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Zentrale Orte Raumwirtschaftstheorie Einzelhandel Konsumforschung DIE ERDE 137 2006 (4) Beitrag zur Humangeographie pp. 293-317 Von der Zentralitätsforschung zur geographischen Handelsforschung – Neuorientierung oder Paradigmen- wechsel in der Wirtschafts- und Sozialgeographie? Jürgen Deiters (Osnabrück) Die Herauslösung der geographischen Handelsforschung aus dem früheren Arbeitskreis ‚Zentralität‘ der Deutschen Akademie für Landeskunde vor zehn Jahren gibt Veranlassung, die jüngere Forschungsentwicklung in diesen Bereichen zu untersuchen. Besteht die Möglichkeit, Christaller s Theorie der zentralen Orte (als Grundlage der Zentralitätsforschung) mit Hilfe neuerer Ansätze der geographischen Einzelhandels- und Konsumforschung verhaltenswissenschaftlich zu reformulieren? Oder muss man endgültig Abschied nehmen von der Vorstellung einer geordneten Siedlungsstruktur, der das Menschenbild des Homo oeconomicus zugrunde liegt, das heute nicht mehr akzeptabel ist? Die Klärung der theoretischen Grundlagen der Zentralitätsforschung und der Versuch, neuere Ansätze und Ergebnisse der geographischen Handels- und Konsumforschung zu bewerten, führen zu der Einschätzung, dass das wichtigste Theorem Christallers, die Hierarchie zentraler Orte, zwar wei- ter Bestand hat, dass jedoch Unternehmens- und Standortentscheidungen im Einzelhandel sowie das Einkaufsverhalten der Konsumenten allein verhaltens- bzw. handlungstheoretisch zu erklären sind. 1. Vorbemerkung Vor zehn Jahren gründeten die an der Entwick- lung von Einzelhandel und Konsumentenverhal- ten interessierten Mitglieder des Arbeitskreises „Zentralität“ den Arbeitskreis „Geographie und Einzelhandel“, der sich nach Umbenennung in „Geographische Handelsforschung“ schnell zu ei- nem der mitgliederstärksten Arbeitskreise der deutschsprachigen Geographie (mit eigener Be- From Central Place Analysis to Geographical Retail and Consumer Research – Reorientation or Change of Paradigm in Human Geography? Günter Löffler zum Gedächtnis Mit 2 Figuren und 3 Tabellen

Von der Zentralitätsforschung zur geographischen ... · 2006/4 Von der Zentralitätsforschung zur geographischen Handelsforschung 295 Marktgebiete (Lösch 1940: 70ff.)

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• Zentrale Orte – Raumwirtschaftstheorie – Einzelhandel – Konsumforschung

DIE ERDE 137 2006 (4) Beitrag zur Humangeographie pp. 293-317

Von der Zentralitätsforschung zur geographischenHandelsforschung – Neuorientierung oder Paradigmen-

wechsel in der Wirtschafts- und Sozialgeographie?

Jürgen Deiters (Osnabrück)

Die Herauslösung der geographischen Handelsforschung aus dem früheren Arbeitskreis ‚Zentralität‘der Deutschen Akademie für Landeskunde vor zehn Jahren gibt Veranlassung, die jüngereForschungsentwicklung in diesen Bereichen zu untersuchen. Besteht die Möglichkeit, ChristallersTheorie der zentralen Orte (als Grundlage der Zentralitätsforschung) mit Hilfe neuerer Ansätze dergeographischen Einzelhandels- und Konsumforschung verhaltenswissenschaftlich zu reformulieren?Oder muss man endgültig Abschied nehmen von der Vorstellung einer geordneten Siedlungsstruktur,der das Menschenbild des Homo oeconomicus zugrunde liegt, das heute nicht mehr akzeptabel ist?Die Klärung der theoretischen Grundlagen der Zentralitätsforschung und der Versuch, neuereAnsätze und Ergebnisse der geographischen Handels- und Konsumforschung zu bewerten, führen zuder Einschätzung, dass das wichtigste Theorem Christallers, die Hierarchie zentraler Orte, zwar wei-ter Bestand hat, dass jedoch Unternehmens- und Standortentscheidungen im Einzelhandel sowie dasEinkaufsverhalten der Konsumenten allein verhaltens- bzw. handlungstheoretisch zu erklären sind.

1. Vorbemerkung

Vor zehn Jahren gründeten die an der Entwick-lung von Einzelhandel und Konsumentenverhal-ten interessierten Mitglieder des Arbeitskreises

„Zentralität“ den Arbeitskreis „Geographie undEinzelhandel“, der sich nach Umbenennung in„Geographische Handelsforschung“ schnell zu ei-nem der mitgliederstärksten Arbeitskreise derdeutschsprachigen Geographie (mit eigener Be-

From Central Place Analysis to Geographical Retail and Consumer Research –Reorientation or Change of Paradigm in Human Geography?

Günter Löffler zum Gedächtnis

Mit 2 Figuren und 3 Tabellen

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richts- und Schriftenreihe) entwickelte. Der seit-dem auf Aspekte der Raumordnung und Sied-lungsstruktur reduzierte Erfahrungsaustausch imArbeitskreis „Zentralität“ erschöpfte sich nachwenigen Jahren, zumal die von diesem Arbeits-kreis auf der Jahrestagung 1995 angestoßeneGrundsatzdebatte über Zentrale Orte als Basis-theorie der klassischen Raumwirtschaftslehre, alsempirisches Forschungsfeld und als Handlungs-konzept der Raumplanung – dokumentiert in zweiThemenheften der „Erdkunde“ (Heft 1/1996)und „Informationen zur Raumentwicklung“ (Heft10/1996) – seit 1998 in dem Ad-hoc-Arbeitskreis„Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts“der Akademie für Raumforschung und Landes-planung weitergeführt wurde. Die Jahrestagung2005 des Arbeitskreises „Geographische Handels-forschung“ im Juli in München galt daher auchdem Rückblick auf die Zeit seines Bestehens.Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassungeines Referats für diese Tagung.

2. Zentralität und Einzelhandel – Unterschiede in Forschung und Praxis

Die Tatsache, dass der Arbeitskreis GeographischeHandelsforschung aus dem Arbeitskreis Zentrali-tät hervorgegangen ist, lässt zunächst vermuten,dass beide Forschungs- und Anwendungsberei-che innerhalb der Geographie gemeinsame Wurzelnbesitzen. Diese wurden lange Zeit in Christallersgenialem Versuch gesehen, die Rangordnung undVerteilung von Städten aus deren Umlandbedeu-tung und damit primär ökonomisch zu erklären(Christaller 1933). Für die empirische Forschungerwies sich die Theorie zentraler Orte – oder genauer:deren modellhafte Abstraktion in Form des Systemsder zentralen Orte – als äußerst fruchtbar. Die Ei-genschaft dieses Modells, die bestmögliche Stand-ortverteilung zur Versorgung der Bevölkerung inder Fläche dazustellen, regte bekanntlich die Raum-planung an. Schöller (1972) prägte den treffendenBegriff „Zentralitätsforschung“ und unterschieddabei die Bereiche Theorie, Empirie und Anwen-

dung. Doch zeigt sich heute, dass diese Bereicheentweder nur noch wenig miteinander zu tun ha-ben (wie die Anwendung zentraler Orte mit derTheorie) oder andere Erklärungsansätze wichtigergeworden sind. Damit ist auch der vielfältige Ein-satz von Gravitations- und Potenzialmodellen zurBestimmung räumlicher Einkaufsverflechtungenund Nachfragepotenziale im Einzelhandel gemeint.Als Instrumente der „Sozialphysik“ häufig kriti-siert, steht der „Erklärungsgehalt“ solcher Modelleaber den schlichten Annahmen klassischer Standort-theorien über das Verhalten der Anbieter undNachfrager am Markt keineswegs nach. Mathe-matisch ausgefeilte Modelle zur Marktgebiets-abgrenzung können die Wirklichkeit erstaunlichgut abbilden, wie Vergleiche mit Ergebnissen vonKundenbefragungen zeigen (Löffler 1999).

Während der „theoretischen Zentralitäts-forschung“ mit Christallers System zentraler Orteein normatives, von der neoklassischen Wirt-schaftstheorie inspiriertes Gleichgewichtsmodellzugrunde liegt (vgl. Deiters 1982), stützt sich diegeographische Handelsforschung – als „verhal-tensorientierte Zentralitätsforschung“ (Gebhardt1996a: 6) – auf ein breites Spektrum sozialwissen-schaftlicher Erklärungsansätze zum räumlichen Ein-kaufsverhalten sowie auf die betriebswirtschaftlichbegründete Standortbestimmungslehre des Han-dels, die Behrens (1965, 1971) zur Abgrenzung vonder traditionellen, dem Postulat ökonomischer Ra-tionalität verpflichteten Theoriebildung seinesFaches „empirisch-realistisch“ genannt hat.

Gegenstand der herkömmlichen Zentralitätsfor-schung sind die makroökonomischen Strukturenvon Standortsystemen des tertiären Wirtschafts-bereichs (Einzelhandel und haushaltsbezogeneDienstleistungen) und die daraus abzuleitendenOrdnungsprinzipien für die Rangordnung undVerteilung städtischer Siedlungen. NachSchätzl (1978) ist die Theorie zentraler Orte Be-standteil der gesamtwirtschaftlichen Standort-strukturtheorien – neben von Thünens Theorieder Landnutzung und Löschs Theorie der

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Marktgebiete (Lösch 1940: 70ff.). Es hat nicht anVersuchen gefehlt, die Realitätsferne derzugrunde liegenden Annahmen zu überwinden(Rushton 1971, Beavon 1977, King 1984, Deiters1996a) und zentralörtliche Systeme zu dynamisie-ren. Unter Einbezug von Leistungs- und Kapital-verflechtungen, Machtstrukturen und Rangord-nungen hat sich daraus die – zumeist interdiszip-linär betriebene – Städtesystemforschung entwi-ckelt (vgl. Heineberg 2006: 75ff.).

Im Unterschied zur Zentralitätsforschung i.e.S.befasst sich die geographische Handelsforschungmit den einzelwirtschaftlichen (mikroökonomi-schen) Handlungen und Verhaltensweisen derWirtschaftssubjekte. Auf der Anbieterseite gehtes um Standortentscheidungen der im Wettbewerbstehenden Handelsunternehmen unter besonde-rer Berücksichtigung der am Standort jeweils ge-gebenen Absatz- und Beschaffungspotenziale(Behrens 1971: 82ff.). Auf der Nachfrageseite ste-hen Konsumgewohnheiten und Einkaufsorientie-rungen der Individuen und Haushalte im Kontextder sich wandelnden Sozial- bzw. Lebensstil-gruppen im Mittelpunkt der Betrachtung. Die„Einzelhandelsgeographie“, wie sich dieser For-schungszweig auch nennt (vgl. die von Kulke he-rausgegebenen bzw. moderierten Themenhefte derZeitschriften DIE ERDE 7/1997 und GeographischeRundschau 9/1997), ist stark empirisch orientiertund bezieht neuere sozial-psychologische sowiebetriebswirtschaftliche Erklärungsansätze undAnalysemethoden in die Forschung ein.

