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5-2013 Dossier Im Volkswagen-Werk in Bratislava, Slowakei, wird ein Fahrzeug montiert. In Autos stecken zahlreiche Rohstoffe, oft aus Ländern des Südens. Foto: picture alliance / JOKER Vom Erz zum Auto Rohstoffe für die Reichen – schlechte Lebensbedingungen für die Armen Ein Dossier von MISEREOR und Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst in Zusammenarbeit mit der Redaktion .

Vom Erz zum Auto - MISEREOR: Ihr Hilfswerk für … · ein Leben ohne eigenes Auto ist für viele schwer vorstellbar. Welche Rohstoffe in ... stofflieferanten erteilen deutsche Automobil-unternehmen

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5-2013 Dossier

Im Volkswagen-Werk in Bratislava, Slowakei, wird ein Fahrzeug montiert. In Autos stecken zahlreiche Rohstoffe,

oft aus Ländern des Südens.Foto: picture alliance / JOKER

Vom Erz zum AutoRohstoffe für die Reichen – schlechte Lebensbedingungen für die Armen

Ein Dossier von MISEREOR und Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst in Zusammenarbeit mit der Redaktion .

5-2013 | Dossier

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer

von Misereor.

Liebe Leserinnen und Leser,

ein Leben ohne eigenes Auto ist für viele schwer vorstellbar. Welche Rohstoffe in diesen Gütern enthalten sind und welche ökologischen und sozialen Kosten mit dem Rohstoffabbau verbunden sind, ist oft nicht bewusst – insbesondere dann nicht, wenn die Abbauregionen außerhalb unseres un-mittelbaren Blickfelds liegen.

In diesem gemeinsamen Dossier werfen Mi-sereor und Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst am Beispiel Auto ein Schlaglicht auf eine Schattenseite unseres Lebensstils: Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden sind beim Abbau der zur Autoherstellung notwendigen Rohstoffe keine Seltenheit. Transnationale Rohstoff-konzerne werden in Schwellen- und Entwick-lungsländern immer wieder unzureichend besteuert, Gewinne aus dem Bergbau ver-schwinden oft im Sumpf der Korruption und liefern wenig Impulse für eine gemeinwohl-orientierte Entwicklung der betreffenden Länder. Komplexe Lieferketten, mangelnde Transparenzvorschriften und Gesetzeslü-cken machen es zudem fast unmöglich, die Herkunft von Rohstoffen zurückzuverfolgen und die Abnehmer in Deutschland zur (Mit-) Verantwortung zu ziehen.

Notwendig ist daher eine Stärkung von Zivilgesellschaften und Rechtsstaatlichkeit in den Abbauländern selbst. Ebenso müssen Unternehmen zu mehr Transparenz und menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet werden. Dringend erforderlich, insbesonde-re für Industrienationen wie Deutschland, ist zudem eine Rohstoff- und Wirtschaftspo-litik, die die durch Ökologie und Menschen-rechte markierten Grenzen des Wachstums anerkennt. Und auch wir als Konsumenten werden nicht umhin kommen, uns zu fragen: Wie wollen und können wir leben, damit ein gutes Leben für alle möglich wird?

Mit besten Grüßen

Editorial Inhalt

3 Auf die Bremse treten! Dem Abbau von Rohstoffen für die

Autoherstellung müssen ökologische und menschenrechtliche Grenzen gesetzt werden

6 Vom Erz zum Auto Automobilrohstoffe und deren Herkunft

8 Rohstoffeinsatz der Automobilindustrie Transparenzprobleme und

Unternehmensverantwortung

10 Bester deutscher Standard? Was deutsche Automobilunternehmen

von ihren Zulieferern verlangen – und was nicht

12 Fragwürdiger Partner der deutschen Wirtschaft

Bauxit aus Guinea

13 Die Folgen des Bergbaus in Brasilien Eisenerz aus dem Amazonasgebiet

14 Von schmutzigem Wasser und Schmutzkampagnen

Kupfer aus Peru

15 „Die Mine bringt neue Konflikte“ Interview mit Pfarrer Gillarme Joy

B. Pelino

17 Staat oder privat? Die Verantwortung für den Schutz der

Menschenrechte im Rohstoffsektor liegt nicht nur bei den Nationalstaaten

19 Materialbeschaffung für die imperiale Lebensweise

Die Rohstoffstrategie Deutschlands zwischen Industrieinteressen und Alternativen

21 Transparenzpflicht Als erster Schritt hin zum verantwort-

lichen Umgang mit Rohstoffen müssen die Zahlungsströme verbindlich offen-gelegt werden

Dossier | 5-2013

Vom Erz zum Auto 3

Auf die Bremse treten!Dem Abbau von Rohstoffen für die Autoherstellung müssen ökologische und menschenrechtliche Grenzen gesetzt werden

| Armin Paasch

Das Auto ist das liebste Kind der Deut-schen. Es gilt als Symbol für Fortschritt, Wachstum und Wohlstand. Mit einem Jahresumsatz von 351 Milliarden Euro und fast 720.000 Beschäftigten im Jahr 2011 ist die Automobilindustrie einer der Schlüsselsektoren der deutschen Wirtschaft. Doch ohne Rohstoffe könn-te sie kein einziges Fahrzeug herstellen. Die freie Fahrt für freie Konsumenten hat in den Rohstoffabbau-Ländern fata-le Folgen.

Autos werden als Inbegriff von Freiheit, Mo-bilität und Autonomie gesehen. Schon der Eintritt in das Erwachsenenalter ist geradezu selbstverständlich vom Erwerb des Führer-scheins begleitet. 2012 existierten in Deutschland knapp 42 Millionen PKWs, da-mit besitzt – statistisch gesehen – mehr als jeder zweite Bundesbürger ein Auto. Einige Schattenseiten dieser Erfolgsgeschichte – Verkehrslärm, tausende Verkehrstote, som-merlicher Smog, Waldschäden und die An-heizung des Klimawandels – sind seit langem Gegenstand öffentlicher Debatten. Weniger bekannt sind bislang die entwicklungspoliti-schen Implikationen des Abbaus von Roh-stoffen, die bei der Herstellung von Autos verwendet werden. Genau diesen Folgeer-scheinungen – vor allem Menschenrechts-verletzungen, Umweltschäden und Steuer-

flucht, die Misereor, Brot für die Welt und das Global Policy Forum Europa in einer ge-meinsamen Studie beleuchtet haben – ist dieses Dossier gewidmet.

| Das Auto hat’s in sichVon Glas über Gummi, Öl und Plastik bis zu den verschiedensten Metallen reicht die brei-te Palette von Materialien und Rohstoffen, die in einem Auto verarbeitet werden. Den größten Anteil haben dabei Stahl- und Eisen-

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Zu viele Autos. Grenzen der individuellen Mobilität anzuerkennen – nicht nur

gezwungenermaßen im Stau – ist eine Zukunftsaufgabe.

5-2013 | Dossier

Vom Erz zum Auto4

werkstoffe, Aluminium und Kupfer, die etwa 75 Prozent des Gewichts ausmachen. Wie die Beiträge in diesem Dossier zeigen, findet der Abbau der Rohstoffe für die Autoindustrie häufig unter äußerst problematischen Be-dingungen statt. Immer wieder berichten Partner von Misereor und Brot für die Welt über massive Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen. Beides steht häu-fig in einem engen Zusammenhang.

So kommt es im Zuge des Bauxitabbaus in Guinea zu Landnahmen in großem Stil. An-wohnerinnen und Anwohnern werden vom Zugang zu den Flüssen abgeschnitten, und durch Sprengungen in den Steinbrüchen werden Wohnhäuser erschüttert und beschä-digt. Im Umfeld von peruanischen Kupfer-minen weisen Wasser- und Bodenproben deutlich überhöhte Werte von Kupfer, Blei, Arsen und Quecksilber aus, welche für die Gesundheit von Menschen und Tieren äu-ßerst schädlich sind. Und in den Philippinen eskaliert schon während der Vorbereitungen zu einer gigantischen Kupfer- und Goldmine die Gewalt zwischen Militär und Angehöri-gen einer indigenen Gemeinschaft, die sich gegen die geplante Umsiedlung wehren. Eine durch solche Bergbauprojekte geprägte Ent-wicklung verschärft die Armut, anstatt zu ih-rer Überwindung beizutragen.

| Intransparenz vernebelt die Herkunft von Rohstoffen

Ob und in welchem Maße die Rohstoffe aus einer bestimmten problematischen Mine tat-sächlich in den Autos von BMW, Daimler oder VW landen, lässt sich in der Regel bislang kaum ermitteln. Vollständige Transparenz über die Herkunft der Rohstoffe wäre für die Automobilhersteller angesichts der Vielzahl von Verarbeitungsschritten und Zulieferbe-trieben in der Tat eine hochkomplexe Her-ausforderung. Doch selbst über direkte Roh-stofflieferanten erteilen deutsche Automobil-unternehmen bislang keine Auskunft. Ob-wohl diese sich durchaus zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards be-kennen, finden Kontrollen bei den Lieferan-ten allenfalls stichprobenartig statt. Und wenn sie stattfinden, werden die Ergebnisse gegenüber Politik und Öffentlichkeit unter Verschluss gehalten.

Fakt ist, dass der größte Teil deutscher Roh-stoffeinfuhren aus Ländern stammt, in denen Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-zerstörungen im Bergbau gang und gäbe sind. So stammen über 70 Prozent der Kupferim-porte aus Peru, Chile, Brasilien oder Argentini-en, 73 Prozent des Bauxits kommt allein aus Guinea und 50 Prozent des Eisenerzes aus Brasilien. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch

in Ihrem Auto „schmutzige“ Rohstoffe enthal-ten sind, ist also außerordentlich groß.

| Faire Autos FehlanzeigeEine faire Alternative mit unabhängig kont-rollierten ökologischen und sozialen Stan-dards, wie sie etwa für Kaffee, Bananen, Scho-kolade oder Blumen in Eine-Welt-Läden bis hin zu Discountern erhältlich sind, ist in der Automobilbranche nicht in Sicht. Selbst an-geblich „grüne“ Alternativen wie Elektroau-tos erlauben mit Blick auf die verwendeten Rohstoffe kein reineres Gewissen als die her-kömmliche Luxuskarosse. Für einige Rohstof-fe wie Aluminium, Kupfer und Mangan kann der Bedarf bei batterie-elektrischen mittleren PKWs sogar weitaus höher ausfallen. Zu den kritischen Rohstoffen bei Elektrofahrzeugen gehören auch Lithium, Kobalt und die Selte-nen Erden Neodym und Dysprosium.

Was können wir also tun? Die Antwort ist ernüchternd: Wer auf Nummer sicher gehen will, wird auf ein eigenes Auto wohl ganz ver-zichten müssen. Wer die Gefahren für Men-schenrechte und Umwelt zumindest begren-zen will, sollte auf das Fahrrad, öffentliche Verkehrsmittelmittel oder Car-Sharing um-steigen. Neue Wege der Mobilität zu erkun-den und zugleich bestimmte Grenzen der in-dividuellen Mobilität anzuerkennen, wird so-mit zu einer zentralen Zukunftsaufgabe. Ge-lingen kann dies nur im Kontext einer breiteren Suche nach neuen, zukunftsfähigen und zugleich attraktiven Lebensstilen. Dabei geht es nicht um einen Verzicht auf Freiheit, sehr wohl aber um die Frage, ob der Besitz ei-

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Eisenerzmine des Konzerns Tata Steel in Noamundi im indischen Bundesstaat Jharkhand.

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Dossier | 5-2013

Vom Erz zum Auto 5

nes eigenen Autos tatsächlich eine unver-zichtbare Voraussetzung für ein freies und gutes Leben ist.

| Grenzen des Wachstums ernstnehmen

Problemlagen, die in diesem Dossier exemp-larisch anhand der deutschen Automo-bilbranche aufgezeigt werden, haben aller-dings eine weitaus größere Tragweite. Intrans-parenz und mangelnde Sorgfalt in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt beim Rohstoff-verbrauch sind keineswegs ein spezifisch deutsches oder europäisches Phänomen. Sie kennzeichnen überdies nicht nur die Auto-mobilbranche, sondern auch die Produktion von Handys, Computern, Kaffeemaschinen, Fernsehern, Spülmaschinen bis hin zur elekt-rischen Zahnbürste. Die mit Bezug auf das Auto aufgeworfene Frage stellt sich also auf einer viel grundsätzlicheren und allgemeine-ren Ebene: Wie viel Luxus können und wollen wir uns in Zukunft noch leisten, wenn es uns mit dem Schutz von Umwelt und Menschen-rechten wirklich ernst gemeint ist?

