mit dem Geigerzhler misst man jedoch nicht die Aktivitt, sondern die durch die radioaktive Strahlung entstandenen

    ionisierte Strahlung. Die sogenannte Ionendosis beschreibt die elektrische Ladung der Ionen gleichen Vorzeichens, die durch ionisierende Strahlung einer bestimmten Masse entstehen. Sie hat

  • 31

    damit die Dimension Ladung pro Masse und die Einheit Coulomb/Kilogramm. Frher bezeichnete man diese Einheit

    auch als Rntgen. Wobei ein Rntgen betrgt.

    Aus der Ionendosis kann man die Energiedosis herleiten. Die

    Energiedosis gibt die mittlere, von ionisierender Strahlung an

    einen spezifischen Absorber abgegebene Energie bezogen

    auf die Masse des bestrahlten Absorbers an. Es gilt also:

    Die Einheit der Energiedosis ist Joule/Kilogramm, was auch als Gray bezeichnet wird. Zur Bildung eines Ions in Luft wird im Mittel eine Energie von

    bentigt. Die Abkrzung steht fr Elektronenvolt und bezeichnet die kinetische Energie, die ein Elektron erhlt, wenn es eine Beschleunigungsspannung von einem Volt

    durchluft. Ein Elektronenvolt ist damit . Um den Energiebedarf zur Ionisierung von einem Coulomb freier Ionen zu ermitteln, muss man die Ionisierungsenergie eines Teilchens mit der Zahl der Teilchen multiplizieren. Da ein

    Teilchen die Ladung hat, erhlt man:

    Um von Elektronenvolt auf Joule zu kommen, muss man die

    Energie in Elektronenvolt mit multiplizieren.

    Man hat also:

  • 32

    Damit erhlt man an Luft aus einer Ionendosis von

    eine Energiedosis von

    Man kommt also von der Ionendosis auf die Energiedosis, wenn

    man die Ionendosis mit einem Korrekturfaktor multipliziert:

    Fr Luft betrgt dieser Korrekturfaktor

    Fr biologisches Gewebe liegt er bei

    Damit sind wir bei der Frage, wie stark radioaktive Strahlung eigentlich dem Gewebe schadet. Dies hngt natrlich von der Strahlungsart ab: Gammastrahlen, die Materialien weit durchdringen, schaden dem Gewebe weniger als Alphateilchen, die schon nach kurzem Weg mit biologischen Moleklen zusammenstoen und diese schdigen.

  • 33

    Deshalb berechnet man noch die quivalentdosis . Diese ist gleich der Energiedosis multipliziert mit einem

    Strahlenwichtungsfaktor . Die quivalentdosis berechnet sich damit zu:

    Der Strahlenwichtungsfaktor wird auf Photonen (also

    Gammastrahlen) bezogen, die den Wert erhalten.

    Elektronen haben denselben Faktor, Protonen haben

    und Alphateilchen haben .

    Die Einheit der quivalentdosis ist das Sievert ( ). Frher

    nutzte man die Einheit Rem, wobei ist. Da es auf unserem Planeten genug natrliche Strahlenquellen gibt, ist jeder Mensch einer gewissen, natrlichen

    Strahlenbelastung ausgesetzt. Diese liegt bei etwa pro Jahr. Durch medizinische Anwendungen wie das Rntgen werden Belastungen in derselben Grenordnung erzeugt. Im Mittel liegt damit die jhrliche Belastung eines durchschnittlichen

    Europers bei . Der gesetzliche Grenzwert fr Leute, die

    mit radioaktiven Stoffen hantieren, liegt bei pro Jahr.

    Eine Einzeldosis von mehr als fhrt ohne Behandlung innerhalb weniger Tage zum Tod.

