120
VOM WERT DER MITBESTIMMUNG Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945

Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Vom Wert der mitbestimmung

Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945

Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den Ruinen der Wirtschaftsbetriebe und Verwaltungen Gremien demokratischer Mitbestimmung. Frei gewählte Betriebsräte ebneten den Weg für den Wiederaufbau der Demokratie in Deutschland.

Nach ersten gesetzlichen Regelungen noch unter Besatzungs­recht erkämpften die Gewerkschaften in den Gründerjahren der Bundesrepublik die Mitbestimmung in Unternehmen und Betrieben. Während der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition gelang es in den 1970er Jahren, die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte weiter auszubauen. Und in den letzten zehn Jahren wurden zahlreiche Europäische Aktiengesell­schaften errichtet, in denen die Grundprinzipien des deutschen Mitbestimmungsmodells verankert sind.

Heute vertreten hunderttausende Betriebs­ und Personalräte die Interessen der Beschäftigten. Und die Aufsichtsräte von mehr als 660 Großunternehmen sind paritätisch besetzt. Die hohe Wahlbeteiligung an den alle vier Jahre stattfindenden Betriebsratswahlen, die die Beteiligung an politischen Wahlen weit hinter sich lässt, zeugt von der lebendigen Demokratie in den Betrieben.

Wirtschaftlicher Wandel, Globalisierung und europäische Rechtssetzung fordern die Mitbestimmung heraus, ebenso wie die sich häufenden Fälle, in denen sich Unternehmen der Mitbe stimmung entziehen wollen. Und immer wieder werden Betriebs ratsgründungen erschwert oder sogar verhindert.遜

Vom

Wer

t d

er m

itbe

stim

mu

ng

B

etri

ebsr

äte

und

Aufs

icht

srät

e in

Deu

tsch

land

sei

t 19

45

Page 2: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den
Page 3: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

VOM WERT DER MITBESTIMMUNG

Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 1

Page 4: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 2

Page 5: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

VOM WERT DER MITBESTIMMUNG

Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945

Werner Milert und Rudolf Tschirbs

Herausgegeben von der Hans-Böckler-Stiftung

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 3

Page 6: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

HerausgeberHans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf

VerantwortlichWolfgang Jäger

Konzeption, Texte, BildauswahlWerner Milert, Rudolf Tschirbs

Gestaltung und HerstellungKommunikationskontor_Düsseldorf, Mitarbeit Katrin Büttgen

GesamtherstellungSetzkasten GmbH

ISBN 978-3-86593-220-4

CopyrightHans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2016

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Informationen der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Bilder Titelseite: O. l.: Betriebsratssitzung bei der Fa. Küppersbusch, 1951O. r.: DGB-Demonstration in Düsseldorf, 15.5.1952U. l.: Allianz SE-Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte

und EBR-Vorsitzender Rolf Zimmermann, Juli 2015U. r.: Betriebsratswahl 1961

IMPRESSUM

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 4

Page 7: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

7 Zum Geleit

8 Einleitung

14 Der Neuaufbau der Demokratie aus den BetriebenBetriebsräte als Pioniere

18 Betriebsräte übernehmen VerantwortungErhalt von Arbeitsplätzen und Versorgung der Belegschaften

22 Um die Rechte der BetriebsräteGesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen

26 Um die Gleichberechtigung im UnternehmenDer Kampf um die Montanmitbestimmung 1946 – 1951

30 Um eine einheitliche BetriebsverfassungDer Streit um das Betriebsverfassungsgesetz 1952

34 Die Enttäuschung von 1952Betriebsverfassungsgesetz besiegelt Spaltung in Privatwirtschaft und Öffentlichem Dienst

38 Die Betriebsgewerkschaftsleitungen in der DDRLeistungspropaganda und soziale Betreuung

44 Für Teilhabe am wirtschaftlichen AufstiegBetriebsräte für höhere Einkommen und kürzere Arbeitszeit

48 Das betriebliche Ringen um gerechtere EinkommensrelationenEingruppierung bei Maggi in Singen

52 Betriebsräte als Motor für sozialverträglicheund planvolle KrisenpolitikDie Stilllegungen der Essener Zechen Helene und Amalie

58 Die Umbruchsjahre 1966 bis 1970Rezession und Aufbruchsstimmung in den Betrieben

62 Sozialliberale ReformäraNeufassung des Betriebsverfassungs-gesetzes von 1972

66 Neue Aufgaben für BetriebsräteHumanisierung der Arbeitswelt

70 Türkische »Gastarbeiter« in der betrieblichen ArbeitsweltVon der Betreuung zur Selbstvertretung

74 Das Mitbestimmungsgesetz von 1976Niederlage oder Reformerfolg der Gewerkschaften?

78 Betriebsratsarbeit im Zeichen der WirtschaftskriseArbeitszeitverkürzung als ein Instrument des Krisenmanagements

82 Herausforderungen des StrukturwandelsDie Auseinandersetzung um das Stahlwerk Rheinhausen

86 Gesellschaftlicher UmbruchBetriebsräte in der Endphase der DDR

92 Kommunale Daseinsvorsorge in BochumBetriebsrat entwickelt den BOGESTRA-Weg

96 Neue Herausforderungen für BetriebsräteDie kontrollierte Öffnung des Flächentarifvertrages

100 Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009Beschäftigungssicherung in den Betrieben

104 Mitbestimmung in EuropaEuropäischer Betriebsrat und Unternehmens-mitbestimmung bei der Allianz SE

110 Literaturhinweise

112 Abbildungsnachweise

INHALT

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 5

Page 8: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 6

Page 9: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Schon im Frühsommer 1945 entstanden in denRuinen der Wirtschaftsbetriebe und Verwaltun-gen Gremien demokratischer Mitbestimmung.Frei gewählte Betriebsräte ebneten den Weg fürden Wiederaufbau der Demokratie in Deutsch-land.

Nach ersten gesetzlichen Regelungen noch unterBesatzungsrecht erkämpften die Gewerkschaftenin den Gründerjahren der Bundesrepublik dieMitbestimmung in Unternehmen und Betrieben.Während der Regierungszeit der sozialliberalenKoalition gelang es in den 1970er Jahren, diegesetzlichen Mitbestimmungsrechte weiter aus-zubauen. Und in den letzten zehn Jahren wurdenzahlreiche Europäische Aktiengesellschaftenerrichtet, in denen die Grundprinzipien desdeutschen Mitbestimmungsmodells verankertsind.

Heute vertreten hunderttausende Betriebs- undPersonalräte die Interessen der Beschäftigten.Und die Aufsichtsräte von mehr als 660 Großun-ternehmen sind paritätisch besetzt. Die hoheWahlbeteiligung an den alle vier Jahre stattfin-denden Betriebsratswahlen, die die Beteiligungan politischen Wahlen weit hinter sich lässt,zeugt von der lebendigen Demokratie in denBetrieben.

Wirtschaftlicher Wandel, Globalisierung undeuropäische Rechtssetzung fordern die Mitbe-stimmung heraus, ebenso wie die sich häufen-den Fälle, in denen sich Unternehmen der Mitbe-stimmung entziehen wollen. Und immer wiederwerden Betriebsratsgründungen erschwert odersogar verhindert.

Dagegen ist weitgehend anerkannt, dass die Mitbestimmung sich als das demokratischeGestaltungsprinzip der sozialen Marktwirtschaftbewährt hat. Sie schützt die Würde der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer, ermöglichteinen fairen Ausgleich der Interessen, ist Teilder wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte, die Effizienz und Sozialverträglichkeit verbindet,und sie ist die unverzichtbare Entsprechung der politischen Demokratie im wirtschaftlichenRaum.

Die erfolgreiche Arbeit von Betriebs- und Personalräten wie auch der Arbeitnehmerver-treterinnen und Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten stimmen zuversichtlich, dass dieHerausforderungen der Arbeitswelt erfolgreichgestaltet werden können. Die Geschichte derMitbestimmung ist dafür reich an Beispielen.

Reiner Hoffmann Wolfgang Jäger

7

ZUM GELEIT

Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Vorsitzender des Vorstandes der Hans-Böckler-Stiftung

Geschäftsführer derHans-Böckler-Stiftung

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 7

Page 10: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Auf der Sitzung des Deutschen Bundestages am27. Juli 1950, als der von der CDU/CSU-Fraktioneingebrachte Entwurf eines Gesetzes über die Mit-bestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb auf derTagesordnung stand, brachte der CDU-Abgeord-nete Dr. Gerhard Schröder einen bemerkenswer-ten historischen Aspekt in die Debatte ein: »Ichbin mir völlig klar darüber, daß wir in dieser Frage 1945, 1946 vielleicht eine größere Aufge-schlossenheit gezeigt hätten. Ich kann mir jeden-falls denken, daß es hier viele unter uns gibt, fürdie es 1945, 1946 unter dem Eindruck des dama-ligen Schocks – der Schock hat ja das Ergebnis,plötzliche Erkenntnisse aufzuzeigen, die jahre-lang verschüttet waren – sehr viel leichter gewe-sen wäre, auf diesem Gebiet zu einer Lösung zukommen, die wir jetzt so schwer erkämpfen müs-sen. Inzwischen haben sich die Kräfte der trägenBeharrung, des Gestrigen längst wieder gefun-den […].« Nur die totale Regenerierung und derMut zu grundsätzlich neuen Entscheidungenkönnten Katastrophen verhindern. Das Mitbe-stimmungsrecht sei gewiss keine »Zauberfor-mel«, doch auch im Kampf gegen den Bolsche-wismus komme ihm Bedeutung zu, denn gegendiesen könne man nur dadurch immunisiert sein,»daß wir hier eine Ordnung aufrichten, die inden Augen unserer Bevölkerung, die in denAugen Europas eine wesentlich bessere Ordnungist«. Schröder, der die nationalsozialistische Zeit politisch unbelastet überstanden hatte, ver-ortete die Lösung der »sozialen Grundprobleme«nicht zufällig in entschiedener Abgrenzung zumuntergegangenen »Dritten Reich« ebenso wiezur gegenwärtigen totalitären Bedrohung durchden Sowjetkommunismus. Seine Rede erscheintwie eine Antwort auf einen Artikel im unterneh-mernahen »Industriekurier«, der am 18. Juli1950 unter dem Motto »Im Anfang war die Mit-bestimmung« vor Illusionen über das Mitbestim-mungsrecht gewarnt hatte: »Wie gefährlich siesind, geht aus der Rolle hervor, die das Mitbe-stimmungsrecht als Schrittmacher der bolsche-wistischen Wirtschaftsweise gespielt hat.«

Als im Bundestag in der ersten Lesung des Ent-wurfs des Montanmitbestimmungsgesetzes am14. Februar 1951 die paritätische Mitbestim-mung zur Debatte stand, meldeten sich am rech-ten Rand des Parlaments Stimmen zu Wort, diedie von Schröder bekräftigten Koordinaten dessoziopolitischen Neuanfangs auf bizarre Weisepervertierten. Der Abgeordnete der DeutschenPartei (DP) Dr. Hans-Joachim von Merkatz warn-te nun vor dem »Hineinregieren von großenMassenorganisationen in die Betriebe«. DenGewerkschaftsfunktionären unterstellte er, den Einfluss der Arbeiter beiseite zu schieben:»[…] es wird ein Ringen mit betriebsfremdenElementen einsetzen, das die gesamte Wirt-schaft in ihrem Grundgefüge erschüttern kann.«

Auch der Abgeordnete Dr. Gebhard Seelos vonder Bayern-Partei (BP) sah lediglich einenMachtzuwachs der Gewerkschaften. Das Schick-sal der Arbeiter solle durch »betriebsfremdeLeute« bestimmt werden. Im Übrigen bezweifel-te er die Fähigkeit der Gewerkschaften, »so ausdem Handgelenk Hunderte von Leuten hervor-zuzaubern, die in diesen Betrieben wirklichsachverständig wirken können«. Einen Tiefpunkterreichte seine Rede, als er die Rundfunkan-sprache des DGB-Vorsitzenden Hans Böckler amAbend des 30. Januar zu »dem denkwürdigenTag der Machtübernahme« der Nationalsozialis-ten in Beziehung setzte.

Offensichtlich war beiden Debattenrednern nichtbewusst, dass sie mit dem Argumentationstoposder »Betriebsfremden« und der »Betriebsge-meinschaft« nahtlos an die verbalen Strategiender Unternehmerschaft im »Dritten Reich«anknüpften, als gegen die betrieblichen Macht-ansprüche der Deutschen Arbeitsfront das »Führertum« im Betrieb mit eben diesen Ver-brämungen verteidigt wurde. Als der Bundestagam 10. April 1951 das Montanmitbestimmungs-gesetz gegen etwa 50 Stimmen der FDP, der DPund der BP annahm, wurden solche Stimmen

EINLEITUNG

8

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 8

Page 11: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

noch beiseite gedrängt, doch in den folgendenDebatten über ein fortschrittliches Betriebsver-fassungsgesetz ein Jahr später hatte sich derWind endgültig zuungunsten der Gewerkschaf-ten gedreht. Zur Enttäuschung der Gewerkschaf-ten wurde ihr Einfluss auf die Unternehmensmit-bestimmung drastisch beschnitten. Eine tiefeFührungskrise des DGB unter Christian Fette wardie Folge, das »Vermächtnis« des großen DGB-Vorsitzenden Hans Böckler, der eine Demokrati-sierung der Gesamtwirtschaft nach dem Modellder Montanmitbestimmung angestrebt hatte und sie überbetrieblich auch durch Wirtschafts-räte ergänzen wollte, wurde nicht eingelöst.

Aber hatte nicht gerade das personelle undtheoretische Anknüpfen an die sozialstaatlichenTraditionen der Weimarer Republik den Auf-bruchsoptimismus der deutschen Nachkriegs-gesellschaft entfacht? Es waren das WeimarerArbeitsrecht und insbesondere das Betriebsräte-

gesetz von 1920 gewesen, die die Beschäftigtender gewerblichen Wirtschaft, der Dienstleis-tungsberufe und des öffentlichen Dienstes in die parlamentarische Republik integrierten.Noch bei den Betriebsrätewahlen im März 1933hatte sich gezeigt, dass die demokratischen Bastionen der im ADGB organisierten Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer Bestand hatten.Wäre über das Schicksal der Weimarer Republikin den Betrieben entschieden worden, dann hätten sich weder die Nationalsozialisten an die Macht intrigieren können noch wären dieKommunisten über ihre begrenzten Wahlerfolgein der durch die Wirtschaftskrise erhitzten politischen Landschaft hinausgekommen.

Der aus dem britischen Exil zurückgekehrte spä-tere DGB-Vorsitzende Ludwig Rosenberg hatte1948 betont, »daß der Mensch nicht nur am Tageder politischen Wahl wirklich Bürger und nichtUntertan ist, sondern immer und überall an

9

Der Sozialdemokrat Ermin Hohlwegler (1900 – 1970), von 1927 bis 1933 Betriebsratsvorsitzender bei Maggi in Singen, von 1945 bis 1952 erneut Betriebsratsvorsitzender eben dort und gleichzeitig Personalleiter. Von 1952 bis 1960 erster Arbeitsminister von Baden-Württemberg. Hier wohl beim Abschied im Betriebsratsbüro 1952

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 14:13 Uhr Seite 9

Page 12: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Werk- und Feiertagen«. Erst als Wirtschaftsbür-ger werde der Mensch tatsächlich voll gleichbe-rechtigt und damit frei. Seine mühsam errunge-ne politische Freiheit drohe verloren zu gehen,wenn es nicht gelinge, das Vorrecht dieser Idee»gegenüber der Gesetzlichkeit der Wirtschafts-maschinerie« durchzusetzen«.

Die westdeutschen Gewerkschaften traten in diefrühe Bundesrepublik mit einer Einheitsgewerk-schaft ein, die die parteipolitische Zersplitte-rung des Weimarer Gewerkschaftswesens mitihren verhängnisvollen Kämpfen vor allem zwi-schen sozialdemokratisch und kommunistischorientierten Flügeln hinter sich lassen sollte. In dem Maße, in dem Europa in den vergangenenJahrzehnten zusammengewachsen ist, hat diedeutsche Einheitsgewerkschaft als Organisati-onsform bei den europäischen Nachbarverbän-den mehr und mehr Anerkennung gefunden.

Durch die Wirkungen des Tarifvertragsgesetzes

von 1949 und des Betriebsverfassungsgesetzesvon 1952 sind die Kassandra-Rufe von Unterneh-mern und ihren Verbänden aus den Anfangsjah-ren der Bonner Republik widerlegt worden. Dassdie industriellen Arbeitskonflikte der jüngerendeutschen Geschichte nicht in unüberwindbareKonfrontationen mündeten, dass sie kanalisiertund reguliert werden konnten und schließlichnicht bloß zu Kompromisslösungen führten,sondern das industrielle System insgesamt fortentwickelten, steht inzwischen in denGeschichts- und Sozialwissenschaften außer Fra-ge. Das »duale System« der Arbeitnehmerinte-ressenvertretung in den Arenen von Tarifpolitikund Betriebsratspolitik hat seine Bewährungs-proben aufs Ganze gesehen stets bestanden. Die weitgehende Entlastung der betrieblichenArena von den grundsätzlichen und konflikt-trächtigen Fragen von Lohn und Arbeitszeitdurch das Tarifvertragssystem hat die Betriebs-räte instand gesetzt, Probleme zu thematisierenund einer Lösung zuzuführen, für die sie aus

10

Broschüre ›Unsere gemeinsame Sache. Mitbestimmung, 10 Jahre sind ein guter Anfang‹

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 10

Page 13: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

der Anschauung der Produktionsprozesse mitunvergleichlicher Kompetenz ausgestattetwaren. So kam es dazu, dass Betriebsräte voneinem hohen gewerkschaftlichen Organisati-onsgrad im Betrieb profitierten und dass siezugleich Ideengeber und Vorreiter bei derLösung tariflicher und arbeitsrechtlicher Pro-bleme wurden, die in der Dynamik wirtschaft-licher und globalisierter Prozesse auf den Tagesordnungen standen.

Was die Unternehmensmitbestimmung angeht,hatte Hans Böckler das Montanmodell zumgesellschaftspolitischen Fixstern der Gewerk-schaften gemacht. Alle Bemühungen, die Mon-tanmitbestimmung über die Eisen- und Stahlin-dustrie sowie den Bergbau hinaus auszuweiten,blieben aber erfolglos. Immerhin erreichten dieGewerkschaften 1976 einen Teilerfolg: Das Mit-bestimmungsgesetz von 1976 vergrößerte diePräsenz der Arbeitnehmervertreter in den Auf-sichtsräten, und das hat die Position der Arbeit-nehmer und Betriebsräte in den Unternehmeninsgesamt gestärkt.

Das Bild des arbeitenden Menschen, das in denBundestagsdebatten von 1950 bis 1952 auf-schien, hat sich als Zerrbild erwiesen. Es hatnicht nur die demokratische Grundhaltung über-sehen, die der deutschen Arbeiter- und Ange-stelltenbewegung von Anfang an zu eigen war,sondern auch die Lernprozesse unterschätzt, andenen die Mandatsträger in Betriebsräten undGewerkschaften teilhatten. Konflikterfahrungenim Betrieb, Fortbildungen, Lehrgänge, Akade-mien der Arbeit und universitäre Bildung könneneine curriculare Gültigkeit beanspruchen, hinterder bloß formalisierte und praxisferne Hoch-schulbildung oftmals verblasst. Die Mitarbeitund der Informationszugang durch die Gremiender Mitbestimmung haben ihren Anteil am Kom-petenzzuwachs der Arbeitnehmer-Repräsentan-ten. Ein frühes Schaubild aus der Geschichte derMontanmitbestimmung, die einen gewerkschaft-lich bestimmten Arbeitsdirektor im Vorstandvorsieht, vermag das zu verdeutlichen.

Mitbestimmungsprozesse sind in der Regel nichtöffentlich und dringen nur selten an die Öffent-lichkeit. Das hat seinen Grund darin, dasssowohl die Betriebsräte als auch die Aufsichts-ratsmitglieder zur Verschwiegenheit über dieUnternehmenspolitik verpflichtet sind. Fotosüber ihre Tätigkeit »vor Ort« sind nur selten zufinden, und diejenigen Szenen, die festgehalten

wurden, sind meist gestellt. Lebendiges Bildma-terial findet sich nur über einzelne spektakuläreAktionen, wie die Septemberstreiks 1969 oderdie Aktionen um Rheinhausen 1987/88. Es istdeshalb eine schwierige Aufgabe, Mitbestim-mungsprozesse anschaulich zu machen. Eingleichsam unmögliches Unterfangen wäre es,die Arbeit der Betriebsrätinnen und Betriebs-räte in einer historischen Ausstellung umfas-send darzustellen. Zu umfangreich ist ihre Tätig-keit – und gleichzeitig zu unspektakulär, aberstets mit einem klaren Nutzen für die Mitarbei-ter. Die betriebsrätliche »Kleinarbeit« in Formvon Einzelgesprächen nimmt einen großen Teilihrer Zeit in Anspruch. Sie fängt an bei der Bera-tung in vielen Einzelfällen, und diese Beratungbezieht sich nicht nur auf betriebliche Vorgänge.Betriebsräte sind vielfach auch »Kümmerer« infamiliären Anliegen, wenn es z. B. um einen Aus-bildungsplatz für den Sohn eines Mitarbeiters,um Freistellungsanträge wegen familiärer Pfle-gefälle oder um die sozialrechtliche Beratung füreinen Familienangehörigen geht. Die Kleinarbeitschließt Betriebsbegehungen mit ein, um derKontrollfunktion der Betriebsräte nachzukom-men. Und schließlich endet sie in »Ventilgesprä-chen« – wie es der ehemalige Betriebsratsvorsit-zende von Merck, Karl Fleckenstein, genannthat: » ... das sind Gespräche, die wie ein Sicher-heitsventil an einem Druckkessel bewirken sol-len, daß sich kein Überdruck bildet«. Dies sindvielfach zeitintensive Einzelfallregelungen, überdie wegen des Persönlichkeitsschutzes selbstinnerbetrieblich vom Betriebsrat nicht gespro-chen wird.

Die Betreuung der Belegschaft ist eine Konstan-te, die die Betriebsratsarbeit schon seit ihrerBegründung im Jahr 1920 prägt. Sie steht abernicht im Zentrum der Ausstellung. Vielmehr sollgezeigt werden, wie sich die Mitbestimmungstä-tigkeit in den sieben Jahrzehnten seit dem Endedes Zweiten Weltkrieges gewandelt hat, welcheHerausforderungen es für die Träger der Mitbe-stimmung gegeben hat und welche Schwerpunk-te sie in ihrer Arbeit gesetzt haben. Für dieseRecherchen standen staatliche Archive, Wirt-schaftsarchive und Unternehmensarchive offen,was die Zugänge zu den Problemen der Arbeits-welt der letzten 70 Jahre ungemein erleichterthat.

Je näher man der Gegenwart kommt, umsoschwieriger wird die Rekonstruktion der Hand-lungsfelder der Akteure, da Archive in aller Regel 11

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 11

Page 14: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Vorgänge der jeweils letzten 30 Jahre unter Verschluss halten müssen. Gleichwohl hat sichgezeigt, dass gültige und dokumentarisch beleg-bare Aussagen, im Übrigen auch zur Geschichteder Arbeitsgesellschaft in der DDR, möglich sind.So ließ sich der Neuaufbau der deutschen Demo-kratie aus den Betrieben rekonstruieren, dieKonflikte um die Ausweitung von Mitbestim-mungsrechten, die flexiblen und zukunftswei-senden Reaktionen von Betriebsrätinnen undBetriebsräten auf völlig neue mikro- und makro-ökonomische Herausforderungen, die Entfaltungvon Krisenstrategien, aber auch Aufbruchsstra-tegien zu neuen Ufern, die dem Betriebsrat mit-unter gar die Rolle des Co-Managers zumuteten.Selbst auf die Herausforderungen einer starkenArbeitsimmigration seit den 1960er Jahren ent-wickelten Betriebsräte und Gewerkschaftenschlüssige Antworten, und zwar nicht zufällig im Bereich der paritätischen Montanmitbestim-mung.

Es war Anfang der 1950er Jahre für die deut-schen Gewerkschaften unter der Führung vonChristian Fette ein Schock gewesen, als sie mit-ten hinein in ihr Ringen um eine fortschrittlicheUnternehmensmitbestimmung erfahren muss-ten, dass die konservative Regierungskoalitionunter Bundeskanzler Konrad Adenauer eineAbspaltung des öffentlichen Dienstes aus demGeltungsbereich des Betriebsverfassungsgeset-zes von 1952 anbahnte. Das war ein fundamen-taler Bruch mit dem Weimarer Betriebsrätege-setz, von dem die Historiker inzwischen sagen,es sei das fortschrittlichste Gesetz der damali-gen Zeit gewesen. Eine offene arbeitsrechtlicheFlanke bleibt zudem mit der Bestätigung desAusnahmecharakters des kirchlichen Arbeits-rechts, dem das Betriebsverfassungsgesetz inder Fassung vom 25. September 2001 nach wievor einen Sonderstatus zugesteht: »DiesesGesetz findet keine Anwendung auf Religions-gemeinschaften und ihre karitativen und er-zieherischen Einrichtungen unbeschadet derenRechtsform.« (§118, Abs. 2)

Hat dergestalt die Arbeitnehmer-Repräsentationin den Gremien der Arbeitgeber noch mit derErblast aus den Gründerjahren der Bundesrepu-blik zu kämpfen, so stehen im Zuge des deut-schen und europäischen Einigungsprozesses seit den 1990er Jahren die Betriebsrätinnen undBetriebsräte vor völlig neuen Herausforderun-gen. Die Erosion des Flächentarifvertrages, mitseinen normierenden Bestimmungen von Anfangan ein Fundament betriebsübergreifender Soli-darität, der Austritt von Unternehmen aus denArbeitgeberverbänden, die Zunahme von Leih-arbeit, von Befristungen und Werksverträgen –all das hat zu einer Aufgipfelung der Aufgabender betrieblichen Interessenvertretung geführt.Vielfach lässt sich beobachten, wie aus Unter-nehmerkreisen die alte Karte der Trennung»ihrer Betriebsräte« von den Gewerkschaften als Trumpfass ausgespielt wird. Die Grenze zwi-schen Stamm- und Randbelegschaft droht wäh-renddessen zu verschwimmen, in der Beleg-schaft entstehen »Beschäftigungsklassen«.

Die sogenannte Globalisierung soll als Begrün-dung für den Angriff auf den deutschen Sozial-staat herhalten: Dabei geht es um den Abbauvon Rechten auf Kündigungsschutz, um dieAbspaltung von Arbeitsmärkten in Kern- undRandbereiche, um die Zulassung von Niedrig-lohnbeschäftigung, um die Hinnahme von hoherSockelarbeitslosigkeit, um die Privatisierung12

Betriebsratssitzung bei der Firma Küppersbusch 1951

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 12

Page 15: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

öffentlicher Dienstleistungen bei Abbau öffent-licher Beschäftigung sowie um die Dezentrali-sierung oder gar Entgewerkschaftlichung derLohnfindung. Das unterschwellige Leitmotiv allsolcher Kampagnen ist die Herausdrängung derverantwortungsbewussten und von den Arbeit-nehmern demokratisch gewählten Vertreter inBetriebsräten und Aufsichtsräten. Hierarchiewürde wieder an die Stelle von Dialog, Anwei-sung an die Stelle von gemeinsamer Beratung,Kontrolle an die Stelle von Vertrauen treten.Eine Interaktion in Augenhöhe drohte unter-graben zu werden.

Eine grundlegende Asymmetrie der kapitalis-tischen politischen Ökonomie besteht darin,»dass die Entlohnungsansprüche des ›Kapitals‹als empirische Funktionsbedingungen desGesamtsystems gelten, die entsprechendenAnsprüche der ›Arbeit‹ jedoch als Störfaktoren«(Wolfgang Streeck). Nun gilt für viele Arbeitneh-mer in Deutschland auch die Feststellung, dassfür sie eine »Marktgerechtigkeit« naturgegebenscheint und die »soziale Gerechtigkeit« einErgebnis anonymer Kräfte. Der Organisations-

grad in den Gewerkschaften legt ein ungutesZeugnis davon ab.

