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Vorstoß nach Kopaar

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Atlan - Minizyklus 05 ­Dunkelstern

Nr. 10

Vorstoß nach Kopaar

von Arndt Ellmer

Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. Atlan, der unsterbliche Arkonide, ist gemein­sam mit der geheimnisvollen Varganin Kythara auf die Fährte der Lordrichter von Garb gestoßen, die mit riesigen Armeen ihrer Garbyor-Völker und geraubter vargani­scher Technologie an vielen Orten des Universums wirken. Zunächst wurden sie in der Southside der Milchstraße mit ihnen konfrontiert, und nun stehen sie in der Klein­galaxis Dwingeloo wieder im Kampf gegen die unheimlichen Invasoren. Nach einigen unerfreulichen Begegnungen wissen sie zumindest, dass sich hinter den Garbyor die ehemaligen »Horden von Garbesch« verbergen und die Lordrichter Zugang zum Mi­krokosmos der Varganen suchen. Mittels einer Verkleinerungstechnologie und der Schwarzen Substanz scheint dies auch zu gelingen – Atlan und Kythara geraten prompt in eine Falle. Ein ganzer Raumsektor wurde zum eigenständigen Miniaturuni­versum gemacht, und die beiden befinden sich mitten in diesem Gebiet. Ihnen blei­ben nicht viele Optionen – eine davon ist der VORSTOSS NACH KOPAAR …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Arkonide wagt alles, indem er bis an die Grenzen des Universums vorstößt.Farangon - Ein Cappin gerät unter Verdacht, weil er sich vorbildlich verhält.Yagul Mahuur - Der Lordrichter beaufsichtigt die Vorgehensweise seines Erzherzogs und stellt ihmeinen Konkurrenten zur Seite.Erzherzog Garbgursha - Der Zaqoor hetzt die AMENSOON.Veschnaron - Der Gestaltwandler nimmt sich Freiheiten, die ihm nicht zustehen.

1.

»Verfluchte Höllenbrut!« Die Golfballraumer tauchten dicht hinter

uns auf, keine 20 Millionen Kilometer ent­fernt. Ihre Bordgeschütze spien Feuer. Durch die relative Verkleinerung beim Übertritt in den Mikrokosmos hatten sie lei­der nichts von ihrer energetischen Wirksam­keit eingebüßt.

Der Kardenmogher flog ein Ausweichma­növer, das ihn aus der Schusslinie brachte.

»Das war knapp«, hörte ich Offshanor sa­gen.

Kalarthras blieb stumm, aber seine blei­chen Wangen zuckten vor Erregung.

Der Kardenmogher spulte die Notetappe von zwei Lichtjahren ab, orientierte sich kurz und verschwand wieder, bevor die Ver­folger auftauchten.

Meine vage Hoffnung, wir könnten die Golfballraumer durch das simple Manöver abgehängt haben, erfüllten sich nicht. Noch während ich die nächste Hyperraumetappe programmierte, tauchten sie wieder auf, diesmal nicht im Pulk, sondern ungleichmä­ßig über den Raumkubus verteilt, in dem sie uns geortet hatten.

Den nächsten Fluch zerbiss ich zwischen den Zähnen.

Was für ein Pech aber auch!, spottete mein Extrasinn. Hattest du etwas anderes erwartet?

Ich ersparte mir die Antwort. Es wurde immer deutlicher, dass es an den Hyperta­stern dieser Schiffe lag. In einem Bereich von drei bis fünf Lichtjahren waren sie in der Lage, Fahrzeuge selbst im Hyperraum anzupeilen und zu verfolgen. Sie setzten al­

les daran, den Kardenmogher aufzubringen und mich in ihre Hände zu bekommen.

Dass die Lordrichter es auf mich abgese­hen hatten, wusste ich seit jenen Andeutun­gen der Eishaarfeld-Erscheinung auf Ma-ran'Thor. Inzwischen lag das zwei Monate zurück.

Wieder führte ich den Kardenmogher in den Hyperraum, ließ ihn diesmal eine Etap­pe von vierzig Lichtjahren zurücklegen. Hat­ten die Garbyor bisher vermutet, das kleine Fahrzeug könne keine größeren Distanzen bewältigen, dann wurden sie jetzt eines Bes­seren belehrt.

»Wo steckt die AMENSOON?«, wollte ich von DENMOGH, wie ich den Karden­mogher getauft hatte, wissen.

»Tut mir Leid, Atlan. Ihr aktueller Stand­ort ist im Augenblick nicht erkennbar.«

Kythara war mit der Doppelpyramide auf Tauchstation gegangen, nachdem sie drei Tage lang mit den Patrouillenschiffen der Garbyor »Katz und Maus« gespielt hatte.

Genützt hatte es uns wenig, denn unser er­ster Anflugversuch auf Kopaar war kurz vor dem Ziel entdeckt worden.

Blieb noch die MORYR. Zu ihr existierte bisher keine Funkverbindung. Sie war 200 Lichtjahre von Kopaar entfernt in den Or­tungsschutz einer Sonne gegangen. Bisher gingen wir davon aus, dass sie ebenfalls in den Mikrokosmos versetzt worden war. Sie stellte unsere fünfte Kolonne dar, eine Ein­greiftruppe, von deren Existenz die Garbyor bisher nichts wussten.

Oder zumindest ihren Standort nicht ken­nen, sagte mein Extrasinn. Im Gegensatz zu unserem.

»Die Golfbälle sind wieder da«, murmelte Offshanor.

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Ihr Abstand betrug dreieinhalb Lichttage. Wie eine Schleppe zog der Kardenmogher sie hinter sich her. Nach der nächsten Hype­retappe hatte sich die Distanz auf ein Licht­jahr vergrößert, schrumpfte jedoch sofort wieder. Die Golfballraumer entwickelten sich langsam, aber sicher zu Kletten.

Ich wandte mich an DENMOGH. »Gibt es Sonden an Bord, mit denen sich eine energetische und optische Simulation des Kardenmoghers fahren lässt?«

»Ja. Ein kleines Kontingent solcher Tarn­bojen ist vorhanden.«

»Wir versuchen es.« Nach unseren bisherigen Erkenntnissen

unterschieden sich die physikalischen und hyperphysikalischen Gegebenheiten des Mi­krokosmos nicht von denen des Normal­raums. Die Emissionen einer solchen Boje würden folglich ebenfalls identische Werte liefern.

»Neue Etappe über zehn Lichtjahre«, ent­schied ich. »Nach der Rückkehr fünf Sekun­den Aufenthalt zum Ausschleusen der Boje. Reicht das?«

»Ja«, erklärte DENMOGH. »Anschließend setzen wir eine Etappe

über vierzig Lichtjahre, die uns weiter weg vom Zentrum des Mikrokosmos führt.«

Der Kardenmogher verschwand wieder im Hyperraum. Schweigend saßen wir in den Sesseln vor den virtuellen Steuerpulten, beobachteten das Blinken rätselhafter Lich­ter.

Ich beäugte misstrauisch die grafischen Abbildungen der Steuervorgänge in den Ho­logrammkuben. Der Kardenmogher folgte meinen Befehlen, aber technisch stellte er nach wie vor eine Welt voller Wunder für mich dar.

Kalarthras hingegen ließ alles mit Gleich­mut über sich ergehen. Er kannte das seit Äonen, hatte die Entwicklung miterlebt bis zur Hoch-Zeit varganischer Technik. In der heutigen Zeit allerdings stellten der Karden­mogher, die Umsetzer und anderes lediglich Relikte dar, technische Artefakte, mit denen Wesen wie die Garbyor mehr oder weniger

Arndt Ellmer

blind herumspielten. Die Ereignisse um die Psi-Quelle hatten es deutlich gezeigt. Durch ihre Manipulation war sie zu einer stellaren Gefahr geworden, die wir zum Glück hatten ausschalten können.

»Die Boje ist ausgeschleust«, meldete DENMOGH.

Der Kardenmogher verschwand erneut im Hyperraum, kehrte wenige Sekunden später ins Normalkontinuum zurück.

»Zielstern ist eine weißgelbe Sonne, die Entfernung zu Kop-7 beträgt viereinhalb Lichtjahre.«

»Die Golfbälle sind wieder da«, wieder­holte Offshanor. Er schien den Spruch zum geflügelten Wort machen zu wollen.

Zwei der Golfballraumer hingen in unse­rem »Kielwasser«. Der dritte kümmerte sich um die Boje.

Augenblicke später empfingen unsere Or­ter den winzigen Energieausbruch, mit dem die varganische Simulationssonde sich selbst zerstört hatte.

»Und nun?« Kalarthras schien ebenso rat­los wie der Ganjase.

»Abhängen können wir sie nicht«, sagte ich. »Egal, wohin wir fliegen. Den Mikro­kosmos verlassen können wir auch nicht. Es gibt nur zwei Möglichkeiten.«

Die beiden sahen mich merkwürdig an, jeder auf seine arttypische Weise. Beide zweifelten an meinem Verstand.

»Keine Sorge«, beruhigte ich sie. »Ich will jetzt keine Wunder verkünden. Mög­lichkeit eins: Wir vernichten uns selbst. Ihr stimmt mir sicher zu, wenn ich das keines­falls für sinnvoll halte. Möglichkeit zwei: Wir dringen in die Peripherie des Mikrokos­mos vor.«

»Das ist im Endeffekt das Gleiche wie deine erste Option!«, sagte Offshanor. »Vermutlich sterben wir lediglich langsa­mer.«

»Die Garbyor rechnen nicht damit. Vor allem aber werden sie uns überallhin folgen, wohin wir fliegen.«

Ihr Auftrag lautete nach wie vor, mich in ihre Gewalt zu bekommen. Der Vargane

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oder auch der Ganjase spielten in den Über­legungen der Lordrichter vermutlich keine Rolle.

»Kalarthras, das ist dein Job«, fuhr ich fort. »Du kennst dich mit dem Kardenmo­gher besser aus als wir. Dank deines Wis­sens kannst du seine Kompatibilität mit var­ganischer Technik wie den Umsetzern opti­mal einschätzen. Und du weißt, wie er in Grenzsituationen reagiert.«

Der Teint des Varganen hatte sich in den vergangenen Tagen mehr und mehr verdun­kelt. Jetzt aber hatte ich den Eindruck, als sei er übergangslos erbleicht.

»Dein Vertrauen in mich scheint grenzen­los, Atlan. Bitte erwarte nicht zu viel.«

*

Seit der endgültigen Serienreife des Syn­trons in der Mitte des 5. Jahrhunderts NGZ kannten wir in der Milchstraße ein paar Funktionsprinzipien von mikrokosmischen Feldern. Wir wussten, wie man mit Hilfe winziger Projektoren in einem kleinen Wür­fel oder einer Gürtelschnalle noch winzigere Energiefelder extrem stark krümmte und da­durch Mikrokosmen erzeugte, deren Dimen­sionen zwar nicht unendlich, aber dennoch gigantisch waren. In ihnen ließen sich be­quem Datenbestände unterbringen, für die man jahrtausendelang riesige Speicheranla­gen benötigt hätte. Bei den Umsetzern der Varganen, etwa auf Kopaar, handelte es sich im Unterschied etwa zum Syntron um Ma­krotechnik. Mit gewaltigen Anlagen und ei­nem Energieaufwand, der garantiert die Ka­pazität etlicher Sonnen verschlang, wurde eine Raumkrümmung um den Standort der gigantischen Projektionsmaschinen erzeugt. Durch die Krümmung verschwand der be­treffende Raumsektor aus dem Normaluni­versum, schrumpfte gewissermaßen auf Punktgröße. Im Innern jedoch blieben die Ausmaße des Raumsektors, die Größe der Himmelskörper und der Lebewesen in ihren Relationen gleich. Die Verkleinerung oder Schrumpfung erfolgte lediglich relativ zur

bisherigen Außenwelt. »Die erste Etappe ist jetzt programmiert«,

meldete DENMOGH. »Wir nähern uns der Randzone bis auf zwei Lichtjahre.«

Das Hologramm über den virtuellen Steu­erpulten zeigte das Abbild des Miniuniver­sums mit seinen rund 55.000 Sonnen. Das Licht der zahlreichen anderen Sterne sowie des galaktischen Hintergrunds von Dwinge­loo existierte nach wie vor, aber der Karden­mogher blendete es aus. An seiner Stelle zeigte er das rötlich schwarze Flimmern des Weltraums, wie es sich uns auf den Displays der Orter darstellte. Als diffuse Wand be­grenzte es den Mikrokosmos nach innen wie nach außen.

Inzwischen war ich längst überzeugt, dass es sich um eine Falle gehandelt hatte. Ko­paar war in dem Augenblick aktiviert wor­den, als wir die unsichtbare Grenze über­schritten hatten. Die Lordrichter ließen wirk­lich nichts unversucht.

»Etappe einleiten!«, befahl ich. Mit mei­nen Gedanken weilte ich bei Kythara und der AMENSOON. Hoffentlich waren sie in Sicherheit und behielten Farangon im Auge. Nur er konnte der Verräter sein. Er hatte uns auf die »Hintertür Kopaar« aufmerksam ge­macht.

»Rücksturz!«, verkündete DENMOGH. Der Kardenmogher tauchte in den Nor­

malraum ein. Die Nähe zur Trennschicht war noch nicht so groß, dass wir mit Proble­men rechnen mussten.

DENMOGH justierte die Taster auf höch­ste Empfindlichkeit. Sie bestrichen die flim­mernde Trennschicht pausenlos, erstellten ein fünfdimensionales Raster.

Eines wurde schnell deutlich: Es handelte sich nicht um einen Vorhang, den man mit entsprechendem Energieaufwand durchsto­ßen konnte. Die hyperdimensionale Schicht glich eher einer festen Wand.

»Unterlichtmessung negativ«, lautete die Auskunft des Fahrzeugs. »Überlichtmessung negativ.«

Eine Feststoff-Kugelschale hätte auch kei­ne andere Wirkung gezeigt.

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Alle Schiffe, die in diesen Mikrokosmos gelangten, saßen in der Falle, es sei denn, sie verfügten über die technischen Mittel, die undurchlässige Schicht räumlich und zeitlich begrenzt aufzulösen.

»Näher heran«, wies ich den Kardenmo­gher an. »Wir gehen auf eine Lichtwoche!«

Eine grelle Glutbahn machte uns darauf aufmerksam, dass wir uns mit den Messun­gen viel Zeit gelassen hatten. Die Garbyor waren da, noch immer mit den drei Schiffen, als gäbe es keine anderen. Das Schirmsy­stem wehrte den Streifschuss spielend ab. Bisher hatten die Golfballraumer keinen Di­rektbeschuss gewagt, der uns hätte vernich­ten können. Die Angst, das Schiff mit seinen Insassen zu vernichten, war zu groß. Die Furcht vor den Lordrichtern.

Uns verschaffte es Handlungsspielraum. Wer zum Schluss am längeren Hebel saß, musste sich erst noch zeigen.

Und wieder einmal fragte ich mich, wa­rum der Lordrichter damals nicht sofort ver­sucht hatte, mich in seine Hand zu bekom­men.

So ein Eishaarfeld besitzt nun mal keine Hände, spottete der Extrasinn. Oder was dachtest du?

Das Denken hattest du mir schon in Ab­rede gestellt, oder täusche ich mich da?

Er ersparte mir eine Antwort. Ich hätte auch keine Zeit gehabt, mich mit dem Pro­dukt der ARK SUMMIA zu streiten. Die Garbyor blieben uns auf den Fersen.

»Eine Lichtwoche Annäherung, das ist genug!« Kalarthras zeigte leichte Nervosität. Er hob den Kopf und sah mich an.

»Hast du einen Grund für deine Beden­ken?«, fragte ich.

»Sieh selbst!« Das rötlich schwarze Flimmern veränder­

te sich. Die filigranen Strukturen wuchsen, je näher wir uns an den Grenzbereich wag­ten.

Sie verwandelten sich in feurige Zungen. »Trotzdem«, sagte ich. »Wir nähern uns

auf einen Lichttag!« Wenn die hyperphysikalische Trenn-

Arndt Ellmer

schicht ihre volle Wirkung entfaltete, dann tat sie es im Bereich von ein paar Lichtmi­nuten oder Lichtstunden. Alles andere hätte mich gewundert. Um eine Trennschicht von Millionen Kilometern Dicke aufrechtzuer­halten, und das bei einem Hohlraumdurch­messer von 230 Lichtjahren, benötigte man vermutlich die Energie eines halben Univer­sums.

Nein, die Trennschicht war dünn, zumin­dest was ihren Energieanteil im Normaluni­versum anging. Für den hyperphysikalischen Teil galten andere Maßstäbe.

»Atlan hat Recht«, stimmte Heroshan Offshanor mir zu. »Es ist unsere einzige Chance.«

Angesichts der drei Schiffe, die uns auf den Fersen blieben, hatten wir gar keine an­dere Wahl.

*

Zehn Lichtstunden Distanz, das schien so etwas wie die magische Grenze zu sein. Der Kardenmogher näherte sich der Zone in fla­chem Winkel. Erste feurige Zungen rasten uns entgegen, sie veranlassten DENMOGH zum sofortigen Abdrehen.

»Die Garbyor folgen uns!« Kalarthras' Stimme schwankte. Er wollte es nicht glau­ben.

»Sie führen lediglich Befehle aus, die für sie über allem anderen stehen. Ich bin über­zeugt, würden wir sie fragen, sie hätten von sich aus bestimmt keine Lust, hinter uns her­zufliegen.«

Die Befehle der Garbyor … gegeben von den unnahbaren, mysteriösen und doch scheinbar omnipräsenten Lordrichtern … Befehle, die mir galten. Oder zumindest auch mir. Was – und vor allem: wer – steck­te dahinter? Ein alter Bekannter etwa? Wer konnte schon ein solches Interesse an mir haben? Ich grub in meiner Erinnerung, fand aber keinen Hinweis, der mir weiterhalf. War der Grund in der Tatsache zu suchen, dass ich einst in den Mikrokosmos der Var­ganen verschlagen worden war? Aber

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worum speziell ging es den Lordrichtern? Welches Wissen oder welche Fertigkeiten erwarteten sie sich von mir, die ihnen von Nutzen sein konnten?

Sosehr ich mir auch das Gehirn zermarter­te, mir fiel nichts ein. Aber manchmal ist selbst mir der Kopf wie mit Brettern verna­gelt.

Eher so manches Mal, flüsterte der Logik­sektor.

Cappins – Varganen – Garbyor – Horden von Garbesch, wo existierte in meiner Ver­gangenheit eine Verbindung?

Narr! Kann es nicht einfach nur die Tat­sache sein, dass du schon einmal in den Mi­krokosmos der Varganen gereist bist?

Wahrscheinlich hatte der Extrasinn Recht. Die Lordrichter zeigten deutliches Interesse an der Anaksa-Station, wo der falsche Ve­schnaron nicht viel erreicht hatte. Er hatte gehofft, Kythara und ich würden ihm Wege öffnen, die ihm bisher verwehrt geblieben waren.

Seither verstärkten die Garbyor ihre Jagd auf mich. Immer öfter ging es mir wie in dem terranischen Märchen vom Hasen und vom Igel. Wenn der Hase ans Ziel kam, war der Igel schon da. Man konnte auch mit ei­ner anderen Redewendung sagen, viele Hun­de waren des Hasen Tod. Doch wie man es auch drehte und wendete: Mir war offen­sichtlich die Rolle des Hasen zugewiesen worden.

»Wir gehen auf neun Lichtstunden Di­stanz«, sagte ich. »Kalarthras, was sagen die Systeme des Kardenmoghers?«

»Sie sind in Ordnung. Willst du es wirk­lich wagen?«

»Wir fliegen eine Hyperetappe über eine Distanz von vier Lichtjahren entlang der Pe­ripherie.«

Kalarthras starrte wieder auf das Holo­gramm mit den feurigen Zungen, die sich uns entgegenschnellten. Der Flug in einer Sonnenkorona verlief ähnlich. Ab und zu schleuderte der Stern Protuberanzen ins All hinaus, die selbst einem Raumschiffsgigan­ten wie der SOL oder BASIS hätten zum

Verhängnis werden können. Der Kardenmogher verschwand im

Hyperraum. Den Übertritt begleitete ein vio­letter Blitz, der über das Hologramm der Außenbeobachtung raste. DENMOGH gab Alarm. Der Rücksturz erfolgte drei Sekun­den zu früh. Die zurückgelegte Distanz be­trug lediglich 3,6 Lichtjahre.

Ich nahm es kommentarlos zur Kenntnis. Meine Blicke fraßen sich an den Ortungsan­zeigen fest. Die Garbyor mussten jeden Mo­ment auftauchen.

Sie kamen – auf irregulären Bahnen ra­sten sie durch die Peripherie. Zwei waren uns voraus, einer versuchte uns zu folgen, aber sein Kurs führte viel zu steil in die Trennschicht zwischen den beiden Univer­sen.

Kalarthras richtete sich erfreut auf. »Sie haben ihre Schiffe nicht mehr unter Kontrol­le.«

»Sie unterliegen den Einflüssen der Rela­tivität stärker als der Kardenmogher«, sagte Offshanor. »Wundert dich das?«

Mühsam entfernten sich die Garbyor ein Stück von der Gefahrenzone, hielten nach uns Ausschau und programmierten ihre An­triebssysteme neu.

»DENMOGH, wir kommen ihnen zuvor.« Diesmal wählte ich zwei Lichtjahre

Sprungdistanz, um ihnen Gelegenheit zum Aufholen zu geben. Den Abstand zur Trenn­schicht verringerten wir auf sechs Lichtstun­den.