Zugleich macht die Dimension des Prob-lems aber auch deutlich, dass die Lösung nicht allein in bewussteren Kaufentscheidun-gen auf individueller Ebene liegen kann. Auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene brauchen wir einen Konsens, dass dem Ver-brauch und Abbau von Rohstoffen ökologi-sche und menschenrechtliche Grenzen ge-setzt werden müssen. Mit weitreichenden

Implikationen: Denn letztendlich geht es um nichts weniger als eine fundamentale Trans-formation unserer Produktions- und Kon-summuster. Statt Wachstum und internatio-nale Wettbewerbsfähigkeit um jeden Preis wären Menschenrechte, Ressourcenscho-nung, Klimaschutz, Suffizienz und globale Gerechtigkeit die grundlegenden Zielkoordi-naten einer zukunftsorientierten Politik. Sprich: eine Entwicklung, welche den Men-schen überall ein „gutes Leben“ ermöglicht.

| Kurswechsel in der Rohstoffpolitik jetzt!

Zivilgesellschaftliche Forderungen zum Ein-stieg in eine solche Transformation werden in diesem Dossier für die Rohstoffpolitik skiz-ziert. Verbindliche Verpflichtungen zur Trans-parenz von Zahlungs- und Rohstoffströmen wären eine erste Voraussetzung, damit Ge-winne im Sinne einer am Gemeinwohl orien-tierten Entwicklung in den Abbauländern ver-steuert und die Herkunft von Rohstoffen in Autos und anderen Gütern nachvollzogen werden können. Damit Umwelt und Men-schenrechte geachtet werden, müssen die zi-vilgesellschaftliche Beteiligung und die Unab-hängigkeit von Justiz, Verwaltung und Politik in den Abbauländern gegenüber den Profitin-teressen mächtiger Bergbaukonzernen ge-stärkt werden.

Doch auch in den Abnehmerländern von Rohstoffen müssen Unternehmen gesetzlich zu einer gebührenden Sorgfalt in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt entlang ihrer Lieferkette verpflichtet werden. Bei groben

Verstößen in Tochter- und Zulieferunterneh-men im Ausland müssen die Opfer auch in den Heimatländern der Mutterkonzerne oder Importeure Zugang zu Gerichten erhalten. Unternehmen, die gegen ihre Sorgfaltspflich-ten verstoßen, müssen zudem von staatlicher Außenwirtschaftsförderung und öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Handels- und Investitionsabkommen sowie Rohstoff-partnerschaften müssen systematischen menschenrechtlichen Folgenabschätzungen unterzogen werden, um potenzielle Gefähr-dungen von vorne herein identifizieren und ausschließen zu können.

Es handelt sich nur um erste Mosaiksteine einer zukunftsorientierten Wirtschaftspoli-tik. Doch ihre Durchsetzung ist bereits eine Herkulesaufgabe. Die Voraussetzung ist, dass in der Öffentlichkeit ein breites Bewusstsein über Wirkungen und Nebenwirkungen unse-res derzeitigen Rohstoffverbrauchs entsteht – und darüber hinaus die Bereitschaft, indivi-duelle, gesellschaftliche und politische Kon-sequenzen zu ziehen. | |

Armin Paasch ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei Misereor.

Weiterführende LiteraturMISEREOR, Global Policy Forum und Brot für die Welt: Vom Erz zum Auto. Abbaubedingungen und Lieferketten im Rohstoffsektor und die Verantwor-tung der deutschen Automobilindustrie, Aachen/ Stuttgart/ Bonn 2012

PowerShift und Forum Umwelt und Entwicklung: Oben Hui, Unten Pfui? Rohstoffe für die „grüne“ Wirtschaft. Bedarfe, Probleme, Handlungsoptio-nen für Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, Berlin 2011

Südwind: Von der Mine bis zum Konsumenten. Die Wertschöpfungskette von Mobiltelefonen, Siegburg 2012

Konflikt um eine Kupfermine in Peru. Die Polizei geht gewaltsam gegen die

Anwohner vor.

5-2013 | Dossier

Vom Erz zum Auto6

| Axel Müller

Für den Bau von Fahrzeugen benötigt die Industrie eine Menge von Rohstof-fen, wie Kupfer, Zink, Aluminium, Blei oder Eisen. Sie werden zum großen Teil in Entwicklungs- und Schwellenländern abgebaut und verarbeitet. Das verur-sacht dort eine Reihe von menschen-rechtlichen, sozialen und ökologischen Problemen.

Die Automobilindustrie ist einer der größten industriellen Endverbraucher von Rohstof-fen. Über 900 Millionen PKWs gibt es rund um den Globus. Weltweit lieferten die 15 größten Automobilkonzerne 2012 rund 79 Millionen Fahrzeuge aus. Allein die drei deutschen Hersteller BMW, Daimler und VW fertigten 2012 insgesamt über 11,5 Millionen Fahrzeuge. Auch die deutsche Automobilin-dustrie ist also als Rohstoffabnehmer von zentraler Bedeutung. Eine Vielzahl verschie-

dener Rohstoffe wird im Automobilbau ver-arbeitet: vom Glas für die Fenster und dem Stahl für die Karosserie über das Gummi für die Reifen und die verschiedenartigen Plas-tikteile. Auch bei der Polsterung, den Sitzbe-zügen und der Lackierung kommen unter-schiedliche Materialien zum Einsatz. Einen Eindruck davon, welchen Anteil verschiede-ne Werkstoffe an der Zusammensetzung ei-nes typischen PKWs wie des VW-Golf haben, vermittelt Abbildung 1.

Besonders metallische Rohstoffe werden in einem Fahrzeug verbaut: Stahl und Eisen-werkstoffe machen etwa 65 Prozent des Ge-samtgewichts eines VW-Golf (genauer des Golf VI 2.0 TDI) aus. Zu sechs Prozent besteht der Golf aus Leichtmetallen wie Aluminium und Magnesium. Buntmetalle wie Kupfer und Messing sind mit etwa drei Prozent ver-treten. Verschiedene Kunststoffe (sogenann-te Polymerwerkstoffe) haben einen Anteil von 17 Prozent. Hinzu kommen Keramiken und Glas, nachwachsende Rohstoffe und un-trennbar miteinander verbundene Werkstof-fe, zum Beispiel mit Kunststoffen ummantel-

tes Metall. Unter dem Oberbegriff „Betriebs-stoffe und Hilfsmittel“ werden vor allem Öle, Kraftstoff, Brems- und Kühlflüssigkeit sowie Wasch- und Batteriewasser zusammenge-fasst.

Vereinfacht dargestellt, vollzieht sich die Produktions- und Lieferkette vom Erz bis zum Auto in vier Stufen: Auf den Rohstoffab-bau folgt die Rohstoffverarbeitung; in einem dritten Schritt erfolgt die Produktion von Einzelteilen, Komponenten und ganzen Sys-temen; in der vierten Stufe findet dann die Endmontage des Autos statt.

| Rohstoffe aus Entwicklungs- und Schwellenländern

Die deutschen Automobilkonzerne VW, BMW und Daimler zählen zu den wichtigs-ten Abnehmern von metallischen Rohstof-fen auf den Weltmärkten, und sie verfügen über eine entsprechende Marktmacht ge-genüber Händlern und Produzenten. Doch woher stammen die Rohstoffe, die für den Automobilbau verwendet werden? Welches sind die Hauptlieferländer und -lieferanten

Vom Erz zum AutoAutomobilrohstoffe und deren Herkunft

Werkstoffzusammensetzung eines PKWs – Beispiel Golf

Quelle: Volkswagen AG (2008), S. 21. Bei dem untersuchten PKW handelt es sich um einen Golf VI 2.0 TDI mit Dieselpartikelfilter.

Stahl- und Eisenwerkstoffe 65%

Leichtmetalle, Guss- und Knetlegierungen 6%

Buntmetalle, Guss- 3% und Knetlegierungen

Sondermetalle 0,05%

Polymerwerkstoffe 17%

Prozesspolymere 1%

Sonstige Werkstoffe und Werkstoffverbunde

3%Elektronik und Elektrik 0,01%

Betriebsstoffe und Hilfsmittel 5%

Dossier | 5-2013

Vom Erz zum Auto 7

für die deutsche (Automobil-)Industrie? Und unter welchen ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Bedingungen werden diese Rohstoffe abgebaut und verar-beitet?

Diesen Fragen gingen Misereor, Brot für die Welt und das Global Policy Forum Europe nach und veröffentlichten im September 2012 die Studie mit dem Titel „Vom Erz zum Auto – Abbaubedingungen und Lieferketten im Rohstoffsektor und die Verantwortung der deutschen Automobilindustrie“. Anhand von Stahl- und Eisenwerkstoffen, Aluminium und Kupfer, die zusammengenommen 70 bis 75 Prozent aller in einem Mittelklassewagen (wie zum Beispiel in einem Golf) verarbeite-ten Werkstoffe ausmachen, stellt die Studie die Problematik der Abbaubedingungen so-wie die mangelnde Transparenz in der Liefer- und Produktionskette dar.

Die Studie zeigt, dass die deutsche Indus-trie fast vollständig auf Einfuhren aus dem Ausland angewiesen ist und dass die metalli-schen Rohstoffe, die auch für die Automobil-konzerne verwendet werden, vor allem aus

Entwicklungs- und Schwellenländern stam-men. Für die deutsche Kupferindustrie spie-len die lateinamerikanischen Länder eine ganz wichtige Rolle. So kommt das Kupfererz überwiegend aus Peru (25,2 Prozent), Argen-

tinien (17,8 Prozent), Chile (16,7 Prozent) und Brasilien (14,3 Prozent). Die Importe von Bauxit, dem Erz, aus dem Aluminium ge-wonnen wird, stammen zu über 73 Prozent aus dem westafrikanischen Guinea und zu 14 Prozent aus Ghana. Eisenerz, das zu Stahl verarbeitet wird, kommt zu über 50 Prozent aus Brasilien, gefolgt von Schweden (17,1 Pro-zent), Kanada (16,1 Prozent) und Südafrika (6,0 Prozent).

Es ist inzwischen weithin bekannt, dass der Abbau von Bodenschätzen, wie Diamanten, Coltan und anderen „Konfliktrohstoffen“, in den armen und ärmsten Ländern immer wie-der mit Menschenrechtsverletzungen und der Eskalation von Gewalt einhergehen.

Doch auch die Förderung von Rohstoffen wie Eisenerz, Kupfer und Bauxit ist häufig mit sozialen Problemen, gravierenden Um-weltschäden, Konflikten und der Kriminali-sierung von Aktivistinnen und Aktivisten aus Menschenrechtsorganisationen verbun-den. Ob Abbau von Kupfererz in Peru oder Sambia, Eisenerz in Brasilien oder Indien, Bauxit in Guinea oder Indien – die Probleme

und schädlichen Folgen sind vielfältig und werden in der Studie und den Artikeln dieses Dossiers (siehe S. 12-16) anhand ausgewählter Länderbeispiele beschrieben.

Die Beispiele belegen, dass es bei der für den Automobilbau essentiellen Eisenerz-, Bauxit- und Kupferförderung sowie der Stahl- und Aluminiumherstellung immer wieder zu

Menschenrechtsverletzungen kommt. Sie be-treffen sowohl die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte als auch die bürgerlichen und politischen Rechte.

In erster Linie sind die Bergbaukonzerne und Regierungen der Abbauländer in der Pflicht, für die Einhaltung der Menschen-rechts- und Umweltstandards zu sorgen. Aber auch die Akteure am Ende der Produk-tions- und Lieferkette, die diese Rohstoffe in großen Mengen nachfragen, tragen eine Mit-verantwortung. Zwar bekennen sich die deutsche Automobilindustrie und große Zu-lieferer ausdrücklich zu den Menschenrech-ten. Dennoch überprüft bislang kein Konzern deren Einhaltung über die gesamte Lieferket-te hinweg. Damit können VW, Daimler und BMW derzeit nicht ausschließen, dass die Metalle, aus denen ihre Fahrzeuge bestehen, aus menschenrechtlich oder ökologisch be-denklicher Produktion stammen. | |

Vom Erz zum Auto – Vereinfachte Darstellung des Materialflusses in der Automobilindustrie

Bergbau

Rohstoff-abbau

Verhüttung, Raffinierung, Walzen, Legierung etc.

Rohstoff- verarbeitung

BMW, Daimler, VW

(Verarbeitung und Endmontage)

Endmontage Gebrauch/Verschleiß

Einzelteil, z.B. Bremsscheibe

etwa 1000 Firmen (Verarbeitung)

Komponente, z.B. Bremse

etwa 150 Firmen (Verarbeitung und Montage)

System, z.B. ABS

etwa 30 Firmen (Verarbeitung und Montage)

Produktion

Recycling

Axel Müller ist Referent für Rohstoffe in der Bildungsabteilung bei Misereor und Mitautor der Studie „Vom Erz zum Auto“.

Als PDF erhältlich:http://www.misereor.de/themen/wirtschaft-fuer-die-armen/ rohstoffe.html

Kurzfilm „Vom Erz zum Auto“:http://www.youtube.com/watch?v=gZ-CWr LIKwg

5-2013 | Dossier

Vom Erz zum Auto8

| Uwe Kerkow

Werden die Hersteller von PKWs auf Menschenrechtsverletzungen in den Lie-ferketten angesprochen, argumentieren sie, dass eine Rückverfolgung der ver-wendeten Rohstoffe bis zur Mine nicht zu leisten sei. Doch Transparenz entlang der Produktions- und Lieferkette zu schaffen, ist kein Ding der Unmöglichkeit.