Anders aber die Realität in der Betriebsdemo-kratie: Die Beteiligung an Betriebsratswahlen –bei Großbetrieben durchgängig bei 80 % – zeigt,dass politikwissenschaftliche Thesen von Politik-verdrossenheit auf die Arbeitswelt nicht zutref-fen. Betriebsrätinnen und Betriebsräte inDeutschland haben nicht nur zum Abbau nicht-funktionaler Herrschaft beigetragen, sonderneine Transformation vormals »technokratischerSachzwänge« auf den Weg gebracht. Mitbestim-mung darf nicht allein auf ihre friedensstiftendeFunktion reduziert werden, der Deutschland bisheute seine außergewöhnliche soziale und wirt-schaftliche Stabilität verdankt, sondern der Kernihrer Wirksamkeit ist ein anderer: »Mitbestim-mung ist vielmehr von Anfang an Teil des wirt-schaftlichen Erfolgsrezeptes gewesen, das dieDynamik und die Wettbewerbsfähigkeit der deut-schen Industrie begründet hat und immer nochfördert.« (Werner Abelshauser)

In diesem Licht erscheinen besonders die letztenfünf Kapitel der Ausstellung wie empirischeNachweise vom Mehrwert der deutschen Mit-bestimmung, von deren »Pfadabhängigkeit«, wie die Historiker betonen, diese AusstellungZeugnis ablegen soll. Eine historisch angelegteTiefenbohrung kann somit dazu beitragen, diebloße »Naturhaftigkeit« wirtschaftlicher Prozes-se durch Erkenntnis ihrer interessegeleitetenEntstehungs- und Entwicklungsbedingungen zu hinterfragen.

Der Dank der Autoren gilt zunächst den Archivenund Bibliotheken, die uns für die Ausstellungund das Buch mit freundlicher Offenheit Doku-mente und Fotos zur Verfügung gestellt haben.Begleitet wurde das Projekt von einem Beirat,der uns mit Rat und Tat zur Seite stand: Wirhaben Michaela Kuhnhenne, Norbert Kluge,Michael Schneider, Hartmut Simon und RainaldThannisch für wichtige Hinweise und weiterfüh-rende Ratschläge zu danken. Zuletzt gilt unserDank der Hans-Böckler-Stiftung, vertreten durchWolfgang Jäger, die den Anstoß gab und unsereArbeit jederzeit unterstützte.

13Betriebsratswahl 1961

RZ_HBS_Kat_2016_S1-13 15.02.2016 11:45 Uhr Seite 13

Page 16: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Das Herrschaftssystem des Nationalsozialismusfand in einem von ihm entfachten, fünfeinhalbJahre währenden Weltbrand sein Ende. AlsErgebnis des Zweiten Weltkrieges bot Deutsch-land im Frühjahr 1945 ein Bild der Zerstörung.Aber nach der Befreiung durch die alliiertenTruppen entstanden – wie bei Darmstädter Phar-maunternehmen E. Merck oft schon vor demKriegsende am 8. Mai 1945 – in nahezu allenIndustriebetrieben Betriebsvertretungen, diesich »Betriebsausschuss«, »Arbeiter- und Ange-stelltenrat« oder »(provisorische) Betriebsräte«nannten. Die Initiative zu ihrer Gründung ging

zumeist von Belegschaftsmitgliedern aus, die sich schon während der Weimarer Republikgewerkschaftlich engagiert hatten und alsBetriebsräte aktiv gewesen waren. In der Regelakzeptierten die Unternehmensvertreter sieohne Widerspruch. Bei der Konstituierung derersten Vertretungsorgane, die zumeist nicht aufder Basis einer geheimen Wahl erfolgte, wurdeoft darauf geachtet, dass die unterschiedlichenparteipolitischen Strömungen der Gewerkschaf-ten aus der Weimarer Zeit – also Sozialdemokra-ten, Christdemokraten und Kommunisten, selte-ner auch liberale Gewerkschafter – im neuen

DER NEUAUFBAU DER DEMOKRATIE AUS DEN BETRIEBEN

Betriebsräte als Pioniere

14

Das Ergebnis der nationalsozialistischen Kriegspolitik: Deutschland ist ein Trümmerfeld – hier: das Karosseriewerk von Daimler-Benz in Sindelfingen (1945)

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 14

Page 17: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Betriebsratsgremium vertreten waren. Nichtparteipolitische Konfrontation, sondern das Ver-bindende sollte den Neuanfang prägen. Das warTeil eines Prozesses, der mit der Überwindungder gewerkschaftspolitischen Spaltung in dieEinheitsgewerkschaft mündete.

Der personelle Rückgriff zog ein inhaltlichesAnknüpfen an die Praxis der Sozialbeziehungenaus der Weimarer Republik nach sich. Wie derBetriebsrat von Merck, der in seinem ersten Aufruf an die Beschäftigten im November 1945hervorhob, dass es das »deutsche Betriebsräte-gesetz von 1920 [ist], auf das wir uns heute nochstützen«, knüpften die meisten Belegschafts-vertreter an die Kontinuitätslinie der WeimarerJahre an. Aber auch die Unternehmer waren nunbereit, das Betriebsrätegesetz (BRG) von 1920als Basis der betrieblichen Mitbestimmung zuakzeptieren. Das Weimarer Betriebsrätemodellbildete so das Vorbild für den Neuanfang derbetrieblichen Sozialbeziehungen im Nachkriegs-deutschland.

Zu den ersten Konfliktpunkten zwischen Werks-leitungen und Belegschaftsvertretungen gehör-te in fast allen Betrieben die Entnazifizierung.Überall forderten große Teile der Belegschaftenund Betriebsräte eine politische Säuberung von nationalsozialistisch belasteten Personen.Nur in wenigen Fällen richtete sich der Zorn pauschal gegen die Betriebsleiter. Kaum jemandmachte einem Vorgesetzten einen Vorwurfdaraus, nach 1933 in die NSDAP eingetreten zu sein, wenn er »anständig« geblieben war. Der Blick war – wie im Werk Obernburg derGlanzstoff AG – auf diejenigen gerichtet, diesich als nationalsozialistische Aktivisten starkexponiert oder sich als Spitzel, Antreiber oderSchinder gegenüber Belegschaftsmitgliedernoder Zwangsarbeitern in Misskredit gebrachthatten. Neben der Entlassung von national-sozialistisch besonders Belasteten gehörte zurEntnazifizierung aber auch die Kontrolle vonPersonaleinstellungen, um zu verhindern, dassehemalige NS-Funktionäre aus den aufgelöstenVerwaltungen oder Parteiorganisationen eineneue Anstellung erhielten. Das personelle Mit-bestimmungsrecht war den Betriebsräten imWeimarer Betriebsrätegesetz noch verwehrt worden, umso mehr stand es nun im Zentrum der politischen Forderungen.

Die neu gegründeten Betriebsvertretungenwaren in den ersten Wochen nach Kriegsendevon den Besatzungsbehörden zunächst nur tole-riert worden. Der rechtliche Schwebezustandänderte sich, als im Sommer 1945 in der briti-schen und amerikanischen BesatzungszoneErlasse ergingen, die geheime Wahlen für dieBelegschaftsvertretungen vorsahen. Auf dieserLinie lagen auch die Verordnungen der sowje-tischen Besatzungsmacht, die zunächst dieBetriebsräte anerkannte. Die auf dieser Grund-lage einsetzenden Betriebsratswahlen waren für einen Großteil der deutschen Bevölkerungnach zwölf Jahren nationalsozialistischer Dikta-tur die erste Möglichkeit zu einer freien Willens-bekundung. Die wieder entstehende Demokratiein Deutschland wuchs aus den Betrieben. »DieBetriebsräte sind die Pioniere, die das Funda-ment zum demokratischen Deutschland bauensollen«, ermunterte der BetriebsratsvorsitzendeFritz Kraft seine Kollegen, als er am 9. Juli 1945die erste Betriebsratssitzung bei der späterenSalzgitter AG eröffnete.

15

Betriebsleitung und Beschäftigte einigen sich bei der Fa. E. Merck über die Bildung von Betriebsvertretungen, 25.4.1945

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 15

Page 18: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Die erste Betriebsversammlung im Werk Stuttgart-Untertürkheim der Daimler-Benz AG, 24. Juni 1945

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 16

Page 19: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

17

Bekanntmachung von Betriebsrat und Werksleitung des Werkes Obern-burg der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG zur Entnazifizierung imBetrieb, 28.7.1945

Flugblatt des Betriebsrates der Fa. E. Merck, Darmstadt, zu den Aufgaben der neu gewählten Arbeitnehmervertretung, 6.11.1945

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 17

Page 20: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

18

Die Betriebe waren nach Kriegsende angesichtsdes Zusammenbruchs aller bisherigen Institutio-nen für die Mehrheit der Deutschen in allen vierBesatzungszonen der zentrale Ort, der Standund Orientierung gab und Hoffnung versprach.Sie waren neben der Familie die einzigen Insti-tutionen, die Versorgung im weitesten Sinne,Stabilität im Chaos und Wiederaufbau zu garan-tieren schienen. Deshalb verwundert es nicht,dass die Tätigkeit der Betriebsräte zunächst sehrbetriebsbezogen war.

Die Fülle der Aufgaben der Betriebsräte ergabsich zunächst aus der desolaten Situation nachdem Kriegsende. Im Mittelpunkt stand dabei derErhalt der Arbeitsplätze für die Belegschaften.Die Arbeitsstätten mussten wiederhergestelltund die Produktion in Gang gebracht werden.Der Kampf um die Arbeitsplätze führte auch zueiner ersten Konfrontation mit den alliierten

Besatzungsmächten, deren Demontagepolitikdie Produktionsbasis der Betriebe zu vernichtendrohte.

Über die Wiederaufbauarbeiten hinaus musstealles daran gesetzt werden, um die Versorgungder Belegschaftsangehörigen sicherzustellenmit all dem, was zum Überleben notwendig war –vor allem Lebensmittel, Bekleidung, Wohnraumund Heizmaterial. Die von den Besatzungsmäch-ten in Aussicht gestellten Lebensmittelrationenreichten bei weitem nicht zum Überleben aus:Selbst die im März 1946 von der britischen Militär-regierung verfügte Kürzung der Kalorienmengeauf 1.014 wurde in den folgenden Monaten in derRealität noch weit unterschritten. Das Ergebniseiner Reihenuntersuchung vom Herbst 1946 imBayer-Werk Dormagen, nach dem nahezu 90 Pro-zent aller Beschäftigten ein deutliches Unterge-wicht aufwiesen, zeigt den damaligen »Normal-

BETRIEBSRÄTE ÜBERNEHMENVERANTWORTUNGErhalt von Arbeitsplätzen

und Versorgung der Belegschaften

Mühsamer Wiederaufbau im Daimler-Benz Werk Untertürkheim, 1946

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 18

Page 21: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

19

Bergarbeiter-Delegierte beraten auf einer ersten Konferenz am 23.4.1945 in Bochum über die Nachkriegssituation und die drängenden Zukunftsaufgaben

Demonstration gegen Demontagen bei Salzgitter, 1947

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 19

Page 22: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

20

fall«. Wichtig war deshalb eine ergänzende Ver-sorgung durch die Betriebe.

Um die Werke aufzubauen und die Produktion zusteigern, waren die Unternehmer auf funktionie-rende Stammbelegschaften angewiesen, derenEinsatzbereitschaft nicht vom täglichen Kampfums Überleben – wie Hamsterfahrten an Werk-tagen in die ländliche Umgebung – gelähmt war.Not-Kantinen wie bei der Knoll AG in Ludwigsha-fen entstanden. In dem Maße, wie die notwendi-gen Nahrungsmittel und Gebrauchsgüter immerweniger im Rahmen des Bewirtschaftungssystems,sondern nur mit Kompensationsgeschäftenbeschafft werden konnten, griffen Firmenleitun-gen und Betriebsräte zur Selbsthilfe. Der Betriebwurde zu einer zentralen Beschaffungsstelle fürGüter des täglichen Bedarfs, und oft war es derBetriebsrat, der die Verteilung übernahm.

Um diese Mammutaufgabe in der »fragmentier-ten Zusammenbruchsgesellschaft« (Christoph

Kleßmann) zu bewältigen, waren Betriebsleitun-gen und Betriebsräte aufeinander angewiesen.Betriebsräte glaubten, nicht auf die Sachkennt-nis der »alten« Betriebsleitungen verzichten zu können – bisweilen auch dann, wenn diesepolitisch belastet waren. Die Betriebsleitungenbrauchten wiederum die Betriebsräte alsbetrieblichen Ordnungsfaktor und Sprachrohrgegenüber den Alliierten. Die gemeinsameFrontstellung gegen die »Besatzer« und dasgegenseitige Abhängigkeitsverhältnis stärktendie Identifikation der Belegschaften mit»ihrem« Betrieb. Für die Überwindung der Notsituation erschien nur eine Kooperation imBetrieb Erfolg versprechend. Es schien sinnvol-ler, innerbetriebliche Konflikte zu vermeidenoder zu versuchen, sie gemeinsam zu lösen, umden Aufbauprozess nicht zu gefährden. Insofernerstand aus den Ruinen des Weltkrieges eineinnerbetriebliche Not- und Aufbaugemeinschaft,die zumindest in den ersten Nachkriegsjahrendie betrieblichen sozialen Beziehungen prägte.

Protest des Betriebsrates des Bayer-Werkes Leverkusengegen die katastrophale Ernährungslage, 9.5.1947

Resolution der Betriebsräte der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG zu Kompensationsgeschäften, 15.4.1947

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 20

Page 23: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

21

Not-Kantine der Knoll AG, Ludwigshafen, in der frühen Nachkriegszeit

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 21

Page 24: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Viele Betriebsräte empfanden es als ein gravie-rendes Problem, dass eine Rechtsgrundlage fürihr Handeln fehlte. Formal galt zunächst dasArbeitsordnungsgesetz von 1934 weiter, das derAlliierte Kontrollrat erst Ende November 1946aufhob. Manche Betriebsräte hatten deshalb dasGefühl, »mehr oder weniger in einer Grauzone zuamtieren«, und versuchten, durch den Abschlussvon Betriebsvereinbarungen eigene Normen zusetzen. Die Unternehmensleitungen akzeptier-ten zwar die Belegschaftsvertretungen, warenaber selten bereit, ihnen konkrete Rechte zu-zugestehen. Sie wollten eine Präjudizierungzukünftiger Regelungen durch allzu bereitwilligeZugeständnisse in der Phase der Ungewissheitnach Kriegsende vermeiden. Nur in wenigenUnternehmen kam es deshalb noch im Jahr 1945zu Betriebsvereinbarungen, in denen die Kom-

petenzen der Betriebsräte festgelegt wurden. Es waren zumeist kurze Dokumente, die sich –wie die Vereinbarung bei der AEG vom 15. August1945 – auf wenige Kernpunkte beschränkten.

Solche Betriebsvereinbarungen blieben 1945jedoch die Ausnahme. Ziel der sich gründendenGewerkschaften war es deshalb, zu einer gesetz-lichen Normierung zu gelangen. »Es war derWunsch der jungen Gewerkschaften, etwas ähn-liches zu schaffen, wie es das Betriebsrätegesetzvon 1920 war«, beschrieb 1949 der DeutscheGewerkschafts-Bund (Britische Besatzungszone)in der Rückschau die Erwartungen, die dieGewerkschafter um die Jahreswende 1945/46hegten. Auf seiner ersten Gewerkschaftskonfe-renz im März 1946 forderten die Delegierten»eine einheitliche gesetzliche Grundlage« fürdie Betriebsräte: »Dieses neue Betriebsräte-gesetz muß nicht nur die Rechte der Betriebs-vertretungen wiederherstellen, die im altenBetriebsrätegesetz vom 20. Februar 1920 ent-halten sind, sondern muß darüber hinaus denBetriebsräten Rechte gewähren, die den Anfor-derungen des demokratischen Aufbaues desStaates und dem Wiederaufbau der Wirtschaftentsprechen.«

Eine gesetzliche Grundlage für alle vier Besat-zungszonen schuf der Alliierte Kontrollrat mit dem Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 22 vom 10. April 1946. In 13 kurzen Paragraphen wur-den Status und Aufgaben der Belegschaftsver-tretungen geregelt. Aber nicht nur dies machteden Unterschied zum BRG von 1920 aus; auch bei den Funktionen, die die Betriebsräte wahr-nehmen sollten, kam ein Rechtsverständnis zumAusdruck, das mit der Weimarer Tradition brach:Die Betriebsräte sollten nunmehr ausschließlichals Interessenvertretung der Beschäftigten agie-ren und nicht mehr an die Verpflichtung gebun-den sein, den Arbeitgeber »in der Erfüllung der Betriebszwecke« zu unterstützen und dasgemeinsame Interesse von Arbeitgeber und22

UM DIE RECHTE DER BETRIEBSRÄTEGesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen

Plakat des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Britische Besatzungszone), 1947

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 22

Page 25: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

23

Bericht der IG Metall, VerwaltungsstelleBielefeld, über die Konflikte bei derUmsetzung des Kontrollratsgesetzes Nr. 22, 1951

»… Das Kontrollratsgesetz Nr. 22 schuf dann die gesetzlicheGrundlage für die Bildung von Betriebsräten, stellte ihre Befugnisse fest und umriß gleichzeitig ihren Aufgabenkreis. Zu den Aufgaben der Betriebsräte gehörte nach dem Gesetz auch der Abschluß von Vereinbarungen mit den Unternehmern für den Erlaß vonBetriebsordnungen. Diese Betriebsvereinbarungen bildeten die erstearbeitsrechtliche Regelung auf betrieblicher Ebene und zugleich das Fundament für eine neue Betriebsverfassung. Die betrieblicheMitbestimmung bei Einstellungen und Entlassungen, die Einflußnahmedes Betriebsrats auf die Produktionsgestaltung und sein Recht aufEinsichtnahme in die Betriebsabrechnungen wurde zum wesentlichenInhalt dieser Betriebsvereinbarungen. Es ist nur zu verständlich, daß esden Unternehmern nicht leicht fiel, von ihrer Machtstellung im Betriebeiniges abzutreten und in einer Reihe von Entscheidungen an dieZustimmung des Betriebsrats gebunden zu sein. Der Ortsverwaltungwar es gelungen, Anfang 1947 mit dem hiesigen Arbeitgeberverbandüber den Abschluß einer Betriebsvereinbarung zu einer Verständigungzu kommen, die von den meisten Mitgliedsfirmen auch unterzeichnetwurde. Eine Ausnahme bildete die Firma Miele, die sich weigerte, dieseBetriebsvereinbarung anzuerkennen, und ihrerseits versuchte, eineschlechtere Betriebsvereinbarung in ihrem Betrieb zu erreichen. So kames zu einem Konflikt, der am 2. April 1947 zur Arbeitsniederlegungführte, nachdem die Belegschaft sich in einer Urabstimmung mit 405zu 35 Stimmen für den Streik ausgesprochen hatte. Trotzdem von meh-reren Seiten aus Schlichtungsverhandlungen geführt wurden, konnteder Streik erst nach fast siebenwöchiger Dauer am 14. Mai erfolgreichbeendet werden …«

Betriebsvereinbarung über die Rechte von Betriebsräten der AEG, Berlin, 15.8.1945

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 23

Page 26: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

24

Belegschaft zu wahren. Ohne die Kompetenzenim Einzelnen festzulegen, überließ es das KRGden Betriebsräten, mit den Arbeitgebern ihr Aufgabenfeld zu definieren.

Für viele Gewerkschafter war das KRG eine großeEnttäuschung, weil es am BRG von 1920 mit seinen detaillierten Regelungen gemessen wur-de. Nur wenige westdeutsche Gewerkschafterwie der spätere Vorsitzende der IG Metall, OttoBrenner, bewerteten es positiver. Er sah in demWeg, Betriebsvereinbarungen über Betriebs-ratsrechte abzuschließen, »die Möglichkeit zurDurchsetzung alter sozialer und wirtschaftlicherForderungen der Gewerkschaften und Betriebs-räte«. Die Gewerkschaften griffen jedoch einesolche Konfliktstrategie nur zögerlich auf, denn sie gingen davon aus, dass – wie es dieIndustriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik(IG CPK) formulierte – »sowohl eine erheblicheAnzahl der Belegschaften als auch eine großeZahl von Betriebsräten … für diesen Kampf

nicht reif waren«. So blieben Arbeitskämpfe umBetriebsratsrechte wie beim Hannoverschen Tresorhersteller Bode-Panzer Ende 1946 – dererste große Streik in Deutschland seit 13 Jahren– sowie bei der Bielefelder Firma Miele in Früh-jahr 1947 die Ausnahmen. Aber auch dort, woGewerkschaften und Betriebsräte mit Streiksversuchten, ihre Kompetenzen über Tarifverträ-ge oder Betriebsvereinbarungen zu erweitern,blieben Erfolge zumeist aus. Dies lag vor alleman der Abwehrhaltung der Unternehmer, die eineAusweitung der Mitbestimmungsrechte über dasBRG hinaus nicht akzeptierten.

Nach der Errichtung von Bundesländern in dendrei westlichen Besatzungszonen eröffnete sichab 1947 noch ein zweiter Weg, Mitbestimmungs-rechte zu verankern. Hier verabschiedeten meh-rere neu gewählte Länderparlamente auf Druckder Gewerkschaften Gesetze, die als eine »Über-gangslösung« bis zur Verabschiedung eines Bun-desgesetzes gelten sollten und sich bei allen

Entschließung der Siemens-Betriebsräte für ein einheitliches Betriebsrätegesetz, 7.7.1950

Beschluss der Bitterfelder Konferenz des FDGB über die Abschaffung der Betriebsräte, 26.11.1948

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 24

Page 27: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Unterschieden im Detail am BRG von 1920 orien-tierten. Deutschland glich schon 1948, was dieRegelung von Betriebsratsrechten anbelangte,einem gesetzlichen Flickenteppich. Das erschwer-te die Arbeit von Betriebsräten in Großkonzer-nen erheblich.

In Thüringen galt bereits seit dem 10. Oktober1945 ein Landesbetriebsrätegesetz, aber dieses

blieb in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)ein Einzelfall, bis schließlich der Freie DeutscheGewerkschaftsbund (FDGB) durch die Bitterfel-der Beschlüsse im November 1948 die Betriebs-räte als selbstständige, von den Belegschafteninsgesamt gewählte Vertretungen abschaffteund durch Betriebsgewerkschaftsleitungenersetzte.

25

Hannover

Berlin

Potsdam

Düsseldorf

Wiesbaden

Mainz

Dresden

Halle

Erfurt

Freiburg

Tübingen

Saarbrücken

München

Stuttgart

Kiel

Schwerin

Schleswig-Holstein3.5.1950

Bremen 10.1.1949

Rheinland-Pfalz29.7.1946

Hessen31.5.1948

Thüringen10.10.1945

Mecklenburg

Niedersachsen

Nordrhein-Westfalen

Sachsen

Sachsen-Anhalt

Brandenburg

Württemberg-Baden18.9.1948

Saar-land

Bayern25.10.1950

Württemberg-Hohenzollern

21.5.1949Baden

24.9.1948

Datum des Inkrafttretens eines Landesgesetzes bzw. einer Landesverordnung über BetriebsräteDeutschland – ein gesetz-licher Flickenteppich derBetriebsratsrechte

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 25

Page 28: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

26

In den Nachkriegsjahren war die Gleichberechti-gung von Arbeit und Kapital eine zentrale Forde-rung der Gewerkschaften zur Neuordnung vonWirtschaft und Gesellschaft. Sie sollte nicht nurüberbetrieblich in Form von paritätisch besetz-ten Wirtschaftskammern umgesetzt werden,sondern auch durch die direkte Vertretung derArbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vor-ständen der Großunternehmen. Nur bei wenigenUnternehmen – wie bei der AEG im Oktober 1946– konnte jedoch in Betriebsvereinbarungen eineRepräsentanz in Vorstand und Aufsichtsrat ver-ankert werden.

Ein Durchbruch schien in Reichweite zu sein, als die britische Militärregierung im Herbst 1946die Entflechtung der Eisen- und Stahlindustrieanordnete und auf die Mitbestimmungsforder-ungen der Gewerkschaften einging, um weitergehende Forderungen nach Sozialisierung derGrundstoffindustrien abzuwenden und ihreUnterstützung in den entflochtenen Unterneh-men zu erreichen. Daraufhin versuchten einigeRuhrindustrielle wie der Generaldirektor der

Gutehoffnungshütte Hermann Reusch, die »Einheitsgewerkschaft« unter Hans Böckler mitdem vagen Angebot einer »dauernden Mitwir-kung der Belegschaft bzw. Gewerkschaft bei derVerwaltung des Unternehmens« für eine Ableh-nung des britischen Entflechtungsprojektes zugewinnen. Böckler ging auf dieses durchsichtigeSpiel aber nicht ein. Die Aufsichtsräte der neuenHüttenwerke wurden Anfang 1947 paritätischbesetzt und ein Gewerkschafter als »Arbeitsdi-rektor« in den Vorstand berufen – das Montan-mitbestimmungsmodell war geboren.

Im Mai 1950 erließ die Alliierte Hohe Kommis-sion erneut ein Gesetz zur Entflechtung derGrundstoffindustrien und betraute die Bundes-regierung mit dessen Durchführung. Bundes-wirtschaftsminister Ludwig Erhard plante dabei,dass die neuen Montangesellschaften nach denGrundsätzen des deutschen Aktienrechts von1937 aufgebaut werden sollten. Somit bestanddie Gefahr, dass die seit 1947 in der Stahlindus-trie praktizierte Unternehmensmitbestimmungentfallen würde. Die Gewerkschaften warenunversehens in eine Defensivposition geraten:Statt der von ihnen geforderten Ausweitung derMitbestimmung ging es jetzt darum, eine dergesellschaftspolitischen Errungenschaften derNachkriegsjahre zu verteidigen.

Auf die offenkundig gewordene Gefährdung derMitbestimmung in der Stahlindustrie reagierteder Bundesvorstand des DGB am 21. November1950 mit dem Beschluss, mit allen zur Verfügungstehenden Mitteln für die Beibehaltung der pari-tätischen Mitbestimmung in der Stahlindustrieund für ihre Ausweitung auf den Kohlenbergbauzu kämpfen. Die von der IndustriegewerkschaftMetall (IG Metall) und der Industriegewerk-schaft Bergbau im November 1950 bzw. Januar1951 durchgeführten Urabstimmungen zeigten,dass weit mehr als 90 Prozent der Beschäftigtenin den betroffenen Unternehmen bereit waren,

UM DIE GLEICHBERECHTIGUNG IM UNTERNEHMEN

Der Kampf um die Montanmitbestimmung 1946 – 1951

Einstimmig angenommene Entschließung zur Mitwirkung derArbeitnehmer in der Unternehmensleitung der Gewerkschaftskonferenzder britischen Zone vom 21. bis 23. August 1946 in Bielefeld

»Die Unternehmung ist die unterste Organisationseinheit innerhalb der Wirtschaftsverfassung. Soll die Demokratisierung der WirtschaftErfolg haben, muß sie bereits bei der Unternehmung beginnen. Es ist deshalb erforderlich, daß in allen Unternehmungen, deren Größe ein besonderes Aufsichtsorgan erforderlich machen, – beiAktiengesellschaften z.B. die Aufsichtsräte – die Arbeitnehmer alsTräger des Produktionsfaktors Arbeit hieran ebenfalls beteiligt sind.

Die Gewerkschaften halten es deshalb für notwendig, daß die Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichts- und Kontrollorganen der Unternehmungen paritätisch mit den Vertretern der Unternehmerbeteiligt sind. Die Auswahl der Arbeitnehmervertreter obliegt daherden Gewerkschaften mit der Maßgabe, daß mindestens zwei Vertreteraus dem Betriebsrat genommen werden.«

Der DGB fordert die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 26

Page 29: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

27

Der Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten für Deutschland, John J. McCloy, fordert Bundeskanzler Konrad Adenauer zu einer Regelung der Mitbestimmungsfrage auf, die den sozialen Frieden und die Produktion nicht gefährdet

Vorstand und Betriebsräte von AEG eini-gen sich am 25.10.1946 auf die Vertretungvon Belegschaftsrepräsentanten in Auf-sichtsrat und Vorstand – die Vereinbarungwird in den nächsten Jahren aber nichtumgesetzt

Der Vorstandsvorsitzende der GHH, Karl-Hermann Reusch, und sein Vorstandskollege Ernst Hilbert bieten dem Vorsitzenden der Einheits-gewerkschaft, Hans Böckler, eine Belegschaftsvertretung im Aufsichtsratan, um die Gewerkschaften dafür zu gewinnen, die britischen Entflech-tungspläne zusammen mit den Unternehmern abzuwehren

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 27

Page 30: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

28

für die Mitbestimmung notfalls in einen Arbeits-kampf zu treten. Vor dem Hintergrund dieserStreikdrohung gelang es den Gewerkschaften,mit Unterstützung von Bundeskanzler KonradAdenauer in gemeinsamen, dreiseitigen Ver-handlungen die Zustimmung der Montanunter-nehmer zur paritätischen Mitbestimmung in den beiden Industrien zu erhalten. Hierbei warausschlaggebend, dass Bundesregierung undMontanunternehmer die Unterstützung derGewerkschaften bei der Abwehr weiter gehenderEntflechtungspläne der Alliierten benötigten.Außerdem wollte Adenauer die Gewerkschaftennicht verprellen, da er glaubte, beim Schuman-Plan, dem europäischen Vertrag über die Mon-tanunion, auf ihre Unterstützung angewiesen zu sein. Nach Billigung des Verhandlungsergeb-

nisses durch die Bundesregierung verabschiede-te der Bundestag am 10. April 1951 mit breiterMehrheit bei nur 50 Gegenstimmen vornehmlichaus den Reihen der Freien Demokratischen Partei (FDP) und der liberalen Deutschen Partei(DP) sowie wenigen Enthaltungen von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) das Montanmitbestimmungsgesetz, das am 21. Mai 1951 in Kraft trat. Damit wurde ein Teilder gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforde-rungen Realität, wenn auch nur für den Bereichder Montanindustrie.