    * Nachdem man verstanden hatte, dass sich Elemente durch radioaktiven Zerfall ineinander umwandeln konnten, versuchte man, neue Elemente zu erschaffen. Zumeist beschoss man diese mit Neutronen, und suchte dann nach Hinweisen auf noch schwerere Elemente. Ende 1938 fhrte der deutsche Chemiker Otto Hahn mit seinem Assistenten Fritz Stramann derartige Versuche an Uran durch, fand aber zu einer berraschung die Elemente Barium und Krypton in seiner Probe, so als sei das Uranatom zerfallen. Seine ehemalige Mitarbeiterin, Lise Meitner, die vor den Nazis nach Schweden geflohen war, erklrte Anfang 1939 mit ihren Neffen

  • 34

    Otto Frisch dieses Ergebnis durch Kernspaltung: Ein Uranatom hatte das Neutron aufgenommen, war in einen angeregten Zustand geraten, doch statt einen normalen radioaktiven Zerfall zu erfahren, bei dem ein Alpha- oder Betateilchen ausgesandt worden wre, war das Uranatom in zwei Teile zerbrochen, wobei zwei neue Neutronen freigesetzt wurde. Die Reaktionsgleichung lautete also:

    Das interessante an dieser Gleichung ist nun, dass aus einem einzigen Neutron zwei Neutronen erzeugt werden, die dann ihrerseits zwei Uranatome zerspalten knnen, worauf dann vier Uranatome gespalten werden knnten und immer so weiter. Damit sollte es also mglich sein, eine Kettenreaktion herbeizufhren. Damit eine Kettenreaktion wirklich erreicht werden kann, darf pro Reaktion maximal ein Neutron entweichen, ohne ein Uranatom gespalten zu haben. Damit dies erreicht wird, mssen mglichst viele Uranatome vorliegen; eine Kettenreaktion braucht also eine kritische Masse, die auch noch von der Form des Materials abhngt. Eine Kugelform, bei der die Neutronen eine maximal dicke Uranschicht durcheilen mssen, bevor sie entweichen knnen, bentigt eine geringere kritische Masse, als eine dnne Uranschicht, bei der die meisten Neutronen entweichen knnen, ohne je auf ein Uranatom getroffen zu sein. Gelnge es, eine solche Kettenreaktion herzustellen, dann wre das nicht nur ein nettes physikalisches Schauspiel, sondern htte weitreichende Konsequenzen. Der Grund dafr liegt in einer Entdeckung Einsteins. Dieser hatte herausgefunden, dass Energie und Masse quivalent sind, was sich in der wohl berhmtesten Gleichung der Physik niederschreiben lsst:

  • 35

    Die Energie entspricht der Masse , allerdings multipliziert

    mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit . Eine sehr kleine Masse enthlt deshalb eine unglaublich hohe Energie. Schaut man sich die Massen der beiden Seiten der Reaktionsgleichung an, dann stellt man fest, dass die Masse des

    Uranatoms plus des Neutrons betrgt (Die Einheit

    steht fr die atomare Masseeinheit, ). Die Massen des Barium, Krypton und der beiden Neutronen

    betragen jedoch nur . Die Masse hat also um

    abgenommen. Natrlich kann Masse nicht einfach verschwinden. Sie hat sich aber gem Einsteins Gleichung in Energie umgewandelt. Und zwar entspricht diese Masse in etwa

    einer Energie von (in der Teilchenphysik sind die Massen der Teilchen in der Regel so klein, dass man statt der Masse die quivalente Energie in Elektronenvolt angibt). Diese Energie erhalten die Bruchstcke als kinetische Energie, die sie als Wrme an die Umgebung abgeben. Der Grund fr diese Differenz wird als Massendefekt bezeichnet. Ein Teil der Masse bzw. Energie der Nukleonen wird zur Bindung benutzt; sie wird bei der Bindung freigesetzt. Bei Barium und Krypton ist dieser Massendefekt (die Bindungsenergie) grer als bei Uran, weshalb weniger Masse fr die eigentlichen Teilchen brigbleibt. Dieser Massendefekt ist fr Wasserstoff natrlich Null (es gibt nur das Proton), dann steig er steil an und erreicht bei

    Kohlenstoff-12 schon pro Nukleon. Der

    Maximalwert liegt bei Nickel-62 mit pro Nukleon (dicht gefolgt von Fe-58 und Fe-56). Dann fllt der Massendefekt langsam ab und erreicht bei Uran-235 wieder

    (siehe Abbildung 11).