Demzufolge unterscheiden sich auch die An-wendungsbereiche beider Forschungsperspek-tiven voneinander. Während die Erkenntnisseund Methoden der geographischen Handels-forschung dazu dienen, Standort- und Absatz-entscheidungen der Handelsunternehmen vor-zubereiten, den Kommunen in Form von Einzel-handelsgutachten Steuerungsmöglichkeiten andie Hand zu geben sowie die Konsequenzenveränderter Konsum- und Einkaufsgewohnhei-ten für die Siedlungs- und Verkehrsplanung

aufzuzeigen, hat die Zentralitätsforschung inDeutschland vor allem im Bereich der Raumord-nung und Landesplanung Anwendung gefun-den. Ging es in den sechziger und siebziger Jah-ren vor allem darum, die Lebensverhältnisse imländlichen Raum durch ein gestuftes Systemzentraler Orte zur Versorgung der Bevölkerungin der Fläche zu verbessern (Deiters 1996a: 26f.),dient das zentralörtliche Konzept heute der Er-haltung der dezentralen (polyzentrischen) Sied-lungsstruktur in Deutschland. Nach der gelten-den Fassung des Raumordnungsgesetzes istdie „Siedlungstätigkeit räumlich zu konzentrie-ren und auf ein System leistungsfähiger Zentra-ler Orte auszurichten“ sowie „die soziale Infra-struktur vorrangig in Zentralen Orten zu bün-deln“ (§ 2 Abs. 2 ROG). In Verdichtungsräumensollen zentrale Orte zur Entlastung der Kernstäd-te und in ländlichen Räumen zur regionalwirt-schaftlichen Entwicklung beitragen.

Darüber hinaus dient das Zentrale-Orte-Konzeptden Trägern der Regional- und Bauleitplanung alsInstrument, die Ansiedlung großflächiger Einzel-handelsbetriebe zu steuern, indem versucht wird,deren Größe (Verkaufsfläche), Sortimentsstrukturund Mikrostandort (städtebaulich integriert odernicht integriert) mit der zentralörtlichen Funktionder Ansiedlungsgemeinde in Einklang zu bringen(Seimetz 1999). Um die raumordnerische Beurtei-lung nicht der Einzelfallentscheidung zu überlas-sen, haben kommunale oder regionale Planungs-träger in Verdichtungsräumen eigenständige Zen-trenkonzepte entwickelt, die das Vakuum der weit-maschigen Netze zentraler Orte der Landes- undRegionalplanung orts- bzw. standortbezogen aus-füllen (Priebs 1999b, Mensing 1999). Wie wenigkompatibel das überkommene, auf dem Territorial-prinzip beruhende Konzept der Raumordnung (Ge-meinden als zentrale Orte) mit den neuen, die tat-sächlichen Standortbereiche betreffenden Zen-trenkonzepten für Verdichtungsräume ist, zeigendie Ergebnisse der beiden letzten Jahrestagungendes Arbeitskreises „Zentralität“ 1998 und 1999(vgl. Priebs 1999a, Deiters 1999).

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3. Zentralitätsforschung am Ende?

Dem früheren Arbeitskreis Zentralität kommt dasVerdienst zu, eine kritische Bestandsaufnahmevon Theorie und Konzeption der zentralen Ortesowie der darauf aufbauenden Forschungs- undPlanungspraxis vorgenommen zu haben. Die Jah-restagung 1995 in Blaubeuren stand unter der pro-vozierenden Fragestellung, ob die Zentralitätsfor-schung angesichts der neuen Herausforderungfür die Raumordnung im vereinten Deutschlandnicht ein „alter Hut“ sei (Gebhardt 1996a). Blote-vogel (1996a) und Deiters (1996a) setzten sich mitden theoretischen Grundlagen und raumpoliti-schen Implikationen zentralörtlicher Systemeauseinander. Priebs (1996) fragte nach deren Ver-einbarkeit mit dem neuen Instrument der Städte-netze, und Giese (1996) zeigte in Anknüpfung anden alten, auf Christaller zurückgehenden Me-thodenstreit neue Wege der Zentralitätsbestim-mung auf. Die Idee offener, entwicklungsbezogenerNetzwerkansätze der Städtekooperation wurde vonStiens (1996) weitergeführt mit dem Ziel, dieGrundlagen für ein neues Raumordnungskonzept„europäischer Metropolregionen“ zu schaffen.Gebhardt (1996b) konstatierte schließlich einebedenkliche Realitätsferne der herkömmlichenErklärungsansätze und plädierte für eine „verhal-tensorientierte“ Zentralitätsforschung.

Der bereits erwähnte Ad-hoc-Arbeitskreis „Fort-entwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts“ derAkademie für Raumforschung und Landespla-nung legte nach mehrjähriger Arbeit 2002 seineErgebnisse und Empfehlungen vor (Blotevogel2002a). Die auf empirische Befunde der Einzelhan-dels- und Konsumforschung gestützten Beiträgein diesem Band gelangen zum einen zu demSchluss, dass es angesichts der zunehmendenMehrfachorientierung des Einkaufsverhaltens(auch im ländlichen Raum) und der Auflösungüberkommener Zentrenstrukturen durch neueStandortgemeinschaften des Einzelhandels(„Cluster“) heute nicht mehr sinnvoll sei, von„zentralen Orten“ oder gar von abgrenzbaren

„zentralörtlichen Bereichen“ zu sprechen (Geb-hardt 2002: 99f.). Zum anderen wird die Auffas-sung vertreten, dass das Zentrale-Orte-Konzept alsInstrument der Raumordnungspolitik im alten Bun-desgebiet Fehlentwicklungen wie in den neuenLändern kurz nach der Wende verhindern konnte,dass es zur Steuerung der Standortentwicklung inVerdichtungsräumen aber dringend der Ergänzungdurch regionale Zentrenkonzepte bedürfe und dassdie Maßstäbe zur planerischen Beurteilung vonEinzelhandelsgroßprojekten verbessert werdenmüssten (Miosga 2002a: 87f.). Die Deregulierungvon Märkten und die Privatisierung ehemals öffent-lich erbrachter Dienstleistungen tragen dazu bei,dass die Bindungswirkung der in Plänen und Pro-grammen festgelegten Ziele für zentrale Orte wei-ter abnimmt (Danielzyk und Dittmeier 2002).

Auf eine zumeist übersehene Schwäche bei derUmsetzung des Zentrale-Orte-Konzepts in derPraxis hat Genosko (2002) hingewiesen: Die mitImagegewinn und Entwicklungschancen verbun-dene und daher von den Politikern begehrte Ein-stufung ihrer Kommune als „zentraler Ort“ resul-tiert nicht allein aus der einheitlichen Anwendungobjektiver Bewertungskriterien, sondern ist nichtselten das Ergebnis politischer Aushandlungs-prozesse, in denen auch Macht und Eigennutzder Akteure eine Rolle spielen. Somit wird die Pla-nung zentraler Orte zum Gegenstand der Politi-schen Geographie. Welche Interpretations- undHandlungsspielräume sich den Kommunal- undLandespolitikern dabei eröffnen und in welchemMaße sie zur Durchsetzung bestimmter Interes-sen genutzt werden, zeigen Fallbeispiele der kom-munalen Gebietsreform (Reuber 1996).

Blotevogel (2002b) hält die Raumordnungsaufga-be zentraler Orte in Deutschland, durch Sicherungder Daseinvorsorge die Gleichwertigkeit der Le-bensverhältnisse in allen Teilräumen zu gewähr-leisten, mittlerweile für obsolet, möchte aber amZentrale-Orte-Konzept als Grundgerüst für einenachhaltige Raumentwicklungspolitik (als Leitbildder „kompakten Stadt“, zur Schaffung verkehrs-

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armer Siedlungsstrukturen u. dgl.) festhalten. Einesolche Einschätzung verkennt, dass die Siche-rung der Grundversorgung in dünn besiedeltenländlichen Räumen bzw. in Räumen mit Entlee-rungstendenzen zu einer neuen Herausforderungfür die Raumordnung und Landesplanung gewor-den ist. Nicht erst die jüngsten Untersuchungenaus dem Bundesamt für Bauwesen und Raumord-nung über die Konsequenzen des demographi-schen Wandels für die zentralörtlichen Systemeder Landesplanung zeigen, dass der Abgesangauf ein traditionsreiches Instrument deutscherRaumordnungspolitik verfrüht wäre. Mit Hilfe ei-nes Standortoptimierungsmodells wird aufge-zeigt, welche Ober- und Mittelzentren künftignoch tragfähig sind und wie das zentralörtlicheVersorgungsnetz den absehbaren Entwicklungenvon Bevölkerung und Wirtschaft angepasst wer-den kann (Pütz und Spangenberg 2006). Zuvorhatte Güßefeldt (1997) auf methodisch ähnlicheWeise das Netz der Unter- und Kleinzentren inNordthüringen unter dem Gesichtspunkt der Er-reichbarkeit bewertet und war zu dem Schluss ge-langt, dass zentralörtliche Systeme auch künftigunverzichtbar seien. Zur Anpassung an die sichverändernden räumlichen Rahmenbedingungenbedarf das Konzept aber einer flexibleren Handha-bung durch die Planungsträger sowie der Ergän-zung durch alternative (nicht ortsgebundene) An-gebotsformen und Kooperation der Gebietskörper-schaften (MKRO-Empfehlung vom 28.04.2005).

4. Geographische Handelsforschung –der Neubeginn

Im Kontrast zur „Endzeitstimmung“, die über demZentrale-Orte-Konzept und der zugehörigen Zen-tralitätsforschung als Angewandte Raumwissen-schaft liegt, wirken die Forschungs- und Arbeits-schwerpunkte der geographischen Handelsfor-schung, wie sie aus Anlass der Gründung des Ar-beitskreises „Geographie und Einzelhandel“ 1996formuliert wurden (Pütz und Schröder 1997), wieein Neubeginn – als Modernisierungsstrategie zur

Überwindung eines überholten Paradigmas. DieAusgangslage für eine Neuausrichtung der For-schung ist weithin bekannt. So ist das Konsumen-tenverhalten durch soziale Polarisierung einerseitsund zunehmende Segmentierung der Nachfrageandererseits gekennzeichnet. Nicht soziodemogra-phische Merkmale prägen heute das Konsumver-halten, sondern Lebensstile. Für die Einkaufsstät-tenwahl spielen herkömmliche Kriterien der Erreich-barkeit kaum mehr eine Rolle. Mehrfachorientierun-gen sind mittlerweile auch für ländlich geprägteRäume charakteristisch. Einkäufe lassen sich immerweniger als zweckrationale Versorgungsvorgängeerklären. In ihrem Forschungsbericht waren Pützund Schröder (2004) zu der Einschätzung gelangt,dass sich im angloamerikanischen Sprachbereichseit Anfang der achtziger Jahre ein neues For-schungsfeld entwickelt habe, das man als „Geogra-phie des Konsums“ bezeichnen könne.