Die IG Metall fordert in einem Flugblatt Ende November 1950 die Beleg-schaften der Eisen- und Stahlindustrie auf, in der Urabstimmung am29./30.11.1950 für einen Streik zur Verteidigung der Mitbestimmung zu stimmen

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:46 Uhr Seite 28

Page 31: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

29

Veranstaltung zur Verleihung der Kölner Ehrenbürgerschaft an Adenauerund Böckler, 7.1.1951

Bundeskanzler Adenauer fordert den DGB-Vorsitzenden Böckler zurZurückhaltung und Akzeptierung der parlamentarischen Entscheidung in der Mitbestimmungsfrage auf

Urabstimmung im Bergbau – Bergleute votieren für einen Streik in derMitbestimmungsfrage, 18.1.1951

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 29

Page 32: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

30

Am 29. Januar 1951, nur wenige Tage nach derEinigung mit Bundeskanzler Adenauer und derMontanindustrie, richtete der Vorsitzende desDGB Hans Böckler an die Mitglieder des DGB-Bundesausschusses die Aufforderung, nun dafürzu kämpfen, dass die Montanmitbestimmungauch auf andere wichtige Industriezweige aus-geweitet wird. Kurz darauf verstarb Böckler, und sein Appell wurde zu seinem Vermächtnis.

Bei der nun folgenden eineinhalb Jahre dauern-den Auseinandersetzung um das Betriebsver-fassungsrecht kämpften Gewerkschaften undRegierung mit schiefen Fronten: Während es der Mehrheit der Regierungskoalition – und denUnternehmern - darum ging, den Regelungskreisfür die Betriebsräte festzulegen und die weitereEinflussnahme der Gewerkschaften in den Auf-sichtsräten zu verhindern, stand für die Gewerk-schaften die Unternehmensmitbestimmung im Zentrum der Auseinandersetzung. In Ver-kennung der politischen Situation setzten dieGewerkschaften auf eine Strategie, bei der sievon vornherein auf verlorenem Posten standen.In Erwartung, dass die Bundesregierung auf-grund der kooperativen Haltung der Gewerk-schaften in der Wirtschafts- und Außenpolitikauch weiterhin verständigungsbereit sein würde,hofften sie, ihre mitbestimmungspolitischenZiele auf dem Verhandlungswege zu erreichen.Die Arbeitgeberverbände und die Bundesregie-rung waren jedoch allenfalls in der Frage dergesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung und der Mitsprache der Betriebsräte verhandlungs-bereit, nicht aber bei der Unternehmensmitbe-stimmung. Sie sahen die Montanmitbestimmungals eine Ausnahmeregelung an, die unter derbesonderen politischen Konstellation des Win-ters 1950/51 zustande gekommen war. Nichtzuletzt drohte die FDP deshalb mehrfach mitdem Bruch der Koalition, sollte der Bundeskanz-ler ein zweites Mal den Gewerkschaften in derMitbestimmungsfrage allzu sehr nachgeben.

Dem Bundestag lagen im Herbst 1951 mehrereEntwürfe für ein Betriebsverfassungsgesetz vor,in denen sowohl die Kompetenzen der Betriebs-vertretungen als auch die Grundlagen der Auf-sichtsratsmitbestimmung in Großunternehmenaußerhalb der Montanindustrie festgelegt wer-den sollten. Die parlamentarische Beratung wareinem Bundestagsausschuss übertragen worden,

UM EINE EINHEITLICHEBETRIEBSVERFASSUNG

Der Streit um das Betriebsverfassungsgesetz 1952

Böcklers Vermächtnis: Vorrangiges Ziel muss die Auswei-tung der Montanmitbestimmung auf andere Branchensein. Hans Böckler starb am 16. Februar 1951.

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 30

Page 33: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

in dem die Regierungskoalition aus Christlich-Demokratischer Union (CDU), Christlich-SozialerUnion (CSU), FDP und DP die Mehrheit besaß.Allerdings gelang es nur unter großen Mühenund nach intensiven Vermittlungsgesprächen im Bundeskanzleramt, zu einem von allen Regie-rungsparteien getragenen Gesetzentwurf zukommen. Die FDP hatte dabei in mehreren Streit-fragen explizite Unternehmerpositionen vor-getragen und sich damit im Ausschuss durch-gesetzt.

Aber nicht ein Streit um inhaltliche Gestal-tungsrechte für die Betriebsräte oder um dieBesetzung der Aufsichtsräte, sondern einegewerkschaftliche Grundsatzfrage – die Gleich-behandlung von Arbeitnehmergruppen – war der Anlass für eine Verschärfung der Auseinan-dersetzung zwischen den Gewerkschaften undder Regierung. Als die Bundesregierung am 22. Februar 1952 den Beschluss fasste, ein

gesonderten Personalvertretungsgesetz für den Öffentlichen Dienst vorzusehen, sahen die Gewerkschaften darin die Absicht, mit derseit 1920 geltenden Tradition des Betriebsräte-rechts, in allen Betrieben und Verwaltungen einheitliche Interessenvertretungen zu gewähr-leisten, zu brechen und durch ein Ausnahmege-setz die gewerkschaftliche Einheit von Arbei-tern, Angestellten und Beamten zu untergraben.Der DGB rief im Mai zu Demonstrationen undProteststreiks auf, an denen sich bundesweitmehr als eine Million Arbeitnehmer beteiligten.Ihren Höhepunkt fanden die Protestaktionen in einem zweitägigen Zeitungsstreik der Indus-triegewerkschaft Druck und Papier am 28. und29. Mai 1952. Zwar war dieser Streik auf demersten Blick erfolgreich, da an beiden Tagen keine Tageszeitungen erschienen; er bewirkteaber einen deutlichen Sympathieverlust, da derStreik als gewerkschaftlicher Angriff auf diePressefreiheit hingestellt wurde. 31

Die BDA lehnt die Ausweitung der Montanmitbestimmung ab

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 31

Page 34: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

32

Bundeskanzler Adenauer verhandelt mit einer DGB-Delegation auf dem Schweizer Bürgenstock, 9.8.1951

Koalitionsbesprechung zum BetrVG, 8.1.1952

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 32

Page 35: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

33

Zeitungsanzeige der Vereinigung Nordrhein-Westfälischer Arbeitgeber-verbände, Ende Mai 1952: Arbeitgeber lehnen die DGB-Aktionen als Nötigung des Bundestages ab

Aufruf des DGB zu Protestaktionen gegen das geplante Betriebsverfassungsgesetz der Bundesregierung, 12.5.1952

DGB-Demonstration in Düsseldorf, 15.5.1952

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 33

Page 36: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

34

Unter dem Eindruck der gewerkschaftlichenDemonstrationen und Streiks bot BundeskanzlerAdenauer dem Vorsitzenden des DGB, ChristianFette, neue Verhandlungen an, wobei er aller-dings hervorhob, »dass es mir unmöglich seinwürde, unter dem Druck von öffentlichen Aktio-nen zu verhandeln«. Der DGB-Bundesvorstandbeschloss daraufhin, alle weiteren Protestaktio-nen einzustellen. Die nun folgenden Gesprächezwischen Vertretern des DGB und der Regie-rungskoalition blieben allerdings ergebnislos.Bundesregierung und Regierungskoalition warennicht mehr bereit, das mit Mühe geschnürteGesetzespaket, das am 6. Mai 1952 vom zustän-digen Bundestagsausschuss verabschiedet wor-den war, wieder zu öffnen. Die Gewerkschaftensollten durch die Gespräche nur hingehalten und von weiteren Aktionen abgehalten werden.Dies wurde den Gewerkschaftsrepräsentantenspätestens am 7. Juli klar, als sie während einerVerhandlung mit Koalitionsvertretern erfuhren,dass das Bundeskabinett schon am 13. Juni – amTag eines Spitzengesprächs des DGB mit Bundes-kanzler Adenauer – den überarbeiteten Entwurfeines Personalvertretungsgesetzes verabschie-det hatte. Die Gewerkschafter brachen daraufhindie Besprechungen ab, ohne jedoch weitere Pro-testaktionen zu beschließen. Am 19. Juli 1952verabschiedete der Bundestag das Betriebsver-fassungsgesetz (BetrVG) gegen die Stimmen aus der Sozialdemokratischen Partei Deutsch-land (SPD) und der KPD; aus der CDU/CSU, inderen Fraktion zahlreiche Gewerkschaftersaßen, stimmte nur ein Abgeordneter gegen das Gesetz, sieben enthielten sich der Stimme.

Die Mehrheit der Gewerkschafter bewertete die Verabschiedung des Betriebsverfassungs-gesetzes als die größte gewerkschaftliche Nie-

DIE ENTTÄUSCHUNG VON 1952Betriebsverfassungsgesetz besiegelt Spaltung

in Privatwirtschaft und Öffentlichem Dienst

Bundeskanzler Adenauer teilt dem DGB-Vorsitzenden Fette mit, dass er nur dann eine DGB-Delegation emp-fängt, wenn die Gewerkschaften ihre Aktionen einstellen

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 34

Page 37: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

derlage seit Gründung des DGB. Dies lag zumeinen daran, dass das neue Gesetz nur in weni-gen Punkten über den rechtlichen Rahmen desBetriebsrätegesetzes von 1920 hinausging unddamit die weiter gehenden Rechte der Betriebs-vertretungen aus den Ländergesetzen, Tarifver-einbarungen und Betriebsvereinbarungen nun verloren gingen. Zum anderen legte dasBetriebsverfassungsgesetz auf dem Gebiet derUnternehmensmitbestimmung fest, dass die Aufsichtsräte der Großunternehmen nur zueinem Drittel mit Arbeitnehmervertreternbesetzt sein mussten.

Das offenkundige Scheitern der Mitbestim-mungsvorstellungen stürzte den DGB in einetiefgreifende Führungs- und Vertrauenskrise.Zahlreiche gewerkschaftliche Ortsverbände kritisierten die nach ihrer Ansicht zu wenig

35

Verwaltungsstelle Bochum der Gewerkschaft Bau-Steine-Erden verlangt schärfste Kampfmaßnahmen bis hin zum

Generalstreik gegen das von der Regierung beabsichtigteBetriebsverfassungsgesetz

DGB-Flugblatt zur Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzesdurch den Bundestag, 22.7.1952

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 35

Page 38: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

36

kämpferische Haltung des DGB-Bundesvorstan-des; andere forderten sogar, die christdemo-kratischen Bundestagsabgeordneten, die demBetriebsverfassungsgesetz zugestimmt hatten,aus den DGB-Gewerkschaften auszuschließen.Auf dem zweiten Bundeskongress des DGB imOktober 1952 konzentrierte sich die Kritik aufdie Persönlichkeiten an der Spitze: Der Vorsit-zende Christian Fette wurde abgewählt unddurch Walter Freitag von der IG Metall ersetzt.

Für den Öffentlichen Dienst wurde eine gesetz-liche Regelung erst drei Jahre später erreicht.Der von der Bundesregierung im Juni 1952 ver-abschiedete Gesetzentwurf wurde vom erstenBundestag nur in erster Lesung behandelt –offenbar, um eine weitere gewerkschaftlicheProtestwelle zu vermeiden. Erst das im Septem-ber 1953 neugewählte Parlament verabschiedetenach langen internen Beratungen, die von Pro-

testaktionen der Gewerkschaften des Öffent-lichen Dienstes begleitet wurden, am 16. Juli1955 das Personalvertretungsgesetz (PersVG),mit dem nun die Mitbestimmung für die Beschäf-tigten in öffentlichen Betrieben und Verwal-tungen geregelt wurde. Im Vergleich zumBetriebsverfassungsgesetz schwächte das Per-sonalvertretungsgesetz nochmals die Mitspra-chemöglichkeiten der Personalvertretungen, da es dem von der Bundesregierung behaupte-ten Grundsatz folgte, dass eine unmittelbareMitwirkung der Interessenvertretungen imöffentlichen Dienst gegen die im Grundgesetzverankerte Verantwortung der politischen Entscheidungsträger verstoße.

Ein Protestschreiben der gewerkschaftlichen Basis von vielen

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 36

Page 39: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

37

»ÖTV-Presse« zu den Beratungen des Bundestags zum Personal-vertretungsgesetz

Protest gegen das von der Bundesregierung geplante Personalvertretungsgesetz auf der 1. Mai-Demonstration 1953 in Lübeck

Auf dem 2. DGB-Bundeskongress am 13.- 17.10.1952 unterliegt ChristianFette (l.) in einer Kampfabstimmung um den DGB-Vorsitz Walter Freitag(IG Metall). Fette muss als Sündenbock für die Niederlage um dasBetriebsverfassungsgesetz herhalten.

RZ_HBS_Kat_2016_S14-37 15.02.2016 11:47 Uhr Seite 37

Page 40: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Der 3. Gewerkschaftskongress im September1950 bildete den Abschluss der Transformationdes FDGB zu einer Massenorganisation sowjeti-schen Typs. Er bekannte sich zum Führungsan-spruch der SED und zum »Demokratischen Zen-tralismus« – zum durchgängigen Weisungsrechtdes Vorstands bis zu den Betriebsgewerkschafts-leitungen (BGL). Die Führung des FDGB legteden Schwerpunkt der Arbeit auf die Arbeitsmobi-lisierung und propagierte zu diesem Zweck vorallem sowjetische Methoden zur Steigerung vonArbeitsproduktivität und Produktion. In denTarifverträgen (»Rahmenkollektivverträgen«)wurde nicht nur der Leistungslohn verbindlichfestgelegt, sondern auch die Tarife und Normenan die staatlichen Wirtschaftspläne gebunden.Den nach Ausschaltung der Betriebsräte anderen Stelle getretenen BGL wurde die Aufgabeübertragen, den sozialistischen Wettbewerb inden Betrieben zu organisieren, um über Leis-tungssteigerungen die Planvorgaben zu erfüllen.Ein Mitbestimmungsrecht in arbeits- und sozial-rechtlichen Fragen erhielten sie nicht.

Die politischen Planvorgaben und die damit verbundene Determinierung arbeits- und sozial-rechtlicher Fragen durch den Staat hatten zuFolge, dass die Austragung eines »normalen«Interessenkonflikts in den Betrieben kaum mög-lich war. Folge der Verstaatlichung der Tarif-politik und der industriellen Beziehungen imBetrieb war, dass mangels betrieblicher Kanali-sierung die weiter existierenden betrieblichenInteressenkonflikte auf die politische Ebenedurchschlugen.

Deutlich wurde dieser Zusammenhang beimArbeiteraufstand am 17. Juni 1953. Nachdem die Partei- und Staatsführung unter Walter Ul-bricht Mitte Mai die Arbeitsnormen um mindes-tens 10 Prozent erhöht hatte, kam es nicht nurin Berlin, sondern in vielen Teilen der DDR zuStreiks und Demonstrationen, die sich spontanaus den Betrieben zu einem Volksaufstand ent-

wickelten und nur mit Hilfe der russischen Armee unterdrückt werden konnten. Dass sichdie Arbeiter im »Arbeiter- und Bauernstaat«gegen ihre Regierung erhoben, sollte bis zumEnde der DDR das Trauma der Führungen von SED und FDGB bleiben.

Auf den »Aufstand-Schock« reagierte die Regie-rung mit einer Neuausrichtung der Sozialpolitik.Dem FDGB wurde nicht nur die Verwaltung zahl-reicher staatlicher sozial- und kulturpolitischerEinrichtungen übertragen, sondern es erfolgteein massiver Ausbau der betrieblichen Sozialpo-litik. Das Spektrum der Angebote reichte bald –in Abhängigkeit von der Größe der Betriebe –von der Kantinenversorgung über Betriebskinder-

DIE BETRIEBSGEWERKSCHAFTS-LEITUNGEN IN DER DDR

Leistungspropaganda und soziale Betreuung

38

Das »Grundgesetz der Arbeit« der DDR vom 19.4.1950: Die »Mitbestim-mung« in der Wirtschaftsführung wird durch die Staatsorgane ausgeübt

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 38

Page 41: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

39

Werksleitung und BGL des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg geben Rechenschaft über die Durchführung des Betriebskollektivvertrages von 1952,27.1.1953

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 39

Page 42: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

gärten und Werkswohnungen bis zu Sportein-richtungen und Kultur- und Ferienhäusern. DieBGL erhielten eine gesetzliche Mitsprache in der betrieblichen Sozialpolitik, insbesondere in Fragen der Verteilung der Sozialleistungen.Die betrieblichen Funktionäre des FDGB wuchsenso mehr und mehr in die Rolle von Sozialbetreu-ern der Belegschaften hinein.

Zum Jahresbeginn 1978 trat das Arbeitsgesetz-buch (AGB) in Kraft, das das Arbeitsrecht derDDR systematisch zusammenfasste und den BGL Mitwirkungs- und erstmals auch Mitbestim-mungsrechte, beschränkt auf wenige personelleund soziale Angelegenheiten, zubilligte. Eineausdrückliche Zustimmungspflicht der BGLbestand nun bei der Verwendung des betrieb-lichen Kultur- und Sozialfonds sowie bei demAusspruch einer Kündigung. Diese Rechte waren

im Konfliktfall jedoch vielfach ohne Wert. Zumeinen standen die BGL unter dem generellenGebot einer »vertrauensvollen Zusammenarbeit«mit den »staatlichen« Betriebsleitern und über-geordneten Staatsorganen, und zur Durchset-zung ihrer im Gesetz niedergeschriebenen Rech-te fehlten Sanktionsmöglichkeiten, wie sie dieÜbereinkommen der Internationalen Arbeitsor-ganisation fordern; die BGL waren bestenfallszahnlose Vertreter von Belegschaftsinteressen,die sich auf informellem Weg im Betrieb durch-setzen konnten. Zum anderen unterlagen alleGewerkschaftsgremien den Prinzipien des»demokratischen Zentralismus«, was bedeutete,dass unbotmäßige Mitglieder einer BGL, die vonden Belegschaften auf Vorschlag des FDGBgewählt waren, per Beschluss übergeordneterGewerkschaftsinstanzen abgesetzt und durchandere Personen ersetzt werden konnten.40

Arbeiteraufstand in Berlin am 17.6.1953

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 40

Page 43: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

In den letzten Jahren der DDR reagierten Beleg-schaftsmitglieder auf die Blockade der betriebli-chen Interessenvertretung damit, dass sie sichmit Eingaben an den FDGB-Bundesvorstand oder an staatliche Instanzen wandten. Seit den1970er Jahren stieg die Zahl solcher Eingabenaus der gesamten DDR an. Im Mittelpunkt stan-den die klassischen Fragen des betrieblichenKonfliktes um Lohn und Leistung, aber auch Probleme der Essensversorgung, der Arbeitsbe-dingungen, der Arbeitszeitregelungen, des Woh-nungsmangels oder der mangelnden Konsumgü-

terversorgung. Oft verbarg sich hinter einer Ein-gabe ein über längerer Zeit schwelender Konflikt– so wie in dem Fall der 35 Beschäftigten desVEB Maschinenfabrik Großschönau von Ende1986, die eine Lohnerhöhung ohne Änderungder Norm verlangten. Anfang 1987 befasste sichsogar das Politbüro der SED mit der Eingabe. Der Bericht der von dem höchsten Parteigremi-um eingesetzten Arbeitsgruppe ist ein Dokumentdes wirtschaftlichen und politischen Zerfalls derDDR.

41

Der Vorsitzende des FDGB, Herbert Warnke, betreibt nach dem Arbeiter-aufstand in einer Vorlage für das Politbüro der SED Etikettenschwindel,indem er den Begriff »BGL« durch »Betriebsräte« ersetzen will

Arbeitsgesetzbuch: Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte vielfachohne Wert

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 41

Page 44: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

42

Die Kinderbetreuung im Betriebskindergarten im Stahl- und Walzwerk Brandenburg macht es möglich, dass Mütter ihre Arbeit im Werkaufnehmen, 6.1.1960

»Hilfe für die werktätige Frau: Der VE-Betrieb Nortag-Hanewacker in Nordhausen-Harz sorgt in vorbildlicher Weise für seine werktäti-gen Frauen, um sie von ihren häuslichen Aufgaben so weit wie möglich zu entlasten. Die Kleinkinder werden im Betriebskindergartenversorgt, eine Konsum- und HO-Verkaufsstelle ersparen den Hausfrauen viel Zeit beim Einkaufen und die Nähsorgen nimmt ihnen dieBetriebseigene Nähstube ab.« (Originalbildunterschrift), 1.2.1951

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 42

Page 45: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

43

I n f o r m a t i o nüber die Bearbeitung der Eingabe von 39 Werktätigen des VEBMaschinenfabrik Großschönau, Kreis Zittau, an den Staatsrat der DDR

In der Eingabe an dem Staatsrat der DDR vom 29.9.1986 wird von den Unterzeichneten die Forderung nach einer »Lohnerhöhungohne Veränderung der Norm« gestellt.

Die Bearbeitung der Eingabe durch die beauftragten Genossendes Ministeriums für Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau,verantwortliche Kader des Kombinates Textima, der Kreisleitungder SED Zittau, des Kreisvorstandes des FDGB sowie weiterer terri-torialer Organe ergab, daß im VEB Maschinenfabrik Großschönaukeine lohnpolitischen Versäumnisse vorliegen. Die am 11.11.1986mit den Unterzeichnern der Eingabe durchgeführte Versammlungergab, daß sie auf ihren Standpunkt beharren, abweichend vomLeistungsprinzip Lohnerhöhungen als »Äquivalent für das sich ver-ändernde Preisgefüge bei Konsumgütern« durchzusetzen. Gleichzei-tig wiesen sie auf territoriale Fragen der Versorgung, der Woh-nungswirtschaft, des Fernsehempfangs und andere sie bewegendeProbleme hin. Trotz Bemühungen der Funktionäre konnte keineKlärung herbeigeführt werden.

Zur Untersuchung der Probleme, die im VEB MaschinenfabrikGroßschönau zur Eingabe von 35 Werktätigen aus 3 Abteilungenführten, und zur Einleitung erforderlicher Maßnahmen zur Verän-derung der Lage im Betrieb wurde vom 10. bis 12.12.1986 eineArbeitsgruppe des Zentralkomitees eingesetzt. […]

Von den Genossen der Arbeitsgruppe wurde […] die persönli-che Aussprache mit den 35 Werktätigen vorbereitet. Außer den zweidurch Krankheit abwesenden Werktätigen wurde mit 33 Unterzeich-nern der Eingabe das individuelle Gespräch geführt. Im Ergebniserklärten die 33 Werktätigen, daß sie von ihrer Forderung, mehrLohn ohne nähere eigene Leistungen, Abstand nehmen und damitdie Eingabe an den Staatsrat als abgeschlossen betrachten. […]

Der VEB Maschinenfabrik Großschönau, ein Betrieb mit 230Beschäftigten, erfüllt seit über fünf Jahren seine Planaufgaben. […]Das Niveau von Technologie und Organisation der Produktion ent-spricht in den wesentlichen Fertigungsabschnitten dem Stand der50er und 60er Jahre und wurde auch in den 12 Jahren seit Über-führung in Volkseigentum und Angliederung an das Kombinat Tex-tima kaum entwickelt. Die Leitungstätigkeit des Betriebsdirektorsist ungenügend auf die Erarbeitung und Realisierung wissenschaft-lich-technischer Aufgaben vor allem der Intensivierung der Produk-tion gerichtet. Die Anzahl und die Qualifikation der Konstrukteureund Technologen sowie die zur Verfügung stehenden Ausrüstungenreichen für eine Beschleunigung der wissenschaftlich-technischenErneuerungsprozesse nicht aus. Aus dieser Situation heraus sind bei vielen Werktätigen und auch bei einigen Leitern des BetriebesZweifel an der Realisierbarkeit der Wirtschaftsstrategie der Parteiund an der Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft entstanden.

Die Aussprachen mit den Genossen der Grundorganisation,den staatlichen Leitern und den Mitgliedern der Betriebsgewerk-schaftsleitungen haben deutlich gemacht, daß die politisch-ideolo-gische Arbeit, die offensive und überzeugende Erläuterung vonGrundfragen der Innen- und Außenpolitik der Partei nicht denErfordernissen entspricht, die der XI. Parteitag der SED stellt.

Den 8 Genossen der Grundorganisation [der SED, W. M.] (bis auf einen Produktionsarbeiter sind das staatliche Leiter) fällt esschwer, mit der notwendigen Konsequenz die Beschlüsse des Zen-tralkomitees entsprechend den konkreten Bedingungen im Betriebumzusetzen. Das Parteileben ist vorwiegend nach innen gerichtetund hat wenig Ausstrahlungskraft auf die Arbeitskollektive. Unge-

nügend ausgeprägt sind Kämpfertum und die volle Wahrnehmungder kollektiven und persönlichen Verantwortung für die Führungder politisch-ideologischen und ökonomischen Prozesse, für dassofortige klassenmäßige Reagieren auf aktuelle Erfordernisse sowieauf Fragen der Werktätigen. […] Viele ungeklärte Fragen der Werk-tätigen, insbesondere zur ökonomischen Strategie der Partei, zurEinheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, auf das Bürgerwohlgerichteten Kommunalpolitik sowie der ideologische Einfluß desGegners sind weitere wesentliche Ursachen, die zur Eingabe führ-ten. Im Betrieb gibt es 8 Werktätige, darunter ein ehemaliges Mit-glied der SED, die einen Antrag auf Ausreise in die BRD stellten.

Die in der materiellen Produktion eingesetzten Brigadiere, dieüber einen bedeutenden Einfluß in den Kollektiven verfügen, warennicht bereit, ihre politisch-erzieherische Funktion als sozialistischeLeiter von Arbeitskollektiven auszuüben. Sie, wie auch die gewerk-schaftlichen Vertrauensleute, gehören zu den Unterzeichnern der Eingabe. […]

Die Situation ist auch in der Gewerkschaftsarbeit dadurchgekennzeichnet, daß über Jahre hinweg keine planmäßige, zielstre-bige Leitungstätigkeit existiert. Gewerkschaftliche Aktivitäten sind einseitig auf die organisatorische Sicherung solcher Fragen wie Beitragskassierung, Krankenbetreuung, Feriendienst orientiert.Die politisch-ideologische Arbeit der BGL mit den Arbeitskollekti-ven und den gewählten Gruppenfunktionären ist unzureichend. Inden Arbeitskollektiven wird kein Wettbewerb geführt, es gibt kei-nen Kampf um den Ehrentitel »Kollektiv der sozialitischen Arbeit«und keine Schulen der sozialistischen Arbeit.

Hartnäckig hielt sich im Betrieb die Auffassung, und das trifftselbst auf Mitglieder der BGL zu, daß die Gewerkschaften alsoppositioneller Gegenpol zum staatlichen Leiter die Interessen derWerktätigen durchsetzen müssen. Es wurde ungenügend verstan-den, die Rolle der Gewerkschaften im Sozialismus zu klären unddie Mitglieder für eine aktive Mitarbeit zu mobilisieren. Damitwurde in gewissem Maße gegnerischen Einflüssen das Feld über-lassen. Das zeigt sich u.a. darin, daß bereits mehrfach progressivauftretende Gewerkschafter in ihren Wahlfunktionen nicht wieder-gewählt wurden und die Meinung vertreten wird, daß man keineGruppenfunktionäre brauche. (In 3 Arbeitskollektiven wurde keineGruppenwahl durchgeführt.)