Die Herstellung eines Autos ist ein komple-xer und längst globalisierter Prozess. Dabei

wird der Anteil der Wertschöpfung, den die Automobilfirmen leisten, immer geringer; er beträgt mittlerweile durchschnittlich nur noch 25 Prozent. Eingekauft und verarbeitet werden die Rohstoffe also längst in erhebli-chem Umfang von ihren Zulieferern. Da-durch verlängert sich die Wertschöpfungs-kette, was es erheblich erschwert, einzelne Stoffströme – von der Erzmine zum Bauteil – nachzuvollziehen. Und die Zahl der Einzeltei-le, aus denen ein moderner PKW besteht, ist enorm. Die Angaben schwanken zwischen 10.000 und 40.000 – je nach dem, was als „Teil“ definiert wird. Fast ebenso groß ist die Zahl der Lieferanten, die einen großen Auto-

hersteller direkt oder indirekt beliefern. BMW schätzt, dass etwa 12.000 direkte Zulie-ferer weltweit an der Produktion der gesam-ten Modellpalette beteiligt sind.

| Versorgung mit Rohstoffen ist ein wesentlicher Produktionsfaktor

Einerseits ist diese globalisierte Produktions-struktur so unübersichtlich, dass die Kennt-nisse der Automobilfirmen über die Her-kunft der in den verschiedenen Vorstufen verwendeten Einzelteile und die darin ver-wendeten Rohstoffe lückenhaft sind. General Motors musste im März 2011 sogar eine Fab-rik in den USA vorrübergehend schließen:

Rohstoffeinsatz der Automobilindustrie Transparenzprobleme und Unternehmensverantwortung

Ausgewählte Automobilkomponenten mit Zulieferfirmen (Beispiel Daimler AG)

Quelle: Legner et al. (2009).

Integrierter Regen-Licht-Sensor: HellaVerglasung: St.-Gobain SekuritDiesel Common Rail Einspritzeinlage: BoschElektrischer Kofferaumdeckel: ValeoDiesel-Management-System: Bosch

Frontscheinwerfer: HellaReifen: GoodyearMotor-Verkabelung: DelphiSeiten-Airbags: TRWEinpark-Assistent: BoschZierleisten: Decoma EuropeDachkonstruktion: Johnson ControlsTürgriffe für „Keyless Go®“: HUF VelbettRückspiegel außen: Schefenacker

„Keyless Go®“: KostalPedalmodul: AB Elektronik Werne

Montage der kompletten Auspuffanlage: Zeuna StärkerTurbolader: Garrett Auspuff-Schalldämpfer: EberspächerDieselleitungen: ContitechAuspuffanlage: Faurecia

Batterie: VartaAnti-Blockier-System: BoschAntriebssystem der hydraulischen Kupplung: FTE AutomotiveScheibenwischanlage vorne: Valeo

Getriebegehäuse: ThyssenkruppElektrische Fensterheber: BoschZylinderkopfdichtung: Elring KlingerFahrer-Airbag: TRWKarosserieverkabelung: Leoni

Getriebe: DraexlmaierEinstiegsleisten: Weidman PlasticsHydraulik Schiebedach: Cooper StandardGetränkehalter: Fischer AutomotiveKopfstützen: GrammerSitze: Lear

Dossier | 5-2013

Vom Erz zum Auto 9

Nach der Erdbeben- und Reaktorkatastrophe von Fukushima fehlte plötzlich ein Sensor im Wert von zwei US-Dollar aus Japan. „Viele Unternehmen merkten nach dem Beben, dass ihnen ein Bauteil fehlt, wussten aber gar nicht, wer das herstellt“, erläuterte damals Stephan Wagner, Logistikprofessor an der ETH Zürich.

Andererseits identifizieren die Firmen die Frage des Zugangs zu und die Versorgung mit Rohstoffen als einen wesentlichen Produk-tions- (und Risiko-)faktor, der in der Be-triebsorganisation auf verschiedenen Ma-nagementstufen auch berücksichtigt wird. Um Risiken (zum Beispiel unzureichende Kenntnisse über die exakte Qualität der Zu-lieferteile, logistische Herausforderungen oder mangelnde juristische Durchgriffsmög-lichkeiten) zu minimieren und Effizienzreser-ven entlang der Lieferkette zu erkennen und auszuschöpfen, sind die Automobilhersteller daran interessiert, über ihre Lieferketten möglichst umfassend informiert zu sein.

In den Nachhaltigkeitsberichten der deut-schen Automobilhersteller lassen sich eine ganze Reihe von Belegen für die Bemühun-gen der Firmen entdecken, auch ihre Zuliefe-rer auf ökologische und menschenrechtliche Mindeststandards festzulegen. In den – juris-tisch maßgeblichen – Einkaufsbedingungen der Konzerne finden sich diese Ansätze je-doch nicht wieder.

| Nicht aus der Verantwortung entlassenWerden die Automobilhersteller auf Men-schenrechtsverletzungen in den Lieferketten angesprochen, argumentieren sie, dass ihre Durchgriffsmöglichkeiten auf die Zulieferfir-men begrenzt seien und eine Rückverfolgung der verwendeten Rohstoffe bis zur Mine nicht zu leisten sei. Dass die Firmen gegenüber der Öffentlichkeit Aussagen über die Herkunft der von ihnen benötigten Rohstoffe vermei-den, begründen ihre Vertreter darüber hin-aus mit der Notwendigkeit, die Einkaufsmo-dalitäten geheimhalten zu müssen.

Dennoch tragen die deutschen Automobil-konzerne, wie auch die Zulieferer in der Pro-duktions- und Lieferkette, eine Verantwor-

tung, der sie sich nicht entziehen dürfen. Denn einige wichtige Lieferwege sind relativ übersichtlich, da die meisten Lieferverträge (gerade auch für Halbzeuge und Sonderan-fertigungen) direkt mit den Produzenten ab-geschlossen werden. So werden beispielweise Stahl und Aluminium von den Automobil-konzernen zu einem bedeutenden Teil direkt verarbeitet, oder sie laufen nur über eine Zwischenstation, wie im Fall von Thyssen-Krupp: Das Unternehmen hat Anteile eines Stahlwerkes in Brasilien. Von dort wird der Stahl nach Deutschland exportiert und vor-rangig in der deutschen Automobilindustrie verwendet.

Und auch für Rohstofflieferungen, die über die Börse abgewickelt oder als Over-the-Counter (OTC)-Geschäfte erfolgen, wäre ein Herkunftsnachweis durchaus möglich. Teil-weise versieht die Londoner Metallbörse Me-talllieferungen ohnehin mit Herkunftsnach-weis. Und bei OTC-Geschäften, die direkt zwi-schen zwei Unternehmen abgeschlossen werden, ist der Lieferant bekannt. Herkunfts-nachweise sind umso eher sinnvoll und mög-lich, als die deutschen Automobilhersteller ihre Marktmacht nutzen und teilweise Roh-stoffe für ihre Zulieferer kaufen oder Preis- und Währungsrisiken für sie absichern. Zu-dem gewinnen überbetriebliche Koordina-tions- und Kommunikationsprozesse stetig an Bedeutung.

Werden Rohstoffe oder Bauteile nach Deutschland importiert, ist ein zollrechtli-cher Herkunftsnachweis selbstverständlich. Auch ist die Automobilindustrie schon heute verpflichtet, staatlichen Stellen umfangrei-che Informationen über die Materialzusam-mensetzung der in ihren Fahrzeugen verar-beiteten Produkte bereitzustellen. Dazu zählt etwa das Internationale Materialdatensys-tem (IMDS). Dies ist eine internationale Da-tenbank, die einige Automobilhersteller in den 1990er Jahren gründeten, um der Viel-zahl von gesetzlichen Anforderungen und Recycling-Vorschriften gerecht werden zu können. Mittlerweile wird das System auch genutzt, um eigene Anforderungen – etwa an die Zulieferer – umzusetzen. Auch die Euro-päische Chemikalienverordnung REACH ver-langt eine Registrierung von verwendeten Chemikalien durch Anwender, Importeure und die Abnehmer. Dabei kommt es vor al-

lem auf gefährliche Stoffe an. Zudem enthält REACH Bestimmungen zur Informationswei-tergabe in der Lieferkette und Auskunfts-rechte für Verbraucher. Über ein Online-For-mular können Verbraucher anfragen, welche besonders gesundheitsgefährdenden Stoffe sich in Alltagsprodukten befinden.

Grundsätzlich wäre es also sowohl für die Automobilindustrie als auch für die großen Zulieferer möglich, Herkunftsnachweise über die Erzlagerstätten der verwendeten Primärrohstoffe in die längst elektronisch verwaltete Dokumentation des Materialflus-ses aufzunehmen. Es bedarf heutzutage kei-nes übermäßigen technischen Aufwands mehr, ein maßgeschneidertes Informations-system über die Herkunft von Rohstoffen in der Lieferkette zu realisieren und zu nutzen.

Eine Transparenz entlang der Produktions- und Lieferkette in der Automobilbranche kann somit durchaus hergestellt werden. Die selbst verschuldeten Informationsdefizite bei den Autoherstellern müssten nicht sein – zumal sie unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen könnten, wenn Verbrau-cherorganisationen oder Kunden kritische Fragen stellen. Es ist zu erwarten, dass – ähn-lich wie etwa bei Markenkleidung – Kunden auch beim Autokauf künftig verstärkt auf die ökologische und menschenrechtliche Unbe-denklichkeit achten. Dafür gewappnet zu sein, ist für die Automobilindustrie nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch eine ökonomische Herausforderung. | |

Uwe Kerkow ist entwicklungspolitischer Fachjournalist und Mitautor der Studie „Vom Erz zum Auto“.

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Hochofen in China: aus Eisenerz wird Stahl, nicht zuletzt für die Autoherstellung. Die deutsche

Automobilindustrie ist dabei, ihre Produktions-kapazitäten in China stark zu erhöhen.

5-2013 | Dossier

Vom Erz zum Auto10

| Jens Martens

Immer mehr Unternehmen erkennen an, dass ihre Verantwortung nicht am eigenen Werkstor endet. Unter Schlag-worten wie „Sustainable Supply Chain Management“ befassen sie sich zuneh-mend mit Nachhaltigkeitsstrategien entlang der gesamten Lieferkette. Das gilt auch für die drei größten deutschen Autokonzerne BMW, Daimler und Volks-wagen. Bei der Kontrolle, ob ihre Zuliefe-rer soziale, ökologische und menschen-rechtliche Mindeststandards einhalten, stehen sie jedoch noch am Anfang.

BMW hat 2010 damit begonnen, Nachhaltig-keitsaspekte verstärkt in Auswahl, Monito-ring und Schulung seiner Lieferanten zu inte-grieren. Langfristig will der Konzern nach ei-genen Worten nur noch mit Partnern zusam-menarbeiten, die die Grundsätze der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und des UN Global Compact, die UNEP Clea-ner Production Declaration, die Leitsätze der OECD sowie die Charta der Internationalen Handelskammer ICC respektieren. BMW for-dert seine mehr als 12.000 direkten Zulieferer auf, durch Selbstauskunft über die Einhal-tung spezifischer Standards zu berichten. Dazu gehören unter anderem das Umwelt-managementsystem ISO 14001, die Recyc-lingfähigkeit bei der Produktentwicklung und Entsorgungskonzepte. Das Unterneh-men betont, dass bei der Lieferantenauswahl grundsätzlich nur Firmen berücksichtigt wer-den sollen, die eine vollständige Selbstaus-kunft erteilen und keines der von der BMW Group formulierten Ausschlusskriterien – wie Kinderarbeit – verletzt haben.

BMW fordert seine direkten Zulieferer überdies auf, deren Lieferanten auf die Ein-haltung der BMW-Standards zu verpflichten. Die Lieferanten sind gehalten, die Richtlinien des Global Compact sowie die ILO-Kernar-beitsnormen zu beachten und auch sämtli-

che Unterauftragnehmer vertraglich zur Ein-haltung dieser Regelungen zu verpflichten. Diese Anforderungen sind jedoch nicht mit Sanktionsandrohungen gegenüber den Zulie-ferern verbunden, und die tatsächliche Ein-haltung der Standards durch die Zulieferer wird von BMW nicht systematisch überprüft.

2012 war BMW an der Gründung der „Alu-minium Stewardship Initiative“ beteiligt, die sich die verantwortungsvolle Produktion und Verarbeitung von Aluminium entlang der ge-samten Wertschöpfungskette zum Ziel ge-setzt hat.