Auf der Anbieterseite bestimmen Konzentrations-tendenzen im Einzelhandel, neue Betriebs- undVermarktungsformen (Klein 1997), vertikale Ko-operationen zwischen Handel, Lieferanten und derKonsumgüterindustrie sowie veränderte Konzep-te der Distributionslogistik die Dynamik diesesSektors. Die neuen Handelsstrukturen entwickelnsich zum Teil unabhängig von der räumlichenNachfrageverteilung und sind politisch-adminis-trativ kaum mehr zu beeinflussen. Aus Sicht derPraxis besteht Bedarf an wissenschaftlich fundier-ten Methoden und Modellen zur Standortbewer-tung sowie zur Bestimmung relevanter Absatzpoten-ziale und Kundengruppen spezifischer Marktseg-mente. Darüber hinaus bewirkt die fortschreitendeInternationalisierung des Einzelhandels eine Be-schleunigung des Strukturwandels und weitere Ver-änderungen im Standortsystem (Pütz 1998, Gotter-barm 2004). Im Fokus der herkömmlichen Zentrali-tätsforschung hätten solche Wandlungsprozesseund deren raumstrukturelle Auswirkungen nichtangemessen erfasst und erklärt werden können.

Mit ihrem Studienbuch „Geographische Handelsfor-schung“ haben Heinritz, Klein und Popp den zuvor

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abgesteckten Rahmen einer neuen Geographie desEinzelhandels systematisch ausgefüllt und mit zahl-reichen empirischen Befunden und PraxisbeispielenAnstöße für die weitere Forschung und Anwendunggegeben (Heinritz et al. 2003). Bezeichnenderweiseknüpfen die Autoren an die „Marketing Geography“in den USA an, die mit Reilly’s „Law of Retail Gra-vitation“ 1931 und der dadurch ausgelösten Welleinteraktionstheoretischer Erklärungsansätze zumEinkaufsverhalten begann und die sich in zahlreichenUntersuchungen der vierziger und fünfziger Jahrezur Standortwahl im Einzelhandel fortsetzte (Nel-son 1958). Die Positionsbestimmung der geogra-phischen Handelsforschung in Deutschland erfolgtin deutlicher Distanzierung von der herkömmli-chen Zentralitätsforschung, was sich schon da-ran zeigt, dass das 1979 erschienene, im Buch-handel noch immer erhältliche Standardwerk vonHeinritz (Zentralität und zentrale Orte) in demneuen Buch noch nicht einmal erwähnt wird.

Im angloamerikanischen Sprachbereich hat es einegetrennte Entwicklung von Zentralitätsforschungund Einzelhandelsgeographie nie gegeben (vgl. z.B.Berry 1967). Das ist vermutlich darauf zurückzu-führen, dass das System zentraler Orte in der stren-gen Deduktion von August Lösch bereits in denfünfziger Jahren Eingang in die amerikanische Re-gionalwissenschaft und Geographie fand (Lösch1940: 91ff., englische Ausgabe 1954; die Überset-zung von Christallers Werk von 1933 erschien inden USA erst 1966) und dass der geniale Grund-gedanke Christallers nicht durch missbräuchlicheZweckanwendung (wie im Dritten Reich bei Pla-nung und Aufbau der eroberten Ostgebiete) oderdurch Überforderung seiner raumpolischen Impli-kationen (wie in der deutschen Landesplanung derNachkriegszeit) verdeckt wurde.

5. Verhaltenswissenschaftliche Erneuerungder Theorie zentraler Orte?

In der Auseinandersetzung mit der Theorie Chris-tallers hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Ver-

haltensrestriktionen zu lockern, innere Wider-sprüche zu beseitigen und das Zentrale-Orte-System mit neueren Erkenntnissen der Raumwirt-schaftstheorie in Einklang zu bringen. Die Erwar-tungen, die mit der Propagierung der „New Eco-nomic Geography“ geweckt wurden, konntennicht erfüllt werden, denn auch deren Modellestehen in der Tradition der ökonomischen Neo-klassik (vgl. Güßefeldt 2003, 2005). Es gibt Bemü-hungen, die Herausbildung hierarchischer Städte-bzw. Zentrensysteme historisch-evolutionär(Morrill 1962, Böventer 1979), wachstumstheore-tisch (Lange 1972), mit Hilfe stochastischer Mo-delle (Curry 1967, Deiters 1978, Güßefeldt 1980)oder systemtheoretisch zu erklären. Von einzelnenAnsätzen und Lösungsvorschlägen abgesehen, istdie Frage weiterhin offen, welche Konsequenzensich aus einer verhaltenswissenschaftlichen Grund-legung der Theorie zentraler Orte für die Strukturund Entwicklung zentralörtlicher Systeme ergeben.

Kann also die geographische Konsum- undHandelsforschung dazu beitragen, die Theoriezentraler Orte in diesem Sinne zu reformulieren?Für die weitere Erörterung ist es zweckmäßig,zwei zumeist synonym verwendete Begriffe zuunterscheiden. Als „Systeme zentraler Orte“ sollenallein die modellhaften Vereinfachungen derTheorie in Form der bekannten Hexagonal-schemata Christallers bezeichnet werden. „Zen-tralörtliche Systeme“ sind demgegenüber dierealen Standortmuster von Einzelhandel undDienstleistungen, deren Struktur/Organisationentweder Gegenstand empirischer Analyse oderZiel der Raumplanung (Zentrenkonzepte) ist.

5.1 Konsumentenverhalten I:Ökonomische Rationalität – neu interpretiert

Die Verhaltenspostulate der Theorie zentraler Orteleiden nicht nur unter ihrem mangelnden Realitäts-bezug, sondern auch an inneren Widersprüchen.Unter der Maxime, durch den Erwerb von Kon-sumgütern einen größtmöglichen Nutzen zu erzie-

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len, sind die Nachfrager bestrebt, die Kosten beideren Beschaffung so gering wie möglich zu hal-ten. Da unter Bedingungen des vollkommenenWettbewerbs für jedes Gut nur ein Preis (derMarktpreis) existiert, gilt es, die Kosten für denEinkaufsweg (Raumüberwindung) zu minimieren.Unter Bedingungen der räumlichen Homogenitätist dies nach Christaller (1933) immer dann derFall, wenn zum Erwerb zentraler Güter der jeweilsnächstgelegene Angebotsort aufgesucht wird.Das folgt aus dem Konzept der Reichweite zen-traler Güter als „Entfernung, bis zu der die dis-perse Bevölkerung ein in einem zentralen Ort an-gebotenes Gut gerade noch erwirbt“ (Christal-ler 1933: 54). Diese als „nearest centre“-Hypo-these bekannte Verhaltensannahme weicht sooffensichtlich von den Grundsätzen rationalenVerhaltens ab, dass man sich fragen muss, obbei Zurückweisung dieser Hypothese die vonder Theorie implizierten Eigenschaften zentral-örtlicher Systeme noch Bestand haben.

Diese Frage wurde in den USA schon früh anhandeines Modellexperiments beantwortet, das imdeutschen Sprachbereich kaum Beachtung fand.Gestützt auf Kundenbefragungen zur Erfassungtatsächlicher Wahlentscheidungen bei mehrerenEinkaufsmöglichkeiten, leitete Rushton (1969,1971) mit Hilfe der multidimensionalen Skalierungeine hypothetische Präferenzstruktur ab, die zeigt,wie sich Konsumenten bei der Abwägung zwi-schen Attraktivität und Entfernung alternativerEinkaufsorte jeweils entscheiden würden (Fig. 1).Alternativen, die auf derselben Indifferenzkurveliegen, werden als gleich bewertet; die Kurven-schar repräsentiert verschiedene, von rechts nachlinks zunehmende Nutzenniveaus. Der Modell-simulation liegt das klassische System zentralerOrte (k=3) mit vier Rangstufen und sechs zentra-len Gütern zugrunde, die sich nach der Mindest-größe ihrer Absatzgebiete unterscheiden.

Das räumliche Präferenzmodell verändert dieAusgangsstruktur in charakteristischer Weise.Am auffälligsten sind das Verschwinden zentra-

ler Orte der untersten Stufe in der Nachbarschaftdes ranghöchsten Zentrums und der Bedeutungs-verlust zentraler Orte mittlerer Ordnung (um jeweilseine Rangstufe) zwischen jeweils zwei ranghöhe-ren Zentren. Die räumlichen Präferenzen der Kon-sumenten haben im Experiment die ursprünglicheRangordnung und Verteilung zentraler Orte sostark verändert, dass auch für reale Zentren-systeme angenommen werden muss, dass derenhierarchischer Aufbau nicht festen Regeln (wiek=3, k=4 usw.) folgt. Die Anzahl der einanderjeweils hierarchisch zugeordneten zentralen Orteist von Rangstufe zu Rangstufe unterschiedlich,weil die Bedeutung eines zentralen Ortes nicht nurvon seinem Rang (im Sinne des Modells), sondernauch davon abhängt, welche höherrangigen Zen-tren sich jeweils im Umkreis befinden.

Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht wird häu-fig darauf hingewiesen, dass die raumstrukturelleDifferenzierung des Konsumentenverhaltens we-niger durch die klassischen Faktoren wie Lage undErreichbarkeit der Einkaufsorte als vielmehrdadurch bestimmt wird, dass sich Einkäufe undBesorgungen in unterschiedlichen Zeitintervallenvollziehen (Bacon 1984). Die unterschiedliche Ein-kaufshäufigkeit bestimmter Güter (Gütergruppen)trägt maßgeblich zu Agglomerationseffekten imEinzelhandel und zur hierarchischen Organisationdes Warenangebots bei. Wie das folgende einfa-che Beispiel zeigt, lässt sich damit die Theorie zen-traler Orte wieder auf den Boden ökonomischerRationalität zurückführen, den Christaller mit sei-nem Reichweite-Begriff verlassen hatte. Gegebenseien drei zentrale Güter, die regelmäßig, aber inunterschiedlichen Zeitintervallen, eingekauftwerden (Tab. 1). Gut 1 wird in Ort A, Gut 2 in Ort Bund Gut 3 in Ort C angeboten, wobei A die untere,B die mittlere und C die obere Rangstufe zentralerOrte repräsentiert (Ort A ist dem Käufer am nächs-ten, C am weitesten entfernt).

Da das Gut 1 nicht nur im Ort A, sondern auch inden Orten B und C angeboten wird, ist es unterdem Gesichtspunkt der Minimierung des Wege-

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aufwandes (Transportkosten) geradezu zwin-gend, Gut 1 immer dann im Ort B oder C einzu-kaufen, wenn man sich dort zum Einkauf desGutes 2 bzw. 3 aufhält. Entsprechendes gilt fürGut 2 in Bezug auf die Orte B und C (Tab. 2).

Diesem Beispiel zufolge würde man im größtenzentralen Ort (C) sogar häufiger einkaufen als in

den kleineren Orten (B bzw. A) – entgegen denImplikationen von Christallers Theorie, wonachKonsumenten die ihnen zugeordneten Zentrenumso seltener aufsuchen, je höher deren Rang inder Hierarchie ist. Nicht die Reichweite zentralerGüter – als räumliche Distanz zwischen Angebotund Nachfrage – bestimmt also den Aufbau zen-tralörtlicher Systeme, sondern die zeitliche Ver-

Fig. 1 Räumliche Präferenzstruktur der Konsumenten (nach Rushton 1971, Fig. 5; Quelle: King 1984, Fig. 5.1)Consumers’ spatial preference structure (after Rushton 1971, Fig. 5; source: King 1984, Fig. 5.1 )

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teilung der Konsumnachfrage in Verbindung mitder Möglichkeit, mehrere Besorgungen auf einemWeg miteinander zu verknüpfen.