  • 36

    Diese bei der Kernspaltung frei werdende Energie kann man nun dazu benutzen, um Strom zu erzeugen (die kinetische Energie der bei der Kernspaltung erzeugten Wrme wird an eine Flssigkeit abgegeben, die sich erhitzt, dabei verdampft und dann einen Generator antreibt). Den ersten erfolgreichen Kernreaktor errichtete der italienisch-stmmige Physiker Enrico Fermi an der Universitt in Chicago. Die Kernenergie schien lange die Energiequelle der Zukunft zu sein, weil man mit relativ wenig Material sehr viel Energie erzeugen kann. Die Energieversorgung der Erde wre fr Jahrhunderte gesichert gewesen. Allerdings entstehen bei der Kernspaltung wieder radioaktive Elemente, und die freiwerdenden Neutronen erzeugen Radioaktivitt in den sie umgebenden Bauwerken. Die Halbwertszeiten liegen teilweise bei Tausenden von Jahren und niemand wei bis heute, wo und wie man diese radioaktiven Abflle sicher aufbewahren knnte.

  • 37

    Die zweite Anwendung war vielen Physikern kurz nach der Entdeckung der Kernspaltung durch Hahn und Stramann klar: Ein Material, das so viel Energie abgeben kann, wre eine perfekte Bombe. Aus Furcht, die Nazis knnten diese Bombe bauen, starteten die Amerikaner das Manhatten-Projekt. Am 16. Juli 1945 wurde die erste Atombombe in der Wste New Mexicos gezndet, am 06. August 1945 wurde die erste Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen, um gezielt zu tten. Sptestens dann hatte die Physik ihre Unschuld verloren.

    2.3. Der Tunneleffekt

    Bisher haben wir davon gesprochen, dass wir Teilchen auf einen Atomkern schieen oder diese beim radioaktiven Zerfall aus dem Atomkern entweichen. Schauen wir uns diesen Vorgang und die dabei vorkommenden Krfte doch einmal genauer an, dann werden wir feststellen, dass wir es hierbei mit einem bemerkenswerten Vorgang zu tun haben, so einfach er auch auf den ersten Blick erscheinen mag. Nehmen wir ein positiv geladenes Teilchen wie das Alphateilchen, welches sich einem positiv geladenen Kern nhert. Dabei wirkt die abstoende Kraft des Kerns auf das Teilchen. Fr diese Coulomb-Kraft gilt:

    Hierbei ist die elektrische Feldkonstante, und sind die

    Ladungen des Kerns und des sich nhernden Teilchens und ist der Abstand zwischen ihnen. Da die Energie zwischen zwei Teilchen gleich Kraft mal Weg ist, ergibt sich fr die Energie des Coulomb-Feldes:

  • 38

    Je nher man dem Kern kommt, desto grer ist die Kraft die man aufbringen muss, und desto grer ist das Potential des abstoenden Feldes. Im Kern ziehen sich die Nukleonen jedoch an. Die abstoende Kraft des Coulomb-Feldes muss also irgendwo in eine anziehende Kraft umgewandelt werden, deren Energie negativ ist (wenn die Energie der abstoenden Kraft positiv gezhlt wird).

    Man hat also einen Energieverlauf, wie er in Abbildung 12 dargestellt ist: Von auen kommend sieht das positive Teilchen ein grer werdendes Potential, welches es berwinden muss, die sogenannte Coulomb-Barriere (im Englischen auch als Coulomb-Wall bezeichnet). Diese Barriere erreicht eine maximale Hhe, bevor die anziehenden Krfte der Nukleonen berwiegen und

  • 39

    die Energiebarriere wieder abnimmt. Wie genau diese Kernkrfte aussehen, soll uns hier noch nicht interessieren. Auf die Kernkrfte kommen wir spter noch einmal zurck. Die Frage ist nun, wie hoch diese Energiebarriere werden kann. Rutherford hatte bei seinen Streuexperimenten herausgefunden, dass der Kern eines Wasserstoffatoms nur einige wenige

    Femtometer gro sein kann (es gilt: , ein Femtometer ist also ein Millionstel eines Milliardstel Meters). Fr

    Uran kann man diesen Abstand zu etwa errechnen, so dass man fr ein Alphateilchen auf eine Barrierenhhe von etwa

    kommen wrde. Zugleich wei man, dass einige Alphateilchen, welche von radioaktiven Nukliden ausgestrahlt

    werden, zum Beispiel eine Energie von etwa haben.