Auch Daimler verfügt über eine spezielle „Richtlinie zur Nachhaltigkeit“ für Lieferan-ten. Darin wird ausdrücklich auf Kinder- und Zwangsarbeit Bezug genommen, auf die je-weils geltenden gesetzlichen Bestimmungen wie Mindestlöhne und Sozialleistungen, auf die Rechte bei der Arbeit (unter anderem Or-ganisationsfreiheit) sowie auf Arbeitssicher-heit. Von den Lieferfirmen wird vorsorgender Umweltschutz gefordert sowie die Einhal-tung gesetzlicher Vorschriften und Umwelt-richtlinien. Daimler erwartet, dass seine di-rekten Lieferanten die Einhaltung dieser Richtlinie auch durch ihre Unterauftragneh-mer und -lieferanten sicherstellen. Sie wer-den aufgefordert, die Inhalte dieser Richtli-nie an alle Beteiligten ihrer Lieferkette wei-

terzugeben und deren Einhaltung „aktiv zu fördern.“

In den Einkaufsbedingungen von Daimler werden dagegen weder Nachhaltigkeitskrite-rien noch soziale Mindeststandards oder Menschenrechte erwähnt. Darüber hinaus existiert bei Daimler eine Arbeitsgruppe Sup-ply Chain. In ihr diskutieren nach Aussage des Konzerns Lieferanten, Nichtregierungsorga-nisationen und Einkaufsverantwortliche Maßnahmen zur Unterstützung und Über-prüfung von Geschäftspartnern. Dies schließt auch Reaktionen auf Verstöße gegen Nach-haltigkeitsgrundsätze ein. Wie diese Reaktio-nen aussehen und ab welcher Schwere der Verstöße sie greifen, wird jedoch nicht spezi-fiziert.

Und auch Volkswagen verfügt über ein Konzept zur Nachhaltigkeit in der Zuliefer-kette. Es beruht auf vier Bausteinen: Nachhal-tigkeitsanforderungen für Lieferanten, ein Früherkennungssystem zur Risikominimie-rung, Transparenz im Beschaffungsprozess sowie Lieferantenmonitoring und -entwick-

Bester deutscher Standard? Was deutsche Automobilunternehmen von ihren Zulieferern verlangen – und was nicht

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In dieser Verzinkerei im branden- burgischen Eisenhüttenstadt werden

vorwiegend Flachbandstahlrollen für die Autoindustrie hergestellt.

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lung. Das Konzept sei für alle Marken und Re-gionen verbindlich und seine Wirksamkeit werde kontinuierlich überprüft und bewertet.

Alle Lieferanten von VW müssen bestäti-gen, dass sie dessen Nachhaltigkeitsanforde-rungen „zur Kenntnis nehmen“. Diese Formu-lierung lässt allerdings Konsequenzen für Zulieferer vermissen, die den Anforderungs-katalog missachten. Wie bei Daimler fehlen auch in den Einkaufsbedingungen der Volks-wagen AG Bezüge auf soziale, menschen-rechtliche oder ökologische Mindeststan-dards.

Volkswagen hatte seinen Nachhaltigkeits-bericht 2010 der Global Reporting Initiative (GRI) zur Prüfung vorgelegt. Die Ergebnisse dieser Prüfung ergaben, dass die Berichter-stattung in Bezug auf die Prüfung der Zuliefe-rer in Menschenrechtsfragen lückenhaft sei.

Eine systematische Überprüfung der Ein-haltung sozialer, menschenrechtlicher und ökologischer Mindeststandards durch die Zu-lieferer findet somit bislang bei keinem der drei großen deutschen Autobauer statt. Sie betonen meist, es läge im Verantwortungsbe-reich dieser Firmen, die Einhaltung von Um-welt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards gegenüber ihren Lieferanten einzufordern. Das gelte auch für Bergbauunternehmen und

Rohstofflieferanten. Außerdem argumentie-ren sie, ein Herkunftsnachweis wäre generell mit einem untragbaren Kostenaufwand ver-bunden.

Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Denn bereits heute verfügen die Automobil-hersteller über eine Vielzahl von Informatio-nen über die von ihnen verwendeten Roh-stoffe. Das schließt relevante Marktinformati-onen (Preis, Vorkommen, Verfügbarkeit, han-delspolitische Herkunft) und Informationen über technische Eigenschaften ein. Auch ken-nen die Autohersteller in der Regel die Her-kunft solcher Rohstoffe, deren Verfügbarkeit durch Versorgungsrisiken bedroht ist. Dies gilt vor allem für Seltene Erden und strategi-sche Rohstoffe. Sowohl für die Automobilin-dustrie als auch für die großen Zulieferer wäre es daher grundsätzlich möglich, Her-kunftsnachweise über die Erzlagerstätten der verwendeten Primärrohstoffe in die längst elektronisch verwaltete Dokumentation des Materialflusses aufzunehmen.

| Autokonzerne können mehr tunBislang reichen weder die zwischenstaatli-chen Instrumentarien der Regierungen noch die freiwilligen Initiativen der Unternehmen aus, um Transparenz über die gesamte Pro-duktionskette „vom Erz zum Auto“ herzustel-len. Die Regierungen könnten hier durch kla-re Transparenz- und Berichtspflichten Abhil-fe schaffen. Aber auch die Unternehmen könnten mehr tun.

Die Automobilfirmen sollten in ihren Lie-ferantenrichtlinien und Einkaufsbedingun-gen die Einhaltung ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Standards fordern

und entsprechende Vorgaben auch von ihren direkten Zulieferern verlangen. Sie sollten die Einhaltung dieser Standards aber nicht nur fordern, sondern auch systematisch überprüfen und bei Verletzung von Stan-dards klare Konsequenzen ziehen.

Automobilunternehmen und Zulieferbe-triebe sollten prüfen, inwieweit bestehende Informationssysteme wie das Internationale Materialdatensystem (IMDS, siehe dazu auch den Beitrag von Uwe Kerkow auf S. 8 ) und Compliance Data Exchange (CDX) weiterent-wickelt werden könnten, um sie auch zur Rückverfolgung und für spezifische Her-kunftsnachweise der von ihnen verarbeite-ten Metalle nutzen zu können.

Schließlich sollten Automobilunterneh-men die Einhaltung sozialer, ökologischer und menschenrechtlicher Standards entlang der gesamten Lieferkette systematisch in ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung aufneh-men. Die Global Reporting Initiative (GRI) be-reitet dazu derzeit Empfehlungen vor, die in der nächsten Generation der GRI-Leitlinien („G4“) berücksichtigt werden sollen.

Die Automobilkonzerne BMW und Daim-ler sowie große Zulieferer wie Bosch und ThyssenKrupp haben bald auch die Möglich-keit, direkt auf die Abbaubedingungen me-tallischer Rohstoffe Einfluss zu nehmen. Als Teilhaber an der Rohstoffallianz (RA), deren Ziel es ist, deutschen Unternehmen strate-gisch wichtige Rohstoffe auf den Weltmärk-ten zu sichern sind sie direkt an einem Explo-rationsunternehmen beteiligt.  Dadurch ha-ben sie die Möglichkeit und die Pflicht, dafür zu sorgen, dass in den Projekten der Allianz die höchsten Umwelt-, Sozial- und Men-schenrechtsstandards eingehalten werden. Die Bundesregierung sollte ihre Unterstüt-zung für RA-Vorhaben von der nachweisli-chen Einhaltung dieser Standards abhängig machen. | |

Jens Martens ist Leiter des Europa-Büros des Global Policy Forums (GPF) und Mitautor der Studie „Vom Erz zum Auto“.

Industrieroboter fertigen im Audi-Werk Ingolstadt Karosserien. Die Bleche für den

Karosseriebau kommen bei allen Auto- konzernen von Zulieferern.

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| Thorsten Nilges

Die deutsche Wirtschaft importiert den Großteil ihres Bauxits (2011: 78,9 Prozent) aus Guinea in Westafrika. Schätzungen zufolge hat Guinea neben anderen Boden-schätzen die größten Bauxitvorräte der Welt, 25 Prozent des globalen Vorkommens. In dem westafrikanischen Land herrschen trotz des Rohstoffreichtums Armut, Korruption und politische Unfreiheit. Im Human Development Index (HDI) belegte Guinea 2011 Rang 178 von 187 Ländern. Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International rangiert Guinea 2012 auf Platz 154 von 176 Ländern.

Das Bauxit wird im Tagebau gefördert, und der hat einen hohen Flächenverbrauch. Das führt in den Fördergebieten zu Land-nahmen unvorstellbaren Ausmaßes. Die Verschmutzung von Gewässern und der Umwelt verletzt das Recht auf sauberes Trinkwasser und noch viel grundsätzlicher das Recht auf Nahrung, da die Möglichkeit der Subsistenzlandwirtschaft geraubt wird. Im Dezember 2012 besuchte der guinei-sche Journalist Aboubacar Akoumba Diallo das Dorf Hamdalaye im Umfeld der Mine der Compagnie des Bauxites de Guinée (CBG). Die CBG gehört zu 49 Prozent dem guineischen Staat und zu 51 Prozent dem Konsortium HALCO, einer guineischen Firma, die nach US-amerikanischem Recht organisiert ist. Investor ist neben ALCOA (Aluminium Company of Ameri-ca; zu 45 Prozent) und ALCAN (Rio Tinto Alcan Canada Ltd; zu 45 Prozent) auch ein Unternehmen, das Produktionsstandorte in Deutschland unterhält (Dadco Alumina and Chemicals Ltd; zu 10 Prozent).

Gegenüber dem Journalisten Diallo beklag-ten sich die Anwohner in der Umgebung der CBG-Mine, dass die Flüsse, die ihnen als Trinkwasserreservoir dienten, vom Bergbau von ihren Quellen abgeschnitten wurden. Sprengungen in den Bauxit-Stein-brüchen erschüttern ihre Häuser, verursa-chen Risse im Mauerwerk und zerstören sogar Dächer. Zum Leiden der Anwohner kommen schlechte Arbeitsbedingungen in den Minen und Raffinerien. Streiks

und Proteste, auch wegen geringer Löhne, wurden von der Regierung teilweise blutig bekämpft.

2013 soll im Nordosten von Conakry die Aluminiumhütte von Sangarédi die Produk-tion aufnehmen. Sie wird von der Guinea Alumina Coorporation S.A. (GAC) betrieben, einer Tochter der Global Alumina Corporati-on aus Kanada. Hierfür wurden laut Global Alumina nur 600 Menschen umgesiedelt. Erhebungen der guineischen nichtstaat-lichen Organisation CECIDE (Centre du Commerce International pour le Développe-ment) zufolge hatten die beiden umgesie-delten Dörfer Touldé und Petoun Djiga über 1000 Einwohner.

Die Umgesiedelten beklagen, dass die Gegend, in der sie nun leben, nicht mehr genügend kultivierbares Land hat. Vor ihrer Umsiedlung im Februar 2008 hatten sie nach Angaben von CECIDE einen Ertrag von 40 Reissäcken pro Person pro Jahr. Seit der Umsiedlung erwirtschaften sie jedoch durchschnittlich nur noch 10 Reissäcke. Ihre Erträge aus Obst- und Gemüseanbau sind vollständig verschwunden. Darüber hinaus haben die Frauen die Palmölproduktion als Einkommensquelle verloren.

Die neuen Häuser der umgesiedelten Famili-en sind nicht so groß, wie ursprünglich vom Konzern versprochen. Schlimmer noch: Jede

umgesiedelte Familie hat eine Entschädi-gungszahlung für den Verlust ihrer Kulturen erhalten. Der Betrag sollte zur Anschaffung und zum Pflege von Setzlingen dienen, bis die neuen Ländereien zugewiesen werden. Die Zuteilung von Ländereien dauerte jedoch zwei Jahre, weshalb Aussagen der Bevölke-rung zufolge alle Setzlinge vertrockneten.

Schlussendlich resümiert die umgesiedelte Bevölkerung, dass sie lieber in ihren alten Dörfern leben möchte als in den neuge-bauten, modernen Orten. Denn da diese Orte sich in einem unwirtlicheren Gebiet befinden, verfügt sie über deutlich weniger Nahrungsmittel.

Die Zivilgesellschaft Guineas sieht auch Fortschritte: Das Minenministerium und das Landwirtschaftsministerium arbeiten gemeinsam mit ihr an einer Verbesserung der Entschädigungsmodalitäten. Darüber hinaus wecken jüngste Meldungen aus Guinea Hoffnung auf mehr Transparenz: Seit Februar 2013 werden in Guinea Verträge, die die Regierung mit Unternehmen aus der Rohstoffindustrie abgeschlossen hat, veröffentlicht. Bisher sind das insgesamt 60 Dokumente, die 18 verschiedene Abbaupro-jekte betreffen. | |

Fragwürdiger Partner der deutschen WirtschaftBauxit aus Guinea

Wer beim Rohstoffabbau auf der Strecke bleibt

Anwohner beschweren sich öffentlich über schädliche Folgen des Bauxit-Abbaus. So ver-ursachen beispielsweise Sprengungen in den Steinbrüchen Risse im Mauerwerk ihrer Häuser.

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Thorsten Nilges ist in Yaoundé, Kamerun, AGEH-Fachkraft für Extraktive Rohstoffe und Menschenrechte bei der nationalen Justitia & Pax-Kommission.

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| Claudio Moser

Der größte Teil des in Deutschland zu Stahl verarbeiteten Eisenerzes kommt aus dem brasilianischen Amazonasgebiet. Der Abbau des Erzes in Carajás war der Startschuss zu einer beispiellosen Zerstörung des Regen-waldes. Jetzt plant der Eigentümer der Mine, der brasilianische Bergbaugigant Vale, die Fördermenge zu verdoppeln.