5.2 Konsumentenverhalten II:Besorgungskopplung und

Mehrfachorientierung

Die Verhaltenstendenz, zur Vermeidung unnö-tiger Wege mehrere Aktivitäten in einem Besor-gungsgang miteinander zu verknüpfen, ist seitlangem bekannt. Sie fand in der aktionsräumli-chen Forschung in den siebziger Jahren starkeBeachtung, allerdings unter Hervorhebung derRestriktionen, die sich dem Einzelnen bei derBewältigung alltäglicher Verpflichtungen undTätigkeitsmuster – nicht nur bei Einkäufen undBesorgungen – entgegenstellen (Heinritz 1979:126ff.). In Zentralitätsuntersuchungen konnteKopplungsverhalten häufig bestätigt werden.Kundenbefragungen im Umkreis dreier Filialeneines großen deutschen Textil- und Beklei-dungsunternehmens durch Heinritz und Theis

(1997) haben ergeben, dass das Kopplungs-potenzial nicht nur von der Vielfalt des örtlichenAngebots, sondern auch von der Dichte der Be-triebe (kurze Wege) im Aktionsraum der Kun-den abhängt. Am stärksten „koppeln“ jüngereund ältere Kunden (unter 30 bzw. über 60 Jahre)ihre Besorgungen, wobei Impuls- und Spontan-käufe eine besondere Rolle spielen. Kopplungs-vorteile bestehen auch dann, wenn mehrereZentren oder Standortbereiche von den Kundenwechselseitig aufgesucht werden. Innenstadt-nahe Einkaufszentren können durch solcheKopplungsbeziehungen sogar zur Stärkung desCity-Einzelhandels und damit zur Erhöhung derGesamtattraktivität der Stadt als Einkaufsstand-ort beitragen (Popp 2002: 93ff.). Generell ist fest-zustellen, dass vielfältig ausgestattete Stand-orte mit hohem Kopplungspotenzial zusätzlicheKunden gewinnen, während Einkaufsorte mitvergleichsweise geringen Kopplungsmöglich-keiten Marktanteile verlieren.

In den USA spielen Untersuchungen zum Kopp-lungsverhalten (multi-purpose shopping beha-

Tab. 1 Einkaufshäufigkeit zentraler Güter / Purchasing frequencies of different central goods

1. Woche 2. Woche 3. Woche 4. Woche 5. Woche 6. Woche 7. Woche

Gut 1 x x x x x x x

Gut 2 x x x x

Gut 3 x x x

1. Woche 2. Woche 3. Woche 4. Woche 5. Woche 6. Woche 7. Woche

Gut 1 C A B C B A C

Gut 2 C B B C

Gut 3 C C C

x = Einkauf

Tab. 2 Einkaufsorte der zentralen Güter im Zeitverlauf / Different shopping locations for central goods in time

A, B, C = Einkaufsorte unterschiedlicher Größe/Rangordnung, wobei C > B > A

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vior) eine wichtige Rolle zum besseren Verständ-nis aktueller Einkaufsorientierungen im Wettbe-werb der Einkaufszentren. Da das Kopplungs-potenzial mit der Anzahl der ansässigen Betrie-be und der Vielfalt ihres Waren- und Dienst-leistungsangebots zunimmt, sind Größe, Aus-stattung und Image der Einkaufszentren diewichtigsten Bestimmungsgründe für die Zen-trenwahl. Unterschiedliche Entfernungen spie-len dabei für Pkw-Nutzer kaum noch eine Rolle,wie Untersuchungen im Einzugsbereich regiona-ler Einkaufszentren in den USA mit Hilfe von Gra-vitationsmodellen belegen. Die Distanzvariableträgt nur noch wenig zur Erklärung des räumli-chen Einkaufsverhaltens bei, was sich daranzeigt, dass erst bei Distanzexponenten deutlichunter 1,0 die relativ beste Modellanpassung er-zielt werden konnte (Eppli und Shilling 1996).

Ausgehend von der mikroökonomischen Kon-sumtheorie und der Modellierung diskreter Ent-scheidungen hat sich ein Forschungsfeld entwi-ckelt, in dem es um die Erklärung und Prognoseraumbezogenen Entscheidungsverhaltens vonKonsumenten geht und darum, Planer und In-vestoren bei der Standortsuche und Belegungvon Einkaufszentren zu beraten. Dabei spielt dieKopplung von Besorgungen, auch entlang vonWegeketten (multi-stop shopping), eine beson-dere Rolle. Maßgeblichen Anteil an der Modell-entwicklung und -anwendung im Rahmen einerneuen Verhaltensgeographie hat Timmermans(1980, 1988, 2002). Die Modelle unterstellen in derRegel, dass die Entscheidungen der Akteure (z.B.für bestimmte Einkaufsorte oder Besorgungs-ketten) Ausdruck einer konsistenten Nutzen-abwägung sind und dass verschiedene Hand-lungsalternativen in unterschiedlicher Weise zumangestrebten Gesamtnutzen des Individuumsbeitragen. Der Nutzen U, der mit einer bestimm-ten Handlungsalternative c (Kombination be-stimmter Güter und Orte beim Einkauf) verbun-den ist, ergibt sich wie folgt

(1)

wobei xj(c) der Teilnutzen (subjektive Bewertung)

des Attributs j der Handlungsalternative c, derempirisch zu bestimmende Parameter für das At-tribut j und ein Fehlerterm ist. Als Entschei-dungsmodelle kommen zumeist multinomialeLogit-Modelle vom Typ

(2)

zur Anwendung, wobei die Wahrscheinlich-keit für die Wahl der Alternative r aus der Ge-samtheit aller Wahlmöglichkeiten A ist. Vr be-zeichnet den Nutzen der Alternative r (r’ sind alleElemente aus A); exp (V) bedeutet Exponential-funktion von V, d.h. der Nutzen geht als natür-licher Logarithmus ins Modell ein (Timmermans1997: 1080). Die Formel erinnert an das probabi-listische Gravitationsmodell von Huff (1963), indem die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Ein-kaufszentrum aufzusuchen, nicht allein von des-sen Größe und Entfernung abhängt, sondernvon der Anziehungskraft aller übrigen Einkaufs-zentren im Umkreis des Konsumenten. Logit-Modelle beziehen sich jedoch auf die indivi-duellen Bestimmungsgründe des Einkaufsver-haltens und ermöglichen die multiple Analysequalitativer (nominalskalierter) Variablen.

Beispielhaft seien einige Ergebnisse der Arbeitenvon Timmermans und Mitarbeitern vorgestellt. Soergab die Analyse abhängiger Entscheidungen,dass der Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfsin Verbindung mit solchen des periodischen Be-darfs in größerer Entfernung davon abhängt, wieman im Vergleich dazu die wohnnahe Deckungdes täglichen Bedarfs beurteilt. Schon die Ab-sicht, Einkäufe von Gütern verschiedener Ord-nung auf einem Weg zu erledigen, beeinflusst dieWahl des Einkaufsziels (Arentze et al. 1993). Einweiterer Befund kann für Planer und Zentrenbe-treiber wichtig sein: Größere, gut erreichbare Ein-kaufsmöglichkeiten werden kleineren oder nichtso gut erreichbaren in der Regel vorgezogen, dochkönnen solche Defizite durch einen attraktivenMix des Waren- und DienstleistungsangebotsUc = j j xj

(c) j = 1, 2, …, J

p(r r) r’ exp(Vr’)

p(r

j

2006/4 Von der Zentralitätsforschung zur geographischen Handelsforschung 303

ausgeglichen werden (Oppewal et al. 1997). Aufder Basis von Daten über die Einkaufshäufigkeitausgewählter Gütergruppen und die dafür rele-vanten Angebotsstandorte in Maastricht (NL)wurde unter Zuhilfenahme von GIS-Software er-mittelt, dass Einkaufsfahrten bei weitgehenderKopplung von Besorgungen (multi-purposeshopping trips) gegenüber denen, die sich immernur auf eine Güterart beziehen (single-purposeshopping trips), zu einer Reduktion der Fahrt-kosten (jeweils kürzeste Straßenverbindung) um36 % führen. Während die durchschnittlich zu-rückgelegten Wege im Kopplungsfall geringfügiglänger sind, resultiert die Kostenminderung ge-genüber Einzelkäufen ausschließlich aus dergeringeren Anzahl notwendiger Einkaufsfahrten(-38 %) (Arentze et al. 1994). Dieser Befundunterstreicht noch einmal die Bedeutung der Ein-kaufshäufigkeit für die Entscheidung, wo dieBesorgungen jeweils erfolgen.

Der Einsatz diskreter Entscheidungsmodelle aufdas räumliche Einkaufsverhalten geht insofernüber herkömmliche Kunden- oder Haushalts-befragungen und deren Auswertung hinaus, alsdie „Geographie des Konsums“ damit denSchritt von einer Verhaltens- zur Handlungs-wissenschaft (im Sinne von Werlen 1987) voll-zieht. Hier sind auch die von Günter Löffler an-gestoßenen und von Rauh und Schenk weiter-geführten Arbeiten zur Simulation von Kauf-kraftströmen auf der Basis individueller Ein-kaufsentscheidungen einzuordnen. Im Unter-schied zu den obigen Modellen soll die expliziteBerücksichtigung des Distanzwiderstandesdazu beitragen, räumliche Einkaufsmuster abzu-bilden. Der verfolgte Lösungsansatz bestehtdarin, Anbieter und Nachfrager von Gütern als„Agenten“ innerhalb eines Systems mit definier-ten Regeln (Verhaltensnormen und Präferenzen)zu modellieren (Multiagentensysteme). Erste Er-gebnisse der Modellanwendung in der Testre-gion Umeå (Nordschweden) für den Lebensmittel-bereich lassen erwarten, dass sich dieser Ansatzzu einem wichtigen Instrument der Erklärung

und Prognose räumlicher Einkaufsorientierun-gen entwickeln wird (Löffler et al. 2005).

