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Vorlesung „Allgemeines Verwaltungsrecht“ Wintersemester 2012/2013 1

Vorlesung „Allgemeines Verwaltungsrecht“ · PDF fileWirkung zum 01.11.2012 zurückgenommen. (Rücknahme ex nunc). B braucht also die Raten für die Zeit ab November 2012 nicht

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Vorlesung „Allgemeines Verwaltungsrecht“ Wintersemester 2012/2013

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Gliederung G. Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten I. Vorbemerkungen II. Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts III. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts 1. Die Regelung des § 48 II VwVfG 2. Zur Erstattung des Erlangten im Fall der Rück- nahme des Verwaltungsakts (§ 49a VwVfG) 3. Die Regelung des § 48 III VwVfG 4. Die Regelung des § 48 IV VwVfG 5. Rücknahme unionsrechtswidriger Verwaltungsakte

2 Vorlesung „Allgemeines Verwaltungsrecht“ (Prof. Dr. Reinhard Hendler) der Universität Trier im WS 2012/2013 wiss. Mit. Silke Holzapfel

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I. Vorbemerkungen • Rücknahme und Widerruf = behördliche Aufhebung

von Verwaltungsakten und damit Beseitigung ihrer Rechtswirksamkeit

• möglich auch nach Eintritt der formellen Bestandskraft

• formelle Bestandskraft = VA kann nicht mehr angefochten werden

• materielle Bestandskraft = dem VA kommen rechtliche Bindungswirkungen ggü. Behörde und Bürger zu

• diese Bindungswirkung können nur unter bestimmten Voraussetzungen beseitigt werden

insb. Regelungen über gerichtliche und behördliche Aufhebung von VAen

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I. Vorbemerkungen

• Rücknahme und Widerruf eines VA: §§ 48 ff. VwVfG

• Beachte: Anwendungsbereich des VwVfG • sowie etwaige Sonderregelungen (z.B. §§ 130 ff.,

172 ff. AO, §§ 44 ff. SGB X, § 17 AtomG, § 15 GastG)

• Terminologie: - Rücknahme eines rechtswidrigen VA (§ 48 VwVfG) - Widerruf eines rechtmäßigen VA (§ 49 VwVfG)

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I. Vorbemerkungen

Abgrenzung rechtmäßiger – rechtswidriger VA (§ 48 VwVfG oder § 49 VwVfG ?) • entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem der VA

erlassen worden ist • unerheblich insofern also z.B., wenn der VA

nachträglich in Widerspruch zum geltenden Recht gerät ( Änderung der Sach- oder Rechtslage)

• Sonderfälle (nach BVerwGE 84/111, 113 f.): (1) wirkt die nach Erlass des VA eintretende Rwk (aus besonderen Gründen) auf Zeitpunkt des Erlasses zurück, liegt ein ursprünglich rechts- widriger VA vor (§ 48 VwVfG) (wird ein VA rückwirkend rechtmäßig: ursprünglich rechtmäßiger VA, § 49 VwVfG)

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I. Vorbemerkungen

(2) fallen die Voraussetzungen eines auf laufende Geldleistungen gerichteten (oder diesen zugrundliegenden) VAs später weg, richtet sich die Aufhebung für die Zeit nach dem Wegfall der Voraussetzungen nach § 48 VwVfG (Rücknahme eines insoweit rechtswidrig gewordenen VAs) (gelegentlich a.A. zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche der §§ 48, 49 VwVfG vertreten)

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I. Vorbemerkungen

Übungsfall Nach einem Gesetz können Betriebsinhaber eine Subvention erhalten, wenn sie mindestens fünf Lehrlinge beschäftigen. Betriebsinhaber B ist mit Wirkung vom 1. Januar 2011 eine Subvention für ein Jahr bewilligt worden, weil er insgesamt sechs Lehrlinge eingestellt hat. Überraschend scheiden zwei Lehrlinge zum 1.Mai aus. Daraufhin will die Behörde den Bewilligungsbescheid aufheben. Richtet sich die Aufhebung nach § 48 oder § 49 VwVfG?