Am 14.11.2008 konnte die Pressestelle des brasilianischen Bergbaukonzerns von einer besonderen Feier in Essen berichten. In Anwesenheit des damaligen Vorstandsvorsitzenden der ThyssenKrupp AG, Ekkehard D. Schulz, und des Chefs der Stahlsparte des Konzerns, Karl-Ulrich Köhler, wurde auf die „einmilliardste“ Tonne Eisenerz aus Carajás angestoßen. Für Vale, den größten Eisenerzexporteur der Welt und ThyssenKrupp, Deutschlands Stahlunternehmen Nr. 1, das hierzulande für zirka ein Drittel der Stahlproduktion sorgt, wahrhaft ein guter Grund, die Gläser klirren zu lassen.

Mit einem Anteil von 55 Prozent kommt mehr als die Hälfte des Eisenerzes, das

in Deutschland zu Stahl verhüttet und anschließend von der Industrie verarbeitet wird, aus Brasilien. Hauptlieferant ist die Carajás-Mine. Sie ist die größte Eisenerzmi-ne der Welt, doch hat ihre Ausbeutung der Region nicht viele Vorteile gebracht. Die Gü-terzüge der Minengesellschaft sind 220 bis 330 Waggons lang und transportieren den begehrten Rohstoff durch eines der ärmsten Gebiete Brasiliens.

Entlang der als „Entwicklungsachse“ gedach-ten 890 Kilometer langen Eisenerzbahn ist heute so gut wie nichts mehr von der einstigen üppigen Regenwaldvegetation übrig. Entscheidenden Anteil daran hatte die Verhüttung eines Teils des Eisenerzes zu Roheisen, wofür Hunderte von Köhlereien, die sich nach und nach in den Wald fressen, Holzkohle liefern. Etwa 60 Prozent der Holz-kohle stammt aus illegalem Einschlag. Sie kommt aus immer größeren Entfernungen, oft aus den Waldflächen, die nach den bishe-rigen Erschließungsvorhaben den indigenen Völkern noch geblieben sind. Regelmäßig werden zudem Fälle von Sklavenarbeit in den Köhlereien bekannt. Auf vielen Flächen wird inzwischen Eukalyptus in riesigen Monokulturen angebaut.

Zu den ökologischen Folgen gehören der Verlust der Biodiversität und die Verände-rung des regionalen Klimas. Der Wasser-kreislauf Amazoniens speist sich aus den feuchten Winden des Atlantiks, die von Osten herziehend sich in der Carajás-Region niederschlagen. Das verdunstete Wasser treibt weiter westwärts, wo es bis zu sechs oder sieben Mal erneut abregnet. Die hohen Entwaldungsraten im Osten des Amazonas Gebietes stören den Wasserkreislauf und damit des empfindlichen Ökosystems des Regenwaldes massiv.

Zurzeit plant Vale, südwestlich der bisheri-gen Mine eine neue Förderstätte in Betrieb zu nehmen und damit die Produktionska-pazitäten von derzeit rund 110 Millionen Tonnen jährlich auf 230 Millionen Tonnen erheblich zu steigern. Hierzu werden Investi-tionen in Höhe von 19,5 Milliarden US-Dol-lar veranschlagt, wovon rund 11 Milliarden in den Ausbau der Eisenbahn fließen sollen. Die in den Planungen als S11D bezeichnete neue Mine und der dazugehörige Bau von 504 Kilometern Bahnstrecke bedrohen direkt die indigenen Völker der Guajajara und Awá-Guajá, die bereits von der ersten Erschließungsphase des Carajás-Gebietes besonders stark betroffen waren.

Mehrere brasilianische Organisationen versuchen mit juristischen Mitteln gegen das Projekt vorzugehen. Aus Prostest gegen die Expansionspläne blockierten im Oktober 2012 etwa 200 Guajajara und Awá-Guaja die Bahnlinie der Vale und konnten so zeitweise den Abtransport des Eisenerzes aus dem Carajás-Gebiet lahmlegen – eine Aktion, die auch vom Börsenportal wallstreet:online registriert wurde. Doch kurze Zeit später rollten schon wieder die endlos scheinenden Züge mit ihrer rot-braunen Fracht in Rich-tung Weltmarkt. Solange hier die Nachfrage ansteigt, stehen die Chancen für Amazonien schlecht. | |

Die Folgen des Bergbaus in BrasilienEisenerz aus dem Amazonasgebiet

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Claudio Moser ist Länderreferent für Peru, Ecuador und Venezuela bei Misereor.

Die Eisenerzmine in Carajás, Brasilien, ist die größte der Welt. 2012 blockierten Indigene

den Abstransport des Erzes.

Wer beim Rohstoffabbau auf der Strecke bleibt

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| Susanne Friess

Ein missgebildetes Lamm auf dem Schreib-tisch der Direktorin des Vikariat von Sicuani. Besorgte Gesichter der Bauern, die das Tier zu Ruth Luque gebracht haben. Fragende Blicke: Was steckt hinter diesen Missbildun-gen? Wieso häufen sich die Fälle? Verursacht die Kupfermine in Espinar dieses Leid?

Die Bauern aus dem peruanischen Hoch-land in der Gegend von Espinar wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Sie wenden sich deshalb an die Vicaría de Sicuani, das katholische Vikariat von Sicuani, mit der Bitte um Unterstüt-zung. Die Bauern hegen den Verdacht, dass die Missbildungen der Tiere auf eine Umweltproblematik hinweisen könnten, die mit dem Bergbau zu tun hat. In Espinar betreibt der Konzern XStrata Tintaya (ein Tochterunternehmen von Xstrata Schweiz) seit 2006 eine riesige Kupfermine und produziert jährlich um die 75.000 Tonnen Kupferkonzentrat und 20.000 Tonnen Kupferkathoden.

Bevor die Mine an Xstrata Tintaya über-ging, gehörte sie dem australisch-briti-schen Konzern BHP Billiton. Der Bergbau

existiert in der Region schon seit Jahrzehn-ten. Immer wieder gab es Phasen heftiger Auseinandersetzungen zwischen der ländli-chen Bevölkerung und den wechselnden Mi-nenbetreibern. Die sich häufenden Fälle von Totgeburten und Missbildungen bei Tieren in der Region nähren den Verdacht, dass die Umwelt unter dem jahrelangen intensiven Bergbau leidet.

Mit Unterstützung von Misereor haben 2011 die Vicaría de Sicuani und eine deutsche Wis-senschaftlerin gemeinsam mit Vertretern der Stadtverwaltung Espinars sowie der lokalen Bevölkerung Boden- und Wasserproben im Umfeld der Mine entnommen, die in einem Speziallabor in Lima analysiert wurden. Das Ergebnis ist besorgniserregend: Mehr als die Hälfte aller Proben weisen Schwermetalle wie Arsen, Blei, Kupfer und Quecksilber auf, in vielen Fällen liegen die Werte deutlich über den zulässigen Höchstwerten. Nachdem die Stadtverwaltung von Espinar diese Ergeb-nisse veröffentlicht hatte, wurde bekannt, dass bereits ein Jahr zuvor die peruanische Gesundheitsbehörde Blut- und Urinproben von Menschen entnommen hatte, die im Umfeld der großen Tagebaumine leben, um diese auf Schwermetalle zu untersuchen. Aus Angst vor Protesten und Unruhen hielt man die Ergebnisse aber unter Verschluss.

Als diese Geheimhaltung öffentlich wurde, reagierten die Menschen mit Empörung und gingen auf die Barrikaden. Sie protestierten für den Schutz ihrer Gesundheit, für ihr Recht auf Wasser und eine saubere Umwelt.

Die Proteste wurden von der Regierung ge-waltsam niedergeschlagen. Zwei Menschen kamen durch Polizeigewalt ums Leben. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand. Die Mitarbeiter der Vicaría de Sicuani wur-den Opfer einer Intrige – sie wurden festge-nommen und mit dem Vorwurf konfrontiert, man habe in ihrem Wagen Waffen gefunden. Die Mitarbeiter bestreiten vehement, jemals Waffen besessen oder transportiert zu haben. Von Klägern werden sie zu Angeklagten. Auch die deutsche Wissenschaftlerin wurde Zielscheibe einer regelrechten Schmutzkam-pagne: Im Fernsehsender der peruanischen Bergbaulobby wurden Bilder der Wissen-schaftlerin aus ihrem Facebook-Account gezeigt. Man versucht ihre Ergebnisse der Bo-den- und Wasserproben in der Öffentlichkeit in Misskredit zu bringen und ihre Kompe-tenz in Frage zu stellen.

| Runde TischeDie Menschen in Espinar ließen sich durch diese Manöver jedoch nicht von den eigent-lich wichtigen Fragen ablenken und forder-ten umfassende Untersuchungen, um die Ursache für die Schwermetallbelastung von Boden und Wasser aufzuklären. Ihr Druck zeigte Wirkung, denn vor fünf Monaten hat die Regierung einen runden Tisch eingerich-tet, der – neben anderen Themen – Vorschlä-ge erarbeiten soll, wie das Umweltthema im Bergbausektor in Zukunft unter Beteiligung aller Akteure (Staat, Bevölkerung, Zivilgesell-

Von schmutzigem Wasser und SchmutzkampagnenKupfer aus Peru

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Selbst der Bürgermeister von Espinar erlitt Verletzungen, als Proteste der Bevölkerung

niedergeschlagen wurden.

Wer beim Rohstoffabbau auf der Strecke bleibt

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Vom Erz zum Auto 15

schaft und Unternehmen) angegangen wer-den soll. Die Ergebnisse bleiben abzuwarten.

Deutlich wird an diesem Beispiel, dass die Be-völkerung in Peru, einem Land, in dem mehr als 13 Prozent der gesamten Fläche des Lan-des für den Bergbau konzessioniert sind und in dem es Dutzende solcher Konflikte gibt, mehr informierte Mitsprache und aktive Beteiligung bei Entscheidungen einfordert. Die peruanische Regierung täte deshalb gut daran, runde Tische nicht nur dort einzu-berufen, wo Konflikte völlig aus dem Ruder laufen. Vielmehr sollten sie als Instrument der Bürgerbeteiligung und Konfliktpräven-tion bei allen großen Investitionsprojekten zur Regel gemacht werden, da dort immer verschiedene Interessen aufeinandertreffen und ein Ausgleich zwischen den – zwar legi-timen, aber häufig sehr konträren – Anliegen der verschiedenen Akteure gefunden werden muss. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass viele Bergbauunternehmen, so auch Xstrate Tintaya in Espinar, in Zukunft ihre Operationen ausweiten werden. | |

Im Distrikt Tampakan auf der philippini-schen Insel Mindanao plant die Firma Sagitarius Mines Inc. (SMI), eine Tochterge-sellschaft des Schweizer Konzerns Xstrata, eine riesige Kupfer-Gold-Mine. Damit sollen die größten bisher unerschlossenen Kupfervorkommen Südostasiens abgebaut werden. Doch das Megaprojekt bedroht die Lebensgrundlage der indigenen Gemein-schaften. Seit einigen Monaten nehmen die Spannungen zwischen Befürwortern und Gegnern des Bergbauprojektes zu, bis hin zu tödlichen Übergriffen. Michael Mondry von Misereor hat mit dem Leiter des „Social Action Center“, Pater Gillarme Joy Pelino, über das Projekt gesprochen.

In welcher Weise sind die in der Region lebenden Gemeinschaften vom Tampakan-Projekt betroffen?

Das von der Tampakan-Mine betroffene Flussgebiet ist seit Menschengedenken das angestammte Land der B’laan. Die nachhaltige Lebensweise der indigenen Gemeinschaften, die von der Landwirt-schaft und den Ressourcen des Waldes leben, ist durch das Projekt gefährdet. Ihre Kultur und Identität werden unwieder-bringlich verloren gehen. Eines der größ-ten Probleme besteht darin, dass Tausende Bewohner umgesiedelt werden sollen. Die Mine wird die in der Region bestehenden Kon-flikte verstärken und neue Konflikte auslösen.

Die Drohungen gegen die Bergbaugegner und Men-schenrechtsaktivisten nehmen zu. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Es wäre eigentlich die Aufgabe des Staates, seine Bürger und lokalen Gemeinschaf-ten zu schützen. Tatsache ist aber, dass die staatlichen Strukturen zu schwach sind, um das geltende Recht durchzuset-zen. Wenn man keine Strafverfolgung zu

befürchten hat, dann ermutigt das, illegale Mittel einzusetzen, um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, bis hin zur Ermordung von Menschrechts-aktivisten.

Sehen Sie Möglichkeiten für eine Lösung des Konflikts?

Eine Lösung ist nur dann möglich, wenn die Rechte der indigenen Völker auch wirklich anerkannt werden. Wenn nicht nur ein Ja, sondern wenn auch ihr Nein bedingungslos respektiert wird, ohne dass Bestechung, Korruption und Ähnliches ins Spiel kommen.

Zahlreiche Verhandlungen aber wurden im Schnellverfahren durchgeführt und entschieden.