Eine weitere, von herkömmlichen Erklärungsmus-tern abweichende Verhaltensweise der Konsu-menten besteht darin, für bestimmte Güter mehre-re, ähnlich ausgestattete und etwa gleich gut er-reichbare Einkaufsorte wechselweise aufzusu-chen. Ähnlich wie zuvor in mehrkernigen Verdich-tungsräumen, wo Hommel (1974) am Beispiel desRuhrgebiets die „Mehrfachausrichtung“ erstmalsnachweisen und untersuchen konnte, hat die Ver-besserung der Erreichbarkeit in ländlich gepräg-ten Gebieten (private Motorisierung und Straßen-bau) dazu geführt, dass die Konsumenten inner-halb ihrer Aktionsräume zumeist zwischen mehre-ren Einkaufsorten bzw. Einkaufsstätten ver-gleichbarer Ausstattung wählen können. Die Un-tersuchungen von Geischer (1998) in Baden-Württemberg haben ergeben, dass Güter des pe-riodischen und episodischen Bedarfs (insb. Klei-dung, Unterhaltungselektronik) wechselweise inverschiedenen, entsprechend ausgestatteten Or-ten eingekauft werden und dass es in diesem Zu-sammenhang zur Funktionsstärkung ehemals klei-nerer Zentren gekommen ist, die damit in Kon-kurrenz zu höherrangiger Zentren treten. Geb-hardt (1996b, 2002) weist darauf hin, dass dieMehrfachorientierung bei Einkäufen in Verbin-dung mit neuen Standorttendenzen des Einzel-handels (Clusterbildung) zur Überlagerung vonEinzugsbereichen führt und damit zur Aushöh-lung des zentralörtlichen Ordnungssystems derLandes- und Regionalplanung beiträgt.

Zum Abschluss des kurzen Überblicks über neu-ere Forschungsansätze und empirische Befundezum räumlichen Konsumentenverhalten kann alsZwischenfazit festgehalten werden, dass sich dieEinkaufswirklichkeit inzwischen so weit vom Er-klärungsrahmen der klassischen Theorie zentra-ler Orte – auch von deren Dynamisierung, dieChristaller (1933: 86ff.) für den „wirklicheren Teil“seiner Theorie hielt – entfernt hat, dass es hierkeinen Brückenschlag von der herkömmlichen

304 Jürgen Deiters DIE ERDE

Zentralitätsforschung zur neuen „Geographie desKonsums“ geben kann. Vielmehr zeigt sich, dassheutige Verhaltensmuster der Konsumenten diehierarchische Struktur zentralörtlicher Systeme sostark verändern, dass bereits von deren Auflösungdie Rede ist. Doch blieb bisher die Frage offen, wiees überhaupt zur Herausbildung und Fortentwick-lung einer Hierarchie zentraler Orte kommt.

5.3 Unternehmerverhalten I:Markteintritt und Hierarchie zentraler Orte

Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie sichder Markteintritt der Anbieter zentraler Güter imRaum vollzieht. Ausgangspunkt für den Auf-bau eines hierarchischen Systems zentraler Ortesind die kleinsten, mit Löschs Nachfragekegelabgeleiteten Marktgebiete, deren gleichmäßigeräumliche Verteilung mit den Bedingungen desmonopolistischen (unvollkommenen) Wettbe-werbs erklärt wird. Im Unterschied zum vollkom-menen Wettbewerb besteht auch bei ansonstenidentischen Güterangeboten die Präferenz derNähe (Fittkau 2004: 13ff.). MonopolistischeKonkurrenz wird für das gesamte zentralörtlicheSystem unterstellt, denn zentrale Orte sind aufallen Ebenen die ausschließlichen Angebotsor-te für die sie jeweils umgebenden Marktgebie-te. Ähnlich wie das theoretische Modell desvollkommenen (polypolistischen) Marktes sindauch unvollkommene (monopolistische) Märk-te eine Fiktion. Voraussetzungen wie atomisti-sche Marktstruktur (viele kleine Anbieter undNachfrager), Homogenität der angebotenenGüter (keine Käuferpräferenzen) oder vollstän-dige Markttransparenz sind in der Realitätebenso wenig erfüllt wie die Bedingung, dassProduktionsfaktoren (hier: Verkaufseinrich-tungen) beliebig teilbar und mobil sind. Wieist es dann möglich, auf solchen Prämissen eineTheorie der Rangordnung und Verteilung städ-tischer Siedlungen (als Standorte des tertiärenSektors) aufzubauen, die – wie zahlreiche em-pirische Untersuchungen zeigen – wichtige

Aspekte der siedlungsstrukturellen Wirklich-keit offenbar zutreffend erklärt?

Lösch (1940: 91ff.) hat Christallers System zentra-ler Orte als Sonderfall seines Modells der „Wirt-schaftslandschaft“ eingestuft und kritisiert, dassdie „Einfachheit“ dieses Strukturbilds zwar „etwasBestechendes“ für die Planung habe, aber „aufKosten der Wirtschaftlichkeit“ gehe, da viele Gü-ter „in einem vereinfachten System unnötig großeMärkte“ erhielten. Gemeint sind zentrale Güter, de-ren Mindestgröße des Absatzgebietes („untereGrenze der Reichweite“) jeweils zwischen den Hie-rarchiestufen liegt. Für Anbieter von Gütern, de-ren potenzielle Absatzgebiete sogar ein Vielfachesder benötigten Mindestkundenzahl umfassen, er-öffnen sich Möglichkeiten zu internen und exter-nen Ersparnissen (durch Größenvorteile und Ab-satzagglomeration). Da solche Effekte mit der Grö-ße zentraler Orte zunehmen und die Ausweitungihrer Einzugsbereiche dabei eine besondere Rollespielt, nennt Christaller (1933: 60) sie „die räumli-che Projizierung der Unternehmergewinnspanne“.Damit verletzt er zwar wichtige Grundsätze der neo-klassischen Raumwirtschaftslehre (wie Abwesen-heit externer Effekte und Verschwinden „außeror-dentlicher Gewinne“), gewinnt jedoch den ange-strebten Realitätsbezug seiner Theorie, deren Zielbekanntlich darin bestand, die Siedlungsstrukturin Deutschland ökonomisch zu erklären.

Christallers Ansatz beruht auf der Leitidee, dasssich der Markteintritt von Anbietern zentraler Gü-ter mit wachsender Mindestgröße des Absatz-gebietes (Mindestkundenpotenzial) räumlich dis-kontinuierlich – gewissermaßen in Sprüngen – voll-zieht. Das ist zum einen auf die vorhandene Sied-lungsstruktur zurückzuführen, die dem Markt-system gedanklich zugrunde liegt; zum anderen giltdas kumulative Prinzip, wonach beim Aufbau derHierarchie von unten nach oben als zentrale Ortehöherer Ordnung (also für Güter, die ein größeresMarktgebiet als bisher erfordern) nur solche zen-tralen Orte in Betracht kommen, deren Markt-gebietsgröße den Absatz aller bisher im Markt be-

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findlichen Güter erlaubt. Die zentralen Orte höhe-rer Ordnung sind in einem regulären Netz so ver-teilt, dass ihre Einzugsbereiche mindestens dasDreifache der bisherigen Marktgebiete umfassen.Sie erlauben den Markteintritt weiterer Anbieterzentraler Güter, deren Mindestabsatz auf dieserEbene gewährleistet ist. Für den Absatz von Gü-tern mit noch höheren Anforderungen an das Min-destkundenpotenzial im Einzugsbereich kommt eszur Herausbildung einer weiteren (höheren) Ebenezentraler Orte mit entsprechend vergrößertenMarktgebieten. Nach derselben Logik lässt sichdas System zentraler Orte auch „nach unten“ ver-dichten, indem neue Standorte des Güterangebotsdort entstehen, wo die Entfernung zu den umge-benden Angebotsorten am größten ist (bei regu-lärer Verteilung im Mittelpunkt von Dreiecken, wel-che durch die bestehenden Orte gebildet werden).

Die von Christaller angewandten „Regeln“ desMarkteintritts lassen Agglomerationsvorteile inzentralörtlichen Systemen ausdrücklich zu, dochbleibt die Frage nach Art und Ausmaß solcherEffekte weitgehend offen. Bezüglich des Ein-kaufsverhaltens war sich Christaller (1933: 55)darüber im Klaren, dass die Reichweite eines be-stimmten Gutes (als Entfernung, die Kunden fürdessen Besorgung höchstens zurücklegen) nichtkonstant ist (wie im Modell unterstellt), sondernmit der Größe und Angebotsvielfalt zentraler Ortezunimmt, weil die Vorteile der Besorgungskopp-lung den zusätzlichen Wegeaufwand aufwiegen.Da das Kopplungsverhalten keine Randerschei-nung, sondern die Normalität des räumlichen Ein-kaufsverhaltens darstellt (s. oben), hätte die Fra-ge nach den Konsequenzen für die Struktur zen-tralörtlicher Systeme nicht offen bleiben dürfen.Es spricht vieles dafür, dass die im Modell aufge-zeigten Anordnungsmuster zentraler Orte in derRealität nicht zu erwarten sind (die Suche nachÜbereinstimmung von Modell und Wirklichkeitbezüglich der k-Faktoren gibt daher wenig Sinn).

Anders verhält es sich mit der Kernaussage derTheorie, dass die Größenverteilung von Städten (als

Standorte zentraler Funktionen) kein Kontinuum bil-det, sondern in Abhängigkeit von den verschiede-nen Absatz- bzw. Versorgungsebenen in Stufenausgeprägt ist. Demzufolge müsste empirisch nach-weisbar sein, dass die Klassifikation der Städte undzentralen Siedlungen eines Gebietes nach Art undAnzahl der jeweils angebotenen zentralen Funktio-nen zu Größentypen führt, die verschiedenen Ebe-nen der zentralörtlichen Hierarchie zuzuordnen sind.Solange sich nämlich der Markteintritt von Anbie-tern zentraler Güter nach Christallers Grundprinzi-pien – wie oben beschrieben – vollzieht, sind zen-tralörtliche Systeme hierarchisch aufgebaut. Berryund Garrison (1958) haben Christallers entfer-nungsbezogene Grenzreichweiten durch die sog.Schwellenbevölkerung ersetzt, die zum Absatz eineszentralen Gutes mindestens vorhanden sein muss.Aus der gemeinsamen Rangordnung zentraler Gü-ter und Orte ergeben sich Größentypen zentraler Orte(nach der Anzahl der verschiedenen zentralen Funk-tionen), deren Existenz empirisch nachweisbar ist. Eineinfaches Beispiel zeigt das Prinzip (Tab. 3): im Fall(a) lassen sich je zwei zentrale Orte zu Größen-typen zusammenfassen und in eine Rangfolgebringen (Hypothese bestätigt); im Fall (b) be-steht kein Zusammenhang zwischen dem Rangzentraler Funktionen (nach der Häufigkeit desVorkommens) und dem der zentralen Orte (nachder Anzahl verschiedener Funktionen).

Der Hierarchie-Test stellt nur dann eine gültigeÜberprüfung der wohl wichtigsten Eigenschaftder Zentrale-Orte-Theorie dar, wenn er sich aufdie zentralen Funktionen selbst und nicht auf In-dikatoren wie Beschäftigte, Umsatz oder Ver-kaufsfläche im Einzelhandel bezieht, weil dieTheorie darüber keine Aussagen enthält (Deiters1978). Insofern stellt auch die von Christaller an-gewandte „Telefonmethode“ kein adäquatesKonzept zur Verifikation seiner Theorie dar.

