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27.1.2015 Detailansicht http://epaper2.schwaebische.de/_DATAONLINE/2015/01/26/de.20150126.SV.WAL/articles/20150126001924222_19710598922656628.html 1/2 26. Januar 2015 Danke für panoptikale Momente Das Vokalensemble "Muttis Kinder" begeistert das Bad Waldseer Publikum Von Barbara Sohler Bad Waldsee - "Betörend singende Abendverzauberer" hat Bernd aus Dresden ihnen ins Gästebuch geschrieben, von "hoher Sangeskunst" spricht Steffen nach ihrem Berliner Auftritt. Was schreiben wohl die Bad Waldseer dem A-cappella-Trio ans schwarze Brett? Vielleicht "Gewaltig verwöhnt haben uns Muttis Kinder"? Oder "Danke für panoptikale Momente"? Nur ein schlichtes "Großartig"? Egal. Alles passt. Nichts davon wäre geschönt. Tatsächlich jedoch scheint es, als wüssten zunächst nur wenige der 140 Besucher, was sie unter dem Titel "Muttis Kinder: Das erste Konzert" erwartet. Entsprechend verhalten ist die Stimmung um 20 Uhr am Samstagabend, im nur halb bestuhlten Saal im Haus am Stadtsee. Nach dem zweiten Song von Muttis Kindern recken sich die Zuschauer allerdings die Steifheit aus dem Rücken und ein Jeder hebt den wintermüden Blick dorthin, wo diese feinen Stimmen herkommen. Erstaunlich, wie direkt das Timbre dieser Frau im schwarzen Pliséekleid in die linke Herzkammer fährt. Unfassbar geradezu, wie der kleine Mann im Abendanzug seine Stimmlippen anspannen und weibliche Töne erzeugen kann. Und gut, dass Claudia und Christopher von Marcus flankiert werden. Der leiht mit seiner tiefen Stimme der Formation nämlich Herz und Hirn. Alles andere als brav: Die A-cappella-Formation "Muttis Kinder" mit Claudia Graue (im Kleid), Marcus Melzwig (der Baum) und Christopher Nell (der Kleine).

Von Barbara Sohler 26. Januar 2015 - spektrumk.de Muttis Kinder... · von Freddy Mercurys "Bohemian Rhapsody", das Kantertenor-Headbanger- ... Acapella-Award Ulm oder dem Kleinkunstpreis

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26. Januar 2015

Danke für panoptikale Momente

Das Vokalensemble "Muttis Kinder" begeistert das Bad WaldseerPublikum Von Barbara Sohler

Bad Waldsee - "Betörend singende Abendverzauberer" hat Bernd aus Dresden ihnen ins

Gästebuch geschrieben, von "hoher Sangeskunst" spricht Steffen nach ihrem Berliner

Auftritt. Was schreiben wohl die Bad Waldseer dem A-cappella-Trio ans schwarze Brett?

Vielleicht "Gewaltig verwöhnt haben uns Muttis Kinder"? Oder "Danke für panoptikale

Momente"? Nur ein schlichtes "Großartig"? Egal. Alles passt. Nichts davon wäre geschönt.

Tatsächlich jedoch scheint es, als wüssten zunächst nur wenige der 140 Besucher, was sie

unter dem Titel "Muttis Kinder: Das erste Konzert" erwartet. Entsprechend verhalten ist

die Stimmung um 20 Uhr am Samstagabend, im nur halb bestuhlten Saal im Haus am

Stadtsee. Nach dem zweiten Song von Muttis Kindern recken sich die Zuschauer allerdings

die Steifheit aus dem Rücken und ein Jeder hebt den wintermüden Blick dorthin, wo diese

feinen Stimmen herkommen. Erstaunlich, wie direkt das Timbre dieser Frau im schwarzen

Pliséekleid in die linke Herzkammer fährt. Unfassbar geradezu, wie der kleine Mann im

Abendanzug seine Stimmlippen anspannen und weibliche Töne erzeugen kann. Und gut,

dass Claudia und Christopher von Marcus flankiert werden. Der leiht mit seiner tiefen

Stimme der Formation nämlich Herz und Hirn.

Alles andere als brav: Die A-cappella-Formation "Muttis Kinder" mit Claudia Graue (im Kleid), Marcus Melzwig (der Baum) und Christopher Nell(der Kleine).

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Motto: Gewusst wie

Ob beim härtesten Song des Abend, dem "Gitte-Hennig-Medley", bei "Gangsta's Paradise"

von Coolio oder beim 40 Jahre alten Gassenhauer von Jürgen Marcus: Muttis Kinder

wissen genau, was sie tun. Hier ein sparsames Kräuseln der Lippen zur Einstimmung, dort

ein lockeres Wippen in den Knien. Muttis Kinder sind nicht nur stimmgewaltig, sondern

auch alles von heiter bis lustig. Zum Legen einer falschen Fährte beginnen sie gerne

bedächtig, greifen noch einmal für einen winzigen Schluck zur Wasserflasche, lassen das

Publikum mental schunkeln bei Rihannas Liebeslied, um -zack - mit Strophen über den

biertrinkenden Häuptling-kleiner-Furz dagegen zu halten. Dass diese Performance in

Metallicas "Nothing else matters" endet: Ein Kunstkniff. Und perfekt für Jene, die sich

sonst bei A-cappella-Abenden eher langweilen.

Dann wieder fassen die drei alle gängigen Hits zum Thema "Dance" in einem Medley

zusammen, um kurz darauf alles zu singen, was in der Musikgeschichte jemals "Rain" im

Titel hatte. Als Highlight und bester Track des Abends wird am Ende "Wicked Games" von

Chris Isaak gehandelt, dem nicht einmal die traurig jaulende Gitarre fehlt. Dicht gefolgt

von Freddy Mercurys "Bohemian Rhapsody", das Kantertenor-Headbanger-

Luftgitarrenkönig-Christopher die Möglichkeit gibt, sich künstlerisch nackig zu machen -

und dafür vom Publikum mit Sonderapplaus belohnt wird.

Anfänge in Rostock

Claudia Graue, Marcus Melzwig und Christopher Nell - so steht es auf ihrer Homepage -

lernten sich 2002 während des Schauspielstudiums in Rostock kennen. Ein Jahr später

gründeten sie Muttis Kinder, die erst mit Förderpreisen und später mit Preisen wie dem

Acapella-Award Ulm oder dem Kleinkunstpreis in Bozen ausgezeichnet wurden. Was ein

Glück, dass Claudia (die sie Issi nennen), Christopher (der "Hochsinger") und Marcus (der

Baum) neben ihren zahlreichen Engagements an deutschen Theaterbühnen immer wieder

Zeit finden, als Muttis Kinder auf Tournee zu gehen. Und nochmal Glück beziehungsweise

Umsicht, dass der Kulturverein Spektrum K immer wieder solche Künstler ins beschauliche

Waldsee lockt.