Die Gefährten ahnten es noch nicht, aber das war erst der Anfang. Ich wollte so nahe an den Grenzbereich heran, wie der Karden­mogher es bewältigen konnte. Natürlich wollte Kalarthras kein solches Risiko einge­hen, aber nach 50.000 verschlafenen Jahren gestand ich ihm die entsprechende Vorsicht und Zurückhaltung zu.

»Tiefer in der Zone messe ich ein Raum­beben an«, meldete der Kardenmogher.

»Ermittle die genauen Koordinaten, falls das möglich ist«, forderte ich ihn auf.

Der doppelte Kegelstumpf führte die Hyperraumetappe aus.

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Augenblicke später veränderte sich das All um uns herum. Die Sterne verschwanden mit Ausnahme der 55.000 innerhalb des Mi­krokosmos. Wir hatten die Lichtmauer er­reicht. Sie zeigte an, seit wie vielen Stunden dieser Teil des Universums von der stellaren Umgebung Dwingeloos abgeschnitten war. Gleichzeitig bildete die Lichtmauer auch die Grenze zu jenem Bereich, in dem es nach theoretischen Erkenntnissen kein Durch­kommen gab.

Kalarthras sprang auf. »Wir nähern uns einer Zone deutlicher Raum-Zeit-Verzerrungen!«

Ich nickte. »DENMOGH, wie groß ist das Gefahrenpotenzial für das Schiff?«

»Es liegt zwischen zwanzig und vierzig Prozent.«

Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Aber noch befanden wir uns in einer relativ sicheren Zone. Die eigentliche Hölle lag jen­seits der vierten Lichtstunde.

Und genau dorthin dirigierte ich den Kar­denmogher.

*

Kalarthras stieß einen Schrei aus, als die feurigen Zungen aus der blutrot verästelten Schwärze sich uns so weit entgegenstülpten wie noch nie. Die Ortung gab Alarm, doch DENMOGH schaltete sie wieder ab. Der Kardenmogher fing an zu wackeln. Über­gangslos erfassten nur vage geahnte Kräfte das Fahrzeug und schüttelten es durch.

Ich behielt nach wie vor die Ortung im Blick. Die optische Darstellung interessierte mich nicht. In Flugrichtung entstanden aus dem Nichts Hyperstürme, wälzten sich uns in den Weg, lösten sich wieder auf. Die feu­rigen Zungen der Grenzzone verschwanden übergangslos. Sie entpuppten sich im Nach­hinein als Schöpfungen der Raum-Zeit-Verzerrungen, die uns eine Umgebung vorgaukelten, die es nicht gab.

»Ganz ruhig bleiben«, sagte ich. »DENMOGH, wie sieht es mit der Flugsta­bilität aus?«

Arndt Ellmer

»Leichte Einschränkungen, ansonsten sta­bil.«

Wieder wackelte der Kardenmogher. Es erinnerte mich an einen Karaketta-Raser aus meiner Jugend, dessen Trägheitsstabilisato­ren während eines Extremparcours ausgefal­len waren. Draußen glätteten sich die Feuer­zungen. Sie bildeten zwei parallel zueinan­der verlaufende Ebenen, eine über, eine un­ter dem Schiff. Der doppelte Kegelstumpf raste dazwischen entlang, und er schien die beiden imaginären Wände zu berühren. Dass der Kardenmogher mit annähernd fünfzig Prozent Lichtgeschwindigkeit dahinraste, brachte Kalarthras ins Schwitzen.

Energiefelder hielten uns in unseren Sit­zen, sonst wären wir herausgeschleudert worden und an den Wänden zerschellt. Der Kardenmogher ächzte in allen Fugen. Kalar­thras und Offshanor warfen immer wieder hektische Blicke nach links und rechts, als müssten sie umherfliegenden Gegenständen ausweichen.

»Situationsreport: keine Ausfälle. Alle Systeme stabil«, meldete DENMOGH.

»Näher heran!«, sagte ich. »Atlan, lass es gut sein!« Ich ignorierte den Varganen.

»Positionsbestimmung der Verfolger!« Einer flog schräg über uns, keine zehntau­

send Kilometer entfernt. Wir sahen zu, wie sich die Hülle des Schiffes nach und nach zu einem Schlauch verzerrte, den starke Gravi­tationskräfte in Fetzen rissen.

»Es handelt sich um eine optische Täu­schung«, informierte DENMOGH uns.

»Eine Positionsbestimmung ist unmög­lich.«

Der Kardenmogher änderte den Kurs, führte eine Notetappe durch. Wir sahen den tiefschwarzen Aufriss zwischen den Feuer­zungen, auf den wir zurasten, dann ver­schwand das Fahrzeug im Hyperraum. Über­gangslos endete das Rütteln. Dafür huschten blassblaue Flammen um den Kardenmogher. Das Hyperraumtriebwerk meldete eine Bela­stung von hundertzwanzig Prozent für die Dauer von siebzehn Sekunden. Die blauen

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Flammen breiteten sich rasch aus, bis sie einen lodernden Vorhang rund um das Schiff bildeten.

Und dann mit einem Schlag erloschen. Je­mand oder etwas schien dem Kardenmogher von hinten einen Tritt zu versetzen, der ihn vorwärts durch eine gelbe Öffnung ins Nichts schleuderte, besser gesagt in den Glutofen der Trennschicht, aus dem es kein Entrinnen gab.

Die grelle Erscheinung leuchtete noch auf der Netzhaut nach, als sich das Schiff bereits mit einer Kurzetappe aus der Gefahrenzone bugsiert hatte. Hinter uns loderte eine gigan­tische Flammenwand empor. Vor ihr husch­ten dunkle Schatten durch das Hologramm, verbogen sich unter dem Einfluss starker Gravitationskräfte und verschwanden außer­halb des Bildrands.

»Abstand vergrößern auf sechs Lichtstun­den«, sagte ich, ohne den Blick von den Trümmern des Golfballraumers zu nehmen. »Was ist mit den beiden anderen Verfol­gern?«

»Sie halten sich mit hoher Wahrschein­lichkeit hinter einer Raumkrümmung auf, verfolgen uns aber nach wie vor«, meldete DENMOGH.

»Danke!« Wir hatten einen kleinen Erfolg erzielt.

Das war in dieser Zeit voller Fehlschläge wenigstens ein Lichtblick.

Ein winziger! Und um welchen Preis. Wir brachten den Kardenmogher und uns selbst in Gefahr, um ein oder zwei Golfballraumer der Garbyor abzuhängen, von denen es im Mikrokosmos vermutlich Dutzende oder Hunderte gab. Sie würden die Verfolgung aufnehmen, sobald man ihnen den Befehl dazu erteilte.

»Was jetzt?«, knurrte Kalarthras. »Wenn wir schon hier sind, können wir ebenso gut gleich den Durchbruch versuchen!«

*

Nach der Ankunft im Mikrokosmos hat­ten wir uns über die Möglichkeiten einer

Rückkehr ins Standarduniversum unterhal­ten, über die Gefahr, die eine Benutzung des Umsetzers mit sich brachte, wenn wir unsere räumliche Kontraktion beibehielten und als millimetergroße Winzlinge ans Ziel gelang­ten. Besonders lange hätten wir uns der Rückkehr nicht erfreut.

Ähnlich lag der Fall, wenn wir einen Durchbruch versuchten. Die Membran, egal wie dick sie war, bestand aus einer vier- und einer fünfdimensionalen Komponente. Ent­weder schleuderte es uns in den Hyperraum oder ein Paralleluniversum, was vermutlich noch das angenehmere Schicksal war, oder es zerquetschte uns in der Trennschicht, weil sie keinerlei Permeabilität besaß.

Wenn wir wohlbehalten in unsere Welt zurückkehren wollten, dann mussten wir den Mikrokosmos auflösen. Im Klartext hieß das, den Umsetzer abschalten oder, weil das gegen die Truppen von Garbyor kaum machbar war, ihn zerstören.

Kalarthras sah das ebenso. Der Vargane erhob nicht einmal Einspruch gegen diesen Plan, obwohl er die Zerstörung eines varga­nischen Artefakts zumindest billigend in Kauf nahm. Mit der Zerstörung eines sol­chen Umsetzers vernichteten wir einen der Übergänge in den Mikrokosmos, in den die Varganen vor 50.000 Jahren zurückgekehrt waren.

Dass alle diese Überlegungen an der Rea­lität vorbeigingen, zeigte der Kollisions­alarm, den der Kardenmogher kurz darauf auslöste. Die Ortung lieferte verwirrende Daten, kein Wunder in dieser Zone von Tur­bulenzen aller Art. Ich richtete meinen Blick auf das Hologramm mit der optischen Dar­stellung. Aus den Schlieren und rötlich fase­rigen Netzgeweben schälte sich ein Golf­ballraumer, wand sich wie ein Wurm in der Umklammerung der Fäden, blieb trotz extre­mer Schubwerte hilflos hängen.

»Der Lockvogel verschwindet jetzt bes­ser«, empfahl Offshanor. »Sonst erwischt es ihn auch noch!«

DENMOGH führte endlich die von mir angeordnete Kurskorrektur aus.

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Wieder schüttelte es den Kardenmogher durch, der in seiner Schutzhaut wie irr im Hyperraum hin und her zu rasen schien. Er­ste Gravospitzen durchdrangen die Absor­berfelder. Die Prallfelder unserer Konturses­sel verhinderten das Schlimmste.

Oder auch nicht. Irgendwo hinter uns explodierte der Golf­

ballraumer, während er uns in den Hyper­raum zu folgen versuchte. Ein Teil der Ener­gien raste hinter uns her. Der Kardenmogher fing Feuer. Ich sah Rauch, der übergangslos das Heck des Doppelkegels einhüllte. Da­zwischen schlugen grünliche Flammen ins Freie.

Die Schwerkraft wurde aufgehoben. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Heroshan Offshanors Blut perlte und vor seinem Ge­sicht trieb. Er wollte es abwischen, aber er brachte die Arme nicht einmal bis zum ge­schlossenen Helm.

Die rötlichen Verästelungen eines umfas­senden Energienetzes rasten mit einem Mal auf uns zu, bis einzelne Fäden das Holo­gramm ausfüllten.

Das Letzte, was ich mitbekam, war ein Schlag, der die Welt auseinander riss.

2.

»Deflektorsystem?« »Aktiviert!« »Ortungsschutz?« »Aktiviert!« Kythara warf Gorgh-12 einen irritierten

Blick zu. Der Insektoide schlug die Mund­zangen gegeneinander. »Gibt es Korrektu­ranweisungen?«

»Nein, nein, es ist alles in Ordnung!« In Wahrheit war gar nichts in Ordnung.

Gorgh war an Bord, ebenso Farangon, einer der cappinschen Pedotransferer. Letzteren hielt die Varganin für einen Verräter oder Agenten, von Ersterem hatte sie geglaubt, dass die Garbyor sein Todesimpuls-Implan­tat anmessen konnten und deshalb immer nach kurzer Zeit am Standort der AMEN­SOON auftauchten.

Arndt Ellmer

Jetzt aber hing das Oktaederschiff schon seit einem halben Tag wieder im Ortungs­schutz der gelben Sonne Kop-2, von der aus der Kardenmogher gestartet war. Die Entfer­nung zu Kopaar betrug 15 Lichtjahre, ein Katzensprung gewissermaßen, zumindest für eine entsprechend groß dimensionierte Kat­ze.

Bisher näherte sich kein Golfballraumer. Nach tagelangen Verfolgungsjagden und Ablenkungsmanövern konnten die Garbyor unmöglich glauben, dass sich das Varganen­schiff in Luft aufgelöst hatte.

Also musste es einen anderen Grund ge­ben. Sie fanden die AMENSOON nicht.

Nach Kytharas Ansicht hing es mit der Besatzung des Kardenmoghers zusammen. Zwei der drei Insassen zählten zu den poten­ziellen Verrätern, wenn auch unfreiwillig.

Atlan – sein Zellaktivator und seine Rit­teraura ließen sich mit geeigneten Instru­menten durchaus erkennen, auch auf größere Entfernung. Vom Arkoniden selbst wusste sie, dass es Hilfsvölker höherer Entitäten gab, Kosmokratendiener und ähnliche, die solche Geräte benutzten.

Aber Atlan schied für Kythara aus. Sie fühlte das. Und sie glaubte fest daran. Wenn es so wäre, hätten die Lordrichter von Garb wesentlich früher Möglichkeiten gehabt, ihn in ihre Gewalt zu bringen.

Offshanor kam nicht in Frage. Der ganja­sische Kommandant der MORYR war über jeden Zweifel erhaben. Außerdem gehörte sein Schiff erst seit kurzem zu dem kleinen Verband.

Blieb als Einziger Kalarthras. Der Varga­ne war nach seiner Erweckung nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen. Dazu hatte er sich äußerlich verändert. Kythara arg­wöhnte, es könnte auch auf sein Inneres zu­treffen. Wenn es stimmte, dann wusste der Vargane nichts davon. Er hielt es sogar selbst für möglich, Zielpunkt für die Erfas­sungsgeräte der Garbyor zu sein.

Kalarthras, ein manipulierter Vargane? So etwas wie eine fünfte Kolonne der Lordrich­ter? Ein Spion wie Veschnaron?

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Kythara wollte auch daran nicht glauben. Sie fand gute Gründe, die dagegen sprachen. Seine Aufrichtigkeit und seine Selbstzweifel zum Beispiel. Oder die Tatsache, dass die Garbyor Gestaltwandler wie den falschen Veschnaron einsetzten, um Atlan und die Varganin in die Anaksa-Station zu locken und zu hoffen, sie würden dem Imitator wei­terhelfen.

Darauf hätten die Lordrichter verzichten können, wenn Kalarthras einer von ihnen gewesen wäre. Im Gegenteil, mit seiner Hil­fe hätten sie längst Zugangsberechtigungen zu allen Stationen und Anlagen der Varga­nen besessen. Sie hätten überhaupt keine fremde Hilfe benötigt.

Und Atlan? Welche Rolle spielte er in dem düsteren Plan?

Sie musterte die Anzeigen der Ortung und des Hyperfunks. Bisher gab es vom Karden­mogher kein Lebenszeichen. Niemand wus­ste, ob er Kopaar erreicht hatte oder sich noch auf dem Weg dorthin befand.

»Farangon«, sagte die Varganin nach ei­ner Weile, »kannst du mir sagen, wie sich Garbyor gewöhnlich verhalten, wenn sie ein Schiff jagen und es spurlos verschwindet?«

»Sie verstärken die Suchtrupps. In einem Mikrokosmos wie diesem wissen sie aber auch, dass sie sich Zeit lassen können. Die AMENSOON kann ihnen nicht entkommen. Wenn sie die Suche allerdings einstellen, ha­ben sie andere Befehle erhalten.«

Das hieß in diesem Fall, die Golfballrau­mer hatten den Kardenmogher entdeckt und machten Jagd auf ihn.

Kythara überlegte, ob sie den letzten Standort der MORYR anfliegen sollte, um das Schiff zur Unterstützung zu rufen. Sie unterließ es. Bisher wussten die Garbyor nur von der Anwesenheit der AMENSOON. Vielleicht hatten sie auch den Kardenmo­gher entdeckt, aber den würden sie schnell als Beiboot der größeren Einheit identifizie­ren.

Den Lordrichtern waren Kardenmogher und Hegnudger bekannt. Das Vorhandensein solcher Waffensysteme im Mikrokosmos

musste sie in höchste Alarmbereitschaft ver­setzen.

»In der Nähe Kopaars messen wir ver­stärkte Aktivitäten«, sagte Farangon. »Wir versuchen, Einzelheiten zu erkennen.«

Der Ganjase ermittelte mit Hilfe der AMENSOON-Ortung, dass drei Golfball­raumer Jagd auf ein Raumfahrzeug machten, das zu klein oder zu gut getarnt war, um als Echo auf dem Schirm zu erscheinen.

»Der Versuch ist hiermit fehlgeschlagen«, stellte Kythara fest. Es untermauerte ihren Verdacht. Der Kardenmogher war entdeckt worden, weil sich Kalarthras an Bord be­fand. Wenn sie jemals eine zweite Chance erhalten würden, durfte der Artgenosse nicht dabei sein.

Allerdings – und das wusste sie aus der langen Erfahrung ihres Lebens – gab es in solchen Fällen nie eine zweite Chance.

»Bereitmachen zum Alarmstart«, sagte sie.

»Das wäre ein Fehler«, wagte Farangon einen Einwand. »Wir sollten unsere Position und Existenz wirklich nur dann preisgeben, wenn der Kardenmogher aus eigener Kraft nicht mehr weiterkommt.«

Kythara gab ihm in Gedanken Recht. Sie hätte sich nicht anders verhalten. Der Ganja­se, wenn es sich um einen Verräter handelte, war nicht auf sie hereingefallen. Sie ver­suchte, ihn mit ihren mentalen Kräften aus­zuloten. Dabei fand sie nichts, was sie ir­gendwie irritiert hätte. Farangon hatte es so gemeint, wie er es gesagt hatte. War er doch kein Verräter?

Außerdem, wer war eigentlich nicht ver­dächtig?

Sie wollte ihm sagen, wie sehr es ihr Leid tat, ihm die ganze Zeit über unrecht getan zu haben. Eine innere Stimme hielt sie davon ab. Es war zu früh. Auch lag es nicht in ihrer Absicht, Kalarthras in seiner Abwesenheit bloßzustellen. Wenn, dann sollte er selbst vor die versammelte Mannschaft treten und es ihr erklären.

Eine Weile verfolgten die Insassen der AMENSOON die Jagd mit Hilfe der Ortung.

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Danach verlagerte sich das Geschehen of­fensichtlich an den Rand der 230 Lichtjahre durchmessenden Raumkugel. Wesentliche Vorgänge ereigneten sich auf der dem aktu­ellen Standort der AMENSOON entgegen­gesetzten Seite von Kop-2. Sie blieb auf die Auswertung von Funksprüchen angewiesen, die zwischen den Golfballraumern und dem Planeten Kopaar hin und her eilten. Es gab nicht viele davon, und sie enthielten ledig­lich Anfragen und Anweisungen über das weitere Vorgehen.

Kythara rechnete nicht damit, dass der Kardenmogher noch lange unterwegs sein würde.

»In der Nähe der Grenzschicht kommt es zu Raumbeben«, sagte Gorgh aber dann. »Jetzt kann der Kardenmogher zeigen, was in ihm steckt.«

*

Die Ortungsanzeigen bewegten sich alle­samt im kritischen Bereich. Eine halbe Stun­de dauerte das Bombardement inzwischen. Raumbeben durchzogen den Randbereich des Mikrouniversums, vermischt mit Hyper­entladungen, winzigen Strukturrissen und Energieausbrüchen. Jedes Mal, wenn ein Schiff in den Hyperraum wechselte, entstand eine zusätzliche Zone, in der sich die Phäno­mene aufschaukelten. Nach und nach verei­nigten sich diese Zonen zu einer einzigen. Es führte zu einem Energieausgleich auf ho-hem Niveau. Nach einer Weile sank der Le­vel deutlich ab, die Phänomene verliefen sich.

Die Orter registrierten eine Explosion. Kythara stöhnte leise. Ihre Hände zitter­

ten, als sie mehrere Schaltungen an ihrer Konsole vornahm. Ein zusätzlicher Bild­schirm erhellte sich. Er zeigte eine Aus­schnittsvergrößerung jenes Sektors, in dem sich die Explosion ereignet hatte.

»Ein Golfballraumer«, stieß sie hervor. Dennoch suchte sie weiter nach den typi­schen Emissionen des Kardenmogher. Erst als das zweite Schiff der Garbyor in der

Arndt Ellmer

Randzone explodierte, beruhigte sie sich ein wenig.

Eine dritte Explosion folgte wenig später. Nach ihr stand der Himmel am Rand des Mikrokosmos über mehrere Bogenminuten in Flammen. Die Orter fingen das Lodern wilder Hyperphänomene ein, Durchbrüche aus höheren Dimensionen, denen selbst eine »ultimative Waffe« wie der Kardenmogher nichts entgegenzusetzen hatte.

»Es existiert ein Zusammenhang zwi­schen den Vorgängen dort draußen und den Emissionen, die wir seit kurzem von Kopaar empfangen«, sagte Farangon. »Ich habe No­ganesch gebeten, sich das näher anzusehen.«

Der Chefwissenschaftler der MORYR hielt sich im Labortrakt der AMENSOON auf. Per Bildfunk holte Farangon ihn in die Zentrale.

»Auf Kopaar kommt es zu irregulären Energieausbrüchen«, berichtete der Ganjase. »Wir können auf diese Entfernung den ge­nauen Ort nicht bestimmen. Aber es liegt na­he, dass sich die Vorgänge im Bereich des dortigen Umsetzers abspielen.«

Kythara nickte. »Vielleicht ist das die Chance, den Umsetzer außer Gefecht zu set­zen. Wir müssen nur genügend Golfballrau­mer in die Grenzschicht jagen. Sie explodie­ren, im Gegenzug kommt es am Umsetzer zu Rückschlagsphänomenen. Er wird mit Hyperenergie überladen, explodiert eben­falls und vernichtet den gesamten Planeten und alle Anlagen, die dort existieren.«

»Wir messen Schwankungsbreiten, die … jedes Maß sprengen«, fuhr Noganesch hastig fort. Seine Stimme klang kratzig.

Kythara sah, dass er einen ängstlichen Blick zur Seite warf.

»Sprich weiter!«, forderte sie ihn auf. »Wovor hast du Angst?«

»Wir sind nicht sicher«, sagte er. »Einige Ausschläge im ultrahohen Frequenzbereich lassen befürchten, dass die Schwarze Sub­stanz auf Kopaar außer Kontrolle gerät.«

»Verstanden, Noganesch. Ich bereite alles für die Evakuierung vor.«

Sie gab Anweisungen an die Crew, nahm

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13 Vorstoß nach Kopaar

gleichzeitig mehrere Schaltungen an ihrem Terminal vor. Dabei behielt sie ununterbro­chen die Ortung im Blick.