Bleibt noch die Frage nach den verschiedenenAnordnungsmustern zentraler Orte. Schon Lösch(1940: 92f.) hatte darauf hingewiesen, dass Chris-tallers alternative Systeme zentraler Orte nicht

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Zentrale Orte

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Funktionen pro Ort

A + + + + + + + + + + + + - + 13 B + + + + + + + + + + - + + - 12 C + + + + + + - + + - + 9 D + - + + + + + + - + - 8 E + + + + + - + 6 F + + + - - + - 4 G + + - + 3 H + + + - 3

Anzahl Funktionen

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Funktionen pro Ort

A + + + + + + + + + + + 11 B + + + + + + + + + + 10 C + + + + + + + + + 9 D + + + + + + + + 8 E + + + + + + + 7 F + + + + + 5 G + + + + 4 H + + + + 4

Anzahl Funktionen

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anderen „Prinzipien“ (Verkehr, Verwaltung)folgen, sondern wie das „Marktprinzip“ Aus-druck ökonomischer Rationalität sind (vgl.Deiters 1982: 575f.). Während in Gebieten ge-ringer Bevölkerungs- bzw. KaufkraftdichteMittelzentren ihre Tragfähigkeit häufig erst beieinem Einzugsbereich von vier und mehr Nah-bereichszentren erreichen (im Emsland/Nieder-

sachsen entfallen auf 3 Mittelzentren 16 Grund-zentren; Heuwinkel 2002), sind Metropolregio-nen durch eine überproportional hohe Anzahlvon Mittelzentren gekennzeichnet, weil sichneben der dominanten Kernstadt keine weite-ren Oberzentren herausbilden konnten (in derRegion München und im früheren Kommunal-verband Großraum Hannover wird das Ober-

Tab. 3 Hierarchie zentraler Orte nach dem SchwellenkonzeptCentral place hierarchy according to the threshold concept

(b) Hierarchie-Hypothese nicht bestätigt

(a) Hierarchie-Hypothese bestätigt (Großtypen zentraler Orte)

+ zentrale Funktion vorhanden

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zentrum von jeweils neun Mittelzentren umge-ben; Miosga 2002b, Heuwinkel 2002).

Zentralörtliche Systeme unterliegen auch zeitlichenVeränderungen, wie Güßefeldt (1994) für Nieder-sachsen mit Hilfe der Minimum-Requirement-Me-thode gezeigt hat. Auf einer neunstufigen Rangska-la sind zwischen 1970 bis 1987 fast alle Mittelzen-tren aufgestiegen (um bis zu drei Stufen), nicht nurim Umland der großen Städte, sondern auch in pe-ripheren Regionen. Als neues Oberzentrum wurdejedoch nur die Stadt Wolfsburg anerkannt. FrühereUnterzentren stiegen zu Mittelzentren und Gemein-den ohne zentralörtliche Bedeutung zu Unterzentrenauf. Entgegen allgemeiner Erwartung konnten Funk-tionsverluste auf der unteren Ebene der zentralört-lichen Versorgung nicht festgestellt werden.

5.4 Unternehmerverhalten II: Betriebs-struktur, Wettbewerb und Standortwahl

Betrachtet man zentrale Orte nicht als adminis-trative Raumeinheiten (Gemeinden), sondern alskonkurrierende Standortbereiche (City, Stadtteil-zentren, „Grüne Wiese“), die von wenigen gro-ßen Handelsbetrieben mit erheblichem Anteil amjeweiligen Einzelhandelsumsatz dominiert werden,so wird deutlich, dass die neoklassische Vor-stellung einer durch Marktpreise im Gleichge-wicht gehaltenen räumlichen Verteilung vonAngebot und Nachfrage völlig inadäquat ist.Denn selbst dort, wo die Realität dieser Markt-form sehr nahe kommt – wie beim Benzinver-kauf an Tankstellen im Stadtgebiet – versuchendie Anbieter entweder durch Nähe zum Konkur-renten und verschärften Preiswettbewerb ihrenMarktanteil zu vergrößern (wie in Hotellingsberühmtem Fall zweier Eisverkäufer am Strand)oder durch Produktdifferenzierung (mit zusätz-lichem Lebensmittelmarkt, Autoservice, Repara-tur usw.) Kundenpräferenzen aufzubauen (Netzund Taylor 2002). In der Regionalökonomie wirddie Auffassung vertreten, dass die Raumwirt-schaft durch die Marktform des Oligopols be-

stimmt wird, denn „oligopoly and economic spacego hand in hand“ (Greenhut 1970: 42). VielenNachfragern stehen nur wenige Anbieter gegen-über, wobei jeder so viel Marktmacht besitzt, dasser mit seiner Preis- oder Mengenentscheidungdas Marktgeschehen beeinflussen kann. Dochmuss er mit Reaktionen seiner Konkurrentenrechnen, die wiederum seine Situation beeinflus-sen (vgl. Dicken und Lloyd 1999: 206ff.). Es be-steht also eine enge „Reaktionsverbundenheit“der Anbieter, was in der bisherigen Standort-strukturforschung, wozu auch die Zentralitäts-forschung in der Tradition Christallers zu rech-nen ist, weitgehend unberücksichtigt gebliebenist. Zum besseren Verständnis der gegenwärtigenUnternehmens-, Marketing- und Standortent-scheidungen des Einzelhandels ist es wichtig, dieInterdependenz zwischen Unternehmen als we-sentliches Element ihrer Handlungen zu erfassen.

Die Struktur und Entwicklung des Einzelhandelsin Deutschland wird bestimmt durch rückläufigeBetriebszahlen, Zunahme der Verkaufsfläche undfortschreitende Unternehmenskonzentration. Ei-gentümergeführte Betriebe treten gegenüber denFilialen der nationalen und internationalen Kon-zerne immer stärker zurück. Am höchsten ist derKonzentrationsgrad im Lebensmitteleinzelhandel;die fünf umsatzstärksten Unternehmen haben ei-nen Marktanteil von 65 % (Heinritz et al. 2003:37ff.). Sie liefern sich – wie auch Unternehmen derUnterhaltungselektronik und die Möbelbranche –einen zum Teil scharfen Preiswettbewerb. Standort-entscheidungen in solchen Konzernen können nurin genauer Kenntnis der „Unternehmensphiloso-phie“ und der jeweils verfolgten marktstrategischenZiele erklärt werden (wie z.B. im Falle des US-Konzerns Wal-Mart in Deutschland, Gotterbarm2004). Damit sind Standortentscheidungen vonMehrbetriebsunternehmen angesprochen, fürderen Erklärung herkömmliche Standorttheorienund -modelle nur wenig beitragen können. VonSeiten der geographischen Handelsforschunghat Klein (1995) diese Frage in den Zusammen-hang des Betriebsformenwandels des Einzel-

308 Jürgen Deiters DIE ERDE

handels gestellt und wichtige Erklärungsansätzeund empirische Befunde dazu geliefert (vgl. auchHeinritz et al. 2003: 79ff.).

Mit zunehmender Marktmacht großer, internatio-nal operierender Handelsunternehmen lösensich diese immer mehr aus der Abhängigkeit frü-herer Muster der Standortwahl und treffen stra-tegische Standortentscheidungen. So erfolgt derMarkteintritt der großen Filialunternehmen nichtnur dort, wo die anderen Anbieter zentraler Gü-ter bereits ansässig sind (z.B. in der Innenstadtoder in Stadtteilzentren), sondern zunehmendauch am Rande der Stadt („Grüne Wiese“) oderweit außerhalb im Schnittfeld der Einflussberei-che mehrerer großer Städte (wie im Falle vonFactory Outlet Centres). Solche Standorte ab-seits des überkommenen Zentrensystems eröff-nen die besondere Möglichkeit, im Preis- undQualitätswettbewerb Marktanteile zu gewinnen,sie bergen aber auch das Risiko späterer Be-schneidung des Absatzgebietes durch Konkur-renten, die Zwischenstandorte einnehmen. Denbesonderen Druck auf Mittelzentren mit großflächi-gen Einzelhandelsprojekten, die aus Sicht derLandesplanung oder Bauleitplanung zu groß er-scheinen, kann man als Bestreben der jeweiligenInvestoren bzw. Betreiber deuten, die Marktpoten-ziale von Mittelzentren zu Lasten höherrangigerZentren (Oberzentren) systematisch zu erweitern.

Die beschriebenen Standorttendenzen stehen imWiderspruch zu den Prinzipien des Marktein-tritts von Anbietern zentraler Güter, auf denendie Hierarchie zentraler Orte beruht. Die resultie-renden Standortmuster ähneln dem vereinfach-ten Strukturbild in Tab. 3(b). Größentypen vonStädten als Ausdruck zentralörtlicher Hierarchiesind unter diesen Bedingungen nicht mehr nach-weisbar. Das liegt aber auch daran, dass die Ge-meinde als räumliche Bezugsbasis zur Erfassungvon Zentralitätsstrukturen ungeeignet gewordenist (Standorte auf der „grünen Wiese“ befindensich nicht selten in Nachbargemeinden der gro-ßen Städte). Gebhardt (2002: 100) hat vorge-

schlagen, den Begriff „zentraler Ort“ aufzugebenund neutral von „Standortagglomerationen desHandels und der Dienstleistungen“ zu sprechen,deren jeweilige Gesamtausstattung (Unterneh-men, Beschäftigte, Verkaufsfläche usw.) oderLeistungskraft (Umsatz, Kaufkraftbindung usw.)zu untersuchen ist. Zentralitätsforschung wer-de damit zur Standortforschung des tertiärenSektors – vergleichbar der industriegeographi-schen Standortforschung. Der betriebswirt-schaftlich ausgerichtete Zweig der geographi-schen Handelsforschung verfolgt dieses Ziel,indem er das Spektrum der relevanten Branchenerweitert und entscheidungs- bzw. handlungs-theoretische Ansätze verstärkt zum Einsatzbringt. Die Standortforschung des tertiärenSektors stellt jedoch keine gesamtwirtschaftlicheBetrachtung (wie die Theorie zentraler Orte) dar,weil es ihr nicht um die Erklärung der Standort-struktur (Größe und Verteilung der Zentren) undderen Wandel geht, sondern um einzelwirt-schaftliche Entscheidungen und Prozesse, auchwenn deren Verständnis die Erfassung des jewei-ligen Handlungsumfeldes voraussetzt.

Auf der Suche nach einem gesamtwirtschaftlichenErklärungsansatz ist der Vorschlag von Gornig(2002) von Interesse, Elemente regionaler Entwick-lungstheorien in die Ableitung einer optimalenräumlichen Produktionsverteilung einzubeziehen.Demnach könnten die an einem Standort vereinig-ten Handelsbetriebe ähnlich den neuen Industrie-distrikten als innovative Netzwerke aufgefasstwerden, deren Aufstieg und Verfall die Dynamikzentraler Orte erklären würde (die gemeinsameVermarktung von Standortbereichen durch dieansässigen Betriebe spräche für eine solche Sicht-weise). Nimmt mit der Internationalisierung desHandels der Anteil transnationaler Unternehmenzu, würde dies – für sich genommen – die räum-liche Konzentration fördern. Setzte sich hingegendie flexible Spezialisierung der Leistungserstel-lung mit der Tendenz zu kleineren Betriebs-einheiten stärker durch, käme es zu Dekonzentra-tionseffekten im System zentraler Orte.