1.1. VA ist rechtmäßig 1.5. VA ist rechtswidrig 31.12.

Erlass des VA Wegfall der Voraus- Ende der Wirksamkeit setzungen des VA des VA wg. Zeitablaufs

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I. Vorbemerkungen

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Aufhebung (Beseitigung) von VAen

Rücknahme

rechtswidriger VAe (§ 48 VwVfG)

Widerruf rechtmäßiger VAe

(§ 49 VwVfG)

belastende VAe

begünstigende VAe

belastende VAe

begünstigende VAe

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I. Vorbemerkungen • innerhalb von §§ 48, 49 VwVfG Differenzierung

zwischen belastendem und begünstigendem VA

• begünstigender VA = VA, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (§ 48 I 2 VwVfG)

Beispiele: Bewilligung einer Leistung (Subvention, Beihilfe), Erteilung einer Baugenehmigung)

• belastender VA = VA, der nicht begünstigend i.S.d. Legaldefinition des § 48 I 2 VwVfG ist

Beispiele: Ablehnung einer beantragten Subvention bzw. Baugenehmigung; Abrissverfügung

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I. Vorbemerkungen

VA mit Doppelwirkung: • VA mit Mischwirkung = VA, der für den

Adressaten zugleich begünstigend und belastend ist Beispiel: Ernennung von Beamten

entscheidend: überwiegt Begünstigung oder Belastung ? • VA mit Drittwirkung = VA, der nicht nur für den

Adressaten, sondern auch für Dritte Außenwirkung aufweist, so dass Begünstigung und Belastung bei verschiedenen Personen eintreten

Beispiel: B erhält eine Baugenehmigung, die es ihm gestattet, seinem Nachbarn N den Blick auf den See zu verbauen.

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I. Vorbemerkungen

Sonderfälle (1) Verschärfung einer Belastung, insb. Nachforderung von Geldleistungen Bsp.: An A ist ein Zahlungsbescheid über 500 € ergangen. Es stellt sich heraus, dass dieser mit der Gebührenverordnung nicht vereinbar ist und A 200 € mehr zu zahlen hat. Daraufhin wird der Bescheid dahingehend geändert, dass A 700 € zahlen muss. für A nachteilige Änderung des Bescheids wirkt wie Aufhebung eines begünstigenden Bescheids (str.)

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I. Vorbemerkungen

(2) Verbesserung einer Vergünstigung Beispiel: B sind aufgrund eines Subventionsgesetzes laufende Geldleistung i.H.v. 600 € monatlich bewilligt worden, obwohl er (was die Behörde nicht wusste) einen Anspruch auf monatlich 900 € besitzt. Der Subventionsbescheid wird daher dahin abgeändert, dass B monatlich 900 € bewilligt bekommt. für B begünstigende Änderung Rücknahme eines belastenden VA

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I. Vorbemerkungen • grds. denkbar sowohl Aufhebung des gesamten VAs oder

Beschränkung auf einen Teil des VAs (beachte aber die Regelungen in §§ 48, 49)

- sachliche Beschränkung bezogen auf Regelungsgegenstand; Vor.: Teilbarkeit Beispiele: Leistungsbescheid über 1000 € wird im Hinblick auf 300 € zurückgenommen/widerrufen; Abbruchverfügung bzgl. Gebäude wird nachträglich auf einen Teil des Gebäudes beschränkt - zeitliche Beschränkung betrifft Geltungsdauer des VAs; nur bei VAen mit Dauerwirkung (z.B. Subventionsbescheid über monatlich wiederkehrende Geld- leistungen; Genehmigungen); Aufhebung ex nunc/ex tunc

• Rücknahme und Widerruf sind ebenfalls VAe unterliegen den Vorschriften für VAe • Beachte: behördliche Zuständigkeit zum Erlass dieser

VAe § 48 V bzw. § 49 V VwVfG

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Übungsfall E erhält eine Baugenehmigung, die ihm gestattet, in 3 m Entfernung eines Bachlaufs ein Einfamilienhaus zu errichten. Nach Erteilung der Baugenehmigung wird ein Gesetz erlassen, in dem geregelt wird, dass am Ufer eines Gewässers in einer Zone von 6 m keine Gebäude errichtet werden dürfen, die nicht wasserwirtschaftlich erforderlich sind. Die Behörde will daraufhin die an E erteilte Baugenehmigung aufheben. 1) Aufhebung nach § 48 oder § 49 VwVfG ? Baugenehmigung war zum Zeitpunkt des Erlasses rechtmäßig, daher § 49 VwVfG

2) Ändert sich etwas an dieser Beurteilung, wenn E die Baugenehmi- gung am 2. Februar 2012 erhalten hat und das am 1. März 2012 in Kraft getretene Gesetz den Mindestabstand von 6 m mit Wirkung zum 1. Januar 2012 regelt? aufgrund der Rückwirkung des Gesetzes ist die Baugenehmigung als von Anfang an rwd. anzusehen, also § 48 VwVfG

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II. Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts

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• Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden VA steht im Ermessen der Behörde (§ 48 I 1 VwVfG)

• Beschränkung auf nur einen sachlichen Teil möglich: Beispiel (1): Rücknahme einer Abrissverfügung bzgl. eines Gebäudes, das aus einer Scheune mit einer ange- bauten Garage besteht, wird hinsichtlich der Garage zurückgenommen.