Wo steckte der Kardenmogher? Sie hatten die Spur des kleinen Fahrzeugs verloren. Außer dem Lodern war da nichts mehr.

Eine Weile starrte Kythara stumm auf die Anzeigen. Die Energieausschläge der Explo­sionen ebbten langsam ab, die Hyperphäno­mene verabschiedeten sich mit ein paar letz­ten Blitzen, die den Raumsektor in eine Be­benzone verwandelten. Dort existierten Kräfte wie im Innern einer Sonne, die alles zerquetschten, was sich in ihrem Einflussbe­reich aufhielt. Durch ihre dreidimensionale Ausdehnung nahmen sie mit der Zeit ab, doch die Ausläufer würden selbst nach Stun­den oder Tagen noch zu messen sein.

Die AMENSOON meldete, dass alle An­weisungen ausgeführt waren. Die Korridor-Strecke war geräumt, der Hangar stand of­fen. Aus dem Labortrakt drang ein Keuchen, im nächsten Augenblick vom Alarm über­tönt.

»Die Schwarze Substanz reagiert!«, zirpte Gorgh. Es hielt ihn nicht mehr in seinem Sessel. Mit seinen dürren Insektenarmen deutete er wie anklagend auf den Bild­schirm.

Kythara schloss als Letzte den Helm ihres Kampfanzugs. Seit sie das Zeug an Bord ge­nommen hatten, existierte ein speziell auf den Behälter und seinen Inhalt ausgerichte­ter Notfallplan. Er sah im schlimmsten Fall sogar eine Vernichtung der Laborsektion vor, wenn das Schiff als Ganzes dadurch vor Schaden bewahrt werden konnte.

Inzwischen ahnte die Varganin jedoch, dass ein solcher Fall nicht eintreten würde.

»Automat, warte, bis ich das Kommando gebe«, sagte sie.

»Das Labor ist geräumt, die automatische Zusatzabschirmung aktiv«, bestätigte das Schiff.

Der abgeschirmte Behälter hing mitten in einem Antigravfeld, ein vierzig mal sechzig mal fünfzig Zentimeter großer Quader aus rötlichem Metall. Den Großteil des Volu­

mens der nicht ganz zehn Kilogramm schweren Kiste nahmen Energieerzeuger, Speicherzellen und Schirmfeldprojektoren in Anspruch. Im Innern selbst hing in einem gelblich transparenten Fesselfeld die Schwarze Substanz, eine winzige, exakt 25,7 Gramm schwere Wolke aus schneeflocken­ähnlichen Partikeln von schwarzer und grau­er Farbe.

Die Taster übermittelten wahnwitzige Werte, die es innerhalb des bekannten Spek­trums gar nicht gab. Die Wolke geriet in Wallung, wirbelte die Flocken wild durch­einander, rotierte gleichzeitig um drei Ach­sen.

Plötzlich existierte mitten in dem Behälter eine raumzeitliche Verzerrung. Sie entstand nicht nach und nach, sie materialisierte blitz­artig. Optisch ließ es sich an einer perma­nent wechselnden Deformation der rotieren-den Wolke erkennen. Die schwarzen und grauen Partikel schienen zudem abwech­selnd zu wachsen und zu schrumpfen.

Grelle Entladungsblitze zuckten im Innern und machten die Aufnahmekamera vorüber­gehend blind. Die Automaten der AMEN­SOON stimulierten sie mit elektrischen Im-pulsen, bis sie wieder ein Bild lieferte.

Die Masse innerhalb des Behälters nahm sprunghaft zu. Vierzig Gramm zeigte das Messgerät an, eine halbe Sekunde später achtzig Gramm. Die Schneeflocken klump­ten zusammen, bildeten erst einen unregel­mäßigen Kuchen, dann einen hoch verdich­teten Teig. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Masse acht Kilogramm und besaß eine Dichte wie die von hochwertigem Stahlplast.

»Das Ding saugt Energie aus dem Nichts«, stieß Farangon hervor. Kythara sah ihn zum ersten Mal fassungslos, mit gewei­teten Augen und wetzenden Lippen. Seine Hände bewegten sich fahrig auf den Arm­lehnen hin und her.

»Die Garbyor überschätzen sich, wenn sie glauben, die Technik der Varganen jemals beherrschen zu können«, sagte sie. »Behälter ausschleusen!«

Die Tür des Labors stand offen. Ein

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Transportfeld erfasste den Behälter, zog ihn in zwei Metern Höhe in den Korridor und mit hoher Beschleunigung Richtung Hangar. In seinem Innern entstand eine exponentiell anwachsende Energiekonzentration.

Kythara fragte sich, ob die Schwarze Sub­stanz Energie aus einem anderen Universum zapfte oder ob sie sie aus dem Dunkelstern holte. Gab es sie also doch, die von Faran­gon angesprochene Verbindung durch die Hintertür?

»Vorgang außer Kontrolle«, meldete die AMENSOON.

»Schneller!«, rief die Varganin. »Raus mit dem Ding!«

Der Automat beschleunigte den Behälter auf zwanzig Meter pro Sekunde. Dennoch dauerte es noch vier Sekunden, bis er den Hangar endlich hinter sich ließ. Weitere zehn Sekunden vergingen, bis er die Schirm­staffel des Oktaeders durchquerte. Erneut beschleunigte das Kraftfeld die Kiste, erst auf tausend, dann auf fünftausend Meter pro Sekunde. Dann entließ es den Behälter aus seinem Bann.

Noch existierte die Bildübertragung aus dem Innern. Kythara sah, wie die Schwarze Substanz unter dem hohen Innendruck Lichtblitze auszusenden begann. Die Ver­dichtung war inzwischen so hoch, dass sie trotz der Einflüsse der Sonnenkorona die Gammastrahlung messen konnten, die das Ding emittierte.

»Damit hatten wir uns den Tod an Bord geholt«, sagte Farangon. »Wir sollten es besser nie wieder tun.«

»Dazu dürfte es auch wohl kaum mehr kommen.« Allein die Beschaffung dieser Probe hatte einen hohen Blutzoll gefordert. Das würde sich nicht mehr wiederholen.

Kythara musterte Farangon unter halb ge­senkten Lidern. Warum hatte er immer die passende Bemerkung zur Hand und vertrat nie eine von der Vernunft abweichende Mei­nung? Hohe Intelligenz und Selbstbeherr­schung waren nichts Ungewöhnliches, aber bei Farangon legte sie unbewusst noch im­mer andere Maßstäbe an.

Arndt Ellmer

Ich werde ihm Abbitte leisten müssen, dachte sie. Irgendwann.

Das Schlimme an Verdächtigungen aller Art war, dass immer etwas hängen blieb, selbst nach dem klarsten Freispruch.

»Kop-2 fängt an zu reagieren!«, meldete Gorgh in diesem Augenblick. »Wir sollten verschwinden!«

*

Kytharas Gedanken jagten sich. Seit einer halben Stunde beobachtete die AMEN­SOON die Entwicklung im Innern des Sterns. Erst hatten die Hyperorter nur leichte Veränderungen im Emissionsverhalten der Sonne festgestellt. Inzwischen veränderte sich der Energiehaushalt.

Zwei Minuten nach dem Ausschleusen war der Behälter geplatzt. Die Schwarze Substanz hatte sich in der Fotosphäre verteilt und war von den gewaltigen Anziehungs­kräften schnell in die Tiefe gerissen worden. Entgeistert hatten sie in der AMENSOON verfolgt, wie die Flocken noch immer Ener­gie aus dem Nichts saugten.

Nach dreißig Minuten stand fest, dass der Vorgang offensichtlich von außen gesteuert wurde beziehungsweise aus hyperphysikali­schen Gründen nicht umkehrbar war. Eine Art hyperphysikalische Kernreaktion. Nach drei Stunden jagte die erste Protuberanz aus der Korona ins All, als musste sich der Stern ein Ventil gegen den Überdruck schaffen. Die Masse von Kop-2 nahm zu, ebenso der Energielevel im Innern.

Wir sind schuld, dachte Kythara. Wieso mussten wir das Zeug unbedingt mit uns schleppen?

Wenn sie es wenigstens gegen Kopaar zum Einsatz hätten bringen können …

Vom Kardenmogher gab es noch immer kein Lebenszeichen. Die Varganin musste inzwischen befürchten, dass er die Vorgänge an der Grenzschicht des Mikrokosmos nicht überstanden hatte. Und mit ihm wären auch Atlan und Kalarthras aus ihrem Leben ver­schwunden … Nein, das wollte sie sich nicht

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15 Vorstoß nach Kopaar

vorstellen. »Ich habe eine Hochrechnung durchge­

führt«, unterbrach Farangon die Stille. »Die Eruptionen nehmen innerhalb von vier, fünf Stunden so stark zu, dass das Schiff nicht mehr zu halten ist.«

»Wir warten so lange, wie es irgendwie geht«, sagte Kythara.

Sie hielten dreieinhalb Stunden unter mittleren bis hohen Gefahrenwerten durch, ohne dass das Schiff von einer der Protube­ranzen getroffen wurde.

Dann ließ sich die Position im Schutz der Korona nicht mehr halten. Ein Flug nach un­ten in ruhigere Zonen der Fotosphäre kam nicht in Frage. Die Triebwerke hätten den Schub nicht aufbringen können, um jemals wieder ins All zu starten.

Kythara gab den Befehl zum Abflug. Langsam löste sich die AMENSOON aus der Korona, blieb noch eine Weile in der Nähe der Sonne hängen, bis die Orter einen deutlichen Ausschlag zeigten.

»Alle Energien auf das Deflektorfeld!«, ordnete die Varganin an. Man konnte ja nie wissen …

3.

»Grenzwerte stabil! Grenzwerte stabil …« Erst drang es wie das ferne Murmeln ei­

nes Baches in mein Bewusstsein, dann ver­stand ich die gesprochenen Worte. Mühsam öffnete ich die Augen, entdeckte das Holo­gramm mit den Sternen und darunter die Be­reitschaftsanzeigen des Kardenmoghers.

Welche Grenzwerte meinte er? Salziges Sekret verklebte meine Augen, ich sah kaum etwas. Die Augäpfel brannten. Ich brauchte als Erstes Wasser, um mein Gesicht zu wa­schen.

»Kalarthras?«, fragte ich. »Offshanor?« Ich erhielt keine Antwort. Die beiden Ses­

sel neben mir waren leer – nein, ich bildete es mir im ersten Augenblick nur ein. Die Sessel fehlten. Einflüsse aus Raum und Zeit hatten sie aus dem Schiff entfernt. Vermut­lich trieben sie dort, wo sich der Kardenmo­

gher vor kurzem noch befunden hatte. »Hast du Aufzeichnungen, was passiert ist?«, ächzte ich.

»Ich kann dich beruhigen«, sagte DEN­MOGH. »Im Augenblick gibt es lediglich Schwierigkeiten mit der Steuerung von Prall- und Deflektorfeldern.«

»Der Brand im Heck …« »Es existiert kein Brand, Atlan.« »Ich habe doch deutlich gesehen, dass

…« »Was die Außenkameras übertrugen, wa­

ren Aufnahmen des Golfballraumers. Es hat ihn zerrissen, ein Teil seiner Außensektio­nen und Triebwerke ist abgebrannt. Der Rest wurde zwischen Gravitationsscheiben zer­rieben.«

Nochmal Glück gehabt, Alter! »Ich brauche Wasser!« Ein Roboter schwebte heran, brachte mir

einen feuchten Lappen, mit dem ich das Ge­sicht abwusch. Anschließend reichte er mir einen Becher mit dem köstlichen Nass.

»Könntest du die Deflektorfelder jetzt ab­schalten?«, fragte ich.

»Bitte gedulde dich noch ein wenig.« Es dauerte weitere zwei Minuten, bis die

Selbstreparaturfunktion des Kardenmoghers endlich ein Ergebnis erzielte. Ich nutzte die Zeit und sah mir die Aufzeichnungen an. Der zweite Golfballraumer war auseinander geplatzt wie ein Ballon, in den man zu viel Luft pumpte. Dazwischen entdeckte ich das Hyperecho des dritten Schiffes, das uns ver­folgt hatte. Sein Pilot flog einen Schlinger­kurs, der viel Energie benötigte, aber das Ri­siko verringerte, von einer der Stoßwellen­fronten getroffen zu werden, die inzwischen entlang der Grenzschicht rollten. Ein wenig erinnerte mich die grafische Darstellung der hyperphysikalischen Vorgänge an Gewitter­fronten, die nacheinander vorbeizogen. Mit etwas Glück schlug der Blitz nicht ein. Bei hohen Metallkonzentrationen lag die Wahr­scheinlichkeit allerdings sehr hoch.

In dem aktuellen Fall war der Kardenmo­gher gegenüber den Golfballraumern klar im Vorteil.

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»Das dritte Schiff ist soeben gegen eine Schwerkraftwand geprallt«, meldete DEN­MOGH. Fast gleichzeitig lösten sich die De­flektorfelder auf. Kalarthras und Offshanor hingen in ihren Prallfeldern und kamen so­eben zu sich.

»Alles in Ordnung«, sagte ich. »Wie es aussieht, haben wir sie abgehängt.«

Der Vargane sah mich erstaunt an. »Alle drei?«

»Alle drei. DENMOGH irrt sich nicht.« »Na dann.« Kalarthras wandte sich dem

Ganjasen zu. »Bei so viel Glück kann einem schon unheimlich zumute werden.«

»Die technische Überlegenheit des Kar­denmoghers hat uns das Leben gerettet«, fuhr ich fort. »Die Spezialeinheit der Varga­nen ist für Situationen wie diese gebaut.«

Ein Wunder war es keines. Das Volk aus dem Mikrokosmos hatte schon vor Jahrhun­derttausenden an den Prinzipien des Univer­senwechsels gearbeitet. Es war gut vorstell­bar, dass es sich bei dem Kardenmogher um einen Universentaucher handelte, mit dem man gefahrlos vom Standarduniversum in den Mikrokosmos wechseln konnte und wie­der zurück. Vorausgesetzt, die Techniker in den Umsetzerstationen kannten sich mit ih­ren Maschinen aus. Bei den Garbyor konn­ten wir das nicht voraussetzen. Sie hatten es geschafft, den Umsetzer auf Kopaar zu akti­vieren und die für uns gedachte Falle zu­schnappen zu lassen. Mehr schienen sie nicht zuwege zu bringen. Das Abschalten des Umsetzers wurde für sie vermutlich zu einem lebensgefährlichen Unterfangen.

Überrangkodes und ähnliche Sicherheits­maßnahmen gab es auf Kopaar bestimmt ge­nug, mit deren Hilfe die Varganen die Be­fehlsgewalt an sich reißen konnten. Die Fra­ge war nur, wie viele Garbyor auf dem Pla­neten arbeiteten und wachten. Wenn ein Landekommando erst gar nicht bis zu den Schaltzentralen durchdrang, halfen alle Ko­des und Kenntnisse nichts.

»Die Auswertung aller hyperphysikali­schen Phänomene ist abgeschlossen«, ver­kündete DENMOGH.

Arndt Ellmer

Ich richtete mich im Sessel auf. »Wir sind ganz Ohr!«

Der Bericht der Kardenmoghers bestätigte meine Vermutungen. Die Grenzschicht ließ sich auf herkömmliche Weise nicht durch­dringen, geschweige denn zerstören. Das projizierte Hyperfeld war fest in den univer­sellen Konstanten verankert, der Mikrokos­mos selbst war die Ursache, dass der Druck vom Standarduniversum auf die Trenn­schicht zu einer Verfestigung dieser Schicht führte.

In der herkömmlichen Physik unseres Standarduniversums hätte man gesagt, dass innen im Bereich der Grenzschicht ein leich­ter Überdruck herrschte, der vom Standardu­niversum durch Gegendruck ausgeglichen wurde.

Undurchdringlich, es sei denn, man baute Schleusen ein.

Bisher hatten wir keine einfliegenden oder abfliegenden Schiffe beobachtet.

»Und jetzt?«, wollte Offshanor wissen. »Wir gehen auf Schleichfahrt nach Kop­

5«, schlug ich vor. Der Blauweiße Riese zählte zu den vorab

vereinbarten Treffpunkt-Sternen, an denen wir nach dem jeweils anderen Schiff Aus­schau halten würden. Im Ortungsschutz des Riesen wollten wir uns eine Pause gönnen und die Situation innerhalb der 230-Lichtjahre-Kugel beobachten.

Dass die drei Verfolgerschiffe vernichtet worden waren, würde auf Kopaar nicht un­beachtet bleiben. Irgendwann tauchten ga­rantiert Suchschiffe auf, die nach Überresten Ausschau hielten oder wissen wollten, ob es auch Trümmer der verfolgten Beiboot-Ein­heit gab.

*

Draußen gleißte der Blaue Riese. Drinnen im Kardenmogher bildete der Schimmer des blauen Metalls einen kaum wahrnehmbaren Kontrast. Im weißblauen Licht verwischten sich viele Konturen, verwandelte sich die Ebene mit der Steuerzentrale in einen Ort

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17 Vorstoß nach Kopaar

sanften Nebellichts, in dem lediglich die ho­lografischen Terminals in ihren roten und grünen Farben Orientierung boten.

Wir schwenkten unsere Kontursessel, so­dass wir einander ins Gesicht sehen konnten. Inzwischen waren wir uns ohne Ausnahme über unsere Situation im Klaren.

Wir saßen in einer nahezu perfekten Falle. Besser hätten sie die Garbyor nicht vorberei­ten können.

Und wer hatte uns auf die Bedeutung Ko­paars hingewiesen und einen Zusammen­hang mit Anaksa konstruiert? Farangon!

Ich bedauerte, ihn nicht auf diesen Flug mitgenommen zu haben. Zu dritt wäre es uns garantiert gelungen, ihn aus der Reserve zu locken. Eine unbedachte Handlung, ein heimlicher Funkspruch vielleicht …

Farangon wird nie so dumm sein, euch in die Falle zu gehen!, meinte der Extrasinn. Hast du schon wieder vergessen, wie koope­rativ er sich verhält?

Natürlich konnte es auch anders sein. Fa-rangon gab sich keine Blöße, er verhielt sich völlig normal. Aber das wollte nichts hei­ßen.

Das zeitliche Zusammenfallen seiner Vor­schläge und unseres Pechs passt zu keinem anderen so gut wie zu Farangon, machte ich dem Extrasinn begreiflich.

Natürlich. Du solltest in deiner Gewis­sheit über seine Identität nur nicht den Feh­ler begehen und ihn unterschätzen.

»Wir können ein paar Tage in der Deckung dieses Sterns bleiben«, sagte ich zu den Gefährten. »Irgendwann werden sie uns aufspüren. Selbst wenn wir dann wieder flie­hen und uns einen anderen Stern aussuchen, wird es nicht lange dauern, bis sie uns fin­den.«

»Es liegt wohl doch an mir«, meinte Ka­larthras. »Irgendetwas messen sie an, was ich in mir trage.«

»Der Kardenmogher hat alles untersucht. Du bist nicht verwanzt und auch nicht sug­gestiv beeinflusst. Wenn es etwas gäbe, dann deine Ausstrahlung als Vargane. Aber ich glaube nicht daran.« Im Vergleich mit

meiner eigenen Aura oder dem Potential des Aktivatorchips war die Ausstrahlung des Varganen verhältnismäßig gering. Er zog auch keine Schleppe einer abweichenden Strangeness hinter sich her, die seine Rück­kunft aus einem anderen Universum doku­mentierte.

»Erst einmal spielt es keine Rolle, wen von uns sie anmessen und dadurch die Posi­tion des Kardenmoghers erkennen«, fuhr ich fort. »Wichtig ist allein, dass wir uns nicht in die Rolle passiver Flüchtlinge drängen lassen dürfen. Wir ergreifen die Initiative. Dadurch zwingen wir die Garbyor zu einer Reaktion.«

»Und sind ihnen jedes Mal einen Schritt voraus!«, sagte Offshanor. »Ich bin dabei!«

Wir mussten den Umsetzer zerstören, nur so wahrten wir unsere Chance auf eine Rückkehr ins Standarduniversum. Den Um­setzer selbst stellte ich technologisch auf dieselbe Stufe wie die so genannten Drugun-Umsetzer, jene vermutlich der Technologie der Kosmokraten entstammenden Geräte, wie es sie in dezentralisierter Form in den Kosmischen Burgen der Sieben Mächtigen gegeben hatte. Sie waren eingesetzt worden, um die Burgen aus ihren Verstecken in ei­nem Mikrokosmos ins Standarduniversum zu holen. Darüber hinaus hatten die Drugun-Umsetzer auch als Transportsystem zur Be­förderung von Objekten über gewaltige kos­mische Entfernungen hinweg gedient.

Ich war überzeugt, dass wir bei exakter Kenntnis des varganischen Umsetzers auf ähnliche oder identische Funktionen stoßen würden.

Leider konnte mir Kalarthras auf eine ent­sprechende Frage keine Antwort geben. Er wusste nur, dass die varganischen Experi­mente mit den Umsetzern weit zurückreich­ten. Chefwissenschaftler Haitogallakin und seine Mitarbeiter hatten einst eine ganze Reihe von Labor- und Versuchswelten ein­gerichtet. Eine der wichtigsten war Ephai­ston, 3585 Lichtjahre von Kopaar entfernt.

Farangon hatte die Entfernungen und die Namen genannt. Näher an Kopaar lag Gala­

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dat mit 1719 Lichtjahren, während die Ent­fernung zwischen Ephaiston und Galadat 5291 Lichtjahre betrug.

