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1 100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie 25.11.2015 Von der Kraft zum Feld am Beispiel der Gravitation sowie einige Anmerkungen über physikalische Modelle und Wirklichkeit. Dieter Bangert

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1    

100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie

25.11.2015

Von der Kraft zum Feld am Beispiel der Gravitation sowie einige Anmerkungen über

physikalische Modelle und Wirklichkeit.

Dieter Bangert

2    

100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie

"Falls Gott die Welt geschaffen hat, war seine Haupt-sorge sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können."

Albert Einstein  

3    

100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie

Wilhelm Wien sagte 1921 anlässlich eines Vortrages an der LMU / München:

„Die Freude, heute über Relativitätstheorie zu Ihnen zu sprechen, wird nur etwas durch die Überzeugung beeinträchtigt, dass diese Lehre sich in wesentlichen Teilen der gemeinverständlichen Darlegung entzieht.“

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Etwas über physikalische Modelle und Wirklichkeit

Voraussetzungen:

Wir zweifeln nicht an der Existenz einer realen Außenwelt

und

wir glauben über diese Außenwelt sichere (zuverlässige) Erkenntnisse gewinnen zu können. Physik stellt die Bemühung dar, wahres Wissen von der Welt in Form zutreffender Beschreibungen durch physikalische Theorien zu finden. Während Theorie umgangssprachlich „grobe Spekulation“ meint, ist hier der griech. Wortursprung „theoria“ als „Anschauung der Wahrheit“ gemeint. Eine physikalische Theorie zeichnet sich durch Widerspruchsfreiheit aus und muss überprüfbare Vorhersagen von beobachtbaren Phänomenen durch reproduzierbare Experimente liefern.

Wirklichkeit = Ausschnitt aus einer umfassenderen Realität, die auf unsere Sinne und Messapparaturen „Wirkungen“ verursacht.

Jede Theorie basiert auf Idealisierungen, nämlich physikalischen Modellvorstellungen, die nicht mit der Wirklichkeit identisch sind.

Beispiel: Landkarte, Luftbild, Audi-Max-Gebäude (Haldener Straße in Hagen)

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Was ist wirklich?

Nicht das, was es zu sein scheint!

6    

Von Aristoteles über Galilei zu Newton

Aristoteles (384 – 322)

Phänomenologische Naturphilosophie

Aristoteles sagte, was uns die tägliche Erfahrung lehrt und gab dafür eine plausible

Erklärung

Beispiel: Rollende Kugel

Ein bewegter Körper hat das Bestreben, den Zustand der Ruhe einzunehmen. Die Bewegung kommt daher von selbst zum Erliegen. Soll sie aufrechterhalten werden, so ist die ständige Einwirkung einer Kraft erforderlich.

Beispiel: Fallender Körper

Schwere Körper fallen schneller als leichte

Aristoteles beschreibt, was er beobachtet. Er gibt dafür eine zwar plausible aber falsche Erklärung.

7    

Galilei (1564 – 1641)

Begründer der modernen Naturwissenschaft;

Einführung systematischer Experimente und

mathematische Beschreibung der Zusammenhänge.

„Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik verfasst.“

Beispiel: Rollende Kugel

mit vernachlässigbarer Rollreibung

Galilei‘scher Trägheitssatz:

Wenn auf einem Körper keine Kraft einwirkt, verharrt er im Zustand der Ruhe oder der geradlinig gleichförmigen Bewegung.

Beispiel: Freier Fall im Vakuum

Alle Körper fallen im Vakuum (unabhängig von ihrer Masse) gleich schnell.

Galilei ließ sich von einer mathematischen Theorie leiten. Er beschreibt damit wissenschaftliche (idealisierte) Experimente, deren Ausgang von der alltäglichen Erfahrung abweicht und damit der tatsächlichen Beobachtung im Alltag widerspricht.

8    

Fallturm in Bremen (ZARM)  

9    

Newton (1642 – 1726)

Was ist eine Kraft? Kraft ist der Name für die äußere Ursache, die eine Bewegungsänderung eines Körpers hervorruft. Die Kraft bewirkt eine Abweichung von der geradlinig gleichförmigen Bewegung, die Beschleunigung genannt wird.    Gravitationsgesetz (1666):

221

nGravitatiormmGF ⋅

=  

 Objekt   Symbol   Masse/kg  

 Neutron  

 n   2710675,1 −⋅  

Proton   p   2710673,1 −⋅    

Elektron    

e   311011,9 −⋅  

Erde    

ME 241097,5 ⋅  

Sonne    

MS 301098,1 ⋅  

10    

Modell eines Wasserstoffatoms

Elektrische Kraft zwischen Ladungen:    

CoulombF (1785)

Newtons Gravitationskraft zwischen Massen:

nGravitatioF  (1666)

 

Verhältnis  der  beiden  Kräfte  im  H-­‐Atom:    

39

Newton

Coulomb 10FF

=  

11    

 

Himmelsmechanik

Halley‘scher Komet Britischer Astronom Edmond Halley (1656 – 1741). Er wandte Newtons Gravitationsgesetz auf den Kometen von 1682 an. Aus den Bahndaten berechnete er eine Umlaufzeit T = 76 a. 1758, 17 Jahre nach Halley’s Tod, erschien der Komet, wie vorhergesagt, wieder am Himmel. Bestätigung von Newton’s Gravitationstheorie Problem: Fernwirkung Die Übertragung von einem Körper auf den anderen, ohne Vermittlung eines Zwischenträgers, bleibt unverstanden und unerklärt.