• Rücknahme für die Zukunft (ex nunc) oder für die Vergangenheit (ex tunc) möglich:

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II. Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts

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Beispiel (2): B soll laut Bescheid vom 02.04.2012 ihm versehentlich zu hoch ausgezahlte Bezüge i.H.v. 12000 € in monatlichen Raten von jeweils 1000 € zurückzahlen. Die Raten werden jeweils am dritten Werktag des Monats fällig, die erste Rate im Mai. (1) Nachdem sich herausgestellt hat, dass nur eine Überzahlung

i.H.v. 6000 € vorliegt, wird der Bescheid am 10.10.2012 mit Wirkung zum 01.11.2012 zurückgenommen. (Rücknahme ex nunc). B braucht also die Raten für die Zeit ab November 2012 nicht mehr zu bezahlen.

(2) Es stellt sich heraus, dass überhaupt keine Überzahlung vorliegt. Der Bescheid wird am 10.10.2012 mit Wirkung zum 01.05.2012 zurückgenommen. B braucht also ab November keine Raten mehr zu bezahlen und kann zudem die bereits gezahlten Raten zurückverlangen.

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II. Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts

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• Behörde ist nicht zur Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden VAs verpflichtet (Ermessen) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung steht insofern hinter Rechtssicherheit/ Rechtsfrieden zurück der vom VA Betroffene kann sich im Wege eines Widerspruchs oder einer Klage zur Wehr setzen

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III. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts

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• Behörde ist nicht zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden VAs verpflichtet (Ermessen)

• Ausgleich nötig zwischen - dem Interesse des Einzelnen am Bestand des begünstigenden VA (der Einzelne hat u.U. auf den Bestand des VAs vertraut und entsprechende Dispositionen getroffen) Vertrauensschutz - und dem öffentlichen Interesse an der Aufhebung des Verwaltungsakts Gesetzmäßigkeit der Verwaltung § 48 I 2 i.V.m. § 48 II – IV VwVfG

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1. Die Regelung des § 48 II VwVfG

§ 48 II 1 VwVfG: Rücknahmeverbot für VAe, die: • eine einmalige Geldleistung gewähren • eine laufende Geldleistung gewähren • eine teilbare Sachleistung gewähren • Voraussetzung für die genannten Leistungen Voraussetzung zudem: • der Begünstigte hat auf den Bestand des VAs

vertraut und • das Vertrauen ist unter Abwägung mit dem

öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig (vgl. § 48 II 2, 3 VwVfG)

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1. Die Regelung des § 48 II VwVfG (1) rechtswidriger VA (2) begünstigender VA i.S.d. § 48 II 1 VwVfG ? (3) Hat der Begünstigte (B) auf den Bestand des VAs vertraut? i.d.R. gegeben; nicht aber, wenn der Begünstigte (B) überhaupt keine Kenntnis vom VA hatte (4) Schutzwürdigkeit des Vertrauen a) zwingender Ausschluss der Schutzwürdigkeit nach § 48 II 3 VwVfG ? Nr. 1: B hat den VA durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt Nr. 2: B hat den VA durch Angaben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, erwirkt ob schuldhaft oder nicht, ist irrelevant entscheidend: Verantwortungsbereich des Begünstigten nicht also bei Veranlassung durch Behörde

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1. Die Regelung des § 48 II VwVfG

Nr. 3: Kenntnis bzw. grobfahrlässige Unkenntnis des B von der Rechtswidrigkeit des VAs - B musste mit Rücknahme des VAs rechnen - entscheidend: „Parallelwertung in der Laiensphäre“ falls kein zwingender Ausschluss der Schutzwürdigkeit: b) Abwägung zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens Hat der Begünstigte sein Vertrauen bereits betätigt, indem er gewährte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann? betätigtes Vertrauen i.d.R. schutzwürdig (§ 48 II 2 VwVfG) z.B. Ratenzahlungskaufvertrag mit verhältnismäßig hohen Monatsraten abgeschlossen; mit Bau einer genehmigten Anlage begonnen