Die Überprüfung der Versorgungsfragen hat ergeben, daß aufder Grundlage des Planes die stabile und zuverlässige Versorgungder Bevölkerung mit Erzeugnissen des Grundbedarfs und ausge-wählten Industriewaren gesichert werden kann. Das Angebot vonBrot, Brötchen und Milch wurde jedoch nicht in allen Geschäftenbis Ladenschluß gesichert. Bei Fleisch- und Wurstwaren gibt es inden Konsumverkaufsstellen Qualitätsmängel.[…] Solche Erzeugnis-se, wie Apfelsinen, Lichterketten, Ersatzkerzen oder bestimmteArtikel der Kinderkonfektion (zum Beispiel Anoraks, Kordhosen,Liftanzüge), sind nach Wareneingang nur stundenweise im Ange-bot. […]

Auch die Sekretariate der Kreisvorstände des FDGB und derIG Metall sind über die unzureichende gewerkschaftliche Tätigkeitim Betrieb informiert. Getroffene Festlegungen wurden ungenügenddurchgesetzt und kontrolliert. Die falsch orientierte Gewerkschafts-arbeit im Betrieb wurde durch die Kreisvorstände nicht erkanntund leichtfertig ignoriert. […] Die neugewählte BGL ist aus eigenerKraft nicht in der Lage, die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Grund-sätzlich ist es erforderlich, durch die übergeordneten Vorstände […]über einen langen Zeitraum konkrete Hilfe und Unterstützung zugeben, die vor allem darauf orientiert sein muß, die Gewerkschafts-funktionäre im Betrieb zu befähigen, umfassend ihre Aufgaben zuerfüllen […]

Bericht einer vom Politbüro der SED eingesetzten Arbeitsgruppe über eine Eingabe von Beschäftigten des VEBMaschinenfabrik Großschönau - ein Protokoll des wirtschaftlichen und politischen Zerfalls der DDR, Januar 1987

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 43

Page 46: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

44

Die ersten eineinhalb Jahrzehnte der Bundes-republik waren von einem einzigartigen Wirt-schaftsaufschwung geprägt, der dieser Periodeihren Namen gab: Wirtschaftswunder. Die Wirt-schaft wuchs in den 15 Jahren zwischen 1950 bis 1965 im Jahresdurchschnitt um 5,6 Prozent,die Arbeitslosigkeit sank praktisch auf den Nullpunkt, und die Unternehmensgewinneexplodierten.

In dieser Zeit erreichten die Betriebsräte ihreunangetastete Akzeptanz in den Belegschaftenvor allem durch ihre Erfolge in der betrieblichenSozialpolitik sowie in der Einkommensfrage.Zwar waren die gesetzlichen Kompetenzen der

Betriebsvertretungen auf lohnpolitischemGebiet eigentlich sehr begrenzt: Das Tarifver-tragsgesetz von 1949 übertrug allein den Arbeit-geberverbänden und Gewerkschaften das Recht,Tarifverträge abzuschließen. Den Betriebsrätenverblieben in Einkommensfragen nach dem BetrVGnur drei Bereiche: Erstens schrieb das BetrVGihnen im § 54 die Aufgabe einer »betrieblichenTarifpolizei« zu, nach der sie darüber zu wachenhatten, dass »die zugunsten der Arbeitnehmergeltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträgeund Betriebsvereinbarungen durchgeführt wer-den«. Zweitens besaßen sie ein eigenes lohnpo-litisches Handlungsfeld bei den betrieblichenEntlohnungsmethoden: bei der Regelung vonAkkord- und Stücklohnsätzen, der Aufstellungvon Entlohnungsgrundsätzen und der Einfüh-rung von neuen Entlohnungsmethoden. Drittensfiel den Betriebsräten die Funktion zu, neue Entgeltrahmenabkommen in die Betriebsrealitätumzusetzen. Die konkrete Umsetzung der tarif-politischen Grundsätze erfolgte in der Regeldurch paritätische innerbetriebliche Bewer-tungskommissionen, deren Aufgabe es war, alleArbeitsplätze nach den neuen tarifvertraglichenKriterien einzustufen.

Während der langen Periode des stetigen Wirt-schaftswachstums gelang es aber den Gewerk-schaften aufgrund der noch geringen Orga-nisationsstärke nicht, den vorhandenenVerteilungsspielraum tarifpolitisch voll auszu-schöpfen. Die Betriebsräte in Großbetriebennutzten dies, um den Belegschaften durch sozia-le Leistungen und finanzielle Zulagen Einkom-men zu sichern, die z. T. erheblich über demTarifniveau lagen. Es bildete sich eine Lohndriftzwischen Tarifeinkommen und Effektiveinkom-men heraus. Anfang der 1960er Jahre betrug dieLohndrift in der Metallindustrie bis zu 30, Mittedes Jahrzehnts in den Großunternehmen derChemie sogar mehr als 50 Prozent. Die Unterneh-mensleitungen gingen diesen Weg mit, da er denBetriebsfrieden sicherte, aber auch die Position

Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und derArbeitslosigkeit von 1950 bis 1965

BIP Zahl der Arbeitslosen Arbeitslosenquote(Mrd. DM im

Preisen von 1991)

1950 367,8 1868504 11,0

1951 404,0 1713887

1952 441,2 1651915

1953 480,2 1491000

1954 516,9 1410717

1955 579,0 1073576 5,6

1956 623,1 876287

1957 660,0 753711

1958 688,6 763850

1959 742,2 539942

1960 856,5 270678 1,3

1961 895,2 180855

1962 936,3 154523

1963 962,2 185646

1964 1026,3 169070

1965 1081,5 147352 0,7

1966 1112,0 161059

1967 1108,8 459489 2,1

1968 1170,0 323480

1969 1257,1 178579

1970 1321,4 148846 0,7

FÜR TEILHABE AM WIRTSCHAFTLICHEN AUFSTIEG

Betriebsräte für höhere Einkommen und kürzere Arbeitszeit

Wirtschaftswunderjahre: Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosigkeit

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 44

Page 47: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Die IG CPK berichtet in ihrem Jahrbuch 1952 über »rührige« Betriebsräte in der Lohnfrage

Freiwillige Sozialleistungen in der Automobilindustrie 1957

Zeichen wachsenden Wohlstands: Bergmann vor seinem »Käfer«, Mitte der 1950er Jahre

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 45

Page 48: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

46 Plakat »Samstag gehört Vati mir«

Arbeitszeitverkürzung durch Betriebsvereinbarung bei Siemens

Urlaub in den Ferienhäusern von Daimler Benz

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 46

Page 49: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

der Gewerkschaften in den Betrieben schwächte.Außerdem hoffen sie so, die auf dem Arbeits-markt rar werdenden Fachkräfte zu binden.

In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre rücktendie Gewerkschaften die Verkürzung der Arbeits-zeit ins tarifpolitische Zentrum. Während dieArbeitgeberverbände die Forderung der Gewerk-schaften nach der 40-Stunden-Woche strikt verwarfen, signalisierten Firmenleitungen derGroßbetriebe gegenüber den Betriebsrätenschon bald eine aufgeschlossenere Haltung. Die bei Siemens – wie auch in anderen Großbe-trieben – zu Beginn des Jahres 1956 eingeleite-te Politik einer schrittweisen Arbeitszeitverkür-zung ebnete in der Metallindustrie den Weg zumBremer Abkommen vom 25. Juli 1956 und zumBad Sodener Abkommen vom 4. Dezember 1957,in denen die Verkürzung der Arbeitszeit in Etap-pen bis auf 44 Stunden festgelegt wurden.

Auf der Basis einer sich entwickelnden inner-betrieblichen Verständigungskultur mit »ihren«Unternehmern gelang es den Betriebsräten in

den Wirtschaftswunderjahren, Vereinbarungenabzuschließen, die auch für die gewerkschaftli-che Tarif- und Reformpolitik Wegweiser darstell-ten. In der Rückschau auf das Jahr 1958 hob derBetriebsratsvorsitzende bei Merck, Philipp Ohle-müller, mit einigem Stolz drei Betriebsverein-barungen hervor, mit denen die Interessenver-tretung bei Merck Neuland betreten hatte: dieEinführung einer Weihnachtsgratifikation undeines Urlaubsgeldes sowie die Durchsetzung von Karenztagen im Krankheitsfall für Arbeiter,womit eine Gleichstellung mit den Angestelltenerzielt wurde. An diesem Beispiel wird deutlich,dass die betriebliche Mitbestimmungspraxis Vor-reiter für gesellschaftliche Reformprojekte war,die später in der Tarifpolitik oder der Gesetz-gebung verwirklicht werden sollten. Es liegt auf der Hand, dass der Durchbruch zur SozialenMarktwirtschaft zu einem großen Teil von solchen Impulsen aus den Betrieben herausgespeist wurde.

47

Protokoll Betriebsratssitzung bei Merck, 23.12.1958

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:48 Uhr Seite 47

Page 50: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

48

Bei der Maggi GmbH, seit 1947 Teil des Nestlé-Konzerns, funktionierte das Lohnsystem auf der Basis eines Haustarifvertrages anfangs der1950er Jahre zunächst noch zufriedenstellend.Die Unterschiede der einzelnen Arbeiten ver-suchte man mit Zulagen auszugleichen. Diesführte zu einem intransparenten System, das im Tarifvertrag keine adäquate Abbildung mehrerfuhr. Missmut pflegte unter den Beschäftigtenauch durch die von Meistern oder Vorarbeiternverantworteten »Nasenprämien« anzuwachsen.Das traditionelle Eingruppierungskriterium derberuflichen Ausbildung verlor aber zunehmendan Bedeutung, da durch die technische Entwick-lung auch die Tätigkeit eines Facharbeiters ineine ganze Reihe mechanisierter Arbeitsstellenoder maschineller Arbeitsgänge zergliedert wur-de. Es setzte eine Spezialisierung auf die Bedie-nung und Wartung neuer technischer Anlagenein, begleitet von einer Verlagerung der Belas-tung von körperlicher Tätigkeit zu geistig-nerv-licher Inanspruchnahme. Das ließ eine lohnpoli-tische Privilegierung der Facharbeiter vor denUngelernten nicht länger berechtigt erscheinen,die zuvor in den unteren Lohngruppen gleichsamfestgenagelt waren. Die im technischen Arbeits-prozess erfolgte Verschiebung der Anforderun-gen an die Arbeitnehmer eröffnete nun auch den

Frauen mit geringeren Qualifikationen zahlrei-che neue Arbeitsmöglichkeiten. Infolge dieserEntwicklungen wurde die Arbeitsplatzbewertungfür fast ein Jahrzehnt das große Thema bei Maggi.

In der Ära des Betriebsratsvorsitzenden KarlHimmelsbach war Mitte der 1960er Jahre dieErarbeitung einer neuen Entlohnungsform, dessogenannten Richtwertlohns (RWL), eine derHauptaufgaben. Es wurde eine Kommission aus zwei Vertretern der Werksleitung und denzwei Betriebsratsmitgliedern Bosch und Voglergebildet, wobei sich letztere von den Arbeits-studien-Spezialisten aus der Hamburger Hauptverwaltung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sowie vom Ortsver-waltungsgeschäftsführer der NGG beraten lie-ßen.

Ziel der Arbeitsgruppe war es, den durch zahlrei-che Abteilungs-, Funktions- und Qualifikations-zulagen aufgestockten Tariflohn auf eine trans-parente und gerechtere Grundlage zu stellen.Bei der jetzt vorgenommenen Arbeitsplatzbewer-tung (APB) wurde eine Lohngruppen-Abstufungangestrebt, die sich an den Bewertungsmaßstä-ben und Anforderungsstufen des Arbeitsplatzesund nicht an der individuellen Qualifikation und

DAS BETRIEBLICHE RINGEN UM GERECHTERE EINKOMMENSRELATIONEN

Eingruppierung bei Maggi in Singen

Karl Himmelsbach, Betriebsratsvorsitzender bei Maggi in Singen 1963 – 1989Auftakt einer Rede von Karl Himmelsbach in einer Betriebsversammlung am 14.6.1966

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 48

Page 51: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

49

Aktennotiz über den Beginn der Arbeitsplatzbewertung im Werk Singen vom 24.3.1964

Expertenkommission bei der Übergabe des Berichts zur Analytischen Arbeitsplatzbewertung 1967 (Betriebsratsmitglieder: Bosch, 2. v. l., Vogler, 3. v. r., Himmelsbach, 2. v. r.)

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 49

Page 52: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

50

der persönlichen Berufserfahrung orientierte.Darunter fielen die Aspekte der Ausbildung, der Arbeitserfahrung, der geistigen und körper-lichen Anforderungen, der Geschicklichkeit, der körperlichen Beanspruchung (auch: der Sinnesorgane), der Verantwortung für Produktund Arbeitsausführung, der Verantwortung für Betriebsmittel, den Arbeitsablauf und dieSicherheit, die eigenen Unfall- und Krankheits-gefahren sowie die Umgebungseinflüsse amArbeitsplatz (Lärm, Erschütterungen, Tempera-tur).

Am 1. Mai 1967 stellte die Expertenkommissionaus Geschäftsleitung und Betriebsrat das Ergeb-nis der APB als »Richtwertlohn« vor. In der nun-mehr gültigen »Lohntreppe« gab es 16 Lohngrup-pen mit einem Stufenabstand von 13 Pfennigen.Über die Zuordnung zu einer der 16 Lohngrup-pen erhielt jeder der etwa 2.700 Lohnempfängereine persönliche Information.

Am 2. Juni 1967 schließlich beriet der Betriebs-rat über die Reaktionen der Belegschaft auf dieneue Entlohnungsform. So waren etliche Mitar-beiter, die in die Lohngruppe 1 eingestuft wur-den, »in Aufruhr«. Die Mitarbeiterinnen der Kindertagesstätte protestierten geschlossengegen die Einstufung in Lohngruppe 2, währenddie Kolleginnen und Kollegen der Abteilung»Rohwürze« ihrer Überzeugung Ausdruck gaben,»daß sie auf dem absteigenden Ast sitzen«. Dervon Anfang an mit dem Verfahren beauftragteExperte für das neue Lohnsystem Bosch erklärtebeschwichtigend, »daß die Richtwertentlohnungnoch keine endgültige Arbeitsplatzbewertungdarstelle«. Der Abschied von in langen Jahrengewachsenen Einkommensunterschieden brach-te durchaus auch neue Enttäuschungserfahrun-gen unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern mit sich.

Aus der Produktion: Arbeiterinnen bei der »Aufmachung«

Aus der Information der Firmenleitung an die Mitarbeiter im Mai 1967

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 50

Page 53: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

51

Protokoll der Sitzung des Betriebsratsder Maggi GmbH am 2.6.1967 mit kritischen Stimmen zur Arbeitsplatz-bewertung und zum Richtwertlohn

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 51

Page 54: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

52

Die Talfahrt der Ruhrkohle hatte sich seit 1963im Verlauf der allgemeinen Wirtschaftskriseungeheuer beschleunigt. Der Abstieg drohte zueinem Absturz in die Tiefe des wirtschaftlichenChaos zu werden. Die soziale Stimmung beson-ders an der Ruhr stellte eine Bedrohung der kon-servativen Koalitionskabinette im Bund unterLudwig Erhard und im Land Nordrhein-Westfalenunter Franz Meyers dar. Während die Bergarbei-tergewerkschaft IG BE den Vorschlag machte,»gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten füreine Neuordnung des Steinkohlenbergbaus zusuchen«, dabei aber betonte, an deren Durch-führung »gleichberechtigt teilzunehmen«, sahenweder die Regierung Erhard noch der Unterneh-mensverband Ruhrbergbau (UVR) die Notwen-digkeit, kooperative Lösungen zu erarbeiten. EinZukunftskonzept war beim UVR zunächst nichtzu erkennen.

Das Beispiel der Essener Zechen »Helene« und»Amalie« aus der Hütten- und Bergwerke Rhein-hausen AG zeigt, in welch prekäre Positionen die Betriebsräte bedrohter Schachtanlagen zwi-schen Belegschaft, Vorstand und Kohlemarktgerieten, aber auch, wie souverän und zukunfts-orientiert sie letztlich damit umgingen. So hatteder Betriebsratsvorsitzende der Zeche HeleneWerner Lenz am 18. März 1965 bei einem von derEvangelischen Kirche in Essen eingesetzten Aus-schuss »Bergbau und Bergmann« klargestellt:

»Die Bergleute sind davon überzeugt, daß diealten Organisationsformen nicht mehr ausrei-chen. Deswegen sind wir auch mit einer sinnvol-len Rationalisierung […] einverstanden.« DasRationalisierungsverbandsgesetz subventionier-te das Zechenkapital im Stilllegungsfall erheb-lich, doch wegen der langfristigen Anmeldever-fahren schuf es eine Entscheidungs-Dynamik,die sozialpolitische Zwischenlösungen alsbaldzur Makulatur machte. Daher standen die Arbeit-nehmervertreter im Aufsichtsrat, die gewerk-schaftlich gebundenen Arbeitsdirektoren undvor allem die Betriebsräte Werner Lenz (Helene)und Fritz Pawlik (Amalie) vor einem sozialpoliti-schen Scherbenhaufen. Die von ihnen grund-sätzlich anerkannte ökonomische Zwangslageder Ruhrkohle, die sich am Anwachsen der Hal-denbestände unschwer ablesen ließ, war inihrem Urteil durchwirkt von einem nahezu unge-brochenen Kapital-Egoismus. Einen Leitfadenihres Handelns fanden sie gleichwohl in dernoch kurzen Tradition einer umfassenden Sozial-plan-Politik, die 1956 bei der Stilllegung desSteinkohlenbergwerks Barsinghausen unter Mit-wirkung des Betriebsrats ihren Ausgangspunktgenommen hatte und die, inzwischen vielfacherprobt, die schwersten Krisenfolgen für dieBeschäftigten abmildern half. So war die Voraus-setzung für den einstimmigen Aufsichtsratsbe-schluss am 21. Juli 1965 zur Stilllegung von»Amalie« die von Berthold Beitz gemachten

BETRIEBSRÄTE ALS MOTOR FÜR SOZIALVERTRÄGLICHE UND

PLANVOLLE KRISENPOLITIK Die Stilllegungen der Essener Zechen Helene und Amalie

Schachtanlagen. Förderung. Belegschaft im Ruhrgebiet 1950–1981

Jahr Zahl der Förderung Zahl der Förderung je Schachtanlagen in 1000t Beschäftigten Schacht 1000t

1950 143 103.329 358.077 7231960 125 115.441 313.462 9241970 56 91.073 140.695 1.6261975 35 75.856 134.610 2.1671981 28 69.979 120.700 2.499

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 52

Page 55: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Zusicherungen über die Fortbeschäftigung einesgroßen Teiles der Belegschaft auf Krupp-Schachtanlagen bzw. Tätigkeiten in anderenKrupp-Bereichen, vorzugsweise unter Fortgel-tung der knappschaftlichen Versicherung, oderÜberbrückungszahlungen bis zur Aufnahmeeines neuen Arbeitsverhältnisses und vor allemauch ein Fortbestand der bisherigen Werkswoh-nungs-Mietverhältnisse. Insgesamt erforderlichwar freilich eine verstärkte Mobilität der Berg-leute, aber auch eine zunehmende Abwanderungin Nachbarindustrien.

Die von den Betriebsräten und der IG BE mitge-tragene Politik fand bei der Gründung der Ruhr-kohle AG im Juli 1969 ihren Niederschlag. Esbedurfte allerdings erheblichen gewerkschaftli-chen Drucks, um nicht nur in der Zentralgesell-

schaft das unstrittige Prinzip der paritätischenMontanmitbestimmung zu verankern, sondernauch durch Einsetzung von Betriebsdirektorenfür Personal- und Sozialfragen auf der mittlerenund unteren Gesellschaftsebene den Faden zwi-schen sozialpolitischen Entscheidungsträgernund der Basis nicht abreißen zu lassen. Die»Konzertierte Aktion« im Ruhrbergbau hatteinsgesamt verdeutlicht, dass einem Laisser-faire-Kapitalismus am Ende der Wirtschaftswun-derzeit mit einem geeigneten Politik-Instrumen-tarium entgegengetreten werden musste. Imneuen Betriebsverfassungsgesetz von 1972 dersozial-liberalen Koalition unter BundeskanzlerWilly Brandt erfuhr der Sozialplan-Gedanke seine gesetzliche Verankerung.

53

Schwarze Fahnen an der Ruhr: Protest der Bergleute 1959

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 53

Page 56: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

54

Die Schachtanlage Helene in Essen, 1965

Betriebsversammlung auf der Zeche Helene am 18.10.1964

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 54

Page 57: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

55

Betriebsrat Fritz Pawlik (Amalie) berichtet dem Bergwerksdirektor Heidemann über Unruhe in den Belegschaften von Helene und Amalie, 23.10.1964

Betriebsrat Fritz Pawlik (Amalie) vom 26.10.1964 an Bundeskanzler Ludwig Erhard: Kritik an der Kohle-Politik der Bundesregierung

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 55

Page 58: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

56

Vermerk über die Verhandlungen über den Sozialplanfür Amalie vom 28.4.1966

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 56

Page 59: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

57

Unterzeichnung des Ruhrkohle AG-Vertrages am 18.7.1969 (Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller,sitzend, 2. v. r., links hinter ihm der IG BE-Vorsitzende Walter Arendt)

Neue Ruhr Zeitung vom 22.7.1965:Krupp schließt Großzeche

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 57

Page 60: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

58

Die Rezession von 1966/67 markierte nicht nurdas Ende der besonderen Wachstumsbedingun-gen der Wirtschaftswunderjahre, sondern zogauch einen Verlust an wirtschaftlicher Selbst-sicherheit und Stabilitätsgewissheit nach sich.Damit stellte sie viele der bisherigen betrieb-lichen Gemeinsamkeiten in Frage. Denn dieUnternehmensleitungen reagierten auf denWachstums- und Gewinneinbruch mit unter-schiedlichen Konfrontationsstrategien: Unter-nehmen wie Daimler-Benz versuchten, demAbsatzeinbruch mit einem Personalabbau zubegegnen, während andere wie Siemens denKostendruck durch Streichung von betrieblichenSozialleistungen verringern wollten. Außerdemgingen die Unternehmen seit der Wirtschaftskri-se systematisch dazu über, nach Tarifabschlüs-sen übertarifliche, betriebliche Zulagen abzu-schaffen bzw. gegen tariflichen die Lohn- undGehaltsteigerungen zu verrechnen. Die Gewerk-schaften wehrten sich – wie bei Maggi - dagegenmit der Aufnahme von so genannten Effektiv-klauseln in die Tarifverträge, mit denen die Ver-rechnung von betrieblichen Zulagen verhindertwerden sollte.

Die Strategie der Unternehmen, außertariflicheLeistungen zu reduzieren, stieß jedoch zuneh-mend auf den Widerstand der Belegschaften –vor allem, als die Wachstumsraten gegen Endeder 1960er Jahre wieder in Höhen kletterten, die an die 1950er Jahre erinnerten. Die sozialenKonflikte in den Betrieben nahmen zu undgleichzeitig auch die Zahl der spontanenArbeitsniederlegungen. Dies war auch Auswir-kung der Aufbruchsstimmung, die das Jahrzehntzwischen 1965 und 1975 im gesellschaftlichenund politischen Leben prägte und die auch anden Betrieben nicht vorbei ging. Die Entwick-lung der Vertrauensleutebewegung spricht einedeutliche Sprache: Bei der IG Metall stieg dieZahl der Vertrauensleute zwischen 1964 und1976 sprunghaft auf knapp 91.000 an, und beider Industriegewerkschaft Chemie, Papier,

Keramik (IG CPK) war seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ein ähnlicher Aufschwung fest-zustellen.

Für die Gewerkschaften stellte dies eine beacht-liche Ausweitung ihrer betrieblichen Basis dar.Immer mehr Arbeitnehmer waren bereit, sich imBetrieb zu engagieren. Damit stiegen auch dergewerkschaftliche Einfluss und der Druck der»Basis« auf die Arbeit der Betriebsräte. Dieszeigte sich auch darin, dass die Aufstellung vonKandidatenlisten der Gewerkschaften nicht mehr nur durch Wahlverfahren der Vertrauens-leute erfolgte, sondern in manchen Betriebenerstmals auch durch eine Urwahl der betrieb-lichen Gewerkschaftsmitglieder. Die Konflikteinnerhalb der Belegschaften um den Kurs derBetriebsräte nahmen zu; vielfach schlug sichdies in der Aufstellung von konkurrierendenGewerkschaftslisten bei den Betriebsratswahlennieder.

Deutlich sichtbar wurde das stärker gewordeneSelbstbewusstsein und Engagement großer Teile der Belegschaften in den spontanen Sep-temberstreiks von 1969. Auslöser dieser »wildenStreiks« war die Weigerung der Unternehmens-leitung der Dortmunder Westfalenhütte am 2. September 1969, die innerbetrieblichen Zulagen wie vom Betriebsrat gefordert anzu-heben. Die Belegschaftsforderung erfolgte ineiner Phase, in der die Unternehmensgewinnenicht nur in der Eisen- und Stahlindustrie nachÜberwindung der Rezession von 1966/67 denLöhnen enteilt waren. Denn die Tarifeinkommenwaren von den Gewerkschaften während derWirtschaftskrise in Erwartung einer schwierigenVerteilungskonstellation zu ihrer Absicherunglangfristig gebunden worden. Die Arbeitsnieder-legungen bei der Dortmunder Westfalenhütteentwickelten sich zu einem Flächenbrand, der in wenigen Tagen nicht nur die Eisen- und Stahl-industrie, sondern auch den Steinkohlenbergbauerfasste und das bisherige, zentral ausgerichte-

DIE UMBRUCHSJAHRE 1966 BIS 1970Rezession und Aufbruchsstimmung in den Betrieben

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 58

Page 61: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

te Tarifvertragssystem in Frage stellte. Am Endedieser Streiks stand die deutliche Anhebung derLöhne über den bestehenden Tarif. Die IG Metall– und später auch die IG CPK – reagierte auf die spontanen Streiks in den Folgejahren, indemsie eine flexible Tarifpolitik unter stärkerer Einbeziehung der Mitgliedschaft einschlug.

59

Arbeitslose auf den Weg ins Arbeitsamt, Gelsenkirchen 1965

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 59

Page 62: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

60

Die IG CPK berichtet in ihrem Geschäftsbericht über die Auswirkungender Rezession auf die Belegschaften

Die IG Metall berichtet in ihrem »Weißbuch zur Unternehmermoral«:Daimler-Benz entlässt in der Rezession von 1966/7 Mitarbeiter

Die Streikenden fordern eine außertarifliche lineare Lohnerhöhung, Septemberstreiks in Dortmund, 1969

»Weißbuch zur Unternehmermoral« der IG Metall: Siemens kürzt in der Rezession die betrieblichen Sozialleistungen

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 60

Page 63: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

61

An den Vorstand der Industrie-Gewerkschaft Metall6 Frankfurt/MainWilhelm-Leuschner-Straße. 79 –85Betr.: Arbeitsniederlegungen bei den Klöckner-Werken AG, Drahtindustrie Düsseldorf

Sehr geehrte Kollegen!Nach Abschluss des Tarifvertrages für die Metallindustrie legten am 8.9.1969 die Arbeiter

der Klöckner-Werke AG, Drahtindustrie Düsseldorf aus Unzufriedenheit mit der betrieblichenLohnhöhe und der vereinbarten Lohnerhöhung spontan die Arbeit nieder.

Die Werksleitung hatte abgelehnt, über eine zusätzliche Erhöhung der Löhne von 0,50 DM je Stunde zu verhandeln.

In dieser von Montag, dem 8.9.69, 12.30 Uhr bis Donnerstag, dem 11.9.1969, 6.30 Uhr dauernden Arbeitsniederlegung kam ein jahrelang angestautes Unbehagen über die betrieblicheLohnpolitik der Werksleitung und über die Tarifpolitik der IG Metall zum Ausbruch. Eine tiefe Kluftzwischen Mitgliedschaft und Gewerkschaftsführung wurde sichtbar und durch die Hinweise derArbeitgebervertreter auf den abgeschlossenen Tarifvertrag noch vertieft. Der Aufbau der Organisationwurde mit der kapitalistischen Betriebshierarchie gleichgesetzt. Meinungen wie »die da oben bestim-men, treffen Entscheidungen, die wir unten nicht beeinflussen können« sind dafür ein Indiz.