Die Betroffenen haben die Vorgänge und verschiedene Vereinbarungen, die sie ein-gegangen sind, gar nicht verstanden. Daher kommt es vor allem darauf an, dass sie über die Auswirkungen des Projekts, nicht nur über seinen möglichen wirtschaftlichen Nutzen, mit aller Transparenz und Offenheit aufgeklärt werden.

„Die Mine bringt neue Konflikte“Interview mit Pfarrer Gillarme Joy B. Pelino

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Pfarrer Gillarme Joy B. Pelino ist als Leiter des Social Action Center der Diözese Marbel unter anderem in der Gemeinde Tampakan

auf den Philippinen tätig, wo das umstrittene Bergbauvorhaben geplant ist.

Wer beim Rohstoffabbau auf der Strecke bleibt

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Susanne Friess ist Beraterin auf Zeit (BAZ) für Bergbau und Entwicklung bei Misereor.

Eine Siedlung von Grubenarbeitern am Eingang zu der Kupfermine Tintaya. Seit 2006 ist die

Mine in den Händen des Schweizer Konzerns Xstrata.

Eine Lösung ist nur möglich, wenn die Rechte der indigenen Völker anerkannt werden.

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Was könnte und sollte die philippinische Re-gierung Ihrer Meinung nach tun, um die vom Tampakan-Projekt betroffenen Menschen vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen?

Für das Tampakan-Projekt fordern wir ein Moratorium, bis die Voraussetzungen geschaffen sind, dass die Menschenrechts-verletzungen und die Morde an Stammes-führern, der Wille der Bevölkerung ernst genommen werden und auch negative Auswirkungen des Projekts bei der Beurtei-lung berücksichtigt werden. Hierzu zählen insbesondere die Gefährdung der Ernäh-rungssicherheit, die langfristigen Umwelt-schäden und die Bedrohung der gesamten Existenz der indigenen Gemeinschaften. Der wirtschaftliche Nutzen und die Umwelt-schäden sowie die soziokulturellen Folgen müssen sorgfältig gegeneinander abgewo-gen werden.

Können Sie den Fall der kürzlich getöteten Familie von Daguel Capion schildern?

Am 18. Oktober 2012 in den frühen Morgen-stunden wurden in Faya Halub bei einem Überfall die Familienangehörigen von Dagu-el Capion getötet. Die Opfer waren dessen schwangere Frau Juvy und die 13 und 8 Jahre alten Kinder Jordan und John. Die fünf Jahre

alte Tochter Vicky und ihre elfjährige Freun-din Ressa Fiang überlebten das Massaker. Juvy, Jordan und John wurden erschossen. Daguel Capion ist Bergbaugegner und Füh-rer der indigenen Volksgruppe B’laan. Die Täter waren Soldaten des 27. Infanterieba-taillons der philippinischen Armee.

Was tut die Katholische Kirche zur Unterstüt-zung der Menschen, die vom Minenprojekt betroffen sind?

Die Kirche informiert die Menschen über die Risiken und möglichen Folgen des Bergbaus. Sie schafft Räume für eine echte Partner-schaft, in der die indigenen Gemeinschaften ihre Entwicklung selbst gestalten können. Sie vermittelt zwischen den betroffenen Gemeinschaften und den Behörden, denen sie die Missstände und Sorgen vorträgt. Und sie sucht nach Möglichkeiten, um die wirtschaftliche Lage der Betroffenen zu verbessern. So ermutigt das Social Action

Center (SAC) Marbel sie zum Beispiel, landwirtschaftliche Erzeugnisse, die nicht zur Deckung des Eigenbedarfs verwendet werden, zu vermarkten.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der indigenen ethnischen Gruppen in Tampakan vor? Welche Vision haben Sie?

Das Recht auf Selbstbestimmung der in-digenen Gemeinschaften wird umgesetzt, sie werden als gleichberechtigte Partner betrachtet. Sie behalten ihr Land, bewirt-schaften und pflegen es zum Wohle der heutigen, aber auch künftiger Generationen. Bei jeder Art von Entwicklung müssen die grundlegenden Menschenrechte einschließ-lich der kulturellen Rechte geschützt sowie die soziale Gerechtigkeit gefördert werden. Der Staat überarbeitet das Landrecht und richtet seine Politik an den Interessen der philippinischen Bevölkerung aus. | |

Die Fragen stellte Michael Mondry.

Die tödliche Gewalt nimmt kein Ende

Die Militarisierung der Region Tampa-kan hat in den letzten Jahren zu einer tödlichen Spirale der Gewalt geführt. In jüngster Zeit waren unter anderem die schwangere Ehefrau und zwei Kinder des indigenen Bergbaugegners Daguil Campion Opfer des Gewaltkonflikts. Ein Bruder Daguil Campions wurde Opfer eines Schusswechsels zwischen Soldaten und bewaffneten Bergbau-gegnern. Bei einer Anhörung vor dem philippinischen Kongress Ende Februar bestätigten Zeugen, dass die Bergbau-firma SMI schon seit 2006 militärische und paramilitärische Einheiten in der Region finanziert. Aus Angst verlassen viele Menschen ihre Dörfer. Nachdem der Oberste Gerichtshof Mitte Februar, entgegen einer Entscheidung der Pro-vinzregierung, dem Tampakan-Projekt eine Unverträglichkeitsbescheinigung ausgestellt hat, ist mit weiteren Protes-ten und einer weiteren Eskalation der Gewalt zu rechnen.

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Das Leben und die Würde schützen: Proteste gegen ein Bergbauvorhaben auf Mindanao.

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| Armin Paasch

Was tun, wenn Nationalstaaten nicht willens oder in der Lage sind, die Men-schenrechte zu schützen? Welche Ver-antwortung haben die Bergbau- und Förderunternehmen? Wie weit reicht die Verantwortung der Hersteller von Autos, Handys und Computern, in de-nen Rohstoffe verarbeitet werden? Und welche extraterritorialen Menschen-rechtsverpflichtungen tragen jene Staaten, in denen die transnationalen Bergbau-, Automobil- oder Elektronik-konzerne ihren Hauptsitz haben?

Sei es in Peru, Kolumbien, Indien, den Philip-pinen, Sambia oder in der Demokratischen Republik Kongo: Schwere Menschenrechts-verletzungen sind beim Abbau von Eisenerz, Bauxit, Kupfer und anderen Rohstoffen an der Tagesordnung. Fast alle Staaten, wo dies geschieht, haben die grundlegenden UN-Menschenrechtspakte über die bürgerlichen und politischen wie auch die sozialen Rechte ratifiziert. Damit haben sie sich völkerrecht-lich verpflichtet, diese Rechte selber zu ach-ten, vor Verstößen durch private Akteure zu schützen und progressiv für alle zu gewähr-leisten. Sie müssen sie dementsprechend in ihrer Minen-, Land-, Umwelt- und Arbeitsge-setzgebung verankern. Bergbaulizenzen dür-fen sie nicht ohne eine freie, vorherige und informierte Zustimmung indigener Gemein-schaften erteilen. Lokale Aktivisten und Ge-werkschafter müssen sie vor Übergriffen durch private Sicherheitskräfte und Polizei schützen. Und wo es dennoch zu Menschen-rechtsverstößen kommt, müssen diese durch eine unabhängige Justiz untersucht, geahn-det und wieder gutgemacht werden.

Diese Rechte von nationalen Regierungen einzufordern, ist ein Schwerpunkt in der Ar-beit von Misereor und vielen Partnerorgani-sationen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass

Regierungen oftmals nicht willens oder in der Lage sind, ihrer Pflicht nachzukommen. Autokratische Herrschaftsformen, Vettern-wirtschaft und Korruption spielen dabei oft eine wichtige Rolle. Dennoch greift das Erklä-rungsmuster von „hausgemachten“ Proble-men in seiner Reflexartigkeit häufig zu kurz.

| Korruption – leicht gemachtEin Beispiel dafür ist Korruption, an der im-mer mindestens zwei Akteure beteiligt sind: der Empfänger von Schmiergeld und dessen Zahler. Dass beide sich auf Kosten der Bevöl-kerung bereichern können, liegt zunächst an mangelnder demokratischer Kontrolle und Unabhängigkeit staatlicher Institutionen. Vereinfacht werden solche Praktiken aber auch durch mangelnde Transparenzvor-schriften in den Heimatländern transnatio-naler Bergbaukonzerne. Gegenüber projekt- und länderbezogenen Offenlegungspflich-ten für Zahlungen von Bergbaukonzernen an staatliche Stellen, wie sie in der EU derzeit diskutiert werden, ist die deutsche Bundesre-gierung bisher eher als Bremser aufgefallen.

Dass Regierungen des Südens transnatio-nalen Konzernen ihre Rohstoffe oft auf dem Silbertablett servieren, hat auch mit unglei-chen Machtverhältnissen in einer globali-sierten Wirtschaft zu tun. Der Jahresumsatz eines Bergbaukonzerns wie BHP Billiton (72 Milliarden US-Dollar in 2012) übersteigt den Staatshaushalt eines Landes wie von Sambia (3,6 Milliarden in 2011) um ein Zwanzigfa-ches. In ihrem Eifer, ausländische Direktin-vestitionen ins Land zu holen, begeben sich viele Regierungen in einen Wettlauf um ein möglichst günstiges Investitionsklima, was häufig niedrige Abgaben, Steuern, Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards ein-schließt.

Staat oder privat?Die Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte im Rohstoffsektor liegt nicht nur bei den Nationalstaaten

Zugang verboten! In der Hafenstadt Pointe Noire konzentriert sich die Erdölindustrie der Republik

Kongo. Die lokale Bevölkerung ist von den wirtschaftlichen und politischen Entscheidungs-

prozessen ausgeschlossen.

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5-2013 | Dossier

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| Investorenrechte und Menschenrechte aus dem Lot

International abgesichert wird eine solche Abwärtsspirale durch bilaterale Handels- und Investitionsschutzabkommen, wie sie die EU mit vielen Ländern bereits abge-schlossen hat oder anstrebt. Eine Begren-zung von Exportsteuern ist in solchen Ab-kommen ebenso verankert wie weit ausge-legte Schutzbestimmungen für ausländi-sche Investoren. Neue nationale Gesetze zum Schutz von Wäldern, Grundwasser oder Landrechten geraten nach Abschluss solcher Abkommen zu einem riskanten Unterfan-gen, wenn dadurch die erwarteten Gewinne internationaler Konzerne geschmälert wer-den könnten. Diese können die betreffenden Staaten in solchen Fällen, unter Umgehung nationaler Gerichte, bei internationalen In-vestitionsschiedsgerichten wegen „indirek-ter Enteignung“ oder „unfairer Behandlung“ auf Schadensersatz verklagen, selbst wenn es zu einer physischen Enteignung nie ge-kommen ist.

Den überzogenen Investorenrechten ste-hen in solchen Abkommen weder Investo-renpflichten noch Menschenrechte gegen-über. In der Regel können daher weder Un-ternehmen noch Staaten bislang vor inter-nationalen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden, wenn es beim Rohstoffab-bau zu Menschenrechtsverletzungen gegen-über der lokalen Bevölkerung kommt. Nichts zu befürchten haben auch Konzerne in der EU, wenn deren Tochter- und Zulieferbetrie-be an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Auf derlei „Regulierungslücken“, die im

Zuge wirtschaftlicher Globalisierung ent-standen seien, hat 2008 auch der damalige UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, Prof. John Ruggie, hinge-wiesen: „Diese Regulierungslücken bieten ein Umfeld, in dem fehlerhaftes Verhalten durch Unternehmen aller Art erlaubt ist und angemessene Sanktionen und Entschädi-gung ausbleiben.“

Diese Regulierungslücken zu schließen, ist daher ein zentrales Anliegen der UN-Leit-prinzipien für Wirtschaft und Menschen-rechte, die der UN-Menschenrechtsrat 2011 verabschiedet hat. Gemäß ihrer Schutz-pflicht, so bekräftigen die Leitprinzipien, müssen Staaten Menschenrechtsverstößen „durch effektive Politik, Gesetzgebung, Regu-lierungen und Rechtssprechung vorbeugen, sie untersuchen, ahnden und wiedergutma-chen“. Dazu gehört auch die Verpflichtung, den Opfern Zugang zu effektiven Rechtsmit-teln zu ermöglichen.

Den Unternehmen selbst kommt laut den UN-Leitprinzipien zwar keine direkte völker-rechtliche Verpflichtung, sehr wohl aber eine Verantwortung zu, die Menschenrechte zu achten. Diese erstreckt sich nicht allein auf eigene Aktivitäten, sondern auch auf jene Operationen, Güter und Dienstleistungen entlang der Wertschöpfungskette. Mit ande-ren Worten: Auch Hersteller von Autos, Han-dys oder Computern tragen eine Mitverant-wortung dafür, dass Menschenrechte beim Abbau der verwendeten Rohstoffe geachtet werden.

| Unternehmen zur Verantwortung ziehen

Zentral ist für Ruggy der Begriff der „gebüh-renden Sorgfalt“. Unternehmen müssen dem-nach menschenrechtliche Risiken frühzeitig identifizieren, in Risikobereichen umfassen-de menschenrechtliche Folgenabschätzun-gen vornehmen, auf dieser Grundlage die notwendigen Maßnahmen ergreifen und da-rüber Rechenschaft ablegen. Das Problem: Zu vage und unterverbindlich fallen die Leit-prinzipien an vielen Stellen aus, um dem for-

mulierten Anspruch der Schließung von Re-gulierungslücken gerecht zu werden.

