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Vorlesung: Einführung in die Sozialstrukturanalyse 1. Modernisierung, 23. April 2008

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Vorlesung:Einführung in die Sozialstrukturanalyse

1. Modernisierung, 23. April 2008

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Einführung in die Sozialstrukturanalyse 16. 1. Modernisierung, 23. April 2008

• Europa kurz nach dem Jahre 1000

• „…hier und dort Lichtungen, einmal erobertes, doch nur halbwegs gezähmtes Land, leichte kümmerliche Furchen, die die von mageren Ochsen gezogenen Holzgeräte auf dem widerspenstigen Boden hinterlassen haben (…).

• Nun waren allerdings schon seit längerer Zeit unmerkliche Bewegungen in Gang gekommen, die diese elende Menschheit Schritt für Schritt aus ihrer absoluten Notdurft erlösten.

• Das 11. Jh. war für die Völker des abendländischen Europas die Zeit eines allmählichen Aufstiegs aus der Barbarei. (…) Allem Anschein nach war in der Finsternis des 10. Jh. ein in tiefes Dunkel gehüllter Fortschritt der Landwirtschaftstechniken von den großen klösterlichen Domänen ausgegangen und hatte sich ganz allmählich verbreitet.“

• (Vgl.: : George Duby, „Die Zeit der Kathedralen“, S. 11ff.:

• Der große Wandel ab 1850: Modernisierung als Typus umfassenden Strukturwandels (Frage nach dem Spezifikum).

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• Europa zwischen 1850 und 1900

• In Europa (incl. Russ. Reich)1850:• 40 Großstädte >100.000 Einwohner• 2 Großstädte > 500.000 (London/Paris)

• 70% leben von der Landwirtschaft

• 4-5% „Industriearbeiterschaft“• „Angestellte“ prakt. inexistent

• /Prokopfertrag zwischen 1850 und 1870 plus 20-30% (Gebiet Dt. Reichs plus 40%)/

• 1900: • Unter 40% - leben von der Landwirtschaft• Wachstumsdynamik: die gesell. Produktion

pro Einwohner (Bevölkerungswachstum rausgerechnet) stieg zwischen 1850 und 1950 zehn mal so schnell wie vor der „industriellen Revolution“

Bevölkerungswachstum:1800-1850: plus 42%1850-1900: plus 51%...

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Vgl. 11. Jhd. und Übergang zur Moderne: techn. Innovation (eiserne Pflugscharen), Wachstum von Produktivität und Bevölkerung, „Kulturelle Integration“ (Christianisierung)

Aber keine „Modernisierung“ - Was fehlt?

• entfaltete Geldwirtschaft (keine Banken, keine Märkte), • Administration, • Autonome Wissenschaft,• Politisches System,• Städte „bürgerliche Gesellschaft“Was ist Modernisierung?

Reinhard Bendix: „Unter Modernisierung verstehe ich einen Typus des sozialen Wandels, der seinen Ursprung in der englischen industriellen Revolution von 1760-1830 und in der politischen französischen Revolution von 1789-1794 hat (...). Modernisierung (…) besteht im wirtschaftlichen und politischen Fortschritt einiger Pioniergesellschaften und den darauf folgenden Wandlungsprozessen der Nachzügler.“

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• Soziostrukturelle Indikatoren:• (zeigen: woran sind Modernisierungsprozesse erkennbar)

• Anstieg und Differenzierung/Zusammensetzung der Bevölkerung (Demographie, Klassenstruktur)• Sektorale Verschiebung• Mobilität (Landflucht, Urbanisierung, vertikale Mobilität, Migration)• Ungleichheit (Einkommen, Herrschaft)• Professionalisierung / Erwerbsquoten/ Ausbau des Bildungssystems / Extension des Zugriffs• Soziale Sicherungssysteme

• „Was steckt dahinter“ (vs.: „was ist der Fall“) – wie erklären wir den (messbaren) Wandel, bzw. wieso zeigen diese Indikatoren an, ob „Modernisierung“ vorliegt?