»Die Hintertür zum von den Garbyor ab­geriegelten Dunkelstern und der Anaksa-Sta­tion in seiner Akkretionsscheibe aus Schwarzer Substanz vergessen wir dabei am besten!«, eröffnete ich dem Varganen und dem Ganjasen. »Von Kopaar aus werden wir den Zugang wohl nie nutzen können.«

Eine andere Möglichkeit, die Pläne der Lordrichter und ihrer Helfer zu durchkreu­zen, stellte die Schwarze Substanz an sich dar. Ihre Untersuchung hatte ergeben, dass die Obsidian-Form als Anker für hyperener­getische, pseudomaterielle Einschlüsse des UHF-Bereichs diente oder gar reine Psi-Materie darstellte, während normale Hyper­kristalle deutlich weiter unten im hyperener­getischen Spektrum angesiedelt waren.

Vielleicht bot genau diese Erkenntnis eine Chance, das gespeicherte Potenzial freizu­setzen, es gewissermaßen zu zünden. Das hätte dann zweifellos das Ende des Dunkel­sterns und der Anaksa-Station zur Folge ge­habt.

Bei der Frage nach den Mitteln dazu wa­ren wir von vornherein auf den Hegnudger gekommen, dieses faustgroße Kristallokta­eder, mit dem wir bereits in der Milchstraße im Kampf gegen die Psi-Quelle Erfolg ge­habt hatten. Mit seiner Hilfe konnten wir Gravo-Zyklon-Projektoren so verstärken, dass auch extrem starke Psi-Potenziale im UHF-Frequenzbereich des hyperenergeti­schen Spektrums in den Hyperraum abge­strahlt werden konnten.

Die einzige Voraussetzung dafür war, möglichst nahe und genau ans Ziel heranzu­kommen. Angesichts der Truppenmassie­rung am Dunkelstern war genau dies derzeit nicht gewährleistet.

Hier wäre die von Farangon erwähnte Hintertür hilfreich gewesen, sofern sie groß genug für den Kardenmogher war.

Egal wie, es führte kein Weg daran vor­bei, wir mussten erneut nach Kopaar vorsto­ßen, Golfbälle hin oder Golfbälle her.

Arndt Ellmer

»Eine Bitte habe ich an euch«, sagte ich abschließend zu den Gefährten. »Schweigt Farangon gegenüber von unseren Plänen. Wenn er nichts weiß, schadet es ihm nicht. Sollte er aber der Verräter sein, ist es besser, er kennt unsere Absichten nicht.«

Offshanor zog die Stirn kraus. »Ich bin mir inzwischen sicher, er ist es.«

*

Der Bordkalender zeigte inzwischen den 18. Juli 1225 NGZ. Damit waren seit dem Zuschnappen der Falle vier Tage vergangen. Innerhalb des Mikrokosmos ereignete sich nichts Auffälliges. Wir entschlossen uns, nach Kop-2 zurückzukehren, dem ersten An­laufpunkt auf der vereinbarten Liste, von wo aus wir mit dem Kardenmogher gestartet waren. Wenn die AMENSOON sich irgend-wo versteckt hielt, dann dort.

»Der Flugverkehr im Raum Kopaar hat zugenommen«, stellte Offshanor fest. »Es sieht aus, als würde sich dort einiges tun.«

Ich nickte. »Sie machen den Anlagen­komplex dicht. Offenbar rechnen sie damit, dass wir noch am Leben sind. Oder sie er­warten einen Angriff der AMENSOON.«

Fällt dir eigentlich auf, dass weder der vermutete Standort der AMENSOON noch der des Kardenmogher Ziel von Golfball­raumern ist?

Natürlich fällt mir das auf. Manchmal nervte der Extrasinn mit sei­

nen Hinweisen auf so banal Offensichtli­ches. Ich hätte viel darum gegeben, ihn bei Bedarf abschalten zu können.

»Da ist noch etwas«, fuhr der Ganjase fort. »Kop-2 produziert extrem viele und starke Eruptionen. Der Stern ist offensicht­lich in eine Phase erhöhter Aktivität einge­treten.«

Ich warf einen Blick auf die Orteranzei­gen. Für eine planetenlose gelbe Normalson­ne ohne störenden Zwergbegleiter lagen die Ausbrüche der Fotosphäre in einer Größen­ordnung, die sofort meinen Verdacht er­weckte. Die Eruptionen konnten unmöglich

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natürlichen Ursprungs sein. »Wir starten sofort!«, wies ich DENMO­

GH an. Übergangslos erfüllte mich Sorge um Kythara und die Besatzung der AMEN­SOON. Durch die waghalsigen Manöver an der Grenzschicht hatten wir für schätzungs­weise zwei Stunden keine Möglichkeiten ge­habt, Ortungsinformationen aus dem Mikro­kosmos einzuholen. Das varganische Okta­eder konnte in dieser Zeit vernichtet worden und in eine Sonne gestürzt sein.

Das Aufheizen der Sonne stand aber nicht im Zusammenhang mit einem Angriff auf die AMENSOON. Dennoch ebbte das flaue Gefühl in meinem Magen nicht ab.

Der Kardenmogher löste sich aus der Ko­rona von Kop-5 und beschleunigte dicht über der Sonnenoberfläche. Nach dem Errei­chen der Mindestbeschleunigung wechselte er sofort in den Hyperraum. Das Manöver über 93,2 Lichtjahre war exakt berechnet. Auf der Kopaar abgewandten Seite der gel­ben Sonne schlüpfte der Kardenmogher aus dem Hyperraum und leitete das Bremsmanö­ver ein.

»Ortung!«, meldete DENMOGH. »Es ist die AMENSOON-Signatur!«

»Gerafften Hyperimpuls an AMEN­SOON!« Ich sah die Gefährten erleichtert an. Das Schiff war heil, die Insassen vermut­lich auch.

Extrem gefährlich nahmen sich allerdings die Eruptionen aus, die wie Geschosse aus der Korona des Sterns hinaus ins All rasten. Die AMENSOON floh vor ihnen. Wir sa­hen, dass sich ein Hangar öffnete. Der Kar­denmogher schoss auf das Oktaeder zu, während dieses mit wahnwitzigen Werten beschleunigte, um die Geschwindigkeit für das Einschleusungsmanöver zu erreichen.

Kop-2 schleuderte uns ein halbes Dutzend Eruptionen hinterher.

»Bei den Sternengöttern«, stieß ich her­vor. »Wenn das so weitergeht, verwandelt sich der Stern bald in eine Supernova.«

Wie immer, wenn Schwarze Substanz im Spiel ist!, merkte mein Extrasinn an.

Wir hatten Kop-2 spektral vermessen,

aber keine Hinweise darauf gefunden. Mein­te denn der Logiksektor etwa …

Ich schlug mir in Gedanken gegen die Stirn, was ihm einen Heiterkeitsausbruch entlockte. Natürlich! Ich sah den roten Qua­der vor mir, der im Labortrakt hing und ver­mutlich nicht mehr dort war.

Kythara musste schwerwiegende Gründe gehabt haben, ihn aus dem Schiff zu entfer­nen und in die Sonne zu schleudern.

Die beiden Fahrzeuge trafen sich bei 38,779 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Der Kardenmogher führte die letzte Feinan­passung durch, dann glitt er in den Hangar, dessen Schott sich sofort hinter uns schloss.

Die AMENSOON beschleunigte. Gleich­zeitig zeichnete sich im Steuerhologramm des Kardenmoghers der Kopf der Varganin ab.

»Geht es euch gut?« Täuschte ich mich, oder war in ihrer Stim­

me ein Unterton, der über die gewohnte Für­sorge einer Kommandantin hinausging?

»Ja, Kythara«, antwortete ich. »Wir haben alles unbeschadet überstanden. Von unseren Verfolgern können wir das nicht sagen.«

»Ich erwarte euch in der Zentrale. Unser Flugziel ist übrigens Kop-1.« Das war der planetenlose Rote Zwerg, 3,8 Lichtjahre von Kopaar entfernt.

»Wir sind schon unterwegs.«

4. Zehn Tage zuvor …

Das Abbild eines Daorghor schälte sich aus dem Nebel des Hologramms, wogte hin und her, stabilisierte sich schließlich und nahm Haltung an.

»Mein Gebieter …« Erzherzog Garbgursha reagierte mit einer

Geste des Unwillens. »Was gibt es?« Konnten sie ihn nicht in Ruhe lassen?

Viel zu wichtig waren die Gedanken, denen er nachhing.

»Die GARB-ONZYN hat den Einsatzort erreicht, Erzherzog!«

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»Schon?« Sein Blick wanderte zur Gene­ralanzeige. Die Zeit war wie im Flug ver­gangen.

Garbgursha strich über die unscheinbare kleine Kugel an seinem Gürtel. Sie war mil­chig trüb. Er nahm sie aus dem Etui und hielt sie in der rechten Hand vor sich hin. Augenblicklich baute sich über der Kugel ein Hologramm auf. Für gewöhnlich enthielt es die Koordinaten und die Entfernung des georteten Ziels relativ zum Standort des Ge­räts. Jetzt aber zeigte sie nichts an. Die Ent­fernung des feindlichen Schiffes von der Kugel war zu groß.

»Wir gehen in eine Parkbahn und bereiten alles für den Empfang des Arkoniden vor.«

»Ja, mein Erzherzog«, dienerte der Daor­ghor und klackte mit den Mundzangen.

Der Automat blendete ihn aus dem Holo­gramm aus, die tanzenden Sterne seiner Hei­matgalaxis Vancanar. In letzter Zeit wünsch­te er sich immer wieder dorthin zurück, ge­rade so, als habe er nur noch diese eine Chance, die Heimat wiederzusehen.

Unsinn!, schalt er sich. Mit seinen 189 Jahren hatte er den Zenit seines Lebens noch längst nicht überschritten. Wenn ihn etwas stoppen konnte, dann höchstens das To­desimpuls-Implantat, das er ebenso trug wie alle anderen Kämpfer für Garb und das seine Loyalität zu den Lordrichtern und seinen Glauben an Trodar nur noch verstärkte.

Allein schon sein legendärer Ruf, den er unter den Garbyor genoss, trug viel dazu bei, ihm das Dasein angenehm zu machen.

Dennoch … Die Gedanken an Vancanar häuften sich, die Bilder aus den Arsenalen von Zaqoorski prägten sich ihm in jeder neuen Nacht mit stärkerer Intensität ins Be­wusstsein. Damals, als er sich, vom Ehrgeiz beinahe aufgefressen, zur Leibgarde des Lordrichters Yagul Mahuur gemeldet hatte, war er über Leichen gegangen, ein übliches Verfahren aller, die nach oben wollten. Sie schafften ihre Konkurrenten auf mehr oder weniger geschickte Weise aus dem Weg. Wer sich dabei besonders dämlich anstellte, landete in der nächsten Konverterkammer.

Arndt Ellmer

Garbgursha hatte damals alles unternom­men, um die Pannenstatistik zu seinen Gun­sten zu verändern. Selbst die Konverterkam­mern waren in der fraglichen Nacht ausge­fallen, und von den Opfern seiner heimli­chen Umtriebe hatte nie jemand auch nur ei­ne Spur gefunden. Mit etwas Glück dauerte es Jahrtausende, bis ein möglicher Umbau von Zaqoorski so weit fortgeschritten war, dass man die im Tiefkeller in Plastikblöcken eingegossenen Toten fand, in ihren Umris­sen für die Nachwelt konserviert, im Innern von den Maden aufgefressen.

Aber all das besaß im Leben des Erzher­zogs Garbgursha keine Bedeutung mehr.

Eiseskälte kroch seinen Rücken empor, strich gleichzeitig über seinen Kopf mit dem schwarzen Stoppelhaar. Er fuhr herum, rech­nete voller Schreck mit dem Erscheinen des Eishaarfelds von Yagul Mahuur. Aber er täuschte sich. Der Lordrichter erschien nicht, die intensive Aura der Macht blieb aus, die er immer dann spürte, wenn er die­sem Wesen gegenüberstand.

Automatisch schweiften Garbgurshas Ge­danken weiter, schlug er den Bogen zwi­schen dem Lordrichter und seinem Vertrau­ten Heronar alias Veschnaron.

Ein Trobyor, ein einfacher Soldat als Freund und engster Vertrauter eines Lord­richters – es war seltsam. Viele Jahre hatte sich Garbgursha darüber keine Gedanken gemacht. Inzwischen aber waren Dinge vor­gefallen, die er mit geschärften Sinnen an­ders sah als früher. Auf unbegreifliche Wei­se änderte sich seine Perspektive, nicht nur was den Dunkelstern und die Artefakte der Varganen betraf, sondern auch die Vorgänge in seiner Heimat. Der ewige Kampf in Van­canar, das Prinzip der Auslese – ihm fiel der Sinn nicht mehr ein. Woher rührte der im­mer währende Kampf? Wer hatte einst den Angriff gestartet, und worauf reagierten die Garbyor heute?

Verstand er Trodar noch so, wie es einst gemeint war?

Ich verändere mich! Eisiger Schrecken begleitete die Feststellung. Oder verändert

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sich das Universum um mich? Veschnaron war der Auslöser gewesen.

Garbgursha hatte erlebt, wie der legendäre Vertraute zum Lordrichter gerufen worden, aber nicht mehr zurückgekehrt war. Der Erz­herzog hielt es für wenig plausibel, dass Ve­schnaron für sein Versagen in der Anaksa-Station bestraft worden war. Eher hing es mit dem geheimnisvollen Auftauchen und Verschwinden der Lordrichter zusammen. Hatte Yagul Mahuur seinen Vertrauten mit auf eine Reise im Eishaarfeld genommen?

Früher wäre Garbgursha nie auf den Ge­danken gekommen, sich solche Fragen zu stellen. Inzwischen aber hatte sich etwas verändert, und je länger er darüber nach­dachte, desto eher glaubte er daran. Kam es tief aus seinem Innern. Erwachten Urerinne­rungen seines Volkes?

Garbgursha erwischte sich alle paar Stun­den dabei, wie er spontan seine Gestalt wechselte, einfach um sicher zu sein, dass diese seine Fähigkeit noch funktionierte. Wie Heronar war er ein Gestaltwandler, aber Heronar hatte noch nie den Kontakt zu ihm gesucht, und wenn, dann war er ihm ähnlich geheimnisvoll und charismatisch vorgekom­men wie der Lordrichter.

All das war sehr merkwürdig. Auch wenn Garbgursha sich früher nie über so etwas den Kopf zerbrochen hätte, reichte es hier und heute dazu aus, Stunden des Tages dar­auf zu verwenden …

*

Heronar erwartete ihn unter dem zwanzig Meter hohen Portal der gewaltigen Anlage. Links und rechts standen zwei kleine Projek­toren, die Prallfelder erzeugten. Sie verhin­derten, dass der Torbogen unter den Er­schütterungen des Kampfes in sich zusam­menstürzte.

Garbgursha hob die Hand zum Gruß. He­ronar beachtete es nicht. Stumm deutete er hinauf zum Himmel, wo die Beiboote der Garbyor einen Vargrin nach dem anderen zu Staub zerbliesen.

»Dieser Dscherbal des siebten Domai wird als Tag der Verzweiflung in die Ge­schichte der Varganen eingehen«, verkünde­te Heronar mit hallender Stimme. »Nachfolgende Generationen werden zittern und sich verkriechen, wenn sie den Namen ›Garb‹ auch nur hören!«

Garbgursha erschauerte unter dem Ein­druck der Stimme und den Worten des Art­genossen. Heronar sprach wie einer der obersten Anführer. Dem Erzherzog schoss spontan ein Gedanke durch den Kopf. Wer hat ihn dazu autorisiert? Yagul Mahuur? Oder einer der Lordrichter in Gruelfin?

Heronar breitete die Arme aus, vollführte eine alles umfassende Geste, dann lachte er plötzlich. »Die Ruinen der Rhoarxi sollen bleiben, wie sie sind. Aber alle Siedlungen der Varganen-Nachkömmlinge werden dem Boden gleichgemacht. Wo sie standen, soll kein Stein auf dem anderen bleiben und kein einziger Halm mehr wachsen!«

»Heronar!«, sagte Garbgursha mit ein­dringlicher Stimme. Es war ihm ein Rätsel, wieso Yagul Mahuur einen einfachen Tro­byor zum Feldherrn gemacht hatte. »Wir sollten uns um unsere Truppen kümmern, die wir befehligen.«

Bisher hatte Heronar Dutzende von Funk­sprüchen ignoriert. Die Garbyor warteten auf weitere Anweisungen.

»Du hast Recht, Erzherzog«, lautete die Antwort, diesmal leicht mürrisch und mit ei­nem teilnahmslosen Unterton – ganz so, wie er Heronar kannte. »An die Arbeit!«

Als über dem Portal der Götter die Nacht hereinbrach, lebte auf Fenxen kein einziger Varganensprössling mehr. Ein paar tausend hatten es geschafft, rechtzeitig in Raum­schiffen zu fliehen, bevor die Flotte von Garb erschienen war. Die Garbyor würden sie jagen, und wenn es dabei bis ans Ende des Universums ging.

Der Erzherzog kehrte in das Kommando­schiff im Orbit zurück. Fast gleichzeitig mit ihm traf die Fähre des zweiten Heerführers ein. Garbgursha fiel die tiefe Unterwürdig­keit der Daorghor auf, die sie Heronar entge­

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genbrachten. Der Zaqoor beachtete sie nicht, als sei das seinem Status angemessen.

»Ach, Garbgursha«, sagte er, als er den Erzherzog gewahrte. »Für dich liegt der nächste Auftrag vor. Am besten begibst du dich sofort in die Zentrale.«

Erzherzog Garbgursha wollte Heronar später wegen dessen herablassender Art zur Rede stellen. Aber der Feldherr war nicht zu sprechen, und zu vorgerückter Stunde kam Garbgursha nicht mehr dazu, sein Vorhaben auszuführen. Lordrichter Yagul Mahuur hielt sich im Schiff auf …

*

Es war jedes Mal ein gewohnter und den­noch merkwürdiger Anblick. Diesmal trat Garbgursha dem Artgenossen nicht als Zaqoor, sondern in der Gestalt eines insek­toiden Daorghor gegenüber. Heronar agierte in der Gestalt eines Varganen – jenes Varga­nen namens Veschnaron, dessen Rolle er ge­genüber dem Arkoniden und seinen Beglei­tern gespielt hatte.

Seit zwei Wochen waren sie auf Krax, der eine offen, der andere heimlich.

Sie arbeiteten sich gegenseitig zu. Wäh­rend Veschnaron den Varganen in der Plate­austadt die Vorzüge einer Kooperation mit raumfahrenden Artgenossen des großen Garb-Reiches schmackhaft machte, führte Garbgursha die Horden der Dunkelheit durch die ozeanischen Spalten bis dicht an das Festland heran. Dort errichteten sie ihre Bohrtürme, versenkten die Sprengköpfe in den Tiefen der Klippen und warteten ab.

Die Taktik ihres Vormarsches entsprach dem üblichen Prozedere. Veschnaron agierte als Vargane unter den Nachkommen seines Volkes. Gelang es ihm, diese zu einer fried­lichen Kooperation mit Garb zu bewegen und die Quoten für alle wichtigen Versor­gungsgüter wie Metall, Nahrung und Wissen zu akzeptieren, dann war es gut. Lehnten die Varganischen das Ansinnen ab und ließen sich auch durch versteckte oder danach offe­ne Drohungen nicht dazu bewegen, sprachen

Arndt Ellmer

die Waffen. Im Fall von Krax gedachte Lordrichter

Mahuur ein Exempel zu statuieren. Die Klippen wehrten die Gewalten des Ozeans von den Wärmeschluchten ab. In Form von tiefen Spalten und Schluchten führten sie weit ins Meer hinaus, spalteten die Fluten in zwei Teile und nahmen ihnen dadurch auch einen Teil ihrer Wucht. Rund um Zhenrow existierten zweihundert dieser Spalten. Wenn sie in sich zusammenbrachen, stürzten die Wasser des Meeres bis in die Wärme­schluchten des Kontinents, begruben die Tiefenheizung unter sich und raubten dem Festland damit einen Großteil der Wärme. Innerhalb weniger Monate würde sich auf dem Festland eine dicke Eisschicht bilden, die Varganischen hätten keine Existenz­grundlage mehr und mussten verhungern.

Die Chance, dass Artgenossen in Raum­schiffen auftauchten und sie retteten, hielt Garbgursha für ziemlich gering.

Veschnaron kam. Diesmal schienen sich die Bewohner dieser Welt für eine Koopera­tion entschieden zu haben, anders als ihre Artgenossen auf Fenxen. Erzherzog Garb­gursha bevorzugte die Methode des Kamp­fes, aber in Fällen wie diesem sah er keinen Sinn in einer kriegerischen Auseinanderset­zung. Ein Volk, das nicht einmal Flugzeuge kannte, keine Kanonen besaß und sich der natürlichen Feinde mit Hilfe von Speeren, Pfeil und Bogen erwehrte, stellte keinen Gegner für kampferprobte Garbyor dar. Sie im Fall einer Ablehnung jämmerlich unter­gehen zu lassen war noch immer besser, als gegen sie kämpfen zu müssen. Genauso gut hätte man gegen Grashalme kämpfen kön­nen.

Dort, wo die Klippen in das Felsland der Küste und die ozeanischen Spalten nahtlos in die Wärmeschluchten übergingen, stieg der Vargane mit zwei Dutzend Männern und Frauen in die Schlucht hinunter, wo Garb­gursha mit seinem insektoiden Gefolge war­tete.

