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50 | Phys. Unserer Zeit | 36. Jahrgang 2005 | Nr. 1 © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim MAGAZIN | Unter einer Vielzahl der essbaren Schäume lassen sich eine ganze Reihe gemeinsamer physikalischer Prinzipien entdecken. Eine wichtige Frage betrifft vor allem die Stabilität der Schäu- me. Wieso ist Eischnee stabil, und warum sollte Sahne erst kurz vor seiner Verwendung geschlagen werden? Wie wird mousse au chocolat luftig und wie werden Merin- guen gebacken? Diese unterschiedlichen Phänomene lassen sich mit der Physik der Schäume unter einen Hut bringen. Die Gemeinsamkeit dieser verschiedenen Aspekte lässt sich am einfachsten „Modellschaum“, dem Eischnee verstehen. Ein wesentliches Prinzip der Schaumbildung ist das Phänomen der Grenzflächen von Eiweiß und Luft. Beim Schlagen von Eiweiß bilden sich zunächst Luftbläschen, also viele Grenzflächen. Diese Bläschen wer- den um so kleiner, je heftiger geschla- gen wird. Dies funktioniert auch bei Wasser,nur sind diese Blasen nicht stabil. Im Eiweiß, das bis zu 90% aus Wasser besteht, befinden sich vor allem auch gefaltete, globuläre Proteinketten (etwa Ovomuzin oder Konalbumin), deren jeweilige Primär- struktur aus speziellen Abfolgen von hydrophilen und hydrophoben Bausteinen, den Aminosäuren, auf- gebaut ist. Beim mechanischen Schlagen entfalten sich diese Mole- külkugeln zu langen Ketten. Sie sind grenzflächenaktiv, denn die hydro- phoben Teile der Sequenz sind immer zur Luft gerichtet, die hydro- philen in das Wasser. Diese Ketten- moleküle lokalisieren an der Grenz- fläche von Luft zu Wasser in den Schaumbläschen und stabilisieren die Schäume (Abbildung). Schäume fallen damit in die Klasse der „Wasser-Luft-Emulsionen“. Bei kleinen Bläschen verstärkt die Kapillarwirkung die Stabilität noch, denn bei dünnen Wänden wird das Wasser durch diese molekularen Kräfte „gehalten“ und fließt nicht mehr ab. Diese stabilisierten Schäu- me werden, nach behutsamer Zugabe MOL-GASTRONOMIE | Von Schäumen und Träumen Traumhafte Souffles, köstliches Schokoladenmus, süße Meringuen, lockere Biskuits, wem läuft bei diesen Kulinarien nicht das Wasser im Munde zusammen. In Abwandlung des Sprichworts erweisen sich solche Schäume tatsächlich als Träume, jedenfalls zu Tisch. Welt im Netz Aufgrund der hohen Mobilität in modernen Gesellschaften, insbesondere durch den internatio- nalen Flugverkehr, können sich hoch virulente Krankheitserreger rasend schnell über die Erde ausbreiten. Wie und auf welchen Wegen das geschieht, haben Wissenschaftler des Göttinger Max-Planck-Instituts für Strömungsforschung und des Instituts für Nichtlineare Dynamik der Universität Göttingen berechnet. Mit einem Modell, das die Infektionsdynamik mit dem Trans- port in einem Netzwerk kombiniert, konnten sie zeigen, dass sich die geographische Ausbrei- tung von Epidemien durch die Analyse der Passagierströme im internationalen Flugverkehr vorhersagen lässt. Die Simulationen machen auch Aussagen über den Erfolg potenzieller Impf- und Kontrollstrategien. Das Bild zeigt das Flugaufkommen zwischen den 500 größten Flughäfen weltweit. Im Maximum fliegen beispielsweise zwischen Chicago und New York etwa 25000 Reisende pro Tag (L. Hufnagel et. al, PNAS 2004, 101, 15124). PHYSIK IM BILD | von Puderzucker, sanft getrocknet (100 ºC, 50 min) und zu Meringuen fixiert. Der letzte Schrei, der aus dem Labor in die haute cuisine einzog, sind mit flüssigem Stickstoff gefrore- ne Frucht- und Gemüseschäume. Durch die blitzschnelle Abkühlung friert jede Diffusionsbewegung in den Wänden der Schaumbläschen praktisch sofort ein. Große Kristalle, welche die Bläschenwände zerstö- ren, gibt es deshalb nicht, denn die Abkühlrate ist bei weitem schneller als die thermische Bewegung der Wassermoleküle. Deshalb reicht die kurze Zeit für die Bildung großer Kristalle gar nicht aus (Physik in unserer Zeit 2004, 35 (3), 198). Also bleibt die Struktur des Schaums während des Frostens erhalten. Dabei wird immer wieder berich- tet, dass all dies -- die Kälte, die in dem Schaum eingefangenen Aromen und das Schmelzen auf der Zunge -- eine neue Art von „Geschmacks- explosion“ erzeugt. Experimente bestätigen tatsächlich eine Ahnung dieser Erlebnisse. Allerdings sind diese Versuche kaum nachzubauen, und natürlich darf auch die subjekti- ve Wirkung nicht vergessen werden. Wenn Schäume im dampfenden flüssigen Stickstoff bei Tisch gefroren werden, auf Tellern landen, um zugleich auf Zungen zu zergehen, das hat schon was. Thomas A.Vilgis, MPI für Polymerforschung, Mainz Die hydrophilen Bausteine (blau) befinden sich im Wasser, die hydrophoben (rot) in der Luft. Die an der Grenzfläche lokalisierten Kettenmoleküle stabilisieren die Schaumbläschen sterisch, deren Ränder durch schwarze Linien dargestellt sind.