    Schickt man ein solches Teilchen auf ein Uranatom, dann knnte

    es sich allenfalls auf eine Distanz von nhern, es htte jedoch nicht genug Energie, diese Coulomb-Barriere zu

  • 40

    berwinden. Dies gilt natrlich auch, wenn das Alphateilchen versuchen sollte, den Kern zu verlassen: Die Barriere ist viel hher, als dass es diese nach klassischem Verstndnis berwinden knnte (siehe Abbildung 13). Wie kann es also berhaupt zum Alphazerfall kommen? Die Lsung fr dieses Rtsel fand der russisch-stmmige Physiker George Gamow. Sie beruht letztlich auf der quantenmechanischen Tatsache, dass Teilchen durch Wellenfunktionen und Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden. Schauen wir uns dies fr einen einfachen Fall eines Potentialtopfs mit endlich hohen Wnden einmal genauer an.

    Wir legen den Potentialtopf so, dass er von nach geht. Die

    Potentialbarriere mit der Hhe gehe von bis (und

    entsprechend von bis , siehe Abbildung 14). Damit die Rechnung einfacher wird, ersetzen wir den Coulomb-Wall also einfach durch ein Rechteck.

    Betrachten wir nur die rechte Seite, da das Teilchen hier den Potentialtopf verlassen soll. Allgemein muss man in der

  • 41

    Quantenmechanik die Schrdinger-Gleichung lsen, die die zeitunabhngige Form

    hat. Hierbei ist der Hamilton-Operator. Dieser quantenmechanische Energieoperator hat die Form:

    Hierbei ist , mit der Planckschen Konstante , und ist

    die potentielle Energie. Innerhalb des Potentialtops liegt diese bei

    , in den Wnden betrgt sie .

    Wir haben also im Bereich zwischen und die folgende Schrdinger-Gleichung zu lsen:

    Die Lsung dieser Differentialgleichung muss eine Funktion sein, die nach zweimaligem Differenzieren das negative der ursprnglichen Funktion ist. Eine solche Funktion ist entweder die Sinus- oder die Cosinus-Funktion. Die Lsung knnte also die Form

    haben. Mit der Eulerschen Formel ( ) kann man eine Linearkombination aus Sinus und Cosinus auch als Linearkombination aus e-Funktionen schreiben. Der Lsungsansatz kann also auch lauten:

  • 42

    Der erste Summand beschreibt eine Welle, die von links nach rechts luft, der zweite Summand beschreibt eine Welle, die von

    rechts nach links luft (das ist dann negativ und der Exponent wieder positiv). Diesen Lsungsansatz fr ein Quantenteilchen knnen wir nun innerhalb des Quantentopfs nehmen. Genauso gut knnen wir diesen Ansatz aber auch fr ein Teilchen nehmen, welches sich

    auerhalb des Potentialtopfs befindet, also im Bereich :

    Nun betrachten wir die Potentialbarriere selber. Die Schrdinger-Gleichung lautet hier:

    also

    Uns interessiert der Fall, wo die Energie des Teilchens geringer ist als die Potentialbarriere, da es diese dann im klassischen Fall nicht durchdringen knnte. Es ist also:

    Klassisch bruchten wir uns mit diesem Bereich gar nicht zu befassen, da sich ein Teilchen hier nicht aufhalten kann, doch die Schrdinger-Gleichung verbietet das erst einmal nicht. Wenn

    ist, dann wird der Ausdruck auf der linken Seite der Schrdinger-Gleichung kleiner Null. Die rechte Seite der Schrdinger-Gleichung ist ebenfalls negativ. Wir suchen also eine Funktion als Lsung dieser Differentialgleichung, die nach

  • 43

    zweimaliger Ableitung wieder sich selbst ergibt. Das ist die e-Funktion. Ein Ansatz fr die Lsung in diesem Bereich lautet also:

    Wir haben also folgende drei Anstze fr die Wellenfunktion:

    Diese Gleichungen knnen wir etwas vereinfachen. So nehmen wir an, dass das Teilchen auf den Potentialwall trifft und ihn irgendwie durchluft (schlielich taucht es auf der anderen Seite auf). Kein Teil der Welle werde reflektiert. Der Summand

    , der eine von rechts nach links laufende Welle und damit reflektierte Welle beschreibt, muss deshalb 0 sein. Der Summand

    beschreibt die Welle, die auf die Wand zuluft. Dies ist der einzige Wellenanteil, den es gibt, ihre Wahrscheinlichkeit (das Betragsquadrat, bei dem eine komplexe Zahl mit ihrer konjugierte multipliziert wird) muss deshalb 1 sein, d.h.

    also

    Wir gehen ebenfalls davon aus, dass die Welle in der Potentialbarriere nicht verstrkt wird (wo sollte diese zustzliche

    Energie auch herkommen?), d.h. wir haben , denn dieser Term beschreibt eine anwachsende Funktion.