Das ist erstens eine Folge zentraler Verhandlungen, die sich die Organisation seit längerer Zeit immer häufiger von den Arbeitgebern aufzwingen läßt und bei denen die Bedürfnisse der Basisnicht genügend berücksichtigt werden, und zweitens die mangelnde Effektivität der Mitarbeit derGewerkschaften in der Konzertierten Aktion, daraus resultierend die Benachteiligung der Arbeitnehmerdurch das Ausbleiben der lange propagierten sozialen Symmetrie. Das führt zu Konflikten zwischenOrganisationsspitze und Mitgliedschaft. Die Organisation, die durch abgeschlossene Verträge, beste-hende Gesetze und Rechtsprechung diese Arbeitsniederlegungen nicht unterstützen kann, erleidet einenempfindlichen Prestige- und Vertrauensverlust. Die Arbeitnehmer fühlen sich von der Organisation verlassen und haben das Gefühl, nur Beitragszahler und Zeitungsempfänger zu sein – eine Rolle, die sie mit Entschiedenheit zurückweisen. […]

Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn durch weise zentrale Beschlüsse an der Basis Unruhe entsteht und die betrieblichen Träger der Organisation zwischen den Fronten zerrieben werden.

Bliebe noch anzumerken, daß die Streikenden eine zusätzliche Lohnerhöhung von 0,09 bis 0,10 DM je Stunde durchsetzen konnten, das entspricht einer Tariflohnerhöhung von über 2 %.

Wir haben diesen Brief, sehr geehrte Kollegen, aus Sorge um die Organisation geschrieben undwir hoffen, daß man nach diesen Streiks, die die Landschaft verändert haben, nicht einfach zurTagesordnung übergehen wird.

Mit freundlichem Gruß

Für den Vertrauenskörper:W. Pfotenhauer H. Wachter

Für die Gewerkschaftsgruppe:W. Malzkorn

Bei den Betriebsratswahlen 1972 treten bei Merck sieben Listen an – darunter jeweils auch zwei konkurrierende Listen von IG CPK-Gewerkschaftern

Bilanz der IG Metall-Vertrauensleute der Klöckner-Werke über die September-streiks, 16.9.1969

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 61

Page 64: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

62

Mitte der 1960er Jahre rückte der DGB die For-derung nach Mitbestimmung ins Zentrum seinerPolitik. Sowohl das Grundsatzprogramm, das auf dem außerordentlichen Bundeskongress des DGB 1963 beschlossen wurde, als auch dasAktionsprogramm vom März 1965 forderten dieAusweitung der Mitbestimmungsrechte für diePersonal- und Betriebsräte bei allen wirtschaft-lichen, sozialen und personellen Entscheidun-gen in den Betrieben und Verwaltungen sowiedie Übertragung der Montanmitbestimmung aufalle Großunternehmen. Diese beiden Forderun-gen standen schließlich an der Spitze einer großangelegten Initiative, mit der die Gewerkschaf-ten die Mitbestimmung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zu einem gesellschaftlichenHauptthema machten. Auf Vorschlag des IGMetall-Vorsitzenden Otto Brenner verabschiede-te der DGB-Bundesvorstand im Februar 1967

einen »Aktionsplan Mitbestimmung«, der füreine beispiellose Aufklärungs- und Mobilisie-rungsaktion rund vier Mio. DM vorsah.

Die Mitbestimmungsinitiative des DGB war Ausdruck des Reformschwungs, der die west-deutsche Gesellschaft in der zweiten Hälfte der1960er Jahre erfasste. Die Forderungen derGewerkschaften entwickelten ihre außerordent-liche Sprengkraft nicht zuletzt dadurch, dass derDGB sie in einer Phase der Gesellschaftsentwick-lung erhob, in der die in den Nachkriegsjahrenentstandenen Grundlagen immer mehr in Fragegestellt wurden. Die Rezession von 1966/67 hatte nicht nur das bisherige Vertrauen in einenstetigen Wachstums- und Wohlstandsprozess insWanken gebracht. Fragen der Einkommens- undVermögenspolitik, der Mitbestimmung und dersozialen Chancengleichheit rückten in den Vor-dergrund der gesellschaftspolitischen Diskussi-on. Vor diesem Hintergrund gelang es denGewerkschaften in manchen Unternehmen – wie bei der Hamburger Hafen- und LagerhausAktiengesellschaft – sogar, durch Tarifverträgedie Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte aus-zuweiten.

Nachdem der DGB Anfang 1968 zum ersten Malein der bundesdeutschen Geschichte einen eige-nen Gesetzesentwurf für ein neues Betriebs-verfassungsgesetz, der von Entwürfen für einneues Personalvertretungsgesetz sowie für ein»Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitneh-mer in Großunternehmen und Großkonzernen«begleitet wurde, vorgelegt hatte, antwortetenCDU/CSU, SPD und FPD mit eigenen Gesetzes-novellen. Damit war die Regierung der GroßenKoalition von CDU/CSU und SPD sowohl in derFrage der Unternehmensmitbestimmung alsauch der Betriebsverfassung mit unterschiedli-chen Vorstellungen aus den eigenen Reihen kon-frontiert. Um einen Bruch der Koalition an die-ser sensiblen gesellschaftspolitischen Frage zuverhindern, einigten sich die Spitzen von Union

SOZIALLIBERALE REFORMÄRANeufassung des Betriebsverfassungsgesetz von 1972

Plakat der Mitbestimmungskampagne des DGB, 1965

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 62

Page 65: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

63

»8. Mehr MitbestimmungMitbestimmung der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz, imBetrieb, im Unternehmen und in der gesamten Wirt-schaft muß die politische Demokratie ergänzen.

Betriebsräte und Personalräte müssen bei allenwirtschaftlichen, sozialen und personellen Entscheidun-gen mitbestimmen

Die Rechte der Gewerkschaften in Betrieben undVerwaltungen sind zu erweitern.

Alle Großunternehmen müssen Arbeitsdirektorenund paritätisch besetzte Aufsichtsorgane erhalten. Inallen technisch selbständigen Werksgruppen undBetriebsabteilungen dieser Großunternehmen sind Bei-räte und Direktorien zu bilden, die der ›Mitbestim-mung‹ entsprechen …«

Aktionsprogramm des DGB vom 19.3.1965: Mitbestim-mung als Ergänzung der politischen Demokratie

Kundgebung des DGB in Stuttgart: Der Vorsitzende der IG Metall Otto Brenner spricht sich vor Betriebsräten und Vertrauensleuten ausBaden-Württemberg für eine paritätische Mitbestimmung in großenKapitalgesellschaften aus, 19.10.1968

Der neugewählte Bundeskanzler Willy Brandt kündigt in seiner Regierungserklärung unterdem Motto »Mehr Demokratie wagen« eine Reform der Mitbestimmung an, 28.10.1969

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 63

Page 66: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

64

und SPD darauf, das Thema zunächst zu verta-gen, und beauftragten im Januar 1968 eineSachverständigenkommission unter Leitung vonKurt Biedenkopf, die Erfahrungen mit der beste-henden Mitbestimmung zu analysieren.

Der DGB blieb von dieser Verzögerungstaktikjedoch unbeeindruckt und erhöhte den politi-schen Druck durch eine groß angelegte »AktionMitbestimmung«, die bis zur Bundestagswahl imSeptember 1969 die öffentliche Meinung maß-geblich prägte. Als nach der Bildung der sozial-liberalen Koalition Bundeskanzler Willy Brandtin seiner Regierungserklärung unter dem Motto»Mehr Demokratie wagen« auch eine Novellie-rung des Betriebsverfassungs- und Personalver-tretungsgesetzes sowie der Unternehmensmit-bestimmung ankündigte, konnte der DGB einenersten politischen Zwischenerfolg verzeichnen.

Die Gewerkschaften behielten auch weiterhin die Initiative. Im Dezember 1970 beschloss derDGB eine weitere Kampagne »Für ein besseresBetriebsverfassungsgesetz«, mit dem er bewusstdie Verbesserung der Mitbestimmung für diebetrieblichen Interessenvertreter in den Vorder-grund stellte. Er koppelte die Frage der Unter-nehmensmitbestimmung von der betriebsver-fassungsrechtlichen Diskussion ab, um diepolitische Auseinandersetzung nicht noch mitdem Feld zu belasten, auf dem eine politischeEinigung schwerer möglich erschien. Vor allemsetzten die Gewerkschaften darauf, dass sie inBundesarbeitsminister Walter Arendt – zuvorVorsitzender der IG BE – einen engen Verbünde-ten im Kabinett besaßen, der von Amts wegenfür die Neufassung des Betriebsverfassungs-gesetzes verantwortlich war.

Zu einer groß angelegten Konfrontation wie1952 kam es zwischen Bundesregierung undGewerkschaften nicht. Der stellvertretende DGB-Vorsitzende Gerhard Muhr hob im November1971 hervor, dass in den Verhandlungen mit der Bundesregierung von den fünf besonderskritisierten Punkten des Regierungsentwurfeszwischenzeitlich vier so verändert seien, dass sie ganz oder teilweise der DGB-Vorstellung entsprächen. Daraufhin stimmte der DGB dem Verhandlungsergebnis zu und sagte eineschon geplante Großkundgebung ab. Das neueBetriebsverfassungsgesetz wurde am 10. Novem-ber 1971 von einer großen Mehrheit – den Stim-men der Koalitionsparteien sowie von 27 Unions-Abgeordneten – verabschiedet. Das Gesetz, dasim Januar 1972 in Kraft trat, stellte einenreformpolitischen Meilenstein dar, da es dieRechte der Betriebsräte erheblich erweiterte.

Der DGB in Verhandlung mit der Bundesregierung(v.l.n.r.: Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher,der Stellvertretender DGB-Vorsitzende Gerd Muhr, Bundeskanzler Willy Brandt, der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter), 27.4.1970

Der Stellvertretende DGB-Vorsitzende Gerd Muhr erläutert dem DGB-Bundesausschuss das positive Verhandlungsergebnis mit der Bundesregierung zum Betriebsverfassungsgesetz

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 12:20 Uhr Seite 64

Page 67: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

65

Am 19.1.1972 tritt das neue Betriebs-verfassungsgesetz in Kraft

RZ_HBS_Kat_2016_S38-65 15.02.2016 11:49 Uhr Seite 65

Page 68: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Die qualitative Veränderung der Betriebsratsar-beit unter dem neuen Betriebsverfassungsgesetzwurde besonders im Bereich der Arbeits- undTechnikgestaltung deutlich. Bis zum Ende der1960er Jahre war die Tätigkeit der Betriebsrätevor allem auf Einkommensfragen und die betrieb-liche Sozialpolitik ausgerichtet; die Arbeits- undTechnikgestaltung war ein Stiefkind gewerk-schaftlicher Politik geblieben. Erschwernisseund Belastungen wurden in der Tarifpolitik zwarals Begründung für spezifische Zulagen ange-führt; sie wurden aber eher als betrieblicheGegebenheiten hingenommen und nicht alsgestaltbare Faktoren betrachtet. Für die Unter-nehmen war es unter diesen Bedingungen in der Regel einfacher und wirtschaftlicher, die

Zulagen zu zahlen, als die Ursachen der Arbeits-platzbelastungen mit hohen Investitionen zubeheben.

Erst seit Ende der 1960er Jahre, als immer mehrjunge Gewerkschafter und Gewerkschafterinnendarauf drängten, die Schwere der Arbeit nichtmonetär abzugelten, sondern sie vielmehr zubeseitigen, stellte sich nach und nach ein Ein-stellungswandel in der Betriebspolitik ein. Dieser Wandel wurde nachhaltig unterstütztdurch die Bestimmungen der §§ 90 und 91 desBetriebsverfassungsgesetzes. Danach hatte derArbeitgeber den Betriebsrat über die Planungenbezüglich der Arbeitsplätze und des Arbeitsum-feldes zu unterrichten; außerdem erhielt die

66

NEUE AUFGABEN FÜR BETRIEBSRÄTEHumanisierung der Arbeitswelt

Neue Technologien verändern die Industriearbeit in den 1970er Jahren: Überwachende und steuernde Tätigkeiten nehmen zu; die Belastung eines Teils der Arbeitnehmer verlagert sich von anstrengender körperlicher Arbeit hin zu verstärkten psychischen Belastungen – hier: Messwarte N 189 bei der Bayer AG, Leverkusen, 1976

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 66

Page 69: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

67

Interessenvertretung das Recht, bei Arbeitsbe-dingungen, »die den gesicherten arbeitswissen-schaftlichen Erkenntnissen über die menschen-gerechte Gestaltung der Arbeit offensichtlichwidersprechen«, Maßnahmen zur Abwendung,Milderung oder zum Ausgleich zu verlangen. Diesen Bestimmungen lag ein Paradigmenwech-sel von einer bisher eher defensiven zu einerstärker prophylaktischen Arbeitsschutzpolitikzugrunde.

Diese Akzentverschiebung zu einer qualitativenBetriebspolitik war letztlich Ausdruck eines Wer-tewandels, der sich in der Gewerkschafts- undBetriebsrätepolitik vollzogen hatte. Zwei Jahr-zehnte Prosperität mit zum Teil kräftigen Ein-kommenserhöhungen hatten die Lebensverhält-nisse der Arbeitnehmer deutlich verbessert undeinen Wandel der sozialen Bedingungen einge-leitet. Die gewerkschaftliche Betriebspolitik orientierte sich jetzt nicht mehr nur an der Verbesserung der materiellen Verhältnisse der

Beschäftigten, sondern setzte auch auf eine Veränderung der Arbeitsrealität. Sie baute nundarauf, die »Würde des Menschen in der Arbeits-welt« durchzusetzen; menschengerechte Gestal-tung der Arbeitswelt, der Arbeits-, Unfall- undGesundheitsschutz erhielten ein neues Gewicht.

Eine aktive Unterstützung fand diese neue Ausrichtung in dem von der Bundesregierungeingeführten Programm »Humanisierung derArbeit« (HdA), das der Bundesminister für For-schung und Technologie Hans Matthöfer Mitteder 1970er Jahre auf den Weg brachte. DiesesProgramm räumte den Unternehmen finanzielleAnreize für die Entwicklung, Erprobung und Ein-führung neuer Technologien ein, um die Arbeits-belastungen abzubauen und die betrieblichenArbeitsbedingungen insgesamt zu verbessern.Allerdings war die betriebliche Akzeptanz dieserMaßnahmen durchaus gemischt, da der Wegfallvon Belastungen vor dem Hintergrund der analy-tischen Arbeitsplatzbewertung Lohnverluste zurFolge haben konnte. Deshalb war die Einkom-mensbestandssicherung bei technischen undorganisatorischen Veränderungen am Arbeits-platz eine häufige Forderung, die die Betriebs-räte bei der Umsetzung von HdA-Maßnahmenerstmals stellten und die im Zuge der tiefgrei-fenden Rationalisierungsmaßnahmen, die seitden 1980er Jahren in den Großbetrieben statt-fanden, noch an Brisanz gewann.

Humanisierung: Antworten auf menschenwidrige Bedingungen und Strukturen der Arbeit

Die Humanisierung der Arbeit wird vonzwei Ansatzpunkten aus diskutiert: Zumeinen wird das Ziel verfolgt, die Qualitätdes Arbeitslebens zu verbessern, indemman die Arbeitsbedingungen an die sichverändernden Bedürfnisse und Ansprücheder Menschen anpaßt und so mehrArbeitszufriedenheit schafft. In diesemZusammenhang werden besonders die über die bloße materielle undgesundheitliche Sicherung hinausweisenden »postmateriellen« Bedürfnisse, insbesondere der Wunsch nach sinnvollen, befriedigendenArbeitsinhalten und nach Erweiterung der Möglichkeiten zu mehrSelbstverwirklichung und Entfaltung der Persönlichkeit im beruflichenund außerberuflichen Alltag genannt. Zum anderen geht es bei dermenschengerechteren Gestaltung der Arbeit um den Abbau von alsunerträglich, unzumutbar oder unnötig empfundenen Belastungen,denen nach allgemeiner Übereinstimmung die Arbeitnehmer auch heute noch unterworfen sind.

Beide Aspekte lassen sich nicht voneinander trennen. Die Gren-zen zwischen gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen undZuständen, die zwar verbesserungsfähig und -bedürftig sind, abernicht als unerträgliche oder unzumutbare Belastung gelten mögen,sind fließend, zumal auch die letztgenannten Faktoren im Zusammen-wirken mit anderen die Schwelle zur effektiven, gesundheitsgefähr-denden Belastung überschreiten.

Betriebliche Wirklichkeit und empirische Ergebnisse zeigen, daßes in erster Linie darum gehen muß, Mißstände aufzuarbeiten, die inder Arbeitswelt allenthalben noch anzutreffen sind. Humanisierungder Arbeit bedeutet insofern vorrangig, Antworten auf inhumaneBedingungen und Strukturen der Arbeit zu finden und für die und mit den unter solchen Bedingungen leidenden Arbeitnehmern Verbes-serungen durchzusetzen …

Hans Matthöfer über die Bedeutung der Humanisierung der Arbeit, 1977Hans Matthöfer, 1974 bis 1978 Bundesminister für Forschung und Technologie (Foto von 1975)

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 67

Page 70: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

68

Erster Erfahrungsbericht über die Humanisierung der Arbeit bei Daimler-Benz, 6.4.1973

Betriebsrat von Daimler-Benz Untertürkheim beantragt, die Monotonie der Fließbandarbeit zu beseitigen, 11.4.1972

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 68

Page 71: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

69

Ein Beispiel für die Humanisierung der Arbeit: Die Motorenprüfstände bei Daimler-Benz, Mitte der 1970er Jahre

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 69

Page 72: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Mitte der 1950er Jahre herrschte in der Hoch-konjunktur des deutschen Wirtschaftswundersein drückender Mangel an Arbeitskräften. Dahergab es staatliche Anwerbevereinbarungen mitsüdeuropäischen Ländern: 1955 mit Italien,1960 mit Spanien und Griechenland. In derBergarbeitergewerkschaft befürchtete mananfangs Lohndrückerei und Konkurrenz, kurz:eine Aushöhlung der tariflichen und arbeits-rechtlichen Standards.

Als der Zuzug aus Italien zu versiegen begannund beinahe zeitgleich durch den Bau der Mauer1961 der Zustrom aus der DDR jäh blockiert wur-de, war die Notwendigkeit neuer Anwerbemaß-nahmen unabweisbar geworden. Im Oktober1961 begann die staatlich geregelte Anwerbungtürkischer Arbeitskräfte. Die deutsch-türkischeVereinbarung sah zunächst einen Verbleib der

Türken in Deutschland von maximal zwei Jahrenvor. Ein Familiennachzug war nicht vorgesehen.Gegenüber anderen »Gastarbeitern« wurden dieTürken keinesfalls als »außereuropäisch« oderals Angehörige einer »fremden Kultur« betrach-tet. Vielmehr wurde deren Leistungsfähigkeitgeschätzt. Mit Unterstützung der türkischenArbeitsverwaltungen waren Experten des Bun-desarbeitsamts in Ankara und Istanbul damitbefasst, geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren.

Die IG BE ging allmählich von ihren Vorbehaltenab. Zur neuen Offenheit hatte auch die wirt-schaftliche Situation im Ruhrbergbau beige-tragen: Unter dem Schock des Zechensterbenswaren gut ausgebildete Bergleute inzwischen zu Arbeitsplätzen in Nachbarindustrien abge-wandert, und die Ruhrkohle stand unter demParadox, für den Fortbestand der in Betrieb

70

TÜRKISCHE »GASTARBEITER« IN DERBETRIEBLICHEN ARBEITSWELT

Von der Betreuung zur Selbstvertretung

Ankunft von 55 türkischen Gastarbeitern am Flughafen in Düsseldorf am 27.11.1961

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 70

Page 73: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

71

Portugal 10.3.1964

Spanien

29.3.1960

Marokko

21.5.1963

Tune

sien

17./

18.1

0.19

65

Ital

ien

20.1

2.19

55

Jugsoslawien

10.12.1968

Griechenland

30.3.1960

Türkei 30.10.1961

BundesrepublikDeutschland

Übersicht über die Anwerbevereinbarungen der Bundesrepublik Deutschland 1955 – 1968

Protokoll der Betriebsausschusssitzung der Zeche Westfalen am 15.2.1965: Betriebsrat fordert den Vorrang der Stammbelegschaft

Teilnehmer des Betriebsrats-Lehrgangs für türkische Kollegen in der IG BE Bildungszentrum Haltern 1972 (vorn r.: Gewerkschaftssekretär Josef Windisch)

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 71

Page 74: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

stehenden Schachtanlagen Neueinstellungenvornehmen zu müssen. Daher schrumpften zwi-schen 1958 und 1973 die Ruhrkohle-Belegschaf-ten von 389.000 auf 110.000 Mann, während der Anteil der Ausländer von 12.000 auf 27.000anwuchs. In der Arbeitswelt unter Tage entwi-ckelten sich ganze türkische Arbeitskamerad-schaften, die von türkischen Bergbauingenieu-ren geleitet wurden. Individuelle Aufstiege vomHauer zum Steiger blieben keine Seltenheit.

Die IG BE entfaltete über die montanindustrielleMitbestimmung eine wirksame Integrationspoli-tik. Ein nicht unerhebliches Motiv war dabei dieSorge vor türkischen Sonderorganisationen. Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes1972 waren auch Arbeitsmigranten aus Nicht-EWG-Ländern für den Betriebsrat wählbar. 1978gab es 112 ausländische Betriebsräte bei derRuhrkohle, davon 86 Türken. Im IG BE-Bildungs-zentrum in Haltern fanden intensive Schulungenstatt. Der gewerkschaftliche Organisationsgradder türkischen Arbeitnehmer stieg auf 97,8 Pro-zent.

Die REVAG (Revierarbeitsgemeinschaft für kultu-relle Bergmannsbetreuung) veranstaltete seitden 1970er Jahren Sprachkurse, Feste, Sport-wettkämpfe, Schwimmkurse, Filmvorführungenund Vorträge über Rechtsfragen, Versicherun-gen, Gesundheit und Schulkarrieren. 1980 wurdeMikail Zopi im Alter von 25 Jahren erster tür-kischstämmiger Gewerkschaftsfunktionär der IG BE.

Bezeichnenderweise wurde die islamische Religi-on kaum thematisiert. Bei Hygienevorschriften,Essgebräuchen, Festen und Gebetsräumen gabes von deutscher Seite Respekt und Anerken-nung. Zu Beginn der 1970er Jahre war in viel-facher Hinsicht »Normalität« eingezogen. DieTürken mussten nicht mehr betreut werden, sondern verstanden es, ihre Interessen selber zu vertreten.

Als im Zuge der Rezession 1973/74 ein Anwerbe-stopp ausgesprochen wurde, standen die »Gast-arbeiter« vor der Frage, sich als Rückkehrer oderEinwanderer zu begreifen. Tatsächlich entwickel-

72

Stellungnahmen türkischer Bergarbeiter zur Betriebs-ratsmitarbeit 1972

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 72

Page 75: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

te sich der Anwerbestopp zum »Bumerang in derAusländerpolitik« (Karin Hunn), denn es setzte,aus Sorge vor einer versperrten Rückkehrmög-lichkeit in die Bundesrepublik, ein intensiverFamiliennachzug ein. Nun erhielten Kultur undReligion der türkischen Familien erst eine grö-ßere Bedeutung, vor allem in Erziehungsfragen.Die Entstehung und Verbreitung islamistischerund nationalistischer Organisationen und derEinfluss nicht integrierter Imame führten zuerheblichen Konflikten in der Öffentlichkeit, die auf Seiten der Deutschen in der anhaltendenWirtschaftskrise durch Ausländerfeindlichkeitaufgeheizt wurden. Nun zeigte sich aufs Deut-lichste, dass es in den »guten Jahren« die Integrationsleistung der mitbestimmten Arbeits-gesellschaft gewesen war, die ein unproble-matisches Zusammenleben von Türken und Deutschen ermöglicht hatte.

73

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der frühen Phase der Anwerbung undBeschäftigung ausländischer Arbeitnehmer von 1955 bis ca. 1967 gingen auch die deut-schen Gewerkschaften davon aus, daß Auslän-der-Erwerbstätigkeit in der BundesrepublikDeutschland in der Regel eine vorübergehendeErscheinung sei. Die Organisation politischerMaßnahmen beschränkte sich deshalb auf dieVerteilung von Informationsmaterialien in denMuttersprachen, auf Werbung und statistischeErfassung von Mitgliedern sowie auf die Schu-lung ausländischer gewerkschaftlicher Vertrau-ensleute. […]

So brachte das Betriebsverfassungsgesetzvon 1972 den ausländischen Arbeitnehmerndas passive und aktive Wahlrecht. Seitdemunterstützen die Gewerkschaften verstärkt Kandidaturen ausländischer Arbeitnehmer fürdie Betriebsratswahlen. Es gelang ferner, aktiveausländische Betriebsfunktionäre auch für den hauptamtlichen Funktionärskörper derGewerkschaften und des DGB zu gewinnen.Dem steht allerdings eine Reihe von Defizitengegenüber, insbesondere die Unterrepräsentanzin den Organen der betrieblichen Interessenver-tretungen und noch deutlicher in den beschluß-fassenden Organen und Leitungsgremien derGewerkschaften sowie im hauptamtlichenFunktionärskörper. Auch das Bildungsangebotist noch nicht hinreichend in der Lage, den Dia-log zwischen Aus- und Inländern, vor allem auf

örtlicher Ebene, gezielt in Gang zu setzen. Amschwersten wiegen in diesem Zusammenhangsolche Erfahrungen, die zeigen, daß die gewerk-schaftliche Solidarität den Belastungen derBeschäftigungskrise nicht immer standhält. Dies gilt vor allem für die betriebliche Ebene,wo es um Beschäftigungs-, Qualifizierungs- undAufstiegschancen für die ausländischen Kolle-ginnen und Kollegen nach wie vor schlechtsteht und die Politik von Betriebsräten den Willen einer in nationalen Kategorien befange-nen inländischen Belegschaftsmehrheit häufignur abbildet, statt ihn aktiv anzugehen undpolitisch zu wenden. Ausländische Arbeitneh-mer im Betrieb sind in besonders hohem Maßedarauf angewiesen, daß sich der Betriebsratihrer Interessen annimmt. Das wird umso ehergelingen, je besser die Ausländer selbst durchqualifizierte Vertreter im Betriebsrat vertretensind. Wenngleich hier Fortschritte zu verzeich-nen sind und das aktive und passive Wahlrechtausländischer Arbeitnehmer eine wichtige Voraussetzung für ihre Integration im Arbeits-leben ist, so bestehen immer noch empfindlicheLücken.

Die in der Bundessrepublik lebendenArbeitnehmer nichtdeutscher Nationalität sindin der großen Mehrheit längst Inländer gewor-den, die seit vielen Jahren in der Bundesrepu-blik Deutschland ihren Lebensmittelpunkt undihre Lebensperspektive haben. Ihre gesellschaft-liche Integration ist allerdings durch die anhal-tende Beschäftigungskrise zurückgeworfen worden. Umso dringender werden Initiativen

benötigt, daß die betrieblichen Interessenver-tretungen vielfältige Möglichkeiten haben.Dabei handelt es sich in erster Linie darum, die betriebliche Personalpolitik zu beeinflussen.Nicht nur bei Einstellungen und Kündigungen,sondern auch in der meist unterentwickeltenund wenig beachteten Personalplanung undbetrieblichen Weiterbildung kommt es daraufan, das heißt, im Sinne nationaler Gerechtigkeitzu berücksichtigen. Es müssen die Vorausset-zungen für ihre Gleichberechtigung geschaffenwerden, indem ihnen reale Chancen eingeräumtwerden. […]

Die Zustimmung zu Europa wird in demMaße wachsen, wie es für Arbeitnehmer undihre Familien positiv erfahrbar ist. Diese Visiondarf aber nicht dazu führen, daß die Überwin-dung der nationalen Grenzen zwischen den EG-Staaten zum Aufbau neuer Gegensätze imInneren und einer europäischen Festung führt,die sich gegen die Außenwelt abschottet. Aus-ländische Arbeitnehmer und ihre Familien ausStaaten außerhalb der EG, die rechtmäßiginnerhalb der EG leben, haben einen Anspruchdarauf, am europäischen Fortschritt teilzuha-ben. Nationalismus darf nicht durch Eurona-tionalismus ersetzt werden. 200 Jahre nach derFranzösischen Revolution und 40 Jahre nachVerabschiedung des Grundgesetzes und nachder Vereinigung der beiden deutschen Staatenmüssen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeitfür alle Einwohner der BundesrepublikDeutschland gelten. Denn »die Würde desMenschen ist unantastbar.«

Familienfest: Miteinander arbeiten – miteinander leben: Mikail Zopi, IG BE-Sekretär,und Walter Beer, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der IG BE (v. r.), Duisburg 1981

Rede des Betriebsrats Mehmet Celikci von der Zeche Heinrich Robert auf der 20. Recklinghäuser Tagung am 1.12.1990

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 73

Page 76: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

74

Nach der Verabschiedung des Betriebsverfas-sungsgesetzes 1972 intensivierten die Gewerk-schaften ihr Engagement für eine Ausweitungder paritätischen Mitbestimmung auf alle Groß-unternehmen. Dabei gelang der GewerkschaftÖffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV)– von Öffentlichkeit fast unbemerkt – ein mitbe-stimmungspolitischer Durchbruch in kommuna-len Unternehmen. Vor allem in sozialdemokra-tisch geführten Großstädten wie Wiesbaden,Dortmund, Duisburg, Nürnberg, Hannover oderFrankfurt a. M. wurden den Arbeitnehmern zusätz-liche Aufsichtsratsmandate übertragen, um sodie Parität in den bisher zu einem Drittel mitBeschäftigtenvertretern besetzen Kontrollgre-mien kommunaler Unternehmen herzustellen.