»Hört mich an, ihr Männer und Frauen meines Volkes!«, verkündete Veschnaron

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laut. »Von diesem Augenblick an braucht ihr keine Angst um eure Zukunft mehr zu haben. Garb schützt euch und euer Land. Diese tapferen Soldaten der Daorghor füh­ren Projektoren mit sich, deren Energie für viele hundert Jahre reicht. Die Geräte ver­hindern, dass die Ozeane die Klippen zerstö­ren und das Meer die Wärmeschluchten flu­tet. Bei Gefahr schicken die Lordrichter von Garb Truppen und Maschinen. Sie helfen Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte bei der Verstärkung der Klippen. So wird auch der Erosion Einhalt geboten. Das und vieles an­dere wird Garb euch schenken, Schutz vor Angriffen aus dem All, Hilfe bei Versor­gungsproblemen. Eure Welt kann nicht viel selbst erzeugen. Wenn eure Population wachsen soll, braucht ihr hochwertige Nah­rungsmittel. Garb schickt sie euch. Die Lor­drichter verlangen in eurem Fall nur eine einzige Gegenleistung: Soldaten.«

Erzherzog Garbgursha traute seinen Daor­ghor-Gehörgängen nicht. Veschnaron hatte keine Rücksprache mit Yagul Mahuur ge­halten. Er hatte es auch nicht für nötig ge­halten, sich mit ihm, dem Erzherzog, abzu­sprechen. Er traf Entscheidungen, die weit über seine Kompetenz hinausgingen.

In diesen Augenblicken spürte der Zaqoor eine bisher nie gekannte Ohnmacht in sich. Hilflos stand er da. Zum Glück sprach nie­mand ihn an, er hätte keine Antwort ge­wusst.

Veschnaron ist der enge Vertraute des Lordrichters!, redete er sich ein, um sich zu beruhigen. Aber was ist er noch? Wie eng muss die Beziehung zu Yagul Mahuur sein, damit er sich solche Dinge herausnehmen kann?

In einer anderen Situation hätte er den Artgenossen zur Seite genommen und ihn befragt. So aber ziemte es sich nicht, Hero­nar in Varganengestalt vor den Ohren der Varganen in ein schlechtes Licht zu rücken.

Also ergriff Garbgursha das Wort, wie es vereinbart war. »Ich bin Erzherzog Garb­gursha, einer der Befehlshaber der Schutz­truppen in Gantatryn. Ich bestätige, was Ve­

schnaron gesagt hat. Wir werden uns der Aufgabe als Schutzmacht des Planeten Krax würdig erweisen.«

Im Geist überschlug der Zaqoor, wie viele Soldaten die Population der Varganen in je-dem Standardjahr zur Verfügung stellen konnte. Er kam auf ungefähr 100.000. Das war nicht viel, aber immer ein großer Bei­trag eines kleinen Volkes. Die Varganen von Fenxen würden nie in diese Verlegenheit kommen.

»Zwei Schiffe des Erzherzogs werden jetzt auf dem höchsten Plateau landen und alles ausladen, was ihr zur Feier eines großen Festes benötigt«, verkündete Ve­schnaron.

Beifall brandete auf. Jetzt hatte er die Herzen seiner vermeintlichen Artgenossen endgültig für sich gewonnen.

Und er badete in dem Applaus, genoss ihn sichtlich. Dabei entwickelte er eine Aus­strahlung, die Garbgursha fast schon in De­pressionen verfallen ließ.

Veschnaron verbreitete eine Aura, als sei er der Herrscher nicht nur von Krax, sondern des gesamten Universums. Erzherzog Garb­gursha fröstelte trotz seiner Daorghor-Chitingestalt und sah zu, dass er so schnell wie möglich zurück in sein Schiff kam …

*

»Was willst du hier?« Der Shiruh wich hastig zur Seite. Zum

Zeichen seiner Unterwürfigkeit rollte er den Saugrüssel ein.

Erzherzog Garbgursha hatte nicht vor, es dabei bewenden zu lassen. Er baute sich vor dem Wesen mit den Abzeichen eines Instru­mententechnikers auf. »Gib mir Antwort!«

Der Shiruh bewegte hilflos die verküm­merten Flügel und verschränkte die Arme zum Zeichen, dass er derselben Meinung wie Garbgursha war.

»Falls du mich nicht kennst, noch nie meinen Klackrhythmus gehört hast und mich nicht riechen kannst, ich bin der Erz­herzog.«

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Die Arme schlugen waagrecht gegenein­ander. »Aber ja! Aber ja!«, sollte das heißen.

Garbgursha musterte den Shiruh genauer. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Kopf des Wesens anders war als üblich; im Bereich des Unterkiefers wies er starke Deformatio­nen auf.

»Du kannst nicht sprechen«, stellte der Zaqoor verblüfft fest. »Entschuldige, ich ha­be es nicht sofort bemerkt.« Ein senkrechtes Klacken der Arme: »Keine Ursache, alles in Ordnung!«

Garbgursha hatte von diesen bemitlei­denswerten Wesen gehört. Sie zählten zu den unfreiwilligen Versuchskaninchen, die an den ersten Probeläufen der Umsetzer be­teiligt gewesen waren. Die Deformationen waren durch Verzerrungen der Raumzeit in­nerhalb der Anlagen auf Kopaar entstanden. Mehrere hundert Fälle hatte es gegeben.

Inzwischen war das Problem behoben, aber die Betroffenen hielten sich noch im­mer auf den Welten von Kop-3 auf. Ein Be­such in einem Flaggschiff wie der GARB­ONZYN zählte vermutlich zu den schönsten Erlebnissen im Leben eines Shiruh-Technikers.

Garbgursha rief eine Ordonnanz herbei und trug ihr auf, den Shiruh durch das Schiff zu führen. Anschließend setzte der Erzher­zog seinen Weg in die Zentrale des Schiffes fort.

Der stumme Techniker hatte ihn beein­druckt. Erst jetzt fiel dem Zaqoor ein, dass er noch immer nicht wusste, was der Shiruh in der Nähe seiner Kabine gesucht hatte. Verlaufen konnte er sich nicht haben, das wäre den Automaten aufgefallen. Über­haupt, wieso hatte er keine Meldung erhal­ten?

In der Zentrale gab er als Erstes seinen Kode ein und fragte die Speicher ab. Der Zaqoor wäre fast vom Hocker gefallen.

Aber das ist doch unmöglich!, dachte Garbgursha.

Es existierte kein Hinweis. In der Nähe seiner Kabine hatte sich niemand aufgehal­ten.

Arndt Ellmer

Ich leide unter Halluzinationen! Hastig machte der Erzherzog einen Medocheck. Er blieb ohne Befund.

Es konnte nicht sein. In einem Korridor, in dem er sich zusammen mit dem Shiruh aufgehalten hatte, durfte den Aufnahmegerä­ten kein solcher Fehler unterlaufen. Der Korridor war leer und blieb leer. Es gab kei­nen Shiruh und auch ihn selbst nicht.

Erzherzog Garbgursha blieb nur noch eine Möglichkeit. Er kehrte an die Stelle zurück und suchte danach erneut die Zentrale auf. Diesmal fand er den Speichersektor mit der Aufzeichnung sofort.

»Wer hat die erste Aufnahme gelöscht?«, wollte er wissen.

Niemand bekannte sich schuldig, und er war überzeugt, dass keiner ihm etwas ver­schwieg. Die Mitglieder der Zentrale-Schicht waren ebenso ratlos wie er.

Unerklärliche Vorgänge an Bord eines Flaggschiffes gehörten nicht gerade zu dem, was sich ein Kommandant und schon gar nicht sein Erzherzog wünschte. Garbgursha setzte alle Hebel in Bewegung, den Krüppel aufzuspüren. Die Wachmannschaften fanden die bewusstlose Ordonnanz, die sich nach dem Erwachen an nichts erinnerte.

Garbgursha ließ die Erinnerungen mit Ge­walt aus ihrem Gehirn holen. Er wurde Zeu­ge einer ihm vertrauten Metamorphose des Gastes. Der Shiruh war zu einem Klumpen Gallerte geworden, die im Boden versicker­te.

Ein Gestaltwandler! Es musste sich um einen Zaqoor handeln und folglich um ein Wesen, das ihm zumindest namentlich be­kannt war.

Garbgursha fiel nur Heronar ein. Aber der weilte nicht auf Kopaar oder in einem Orbit um den dritten Planeten. Der Erzherzog ver­mutete ihn am Dunkelstern. Dort residierte zurzeit auch Yagul Mahuur, der Lordrichter.

»Niemand verlässt das Schiff«, sagte Garbgursha hastig. »Schließt alle Schleusen, schaltet die Schutzschirme ein.«

Seine Anordnung kam zu spät. Kurz nachdem die zwangsweise ihres Gehirnin­

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halts beraubte Ordonnanz starb, erfuhr der Erzherzog die bittere Wahrheit. Wer immer sich in die GARB-ONZYN geschlichen hat­te, hielt sich nicht mehr in ihr auf.

Es sei denn, die Gallerte war in einer der Konverterzonen verdampft.

Selbstmord oder fahrlässige Selbsttötung traute Garbgursha aber keinem seiner Artge­nossen zu …

5.

Beim Anflug des Kardenmoghers auf Ko­paar hatten wir bis zum Zeitpunkt unserer Entdeckung durch die Garbyor jede Menge Daten über den Planeten und seine Umge­bung gesammelt. Rund um Kopaar hatte es von Schiffen nur so gewimmelt. Der Planet bildete das Zentrum regen Flugverkehrs, und es handelte sich nicht nur um Patrouillen­schiffe, die zwischen den Planeten von Kop­3 verkehrten. Wir hatten jede Menge Trans­porter gesehen, kastenförmige Gebilde, aber auch Gitterkonstruktionen von mehreren Ki­lometern Länge. Daneben hatte die Ortung vor allem Käferraumer der Shiruh erfasst.

Inzwischen waren alle Daten ausgewertet und mit denen der AMENSOON verglichen. Von Kopaar aus flogen die Schiffe zu min­destens 14 anderen Welten im Bereich des Mikrouniversums. Die Garbyor unterhielten ein verzweigtes Netz von Routen, unabhän­gig davon, ob sich dieser Teil des Univer­sums gerade im Normalraum oder im Mi­krokosmos befand.

Die Orter der AMENSOON hatten aber noch etwas anderes in Erfahrung gebracht. Seit ein paar Stunden flogen auch Schiffe zu einem merkwürdigen Gebilde, das sich nach eingehender Analyse am besten als lang ge­streckter Hypertrichter darstellen ließ. Ob das völlig korrekt war, konnten wir nicht sa­gen. Ein Teil des Gebildes ragte in die sech­ste Dimension hinein, befand sich demnach außerhalb der Erfassungsmöglichkeiten un­serer Geräte. Das Gebilde aus übergeordne­ten Feldlinien endete mit seiner Spitze 81 Lichtjahre vor Kopaar. Zum Rand des Mi­

krouniversums hin dehnte es sich über eine Strecke von ungefähr 35 Lichtjahren bis zu einem Durchmesser von etwa 16 Lichtjahren aus.

War das die Hintertür zum Dunkelstern, von der Farangon gesprochen hatte? Wenn ja, ergaben sich zwangsläufig daraus Rück­schlüsse. Der Ganjase wusste dann Dinge, die er gar nicht wissen konnte. Es sei denn, er unterhielt Kontakte zu den Garbyor.

Ich befragte ihn dazu. »Es tut mir Leid, ich weiß darüber gar

nichts, Atlan. Ich denke eher, dass wir es hier mit dem Ausgang zu tun haben, mit der Verbindung zum Standarduniversum.«

Ich wandte mich an Kythara. »Was ist deine Meinung?«

»Ich stimme Farangon zu.« Ihr Blick be­saß etwas Zwingendes, ich lauschte unwill­kürlich in mich hinein. Seine Antwort ist ab­solut ehrlich, empfing ich die Gedanken der Varganin. Keine Anzeichen einer Mentalsta­bilisierung.

Was allerdings nicht unbedingt etwas be­deuten musste. Mit der Fähigkeit des Pe­dotransfers konnten Cappins ihr Bewusst­sein aus dem eigenen Körper in einen frem­den transferieren und sich in dessen Be­wusstsein einnisten. Je nach Auftrag blieben sie heimliche Lauscher im Hintergrund oder übernahmen den fremden Körper und dräng­ten dessen Bewusstsein bis zur Reglosigkeit zurück.

Diese Fähigkeit setzte voraus, dass der Pedotransferer in der Lage war, seine Ge­danken gegenüber anderen Bewusstseinen abzuschirmen, eine natürliche Mentalstabili­sierung also. Wie stark diese war und ob ein Pedotransferer Kythara etwas vorspiegeln konnte, wussten wir nicht.

»Ausgang oder Hintertür«, sagte ich, »wir sollten es möglichst schnell herausfinden!«

*

Ich verließ den Kommandoraum des Kar­denmoghers und suchte meine Kabine auf. Nach einer Weile folgte mir Kythara unauf­

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fällig. »Hältst du es wirklich für eine gute Idee,

Farangon mit auf diesen Flug zu nehmen?«, fragte sie, nachdem sich die Tür geschlossen hatte.

Ich nickte. »So haben wir ein Auge auf ihn. Gorgh und Kalarthras bleiben in der AMENSOON zurück, das ist genug kriti­sches Potenzial.«

Sie bemerkte das Zucken meiner Mund­winkel und lachte. »Ausgerechnet die beiden ›harmlosesten‹ unter den Gefährten …«

Wir befanden uns in keiner besonders ro­sigen Situation. Gorgh und Kalarthras stell­ten als mögliche unfreiwillige Verräter eine größere Gefahr dar als Farangon, wenn er absichtlich handelte. »Eigentlich steht jeder unter Verdacht«, sagte ich.

»Du meinst mich!«, entrüstete sich Kytha­ra nach kurzem Nachdenken. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«

Sie stand mit flammendem Blick vor mir. »Du besitzt keine minutiösen Aufzeich­

nungen über dein bisheriges Leben«, schmunzelte ich.

Sie sah mich wütend an. »Arkoniden und ihr fotografisches Gedächtnis. Pah!«

»Es war nicht ernst gemeint, und ich glau­be auch nicht, dass ein Körnchen Wahrheit dahinter steckt.«

Sie sank in einen Sessel. »Lass mich mal zusammenzählen, was bei dir alles verdäch­tig erscheint – der Logiksektor, das fotogra­fische Gedächtnis, die Ritteraura, der Akti­vatorchip …«

»Und überhaupt mein ganzer Lebenswan­del auf Terra«, fiel ich ihr ins Wort. »Hast du soeben den leichten Ruck bemerkt?«

»Natürlich.« »Dann komm.« Wir kehrten in die Steuerzentrale zurück.

Der Kardenmogher hatte die AMENSOON verlassen. Im Schutz des Roten Zwergs be­schleunigte er. Antiortungsfeld und Deflek­torsystem waren aktiviert.

Ich sah mich um. Offshanor stand bei Xarpatosch, dem Anführer des Trupps Elite-Cappins. Ein Stück abseits unterhielten sich

Arndt Ellmer

seine fünf Begleiter mit Farangon. Keiner der Anwesenden erweckte den

Eindruck, als könne er ein Wässerchen trü­ben.

So kann man sich täuschen, Alter, dachte ich und nahm mir fest vor, Farangon nicht aus den Augen zu lassen.

»DENMOGH, wir nehmen Kurs auf die Spitze des Trichters, bleiben aber drei bis vier Lichtmonate davon entfernt.«

Die Erfahrungen beim Anflug auf Kopaar hatten uns gezeigt, dass die Ortungsgefahr auf größere Distanzen gering war. Erst wenn wir zu vorwitzig waren und den Schiffen der Garbyor zu nah auf die Pelle rückten, wurde es kritisch.

Der Steuerautomat des Kardenmoghers bestätigte die Anweisung. Das Fahrzeug be­schleunigte mit mittleren Werten, vermied weithin erkennbare Emissionen und bereite­te sich auf die Hyperraumetappe von knapp 81 Lichtjahren vor.

Was immer der Hypertrichter darstellte, er war nur eines von vielen Indizien, die wir seit der ersten Begegnung mit der Psi-Quelle gefunden hatten. Indizien für eine Macht­gruppierung, die ihre Herrschaft über mehre­re Galaxien auszudehnen versuchte.

Noch blieben die Lordrichter ein relativ vager Begriff. Wir hatten bisher nur einen gesehen und diesen auch nur im Schutze sei­nes »Eishaarfelds«. Wir hatten keine Hin­weise, worum es sich bei diesen Wesen han­delte und wonach sie strebten.

Eine Umsiedlung in den Mikrokosmos er­schien zu abwegig. Dazu hätten sie keine ga­laxienweiten Flotten um sich zu scharen brauchen und keine nach zig Millionen zäh­lenden Hilfsvölker. Es hätte gereicht, ein paar Varganen aufzutreiben und zur Mitar­beit zu »überreden«. Der Ansturm auf Gruelfin war da ebenfalls sinnlos.

Was aber war dann das Ziel der Lordrich­ter? Ich vermied es zu spekulieren. Ich hätte mir nur wieder den beißenden Spott des Ex­trasinns eingehandelt.

Ein Signal wies auf das Ende der Hype­retappe hin. Die Aggregate des Kardenmo­

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ghers verzeichneten eine Störung durch den Trichter.

»Die Abweichung liegt bei einem halben Lichtmonat«, erklärte DENMOGH in das Knattern der Strukturtaster hinein. »Keine temporale Abweichung.«

Es hatte keine Transmission und kein Flug durch eine Raum-Zeit-Verzerrung statt­gefunden.

»Wir rühren uns nicht«, sagte ich. Erst mussten wir wissen, ob es Schiffe in der Nä­he des Trichters gab, deren Orter Emissio­nen unserer fehlgeleiteten Rückkehr empfin­gen. »Haben wir einen Puls?«

»Ist bisher nicht feststellbar«, antwortete DENMOGH.

Antriebslos dümpelte der Kardenmogher durch den Leerraum, eine halbe Stunde, eine ganze Stunde: Alles blieb ruhig.

Zusammen mit Kythara nutzte ich die Zeit, den Trichter genauer unter die Lupe zu nehmen.

Auf optischem Weg war nichts zu erken­nen. Es stimmte mich ziemlich nachdenk­lich. Gewöhnlich besaßen fünf- oder höher­dimensionale Phänomene des Hyperraums irgendwo einen dreidimensionalen Abdruck im Standarduniversum. Hier war gar nichts. Der Hyperorter unseres Fahrzeugs stellte je­doch eine Ähnlichkeit oder Übereinstim­mung der Hyperemissionen mit denen der Schwarzen Substanz fest. Von ihr entdeck­ten wir allerdings keine noch so winzige Spur.

Aber auf der anderen Seite der Trichter­spitze entdeckten wir in knapp einer halben Lichtwoche Entfernung einen Golfballrau­mer.

»Wir haben den Puls!«, sagte Kythara plötzlich.

Das Phänomen war uns inzwischen be­stens vertraut. Mit der Präzision eines kos­mischen Uhrwerks wechselte die Intensität der Emissionen alle 1,3753 Sekunden. Ich hatte schon damit gerechnet. Das Knattern der Strukturtaster war ein deutlicher Hin­weis gewesen.

»Es finden keine Transitionen statt«, stell­

te ich nach mehrfacher Überprüfung fest. Ein simpler Türöffner also? Ich wandte mich an Farangon. »Ist es das, was du mit ›Hintertür‹ gemeint hast?«

»Ich wäre froh, wenn ich deine Frage mit Ja oder Nein beantworten könnte«, lautete die Antwort des Ganjasen. »Aber ich weiß es nicht.«

Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, als wiche er mir aus.

»Was schlägst du vor?«, wollte Kythara von mir wissen.

»Wir warten. So lange, bis sich etwas tut. Irgendwann muss hier einer auftauchen, ein Herzog oder ein Lordrichter …«

Es dauerte mehr als acht Stunden. Der 19. Juli brach an. An der Spitze des Trichters materialisierte ein Transportquader mit zwei Kilometern Kantenlänge. Er trat mit annä­hernd fünfzig Prozent Lichtgeschwindigkeit aus dem Hyperraum aus. Einen winzigen Augenblick lang fing die Bildaufzeichnung des Kardenmoghers einen dünnen Leuchtfa­den auf, der die Spitze des Trichters mit dem Quader verband. Dann war er auch schon verschwunden.

»Wir sind nicht nah genug dran«, stellte Farangon fest. »Der Emissionseffekt der Leuchterscheinung lässt sich von hier aus nicht untersuchen.«

Zwei weitere Materialisationen fanden statt. Alle drei Schiffe flogen ohne Aufent­halt Richtung Kopaar weiter.

»Es ist Zeit, einen Plan für unser weiteres Vorgehen zu entwickeln«, sagte ich, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Farangon dachte vermutlich, wir wollten in den Hy­pertrichter eindringen, um zum Dunkelstem oder ins Standarduniversum zu gelangen. Ohne jedes Wissen über die Funktionsweise des Trichters erschien mir das zu gefährlich.

Wenn schon, dann brauchten wir zuvor das Wissen eines Piloten, der ein solches Transportschiff flog.

Heroshan Offshanor ahnte als Erster, wor­auf ich hinauswollte.

»Ich bin einverstanden«, erklärte der Kommandant der MORYR.

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6.

Atlan lebend in seine Gewalt bringen, so lautete der Auftrag des Lordrichters. Zwangsläufig ergab sich daraus, dass sie auch der Varganin namens Kythara habhaft werden mussten, und sei es als Lockvogel, damit der Arkonide auf ihre Forderungen einging.

Die anderen Insassen der AMENSOON spielten in den Überlegungen des Lordrich­ters und damit in denen des Erzherzogs kei­ne Rolle. Ob sie am Leben blieben oder als lästige Zeugen den Weg durch die Schleuse antraten, interessierte niemanden in Ganta­tryn.

Wieder nahm Garbgursha die kleine Ku­gel aus dem Etui und starrte auf die milchige Oberfläche. Undeutlich bildete sich sein Ge­sicht darin ab. Das Hologramm über der Ku­gel blieb weiterhin leer.