Dies wird auch in einer viel beachteten Studie des European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) und der International Corpo-rate Accountability Roundtable beanstan-det. Die spezifischen Optionen, mit denen Staaten die Umsetzung gebührender Sorg-falt durch Unternehmen sicherstellen könn-ten, würden in den UN-Leitprinzipien nicht spezifiziert, so die Kritik. Als Ausweg schlägt die Studie vor, den Unternehmen eine ge-bührende menschenrechtliche Sorgfalt auch gesetzlich vorzuschreiben. Dass dies möglich wäre, zeigt sie an zahlreichen be-reits bestehenden Gesetzen in den Berei-chen Korruptionsbekämpfung, Arbeitssi-cherheit und Umweltschutz auf. Erst solche gesetzliche Sorgfaltpflichten würden es den Opfern letztendlich ermöglichen, ihre Men-schenrechte auch einzuklagen.

| Menschenrechte auch im Ausland schützen

Menschenrechte auch gegenüber Verletzun-gen von Tochterunternehmen und Zuliefer-betrieben im Ausland zu schützen, ist nach Meinung vieler Experten der Vereinten Nati-onen, der Wissenschaft und Zivilgesellschaft eine „extraterritoriale Staatenpflicht“. Zu diesen Pflichten gehört es auch, ein günsti-ges internationales Umfeld für die Umset-zung sozialer Menschenrechte zu schaffen. Außenwirtschaftsförderung, Handels- und Investitionsschutzabkommen oder auch bi-laterale Rohstoffpartnerschaften dürfen demnach die Spielräume zum Menschen-rechtsschutz niemals einschränken, sondern müssen sie im Gegenteil erweitern. Die deut-sche Rohstoffpolitik, die einseitig den Zu-gang deutscher Unternehmen zu billigen Rohstoffen abzusichern trachtet, ist mit die-sen menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht vereinbar und gehört dringend auf den Prüfstand. | |

Armin Paasch ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei Misereor.

Weiterführende LiteraturDe Schutter, Olivier et al: Human Rights Due Diligence: The Role of States, ECCJ und ICAR et al, 2012.

John Ruggy: Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights, 2008, Absatz 3: http://www.reports-and-mate-rials.org/Ruggie-report-7-Apr-2008.pdf

UN Guiding Principles on Business and Human Rights, 2011: http://www.ohchr.org/Docu-ments/Publications/GuidingPrinciplesBusi-nessHR_EN.pdf

Maastricht Principles on extraterritorial Obliga-tions of States in the area of economic, social and cultural rights: http://www.etoconsortium.org/nc/en/library/maastricht-principles/?tx_drblob_pi1%5BdownloadUid%5D=23

Dossier | 5-2013

Vom Erz zum Auto 19

| Peter Fuchs

Was aus unserem Wirtschaftssystem als Abfall herauskommt, ist als Rohstoff hi-neingegangen. Diese „Durchflusswirt-schaft“ ist nur möglich mit Rohstoffen aus aller Welt. Daher drängt die deut-sche Industrie auf Freihandel mit Roh-stoffen, auf Außenwirtschaftsförderung und Rohstoffdiplomatie – und wo das nicht reicht, auch auf „Sicherheitspoli-tik“, sprich den Einsatz von Militär. NGOs stellen dem Ansätze einer alternativen Rohstoffpolitik für Menschenrechte, Entwicklung und ein gutes Leben ohne Zerstörung des Planeten entgegen.

Die hierzulande laufenden Debatten um Roh-stoffe lassen sich idealtypisch in drei ver-schiedene Diskurse gruppieren: Vorherr-schend ist erstens ein von ökonomischen In-teressen geprägter Versorgungssicherheits-Diskurs. Dieser zielt auf eine Ausweitung des Rohstoffangebots und die kostengünstige Versorgung der Industrie mit den Stoffen, aus denen unsere Träume von Autos, Smartpho-nes und Windrädern sind. Ein zweiter roh-stoffpolitischer Effizienz-Diskurs sieht durch-aus ein Problem im inländischen Ressourcen-verbrauch, will die Abhängigkeiten von Im-porten verringern und schädliche ökologische

(manchmal auch: soziale) Auswirkungen der Rohstoffgewinnung vermindern. Viele Infor-mationen sowie die privaten wie staatlichen Akteure dieser Debatte lassen sich über die Website www.ressourcenpolitik.de finden. Ein dritter entwicklungspolitischer Diskurs the-matisiert die Folgen von Rohstoffexporten in Entwicklungsländern, die Verantwortung von Nord-Regierungen und Unternehmen beim weltweiten Rohstoffeinkauf. Die radikaleren Stimmen dieser Debatte stellen ganz grund-sätzlich das Rohstoffmodell des „Extraktivis-mus“ in Frage.

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Foto oben: Kupfermine in Peru. Die Bundesregie-rung plant eine Rohstoffpartnerschaft mit dem Andenstaat – obgleich die dortige Bevölkerung sich seit langem gegen Bergbauprojekte wehrt,

mit Slogans wie: „Das Leben ist mehr wert als alles übrige!“ (Foto rechts).

Materialbeschaffung für die imperiale LebensweiseDie Rohstoffstrategie Deutschlands zwischen Industrieinteressen und Alternativen

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5-2013 | Dossier

Vom Erz zum Auto20

| Deutschlands Rohstoffversorgungs-politik Anfang 2013

Der Versorgungssicherheits-Diskurs wird spä-testens seit 2004 geprägt vom Bundesver-band der Deutschen Industrie (BDI), seinen Mitgliedsunternehmen sowie wirtschaftsna-hen Akteuren in Politik, Behörden und Wis-senschaft. Konkrete Aktivitäten sahen bei-spielhaft im ersten Vierteljahr 2013 so aus: Zum 1. Januar 2013 startete das beim Bundes-wirtschaftsministerium (BMWi) angesiedelte Explorationsförderprogramm. Das ist ein Programm mit bedingt rückzahlbaren Darle-hen für Unternehmen, die im Bereich der Ex-ploration der von der EU identifizierten „kriti-schen Rohstoffe“ (wie Kobalt und Seltene Er-den) tätig werden wollen.

Ebenfalls noch im Januar 2013 unterzeich-neten Vertreter des BMWi und Kanzlerin Mer-kel in Santiago de Chile mit der dortigen Re-gierung eine Absichtserklärung zur Zusam-menarbeit im Bereich Bergbau und minerali-sche Rohstoffe. Wirksame Maßnahmen für Umwelt- oder Sozialstandards wurden nicht verabredet, wohl aber der Investitionsschutz-vertrag zwischen den beiden Ländern noch einmal bekräftigt. Dieser gibt internationalen Investoren im Rohstoffgeschäft keinerlei Pflichten, aber vertraglich zugesicherte Rech-te und sogar eigene internationale Klage-möglichkeiten gegen staatliche Politiken, falls diese in private Eigentums- oder Pro-fitinteressen eingreifen. Im Februar 2013 ver-anstaltete der BDI im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz eine Fachveranstaltung zu den sicherheitspolitischen Aspekten der Rohstoffversorgung. Im Handelsblatt (18.2.2013) sagte dazu der Geschäftsführer der Rohstoffallianz Dierk Paskert: „Wir brauchen eine strategisch ausgerichtete Außenwirt-schafts- und Sicherheitspolitik. Das Ziel freier und transparenter Rohstoffmärkte muss uns zwar lenken, es wäre aber naiv, dies in naher

Zukunft als gegeben anzunehmen. (…) Des-halb werden wir gemeinsam mit unseren Partnern in der EU und Nato noch mehr Ver-antwortung in Außenwirtschafts- und Sicher-heitsfragen übernehmen müssen, um lang-fristig dieses Ziel zu erreichen.“ Die Rohstoff-allianz GmbH ist ein gemeinsam von deut-schen Konzernen wie Siemens, BASF, Bayer, Bosch, Thyssen-Krupp, VW und BMW getrage-nes, 2012 gegründetes Unternehmen, das zu-künftig die Rohstoffversorgung deutscher Firmen durch eigenes Agieren im globalen Rohstoffgeschäft unterstützen soll. Auf politi-scher Seite lud schließlich die CDU/CSU als rohstoffpolitisch aktivste Fraktion im Bun-destag noch im März 2013 zum schon vierten großen Rohstoffkongress in dieser Legislatur-periode nach Berlin ein.

| Die Industrie rief – die Politik folgteDiese Aktivitäten knüpfen an ein nunmehr seit 8 Jahren aufgebautes intensives Zusam-menwirken von deutscher Wirtschaft und Po-litik beim Rohstoffthema an. Nach dem ersten großen Rohstoffkongress des BDI im Jahr 2005 wurde die Industrie intensiv in die Formulie-rung der Rohstoffpolitik der Bundesregierung einbezogen. Kanzlerin Merkel hatte dies öf-fentlich versprochen. 2007 erschien das Pa-pier „Elemente einer deutschen Rohstoffstra-tegie“ und für dessen praktische Umsetzung wurde der Interministerielle Ausschuss (IMA) Rohstoffe unter Federführung des BMWi ein-gesetzt. Wie selbstverständlich wurde der BDI direkt in die Arbeit dieses Gremiums einge-bunden. Im Oktober 2010 wurde dann auf dem 3. BDI- Rohstoffkongress die weiter aus-formulierte „Rohstoffstrategie der Bundesre-gierung“ vorgestellt. Sie setzt vor allem auf:• den entschlossenen Einsatz für Freihandel

mit Rohstoffen, unter anderem durch EU-Freihandelsverträge und WTO-Klagen ge-gen Rohstoff-Exportsteuern in Entwick-lungsländern;

• Deutschlands bilaterale Rohstoffpartner-schaften mit Lieferländern wie der Mongo-lei und Kasachstan (in Vorbereitung: Peru sowie eventuell weitere Länder);

• Programme im Bereich der Rohstofffor-schung, Rohstoff- und Materialeffizienz;

• institutionelle Maßnahmen wie die Ein-richtung der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) und des Helmholtz-Instituts Frei-berg für Ressourcentechnologie;

• die laufende enge Abstimmung mit der In-dustrie im Interministeriellen Ausschuss (IMA) sowie die Außenwirtschaftsförderung von Industrieprojekten im Rohstoffsektor

• und die Verzahnung dieser Maßnahmen mit der ähnlich ausgerichteten EU-Roh-stoffpolitik.

| Elemente alternativer RohstoffpolitikAuf eine nennenswerte Beteiligung von NGOs und kritischer Öffentlichkeit in diesem Pro-zess wurde und wird seitens der Regierung und der Wirtschaft bewusst verzichtet. Detail-lierte zivilgesellschaftliche „Anforderungen an eine zukunftsfähige Rohstoffstrategie“ wurden aber 2010 vorgestellt. Kernelemente zivilgesellschaftlicher Vorschläge sind• die absolute Reduktion des Rohstoffver-

brauchs „zuhause“;• die verbindliche Regulierung von Unter-

nehmen im Rohstoffgeschäft (Transpa-renz, sozial-ökologische Standards, Steu-ern, Partizipations- und Klagemöglichkei-ten für Betroffene);

• ein fairer Deal gegenüber den Lieferlän-dern inklusive des Schutzes der Menschen-rechte der lokalen Bevölkerungen.

Die Rohstoffpolitik Deutschlands bleibt umkämpft. Bislang dominieren harte Wirt-schaftsinteressen, die auf sichere und billige Rohstoffimporte drängen. Damit soll unser Produktions- und Konsummodell weiter un-gebremst befeuert werden. Kritische Wissen-schaftler nennen dies zu Recht eine „imperia-le Lebensweise“. Vorschläge einer alternativen Rohstoffpolitik liegen vor, müssen aber von der Zivilgesellschaft in Deutschland noch viel entschlossener und koordinierter vorge-bracht werden. Einen Beitrag dazu soll die ers-te „Alternative Rohstoffwoche“ vom 12.-19. Oktober 2013 leisten. | |

Peter Fuchs hat Sozialökonomie studiert und arbeitet bei PowerShift e.V. in Berlin. Kontakt: [email protected]

Weiterführende LiteraturWerland, Stefan (2012): Debattenanalyse Rohstoffknappheit, Berlin. (download via http://www.ressourcenpolitik.de)

NGO-Erklärung zu einer zukunftsfähigen Roh-stoffstrategie vom 25.10.2010 (Fassung vom März 2011): http://power-shift.de/?p=271

Brand, Ulrich / Wissen, Markus (2011): Sozial-ökologische Krise und imperiale Lebens-weise. Zu Krise und Kontinuität kapitalistischer Naturverhältnisse. In: Demirović, A. et.al. (Hrsg.), Vielfach-Krise im finanzdominierten Kapitalismus, Hamburg, S. 78-93

Dossier | 5-2013

Vom Erz zum Auto 21

| Sven Hilbig und Sarah Lincoln

Wir erleben zurzeit einen historisch einmaligen Rohstoffboom. Viele der neu erschlossenen Abbau- und Förde-rungsstätten befinden sich in den Län-dern des globalen Südens. Doch nur ein verschwindend geringer Anteil der Gewinne aus der Rohstoffextraktion kommt den Menschen vor Ort zugute. Ein Grund hierfür sind Steuervermei-dung, Korruption und Intransparenz im Rohstoffsektor.