Die Vehemenz der öffentlichen Auseinanderset-zungen um die gewerkschaftliche Initiative aberzeigte, dass die Unternehmensmitbestimmungnichts von der gesellschaftlichen Sprengkraftfrüherer Jahre eingebüßt hatte. Vor allem zwi-schen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaf-ten nahm die Kontroverse an Schärfe zu. Nachden Erklärungen der Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zu urtei-len, besaß die Forderung nach paritätischer Mitbestimmung systemsprengenden Charakter –so legte es jedenfalls der von ihr im März 1974organisierte Kongress mit dem Titel »Marktwirt-schaft oder Gewerkschaftsstaat« nahe.

Nach langwierigen Koalitionsverhandlungeneinigten sich die Bundestagsfraktionen von SPDund FPD im Januar 1974 auf einen Kompromiss,der deutlich die Handschrift der FDP erkennenließ: Die Koalitionsvereinbarung sicherte nomi-nell die Parität im Aufsichtsrat, aber unter denArbeitnehmervertretern sollten leitende Ange-stellte vertreten sein. Im Gegenzug hatte dieFPD ihre Forderung aufgegeben, dass mit demInkrafttreten des neuen Mitbestimmungsgeset-zes die Montanmitbestimmung entfallen sollte.Während der DGB den Koalitionskompromisszurückhaltend kritisierte und hoffte, ihn imZuge der parlamentarischen Verhandlung nochzu verbessern, erklärten die Unternehmerver-bände »das kategorische Nein der Wirtschaft zuden Koalitionsbeschlüssen«. Das unternehmeri-sche Sperrfeuer verhinderte eine frühzeitigeVerabschiedung des Gesetzes, da sich in der FDP Bedenken breit machten.

Die Gewerkschaften waren in ihrer Haltunggespalten: Vor allem die IG Metall lehnte einGesetz unterhalb des Montanmitbestimmungs-modells ab – auch auf die Gefahr hin, dass über-haupt kein Mitbestimmungsgesetz zustandekommen und ein langjähriger Stillstand in dieserFrage eintreten würde. Dagegen stand eine eherpragmatische Position, die maßgeblich vomSPD-Bundestagsabgeordneten und späteren Vor-sitzenden der IG CPK, Hermann Rappe, getragenwurde; er war bereit, das zu akzeptieren, wasunter den gegebenen Bedingungen politischmöglich erschien. Die Differenzen lähmten denDGB in seinem Vorgehen. Die gewerkschaftlichenAktionen, die er nun beschloss, zielten – wie dieKundgebung in der Dortmunder Westfallenhalleam 8. November 1975 – nicht auf eine Massen-mobilisierung der Mitgliedschaft gegen denRegierungsentwurf.

DAS MITBESTIMMUNGSGESETZ VON 1976Niederlage oder Reformerfolg der Gewerkschaften?

Gisbert Kley, Vorstandsmitglied von Siemens undMitglied des Präsidiums der Bundesvereinigungder Deutschen Arbeitgeberverbände (1968)

»Die erweiterte Montan-Mitbestimmung bedeutet:Aufrechterhaltung des sozialen Konfliktes. Das Betriebsverfassungsgesetz bedeutet: Lösungdes sozialen Konfliktes durch Partnerschaft!«

Eine Unternehmerstimme zur Mitbestimmung

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 74

Page 77: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

75

ÖTV erreicht paritätische Mitbestimmung bei den Stadtwerken in Wiesbaden, 1970

Karikatur von Peter Leger zu den Attacken der Arbeitgeberverbände auf die Mitbestimmung, 1974

Der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter erläutert Bundeskanzler Willy Brandt die Mitbestimmungsforderungen des DGB, 28.2.1974

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 75

Page 78: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

76

Angesichts der nahenden Bundestagswahl imHerbst 1976 geriet die sozial-liberale Bundes-regierung unter Erfolgsdruck. Dies galt insbe-sondere für die SPD, für die die Reform derUnternehmensmitbestimmung ein zentrales Versprechen gegenüber ihren Wählern und Wäh-lerinnen war. In zähen Verhandlungen erreichtedie FPD schließlich eine Verwässerung des sozi-al-liberalen Gesetzesentwurfs. Der zwischen SPDund FDP gefundene Kompromiss wurde von derCDU/CSU mit großer Mehrheit mitgetragen. Am18. März 1976 stimmten fast 95 Prozent allerBundestagsabgeordneten dem »Gesetz über dieMitbestimmung der Arbeitnehmer« zu – in derdeutschen Geschichte gibt es kein weiteres Beispiel dafür, dass ein Gesetz von so großergesellschaftspolitischer Bedeutung nach einerjahrelangen Kontroverse mit einer so hohen par-lamentarischen Zustimmung gegen den Willender Unternehmerverbände verabschiedet wurde.

Aus der Sicht der Gewerkschaften handelte essich aber um einen Minimalkompromiss, der zu Lasten der Arbeitnehmer gefunden wordenwar: Der Aufsichtsrat war nur formal paritätischbesetzt, da dem von den Anteilseignern gestell-ten Vorsitzenden im Streitfalle ein Doppelstimm-recht zufiel. Auf der Arbeitnehmerbank des Auf-sichtsrates erhielten die Betriebsangehörigengegenüber den »externen« Gewerkschaftern dasÜbergewicht, und darüber hinaus war unter denArbeiternehmervertretern ein leitender Ange-stellter zu wählen. Die Bewertung war deshalbstrittig: Während der Vorsitzende der IG BE,Adolf Schmidt, das Mitbestimmungsgesetz alsdie »bedeutendste gesellschaftliche Verände-rung«, seitdem er dem Parlament angehörte,bewertete, bezeichnete der DGB-VorsitzendeHeinz Oskar Vetter es als die größte Enttäu-schung seiner Amtszeit.

SPD-Parteivorsitzender Willy Brandt, Bundesarbeitsminister Walter Arendt und Bundeskanzler Helmut Schmidt, 1976

Der Betriebsrat von Kellogg’s fordert die FDP auf, der Einführung der paritätischen Mitbestimmung zuzustimmen

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 76

Page 79: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

77

DGB-Demonstration gegen den Mitbestimmungsgesetzentwurf der Bundesregierung; in der Mitte die stellvertretendeDGB-Vorsitzende Maria Weber (CDU) und der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter, 8.11.1975

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 77

Page 80: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

78

Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 hatteden Belegschaftsvertretungen auch neue Kom-petenzen in der Personalpolitik verschafft. § 92verpflichtete die Unternehmensleitungen, dieBetriebsräte rechtzeitig und umfassend über die Personalplanung zu informieren und mitihnen darüber zu beraten; außerdem erhielt derBetriebsrat das Recht, dem Arbeitgeber Vor-schläge zur Personalplanung zu unterbreiten.

Der neue Gestaltungsspielraum wurde schonbald auf eine Bewährungsprobe gestellt. Nachder »Ölkrise« von 1973 begann eine tiefgreifen-de Wirtschaftskrise, die die Beschäftigungssi-tuation in den 1980er und 1990er Jahren in denmeisten Unternehmen grundlegend veränderte.Im Zuge der Krise wurde die Beschäftigungspoli-tik zu einem neuen Politikfeld der betrieblichen

Arbeitsbeziehungen. Hauptziel der Interessen-vertretungen wurde nun, Massenentlassungenzu verhindern und Arbeitsplatzreduzierungenmöglichst sozialverträglich zu bewältigen.Immer mehr wurde die Umsetzung des Personal-abbaus über Sozialpläne zum Alltagsgeschäftder Betriebsräte. Für sie bedeutete dies, dassder Personalabbau – zumindest in Grenzen –gestaltbar wurde, aber auch immer mehr Kraftbeanspruchte. Die Interessenvertreter wuchsenin die Rolle von Krisenmanagern hinein.

Die Personalpolitik veränderte sich: Die Unter-nehmensleitungen bevorzugten zunehmend eineweniger spektakuläre, »weiche« Personalanpas-sung; ein harter Schnitt der Massenkündigungwurde allenfalls als ultima ratio angesehen. Von Bedeutung war dabei das Kalkül, dass einekooperative Politik der Betriebsparteien ehergeeignet war, bei Politik und Arbeitsverwaltungfinanzielle Mittel für einen sozial verträglichenPersonalabbau einzuwerben und so einerseitsdie Kosten des Unternehmens für den Anpas-sungsprozess zu reduzieren sowie andererseitszusätzlichen finanziellen Spielraum zu erhalten,um die Leistungen für die Ausscheidenden zuerhöhen. In der Tat gelang es vielfach, Lastendes Personalabbaus zu externalisieren, also aufdie Gesamtgesellschaft abzuwälzen. Offensicht-lich wurde dies bei den betrieblichen Vorruhe-standsregelungen, zu denen in der Wirtschafts-krise immer mehr Großunternehmen griffen, umdie betrieblichen Beschäftigungsprobleme zubewältigen.

Der betriebliche Personalabbau hatte allerdingszur Folge, dass sich die Unternehmen zuneh-mend vom Arbeitsmarkt abkoppelten, so dass esfür Arbeitslose immer schwieriger wurde, einenneuen Arbeitsplatz in den Stammbelegschaftenzu erhalten. Einen Ausweg schien die gewerk-schaftliche Arbeitszeitpolitik zu bieten. Dabeizielte die Tarifpolitik auf eine Verkürzung derWochenarbeitszeit bzw. der Lebensarbeitszeit.

BETRIEBSRATSARBEIT IM ZEICHEN DER WIRTSCHAFTSKRISE

Arbeitszeitverkürzung als ein Instrument des Krisenmanagements

Entwicklung der Arbeitslosigkeit1970–1989

Zahl der QuoteArbeitslosen

1970 148846 0,71971 185072 0,81972 246433 1,11973 273498 1,21974 582481 2,61975 1074217 4,71976 1060336 4,61977 1029995 4,51978 992948 4,31979 876137 3,81980 888900 3,81981 1271574 5,51982 1833244 7,51983 2258235 9,11984 2265559 9,11985 2304014 9,31986 2228004 9,01987 2228788 8,91988 2241556 8,71989 2037781 7,9

Die Beschäftigungskrise der Bundesrepublik seit Mitteder 1970er Jahre

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 78

Page 81: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

79

1. Mai-Demonstration 1983 in Hannover: Demonstranten fordern eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit, um Jugendarbeitslosigkeit zu vermeiden

DGB-Bundesvorstand beschließt die Forderung nach Arbeitszeitverkürzungen als Betrag zu einer aktiven Beschäftigungspolitik

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 79

Page 82: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

80

IG Metall-Großkundgebung gegen Aussperrung in Bonn, 28.5.1984

Rationalisierung zu Lasten der Beschäf-tigten bei AEG-Telefunken – Plakat der IGMetall Verwaltungsstelle Nürnberg, 1984

Vorstandsmitglied Günter Jehmlich zieht vor Betriebsräten Bilanz über die

Tarifrunde 1984 und ihre Umsetzung bei AEG-Telefunken, 20.5.1985

G. Jehmlich 20. Mai 1985Bericht über das Personal-, Sozial- undBildungswesen von AEG-TELEFUNKEN anläßlich der Betriebsversammlung am 21. Mai 1985 in Berlin

[…] Das Jahr 1984 brachte uns eine der härtestenTarifauseinandersetzungen in der Metallindustrienach dem Kriege. Erst nach einer 7-monatigenTarifauseinandersetzung und einem 7-wöchigenArbeitskampf wurde die AuseinandersetzungEnde Juni durch den sogenannten Leber-Vor-schlag im Rahmen der Besonderen Schlichtungs-stelle für die Metallindustrie in Nordwürttem-berg-Nordbaden beendet. […]

Mit diesem Beschluß ist tarifpolitisches Neuland betreten worden. Die bisher starrenRegelungen über die Dauer der Arbeitszeit sindabgelöst worden durch die Möglichkeit, diebetriebliche Arbeitszeit den betrieblichen Bedürf-nissen durch Betriebsvereinbarungen anzupassen.Diese Neuregelung hat Geschäftsleitungen undBetriebsräte in besonderem Maße gefordert.Ihnen sind Aufgaben übertragen worden, die bisher Aufgaben der Tarifvertragsparteien waren.

Bei der Umsetzung der Tarifbestimmungenüber die Flexibilisierung der Arbeitszeit in diePraxis ist deutlich geworden, mit wieviel Formel-kompromissen und nicht erkannten rechtlichenProblemen dieser Abschluß belastet ist. DieseMängel und Folgeprobleme sind damals bewußtin Kauf genommen worden, um den Arbeits-kampf zu beenden.

Im Konzern Inland waren für 124 Konzern-betriebe Betriebsvereinbarungen abzuschließen.Nach teils langen und zähen örtlichen Verhand-

lungen sind bis heute für 113 Betriebe Betriebs-vereinbarungen unterzeichnet worden.

Für 11 Betriebe ist noch keine Betriebsver-einbarung abgeschlossen worden. In 5 Betriebenlaufen derzeit noch Einigungsstellenverfahren, in 5 Betrieben sind Verhandlungen zwischenGeschäftsleitung und Betriebsrat noch nicht abge-schlossen, in einem Fall hat die Geschäftsleitungden Spruch der Einigungsstelle vor dem Arbeits-gericht angefochten. In allen Betrieben, in denennoch keine Betriebsvereinbarungen abgeschlossenwerden konnten, haben sich Geschäftsleitung undBetriebsrat über die Arbeitszeitregelung bis zumVorliegen einer Betriebsvereinbarung bzw. einerEntscheidung der Einigungsstelle verständigt.

Die vorliegenden Betriebsvereinbarungen für91 % der Betriebe mit ca. 85 % der Beschäftigtenzeigen einmal, daß sehr unterschiedliche Lösun-gen gefunden wurden und zum anderen, daß dieMöglichkeiten der Flexibilisierung – gemessen anden betrieblichen Bedürfnissen – in unterschied-lichem Umfange ausgeschöpft worden sind. Ins-gesamt hat sich in vielen Fällen gezeigt, daß dieVorbereitungszeit für die Umsetzung dieser völligneuartigen und komplizierten Tarifbestimmungenzu kurz war.

Wie in anderen Unternehmen auch, lag derSchwerpunkt der Auseinandersetzungen nicht in der Verteilung der Arbeitszeit, sondern in derFestlegung der Dauer […]. 59 Betrieben werdendie Regelungen über die Verteilung der Arbeits-zeit durch Betriebsvereinbarungen über die Glei-tende Arbeitszeit ergänzt.

Aus heutiger Sicht […] rechnen wir damit,daß letztendlich ca. 15 % aller Mitarbeiter (incl.AT’s) weniger oder mehr als 38,5 Stunden arbei-ten werden …

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 80

Page 83: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

81

Nach mehrwöchigen harten Arbeitskämpfengelang der Industriegewerkschaft Druck undPapier sowie der IG Metall im Jahr 1984 in ihremKampf um die 35-Stunden-Woche ein Durchbruch:Die wöchentliche Arbeitszeit wurde zunächst auf38,5 Stunden und dann in einem Zeitraum vonweiteren zehn Jahren auf 35 Stunden reduziert.Für den Einstieg in die 35-Stunden-Woche wurdeden Gewerkschaften von den Arbeitgeberverbän-den beim Tarifabschluss 1984 jedoch ein folgen-

schweres Zugeständnis abgetrotzt. Sie mussteneiner Flexibilisierung und Differenzierung derArbeitszeit nach betrieblichen Erfordernissenzustimmen. Durch Betriebsvereinbarungen zwi-schen Betriebsräten und Unternehmensleitungenwar die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung zukonkretisieren. Damit wurde zum ersten Male dietarifliche Normensetzungsmacht an die Betriebs-parteien delegiert und die Tür zu einer »Verbe-trieblichung der Tarifpolitik« geöffnet.

Der Betriebsrat der ThyssenStahl AG, Duisburg, klagt vor dem Arbeitsgericht dagegen, dass Arbeitszeitverkürzungen nicht zu Einstellungen geführt haben, April 1989

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 81

Page 84: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

82

Der wirtschaftliche Abstieg von Duisburg-Rhein-hausen zeichnete sich bereits ab, als die beidenZechen in den 1960er Jahren geschlossen wur-den. Dem Niedergang der Kohle folgte der derStahlbranche. Seit Mitte der 1970er Jahre hatteeine weltweite Stahlkrise eingesetzt. In der deut-schen Stahlbranche waren mehr als 200.000Arbeitsplätze bedroht. Absatzschwierigkeitenund Rentabilitätsüberlegungen führten zu Still-legungen von Stahlstandorten in der Oberpfalz(Maxhütte) und im Saarland. 1987 beschloss dieThyssen Stahl AG, die Henrichshütte in Hattin-gen und das Thyssen-Werk in Oberhausen zuschließen. Auch der Vorstand der Krupp Stahl AGplante im Rahmen eines »Optimierungskonzep-tes«, in Rheinhausen 2.000 Arbeitsplätze abzu-bauen.

Während der landesweiten Solidaritätsdemons-trationen für die Maxhütte und die Henrichs-hütte erfuhr der Betriebsrat des HüttenwerksRheinhausen gerüchteweise von einer geplantenKooperation von Krupp Stahl und Mannesmann-Röhrenwerken in Duisburg-Huckingen. Als derVorstand auf der Sitzung des Wirtschaftsaus-schusses des Betriebsrates am 26. November1987 ausweichend reagierte, sahen die Betriebs-räte um Manfred Bruckschen und Theo Steeg-mann ihre Befürchtungen bestätigt und verlie-ßen die Sitzung. Aus den Medien erfuhren siedann das Ergebnis der wochenlangen geheimenVerhandlungen der Vorstände von Krupp Stahlund Mannesmann Röhrenwerken und ThyssenStahl: Das Hüttenwerk Rheinhausen mit seinen6.300 Beschäftigten sollte bis Ende 1988geschlossen werden; die Produktion sollte zwischen Mannesmann und Thyssen aufgeteiltwerden.

Was folgte, war eine für die Bundesrepublik bei-spiellose Ausweitung kollektiver Proteste, beidenen die Betriebsräte zwar beteiligt waren, die aber die gewohnten Formen sozialer Kon-fliktaustragung zwischen Lohnarbeit und Kapital

sprengten. Es waren unkonventionelle Aktionen,die von einer weitreichenden Akzeptanz undSolidarität der Bürgerschaft Duisburg-Rheinhau-sens getragen wurden. Am 30. November 1987fand im Walzwerk Rheinhausen unter der Beteili-gung der Bevölkerung eine außerordentlicheBetriebsversammlung statt. Der Vorstandsvorsit-zende Dr. Gerhard Cromme musste sich hinterPlexiglasschildern verschanzen, als Eier undApfelsinen flogen. Eine Stop-and-Go-Taktik imProduktionsablauf der Hütte wurde entwickelt,die Rheinbrücke besetzt, es gab Straßen- undAutobahnsperren. Ein Krupp-Betriebsrat kam zudem Schluss: »Selbst wenn wir gewollt hätten,wir hätten die Kollegen nicht bremsen können.«Der tausendfache zivile Ungehorsam am »Stahl-aktionstag« vom 10. Dezember entwickelte eineeigene Dynamik. Metall-Gewerkschafter wie der

HERAUSFORDERUNGEN DESSTRUKTURWANDELS

Die Auseinandersetzung um das Stahlwerk Rheinhausen

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:52 Uhr Seite 82

Page 85: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

83

Vorsitzende Franz Steinkühler hatten bei Kund-gebungen einen schweren Stand. Das Hand-lungsdilemma der Betriebsräte fasste TheoSteegmann zusammen: »Es wäre in einer frühe-ren Phase zwar ein sehr schmerzhafter Prozessgeworden, gleichermaßen den Erhalt und Ersatz-arbeitsplätze zu fordern. Der Zeitpunkt war dannirgendwie verpasst.«

Im April 1988 schließlich begann eine Phaseerneuter Gespräche. Der nordrhein-westfälischeMinisterpräsident Johannes Rau machte seineVermittlerrolle von der Wiederaufnahme derArbeit abhängig. Das Ergebnis war die »Düssel-dorfer Vereinbarung« vom 3. Mai 1988, die einezeitliche Verzögerung der Stilllegung des Werkesvorsah. Die Betriebsräte konnten mit der Zusageeiner Beschäftigungs- und Qualifizierungs-gesellschaft verbuchen, dass 700 Arbeitsplätzeerhalten und 800 neue geschaffen werden sollten.

Am 1. Januar 1989 begann das Qualifizierungs-zentrum Rheinhausen mit seiner Arbeit. Am 15.August 1993 wurde die Produktion der Hütte ein-gestellt. Im Frühjahr 1997 begann der Abbruchdes Walzwerks in Rheinhausen. Die 265 Hektargroße Industriebrache wurde wieder baureifgemacht. Fünf Jahre später setzten das Land,die Stadt Duisburg und die Duisburger Hafen AGdas Projekt »Logport« auf die Schiene. Mit Hilfeinternationaler Investoren entstand am größten

Binnenhafen der Welt, im Schnittpunkt von Wasser, Schiene und Straße, ein riesiges Logis-tikzentrum für hochwertige Stückgüter und dieAnsiedlung von Logistikdienstleistern. Seit 1999sind hier 4.000 Arbeitsplätze entstanden.

Rede des IGM-Vorstandsmitglieds Karin Benz-Overhage auf einerBetriebsversammlung in Rheinhausen am 30.11.1987

Nach der Ankündigung der Stilllegung des Stahlwerks durch Dr. Crommevor der Belegschaft am 3.12.1987: v. l. Betriebsratsvorsitzender ManfredBruckschen, sein Stellvertreter Theo Steegmann, Firmenchef Dr. GerhardCromme und Arbeitsdirektor Karl Meyerwisch

Flugblatt der IGM-Verwaltungsstelle Duisburg: Aufruf zur Demonstrationam 10.12.1987

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 83

Page 86: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

84

»Brücke der Solidarität«: Blockade der Autobahnbrücke über den Rhein am 10.1.1988

Politischer Aschermittwoch im Walzwerk in Rheinhausen am 17.2.1988 mit IGM-Chef Franz Steinkühler, Betriebsrat Manfred Bruckschen und Duisburgs Oberbürgermeister Josef Krings

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 84

Page 87: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

85

Ein türkisches Betriebsratsmitglied informiert seine Kollegen über die Düsseldorfer Vereinbarung vom 3.5.1988

Beschäftigte der Beschäftigungs- undQualifizierungsgesellschaft im Juli 1997bei der Räumung des Geländes

Auf dem Gelände des ehemaligen Stahl-werks Reinhausen am Duisburger Rhein-hafen entsteht seit 1997 die führendeLogistik-Drehscheibe Europas

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 85

Page 88: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

86

Nachdem sich bereits in den 1980er Jahren einealternative Szene entwickelt hatte, entlud sichder Protest gegen das DDR-System seit Septem-ber 1989 in anwachsenden Demonstrationen aufder Straße. Erst nachdem die Oppositionsgrup-pen das politische Monopol der SED ausgehöhlthatten, wurden auch das Interessenvertretungs-monopol des FDGB in den Betrieben in Fragegestellt und betriebliche Missstände offen erör-tert. In vielen z. T. emotionsgeladenen Betriebs-versammlungen äußerten Mitarbeiter seit EndeOktober/Anfang November Kritik an den beste-henden Verhältnissen; eine besondere Rolle

spielten Wandzeitungen und »Schwarze Bret-ter«, auf denen Beschäftigte ihre Meinung spon-tan und anonym äußern konnten. Auf diesen»Diskussionsforen« präsentierten auch die ersten betrieblichen Reforminitiativen ihre Forderungen. Die SED und die Betriebsleitungenhatten damit ihr Meinungsmonopol in denBetrieben verloren.

Konkrete Forderungskataloge wurden in denBetrieben zunächst nur von kleinen Gruppenaktiver Reformer vorgetragen. Darin wurden allgemeine politische Forderungen (wie Mei-

GESELLSCHAFTLICHER UMBRUCHBetriebsräte in der Endphase der DDR

Ihre Forderungen nach spürbaren Veränderungen der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR bringen in Leipzig über 100.000 Bürger auf einer Demonstration am 23.10.1989 zum Ausdruck. Nach Friedensgebeten in sechs Kirchen formiert sich der Zug an der Nikolaikirche.

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 86

Page 89: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

87

nungs-, Presse- und Reisefreiheit) gestellt, aberauch die Schaffung effizienter Betriebsstruktu-ren durch die Ausschaltung der SED aus denUnternehmen sowie eine Reform und Demokrati-sierung der Gewerkschaftsarbeit gefordert. For-derungen nach einer autonomen betrieblichenInteressenvertretung, der Mitbestimmungsrech-te zustehen sollten, blieben zunächst die Aus-nahme. Das lag auch daran, dass die durch diesoziale Betreuung in Jahrzehnten gewachseneBindungswirkung des FDGB in den Betriebentrotz der zunehmenden Kritik am bürokratischenApparat und am Amtsmissbrauch, an persönli-cher Bereicherung und an den Privilegien füh-render Funktionäre noch sehr hoch war. Selbstviele derjenigen, die für grundlegende Reformeneintraten, glaubten noch an die Reformfähigkeitdes FDGB.

Mit der Erosion der Herrschaft des Staates undder SED, die sich im November 1989 dramatischverstärkte, brach das gesamte Institutionensys-tem der DDR zusammen, da der zentrale stabili-sierende Pfeiler wegfiel. Die Betriebsparteiorga-nisation der SED verschwand aus den Betrieben.Seit Dezember 1989 entstanden in Abgrenzungzu den bestehenden BGL die ersten eigenständi-gen Interessenvertretungen. Initiatoren warenMitarbeiter, die schon vorher mit ihren Reform-forderungen in der Belegschaft hervorgetretenwaren, sowie FDGB-Gewerkschafter der »zweitenReihe«, die sich in den zurückliegenden Jahrenin den Augen der Belegschaft nicht diskreditierthatten. Obwohl diese Initiatoren nur kleineGruppen Aktiver darstellten, eroberten sie schonbald die Meinungshoheit in den Betrieben underreichten die Wahl von neuen Belegschafts-vertretungen, die von den Werksleitungen rasch

Wolfram Arlt ruft im Pumpspeicherwerk Markersbach, Sachsen, zur Bildung eines Betriebsrates auf (Flugblatt vom Januar 1990)

Diskussion im Pumpspeicherwerk Markersbach über die Errichtung eines Betriebsrates (Flugblatt von Wolfram Arlt, Februar 1990)

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 87

Page 90: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

88

Belegschaftskundgebung im Kraftwerk Jänschwalde, 6.3.1990

Peter Witte fordert eine grundsätzliche Reform der Gewerkschaftsarbeit aus den Betrieben heraus;dieses Flugblatt findet in den Energiebetrieben der DDR Mitte Januar 1990 weite Verbreitung

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 88

Page 91: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

89

akzeptiert wurden. Sie existierten z. T. parallelzu den BGL, z. T. verdrängten sie die bisherigenInteressenvertretungen. Ihr Handeln entbehrtenoch der rechtlichen Grundlagen, da das Arbeits-gesetzbuch der DDR eine Interessenvertretungaußer der BGL nicht vorsah. So entwickelte sichauf der Unternehmensebene eine Interessenver-tretung ohne normative Basis. Das Beispiel desersten in der DDR gegründeten Betriebsrates imVEB Schwertransport Leipzig zeigt jedoch, dassdie Betriebsparteien – wie in der Nachkriegszeit– schnell einen Weg fanden, in Betriebsverein-barungen die Rechte der Interessenvertretungengemeinsam festzulegen. Ein solches harmoni-sches Verhältnis zwischen Belegschaften undBetriebsleitung existierte aber nicht in allenBetrieben. Vielfach mussten sich die Unterneh-mensleitungen Vertrauensabstimmungen derBelegschaften stellen.