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Bestimmung derZentralität

RaumwirtschaftslehreTheorie derKonsumnachfrage

Betriebswirtschafts-lehre des Handels

Theorie zentraler Orte

Zentralitätsforschung

Abgrenzung zentral-örtlicher Bereiche

GeographischeKonsumforschung

Geographie des Konsums

Geographische Handelsforschung i.e.S.

Standortforschung des tertiären Sektors

Geographische Handelsforschungim weiteren Sinne

Homosociologicus

HomooeconomicusKonsumsoziologie

6. Geographische Handels- undKonsumforschung – ein Fazit

Die Ausgangsfrage zu diesem Beitrag – Neu-orientierung oder Paradigmenwechsel in der Geo-graphie des tertiären Sektors – möchte ich ab-schließend wie folgt beantworten (vgl. Fig. 2) :Mit der Ablösung der herkömmlichen Zentralitäts-forschung in Deutschland (mit den beiden Haupt-

bereichen „Bestimmung der Zentralität“ und „Ab-grenzung zentralörtlicher Bereiche“) durch dieneue geographische Handels- und Konsumfor-schung vollzieht sich ein grundlegender methodo-logischer Wandel in der Wirtschafts- und Sozial-geographie. An die Stelle der theoretischen Leit-figur des Homo oeconomicus tritt der Mensch alssoziales Wesen (Homo sociologicus), dessen Ver-haltensweisen nicht nur zu erklären, sondern hin-

Fig. 2 Ablösung der Zentralitätsforschung durch die geographische HandelsforschungReplacement of central place analysis by geographical retail and consumer research

310 Jürgen Deiters DIE ERDE

sichtlich der Motive, Wahrnehmungen und Präfe-renzen „verstehbar“ zu machen sind. Methoden derqualitativen Sozialforschung spielen dabei eine be-sondere Rolle. Um getroffene Unternehmens-,Marketing- und Standortentscheidungen im Einzel-handel zu erklären, muss neben betriebswirtschaft-lichen Grundtatsachen die Interessen- und Macht-verteilung innerhalb des Unternehmens berücksich-tigt werden. Angesichts einer so weit reichendenNeuausrichtung der Forschung ist es nicht übertrie-ben, von einem Paradigmenwechsel in der Wirt-schafts- und Sozialgeographie zu sprechen.

Mittelfristig ist mit der weiteren Ausdifferenzie-rung der geographischen Handelsforschungi.w.S. in die Bereiche „Standortforschung des ter-tiären Sektors“ – als Teil der Wirtschaftsgeogra-phie – und „Geographie des Konsums“ – als Teilder Sozialgeographie – zu rechnen, zwischen de-nen es enge Wechselbeziehungen gibt. Offenbleibt die Frage, was aus solchen Bereichen derZentralitätsforschung wird, die nicht im Fokus dergeographischen Handelsforschung stehen. Dastrifft in erster Linie auf die vergleichende Zentra-litätsbestimmung und die Rangskalierung vonStädten sowie auf Untersuchungen zum Nachweiszentralörtlicher Hierarchien auf nationaler oderregionaler Ebene zu. Letzteres gilt wissenschaft-lich als hinreichend geklärt und spielt allenfalls imerweiterten Rahmen der Städtesystemforschungnoch eine Rolle, und an die Stelle der früheren, me-thodisch ausgefeilten Zentralitätsmessung ist dieschlichte, praxisorientierte Bilanzierung derKaufkraftzu- und -abflüsse durch kommerzielleForschungseinrichtungen getreten. Für die An-wendung des Zentrale-Orte-Konzepts in derLandes- und Regionalplanung spielt weniger dieökonomische Basis zentralörtlicher Systeme alsvielmehr die Frage eine Rolle, unter welchen Be-dingungen bzw. mit welchen Maßnahmen dieTragfähigkeit zentralörtlicher Einrichtungen in be-stimmten Orten bei weiter rückläufiger Bevölke-rung gesichert werden kann. Soweit es dabei umdie ärztliche und schulische Grundversorgung, dieKinderbetreuung und Altenpflege geht, sind die

Gesundheits-, Bildungs- und Sozialpolitik gefordert.Ansonsten ist ökonomische Kreativität gefragt,um mit neuen Organisationskonzepten der be-trieblichen Leistungserstellung die Tragfähig-keitsgrenzen „nach unten“ zu verschieben. AmBeispiel der Region Trier hat Günter Löffler ge-zeigt, wie man den Anspruch flächendeckenderVersorgung dünn besiedelter ländlicher Räume mitden Erfordernissen zeitgemäßer Betriebsformen imLebensmitteleinzelhandel verbinden kann.

7. Literatur

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2006/4 Von der Zentralitätsforschung zur geographischen Handelsforschung 311

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312 Jürgen Deiters DIE ERDE

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2006/4 Von der Zentralitätsforschung zur geographischen Handelsforschung 313

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Zusammenfassung: Von der Zentralitätsforschungzur geograph i schen Hande l s fo r schung –Neuorientierung oder Paradigmenwechsel inder Wirtschafts- und Sozialgeographie?

Zehn Jahre nach Gründung des Arbeitskreises ‚Geo-graphische Handelsforschung‘, der aus dem Arbeits-kreis ‚Zentralität‘ der Deutschen Akademie für Lan-

314 Jürgen Deiters DIE ERDE

deskunde hervorgegangen ist, wird in einem Rück-blick die jüngere Forschungsentwicklung in diesenBereichen aufgezeigt und gefragt, ob die auf demüberholten Menschenbild des Homo oeconomicusberuhenden Grundlagen der Zentralitätsforschungmit Hilfe der geographischen Handels- und Kon-sumforschung verhaltens- bzw. handlungstheore-tisch erneuert werden können. Die Theorie zentralerOrte – genauer: das System zentraler Orte als derenModellabstraktion – hat sich als außerordentlichfruchtbar erwiesen für die Raumwirtschaftslehre,die empirische Zentralitätsforschung und die Raum-ordnungspolitik (‚Zentrale-Orte-Konzept‘). Dochberuht die Faszination eines regelhaften, hierar-chisch organisierten Städtesystems auf einem star-ren Gleichgewichtsmodell, das keine dynamischenVeränderungen zulässt. Nach Darlegung der grund-sätzlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten her-kömmlicher Zentralitätsforschung einerseits und derHandels- und Konsumforschung in der Geographieandererseits werden beide Forschungszweige imEinzelnen kurz beleuchtet. Während sich die Zen-tralitätsforschung in der Frage zu erschöpfen scheint,ob Zentrale Orte als Instrument der Raumordnungund Landesplanung noch zeitgemäß sind und ob eszur weiteren Anwendung überhaupt noch der bishe-rigen theoretischen Grundlagen bedarf, stellt sichdie geographische Handelsforschung wie ein Neube-ginn dar – als Modernisierungsstrategie zur Über-windung eines überholten Paradigmas. In Anknüp-fung an die Betriebswirtschaftslehre des Handelsauf der einen und die sozialpsychologisch inspirier-te Konsumforschung auf der anderen Seite sindbeachtliche Forschungsergebnisse erzielt worden,die zum Teil ihren Niederschlag in der vom Arbeits-kreis herausgegebenen Schriftenreihe gefunden ha-ben. Im Mittelpunkt des Artikels steht die Frage, obund inwieweit die Theorie zentraler Orte verhal-tenswissenschaftlich reformuliert werden kann.Bezüglich des Konsumentenverhaltens wirdzunächst festgestellt, dass Christallers Postulat,wonach Konsumgüter stets im nächst gelegenenAngebotsort gekauft werden, nicht nur alltäglicherErfahrung, sondern auch dem Grundsatz ökonomi-scher Rationalität widerspricht. Der Schlüssel zumVerständnis des räumlichen Einkaufsverhaltens liegtin der Häufigkeit, mit der bestimmte Güter oderGütergruppen im Zeitablauf nachgefragt werden,und den örtlichen Möglichkeiten, mehrere Besor-

gungen auf einem Einkaufsweg miteinander zu ver-binden. Der Abwägung zwischen der Größe (Ange-botsvielfalt) alternativer Einkaufsmöglichkeiten undder jeweiligen Entfernung (Distanzwiderstand) lie-gen individuelle Präferenzordnungen zugrunde, diezur Auflösung der regelhaften Zuordnung zentralerOrte unterschiedlicher Rangstufen führen. Die Ten-denz, bestimmte Güter wechselweise in mehreren,etwa gleich gut ausgestatteten Orten nachzufragen(Mehrfachorientierung), bewirkt eine Überlagerungder Einzugsbereiche und damit eine Aushöhlungzentralörtlicher Gliederungsmuster. Die Zukunftder geographischen Konsumforschung liegt in derweiteren Entwicklung und Anwendung diskreterEntscheidungsmodelle zur Erklärung und Prognosedes komplexen Einkaufsverhaltens. Abseits der rea-litätsfremden Annahmen über das Verhalten derAnbieter zentraler Güter enthält Christallers Theo-rie zentraler Orte einen genialen Grundgedanken,wonach sich der Aufbau des hierarchischen Systemszentraler Orte aus dem Markteintritt der Unterneh-men über die Rangstufen zentraler Güter und Orte‚von unten nach oben‘ ergibt. Berry und Garrisonhaben dieses Prinzip 1958 mit Hilfe des so genann-ten Schwellenkonzepts von den jeweiligen räumli-chen Gegebenheiten unabhängig gemacht und derZentralitätsforschung damit ein weites Feld zumempirischen Nachweis zentralörtlicher Hierarchieneröffnet. Heute stehen Fragen nach den Standort-wirkungen des Betriebsformenwandels im Einzel-handel und nach den Folgen der Unternehmens-konzentration für die Wettbewerbsposition undMarktstrategie großer Filialunternehmen im Vor-dergrund. Das erfordert die Anwendung handlungs-und entscheidungstheoretischer Ansätze auf be-triebswirtschaftlicher Ebene. Die Ausgangsfrage zudiesem Beitrag ist also abschließend dahingehend zubeantworten, dass es sich beim Übergang von derZentralitätsforschung zur geographischen Handels-forschung nicht um eine Neuorientierung der Human-geographie, sondern um einen Paradigmenwechselhandelt. An die Stelle eines gesamtwirtschaftlichenErklärungsrahmens in der Tradition der neoklassi-schen Gleichgewichtsökonomie treten soziologischeund sozialpsychologische Erklärungsansätze derKonsumforschung auf der einen sowie Handlungs-und Entscheidungsmodelle der betrieblichen Han-delsforschung auf der anderen Seite. Von der Theoriezentraler Orte bleibt Christallers hierarchisches

2006/4 Von der Zentralitätsforschung zur geographischen Handelsforschung 315

Prinzip, für dessen empirische Evidenz sich heuteaber kaum noch jemand interessiert – auch nicht dieRaumordnung und Landesplanung bei Anwendungdes Zentrale-Orte-Konzepts.

Summary: From Central Place Analysis to GeographicalRetail and Consumer Research – Reorientation orChange of Paradigm in Human Geography?