• (Einbettung der Analyse von Verteilungen in historische bzw. „kausale“ Erklärungen und Explikation der Bedeutung von „Modernisierung“:

• Nochmals Bendix: • „ englische industrielle Revolution von 1760-1830 und in der politische französische Revolution

von 1789-1794“

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• 1. Technische Innovation:• Produktion und Infrastruktur • entwickeln „sich“:

• Voraussetzungen?

• Eine (unvollständige) Beschreibung:• Die materielle Reproduktion der Gesellschaft muss sich optimieren (rationalisieren),

d.h. die Bereitstellung von Ressourcen quantitativ und qualitativ steigern.

• Dazu müssen „kognitive“ Voraussetzungen erfüllt sein: instrumentelle Rationalität im „Austausch“ mit der Natur schiebt a) zwischen Bedürfnis und unmittelbare Befriedigung den Umweg durch die rationale Analyse von natürlichen Gesetzmäßigkeiten und die Umsetzung der Erkenntnisse in Manipulationsformen (Techniken) b) die „philosophische“ Analyse der Natur muss zur praktischen Umsetzung in standardisierte Problemlösungen führen

• (anthropologisch: Mensch als Werkzeugmacher; historisch: Mathematisierung der Naturauffassung)

• Unvollständigkeit?: die praktische Umsetzung „menschlichen“ Erkenntnisvermögens in die Anwendung von Technik hat soziale Voraussetzungen.

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• Vom Handwerk zur Industrieproduktion:

• Technische Aspekte: Verfahrensrationalität, Massenproduktion, Rohstoffversorgung

• Ökonomische Aspekte: Abnahmemärkte, Kalkulationssicherheit, Rentabilitätsorientierung

• Politische Aspekte: Gewerbefreiheit, freie Lohnarbeit, Vertragssicherheit, Abkehr vom Verlagssystem und Merkantilismus (Wirtschaftspolitik)

• „Soziale“ Aspekte: Lebens- und Siedlungsformen, Mobilität, Arbeitsethik (Pünktlichkeit, Handwerkerethos)

• Bsp.: Dampfmaschine - James Watt (1760 Patent)?

• Denis Papin (1706: Vorführung vor dem Landgrafen von Hessen)

• Bsp.: Nähmaschine - Elias Howe (1845)?• Joseph Madersberger (vor 1830)• Bsp. Kraftwagen: Carl Benz, G. Daimler

(1885786)?• Import um 1900 aus Frankreich

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• 2. Politische Modernisierung:

• „Emanzipation“ (Aufhebung der Leibeigenschaft und Gewerbefreiheit)

• Ausbau von Staat, Verwaltung und Recht (Trennung der Gewalten, als Differenzierung von Wertsphären und Zugewinn systemisch-organisationaler Autonomie)

• Säkularisierung

• Paulskirche 1848:

• Soziale Kämpfe• Kulturelle Modernisierung

(Demokratie, Selbstbestimmung) • Intensivierte liberal/bürgerliche

Grundrechte und stetige Inklusionserweiterung (Partizipation) Entstehung ziviler (nichtstaatlich, nichtkirchlich) organisierter „Interessenvertretungen“ (Parteien, Verbände, Vereine)

• Öffentlichkeit (-en)• Soziale Sicherungssysteme• Fürsorge

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• Erklärungen des sozialen Wandels:

• Teleologie der Vernunft (der vernünftigen Gattung): Kant / („List der Vernunft“. Hegel)

• Fortschritt der Produktionsmittel und Geschichte der Klassenkämpfe (Marx) • Notwendige Stadien der Evolution von Gesellschaften (Spencer, Comte)• Arbeitsteilung (Durkheim)

• „Subjekt“ der Entwicklung? Positionen (aufsteigende „Anonymität“):• Nationalistische Geschichtsschreibung (große Männer/Völker als historische Subjekte)• Individuelle Akteure Mikrosozial fundierte Aggregationen (Rational Choice)