Die AMENSOON war noch nicht ange­kommen, die Falle nicht zugeschnappt.

Der Zeitpunkt zum Zuschlagen ließ noch auf sich warten. Für Erzherzog Garbgursha gehörte das Warten auf den günstigsten Zeit­punkt zum Alltagsgeschäft. Der Lordrichter hatte seinen besten Doppelagenten im Ein­satz, der die Vorarbeit leistete. Parallel dazu bereiteten Garbgursha und die Teams die perfekte Falle vor. Probeläufe der einzelnen Systeme fraßen endlose Energiemengen auf, aber die Bereitschaftsmeldungen wogen al­les andere wieder auf.

Der Countdown lief. Wann genau die AMENSOON eintreffen würde, ließ sich derzeit nicht vorhersagen. Informationen da­zu lagen nicht vor. Garbgursha zog daraus den Schluss, dass der Agent keine Verbin­dung zur Außenwelt herstellen konnte, ohne sich zu verraten.

Also mussten sie warten, die stündlichen Testmeldungen entgegennehmen, immer wieder die Ist-Werte mit den Soll-Werten der Techniker vergleichen und Warnungen nachgehen. Zweimal musste in diesen Tagen des Wartens ein Konverter ausgetauscht

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werden, einmal ein Steuergerät im Bereich der Energiezapfung. Viermal versagten Konvikter für den Aufriss des Hyperraums und die Krümmung der Raum-Zeit-Struktur. Garbgursha gab Anweisung, die Hauptsyste­me von dreifacher auf vierfache Redundanz aufzustocken und die Steueranlagen gleich­zeitig von einem halben Dutzend Zentralen aus überwachen zu lassen.

Dann endlich hatte er Grund, sich zufrie­den zurückzulehnen, und tat es doch nicht. Die Sache mit dem Shiruh ging ihm nicht aus dem Kopf. Wenn es sich um einen Agenten der Gegenseite handelte, konnte die Falle jetzt nicht mehr zuschnappen.

Ein Zaqoor als Überläufer? Erzherzog Garbgursha verneinte eine solche Möglich­keit entschieden.

Seine Gedanken wanderten weiter zu ei­nem anderen Gestaltwandler. Heronar hatte sich in der Vergangenheit als fast ebenso mächtig erwiesen wie sein Freund, der Lord­richter. Die beiden verband mehr als nur ei­ne dienstliche Beziehung, da war sich Garb­gursha inzwischen sicher.

Der Erzherzog erinnerte sich an die Feier auf Treizen-Apkat …

*

Das Gelände erstreckte sich über den hal­ben Kontinent. Eingerahmt von Raumschif­fen der Garbyor, ragten inselgroße Holo­gramme in den Himmel. Sie stellten be­rühmte Bauwerke verschiedener Planeten dar. Auch die Ruinen der Rhoarxi auf Fen­xen befanden sich darunter.

Erzherzog Garbgursha hielt das für nicht angemessen. Auf Fenxen gab es keine Kolo­nie, nichts und niemanden, mit dem man Handel hätte treiben können. Gleichzeitig verstand er aber, was Lordrichter Yagul Ma­huur den Togronen damit sagen wollte. Wenn sie die Warnung verstanden, war es gut. Wenn nicht, würde es diesem Volk zum Nachteil gereichen.

Die Reibereien zwischen Garbyor und Togronen nahmen in letzter Zeit zu. Das an­

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nähernd humanoide Volk reagierte sensibel auf den militärischen Druck, den die Flotten der Garbyor in Gantatryn erzeugten. Immer wieder tauchten Togronen auf und provo­zierten. Oder ließen sich provozieren. Meh­rere planetare Stützpunkte der Garbyor wa­ren vernichtet worden, von Felsstürzen, von Flutkatastrophen, von Vulkanausbrüchen. Die Togronen steckten dahinter. Sie setzten ihre Waffen nie direkt gegen die Garbyor ein, aber sie erzeugten geologische Katastro­phen, mit deren Hilfe sie dasselbe Ziel er­reichten.

Garbgursha wusste, dass Yagul Mahuur nicht mehr lange zusehen würde. Er hatte Heronar geschickt, aber den hatten sie da­vongejagt. Inzwischen hatte es sich aber her­umgesprochen, warum er sie aufgesucht hat­te.

Es sollte eine gemeinsame Feier werden. Sie sollte den Willen aller Beteiligten zum Ausdruck bringen, in dieser Galaxis fried­lich miteinander zu leben. Die Togronen hatten keinen Alleinvertretungsanspruch, die Varganen auch nicht. Letztere wären nicht einmal auf den Gedanken gekommen, einen solchen zu erheben.

Wenn sie gewusst hätten … Erzherzog Garbgursha verriet es ihnen

selbstverständlich nicht. Auf keiner Welt kannten sie noch die großen Taten ihrer Vorväter. Sie wussten nicht um die Artefak­te der Varganen, die auf vielen Welten la­gerten. Sie kannten nicht einmal die vielen Stationen und hatten keine Ahnung, dass ih­re Vorfahren Rebellen gewesen waren.

Rebellen gegen den Willen des eigenen Volkes, das in den Mikrokosmos zurückge­kehrt war.

Dennoch hatten die Heimkehrer nicht alle Türen hinter sich zugeschlagen. Sie hielten Brücken offen, Brücken in den Mikrokos­mos. Eine der dazu notwendigen Maschinen stand auf Kopaar.

Zumindest glaubte Garbgursha an solche Zusammenhänge. Beweisen ließen sie sich wohl erst, wenn alle Artefakte erforscht wa­ren und die Garbyor die technischen Zusam­

menhänge zwischen den Artefakten begrif­fen hatten.

Wie lange das noch dauerte, vermochte der Erzherzog ebenso wenig wie die Wis­senschaftler auf Kopaar und in der Anaksa-Station zu sagen. Fest stand nur, dass Lord­richter Yagul Mahuur immer ungeduldiger wurde.

Auf Heronar färbte es gewaltig ab. Der Vertraute des Lordrichters raste mit seiner Schwebeplattform über das Land von Trei­zen-Apkat, als seien alle Teufel des Univer­sums hinter ihm her. Er schonte keinen sei­ner Mitarbeiter, verhielt sich gegenüber den Varganen mürrisch und bat die Togronen um Geduld.

»Erzherzog Garbgursha«, meldete er sich über Funk, kaum dass er an der GARB­ONZYN vorbeigerast war, »ich brauche bin­nen Stundenfrist zwei Projektionsfelder, so groß wie der Hauptplatz von Apkat.«

Garbgursha hielt sich zu diesem Zeitpunkt am Fuß der Steilhänge auf, um die Felsmas­sen mit Prallfeldern zu sichern. Eine Prü­fung des Gesteins hatte ergeben, dass das Plateau den großen Massen der Schiffe und der Lebewesen nicht gewachsen sein könnte.

»Ich lasse sie bringen. Es dauert zwei Stunden, bis sie aus dem Orbit herbeige­schafft sind.«

»Das dauert zu lange.« »Tut mir Leid. Es geht nicht anders. Dann

müssen wir den Beginn der Feier verschie­ben. Die Sicherheit der Teilnehmer geht vor.«

»Ich lasse jeden hinrichten, der sich mei­nen Anordnungen widersetzt!«, tobte der Zaqoor.

»Verstanden!« Garbgursha sah keinen Sinn darin, sich mit dem Vertrauten des Lor­drichters zu streiten. Und er fragte sich, wo­her Heronar die Frechheit nahm, selbst Hin­richtungen zu verfügen.

Er muss übergeschnappt sein, überlegte Garbgursha. Die ständige Nähe zu Yagul Mahuur ist ihm in den Kopf gestiegen. Er redet schon, als sei er selbst der Lordrich­ter.

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Der Erzherzog beschloss, ab sofort ein wenig mehr auf Distanz zu dem Artgenossen zu gehen. Selbst wenn er als Vertrauter des Lordrichters hohes Ansehen genoss, war er noch lange nicht unfehlbar. Yagul Mahuur würde sich Amtsanmaßung nicht bieten las­sen, die seine eigene Position schwächte.

Garbgursha orderte die Felder samt Pro­jektoren. Zwei Kampfgleiter schafften sie unter Lebensgefahr aus den Schiffen im Or­bit herbei. Trotz dieser Hast benötigten sie dazu eineinhalb Stunden. Der Beginn der Feier wurde verschoben, und Heronar ließ kein Wort der Kritik verlauten.

Der Erzherzog suchte den Pavillon für die Ehrengäste auf. Heronar eilte hektisch von einer Katakombe zur nächsten. Garbyor hör­te das Gebrüll mehrerer Togronen, gefolgt von Schüssen. Auf der gegenüberliegenden Fassade der Pyramidenprojektion zeichneten sich die Silhouetten vorbeirasender Kampfroboter ab. Dem dumpfen Geballer folgte ein leises, deutlich kürzeres Zischen.

Heronar tauchte auf. Ohne Garbgursha auch nur einen Blick zu widmen, vollzog er die Metamorphose vom Zaqoor zum Varga­nen.

»Die Feier findet ohne Togronen statt«, sagte Veschnaron. »Ich informiere die Ab­gesandten.«

Garbgursha nahm es mit einem zustim­menden Senken der rechten Handfläche zur Kenntnis. Längst waren die letzten Vorbe­reitungen abgeschlossen, seine Aufgabe da­mit beendet. Die Demontage nach der Feier würden die Roboter seiner Flotte besorgen. Einen Teil der Projektoren und Anlagen wollte Yagul Mahuur den Einheimischen zum Geschenk machen.

Während die ersten Hologramme auf­leuchteten und den Himmel von Horizont zu Horizont in eine bunte Weltenlandschaft verwandelten, nahm Garbgursha in dem für ihn vorgesehenen Sessel Platz.

Nach einer Weile kehrte Veschnaron zu­rück. Ihm folgte die Delegation der Varga­nen-Nachfahren, die auf der rechten Seite des Throns Platz nahmen. Die linke Seite

Arndt Ellmer

füllte sich mit den Kommandanten der Gar­byor.

Ein eisiger Wind im Nacken zeigte Garb­gursha an, dass der Lordrichter eingetroffen war. Das Eishaarfeld schwebte hinauf zu dem Thron und blieb über ihm hängen.

»Du hast alles getan, damit die Feier schnell beginnen kann«, hörte er die klirren­de Stimme Yagul Mahuurs und wusste so­fort, dass der Lordrichter ihn direkt an­sprach.

Garbgursha senkte den Kopf zum Zeichen seiner Zustimmung. »Mit allen Einschrän­kungen, die man in einem solchen Fall kal­kulieren muss.«

Er warf einen Blick zur Seite, sah durch einen der Ausgänge die Roboter, wie sie sich mit dem Abtransport der Toten mühten. »Entschuldigt mich einen Augenblick. Drau­ßen scheint es Probleme zu geben.«

So schnell die stämmigen Beine ihn tru­gen, eilte er ins Freie. Die Roboter wussten nicht, wohin sie die Toten bringen sollten.

»So schnell wie möglich ins All«, ent­schied der Erzherzog. »Die Togronen dürfen keinen Grund haben, auf Treizen-Apkat zu landen. Bugsiert die Leichen in ihre Schiffe und versenkt diese anschließend in einer Sonne, mindestens dreißig Lichtjahre von hier entfernt. Wenn jemand fragt, die Dele­gation ist nie hier angekommen.«

Er wollte zu seinem Sessel zurückkehren, dann entschied er sich doch für die Kata­komben. Er folgte den noch vorhandenen Blutspuren. Ganz am Ende des Ganges fand er in einem der Ruheräume Heronar. Der Zaqoor schien bei Bewusstsein, aber er rühr­te sich nicht. Ein Feld schirmte ihn gegen al­les ab. Er hörte nicht, was draußen vor sich ging, er sah es auch nicht. Als er sich bewe­gen wollte, konnte er nicht einmal die Finger rühren.

Erzherzog Garbgursha wollte schier in den Boden versinken. Was er sah, war so unglaublich, dass sein Verstand es nicht ak­zeptieren wollte. Da lag der Vertraute des Lordrichters in einem Abschirmfeld gefan­gen …

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War es die Strafe dafür, dass er die To­gronen getötet hatte?

Garbgursha hätte viel darum gegeben, es zu wissen. Oder doch lieber nicht? Was ging es ihn an?

Er sieht mich nicht, und er hört mich nicht. Also weiß er später auch nicht, dass ich ihn in diesem Zustand entdeckt habe.

Der Erzherzog kehrte auf die Tribüne des Pavillons zurück. Er ließ sich nichts anmer­ken, aber das Gesehene ging ihm noch lange durch den Kopf. Er hatte das Gefühl, auf einen wirklich wichtigen Hinweis gestoßen zu sein, der das Mysterium von Trodar be­traf. Doch er war sich nicht sicher, ob er wirklich genauer darüber nachdenken sollte …

*

»Ein Oktaederschiff? Bist du ganz si­cher?«

»Ja, Herr!« Garbgursha konnte es kaum erwarten.

Übergangslos war alles weggewischt, was ihn bewegte. Das Verhalten Heronars, die Anordnungen des Lordrichters – was spiel­ten sie jetzt noch für eine Rolle?

Auf dem Bildschirm wanderten die Daten entlang, rasend schnell, wie er mit den Au­gen seines humanoiden Körpers feststellte. Seine Finger huschten über das Eingabefeld, justierten die vorhandenen Daten über das Varganenschiff so, dass er sie möglichst schnell mit den Orterdaten in Deckung brachte.

Leicht vornübergebeugt stand der Erzher­zog da, Hitze im Nacken. Seine Ohren glüh­ten, die Augen fingen vor Erregung an zu brennen.

Als er schon nicht mehr daran glaubte, ka­men die überblendeten Daten und Grafiken endlich zum Stillstand. Sie zeigten eine hun­dertprozentige Übereinstimmung.

»Es ist die AMENSOON!« Garbgursha sprach es beinahe ehrfürchtig aus.

»Sie geht in den Ortungsschutz von Shu­ken«, meldete der Daorghor an der Ortung.

»Countdown-Ende!« Mehr sagte Garbgursha nicht. Die kurze

Anweisung brachte etwas ins Rollen, wovon er selbst sich am wenigsten eine Vorstellung machte. Es wusste nur, dass sich etwas Gi­gantisches ereignen würde. Die Meldungen vom zentralen Umsetzer auf Kopaar hörten sich für ihn wie ein Bericht aus ferner Zu­kunft an.

»Der Umsetzer übernimmt die Kontrolle über alle Peripherien. Die Sechs-D-Filter der Energiespeicher werden aktiviert. Das Krümmungspotenzial baut sich auf. In weni­gen Augenblicken ist der Alpha-Punkt er­reicht.«

Lediglich mit dem Begriff »Krümmungspotenzial« konnte der Erzher­zog etwas anfangen. Er hatte ihn bei der La­gebesprechung hoch über dem Dunkelstern gehört. Er beinhaltete den gesamten Vor­gang, an dessen Anfang sie soeben standen.

»Raumkrümmung im globalen Maßstab« hatte einer der Shiruh-Techniker es genannt.

Garbgursha stellte es sich ungefähr so vor, als würde er eine Zeltplane an den vier Enden packen und diese nach unten ziehen, bis ein kleiner, kugelförmiger Innenraum entstand. Damit es ohne Fehler klappte, durfte er die Plane aber nicht an den vier En­den halten, sondern gleichmäßig rundherum. Dazu brauchte er ungefähr vier Dutzend Ar­me, und selbst dann gab es noch Lücken.

Der Vergleich hinkte, aber er half ihm. Er wusste jetzt, dass die Arme des Umsetzers aus über viertausend Konviktern bestanden, von denen kein einziger ausfallen durfte. Lief das System erst im Dauerbetrieb, mus­sten permanent redundante Ersatz-Konvikter im Wechselpulsverfahren arbeiten, um beim Ausfall eines einzigen keine Störung des Gesamtsystems zu verursachen.

Dennoch riss ihm das, was sich innerhalb kurzer Zeit entwickelte, fast die Beine unter dem Leib weg.

Überall auf und über Kopaar schlugen die Taster und Orter aus. Ein schweres Raumbe­ben erschütterte übergangslos den gesamten Sektor mit mehreren hundert Lichtjahren

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Durchmesser. Fassungslos nahm Garbgursha den

Gleichmut der Wissenschaftler zur Kennt­nis, ihre nüchterne Distanz, die sie sich zu diesem atypischen Beben bewahrten. »Atypisch« umriss nur dürftig das, was sich tatsächlich ereignete. Da schaukelte sich ein gewaltiges Beben auf, das keinen lokalisier­baren Ursprung besaß. Es kam von überall zugleich, während sich der Raum dahinter immer stärker krümmte.

Ein wenig, so glaubte Erzherzog Garb­gursha aus der Reihenfolge der Daten zu er­kennen, lenkte das Beben auch von der Krümmungszone ab. Vielleicht war das der Grund, warum sich das Oktaederschiff am Roten Zwerg nicht rührte. Es unternahm kei­nen Fluchtversuch. Der wäre vermutlich auch sinnlos gewesen, denn schon zwei, drei Minuten nach der optimalen Entfaltung des Gesamtkonvikts konnte ein solcher Versuch im Nichts enden. Die Vorstellung, für alle Zeiten im Hyperraum zu stranden, half be­stimmt nicht nur dem Arkoniden dabei, eine schnelle Entscheidung zu treffen.

Der Erzherzog dankte den Insassen des Oktaederschiffs für ihre Weitsicht. Hätten sie in ihrer Verzweiflung einen Ausbruch versucht, wären sie womöglich umgekom­men. Lordrichter Yagul Mahuur hätte dem Erzherzog eine solche Nachricht nie verzie­hen.

»Ein umsichtiger Feind ist ein guter Feind«, lautete eine alte Weisheit der Garby­or.

Voller Ungeduld wartete Erzherzog Garb­gursha darauf, dass der Vorgang der Raum­krümmung endlich abgeschlossen war und sich das Mikrouniversum gefestigt hatte.

»Die Falle ist endgültig zugeschnappt«, meldete der Shiruh-Cheftechniker aus der Steuerzentrale Kopaars. »Jetzt kann keiner mehr hinaus.«

Das Raumbeben klang nach und nach aus. So gleichmäßig, wie es von allen Seiten ge­kommen war, verschwand es wie durch ein Sieb, mit unendlich vielen Löchern.

Arndt Ellmer

*

»An alle Einheiten! Die AMENSOON verlässt den Ortungsschutz von Shuken!«

Sofort stürzte sich ein Schwarm Golfball­raumer auf das Oktaeder und nahm die Ver­folgung auf. Garbgursha mischte sich unauf­fällig unter sie. Ein paar Stunden begleitete er die sinnlose Jagd. Auf diese Weise wür­den die Garbyor nie an Atlan und Kythara herankommen.

Dennoch ließ der Erzherzog die Verfol­gung weiterlaufen. Sie würden ihm nicht entkommen, mochten sie auch noch so rät­seln, wie es den Horden von Garb gelang, ihre Spur niemals zu verlieren. Und selbst wenn sie ein spezielles Ortungsgerät als Möglichkeit in Betracht zogen – ihnen fehlte jedweder Hinweis darauf, worum es sich handeln könnte und wo es sich befinden mochte. Nein, er vermochte jederzeit die Po­sition des getarnten Schiffes auszumachen und die Schiffe seiner Streitmacht entspre­chend zu dirigieren.

Irgendwann würde auch ein Wesen wie Atlan die sinnlose Jagd satt haben. Dann musste er handeln, würde sich – auch völlig nach Plan – aus der Reserve locken lassen. Er würde Fehler machen und irgendwann versuchen, nach Kopaar durchzubrechen.

Dort boten sich zahlreiche Möglichkeiten, ihn gefangen zu nehmen.

Erzherzog Garbgursha mahnte seine Sol­daten zur Geduld. Selbst wenn Tage vergin­gen, hatte das nichts zu bedeuten. Die AMENSOON hatte nur eine Chance. Es sei denn, sie stürzte sich mitsamt ihrer Mann­schaft in eine der Sonnen.

Sie kam! Erst sah es aus, als wolle sie nach Kopaar durchbrechen. Aber dann schwenkte sie ab, suchte ihr Heil in der Flucht, raste dem Rand des Mikrokosmos entgegen, vollführte zahllose Hyperraumma­növer und verschwand schließlich von den Ortern und Tastern der Garbyor.

»Keine Bange, sie ist noch da!«, verkün­dete Garbgursha über den Flottenfunk. Das

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Hologramm der kleinen Kugel zeigte es deutlich. Wie hätte sie auch fliehen sollen? Das Oktaeder besaß seines Wissens keine Möglichkeit, aus dem Mikrokosmos auszu­brechen und gleichzeitig die Verkleinerung rückgängig zu machen. Ein Fluchtversuch endete unweigerlich im Tod der Besatzung und der Zerstörung des Schiffes.

Natürlich wussten Wesen wie Atlan und Kythara das.

Garbgursha rätselte, wieso sich die AMENSOON so lange Zeit ließ. Es machte den Erzherzog nervös. Er untersagte allen Shiruh, die nicht zur Besatzung gehörten, den Zutritt zum Flaggschiff. Und er schickte zusätzliche Patrouillen aus, Geschwader aus Beibooten und kleinen Raumjägern, die im Schutz ihrer Antiortungsfelder das Oktaeder einzukreisen suchten.

Sie entdeckten ein fremdes Kleinfahrzeug von der Form eines 24-zackigen doppelten Kegelstumpfs, das sich in unmittelbarem Anflug auf Kopaar befand.

»Datenspeicher, was ist das für ein Schiff?« Garbgursha verschluckte sich fast.