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1. Die Regelung des § 48 II VwVfG

das nicht betätigte Vertrauen (einfaches Vertrauen) ist i.d.R. nicht schutzwürdig

sonstige Abwägungsgesichtspunkte: - Auswirkungen der Rücknahme bzw. der Nichtrücknahme für den Begünstigten, die Allgemeinheit, Dritte z.B. hohe laufende Geldzahlungen = Belastung der Allgemeinheit, sprechen für Rücknahme - Art und Zustandekommen des VAs (je förmlicher das Verfahren, desto mehr darf der Begünstigte auf den Bestand des VAs vertrauen) - Ausmaß der Rechtswidrigkeit - Zeitablauf seit dem Erlass des VAs

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1. Die Regelung des § 48 II VwVfG

Rechtsfolge: Rücknahmeverbot des § 48 II 1 VwVfG greift nur, soweit das Vertrauen des Begünstigten schutzwürdig ist möglicherweise also • überhaupt keine Rücknahme • sachlich nur teilweise Rücknahme • Rücknahme nur von einem bestimmten Zeitpunkt nach

Erlass des VAs • Rücknahme nur ex nunc • Rücknahme von einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt an

(z.B. bei Rücknahme eines Wohngeldanspruchs) soweit Rücknahmeverbot greift, tritt die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hinter der Vertrauensschutz zurück

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1. Die Regelung des § 48 II VwVfG

soweit kein schutzwürdiges Vertrauen:

VA kann zurückgenommen werden

• Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wiegt nun schwerer

• § 48 II 4 VwVfG: in den Fällen des 48 II 3 VwVfG i.d.R. Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit (intendiertes Ermessen)

nur bei Vorliegen besonderer Gründe Rücknahme ex nunc oder überhaupt keine Rücknahme

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1. Die Regelung des § 48 II VwVfG

Voraussetzungen des § 48 II VwVfG: (1) rechtswidriger VA (2) begünstigender Verwaltungsakt i.S.d. § 48 II 1 VwVfG (3) Vertrauen des Begünstigten auf Bestand des VAs (4) Schutzwürdigkeit des Vertrauens a) zwingender Ausschluss nach der Schutzwürdigkeit nach § 48 II 3 VwVfG falls kein zwingender Schutzwürdigkeitsausschluss: b) Abwägung zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens - Vertrauen (nicht) betätigt ? - sonstige Abwägungsaspekte Rechtsfolge: - soweit Vertrauen schutzwürdig: Rücknahmeverbot (§ 48 II 1 VwVfG) - soweit kein schutzwürdiges Vertrauen: Ermessen (§ 48 I 1 VwVfG); beachte aber § 48 II 4 VwVfG

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Übungsfall zu § 48 II VwVfG

B erhält am 2.Februar 2012 einen Bescheid über laufende Geldleistungen für ein Jahr. Der Bescheid ist rechtswidrig. Die Behörde prüft die Rücknahme am 3. Juni 2012. Im Rahmen der Abwägung ergibt sich, dass das Vertrauen des B bis zum 30. November 2012 schutzwürdig ist. 1) Muss die Behörde den VA mit Wirkung vom 1. Dezember 2012 zurücknehmen? - Nein Ermessen der Behörde (§ 48 I 1 VwVfG) 2) Darf die Behörde den VA zurücknehmen a) mit Wirkung vom 2. Februar 2012 ? - nein, wg. Schutzwürdigkeit des Vertrauens § 48 II 1 VwVfG b) mit Wirkung vom 3. Juni 2012 ? - wie a) c) mit Wirkung vom 15. Dezember 2012 ? - ja (mit Wirkung vom 1. Dezember besteht Ermessen, § 48 I 1 VwVfG )

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2. Zur Erstattung des Erlangten im Fall der Rücknahme des Verwaltungsakts (§ 49a VwVfG)

Erstattungspflicht des Begünstigten im Fall das Rücknahme des VAs (§ 49 I 1 VwVfG) zu erstattende Leistung wird von Behörde durch schriftlichen VA festgesetzt, § 49a I 2 VwVfG Umfang der Erstattung: • Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung nach BGB

gelten entsprechend (abgesehen von Verzinsung) • § 818 III BGB: keine Erstattungspflicht, soweit der