12    

Dinge im Leeren: Äther, Raum und Feld

Unter einem „Feld“ versteht man die räumliche Verteilung einer physikalischen Größe.

Der Feldbegriff wird 1852 von Michael Faraday eingeführt. Jedem Raumpunkt wird ein Wert der physikalischen Größe (Skalar, Vektor, Tensor) zugewiesen.

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Klassische Mechanik

Physikalisches Modell: Feldkonzept

Feld = Raum + zusätzliche physikal. Eigenschaft

Skalarfeld: Dichte )r(!

ρ , Gravitationspotential )r(!

Φ

Vektorfeld: Gravitationsfeldstärke )r(g!!

und Gravitationskraft )r(gmF

!!!=

 

)r()r(g!!!!

Φ∇−=  

Poisson-Gl.: )r(G4)r(!!

ρπ−=ΔΦ    

Lösung:         Vdrr)r(G4)r(

Vʹ′

ʹ′−

ʹ′ρπ=Φ ∫∫∫

ʹ′!!!

!  

Gravitationskraft beeinflusst über das Gravitationsfeld die Bahn )t(r

! eines bewegten

Körpers:

r)t(r

rMG)t(r 2E!

""! ⋅−=

14    

Allgemeine Relativitätstheorie

Drehung der Merkurbahnellipse

(Umlaufdauer T = 88 d)

In 100 Jahren Drehung um 574‘‘ = 0,159°, davon entfallen 531‘‘ auf Störungen durch die Planeten Erde und Venus und 43‘‘ auf die Raumkrümmung der Sonne gemäß ART. Diese 43‘‘ sind nicht durch Newtons Theorie erklärbar.

15    

Allgemeine Relativitätstheorie

Das metrische Feld ist eine Beschreibung der Raumzeit. Raum ohne Feld gibt es nicht.

Tensorfeld: Metrischer Tensor )r(g!

µν ist ortsabhängig; die Krümmung der Raumzeit kann an verschiedenen Punkten unterschiedlich sein.

Statt durch eine Gravitationskraft, wird in diesem physikalischen Modell Gravitation als Folge der gekrümmten oder verzerrten Raumzeitgeometrie beschrieben, die durch die Materie-Energie-Verteilung verursacht wird.

ART in einem Satz von John Archibald Wheeler:

„Die Materie sagt der Raumzeit wie sie sich krümmen soll, und die Raumzeit sagt der Materie, wie sie sich bewegen soll.“

16    

Kosmologische Konsequenz: Ist der Materie-oder Energiegehalt des Universums bekannt, kann seine zeitliche Entwicklung berechnet werden.

Daraus folgt das dynamische Universum:

Das Weltall ist nicht statisch

1823: Olbers Paradoxon 1922: Alexander Friedmann Lösung der Einstein‘schen Feldgleichungen 1927: George Lemaitre Unabhängige Bestätigung der Friedmann‘schen Lösungen 1929: Edwin Hubble Beobachtung der Expansion des Universums, Mount Wilson Observatory (MWO), California

17    

 

Entwicklungsstadien des Universums

Urknalltheorie: George Lemaitre (1929)  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Untersuchung  von  Kernmaterie  extremer  Dichte  und  Temperatur  beim  Stoß  zweier  Atomkerne  durch  Erzeugung  eines  nuklearen  Feuerballs  in  einem  „Colliding-­‐Beam-­‐Experiment“    

u

d

u

Proton

d

u

d

Neutron

dd

Aufbau von Proton und Neutron, den Bestand-teilen aller Atomkerne aus jeweils drei Quarks  

                                                                 

 

Hochenergiephysik mit ultrarelativistischen schweren Ionen

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Phasenübergang  von  gewöhnlicher  Kernmaterie  zum  

Quark-­‐Gluon-­‐Plasma  

 

Theorie:  Gitterformulierung  der  Quantenchromodynamik  

 

 

 

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„Urknall“  im  Labor  

 

 

Zentrale  Kollision  zweier  Bleikerne  bei  einer  Schwerpunktsenergie  von  2,76  TeV/A.  Die  daraus  resultierenden  Teilchenspuren  wurden  vom  ALICE-­‐Experiment  am  LHC  /Cern  in  Genf  aufgenommen.  

 

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Etwas über physikalische Modelle und Wirklichkeit

 

Conclusio:  

 

Nur  durch  eine  Theorie  können  wir  Zugang  zur  „Wirklichkeit“  erlangen,  die  offensichtlich  seltsamer  als  unser  Vorstellungsvermögen  ist.  

 

Was  wir  Realität  nennen,  ist  auf  Phänomene  mittlerer  Dimension  beschränkt.  Für  das  Allerkleinste  und  kosmisch  Große  fehlt  uns  jede  Vorstellung.  Das  nicht  Vergleichbare  ist  unvorstellbar  und  in  der  Alltagssprache  nicht  beschreibbar.    

 

Das  Unvorstellbare  kann  nur  mathematisch  gehandhabt  werden.  Abstrakte  Konzepte  reichen  weiter  als  unser  anschauungsgebundenes  Begreifen.  

 

 

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Heute  vor  100  Jahren  hat  ein  Physikgenie  unsere  Vorstellung  von  Gravitation  revolutioniert.  

 

 

 

Kann die physikalische Welt mit Hilfe der Mathematik letztgültig erklärt werden, oder können wir uns nur ohne absehbares Ende vergeblich bemühen?  

Bei der Suche nach „letzten“ Gewissheiten müssen wir uns offensichtlich mit „vorläufigen“ Wahrheiten zufrieden geben.