Ein Blick auf das Volumen der aus Rohstoffen erwirtschafteten Umsätze und Gewinne macht deutlich, um wie viel Geld es dabei geht: Die afrikanischen Exporte an Öl, Gas und Mineralien beliefen sich 2010 auf 252 Milliarden Euro. Sie waren damit etwa sieben Mal so hoch wie Gelder der öffentlichen Ent-wicklungszusammenarbeit (36 Milliarden Euro) in Afrika im selben Jahr.

Solange die Zahlungen der Rohstoffunter-nehmen an die Regierungen der rohstoffrei-chen Länder nicht offengelegt werden, kön-nen die Menschen ihre Regierungen nicht für die Verwendung dieser Gewinne verant-wortlich machen. Die Offenlegung dieser Zahlungsströme ist somit ein wichtiger Bei-trag zur Korruptionsbekämpfung und eine Voraussetzung dafür, den Menschen in den Abbauländern durch eine faire Unterneh-mensbesteuerung die Teilhabe an den Erlö-sen zu ermöglichen. Mit anderen Worten: Transparenz ist eine der wichtigsten Säulen für mehr Rohstoffgerechtigkeit.

Um mehr Transparenz bei den Zahlungs-strömen im Rohstoffsektor durchsetzen zu können, starteten zivilgesellschaftliche Or-ganisationen 2002 die Kampagne Publish What You Pay (PWYP). Die Kampagne zielt darauf ab, Regierungen und Unternehmen zur Offenlegung ihrer Zahlungen im Roh-stoffsektor zu verpflichten. Darüber hinaus

verlangt PWYP heute die Offenlegung der Verträge zwischen Unternehmen und Regie-rungen.

Im selben Jahr gründete sich – angestoßen von der britischen Regierung – die Extracti-ve Industries Transparency Initiative (EITI). Auch ihr geht es darum, die Transparenz von Zahlungsströmen im Rohstoffsektor zu er-höhen. EITI erhielt sehr viel Zulauf. 37 Staa-ten, die Weltbank, der Internationale Wäh-rungsfonds, über 60 Unternehmen und In-vestitionsfonds sowie verschiedene zivilge-sellschaftliche Organisationen haben sich der freiwilligen Initiative inzwischen ange-schlossen. Nichtsdestotrotz ist der Wir-kungskreis von EITI begrenzt, da der Groß-teil der Staatengemeinschaft sie (noch) nicht unterstützt und es sich um ein freiwilliges Instrument handelt.

| Der Dodd-Frank ActVerbindliche Offenlegungspflichten wurden erstmals 2010 in den USA mit dem soge-nannten Dodd-Frank Act geschaffen. Dieses bahnbrechende Gesetz verpflichtet alle an der US-Börse notierten Erdöl-, Gas- und Mi-nengesellschaften, sämtliche Zahlungen, die sie an Regierungen in den Produktionslän-dern getätigt haben, gegenüber der US-Bör-senaufsichtsbehörde (Securities and Ex-change Commission, SEC) offenzulegen. Dar-über hinaus fordert das Gesetz von den Unternehmen auch die Auflistung der Zah-lungen für jedes einzelne Projekt. Da die Vor-gaben nicht nur für US-amerikanische, son-dern auch für ausländische Firmen an der US-Börse gelten, fallen auch einige der größ-ten europäischen Energie- (BP, Royal Dutch Shell) und Bergbauunternehmen (Rio Tinto, BHP Billiton) unter die Offenlegungspflicht der US-Börsenaufsicht SEC. Auch Unterneh-men aus Schwellenländern – allen voran chi-nesische Konzerne wie Petrochina, CNOOC oder Chinalco – sind von dieser Regelung be-troffen.

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t Diese 135 Kilometer lange Pipeline in Papua-Neuguinea wurde gebaut, um Kobalt und Nickel aus einem Bergwerk zum Hafen von Madang zu pumpen – für den chinesischen Minenbetreiber ein Geschäft mit Aussicht auf hohe Gewinne.

Transparenzpflicht Transparenz in den Zahlungsströmen – ein erster Schritt hin zum verantwortlichen Umgang mit Rohstoffen

5-2013 | Dossier

Vom Erz zum Auto22

| Der europäische RichtlinienentwurfAngestoßen durch die amerikanische Rege-lung, legte auch die EU-Kommission im ver-gangenen Jahr einen Richtlinienentwurf zu Transparenzanforderungen und Jahresab-schlüssen vor. Der von der EU-Kommission vorgelegte Richtlinienentwurf orientiert sich am Dodd-Frank Act, geht aber in zwei Punkten über das US-amerikanische Gesetz hinaus: Erstens sollen nicht nur börsenno-tierte, sondern auch große nichtbörsenno-tierte Unternehmen zur Offenlegung ihrer Zahlungen verpflichtet werden. Zweitens er-streckt sich der Geltungsbereich auch auf den Forstsektor.

Der Vorschlag der Kommission stieß zu-nächst auf erheblichen Widerstand und die diesbezüglichen Verhandlungen zwischen Europaparlament, EU-Ministerrat und EU-Kommission wurden von einigen Mitglieds-staaten – darunter Deutschland – vehement blockiert. Es wurde eingewandt, die Offenle-

gung von Zahlungen sei mit hohen adminis-trativen Folgekosten verbunden und könnte der Wettbewerbsfähigkeit der (europäi-schen) Unternehmen schaden.

Nach zähen Verhandlungen gelang der EU schließlich am 9. April 2013 eine infor-melle Einigung. Auch wenn genaue Infor-mationen noch nicht verfügbar sind, schei-nen wesentliche Aspekte des Kommissions-vorschlags übernommen worden zu sein. Zu begrüßen ist insbesondere die Einigung auf eine Offenlegungspflicht für jedes ein-zelne Projekt. Einige EU-Mitgliedsstaaten hatten während des Verhandlungsprozes-ses versucht, eine Regelung zu verabschie-den, welche die Unternehmen lediglich dazu verpflichtet, die Gesamtsumme der Zahlungen an die entsprechenden Regie-rungs- und Verwaltungsebenen des Emp-fängerstaats offenzulegen. Eine solche Ein-schränkung würde es den Menschen in den Abbaugebieten unmöglich machen, die

Zahlungen für das sie betreffende Projekt nachzuvollziehen. Es wäre nicht ersichtlich, ob die Unternehmen einen fairen Preis für die abgebauten Rohstoffe bezahlen und in angemessenem Umfang Steuern entrich-ten.

Weitergehende Forderungen der Zivilge-sellschaft sind allerdings nicht einbezogen worden. Die Offenlegungspflicht umfasst nur große Unternehmen und Zahlungen von über 100.000 Euro.

Fehlende Finanztransparenz ermöglicht Steuervermeidungstricks internationaler RohstoffkonzerneSambia zählte Anfang der 1970er Jahre zu den reichsten Ländern Afrikas. Doch das Bild hat sich gewandelt: Gegenwärtig lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in extremer Armut. In ländlichen Regionen beträgt die Armutsrate fast 80 Prozent. Sambia gehört damit trotz jährlicher Wachstumsraten von fünf Prozent zu den ärmsten Ländern der Welt.

Im Auftrag der sambischen Steuerbehör-de wurden 2008 massive Steuervermei-dungspraktiken der Mopani Kupfer-minengesellschaft, einer Tochter des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore, aufgedeckt. Die jährlichen Steuerverluste werden auf etwa 124 Millionen US-Dollar beziffert, da Mopani jahrelang nur Ver-luste ausgewiesen hat. Mopani hat dazu eine Reihe von „Steueroptimierungsme-thoden“ angewandt, darunter die Auswei-

sung überhöhter Produktionskosten, die Fälschung von Produktionszahlen, den Verkauf der Produktion an Glencore unterhalb von Marktpreisen sowie den Missbrauch von Absicherungsgeschäften.

Jüngsten Untersuchungen zufolge hat das zur Associated British Foods Gruppe gehörende Unternehmen Zambia Sugar seit 2007 im Lande zwar 123 Millionen US-Dollar an Gewinnen erzielt, jedoch praktisch keine Unternehmenssteuern bezahlt. Die großflächige Steuervermei-dung wurde möglich durch ein Netz von Holding-Gesellschaften, durch das ein Großteil der Vorsteuergewinne in Steueroasen wie Irland, Jersey und Mau-ritius verlagert wurde. Die sambische Regierung hat durch diese Steuerver-meidungstricks geschätzte 27 Millionen US-Dollar an Steuereinnahmen verlo-ren. Dies entspricht in etwa den Haus-haltsmitteln, die aufgebracht werden müssen, um 48.000 Kinder zur Schule zu schicken.

Mehr Transparenz in den Zahlungs-flüssen der Rohstoffkonzerne sowie die Pflicht zur länder- und projektbezogenen Rechnungslegung hätten dazu beigetra-gen, die halblegalen Geschäftspraktiken schon früher an die Öffentlichkeit zu bringen. Zudem wären die sambischen Steuerbehörden damit in der Lage gewe-sen, wirksamer gegen den Missbrauch interner Verrechnungspreise durch inter-nationale Rohstoffkonzerne vorgehen zu können und die Steuerbasis für dringend benötigte Sozialausgaben nachhaltig zu verbreitern. Klaus Schilder, Misereor

Erklärung von Bern (2011): OECD-Beschwerde gegen Glencores Steuerpraktiken. Im Internet unter www.evb.ch/p25019263.html

Actionaid (2012) Sweet Nothings – The Human Cost of a British Sugar Giant avoiding Taxes in Southern Africa. Im Internet unter www.actio-naid.org.uk/doc_lib/sweet_nothings.pdf

Kupfer und Zucker in Sambia

Die Anlage der chinesischen Firma Ramu Nico (hier noch im Bau) an der Nordküste Papua-Neuguineas. 2013 sollen hier über 31.000 Tonnen Nickel und mehr als 3.000

Tonnen Kobalt produziert werden.

Dossier | 5-2013

Vom Erz zum Auto 23

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| FazitEine abschließende Bewertung der neuen EU-Regelung ist erst nach der endgültigen Verabschiedung der Richtlinie möglich. Nach den bisherigen Informationen scheint die Einigung jedoch nicht, wie von vielen zivil-gesellschaftlichen Akteuren befürchtet, den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommis-sion komplett verwässert zu haben. Vielmehr hat die EU mit der neuen Regelung auf ver-pflichtende Transparenz im Rohstoff- und

Forstwirtschaftssektor einen wichtigen Bei-trag geleistet, um Korruption zu reduzieren und den Handlungsspielraum der Zivilge-sellschaft zu erweitern. Die Einigung lässt zudem hoffen, dass es bald auch in anderen Wirtschaftssektoren entsprechende Trans-parenzregelungen geben wird, da die Kom-mission aufgefordert wird, die Möglichkeit der Ausweitung der Transparenzvorschrif-ten auf andere Sektoren zu prüfen.

Die Forderung nach mehr Transparenz kann jedoch nicht bei der Offenlegung der Zahlungsströme von Unternehmen und Re-gierungen stehen bleiben. Korruption ereig-net sich auch bei der Exploration der Lager-stätten, der Vergabe von Konzessionen und der Vereinbarung von Förderverträgen oder Produktionsteilungsabkommen. Deswegen muss die Transparenz der Zahlungen ent-lang der gesamten Wertschöpfungskette er-höht werden. Zudem wäre ein konsequenter nächster Schritt der Regierungen, nach den

Regeln für Transparenz der Zahlungsströme nun auch Regeln für die Transparenz der Res-sourcenflüsse zu schaffen. Nur so kann si-chergestellt werden, dass die hier verwende-ten Rohstoffe nicht unter Verletzung ökologi-scher, sozialer oder menschenrechtlicher Mindeststandards abgebaut und verarbeitet wurden. | |

Sarah Lincoln ist Referentin für wirtschaft-liche, soziale und kulturelle Rechte  bei Brot für die Welt

– Evangelischer Entwicklungs-dienst.

Sven Hilbig ist Referent Welthandel und Internationale Umweltpolitik bei Brot für die Welt – Evangeli-scher Entwicklungsdienst.

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Dieses Dossier ist eine Beilage zur Ausgabe 5-2013 von .

Konzept und Redaktion: Armin Paasch und Axel Müller (Misereor), Anja Ruf (im Auftrag von )

Gestaltung: Silke Jarick, Angelika Fritsch

Verantwortlich i.S.d.P.: Bernd Bornhorst (Misereor) und Klaus Seitz (Brot für die Welt – Evangelischer Entwick-lungsdienst)

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.

Redaktion „welt-sichten“ Postfach 50 05 50 D-60394 Frankfurt/Main www.welt-sichten.org

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