Begünstigte nicht mehr bereichert ist • aber § 49a II 2 VwVfG: soweit er Kenntnis oder grob

fahrlässige Unkenntnis bzgl. der zur Rücknahme des VAs führenden Umstände hatte, kann sich der Begünstigte nicht auf Entreicherung berufen

• Sonderregelungen für Verzinsung: § 49a III, IV VwVfG

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3. Die Regelung des § 48 III VwVfG

• § 48 III VwVfG betrifft VAe, die nicht unter § 48 II VwVfG fallen

Beispiele: Baugenehmigung; Einbürgerung; unteilbare Sachleistung • kein Rücknahmeverbot, sondern Entschädigungsgebot VA i.S.d. § 48 III VwVfG können nach Ermessen zurückgenommen werden (§ 48 I VwVfG), aber Entschädigung Merke: § 48 II VwVfG enthält ein Rücknahmeverbot und gewährt damit Bestandsschutz; § 48 III VwVfG enthält ein Entschädigungsgebot und gewährt damit Vermögensschutz.

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3. Die Regelung des § 48 III VwVfG

• Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs:

- Begünstigter hat auf Bestand des VAs vertraut und

- dieses Vertrauen ist unter Abwägung mit dem öffentlichen

Interesse schutzwürdig

- § 48 III 2 VwVfG: keine Schutzwürdigkeit in den Fällen des

§ 48 II 3 VwVfG

• innerhalb eines Jahres Antrag auf Entschädigung zu stellen; Fristbeginn mit Hinweis der Behörde (§ 48 III 5 VwVfG)

• Höhe der Entschädigung wird von Behörde durch VA festgesetzt (§ 48 III 4 VwVfG)

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3. Die Regelung des § 48 III VwVfG

• ersetzt wird das negative Interesse: der Betroffene ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er auf den Bestand des VA nicht vertraut hätte

• § 48 III 3 VwVfG Obergrenze: Betrag des Interesses, das der Betroffene an dem Bestand des VAs hat; der Betroffene darf also im Rahmen des Ersatzes des negativen Interesses keinesfalls besser gestellt werden, als er stünde, wenn der VA bestehen bliebe (positives Interesse)

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Übungsfall zu § 48 III VwVfG E erhält eine Baugenehmigung zum Bau eines Mehrfamilienhauses. Die Wohnungen möchte er vermieten. Drei Monate später, nachdem die Bauarbeiten bereits begonnen haben, erkennt die Behörde, dass die Baugenehmigung rechtswidrig ist und nimmt sie zurück. E beantragt daraufhin fristgerecht Ausgleichszahlungen bzgl. 1) der ihm entstandenen Kosten für die bisherigen, nunmehr wertlosen Bauarbeiten - vom negativen Interesse umfasst: die Kosten wären E nicht entstanden, wenn er nicht auf Bestand des VAs vertraut hätte 2) des von ihm gezahlten Architektenhonorars für die im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens benötigten Bauzeichnungen - die Kosten wären ihm auch ohne Vertrauen auf Bestand des VAs (bzw. bei Versagung der Baugenehmigung) entstanden kein Ersatz 3) der entgangenen Miete für die Wohnungen - nicht vom negativen Interesse umfasst: hätte E nicht auf Bestand der Baugenehmigung vertraut, hätte er kein Haus gebaut und damit keine Mieteinnahmen

(Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des E ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im SV anzunehmen.)

31 Vorlesung „Allgemeines Verwaltungsrecht“ (Prof. Dr. Reinhard Hendler) der Universität Trier im WS 2012/2013 wiss. Mit. Silke Holzapfel

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4. Die Regelung des § 48 IV VwVfG

• Rücknahme des VAs nur innerhalb eines Jahres

• Fristbeginn mit Kenntnisnahme der Behörde von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen

• Frist gilt nicht in den Fällen des § 48 II 3 Nr. 1 VwVfG (wenn VA durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist)

Problemkreise:

• Wann beginnt die Jahresfrist zu laufen?

• Wer muss Kenntnis erlangen?