Spätestens nachdem die bundesdeutschenGewerkschaften seit Februar 1990 Informations-büros in der DDR eröffnet hatten, setzte sich das Modell des Betriebsrates nach und nach

durch. Sein Siegeszug vollendete sich, als diereformierten DDR-Gewerkschaften im Frühjahrauf Anraten der westdeutschen Gewerkschaftendazu übergingen, betriebliche Tarifverträgeabzuschließen, die die Errichtung von Betriebs-räten in Anlehnung an das deutsche Betriebs-verfassungsgesetz regelten. Allein im Organi-sationsbereich der Chemiegewerkschaft wählte die Hälfte aller ostdeutschen Belegschaften zwischen März und Juni 1990 Betriebsräte; spätestens jetzt verschwanden die BGL, die ihreFunktionen verloren hatten. Damit war die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staa-ten auf der Ebene der betrieblichen Interessen-vertretungen schon vor der wirtschaftlichen und politischen Einigung vollzogen. Der Staats-vertrag über die Bildung der Währungs-, Wirt-schafts- und Sozialunion, das erste Vertragswerkdes deutschen Einigungsprozesses, übertrugschließlich die Grundsätze der bundesdeutschenSozialrechtsordnung – damit auch das Betriebs-verfassungsgesetz, das Personalvertretungsge-setz sowie die Mitbestimmungsgesetze von 1951und 1976 – am 1. Juli 1990 auf die DDR.

Gründung der Initiativgruppe ›Betriebsrat‹ im Energiekombinat Berlin(EKB), Mitte Februar 1990

Reformgewerkschaft IG BEW und Initiativgruppe ›Betriebsrat‹ bereitenim EKB gemeinsam die Betriebsratswahl vor

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 89

Page 92: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

90

Wahlaufruf von Johannes Hoeft, Initiativgruppe »Betriebsrat« im EKB, zur Betriebsratswahl, 16.5.1990

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 90

Page 93: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

91

DDR-Finanzminister Walter Romberg (l.) und Bundesfinanzminister Theo Waigel setzen ihre Unterschrift unter den Staatsvertrag über die Wirtschafts-,Währungs- und Sozialunion. Damit werden zum 1.7.1990 auch die bundesdeutschen Mitbestimmungsgesetze auf die DDR übertragen. (Foto vom 18.5.1990)

Der Betriebsrat der Energieversorgung Berlin (ehemals EKB) beschließt die Absetzung von leitenden Angestellten

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 91

Page 94: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Im Jahr 1996 dehnte das Grünbuch »Das Bürger-netz« der EG-Kommission die wettbewerbsorien-tierte, eine »marktgerechte« Liberalisierunganstrebende Gesamtpolitik auf den Verkehrs-sektor aus, der bislang, neben den BereichenWasser, Strom und Entsorgung, als Daseinsvor-sorge der öffentlichen Wirtschaft angehörte.Während bei der Verkehrsgesellschaft Frankfurtam Main (VGF) durch Alleingänge der HessischenLandesregierung und die Haltung des Magistratsvorauseilend mit einer Ausschreibung die priva-tisierte Abspaltung zweier großer Buslinien ein-geleitet wurde, blieben andere Verkehrsunter-nehmen beim System der Direktvergabe, wie

etwa die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB)und die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbah-nen AG (BOGESTRA). Erst im Oktober 2007 solltesich endgültig zeigen, dass tatsächlich beideModelle mit EU-Recht vereinbar sind.

Das »Linienbündel A« der VGF zeigt, in welcheprekäre Position die Mitarbeiter durch die Teil-privatisierung gerieten. Das Tarifniveau sank,der Arbeitsdruck verstärkte sich, die Schicht-zeiten verlängerten sich und die Fahrer-Fluktua-tion stieg enorm an. Von einer »Stammbeleg-schaft« konnte kaum noch gesprochen werden.Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sank

KOMMUNALE DASEINS-VORSORGE IN BOCHUM

Betriebsrat entwickelt den BOGESTRA-Weg

U-Bahn-Knotenpunkt der BOGESTRA Rathaus Bochum, seit 2006

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 92

Page 95: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

93

Belegschaftsversammlung der BOGESTRA im November 1996

Bericht des Betriebsrats der BOGESTRA für das IV. Quartal 1995 Einschätzung einer vom Betriebsrat veranlassten Arbeitsgruppe zur autoritären Kommunikation (1994)

CI-Programm und BOGESTRA-Konzept 1994

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 93

Page 96: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

94

Bericht des Betriebsrats Rainer Wiegers über die Amtszeit 1994 – 1998

Betriebsratsvereinbarung vom 1.1.2009

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 94

Page 97: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

95

unter 10 Prozent, während er bei kommunalgeführten Verkehrsunternehmen etwa bei 80 Prozent liegt. Die Aufgabe des Ersteller-Unternehmens sollte sich auf reine »Kutscher-dienste« beschränken, während die kostspieli-gen Regieaufgaben, wie etwa Netzplanung,Angebotsplanung, Fahrplanung, Marketing,Fahrgastinformation und Haltestellennetz, bei den Kommunen verbleiben sollten. Es wardeutlich, dass der Wettbewerb sich nicht auf der Qualitätsebene, sondern ausschließlich auf der Preisebene abspielen würde.

Anders bei der BOGESTRA: Hier waren 19 Betriebs-räte, davon sechs freigestellte, für die etwa konstante Zahl von 2.200 Mitarbeiterinnen undMitarbeiter zuständig. Eine starke gewerkschaft-liche Vertrauensleute-Struktur bildete einenUnterbau. Der Arbeitsdirektor stammte aus derÖTV. Die BOGESTRA-Betriebsräte hatten sichangesichts der unsicheren EG-Normen sachkun-dig gemacht. Dem unter dem Zeichen der Glo-balisierung aufgebauten Privatisierungsdruckbegegneten sie mit vielfältigen Organisations-und Restrukturierungsmaßnahmen. In einem»Weißbuch« ermittelten sie zunächst auf Befra-gungsbasis die Wünsche, Beschwerden und Klagen ihrer Kunden. In Arbeitsgruppen, in die die Gesamtbelegschaft einbezogen war, wurde die betriebsinterne Kommunikation aufden Prüfstand gestellt. Unter der Mitarbeit vonTeam-Managern einer Beratungsfirma wurde auf zahlreichen Wochenendseminaren ein Cor-porate Identity-Konzept (CI) entwickelt. Brei-tenschulungen, Mitarbeiterbesprechungen,Bewertungssysteme für Verbesserungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und die Einführungvon Teamstrukturen in allen Bereichen erhöhtendie Mitarbeiterverantwortung. Bei »heißenStühlen« während der Klausurtagungen im Sau-erland erfuhr der dreiköpfige Vorstand stets aufsNeue, was der Abbau von Hierarchieebenenbedeutete. Die Erarbeitung von »Grundsätzenfür Führung und Zusammenarbeit« und derAbschluss von Zielvereinbarungen erschlossendas innovative Potential betrieblicher Partizi-pation.

Durch diesen mit der Rückendeckung der Beleg-schaft ausgehandelten »Pakt für Arbeit« wurdedie Stellung des Betriebsrats entscheidendgestärkt. Nur so konnten in Betriebsvereinba-rungen betriebsbedingte Kündigungen sowieTarifabsenkungen verhindert werden. Ein Zuge-ständnis war im Gegenzug der Abbau sozialerZusatzleistungen. Die Arbeitsverdichtung nahmzu, aber sinnvolle Arbeits- und Pausenplänewaren nun das Resultat von Gruppen-Entschei-dungen. Innovationen und Zertifizierungen im Werkstattbereich wurden die Regel, der Ver-waltungsbereich hatte sich ebenfalls erheb-lichen Rationalisierungsmaßnahmen zu stellen.Zudem wurden Privilegien leitender Angestellterbeseitigt. Dabei konnten in der Phase des Unter-nehmensumbaus erhebliche Investitionen in U-Bahnbau, Fahrzeugpark und Betriebshöfe vorgenommen werden. So konnte die aktiv-gestalterische Mitwirkung des Betriebsratseinen entscheidenden Einfluss auf die Moder-nität des Unternehmens BOGESTRA nehmen.

Die Entwicklung der BOGESTRA 1996 – 2013

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 95

Page 98: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

96

Je länger die Wirtschaftskrise andauerte und jestärker die Unternehmen im Zuge der Globalisie-rung unter den Wettbewerbsdruck ausländischerProduktionsbedingungen gerieten, desto stärkerwuchs der Druck der Arbeitgeber auf die Beleg-schaften. Schon bald wurde bei Sanierungspro-zessen ein Abbau übertariflicher Zulagen alszumutbarer Arbeitnehmerbetrag eingefordert.Die Einschränkung bisher selbstverständlicherbetrieblicher Sozialleistungen sollte die Wettbe-werbsfähigkeit des Unternehmens verbessernund damit zur Standortsicherung beitragen.Beim Bayer-Konzern kündigte der Vorstand imRahmen eines Konsolidierungsprogramms 1997die geltende Betriebsvereinbarung über überta-rifliche Zulagen. Nach langen Verhandlungenschlossen Vorstand und Gesamtbetriebsrat(GBR) in Juni 1997 eine Standortvereinbarung,in der die Konzernleitung für die folgenden fünfJahre 3,8 Mrd. DM Investitionen, die Ausbildungvon 800 Jugendlichen jährlich sowie den Aus-schluss betriebsbedingter Kündigungen zusagte.Die Betriebsräte mussten aber im Gegenzug eineReduzierung zahlreicher Zulagen hinnehmen.

Der Abschluss solcher Standortvereinbarungenwar kein Einzelfall. Bis kurz nach der Jahrtau-sendwende hatten schätzungsweise 20 bis 30Prozent der Unternehmen betriebliche »Bünd-nisse für Arbeit« abgeschlossen, in denenBetriebsräte materielle Zugeständnisse beiübertariflichen Sozialleistungen gegen Zusagenüber das zukünftige Beschäftigungsniveau unddie im Betrieb geplanten Investitionen machten.Manchmal führten solche Vereinbarungen auchdazu, dass sogar tarifliche Regelungen unter-schritten wurden.

Schon bald drängten Unternehmen – insbeson-dere aus dem in der Transformationskrise ste-henden Ostdeutschland – auf eine generelleAbsenkung bei Löhnen und Gehälter. Zum Vorrei-ter für entsprechende Forderungen wurde derBundesverband der Deutschen Industrie, der

eine Flexibilisierung der Tarifverträge undschließlich sogar eine Änderung des Betriebs-verfassungsgesetzes forderte, um den Vorrangeines Tarifvertrages gegenüber einer Betriebs-vereinbarung zu beseitigen. Betriebsräte solltendamit das Recht erhalten, durch betrieblicheVereinbarungen tarifvertragliche Regelungen zuunterlaufen. Ein erster Schritt in diese Richtunggelang der ostdeutschen Metallindustrie 1993,als die IG Metall nach einem mehrwöchigenArbeitskampf der Einführung von Härteklauselnim Tarifvertrag zustimmen musste. Danach

NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR BETRIEBSRÄTE

Die kontrollierte Öffnung des Flächentarifvertrages

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 96

Page 99: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

97

konnten Arbeitgeber oder Betriebsrat bei exis-tenziellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten desUnternehmens eine Aussetzung der im Tarifver-trag vereinbarten Vergütungsanpassung bean-tragen. Die Gewerkschaft ging auf diese Rege-lung ein, um die Flucht von Arbeitgebern ausdem Flächentarifvertrag zu verhindern. In derFolge breiteten sich Härtefall- und Öffnungs-klauseln in anderen Branchen und zudem inWestdeutschland aus.

Mittlerweile ist in vielen Tarifverträgen festge-legt, dass Unternehmensleitung und Betriebsratbei Nachweis einer wirtschaftlichen Notlage undunter dem Vorbehalt der Zustimmung der Tarif-vertragsparteien übereinkommen können, ein-zelne Tarifvertragskomponenten außer Kraft zusetzen: So kann die Arbeitszeit verlängert, einebranchenweit beschlossene Tariferhöhung fürdas betroffenen Unternehmen ganz oder teilwei-se ausgesetzt oder die Jahressonderzahlung(»Weihnachtsgeld«) gekürzt oder verschobenwerden. Umgesetzt wurden solche Tarifabwei-

chungen zumeist in Verbindung mit Standort-vereinbarungen. Im Jahr 2006 nutzten in derMetall- und in der Chemieindustrie mehr alszehn Prozent der tarifgebundenen Unternehmensolche Vereinbarungen auf Betriebsebene. Bisweilen erfolgt in manchen Betrieben nachdem Abschluss eines neuen Tarifvertrages eine»zweite, betriebliche Lohnrunde«.

Dies erinnert formal an die 1950er und 1960erJahre, jetzt aber waren die Rollen vertauscht:Nicht mehr die Unternehmensleitungen standenunter dem Druck der Betriebsräte, die die Voll-beschäftigung zu Gunsten der Belegschaftenausnutzen wollten, sondern die Betriebsrätestanden angesichts der beschäftigungspoliti-schen Zwangslage nun unter dem Druck derArbeitgeber. Die Konsequenz dieser neuenmachtpolitischen Konstellation ist, dass sich seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre einenegative Lohndrift aufgetan hat – die Effektiv-löhne sanken unter das Niveau, das eigentlichdurch die Tarifverträge garantiert war.

Eine der ersten Standortvereinbarungen wird bei derBayer AG Leverkusen im Juni 1997 abgeschlossen.

Rolf Nietzard, 1993 – 1998 Betriebs-ratsvorsitzender der Bayer AG, Werk Leverkusen

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 97

Page 100: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

98

IG Metall

Tariflexikon

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Zsonstige

Pforzheim Vereinbarung

Mit dem Tarifergebnis, das am 12. Februar 2004 in Pforzheim für die Metall- und Elektroindustrie erzielt wurde,entstand die "Vereinbarung zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit". Wer von"Pforzheim" spricht, redet über diesen Tarifvertrag. Heute ist diese Vereinbarung Teil des Tarifvertrags zurBeschäftigungssicherung und Beschäftigungsaufbau (TV BeSch).

Danach können die Tarifparteien nach gemeinsamer Prüfung mit Betriebsräten und Geschäftsleitungen füreinzelne Betriebe ergänzende tarifliche Regelungen vereinbaren. Oder beschließen, dass Betriebe befristetvon tariflichen Mindeststandards abweichen können. Zum Beispiel: Ansprüche der Beschäftigten entfallen,Sonderzahlungen kürzen, aber auch die Arbeitszeit senken oder erhöhen - mit oder ohne LohnundGehaltsausgleich.

Solche ergänzenden oder abweichenden Regelungen soll es jedoch nur geben, wenn dadurch Arbeitsplätzegesichert oder neue geschaffen werden. Vorher sollten alle Möglichkeiten, die der Tarifvertrag dazu bietet,ausgeschöpft worden sein. Der Flächentarifvertrag bleibt der Standard, die Abweichung die Ausnahme.

Vereinbarungen können nur die Tarifpartner abschließen. Tarifvertragspartei ist die IG Metall-Bezirksleitung. Siekann die zuständige Verwaltungsstelle mit den Verhandlungen beauftragen. Die IG Metall-Mitglieder im Betriebsollen (schon im Vorfeld) beteiligt werden.

Die Tarifparteien sind nicht verpflichtet, auf Antrag einer bestimmten Regelung zuzustimmen. Es besteht auchkein Einigungszwang. Sinn solcher Vereinbarungen ist es auch nicht, bestehende tarifwidrige betrieblicheRegelungen nachträglich zu legitimieren.

Die IG Metall hat für Verhandlungen über Abweichungen klare Prinzipien formuliert:

Der Arbeitgeber soll nachweisen, dass die Abweichung notwendig ist. Es reicht nicht, wenn er bloßbehauptet, Beschäftigung sichern zu wollen.Die Beschäftigungsziele müssen verbindlich vereinbart und es sollen schlüssige Innovations- undInvestitionskonzepte vorgelegt werden. Die Wettbewerbssituation, Innovation und Investitionen rechtfertigenfür sich genommen noch keine Abweichung vom Flächentarifvertrag. Jeder Einzelfall muss geprüft werden.Der abweichende Vertrag muss eindeutig definierte Gegenleistungen enthalten, die die Beschäftigteneinklagen können. Dabei geht es um verbindliche Standortgarantien oder Investitionszusagen.Voraussetzung für Abweichungen ist, dass die Arbeitnehmervertreter umfassende Informationen über diewirtschaftliche Lage des Unternehmens erhalten.Bei der Beurteilung müssen die Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Beschäftigten in der Brancheund der Region berücksichtigt werden, um keine Spirale nach unten in Gang zu setzen.

Ein Mitarbeiter der Bayer AG steuert im Leverkusener Werk eine Mehrzweckanlage zur Herstellung von Pharmawirkstoffen, 3.3.2004

Dr. Otmar Zwiebelhofer (Südwestmetall) und Jörg Hofmann (Vorstandsmitglied IG Metall) beim Treffen in Pforzheim, 12.2.2004

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 98

Page 101: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

99

Leitstand des Warmbandwerkes von ArcelorMittal, Bremen, 2014

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:53 Uhr Seite 99

Page 102: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

100

Seit der Jahrtausendwende strahlte der Globa-lisierungsdruck verstärkt auf die deutsche Wirtschaft aus. Obwohl das Bundesverfassungs-gericht 1979 die Arbeitgeberklage gegen dasMitbestimmungsgesetz von 1976 abgewiesenhatte, stellten sowohl Vertreter aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch aus denArbeitgeber- und Industrieverbänden die deut-sche Mitbestimmungskultur grundsätzlich in Frage. Es ging letztlich um zwei Fragen. Erstens:Ist das deutsche Mitbestimmungsrecht imBetrieb und auf Unternehmensebene ein Hemm-nis dabei, die schwächelnde deutsche Wirtschaftwieder in Fahrt zu bringen? Zweitens: Führt dasdeutsche Modell der Mitbestimmung das inter-nationale Investivkapital dazu, die deutscheWirtschaft zu meiden? Im Rückblick erscheinendie Jahre von 2003 bis 2010 beinahe wie einnationales sozioökonomisches Experiment, das schlüssige Antworten auf solche Fragenbereithält.

Im Juni 2003 legte die CDU/CSU-Bundestags-fraktion einen »Gesetzentwurf zur Modernisie-rung des Mitbestimmungsrechtes« vor, dessenRealisierung die Balance von Tarifautonomie und Mitbestimmung in Deutschland dramatischbeschädigt hätte. Danach hätten Tarifstandardsim Betrieb »abgewählt« werden können. ImOktober 2004 forderte der Präsident des Bun-desverbandes der Deutschen Industrie (BDI)Michael Rogowski in einem Interview, die Mitbe-stimmung in den Aufsichtsräten ganz abzuschaf-fen: »Partizipation ist gut, aber Mitbestimmungim Aufsichtsrat war ein Irrtum der Geschichte.«Für ausländische Unternehmer sei es »völligunvorstellbar, dass Gewerkschaftsvertreter überdie Unternehmensentwicklung mitentscheiden.«Der »Bericht der Kommission Mitbestimmung«von Bundesvereinigung der Deutschen Arbeit-geberverbände (BDA) und BDI vom November2004 sprach etwas verhaltener von einem Kon-zept »für eine erneuerte und moderne Mitbe-stimmung«. Es waren die positiven Erfahrungen

in den Unternehmen selbst, die die Arbeitgeberschließlich auf Distanz zu den Vorstößen vonBDA/BDI und CDU/CSU gehen ließen.

Wenig später, auf dem Höhepunkt der Finanz-markt- und Wirtschaftskrise 2008/2009, kam eszu einem Praxistest der Mitbestimmung. Trotzdes tiefsten Wirtschaftseinbruchs seit dem Zwei-ten Weltkrieg blieb in der Bundesrepublik einnennenswerter Anstieg der Arbeitslosigkeit aus.Ein »deutsches Beschäftigungswunder« wurdekonstatiert und eine »Renaissance sozialpart-nerschaftlicher Formen der Krisenbewältigung«(Thomas Haipeter) beobachtet.

Wie war es zu erklären, dass gerade die deutscheVolkswirtschaft, nach der Jahrtausendwendeeher als »kränkelnd« apostrophiert, im Vergleichmit ähnlichen Volkswirtschaften geradezu glän-zend durch die Krise kam? Die betrieblichen

WIRTSCHAFTS- UND FINANZKRISE VON 2008/2009Beschäftigungssicherung in den Betrieben

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 100

Page 103: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

101

Michael Rogowski,Präsident des BDI

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 101

Page 104: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

102

Voraussetzungen waren schon vor Beginn derKrise günstig. Die zuvor abgeschlossenen Ver-einbarungen zur Beschäftigungssicherung hat-ten wegen mehrjähriger Laufzeit oftmals fort-wirkende Geltungsmacht. Zwar kam es in derKrise zu einem massiven Rückgang des Bruttoin-landsprodukts und einem Einbruch in der Pro-duktivitätsentwicklung in der Wirtschaft. DochBetriebsvereinbarungen über Kurzarbeit, denAbbau von bezahlten Überstunden und das Leer-räumen von Zeitguthaben wie bei Merck und beiChopard trugen zur Sicherung der Beschäftigungbei. Bei Kurzarbeit vereinbarten die Betriebsrätehäufig gleichzeitig Qualifizierungsmaßnahmen.Hierzu waren die Förderungsbedingungen fürden Bezug von Kurzarbeitergeld durch dieschwarz-rote Regierungskoalition kurzfristigangepasst worden. Die Qualifizierungen warenbei den Arbeitnehmern nachgefragt, weilBetriebsräte bei steigendem Qualifikationsni-veau Höhergruppierungen durchsetzen konnten. Die funktionierende und verlässliche Konflikt-partnerschaft war eine notwendige Vorausset-zung für diesen Erfolg der Beschäftigungssiche-rung. Daher sind in den Großbetrieben desproduzierenden Gewerbes Betriebe mit Tarifbin-dung und Betriebsrat fast ohne Personalreduzie-rung ausgekommen. Nach Überwindung der Kri-

se konnten die Unternehmen auf ihre Stammbe-legschaften als Kompetenz- und Qualifikations-ressource zurückgreifen. Erneute Anwerbungs-und Einarbeitungskosten wurden damit gespart.Der dadurch erleichterte rasche, fast aus-schließlich exportgetriebene Aufschwung in derzweiten Jahreshälfte 2009 ermöglichte auch dieRückkehr zu vorherigen Produktionsstandards.

In einem Interview erläuterte Michelin-ChefJean-Dominique Senard im Oktober 2012 dieStärke der deutschen Mitbestimmung: »Man diskutiert knallhart mit den Arbeitnehmerver-tretern, aber am Ende einigt man sich, und dieGewerkschaften tragen die Konzernstrategiemit. Daraus ergibt sich eine ungemeine Stärke.Sie als Deutsche sind sich Ihres Glücks vermut-lich gar nicht bewusst.«

DGB-Vorsitzender Michael Sommer spricht auf der Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung zur Aktion »Pro Mitbestimmung« am16.11.2004 in Berlin (v. l.: Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Reinhard Bütikofer, SPD-Bundesvorsitzender Franz Müntefering,Sommer, Vattenfall Europe-Arbeitsdirektor Martin Martiny)

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 102

Page 105: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

103

Jean-Dominique Senard, Michelin-Chef in der SZ 6.10.2012

Über Vorteile der deutschen Wirtschaft:»Und natürlich darf man die Mitbestimmung nicht vergessen.«

SZ: Das galt immer als negativ für den Standort.S.: »Man diskutiert knallhart mit den Arbeitnehmervertretern, aber amEnde einigt man sich, und die Gewerkschaften tragen die Konzernstra-tegie mit. Daraus ergibt sich eine ungemeine Stärke. Sie als Deutschesind sich ihres Glücks vermutlich gar nicht bewusst.«

Deutschland kommt besser durch die Wirtschafts- und Finanzkrise als andere europäische Länder

Michelin-Chef Jean-Dominique Senard überden Wert der deutschen Mitbestimmung

Auszug aus der Betriebsvereinbarung über Kurzarbeit und Qualifizierung bei der Firma Merck in Darmstadt vom 9.4.2009

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 103

Page 106: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

104

Schon in den 1960er Jahren war der Bundesvor-stand des DGB intensiv mit der Frage befasst,wie die deutsche Mitbestimmung in ein euro-päisches Gesellschaftsrecht einzubinden sei. Das Ausgreifen deutscher Unternehmen auf dieinternationalen Märkte brachte Jahre später dieChance mit sich, auch in den auf EU-Ebene agie-renden Konzernen ein Mitbestimmungsrecht zuverankern. Die EU-Kommission verfolgte ab Ende1989 einen völlig neuen Ansatz: Basis für eineInteressenvertretung in europaweit tätigentransnationalen Konzernen sollte nicht etwaeine einheitliche gesetzliche Regelung für alleLänder Europas sein, sondern eine grenzüber-schreitend wirksame Vereinbarung zwischenArbeitnehmervertretern und zentraler Leitungder betreffenden Unternehmen bzw. Unterneh-mensgruppen.

So kam es seit 1996 zur Einrichtung Europäi-scher Betriebsräte (EBR). Am Beispiel der Ver-handlungen, die im Juni 1997 zur Bildung einesEuropäischen Betriebsrats der Allianz/AllianzEurope Committee (AEC) führten, lassen sichEinfluss und Vereinheitlichungstendenzen derunterschiedlichen Mitbestimmungskulturen der Entsender-Länder aufzeigen. Vom Gesetz her hatte der AEC keine Mitbestimmungsrechte,sondern lediglich Informations- und Anhörungs-rechte. Gleichwohl erhofften sich die Arbeit-nehmervertreter langfristig Einfluss auf Ent-scheidungsprozesse im Konzern. Von einemgemeinsamen Auftreten erwartete man auf längere Sicht überdies, »zum Entstehen einerinternationalen europäischen Gewerkschaftsbe-wegung beizutragen.« Wie problematisch einsolcher Prozess werden würde, ergab sich schonaus der Tatsache, dass es in einigen Entsender-Ländern keine Arbeitnehmervertretungen gab.

Auf dem Weg vom AEC zum Betriebsrat der Alli-anz SE (Societas Europaea) zehn Jahre spätererwiesen sich deutsche Besonderheiten alsstrukturbestimmend. Im September 2005 kün-

digte die Allianz AG an, künftig als EuropäischeAktiengesellschaft zu firmieren. Die Verschmel-zung mit dem italienischen Versicherungskon-zern RAS hatte diesen Schritt erfordert. Manentschied sich, ein zweistufiges System derUnternehmensverfassung beizubehalten und am Prinzip der paritätischen Mitbestimmungnichts zu ändern. Allerdings sollte der Aufsichts-rat von 20 auf 12 Sitze verkleinert werden.

Da von den 178.000 Arbeitnehmern der Allianz-Gruppe 127.000 in der EU beschäftigt waren,musste das gesetzliche »Verfahren über dieArbeitnehmerbeteiligung« durchgeführt werden.Im März 2006 nahm das »Besondere Verhand-lungsgremium« mit der UnternehmensleitungVerhandlungen über die Mitbestimmung auf. Es zeigte sich, dass die nicht-deutschen Vertre-ter, auch im Sinne einer deutschen Mitbestim-mungsregelung, äußerst konstruktiv mitarbeite-ten. Von den schließlich sechs Mandaten derArbeitnehmerseite im Aufsichtsrat wurden viervon Deutschen besetzt, darunter ein externerVertreter von Verdi, je einer von einem Franzo-sen und einem Briten. Alle Arbeitnehmerver-treter gehörten der gleichen internationalenGewerkschaftsorganisation an. Der Unterneh-mensseite gelang es nicht, einen Vertreter der leitenden Angestellten (wie im deutschenMitbestimmungsrecht vorgeschrieben) im Auf-sichtsrat zu etablieren.