Von Schäumen und Träumen

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50 | Phys. Unserer Zeit | 36. Jahrgang 2005| Nr. 1 © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

M AG A Z I N |

Unter einer Vielzahl der essbarenSchäume lassen sich eine ganzeReihe gemeinsamer physikalischer

Prinzipien entdecken. Einewichtige Frage betrifft vor

allem die Stabilität der Schäu-me. Wieso ist Eischnee stabil,und warum sollte Sahne erst

kurz vor seiner Verwendunggeschlagen werden? Wie wird

mousse au chocolat luftigund wie werden Merin-

guen gebacken? DieseunterschiedlichenPhänomene lassensich mit der Physikder Schäume unter

einen Hut bringen.Die Gemeinsamkeit dieser

verschiedenen Aspekte lässt sich ameinfachsten „Modellschaum“, demEischnee verstehen.

Ein wesentliches Prinzip derSchaumbildung ist das Phänomen derGrenzflächen von Eiweiß und Luft.Beim Schlagen von Eiweiß bildensich zunächst Luftbläschen, also vieleGrenzflächen. Diese Bläschen wer-den um so kleiner, je heftiger geschla-gen wird. Dies funktioniert auch bei

Wasser, nur sind diese Blasen nichtstabil.

Im Eiweiß, das bis zu 90% ausWasser besteht, befinden sich vorallem auch gefaltete, globuläreProteinketten (etwa Ovomuzin oderKonalbumin), deren jeweilige Primär-struktur aus speziellen Abfolgen vonhydrophilen und hydrophobenBausteinen, den Aminosäuren, auf-gebaut ist. Beim mechanischenSchlagen entfalten sich diese Mole-külkugeln zu langen Ketten. Sie sindgrenzflächenaktiv, denn die hydro-phoben Teile der Sequenz sindimmer zur Luft gerichtet, die hydro-philen in das Wasser. Diese Ketten-moleküle lokalisieren an der Grenz-fläche von Luft zu Wasser in denSchaumbläschen und stabilisieren dieSchäume (Abbildung).

Schäume fallen damit in dieKlasse der „Wasser-Luft-Emulsionen“.Bei kleinen Bläschen verstärkt dieKapillarwirkung die Stabilität noch,denn bei dünnen Wänden wird dasWasser durch diese molekularenKräfte „gehalten“ und fließt nichtmehr ab. Diese stabilisierten Schäu-me werden, nach behutsamer Zugabe

M O L- G A S T RO N O M I E |Von Schäumen und TräumenTraumhafte Souffles, köstliches Schokoladenmus, süße Meringuen,lockere Biskuits, wem läuft bei diesen Kulinarien nicht das Wasser im Munde zusammen. In Abwandlung des Sprichworts erweisen sichsolche Schäume tatsächlich als Träume, jedenfalls zu Tisch.

Welt im NetzAufgrund der hohen Mobilität in modernen Gesellschaften, insbesondere durch den internatio-nalen Flugverkehr, können sich hoch virulente Krankheitserreger rasend schnell über die Erdeausbreiten. Wie und auf welchen Wegen das geschieht, haben Wissenschaftler des GöttingerMax-Planck-Instituts für Strömungsforschung und des Instituts für Nichtlineare Dynamik derUniversität Göttingen berechnet. Mit einem Modell, das die Infektionsdynamik mit dem Trans-port in einem Netzwerk kombiniert, konnten sie zeigen, dass sich die geographische Ausbrei-tung von Epidemien durch die Analyse der Passagierströme im internationalen Flugverkehrvorhersagen lässt. Die Simulationen machen auch Aussagen über den Erfolg potenzieller Impf- und Kontrollstrategien. Das Bild zeigt das Flugaufkommen zwischen den 500 größtenFlughäfen weltweit. Im Maximum fliegen beispielsweise zwischen Chicago und New York etwa25 000 Reisende pro Tag (L. Hufnagel et. al, PNAS 2004, 101, 15124).

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von Puderzucker, sanft getrocknet(100 ºC, 50 min) und zu Meringuenfixiert.

Der letzte Schrei, der aus demLabor in die haute cuisine einzog,sind mit flüssigem Stickstoff gefrore-ne Frucht- und Gemüseschäume.Durch die blitzschnelle Abkühlungfriert jede Diffusionsbewegung inden Wänden der Schaumbläschenpraktisch sofort ein. Große Kristalle,welche die Bläschenwände zerstö-ren, gibt es deshalb nicht, denn dieAbkühlrate ist bei weitem schnellerals die thermische Bewegung derWassermoleküle. Deshalb reicht diekurze Zeit für die Bildung großerKristalle gar nicht aus (Physik inunserer Zeit 2004, 35 (3), 198). Alsobleibt die Struktur des Schaumswährend des Frostens erhalten.

Dabei wird immer wieder berich-tet, dass all dies -- die Kälte, die indem Schaum eingefangenen Aromenund das Schmelzen auf der Zunge --eine neue Art von „Geschmacks-explosion“ erzeugt. Experimentebestätigen tatsächlich eine Ahnungdieser Erlebnisse. Allerdings sinddiese Versuche kaum nachzubauen,und natürlich darf auch die subjekti-ve Wirkung nicht vergessen werden.Wenn Schäume im dampfendenflüssigen Stickstoff bei Tisch gefrorenwerden, auf Tellern landen, umzugleich auf Zungen zu zergehen, dashat schon was.

Thomas A.Vilgis,MPI für Polymerforschung, Mainz

Die hydrophilenBausteine (blau)befinden sich imWasser, diehydrophoben (rot)in der Luft. Die ander GrenzflächelokalisiertenKettenmolekülestabilisieren dieSchaumbläschensterisch, derenRänder durchschwarze Liniendargestellt sind.