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4. Die Regelung des § 48 IV VwVfG

• (P) Wann beginnt die Jahresfrist zu laufen ?

zu den Tatsachen i.S.d. § 48 IV VwVfG gehört nach BVerwG auch die Rechtswidrigkeit des VAs (BVerwGE 70, 356)

(wohl überwiegende) Literatur: Bearbeitungsfrist Fristbeginn, wenn die Behörde Kenntnis von den die Ausübung des Rücknahmeermessens rechtfertigenden Tatsachen erhält

pro: Zweck des § 48 IV VwVfG ist Schutz des Bürgers

Rspr. u. Teile der Lit.: Entscheidungsfrist Fristbeginn, wenn (1) die Behörde die Rwk des VAs erkannt hat und (2) ihr die für die Ausübung des Rücknahmeermessens außerdem erheblichen Tatsachen bekannt sind (bspw. nach einer Anhörung)

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4. Die Regelung des § 48 IV VwVfG

• (P) Wer muss Kenntnis erlangen?

wohl h.M.: Kenntnis des mit der Sache befassten zuständigen Amtsträgers (Sachbearbeiter) a.A.: ausreichend, wenn die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen irgendwo in der Behörde bekannt sind, da die Behörde nach außen als Einheit auftritt; dem Bürger kann eine mangelhafte behördeninterne Organisation nicht angelastet werden

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5. Rücknahme unionsrechtswidriger Verwaltungsakte

Besondere Relevanz bei Beihilfen, insb. Subventionen: • Subventionsbescheid, der gegen das Verbot

wettbewerbsverfälschender, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigender Beihilfen (Art. 107 AEUV, ex-Art. 87 EGV) verstößt, ist materiell rechtswidrig

• Subventionsbescheid, der gegen das Notifizierungsverfahren nach Art. 108 III AEUV (ex-Art. 88 III EGV) verstößt, ist formell rechtswidrig

• soweit keine Spezialvorschriften bestehen: § 48 VwVfG • Beachte aber: (1) im Rahmen des § 48 II 1, 2 VwVfG: öffentliches Interesse an der Durchsetzung des EU-Rechts u. Pflicht der Bundesrepublik zur Erfüllung des AEUV (Art. 4 III EUV) führen dazu, dass das Vertrauen des Begünstigten (ob betätigt oder nicht) regelmäßig nicht schutzwürdig ist

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5. Rücknahme unionsrechtswidriger Verwaltungsakte

(2) § 48 I 1 VwVfG: Rücknahmeermessen reduziert sich auf Null; selbst dann, wenn das Verhalten der Behörde gegenüber dem Begünstigten als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheint (3) Rücknahmefrist (§ 48 IV VwVfG) darf nicht dazu führen, dass die unionsrechtlich gebotene Rückforderung des Subventionsbetrags praktisch unmöglich gemacht wird und der Berücksichtigung des Gemeinschaftsinteres- ses entgegensteht (4) Wegfall der Bereicherung (49a II VwVfG i.V.m. § 818 III BGB) steht der Rücknahme nicht entgegen

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5. Rücknahme unionsrechtswidriger Verwaltungsakte

• § 48 VwVfG fungiert insofern lediglich als nationalrechtlicher Durchsetzungsmechanismus zur Verwirklichung der unionsrechtlichen Rückforderungsanordnung

• EuGH erkennt aber in Einzelfällen den Vertrauensschutz bzw. Wegfall der Bereicherung an

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5. Rücknahme unionsrechtswidriger Verwaltungsakte

Besonderheiten im Rahmen des § 48 II VwVfG: (1) rechtswidriger VA (2) begünstigender Verwaltungsakt i.S.d. § 48 II 1 VwVfG (3) Vertrauen des Begünstigten auf Bestand des VAs (4) Schutzwürdigkeit des Vertrauens a) i.d.R. zwingender Ausschluss nach § 48 II 3 Nr. 3 VwVfG bei unterbliebener Notifizierung der Beihilfe (Art. 108 III AEUV) b) Abwägung zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens - Vertrauensschutz kann sich uU aus Verhalten der Unionsorgane ergeben - öffentliches Interesse an Durchsetzung des Unionsrechts und Pflicht zur Erfüllung des AEUV überwiegen i.d.R. ggü. Vertrauensschutz

Rechtsfolge: - soweit Vertrauen schutzwürdig: Rücknahmeverbot (§ 48 II 1 VwVfG) - soweit kein schutzwürdiges Vertrauen: Ermessen (§ 48 I 1 VwVfG) reduziert sich auf Null

Diese Übersicht ist als Ergänzung zu Folie 25 zu sehen; wie soeben ausgeführt, können sich im Fall der Rücknahme unionsrechtswidriger VAe auch ansonsten im Rahmen der Prüfung des § 48 VwVfG Abweichungen ergeben.

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