Ten years after the Working Group “GeographicalRetailing Research” was founded to replace theWorking Group of the German Academy for Re-gional Geography on “Central Place Research”, thiscontribution reviews recent research in these fields.One pivotal question is whether the foundations ofcentral place research, particularly the outdatedconcept of economic man (‘homo oeconomicus’),can be renewed by behavioural or agency theory asused in geographical retailing and consumer re-search. Central place theory – or to be more precise:the system of central places as an abstract model ofthe theory – has proved extraordinarily fruitful forregional economics, empirical central place researchand regional policy (applying the “central placeconcept”). The fascination of the well-structuredand hierarchically organised city system, however,relies on a rigid equilibrium model that does notallow for dynamic change. Both fields of research,traditional central place research on the one handand retailing and consumer geography on the otherhand, are first presented with their fundamentaldifferences and similarities, and then highlightedindividually. While central place research seemslargely to have retreated to the question of whethercentral places still constitute a timely instrument inregional planning and the continued applicability ofexisting theoretical foundations, geographical re-tailing research presents itself as a new start – amodernisation strategy to overcome a dated para-digm. Linked to retailing studies in business eco-nomics on the one hand and to consumer researchfuelled by a socio-psychological approach on theother hand, the considerable research results arepartly reflected in the publication series edited bythe working group in question. This article focuseson whether and to what extent the theory of centralplaces can be reformulated on the basis of a behav-

ioural-scientific approach. With regard to consumerbehaviour, Christaller’s postulate stating that con-sumer goods are always bought at the nearest placeof delivery is seen to contradict not only everydayexperience but also the principles of economic ra-tionality. The key to understanding spatial shop-ping behaviour lies in the frequency at which certaingoods or groups of goods are in demand over time andin local opportunities to combine several purchasesin one shopping trip. The choice between size (andvariety of supply) of alternative shopping facilitiesand their respective distance (friction of distance) isbased on individual preferences which underminethe possibility of a regular allocation of consumerlocations to central places of different ranks. Thetrend to shop alternately for certain goods at severallocations with roughly equal stocks (multi-destina-tion orientation) results in the overlapping of hinter-land areas and a hollowing-out of the original patternof central places. The future of geographical consum-er research lies in advancing the development andapplication of discrete decision models to explainand predict complex shopping behaviour. Apartfrom the unrealistic assumptions concerning thebehaviour of the suppliers of central goods, Christall-er’s theory of central places contains one ingeniousfundamental idea: The construction of the hierar-chical system of central places results from themarket entry of the businesses along the ranks ofcentral places and central goods, “from bottom totop”. In 1958 Berry and Garrison used the so-called threshold concept to loosen this principlefrom the individual spatial situation and thus openedup a wide field of empirical evidence for centralplace hierarchies in centrality research. Today, thediscussion is dominated by questions regarding thelocational effects of the changing structure of retail-ing businesses and the consequences of mergers andacquisitions for the competitive position and themarket strategies of larger chain store companies.Here the application of action and decision-makingtheories on a business economic level is needed. Theopening question of this contribution has to beanswered by stating that the transition from centralplace research to geographical retailing analysis isnot to be seen as a reorientation of Human Geogra-phy but as a paradigm change. The macroeconomicframework of explanation in the tradition of neo-classical equilibrium economics is replaced by so-

316 Jürgen Deiters DIE ERDE

ciological and socio-psychological concepts of ex-planation from consumer research on the one hand,and action and decision-making models from retail-ing business studies on the other hand. What re-mains from central place theory is Christaller’shierarchical principle – nobody, however, is inter-ested any longer in its empirical evidence, not evenwhen applying the central place concept to thefield of regional planning.

Résumé : De l’analyse des lieux centraux à lagéographie du commerce – une simple réorientationou un véritable changement de paradigme dans lagéographie humaine ?

Dix ans après la création du cercle de travail « Géo-graphie du Commerce » issu de l’autre cercle detravail « Centralité » de l’Académie Allemande deGéographie Régionale, cet article se propose deretracer les récents développements de la recherchedans ces deux domaines. Nous allons ainsi nousdemander si la recherche sur la centralité, basée surla figure dépassée de l’homo oeconomicus, peut êtrerenouvelée à l’aide de la récente recherche en géogra-phie du commerce et de la consommation dans ladirection des théories du comportement ou bien del’action. La théorie des lieux centraux – plus exacte-ment le système des lieux centraux en tant quemodèle abstrait – s’est révélée extraordinairementféconde en ce qui concerne l’économie régionale, larecherche empirique sur les lieux centraux ainsi quedans la politique d’aménagement de l’espace (« con-cept des lieux centraux ») . Cependant, la fascinationqui demeure pour l’idée d’un système de villesrégulier et hiérarchiquement organisé repose sur unmodèle rigide de l’équilibre qui n’autorise aucunemodification dynamique. Nous allons dans un pre-mier temps présenter les différences et ressemblan-ces principales des deux champs classiques de re-cherche géographique sur la centralité d’une part, etsur le commerce et la consommation d’autre part.Chacune des deux branches sera ensuite individuelle-ment présentée. La recherche sur les lieux centrauxsemble se limiter à la question de savoir si ce conceptde lieu central constitue toujours un instrumentadéquat en aménagement du territoire et dans laplanification régionale, et si les référents théoriques

utilisés jusque-là sont toujours d’actualité. À l’in-verse, la géographie du commerce se présente commeun renouveau, comme une stratégie de modernisa-tion pour surmonter un paradigme dépassé. Enrelation avec les études de géographie du commerced’un côté et les recherches sur les comportements deconsommation de l’autre, des résultats remarqua-bles ont été produits; ceci se reflète en partie dansles publications éditées par le groupe de rechercheen question. La question centrale de cet article est desavoir dans quelle mesure la théorie des lieux cen-traux peut être reformulée sur la base d’une appro-che scientifique du comportement. En ce qui con-cerne les comportements de consommation, il estétabli que le postulat de Christaller qui affirme queles biens de consommation sont toujours achetés àl’endroit de distribution le plus proche contreditnon seulement l’expérience quotidienne, mais égale-ment les principes de la rationalité économique. Laclé pour comprendre les comportements spatiaux deconsommation repose sur la fréquence à laquellecertains biens ou groupes de biens sont requis etdans les possibilités qu’offrent les lieux de combinerplusieurs achats en un seul déplacement. L’examendu choix entre la taille (et la diversité d’offre) dedifférents lieux d’achats et leurs distances respecti-ves (frein de la distance) est basé sur des préférencesindividuelles. Cette remarque conduit à la dissolu-tion des modèles classiques de répartition spatialedes lieux de consommation en lieux centraux dedifférents rangs. La tendance qui consiste à achetercertains biens alternativement à différents lieux dotésd’à peu près les mêmes produits (diversité de l’of-fre) conduit à une superposition des aires d’influen-ce et perturbe ainsi le « pattern » original des lieuxcentraux. L’avenir de la géographie de la consomma-tion réside dans le développement et l’applicationdes modèles discrets aptes à expliquer et prédire lescomportements de consommation complexes. Àpart les suppositions irréelles concernant les com-portements des fournisseurs de biens centraux, lathéorie des lieux centraux de Christaller contient uneidée fondamentale et ingénieuse; la constructiond’un système hiérarchique de lieux centraux « du basvers le haut » qui résulterait de l’entrée sur le marchéd’entreprises en fonction des rangs des biens et deslieux centraux. Par le biais du concept de seuil, Berryet Garrison, en 1958, avaient déjà détaché ce prin-cipe des situations spatiales individuelles et ainsi

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ouvert un large champ à l’étude empirique des lieuxcentraux dans la géographie de la centralité.Aujourd’hui, la discussion est dominée par desquestions sur les effets sur l’espace du changementde structure du commerce et des conséquencesqu’ont les fusions d’entreprises en vue d’augmenterleur compétitivité et les nouvelles stratégies demarché des grandes entreprises de filiales. Dans cecontexte, il est nécessaire d’utiliser les approchesthéoriques traitant de l’action et de la décision auniveau microéconomique. En fin de compte, la ques-tion initiale de cet article doit être traitée en faisantle constat que la transition d’une recherche géogra-phique sur la centralité à une analyse géographiquedu commerce ne doit pas être perçue en tant quesimple réorientation de la géographie humaine, maisen tant que véritable changement de paradigme. Lecadre explicatif macroéconomique issu d’une tradi-tion néoclassique de l’équilibre économique estremplacé par des concepts sociologiques et socio-psychologiques. Ces derniers sont eux issus des

Buchbesprechungen

Krings, Thomas: Sahelländer. Mauretanien,Senegal, Gambia, Mali, Burkina Faso, Niger. –Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft2006. – XI und 220 S., Tab., Abb., Karten, Photos. –ISBN 978-3-534-11860-1

Thomas Krings, der wohl kenntnisreichste Sahel-spezialist unter den deutschen Geographen, stelltsieben westafrikanische Länder mit hohem Sahel-anteil als einen Raum vor, der gekennzeichnet istvon großer ethnisch-kulturell-religiöser Vielfalt, aberauch von gemeinsamen, länderübergreifenden Hand-lungsstrukturen und -prinzipien der Tradition unddes Alltagslebens. Es wechseln überblicksartige Dar-stellungen (vor allem aus der Physischen Geogra-phie) mit sehr differenzierten, prozesshaften Ana-lysen (z.B. zum Geflecht der ethnisch-sozialenGruppen im Wandel) ab. Damit handelt es sichstreng genommen also nicht um eine geographischeLänderkunde, sondern um eine fächerübergreifende

Regionalanalyse. Das Buch ist in 12 Hauptkapitelgegliedert, die von den geschichtlichen Grundlagenüber die physisch-geographischen Raumstrukturenbis zum Sahel in einer globalisierten Welt reichen.Dieser Aufbau ermöglicht zwei Leseweisen: Mankann den Band, je nach Bedürfnis, als Lexikon benut-zen (was durch ein Orts- und Sachregister nochunterstützt wird) oder aber sich auf das einlassen,was Krings’ eigentliche Botschaft ist: die klassischekulturgeographische Perspektive durchgängig miteiner sozialwissenschaftlich orientierten Entwick-lungsforschung zu verknüpfen. Physische und Kul-turgeographie, Geschichte, Wirtschaft und Politikwerden in Blick auf relevante Probleme wie Armutund Hunger, Verstädterung, Agrarwirtschaft undErnährungssicherung, informeller Sektor syntheti-siert. Damit ist dieser Band mehr als eine Regional-geographie. Immer, wo es sich anbietet und eintieferer Einblick in die Handlungsbedingungen undHandlungsprobleme gewonnen werden kann, ver-

recherches sur les comportements de consommationd’une part ainsi que sur les modèles d’action et dedécision des acteurs provenant des sciences écono-miques du commerce d’autre part. Ce qui subsiste dela théorie des lieux centraux, c’est le principe de lahiérarchie, dont les résultats empiriques n’intéres-sent cependant aujourd’hui presque plus personne,même pas en matière d’aménagement du territoire oude planification régionale lors de l’application duconcept des lieux centraux.

Prof. Dr. Jürgen Deiters, Wilhelm-von-Euch-Str. 71,49090 Osnabrück, Deutschland, [email protected]

Manuskripteingang: 06.12.2005Annahme zum Druck: 06.07.2006