Geoff Hayward, der erste britische Gewerkschaf-ter im Aufsichtsrat eines in der Bundesrepubliksitzenden Unternehmens, schätzte den Zuge-winn an Einflussmöglichkeiten sehr hoch ein.Auch die Vertreter anderer Länder erlebten dieneue Unternehmensverfassung als Horizonter-weiterung. Rolf Zimmermann, eines der deut-schen Aufsichtsratsmitglieder, lobte das Bekennt-nis des Konzerns zum »sozialen Dialog«, sahgleichwohl kritisch die Einbußen gegenüber demdeutschen Mitbestimmungsrecht. Die europaweitgültigen Vereinbarungen zwischen Betriebsrat

MITBESTIMMUNG IN EUROPAEuropäischer Betriebsrat und Unternehmens-

mitbestimmung bei der Allianz SE

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 104

Page 107: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

105

und Allianz-Vorstand über »arbeitsbedingtenStress« und über »Lernen und Qualifizieren«(Life-Long-Learning) aber sind wesentlicheErfolge der Mitbestimmung.

Erschüttert wurde die Zuversicht der Allianz-Betriebsräte zunächst durch die beinahe zeit-gleich mit der SE-Gründung 2006 beabsichtigteSchließung der Regionalverwaltung Köln desKonzerns, die den Verlust des Arbeitsplatzes für tausende langjährige Mitarbeiter und Mitar-beiterinnen bedeutet hätte. Erst ein wochenlan-ger Arbeitskampf zwang die Konzernspitze umMichael Diekmann in die Knie, denn die sozialenAuseinandersetzungen schadeten der Reputati-on des Unternehmens in der öffentlichen Wahr-nehmung erheblich. Die Konzernspitze rücktedaher von ihrer Konfliktstrategie ab.

Vereinbarung über den europäischen Betriebsrat/Allianz Europe Committee bei der Allianz AG vom 24.7.1996

Protestveranstaltung in Köln gegen die Schließung der Regionalver-waltung der Allianz 2006: Die Betriebsratsvorsitzende Gabriele Burkhardt-Berg bei einer Straßenaktion

AEC-Geschäftführung mit der Spanierin Nuria Jubany und dem Deutschen Rolf Zimmermann, 1997

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 105

Page 108: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

106

Frage: Wie sind die Verhandlungen zum SE-Betriebsrat gelaufen?Zimmermann: Das Besondere Verhandlungsgre-mium (BVG) war heterogen zusammengesetztmit Vertretern aus allen Ländern, in denen dieAllianz aktiv ist. Viele Mitglieder des BVG hat-ten kaum oder keine Erfahrungen. Trotzdem,das Klima war ausgesprochen konstruktiv.

Frage: Und die Zusammenarbeit mit demManagement?Zimmermann: Die war lange Zeit kompliziert –ich hatte sogar Zweifel, ob die Verhandlungennicht verlängert werden müßten. Am Endekonnte keiner so richtig zustimmen, jede Seitehatte Punkte, die nicht so recht paßten. Ande-rerseits war das Ergebnis zu gut, um abzuleh-nen. Der Kompromiß tut beiden Seiten weh,aber ist immer noch besser als eine Auffanglö-sung nach den Bestimmungen der EU-Richtlinie.

Frage: Welche Punkte waren denn besondersumstritten?Zimmermann: Der 12er Aufsichtsrat war vonBeginn an Allianz-Politik. Daher konnten dieitalienischen Niederlassungen keinen Vertreterwählen, obwohl sie zu den Gründungsmitglie-dern der SE gehören. Ein weiterer Punkt war dieSchaffung einer internen Schlichtungsstelle, dakonnten wir keine vernünftige Lösung finden.Aber das Management weiß, daß wir im Streit-fall nicht den Rechtsweg über das MünchnerArbeitsgericht scheuen werden.

Frage: Welche Erfolge konnten Sie verbuchen?Zimmermann: Eine Art Tabubruch. Wir habenals SE-Betriebsrat ein Initiativrecht, um mit dem Management Leitlinien zu definieren: beiGesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, beiAus- und Weiterbildung und bei Chancengleich-heit. Das sind zwar keine Kernbereiche, aberaus Sicht der Arbeitnehmer dennoch wichtig.Nach harten und zähen Verhandlungen bekenntsich das Management der Allianz auch zumSozialen Dialog mit dem Ziel, die Beschäftigtenam ökonomischen Erfolg zu beteiligen, den sieerwirtschaften.

Frage: Werden in diesen Bereichen die nächstenländerübergreifenden Vereinbarungen zu erwarten sein?Zimmermann: Wir haben dazu schon mit UNIEurope und Europäischen Betriebsräten ausanderen Sektoren (z.B. Ford) gesprochen, umeventuell eine eigene Strategie zu entwickeln.Ende Januar 2007 ist die konstituierende Sit-zung des SE-Betriebsrates geplant, dort werdendie nächsten Aufgaben nach Prioritäten geord-net. Zum Beispiel das Prinzip »Lifelong Lear-ning«. Schon der EBR kümmerte sich um Weiterbildung zum permanenten strukturellenWandel und natürlich zur Arbeitsplatzsicherheitusw. Das wird ländertypisch beantwortet unddie Einzelheiten muß dann der Sozialdialogbringen.

Frage: Haben Sie auch Evalierungen eingeplant?Zimmermann: Der Sozialdialog ist auf Kontiui-tät angelegt, deshalb wird man sich von Zeit zuZeit zusammensetzen und schauen, was steht im Vertrag und wo sind wir. Manchmal hat derBetriebsrat ja die Rolle, dem Management zusagen, daß es etwas falsch macht. Das ist einer-seits unangenehm, anderseits bekommt der Vorstand durch uns Betriebsräte auch Informa-tionen, die er sonst nicht bekäme, z.B. wie dieWelt aus den Augen eines Mitarbeiters aussieht.Wir sind etwa wie die Institution eines Hofnar-ren, also die einzigen, die dem Herrscher unge-straft die Meinung sagen dürfen.

Frage: Wie kommunizieren Sie miteinander in einem so internationalen Betriebsrat?Zimmermann: Wir haben bisher im EBR zehnSprachen, wollen aber im SE-Betriebsrat Eng-lisch, Französisch, Italienisch und Deutsch alsArbeitssprachen verwenden. Der Arbeitgeberbietet schon seit Jahren die Möglichkeit zuSprachkursen, die Präferenzen lagen immer bei Deutsch und Englisch.

Frage: Gibt es bei einer solchen Heterogenitätnicht auch Spannungen?Zimmermann: Große Spannungen im »AllianzEurope Committee« gab es immer dann, wenngroße Integrationen oder ein Aufkauf stattfan-

den, wie z.B. bei der Übernahme des französi-schen Versicherungskonzerns AGF mit eigenenEBR und einer anderen Unternehmenskultur.Wir versuchen das mit einer möglichst produk-tiven Synthese zu lösen, es ist aber ein kompli-zierter Vorgang.

Frage: Haben die aktuellen Entwicklungen beiAllianz Deutschland einen Schatten geworfen?Zimmermann: Momentan befinden wir uns im Krieg mit Allianz Deutschland wegen derNeustrukturierung der deutschen Versiche-rungsgesellschaften. Hier ist es gelungen, innerhalb kürzester Zeit das zarte PflänzchenUnternehmenskultur, das Zusammengehörig-keitsgefühl im Unternehmen, zu zerstören. Wiepaßt dazu der Standardsatz von Herrn Diek-mann: »Würden Sie ihrem besten Freund emp-fehlen, sich bei unserem Unternehmen zu versi-chern?« Die Mitarbeiter fühlen sich schlechtbehandelt, und wenn die alten Hasen gehen,verliert das Unternehmen immaterielle Werteund die Orientierung für die Jungen und damitan Stabilität.

Frage: Was würden Sie anderen EBR-Kollegenmitgeben, die vor einer SE-Betriebsratsgrün-dung stehen?Zimmermann: Die guten Dinge mit in dieZukunft nehmen und die schlechten korrigieren.Und auf alle Fälle sollte man die rechtlicheGrundlage als Chance nutzen, eventuell auchmit Hilfe von Beratern. Schließlich steht dasManagement in der Zeit der SE-Gründung sehrunter Druck. Diese gestalterische Chance solltenicht vergeben werden.

Rolf Zimmermann (53) ist Versicherungskauf-mann und kam über die Jugendvertretung inden Betriebsrat, dem er seit 1990 als freigestell-tes Mitglied angehört. Seit über zehn Jahren ister auch Mitglied des EBR.

Das Interview führte Kathleen Kollewe am 9. Oktober 2006.

Interview mit Rolf Zimmermann, EBR-Vorsitzender bei der AllianzDie offizielle Bezeichnung des EBR lautet: Allianz Europe Committee

EBR/AEC-Vorsitzender Rolf Zimmermann über die Verhandlungen zur Bildungeines Betriebsrats der Allianz SE (Europäische Aktiengesellschaft) am 20.9.2006

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 106

Page 109: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

107

Bei der Allianz SE werden am 5.5.2011 Leitlinien zum »Umgang mit arbeitsbedingtem Stress« vereinbart

Zusammensetzung des Aufsichtsrates der Allianz SE seit dem 9.5.2012:Auf der linken Seite die Arbeitnehmervertreter

Allianz SE Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte bei einer Sitzung des SE-Betriebsrats mit dessen Vorsitzendem Rolf Zimmermann im Juli 2015

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 107

Page 110: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

108

Vereinbarung über die Betei-ligung der Arbeitnehmer in der Allianz SE vom 3.7.2014(»Sozialdialog«)

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 108

Page 111: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

109

Sitzung des Allianz SE-Betriebsrats, Juli 2015

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 109

Page 112: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Abelshauser, Werner, Kulturkampf. Der deutscheWeg in die Neue Wirtschaft und die amerika-nische Herausforderung, Berlin, 2003

Drinkuth, Andreas, Eine soziale Elite – dieBetriebsräte. 20 Portraits, Marburg 2010

Fattmann, Rainer, 125 Jahre Arbeit und Leben in den Werken von Daimler und Benz. DieGeschichte der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretung, Ludwigsburg 2011

Girndt, Cornelia, Anwälte – Problemlöser –Modernisierer. Betriebsratsreportagen, Gütersloh 1997

Haipeter, Thomas, Mitbestimmung bei VW. Neue Chancen für die betriebliche Interessen-vertretung? Münster 2000

Ders., Betriebsräte als neue Tarifakteure. Zum Wandel der Mitbestimmung bei Tarifab-weichungen, Berlin 2010

Hemmer, Hans-Otto / Kurt Thomas Schmitz(Hrsg.), Geschichte der Gewerkschaften in derBundesrepublik Deutschland. Von den Anfängenbis heute, Köln 1990

Hindrichs, Wolfgang u. a., Der lange Abschiedvom Malocher. Sozialer Umbruch in der Stahlin-dustrie und die Rolle der Betriebsräte von 1960bis in die neunziger Jahre, Essen 2000

Hübner, Peter, Arbeit, Arbeiter und Technik inder DDR 1971 bis 1989. Zwischen Fordismus unddigitaler Revolution, Bonn 2014

Hunn, Karin, »Nächstes Jahr kehren wir zurück…«. Die Geschichte der türkischen »Gastarbei-ter« in der Bundesrepublik, Göttingen 2005

Im Licht der Zeit. 90 Jahre Betriebsvertretungbei der Bewag, Berlin 1998

Judith, Rudolf (Hrsg.), 25 Jahre Montanmitbe-stimmung. Reden und Dokumente, Schriftenrei-he der IG Metall Nr. 68, Frankfurt am Main 1976

Kleßmann, Christoph, Arbeiter im »Arbeiter-staat« DDR. Deutsche Traditionen, sowjetischesModell, westdeutsches Magnetfeld (1945 bis1971), Bonn 2007

Kotthoff, Hermann / Peter Ochs,Mitbestimmung an der Saar. Sozialgeschichteder Mitbestimmung in den Saarhütten und imSaarbergbau, Köln 1988

Lauschke, Karl, Die Hoesch-Arbeiter und ihrWerk. Sozialgeschichte der Dortmunder West-falenhütte während der Jahre des Wiederaufbaus1945 – 1966, Essen 2000

Ders., Mehr Demokratie in der Wirtschaft. DieEntstehungsgeschichte des Mitbestimmungs-gesetzes von 1976, Düsseldorf 2006

Ders., Die halbe Macht. Mitbestimmung in derEisen- und Stahlindustrie 1945 bis 1989, Essen2007

Lompe, Klaus u. a., Bilanz und Perspektiven der Montanmitbestimmung. Entwicklungen,Erfahrungen, Herausforderungen, Berlin 2003

Lucy, Herbert, Kämpfen ein Leben lang. Erinne-rungen des Gesamtbetriebsrats-Vorsitzendenvon Daimler-Benz. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt, München-Zürich 1993

Milert, Werner / Rudolf Tschirbs, Die andere Demokratie. Betriebliche Interessen-vertretung in Deutschland, 1848 bis 2008, Essen 2012

110

LITERATURHINWEISE

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 110

Page 113: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Müller-Jentsch, Walther, Arbeit und Bürger-status. Studien zur sozialen und industriellenDemokratie, Wiesbaden 2008

Niedenhoff, Horst-Udo, Betriebsratswahlen.Eine Analyse der Betriebsratswahlen von 1975bis 2006, Köln 2007

Ranft, Norbert, Vom Subjekt zum Objekt: Montanmitbestimmung, Sozialklima und Struk-turwandel im Bergbau seit 1945, Köln 1988

Resch, Hubert, Betriebsräte im Spannungsfeldzwischen Ausschreibung und Direktvergabe imÖPNV, Düsseldorf 2009

Streeck, Wolfgang/Norbert Kluge (Hg.), Mitbestimmung in Deutschland. Tradition undEffizienz, Frankfurt am Main/New York 1999

Süß, Dietmar, Kumpel und Genossen. Arbeiter-schaft, Betrieb und Sozialdemokratie in derbayerischen Montanindustrie 1945 bis 1976,München 2003

Tenfelde, Klaus u. a. (Hg.), Stimmt die Chemie?Mitbestimmung und Sozialpolitik in derGeschichte des Bayer-Konzerns, Essen 2007

Thum, Horst, Mitbestimmung in der Montanin-dustrie. Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaf-ten, Stuttgart 1982

Vollmer, Walter, Montanmitbestimmung undUnternehmenskultur während der Bergbaukrise1958 bis 1968, Essen 2013

Wassermann, Wolfram, Die Betriebsräte. Akteurefür Demokratie in der Arbeitswelt, Münster 2002

111

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 111

Page 114: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

S. 9: Maggi-Archiv SingenS. 10: Westfälisches Wirtschaftsarchiv (WWA),

F 79/1131S. 12: Archiv der sozialen Demokratie bei

der Friedrich-Ebert-Stiftung (AdsD),6/FOTB022657

S. 13: J. H. Darchinger/Friedrich-Ebert-StiftungS. 14: Mercedes-Benz Classic, ArchiveS. 15: Merck Corporate History, J10/642S. 16: Mercedes-Benz Classic, ArchiveS. 17 o.: Merck Corporate History, J40/18S. 17 u.: Rheinisch-Westfälisches Wirtschafts-

archiv (RWWA), 195-S3-07S. 18: Mercedes-Benz Classic, ArchiveS. 19 o.: Archiv für soziale Beziehungen (AfsB),

IGBE-Archiv, Nachlass WeekeS. 19 u.: Stadt Salzgitter, Fachdienst Kultur,

MedienzentrumS. 20 u.l.: IGCPK Verwaltungsstelle LeverkusenS. 20 u.r.: RWWA, 195-S3-04S. 21: AbbVie Deutschland GmbH & Co KGS. 22: Bundesarchiv (BArch), PLAK 004-014-008S. 23 o.: Historisches Archiv Stiftung

Deutsches Technikmuseum Berlin (SDTB),I.2.060. C 5700, Bl. 206 f.

S. 23 u.: 60 Jahre IG Metall VerwaltungsstelleBielefeld, Bielefeld 1951, S. 43 f.

S. 24 l.: BArch, B 149/9825, Bl. 280S. 24 r.: Detlev Brunner (Hg.), Der Wandel

des FDGB zur kommunistischen Massen-organisation, Essen 1996, S. 206 f.

S. 25: EigenerstellungS. 26: Protokoll der Gewerkschaftskonferenz der

britischen Zone vom 21. bis 23. August 1946in Bielefeld, Bielefeld o. J. (1946), S. 23 f.

S. 27 o.: Deutscher Gewerkschaftsbund (Britische Besatzungszone), Das neue Recht im Betriebsrätewesen, S. 25 ff.

S. 27 u.l.: AdsD, 5/EPAB000005, Bl. 96S. 27 u.r.: BArch, B136/719, Bl. 23S. 28: AfsB, IGBE-Archiv, W 24, Mappe 2, 19191S. 29 o.l.: ullsteinbild 00259492S. 29 o.r.: AdsD, 5/HBAH000099S. 29 u.l.: AdsD, 6/FOTA047901

S. 29 u.r.: Hans-Böckler-StiftungS. 30: AdsD, 5/DGDQ000024, Bl. 17 ff.S. 31: BArch, B149/9875, Bl. 350S. 32 o.: Pressebild-Verlag Schirner /

Deutsches Historisches Museum (DHM), Berlin

S. 32 u.: BArch, B136/720, Bl. 103 f.S. 33 o.: AdsD, 6/FOTB 004737S. 33 u.l.: DHM, Berlin / I. DesnicaS. 33 u.r.: WWA, KS Nr. 829, Bd. 2S. 34: AdsD, 5/DGAI001750, Bl. 286 f.S. 35 o.: AdsD, 5/DGAO_24-3750S. 35 u.: AdsD, 5/DGBE000270S. 36 o.l.: Bundesgesetzblatt (BGBl.) 1952 I,

S. 681 ff.S. 36 o.r.: AdsD, 5/DGAO_24-3570S. 37 o.l.: Pressebild-Verlag Schirner / DHM,

BerlinS. 37 o.r.: VER.DI-ArchivS. 37 u.: VER.DI-ArchivS. 38 und S. 39 u.: Das Grundgesetz der Arbeit.

Dokumente der Deutschen DemokratischenRepublik Heft 7, o. O. o. J. (Berlin 1950), S. 29 ff.

S. 39 o.: BArch Bild 183-18239-0022, Fotograf: KruegerS. 40: Presse- und Informationsamt der

Bundesregierung, Bundesbildstelle, B 145Bild 00203037, Perlia-Archiv

S. 41 l.: Wolfgang Eckelmann u. a., FDGB intern.Innenansichten einer Massenorganisation der SED, Berlin 1990, S. 162 f.

S. 41 r.: Gesetzblatt der DDR 1977 I, S. 185S. 42 o.: BArch Bild 183-69945-0005,

Fotograf: MartinS. 42 u.: BArch Bild 183-09497-0003,

Fotograf: WitteS. 43: SAPMO BArch DY 30JIV 2/2 /2200S. 44: Statistisches Bundesamt,

Statistisches Jahrbuch, div. AusgabenS. 45 o.l.:Jahrbuch der IGCPK 1952, S. 96 f.S. 45 o.r.: Mercedes-Benz Classic,

Archive 1 V 08 0011112

ABBILDUNGSNACHWEISE

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 112

Page 115: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

S. 45 u.: Ruhr Museum 6_3_04, Fotograf: Klaus Rose

S. 46 o.: Mercedes-Benz Classic, Archive 1 P PS 01 051

S. 46 u.l.: AdsD, 6/PLKA001502S. 46 u.r.: AdsD, 5/IGMA160113S. 47: Merck Corporate History, J 40/49S. 48 u.l.: Maggi-ArchivS. 48 u.r.: Maggi-ArchivS. 49 o.: Maggi-ArchivS. 49 u.: »mit offenen Augen«, H. 3, 1967,

S. 18 (Maggi-Archiv)S. 50 o.: Maggi-ArchivS. 50 u.: Maggi-ArchivS. 51: Maggi-ArchivS. 52: nach: Statistik der Kohlenwirtschaft e. V.S. 53: Anton Tripp / Fotoarchiv Ruhr Museum

T 3683-16S. 54 o.: montan.dok/BBA 024901783005S. 54 u.: Anton Tripp / Fotoarchiv Ruhr Museum

T 3002-17S. 55 o.: montan.dok/BBA 20/293S. 55 u.: montan.dok/BBA 20/293S. 56 montan.dok/BBA 20/293S. 57 o.: montan.dok/BBA 20/293S. 57 u.: AfsB, Foto-Archiv IG BES. 59: Klaus Rose KR-A-56650117-1053S. 60 o.l.: Industriegewerkschaft Metall,

Weißbuch zur Unternehmermoral, Frankfurt am Main 1966, S. 67

S. 60 m.l.: Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik, Geschäftsbericht 1966 – 1968, Hannover 1969, S. 257

S. 60 o.r.: IG Metall, Weißbuch zur Unternehmer-moral, S. 71 f.

S. 60 u.: Klaus Rose KR-A-196909-15-1023S. 61 o.: Eberhard Schmidt, Ordnungsfaktor oder

Gegenmacht, Frankfurt am Main 1971, S. 312 f.S. 61 u.: Merck Corporate History, 08776-01

und -02S. 62: ADSd; 6/PLKA005455S. 63 o.l.: Aktionsprogramm des DGB,

Düsseldorf 1965S. 63 o.r.: ulsteinbild00046621

S. 63 u.: Bundestagsprotokolle, 6. Wahlperiode,5. Sitzung (28.10.1969), S. 18 ff.

S. 64 l.: BArch B 145 Bild F-031703-0005, Fotograf: Lothar Schaack

S. 64 r.: AdsD, 5/DGAI000408S. 65: BGBl. 1972 I, S. 13 ff.S. 66: Bayer AG Corporate History & Archives,

0-22784S. 67: Hans Matthöfer, Humanisierung der

Arbeit und Produktivität in der Industriege-sellschaft, Köln – Frankfurt a. M. 1977, S. 72 f./ J.H.Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung

S. 68 o. und u.: Mercedes-Benz Classic, Archive 1 V 23 0414

S. 69: Mercedes-Benz Classic, Archive 1 P PS 01 065

S. 70: picture alliance 21523105 Wolfgang HubS. 71 o.: Arbeiten und Lernen 1 (1984), S. 7 f.S. 71 u.l.: montan.dok/BBA 157/571S. 71 u.r.: Einheit, Jg. 25 (1972), Ausg. 13, S. 8S. 72: Einheit, Jg. 25 (1972), Ausg. 13, S. 8S. 73 o.: AfsB, Foto-Archiv IG BES. 73 u.: AfsB, IG BE 10774S. 74: Gisbert Kley, Montan-Mitbestimmung.

Antworten auf die Forderungen des DGB.Schriftenreihe des Wirtschaftsrates der CDH e.V. Nr. 7, Bonn 1968, S. 32

S. 75 l.o.: Peter Leger (Künstler), Haus der Geschichte, Bonn

S. 75 l.u.: ÖTV-Magazin, Nr. 8/1970S. 75 r.: AdsD, 5/DGAK000042S. 76 r.o: Klaus Rose KR-A-760101-060S. 76 r.u.: AdsD, 5/DGBK000042S. 77 o.: AdsD, 6/FOTA062707S. 77 u.: Hans-Böckler-StiftungS. 78: Statistisches Bundesamt.

Statistisches Jahrbuch, diverse AusgabenS. 79 o.: Fotoarchiv der IGCPKS. 79 u.: AdsD, 5/DGAI003197S. 80 o.l.: AdsD, MV002546, Werbeagentur

Zimmermann GmbHS. 80 o.r.: Historisches Archiv SDTB,

I.2.060 BR 00020S. 80 u.: Klaus Rose KR-A-840528-1005 113

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 113

Page 116: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

S. 81: Metall, Nr. 7 vom 7.4.1989S. 82: Karl Lauschke, Die halbe Macht,

Essen 2007, S. 335S. 83 o.l.: Rheinhausen muss leben, hrsg. u. a.

vom Betriebsrat, Gelsenkirchen o. J., S. 15S. 83 o.r.: Manfred VollmerS. 83 u.: Rheinhausen muss leben, S. 24S. 84 o.: Manfred VollmerS. 84 u.: Manfred VollmerS. 85 o.: Manfred VollmerS. 85 m.: Manfred VollmerS. 85 u.: Duisport_Hans BlosseyS. 86: BArch Bild 183-1989-1023-022,

Fotograf: Friedrich GahlbeckS. 87 l. und r.: Wolfram ArltS. 88 o.: Archiv Vattenfall EuropeS. 88 u.l. und r.: Privatarchiv Werner MilertS. 89 l. und r.: Bewag-Archiv bei VattenfallS. 90: Bewag-Archiv bei VattenfallS. 91: BArch Bild 183-1990-0521-416,

Fotograf: Thomas UhlemannS. 92: BOGESTRA-VerwaltungS. 93 o.l.: Akten des BetriebsratsS. 93 o.r.: Akten des BetriebsratsS. 93 u.l.: Abteilung Kommunikation BOGESTRAS. 93 u.r.: Foto-Archiv BOGESTRAS. 94 o.: Akten des BetriebsratsS. 94 u.: Intranet BOGESTRAS. 96 und S. 97 l.: Betriebsrat Bayer AG,

LeverkusenS. 97 r.: Bayer AG Corporate History & Archives,

Bild Nr. 1025078S. 98 o.l.: www.igmetall.de/

view_tarifglossar-pforzheim-vereinbarung-10870.htm (31.1.2016)

S. 98 o.r.: Südwestmetall/Frank EpplerS. 98 u.: Picture Alliance/dpa 626233999S. 99 o.: ArcelorMittal Bremen,

Fotograf: Pascal HanczS. 99 u.l.: Hans-Böckler-Stiftung,

WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05S. 99 u.r.: Hans-Böckler-StiftungS. 100: Metall, Nr. 12/2004S. 101 o.: »Stern«, 13.10.2004

S. 101 u.l.: picture alliance 36984997 Jockel Finck

S. 102: Foto-Archiv HBSS. 103 l.: Betriebsrat Merck, DarmstadtS. 103 o.r.: WSI/HBS 2009S. 103 m.r.: Eurostat direkt 12/2009S. 103 u.r.: Süddeutsche Zeitung, 6.10.2012S. 105 o.l.: Allianz Betriebsrat Frankfurt/MainS. 105 u.l.: Allianz Betriebsrat KölnS. 105 r.: Allianz Betriebsrat Frankfurt/MainS. 106: Allianz Betriebsrat Frankfurt/MainS. 107 o.l.: www.allianz.com/en/about_us/

management/supervisory_board/members.html

S. 107 o.r.: Allianz Betriebsrat Frankfurt/MainS. 107 u.: www.allianz.com/de/presseS. 108: Allianz Betriebsrat Frankfurt/MainS. 109: Allianz Betriebsrat Frankfurt/Main

114

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 114

Page 117: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 115

Page 118: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

RZ_HBS_Kat_2016_S66-116 15.02.2016 11:54 Uhr Seite 116

Page 119: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den
Page 120: Vom Wert Betriebsräte und Aufsichtsräte in … · Vom Wert der mitbestimmung Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den

Vom Wert der mitbestimmung

Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945

Schon im Frühsommer 1945 entstanden in den Ruinen der Wirtschaftsbetriebe und Verwaltungen Gremien demokratischer Mitbestimmung. Frei gewählte Betriebsräte ebneten den Weg für den Wiederaufbau der Demokratie in Deutschland.

Nach ersten gesetzlichen Regelungen noch unter Besatzungs­recht erkämpften die Gewerkschaften in den Gründerjahren der Bundesrepublik die Mitbestimmung in Unternehmen und Betrieben. Während der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition gelang es in den 1970er Jahren, die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte weiter auszubauen. Und in den letzten zehn Jahren wurden zahlreiche Europäische Aktiengesell­schaften errichtet, in denen die Grundprinzipien des deutschen Mitbestimmungsmodells verankert sind.

Heute vertreten hunderttausende Betriebs­ und Personalräte die Interessen der Beschäftigten. Und die Aufsichtsräte von mehr als 660 Großunternehmen sind paritätisch besetzt. Die hohe Wahlbeteiligung an den alle vier Jahre stattfindenden Betriebsratswahlen, die die Beteiligung an politischen Wahlen weit hinter sich lässt, zeugt von der lebendigen Demokratie in den Betrieben.

Wirtschaftlicher Wandel, Globalisierung und europäische Rechtssetzung fordern die Mitbestimmung heraus, ebenso wie die sich häufenden Fälle, in denen sich Unternehmen der Mitbe stimmung entziehen wollen. Und immer wieder werden Betriebs ratsgründungen erschwert oder sogar verhindert.遜

Vom

Wer

t d

er m

itbe

stim

mu

ng

B

etri

ebsr

äte

und

Aufs

icht

srät

e in

Deu

tsch

land

sei

t 19

45