»Typ unbekannt. Kleines Beiboot oder hochwertiges Fernraumschiff.«

Der Erzherzog wollte es nicht wahrhaben. »Es muss in einem Zusammenhang mit der AMENSOON stehen.«

Der Automat war anderer Ansicht. »Der Kurs der Kleinfahrzeugs weist keine Über­einstimmungen mit der Position des Okta­eders auf.«

»Es muss aus dem Ortungsschutz von Ja­keel oder Shuken kommen, den beiden be­kannten bisherigen Standortsonnen der AMENSOON!«, beharrte Garbgursha.

»Das ist möglich, aber nicht nachweis­bar.«

Erst einmal deutete alles auf einen raffi­nierten Plan des Arkoniden hin. Bei nähe­rem Hinsehen allerdings stiegen Zweifel in dem Zaqoor hoch. Wenn es sich um einen Zufall handelte, wer lenkte dann das kleine Schiff? Cappins? Varganen, von denen es noch immer unentdeckte Populationen in Gantatryn gab?

Oder handelte es sich um aggressive To­gronen, mit denen die Garbyor immer häufi­ger und heftiger aneinander gerieten?

Nein, das fremde Fahrzeug deutete eher auf eine bisher unbekannte Macht oder Machtgruppe hin.

»Vielleicht handelt es sich um die AMENSOON in einem Tarnschirm«, be­merkte einer der Piloten der GARB-ON­ZYN.

»Unsinn! Die Position der AMENSOON wird nach wie vor exakt angezeigt.«

Damit war der Fall für Garbgursha fast schon klar. Er hetzte seine Schiffe hinter dem Ding her. Das Ergebnis war ähnlich wie bei der AMENSOON. Die Garbyor konnten es nicht stellen, im Gegenteil, sie verloren drei Schiffe bei dem Versuch, den Doppel­kegelstumpf an der Trennschicht zwischen den Dimensionen einzufangen. Das fremde Ding war stabiler und die Insassen klüger als die Garbyor in ihren Schiffen.

Das wiederum deutete auf eine Verbin­dung mit den Varganen hin.

Erzherzog Garbgursha kehrte mit seinem Schiff in einen Orbit über Kopaar zurück. Von jetzt an mussten sie doppelt und drei­fach vorsichtig sein, sollte der Plan aufge­hen. Im Gedanken, dass die AMENSOON irgendwann dicht über dem dritten Planeten auftauchen musste, leitete Garbgursha die nächste Phase ein.

»Öffnet den Hypertunnel!«, befahl er den Shiruh auf der Oberfläche des Planeten.

7.

Ein drei Kilometer langes Gitterschiff ma­terialisierte, das erste seit zwölf Stunden.

»Endlich!«, seufzte Kythara und schüttel­te ihre hüftlange Goldlockenmähne. Dabei warf sie mir einen beinahe lasziven Blick zu. Mir wurde ganz anders.

Ein typischer Fall von Selbsthypnose!, mäkelte der Extrasinn. Sie schaut alles an­dere als lasziv. Eher nachdenklich und gleichzeitig neugierig.

»Wir nehmen den Kahn«, sagte ich.

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Farangon hob keineswegs überrascht den Kopf, stimmte mir dann mit einem Senken der Augenlider zu. »Ich hätte das auch vor­geschlagen.«

Er bemühte sich augenscheinlich um Har­monie mit uns.

»Wir liegen an der maximalen Entfer­nungsgrenze«, wandte Offshanor ein. »Wir sollten ein Stück näher heran.«

»Bis dahin kann das Schiff schon weg sein«, hielt ich ihm entgegen. »Außerdem ist damit zu rechnen, dass ein Hyperraummanö­ver in dieser Umgebung zu unkalkulierbaren Emissionen oder Echos führt. Die Garbyor wissen sie garantiert zu deuten.«

Der Ganjase stimmte mir zu, aber in sei­nem Gesicht las ich schwere Bedenken. Es war nicht nur die Entfernung, die ihm zu schaffen machte. Je fremdartiger das von ihm zu übernehmende Wesen war, desto schwieriger wurde es für ihn. Im schlimm­sten Fall musste er den Vorgang der Pe­dotransferierung abbrechen und fand – wenn er Pech hatte – den Weg zurück in den eige­nen Körper nicht mehr. Oder er löste bei ei­ner gewaltsamen oder hektischen Übernah­me des Opfers den Todesimpuls von dessen Implantat aus und starb mit dem Opfer.

In jedem Fall war es äußerst gewagt, wo­zu er sich bereit erklärt hatte.

Andererseits konnten wir nicht warten. Zu lange schon hielten wir uns in diesem künst­lichen Mikrokosmos auf, in dem die Garby­or uns gefangen hatten.

Vielleicht war der Lordrichter schon auf Kopaar eingetroffen. Dann sah er sich besser vor. Wenn unser Vorhaben klappte, von dem Farangon noch immer nichts Konkretes wusste, dann dauerte unser Aufenthalt hier nicht mehr lange.

Heroshan Offshanor nickte uns ein letztes Mal zu. Einer der Cappins des Elite-Teams brachte die Wanne und stellte sie vor der Wand auf den Boden.

*

Offshanor sah noch immer die Blicke der

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Anwesenden auf sich gerichtet, teils erwar­tungsvoll, teils zweifelnd. Die Gesichter sei­ner Artgenossen drückten ohne Ausnahme Zuversicht aus, selbst Farangons.

»Ich gehe jetzt!« Der Kommandant der MORYR stieg in die Wanne und schloss die Augen, nicht, weil er es nicht mit ansehen konnte, sondern um die Augen feucht zu halten. »Wenn es nicht klappt, gebe ich ein Zeichen. Wir müssen dann näher heran.«

Atlan nickte, und Kythara verschränkte die Arme.

Offshanor schickte sein Bewusstsein auf die Reise. Es war nicht leicht, in der Nähe einer hyperphysikalischen Erscheinung – in diesem Fall dem Materialisationstrichter – einen Bewusstseinstransfer herbeizuführen. Die Gefahr, das Bewusstsein in einem kriti­schen Augenblick nicht mehr in den eigenen Körper zurückführen zu können, war viel größer, als er die Gefährten glauben ge­macht hatte. Gleichzeitig hatte seine Aussa­ge allerdings auch dazu gedient, Farangon eine gewisse Nachlässigkeit vorzutäuschen. Vielleicht führte es dazu, dass der Ganjase seinerseits leichtsinnig wurde.

Offshanor konzentrierte sich. Als Folge davon spürte er ein leichtes Kribbeln im Kopf. Es wanderte hinab zum Nacken, ei­nem der wichtigsten neuronalen Knotenzen­tren. Von dort verteilte es sich über den gan­zen Körper.

Es war, als löse sich durch dieses Krib­beln eine Sperre, die im Alltagsleben nicht zu existieren schien.

»Gute Reise!«, hörte er Atlan sagen. Im nächsten Augenblick sah er sich selbst von oben. Das war jedes Mal aufs Neue eine seltsame Perspektive. Der Kopf mit der Wölbung des Körpers darunter wirkte wie ein abgestellter Sack, der langsam in die Breite ging.

Der Cappinkörper fing an, seinen moleku­laren Halt zu verlieren, wurde zu einer bla­sig aufgeschäumten, amorphen Masse.

Offshanor löste sein Bewusstsein endgül­tig vom Körper. Er wusste, dass außer den Kleidern und einem Gallertklumpen nichts

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übrig blieb. Bei der Rückkehr der Seele in den Körper würde sich dieser aber innerhalb von Sekunden wieder in der ursprünglichen Form rekonstruieren. Das genetische Pro­gramm blieb vorhanden, dem Organismus fehlte lediglich die Spannkraft. Die Natur ließ in ihrem Evolutionsprogramm solche Möglichkeiten zu, nicht bei allen Völkern, aber bei manchen. Manche beschritten einen Jahrhunderttausende dauernden Weg zur körperlosen Intelligenz, andere entdeckten Psi-Gaben in sich oder bildeten diese aus dem genetischen Pool heraus. Die meisten Völker, die Offshanor kannte, setzten solche Fähigkeiten zum Wohl der Allgemeinheit ein. Es gab auch Ausnahmen, wie die Lord­richter wohl eine darstellten. Ob dahinter ein ganzes Volk steckte oder Individuen eines Volkes oder nur eine Person, das wusste bis­her niemand.

Fest stand nur, dass die so genannten Lor­drichter von Garb ihre Fähigkeiten dazu be­nutzten, um möglichst viele Völker zu unter­jochen beziehungsweise in ihre Herrschafts­strukturen einzubinden.

Warum sie es ausgerechnet auf den Arko­niden Atlan abgesehen hatten, das blieb dem Cappin allerdings ebenso ein Rätsel wie At­lan selbst.

Offshanors Bewusstsein wechselte in je­nen unerforschten Teil des Hyperspektrums, in dem es noch keine Sonden und Zapfvor­richtungen gab. Nichts störte das Kontinu­um. Hier war es warm und ruhig, ein endlo­ser fünfdimensionaler See, aus dessen Tiefe man an jeden Ort jedes Universums gelan­gen konnte.

Oder sich verlor, wenn man das Ziel nicht fand.

In diesem Fall kannte Offshanor die drei­dimensionalen Koordinaten des Ziels, nicht aber den Weg, wie er an dieses Ziel gelan­gen konnte. Er entdeckte Hunderte von psio­nischen Abdrücken, lauter verschwindend kleine Tropfen in der glatten Oberfläche des psionischen Gewässers. Er betastete sie mit seinen Gedanken, lauschte in ihr Inneres, bis er den richtigen fand.

Kommandant des Gitterschiffes LAQAM GARB war ein Daorghor mit Namen En­daloger Qam, eines von vielen Insektenwe­sen der großen Gemeinschaft von Garb.

Endaloger Qam flog das Gitterschiff seit mehr als zehn Jahren, und immer wieder kam er nach Kopaar. In letzter Zeit gehörte die Route Galadat-Kopaar zu seinen meist­befahrenen Strecken.

Auch heute kam er mit technischem Ge­rät. Wie immer pflegte er die Sorgfalt vor der Gewohnheit. Das Gitterschiff blieb für eine knappe Stunde im Unterlichtflug. Qam kommunizierte mit der automatischen Pro­grammstation in drei Lichttagen Entfernung, anschließend wechselte er ein paar Sätze mit der Mannschaft eines Golfballraumers, der einsam auf der entgegengesetzten Seite der Trichtermündung seine Bahn zog.

Offshanor hielt sich im Hintergrund des Bewusstseins. Er kannte die Probleme mit dem Todesimplantat der Garbyor. Wenn er sich zu weit nach vorn wagte, aktivierte er den Todesimpuls. Oder seine psionischen Aktivitäten im Bewusstsein des Wesens führten zu einer Abschaltung des Implantats.

Der Ganjase suchte nach einer Möglich­keit, den Daorghor dennoch zu beeinflussen. Er weckte leise Sehnsüchte in ihm, etwa die Lust auf einen Spaziergang »an Deck« über eine der Hochbrücken, die die einzelnen Sektionen der Gitterkonstruktion miteinan­der verbanden. Um es richtig genießen zu können, benötigte die LAQAM GARB einen Aufenthalt von mindestens zwei Stunden.

Qam entschloss sich für die Pause. Er ord­nete eine Triebwerksüberholung an, schickte einen Funkspruch nach Kopaar und kündigte seine Ankunft für den Nachmittag an. Gleichzeitig übermittelte er das Schiffslog mit der vollständigen Aufzeichnung aller Vorgänge vor, während und nach dem Transfer. Das meiste davon war ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Sollten sich die Wissenschaftler auf dem dritten Planeten da­mit herumschlagen. Er war Kommandant und Steuermann. Er trug für die Ladung Sor­ge, alles andere lag außerhalb seines Ein­

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flussbereichs. Qam verließ die Steuerzentrale und mach­

te sich auf den Weg. Ein einziges Mal hielt er kurz an und fragte sich, was er hier tat. Aber dann spürte er wieder dieses unwider­stehliche Verlangen in sich, die Brücke zu beschreiten. Ein halbes Dutzend Besat­zungsmitglieder hielt sich im Freien auf. Sie untersuchten die Vertäuung, prüften die Hal­terungen der Stahlseilrollen. Bei Flügen durch den Hypertrichter benutzten sie aus­schließlich mechanische Systeme. In den er­sten Stunden der Flugverbindung hatten die offenen Transporter bis zu fünfzig Prozent ihrer Ladung verloren, weil die Magnetsy­steme und die Feldprojektoren versagten. Das Zeug trieb jetzt vermutlich irgendwo im Hypertrichter als Müll herum und bildete die Ursache für die permanenten Kollisionswar­nungen.

Offshanor ließ Qam die Aussicht genie­ßen. Nach einer Weile wurde der Daorghor des Anblicks überdrüssig. Er schickte die Besatzungsmitglieder unter Deck, kehrte in die Steuerzentrale zurück und ließ diese räu­men. Als Nächstes schaltete er alle Möglich­keiten der Außenbeobachtung ab. Ein ge­raffter und verschlüsselter Funkspruch ver­ließ mit minimaler Sendeleistung das Gitter­schiff und traf irgendwo im Nichts sein Ziel.

Qam dachte sich nichts dabei, als die neue Ladung einschwebte. Das Containerensem­ble unterschied sich im Aussehen nicht von dem, was das Gitterschiff geladen hatte.

Von der Besatzung trafen erste Anfragen ein. Er beruhigte die Garbyor, versprach ih­nen baldige Aufklärung über die geheimnis­vollen Vorgänge.

Aus der neuen Ladung traf ein Funk­spruch ein. Die Aktion versprach ein Erfolg zu werden.

*

Es ging alles sehr schnell. Der durchtrai­nierte Cappinkörper Offshanors sank in sich zusammen. Sein molekulare Halt ging verlo­ren. Knochen, Organe und Gewebe rutsch-

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ten zu einem Gallertklumpen zusammen, dem man nur noch am Anzug ansah, dass es sich um ein Intelligenzwesen handelte, nicht um eine Amöbe. Gespannt standen wir im Halbkreis um die Wanne herum und beob­achteten das Geschehen. Nur Kythara betei­ligte sich nicht daran. Die Varganin beob­achtete die Ortungsanzeigen und kommuni­zierte mit dem Kardenmogher.

»Er ist jetzt drüben«, sagte Xarpatosch. »Sobald es geht, tritt er mit uns in Verbin­dung.«

Wir warteten eine halbe Stunde, ohne dass sich etwas tat. Die Gallerte veränderte sich nicht. Sie zuckte nicht, bildete keine Blasen und verdampfte auch nicht. Eine Verfärbung oder Auflösung hätte den Tod des Bewusstseins angezeigt.

Nichts geschah. Nach einer Weile verzö­gerte das Gitterschiff. Emissionen deuteten mehrere Testläufe der Antriebssysteme an. Der Kommandant checkte sein Fahrzeug.

»Der Einflug in den Mikrokosmos ist of­fenbar nicht ungefährlich«, sagte Farangon. »Schaut euch die Nahaufnahme der Lade­sektionen an. Alles ist mechanisch vertäut.«

Ein kaum messbarer Funkspruch traf ein. Kommandant Qam informierte uns, dass wir andocken konnten. Ich nickte Kythara zu. Der Kardenmogher schob sich im Kriechtempo näher und glich seine Ge­schwindigkeit an. Über eine Stunde benötig­te er für das Manöver.

Ich wandte mich an Xarpatosch. »Deine Leute haben freie Hand. Drüben darf keine Rebellion gegen den Kommandanten aus­brechen.«

Die Cappins zogen sich mit Ausnahme Farangons zurück.

Ihn hielt ich mit einer Handbewegung zu­rück.

»Wir brauchen deinen Rat, sobald wir Kopaar ereicht haben«, machte ich ihm be­greiflich.

Natürlich ahnte er längst, dass es nicht zu­rück ins Standarduniversum ging. Vielleicht hatte er es auch von Anfang an gewusst. Im­merhin war es sein Hinweis gewesen, der

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uns nach Kopaar geführt hatte. Wenn wir tatsächlich durch die »Hintertür« zum Dun­kelstern und in die Anaksa-Station gelangen wollten, führte unser Weg automatisch über den dritten Planeten.

Der Kardenmogher baute sich noch wäh­rend des Anflugs um. Unter den kundigen Anweisungen Kytharas nahm er das Ausse­hen eines Containerstapels an, der passgenau in eine der Lücken schwebte und dort zur Ruhe kam. Auf den Außenseiten bildeten sich mechanische Klammern und Spangen, die das Ganze mit dem Gestänge des Trans­porters verbanden.

Niemand kam jetzt noch auf die Idee, dass es sich hierbei um das Kleinfahrzeug han­delt, das die Golfballraumer durch den Mi­krokosmos gejagt hatten.

Solange niemand auf die Idee kam, ausge­rechnet ins Innere dieser Container zu schauen, ging alles gut.

»Es sind außer dem Kommandanten zehn Besatzungsmitglieder an Bord«, meldete Xarpatosch. »Meine Kämpfer haben sie übernommen und beeinflussen sie so sanft wie möglich.«

Wir kannten die Risiken. Selbst das Aus­lösen eines einzigen Todesimpulses würde das Zentrum des Mikrokosmos mit den Kop-Sonnen und Kopaar in Aufruhr versetzen.

Am vorderen Teil des Gitterschiffs öffne­te sich an der kugelförmigen Steuerzelle ei­ne Schleuse. Die Besatzung gab uns zu ver­stehen, dass wir an Bord kommen konnten.

Flüchtig dachte ich an eine Falle. Immer­hin wussten die Garbyor, dass wir in der Nä­he waren.

Narr, den Cappins kannst du vertrauen! Farangon war auch ein Cappin. In Bezug

auf seine Person war ich völlig anderer Mei­nung.

8.

Kopaar kreiste als äußerster von drei Pla­neten um einen gelben Stern der G8-Klasse. Mit knapp 14.000 Kilometern Durchmesser, einem 26-Stunden-Tag, einer Schwerkraft

37

von 1,09 Gravos und zwei Monden besaß diese Sauerstoffwelt für Arkoniden, Terra­ner und Cappins recht annehmbare Lebens­bedingungen.

Das auffälligste Detail war ein Punkt in der Nähe des Äquators, der eine geradezu unglaubliche Energiesignatur aufwies. In der visuellen Ortung entpuppte sich das Ganze als gigantischer Anlagenkomplex von 200 Kilometern Durchmesser. Das entsprach den Ausmaßen einer Megametropole, nur dass sie ausschließlich aus technischen Anlagen bestand.

Der Kardenmogher ortete große Mengen von Schwarzer Substanz, doch die gewalti­gen Energieausstöße überdeckten teilweise sogar die Gigantwerte, die permanent freige­setzt wurden. Hinzu kamen schwere Struk­turerschütterungen, die keinen Zweifel daran ließen, dass Kopaar der Standort eines Um­setzers war, den die Garbyor in praktischen Feldversuchen testeten.

Dieses Mal griff uns niemand an. Im Or­bit kreiste ein halbes Dutzend Golfballrau­mer, vermutlich das Wachkontingent für Kopaar. Diese Schiffe hatten nicht in die Jagd nach dem Kardenmogher eingegriffen und sich auch nicht sehen lassen, nachdem die drei Verfolger zerstört waren.

»Wir hätten problemlos als verlorene La­dung getarnt herfliegen können«, meinte Kythara. Wie wir alle saß die Varganin in ihrem Sessel und beobachtete gebannt die Bildübertragung.

Zwischen der Bodenstation und dem Git­terschiff lief der in solchen Situationen übli­che Funkverkehr ab. Der Kommandant über­mittelte Kennung und Daten des Schiffes, gab über Ladung und Mannschaft Auskunft. Die Soldaten am Boden überprüften die An­gaben, ehe sie die Landeerlaubnis erteilten. Solche Abläufe unterschieden sich höch­stens in Details voneinander. Im Großen und Ganzen waren sie aber auf Arkon, Terra, Gatas und Kopaar identisch.

Endaloger Qam erregte – natürlich – kei­nen Verdacht. Der Daorghor merkte nichts von der Anwesenheit eines fremden Be­

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38

wusstseins. Er fragte sich höchstens, wieso er in letzter Zeit immer wieder Wünsche hegte, die er sich für gewöhnlich nie wäh­rend seines Dienstes erfüllte.

Die Leitstelle erteilte dem Schiff die Ge­nehmigung. Die LAQAM GARB verließ den Orbit und leitete das Landemanöver ein. Grünlich gelbe Energieblasen umwaberten die Gitterkonstruktion. Das drei Kilometer lange Vehikel erzeugte gehörige Turbulen­zen in den obersten Schichten der Atmo­sphäre.

Qam benutzte einen Korridor, der den Transporter hoch über dem Äquator auf eine parallele Bahn brachte. Trotz der starken Prallfeldsysteme wackelte und holperte der Gigant wie auf Treppenstufen abwärts.

Auf einem unserer holografischen Moni­toren sahen wir die zehn Daorghor, die sich in der Zentrale um ihren Kommandanten ge­schart hatten. Ihre Gliedmaßen bedienten in wirbelndem Stakkato Steuergeräte, mit de­nen sie die Fluglage des Vehikels stabilisier­ten.

Inzwischen drang von draußen ein Don­nern und Rauschen an unsere Ohren. Gleich­zeitig meldete die Ortung, dass die Prallfeld­systeme des Transporters ungleichmäßig ar­beiteten.

»Kein Wunder bei der Hektik, welche die Daorghor an den Tag legen«, sagte Faran­gon.

»Das ist normal, oder?«, fragte ich. Sein Kopf ruckte herum.

»Natürlich. Es liegt an der Konstruktion. Die Gitterschiffe sind von ihrer Ladung her nie völlig ausbalanciert. Eine gewisse Ab­sturzgefahr besteht immer.«

Für uns stellte es keinen Trost dar, dass unser Container aus eigener Kraft fliegen konnte, es aber unter den gegebenen Um­ständen nicht tun durfte. Die Golfballraumer im Orbit hätten sofort Verdacht geschöpft.