Konflikttheorien (Dahrendorf, Neohistorische Soziologie, Neofunktionalisten, Trägergruppen „Kriegsfolgen“)

• Emanzipationsgeschichten: Marx bis Habermas (Projekt der Moderne)• Differenzierungslogik (Rationalisierung): Weber, Parsons, Habermas• Evolutionstheorien (Spencer, Comte bis zu Luhmann)• Negativbilanzen (Adorno: „Dialektik der Aufkl.“; Bauman: „Ambivalenz“)• Dispositivgenealogie (Foucault)

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• Kontingente Kombinationen oder Teleologien:

• Sonderweg des „Okzidents • Geist des Protestantismus (Weber) Kombinationen und

Interdepdendenzen • (Syndrom der okzidentalen Rationalisierung): z.B. • politische Gewährleistung der rechtlichen Garantien für die

ökonomischen Prämien auf die technische Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse

• oder „Interpenetration“ (Parsons, Münch) z.B.:• „Konstitutiv für den rationalen Kapitalismus ist (…) die Verknüpfung der

ökonomischen Nutzenkalkulation im ökonomischen Austausch mit Prozessen der sozialkulturellen diskursiven Steuerung des Handelns, mit der normativen Kontrolle durch Vergemeinschaftung und mit der kollektiven Zwecksetzung in politischen Entscheidungsverfahren.“ (Münch, Struktur der Moderne, S. 14)

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•„Die frühere Modernisierungstheorie rekonstruierte die westliche Entwicklung und projizierte sie im liberalen Glauben an den garantierten Fortschritt und die Universalisierung der amerikanischen Werte auf die ganze Welt, insbesondere die Entwicklungsländer“ (W. Zapf, Reader.., S. 14)

•In diesen Studien über Modernisierung und über die Konvergenz moderner Gesellschaften wurde tatsächlich angenommen, dass das Projekt der Moderne mit seinen hegemonialen und homogenisierenden Tendenzen im Westen fortdauern, sich ausbreiten und auf der ganzen Welt durchsetzen werde. All diese Ansätze beruhten auf der unausgesprochenen Annahme, dass der Integrationsmodus, der der Entwicklung solch autonomer, differenzierter institutioneller Sphären folgt, in allen modernen Gesellschaften ähnlich sein werde.“ (Eisenstadt, Multiple Modernities: 10)

Problem Analyse und Struktur:Erklären wir die „Bedeutung“ oder die Ursachen von „Modernisierung“?Theoretisch/ Methodisches Problem der historisch orientierten SSA:Strukturen „Strukturen“ Strukturen „Strukturen“…Sozialer Wandel Deutung sozialer Wandel…

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• Neuere Modernisierungstheorien:

• Globalisierung (postnationale Konstellation)

• Multiple Modernen (Eisenstadt)

• Reflexive Moderne (Beck, Bonß etc...Reader)

• Neomodernismus (Tiryakian, Zapf…Reader)

• Postmoderne (Bauman, Lyotard,…)

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Zapf, Wolfgang (2001)Modernisierung – Dimensionen eines Begriffss,, in: Hermann Hill (Hg.), Modernisierung – Prozess oder Entwicklungsstrategie, Frankfurt/M., New York: Campus S. 13-23..

• * Bonß, Wolfgang, Sven Kesselring (2001): Mobilität im Übergang von der Ersten zur Zweiten Moderne, in: U. Beck, W. Bonß (Hg.), Die Modernisierung der Moderne, Ffm.: Suhrkamp, S. 177-191.

• * Häußermann, Hartmut, Walter Siebel (1995): „Theorien zur Dienstleistungsgesellschaft“ und „Internationaler Vergleich: Der schwedische, der amerikanische und der westdeutsche Weg“, in: dies., Dienstleistungsgesellschaften, Ffm.: Suhrkamp, S. 27-67.

• Touraine, Alain (2001): Globalisierung – eine neue kapitalistische Revolution, in: D. Loch und W. Heitmeyer (Hg.), Schattenseiten der Globalisierung, Ffm.: Suhrkamp, S. 41-63.