    Der Summand beschreibt eine Welle, die von rechts auf die Potentialbarriere zuluft. Doch das Teilchen verlsst den

  • 44

    Potentialtopf und verschwindet dann im Unendlichen. Dieser Term ist also auch Null. Damit bleibt:

    Mit unseren Randbedingungen konnten wir die Differentialgleichungen schon deutlich vereinfachen. Wir knnen auch noch die restlichen Unbekannten berechnen, wenn wir bedenken, dass die Wellenfunktion stetig sein muss, d.h. sie darf beim bergang von einem Bereich in den anderen keine Sprnge machen. Gleiches gilt fr die Ableitung, d.h. die Wellenfunktion darf beim bergang von einem Bereich in den anderen nicht pltzlich ihre Richtung ndern. Mathematisch ausgedrckt bedeutet dies, dass die Wellenfunktionen und ihre Ableitungen an den Grenzflchen der einzelnen Bereiche identisch sein

    mssen. Die erste Grenzflche befindet sich zwischen und

    an der Stelle . Wir haben also:

    und damit

    Ebenso gilt

    also

  • 45

    Genau an der Barriere muss die Welle die Auslenkung Null haben (man stelle sich ein Seil vor, welches an einer Wand befestigt ist und durch auf- und niederschlagen in Schwingung versetzt wird; an der Wand selber bewegt es sich nicht). Die

    Auslenkung ist , d.h. es ist , und man hat:

    Damit haben wir alle Unbekannten aus der Stetigkeit der Wellenfunktion bestimmt und brauchen die ersten Ableitungen gar nicht mehr zu betrachten. Die Wellenfunktionen in den drei Bereichen lauten also:

  • 46

    Wir haben also tatschlich den Fall, dass die Wellenfunktion nach der Schrdinger-Gleichung im klassisch verbotenen Bereich des Potentialwalls nicht auf Null geht, sondern nur exponentiell abnimmt und dann immer noch mit einer gewissen Intensitt auf der anderen Seite des Walls vorhanden ist. Das Teilchen tunnelt durch die Potentialbarriere, weshalb man diesen Effekt

    als Tunneleffekt bezeichnet (siehe Abbildung 15). Das Betragsquadrat der Wellenfunktionen gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit man das Teilchen an einem Ort finden kann. Das Verhltnis der Wahrscheinlichkeiten der Wellenfunktion links von der Barriere zur Wahrscheinlichkeit rechts von der Barriere ergibt die Transmissionswahrscheinlichkeit:

    Die Exponentialfunktionen multipliziert mit ihrem komplex Konjugierten ergeben einfach die 1, so dass die Transmissionswahrscheinlichkeit letztlich gleich dem Quadrat der Amplitude der Welle nach der Barriere ist

    Die Faktoren und in den Exponentialfunktionen kann man berechnen, indem man die Lsungen in die entsprechenden

    Schrdinger-Gleichung einsetzt. Fr ergibt sich zum Beispiel:

  • 47

    also

    Der Tunneleffekt erklrt also, wieso das Alphateilchen einen Atomkern berhaupt verlassen kann. Es berwindet die Coulomb-Barriere nicht, es bewegt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durch diese Barriere. Die Wahrscheinlichkeit wird grer, je kleiner der Exponent von

    wird, d.h. je kleiner die Differenz ist. Dies erklrt, weshalb Atome, deren Alphateilchen Energien von

    haben viel schneller zerfallen als Atome, deren

    Alphateilchen nur Energien von haben. Die Wahrscheinlichkeit ist im ersten Fall grer und zwar exponentiell. So kommt es zu Halbwertszeiten fr verschiedene

    Alphastrahler von Sekunden bis Jahren. Aber mit dem Tunneleffekt kann man nicht nur den Alphazerfall erklren. Der Tunneleffekt hat auch technische Anwendung gefunden.