»Die Flughöhe beträgt derzeit sechzig Ki­lometer«, verkündete DENMOGH.

Das Rütteln verstärkte sich. Der Transpor­ter kippte nach rechts weg. Der Boden er­hielt eine Neigung von gut dreißig Grad aus

Arndt Ellmer

der Waagrechten. Wir verzichteten auf den Einsatz von Projektoren und klammerten uns an den Sesseln fest.

Am Horizont tauchte die erste Signalboje auf, die den Weg zum Raumhafen wies. Für kurze Zeit war der Himmel leer gefegt. Alle Golfballraumer befanden sich unter dem Horizont. Ich ertappte mich dabei, wie ich Farangon verstohlen musterte. Der Ganjase saß entspannt in seinem Sessel.

Er wird versuchen, Kontakt mit den Gar­byor aufzunehmen, sobald wir gelandet sind, meldete sich mein Extrasinn. Die Daorghor im Transporter und die Cappins im Karden­mogher sind ihm egal. Er will dich und Ky­thara und vielleicht noch Kalarthras.

Kalarthras mit seiner Erfahrung aus der Vergangenheit dieser Galaxis kannte ja viel­leicht ein paar Geheimnisse der Varganen. Ähnlich lag der Fall bei Kythara. Und bei mir? Die Tatsache, dass ich einst in meiner Jugend für kurze Zeit in den Mikrokosmos der Varganen verschlagen worden war, konnte unmöglich der Grund für den Auf­wand sein, den die Garbyor betrieben.

Mit einem hektischen Schwenk kippte der Transporter in eine einigermaßen waagrech­te Fluglage zurück. Dafür senkte sich der Bug steil nach unten, als wolle die drei Kilo­meter lange Konstruktion in einen unkon­trollierten Sturzflug übergehen.

Farangon klammerte sich bleich an sei­nem Sessel fest. Vermutlich beschäftigte er sich in Gedanken gerade damit, in welchen Körper er überwechseln könnte, falls sein ei­gener starb.

Inzwischen lag die Flughöhe bei dreißig Kilometern. Bei zwanzig tauchten die ersten Signalstraßen auf. Sie zogen sich über freies Gelände und über die Dachareale der bebau­ten Zonen. Immer mehr technische Anlagen schoben sich über den Horizont.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Versorgungsanlagen für die Bevöl­kerung, nicht jedoch um Anlagen, die zum Umsetzer gehörten. Die hatten die Varganen wohl kaum in die Hauptanflugschneise ge­setzt.

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39 Vorstoß nach Kopaar

Umgekehrt hätten die Garbyor den Teufel getan, diese Schneise ausgerechnet über ein solches Gebiet zu führen.

Zehn Kilometer über Grund erreichte der Transporter den endgültigen Landekorridor. Auf Grund der hohen Beladung und der da­mit verbundenen Massenträgheit konnte er jetzt nicht mehr vom Kurs abweichen. Und wenn, dann entfachten seine Triebwerke einen Orkan, der mindestens die Hälfte des Kontinents umgrub und alle Bauwerke zer­störte.

Türme gerieten in das Blickfeld der Ka­meras. Sie standen gestaffelt um ein großes Areal verteilt, bildeten grob gesehen ein Hufeisen mit der Öffnung zur Anflugschnei­se. Eine blanke, spiegelnde Fläche erhob sich über den Horizont, die der Kardenmo­gher mit einem Durchmesser von etwa 45 Kilometern bezifferte. Die ersten Golfball­raumer tauchten auf.

Das Gitterschiff sank bis auf zwei Kilo­meter Höhe nach unten. Synchron dazu dehnte sich der Boden des Raumhafens wie Gummi in alle Richtungen aus. Ein letztes Mal schüttelte sich die LAQAM GARB, dann kam sie relativ zur Planetenrotation zum Stillstand.

»Hiermit endet der kontrollierte Absturz«, stellte Xarpatosch fest.

Der Transporter sackte durch, fiel fast so schnell wie ein Stein in die Tiefe und wurde schließlich langsamer. Mit einem deutlichen Scheppern und Klirren der Konstruktion setzte er wenig später auf. Linker Hand stan­den zwölf Golfballraumer, rechts drei Käfer­raumer der Shiruh, und hinter der LAQAM GARB ragten vier Transporter auf, zwei würfelähnliche Konstruktionen und zwei Gitterschiffe von etwas kleineren Abmes­sungen.

»Willkommen auf Kopaar«, sagte Kytha­ra. »Nächstes Mal bringen wir ein wenig mehr Geduld mit.«

Ich richtete meine Aufmerksamkeit in den Hintergrund, wo an der Wand die Wanne stand. Die Gallertmasse fing an zu brodeln. Sie wuchs in die Höhe, nahm nach und nach

das Aussehen eines humanoiden Lebewe­sens an und füllte bald den Anzug aus.

Heroshan Offshanor war zurückgekehrt. »Ich schaue kurz vorbei, weil ich euch die

Informationen überbringen will, die ich in­zwischen besitze«, verkündete der Ganjase hastig, aber klar artikuliert. »Außerdem brauche ich einen neuen Wirt. Endaloger Qam wird gerade von seinen Artgenossen in einen Schutzraum eingesperrt. Aber ihr braucht euch nicht zu sorgen – weder kann er sich aus eigener Kraft befreien, noch ahnt er etwas von meiner Gegenwart.«

Er musste wohl unsere skeptischen Blicke bemerkt haben, denn er fuhr fort: »Ich habe es sogar geschafft, vorläufig jeden Verdacht auszuräumen, er sei von einem Pedotransfe­rer übernommen worden. Die Garbyor sind nicht dumm, sie sind sogar übervorsichtig, wenn ich aus den beinahe paranoiden Reak­tionen schließen darf. Aber Cappins sind auch nicht dumm. Es dürfte uns in jedem Fall ausreichend Zeit einbringen, bis sie er­kennen, dass Qam keineswegs an der Krit­terkrack-Neural-Leprose leidet, sondern dass sie mit ihrem Ursprungsverdacht gar nicht so falsch lagen.«

Offshanor holte geräuschvoll Luft und blickte triumphierend in die Runde. Er stieg aus der Wanne, machte ein paar Locke­rungs- und Bewegungsübungen und ging dann hin und her.

»Der Umsetzer steht in der Tat auf Ko­paar«, fuhr er fort. »Die Anlagen beginnen gleich hinter dem Raumhafen und erstrecken sich über ein Areal von zweihundert Kilo­metern Durchmesser.

Es handelt sich allerdings nicht um ein varganisches Original. Die Garbyor haben den Umsetzer nachgebaut und ergänzen ihn Zug um Zug mit Varganentechnik. Die Transporter bringen die Einzelteile dieser Technik hierher. Und jetzt haltet euch fest. Der Hypertrichter verbindet den Mikrokos­mos mit Ephaiston. Er stellt eine Schleuse dar, die direkt zu dieser Versunkenen Welt der Varganen führt.«

»Was ist mit dem ›Projekt Durch­

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bruch‹?«, fragte ich. »Weißt du darüber et­was?«

»Nein. Qam besitzt dazu keine Informa­tionen, auch nicht darüber, was die Garbyor eigentlich im Mikrokosmos der Varganen wollen. Um mehr in Erfahrung zu bringen, mussten wir uns an den Befehlshaber des Stützpunkts wenden.«

»Etwa ein Erzherzog?« Ich dachte auto­matisch an Wesen wie Garbhunar. »Nicht ganz. Er steht im Rang unter einem Erzher­zog. Es ist der Marquis Loargant aus dem Volk der Shiruh.«

Ein Marquis de Loargant also. Musste ich ihm schon begegnet sein? Oder einem seiner Vorfahren?

Der Extrasinn verstand offenbar zur Zeit keinen Spaß und blieb stumm.

Als Befehlshaber des Stützpunkts auf Ko­paar und damit oberster Chef des Umsetzers verfügte der Marquis garantiert über weiter­gehende Informationen, etwa über die mili­tärische Organisation der Garbyor. Viel­leicht wusste er auch die eine oder andere Einzelheit über die Lordrichter.

Ich sah Offshanor an. »Du kümmerst dich selbst darum?«

»Ich bin nur zurückgekommen, um euch auf dem Laufenden zu halten. Und jetzt gehe ich wieder.«

Sagte es und verabschiedete sich auf die unnachahmliche Weise eines jeden Pe­dotransferers.

*

Diesmal bewegte sich Offshanor beson­ders vorsichtig. Er fand das Bewusstsein des Marquis als winzige Schaumkrone inmitten eines Ozeans aus psionischen Wellen und Untiefen. Schon bei der Annäherung ließ er äußerste Behutsamkeit walten, wich sowohl der Gischt als auch dem dunklen Sog ande­rer Bewusstseine aus und sank langsam auf den Shiruh zu. Der Kontakt erfolgte so un­auffällig, dass sogar Offshanor Mühe hatte, ihn überhaupt zu erkennen.

Als es so weit war, prasselte übergangslos

Arndt Ellmer

eine Unmenge an Gedanken und Informatio­nen auf ihn ein. Er flüchtete in den hinter­sten Winkel des fremden Bewusstseins, aber selbst dort war es laut und hektisch.

Der Marquis kommunizierte im Multitas­king-Verfahren mit einem halben Dutzend seiner Untergebenen.

Vier Konvikter – so entnahm er zumin­dest dem Gedankenchaos – standen kurz vor der Implosion. Die Redundanzsysteme über­nahmen die Kontrolle, die Automatik trennte die schadhaften Geräte vom System. Loar­gant befahl, sie in starke Schutzfelder zu hüllen und sofort ins Freie zu bringen.

Die Techniker schafften es im letzten Mo­ment. Auf den Bildschirmen verfolgte der Marquis, wie sie draußen beschleunigten, schräg in die Höhe stiegen, sich schnell von den Anlagen entfernten und irgendwo über der Peripherie durchgingen. Zitronengelbe Entladungen zuckten bis fast hinauf in den Orbit, Restenergien, die sich unmittelbar auf der Oberfläche tödlich ausgewirkt hätten.

Und das alles nur wegen dieses Atlan, den wir in der ganzen Sterneninsel suchen wie einen einzelnen Wassertropfen im Ozean.

Sie, korrigierte sich Offshanor. Er durfte nicht anfangen, sich mit den Garbyor zu identifizieren, nicht einmal im Augenblick der tatsächlichen Verschmelzung.

Loargant wusste nicht, wieso die Anlagen hochgefahren worden waren und der Umset­zer permanent arbeitete. Er vermutete, dass es sich um eine Falle handelte, in der Lord­richter Yagul Mahuur den Arkoniden fangen wollte. Dass zwei fremde Schiffe im Mikro­kosmos aufgetaucht waren, wusste Loargant. Ob es sich um die Gesuchten handelte, ent­zog sich allerdings seiner Kenntnis.

Der Marquis hasste diese Informations­struktur, die nach Rängen gestaffelt war und aus Sicherheitsgründen immer nur bestimm­te Teile preisgab. Als dummer Befehlsemp­fänger wollte er seinen Lebensabend nicht bestreiten, dann schon eher ehrenvoll im Kampf sterben.

Aber wie sollte er sich gegen den direkten

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Befehl eines Erzherzogs auflehnen, ohne nicht sofort in Trodar aufzugehen – in Schande?

Loargant gab ein lautloses gedankliches Rasseln von sich. Dabei hätte sein Tod nicht nur ihn, sondern seine gesamte Verwandt­schaft die Existenz gekostet, als Futter für die riesigen Zungenschnalzer auf dem 40.000-Kilometer-Planeten Trouttor.

Offshanor lauschte den Gedanken des Marquis und bezähmte nur mühsam seine Ungeduld. Die Informationen, die er in die­sen wenigen Augenblicken erhalten hatte, waren an Brisanz kaum noch zu überbieten. Beim Hochfahren des Umsetzers handelte es sich also nicht um einen Test, sondern um eine wohl vorbereitete Aktion. Man hatte Atlan und die AMENSOON erwartet.

Der Infiltrator war bestens instruiert – durch Yagul Mahuur selbst. Es bereitete dem Marquis eine gewisse Freude, wenn er daran dachte, dass einer der Hilfesuchenden zum Verräter eigener Sache werden würde … Loargant kannte keinen Namen – wozu auch? –, aber er war sich absolut sicher, dass der Infiltrator nichts unversucht lassen wür­de, Atlan zu einem Flug hierher zu bewegen. Bisher entwickelte sich alles eher gemäch­lich. Yagul Mahuur hatte sein Ziel noch nicht erreicht, denn Atlan steckte zwar in der Falle, war aber noch nicht von Erzherzog Garbgursha dingfest gemacht worden.

Der Jäger war inzwischen mit seinem Schiff nach Kopaar zurückgekehrt und war­tete in der Umlaufbahn ab.

Offshanor wurde von Aufregung ergrif­fen. Wenn er eins und eins zusammen zähl­te, war einer der Golfballraumer hoch über dem Planeten folglich die GARB-ONZYN des Erzherzogs. Und der Verräter musste Fa-rangon heißen. Wie auch immer dies hatte geschehen können. Dass ein Angehöriger seines eigenen Volkes mit den Garbyor un­ter einer Decke steckte, traf Offshanor schwer. Vor allen Dingen hatte er keine Er­klärung.

Keine Erklärung?, kam ein Gedankene­cho zurück, kalt und unpersönlich.

Offshanor erschrak. Loargant schien et­was zu bemerken. Der kalte Verstand des Marquis erstarrte scheinbar für einen Au­genblick, lauschte in die Gedankensäle, die vor einer Nanosekunde noch so geschäftig widergehallt hatten. Offshanor hielt still, schwebte wie ein Gazeschleier über dem Verstand des Garbyor. Dann, nach einer Weile, setzten sich die Gedanken des Shiruh fort. Er hatte keinen Verdacht geschöpft. Loargant führte den seltsamen Gedankenim­puls in sich auf die implodierten Konvikter zurück. Die Druckwelle hatte inzwischen die Anlagen erreicht. Vielleicht war ein wenig durch die Schirmstaffel gekommen.

Oder es gab andere Probleme mit der Technik, die tief unter dem Fußboden arbei­tete, Steueranlagen für die gewaltigen Ener­giezapfer, die alles aus dem Hyperraum von den umliegenden Sonnen holten, was sie zur Stabilisierung der gekrümmten Raumzeit be­nötigten.

Der Cappin überlegte, wie er sich verhal­ten sollte. Einerseits war es wichtig, die Ge­fährten im Kardenmogher zu informieren. Andererseits besaß der Marquis viele wert­volle Informationen.

Offshanor beschloss, noch kurze Zeit im Hintergrund zu bleiben und zu lauschen. Loargants Gedanken wanderten weiter. Wie an einer Schnur setzte er die eigenen Schlussfolgerungen fort.

Lordrichter Yagul Mahuur legte Wert dar­auf, den Arkoniden lebend zu fangen. Dieses Einzelwesen schien für ihn einen ungeheu­ren Wert zu besitzen, eine Erkenntnis, der Loargant mit Unverständnis begegnete. Das Kollektiv wog millionenfach mehr als ein Einzelner. Mit Ausnahme der Lordrichter. Möglicherweise galt für diesen Atlan eine vergleichbare Regelung. Es hieß, er sei vor langer Zeit selbst einmal im Mikrokosmos gewesen.

Vielleicht kannte er den Weg dorthin, den die Garbyor noch immer nicht gefunden hat­ten.

Den Weg zum Volk der Varganen. Und dann?, fragte sich der Shiruh. Wenn

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wir irgendwann dort sind – was wollen wir da?

Offshanor konnte diese Frage auch nicht beantworten. Er wartete weiter, aber der Marquis befasste sich jetzt nur noch mit technischen Problemen der bevorstehenden Umschaltung auf die Redundanzebene Drei.

Danach wartete die Ablösung, der Feier­abend lockte im Kreis von Hunderten Artge­nossen. Neben dem üblichen Gedankenaus­tausch zu Alltäglichem stand in diesen Ta­gen vor allem die eine Frage im Vorder­grund.

Wie lange hielt die Hypertrennschicht noch? Wie lange arbeitete der Umsetzer rei­bungslos, bis sie ihn abschalten und austau­schen mussten?

Dass es den Garbyor in dieser Zeit gelang, den Arkoniden einzufangen, daran zweifelte nicht einmal Loargant. Bei ihm überwog al­lerdings die Neugier auf das fremde Wesen mit dem Silberhaar.

Offshanor zog sich noch ein Stück weiter in den Hintergrund zurück. Dort wartete er, bis Loargant seinen Platz in der Anlage ver­ließ, einen Gleiter bestieg und zu seinem Quartier am Südende des Kontinents flog. Selbstverständlich behielt er auch über Nacht die Verantwortung für alles, was in den Umsetzeranlagen geschah. Ganz wurde er die Gedanken daran nie los.

Der Cappin-Kommandant blieb noch eine Weile. Unbemerkt vom Bewusstsein des Marquis, hing er seinen eigenen Gedanken nach, die vor allem um eine Frage kreisten: Wie sollte er mit dem Risikofaktor Farangon umgehen? Alles in ihm schrie danach, kurz­en Prozess mit dem Verräter zu machen, an­dererseits würde dieser ihnen im besten Fall vielleicht viele Zusammenhänge verraten und die Umstände seines Verrats erklären können, im schlechtesten aber ließ er sich immer noch instrumentalisieren und gegen seine derzeitigen Herren verwenden. Leider hatte Offshanor mit solchen Vorgehenswei­sen noch recht wenig Erfahrung. Er musste sich mit Atlan beraten. Ja, der Unsterbliche würde wissen, was zu tun war. Und wenn er

Arndt Ellmer

riet, Farangon zu liquidieren – es wäre Offs­hanor eine tiefe Befriedigung gewesen, das selbst zu erledigen.

Wie kann jemand sein eigenes Volk verra­ten?, fragte er sich.

Kaum vorstellbar, kam die träge, schläfri­ge Antwort aus Loargants Bewusstsein, das allmählich in den Schlaf hinüberdämmerte. Es gibt kein Leben, außer in Trodar …

Der Pedotransferer lauschte stumm. Schon nach kurzer Zeit forderte der Körper seinen Tribut von dem Shiruh.

Offshanor nutzte die Gelegenheit und empfahl sich unbemerkt.

*

Bis auf Kythara und Farangon – den Ver­räter! – hielt sich niemand in der Zentrale auf.

»Wo ist Atlan?« Unsicher stieg Offshanor aus der Wanne. Er musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu fallen.

Farangon deutete nach unten. »In einer der Schleusen.«

Offshanor kam das merkwürdig vor. Mit ein paar schnellen Schritten stand er neben dem Sessel der Varganin. Kythara schien ihn nicht wahrzunehmen. Ihre Finger husch­ten so schnell über die holografischen Sen­sorboxen, dass er die Bewegungen kaum verfolgen konnte.

»Was ist geschehen?« »Die Garbyor haben begonnen, die Con­

tainer zu entladen. Ich nehme ein paar Ver­änderungen am Kardenmogher vor. Aber es wird nicht lange dauern, bis sie ihn ent­decken.«

»Ich muss zu Atlan.« »Was ist mit dem Marquis?«, fragte Fa-

rangon in diesem Augenblick. »Das Implantat hat Probleme gemacht.

Ich brauche mehr Zeit.« Offshanor ging zum Antigravschacht und sank abwärts. Hoffent­lich hatte der Verräter die Ausrede nicht be­merkt. Alles war still, aus keiner der Ebenen der Containersimulation drang ein Geräusch.

»Atlan?«

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43 Vorstoß nach Kopaar

Das Gefühl der Beklemmung in Offsha­nor wuchs. Er schalt sich einen Narren. Wä­re er nur in der Zentrale geblieben. Vermut­lich hatte Farangon die Varganin unter Dro­gen gesetzt und die Kontrolle über das Schiff an sich gerissen.

Wenn die Garbyor kamen, dann wollten sie vermutlich keine Container abtranspor­tieren, sondern den Arkoniden und die Ge­fährten aus dem Fahrzeug holen.

Sie wissen es also! Für Heroshan Offsha­nor war damit klar, dass der Verräter sein Ziel erreicht hatte. Aber warum unternahm er nichts gegen ihn, den Kommandanten der MORYR?

Offshanor entdeckte einen Schatten tief unter sich und warf sich durch eine Öffnung in den angrenzenden Korridor. Aber der an­dere hatte ihn schon bemerkt.

»Heroshan?« »Ja.« Es war Xarpatosch. Der Einsatzlei­

ter trug einen schweren Handstrahler bei sich.

»Farangon ist mit Kythara allein in der Zentrale«, sagte Offshanor.

»So war es verabredet.« Der Kommandant der MORYR atmete er­

leichtert auf. »Sie passt also auf ihn auf!« »Nicht nur sie. Wenn er nur eine falsche

Handbewegung macht, greift DENMOGH sofort ein.«

»Ich muss dringend mit Atlan reden.« »Er ist noch unten. Die Garbyor sind

einen halben Kilometer entfernt. Das ver­schafft uns ein wenig Luft.«

Sie warteten gemeinsam, bis der Arkonide und die restlichen Cappins eintrafen. Offsha­nor berichtete wortgetreu, was er den Ge­danken des Marquis entnommen hatte.

Damit war es endgültig allen klar, und für die meisten bestätigte sich der schon vorhan­dene Verdacht.

»Es erschwert uns die nächsten paar Stun­den erheblich«, stellte der Arkonide fest. »Einer muss immer auf Farangon aufpas­sen.«

»Er wird losschlagen, sobald er Verdacht schöpft«, sagte Xarpatosch. Atlan nickte.

»Noch geht er davon aus, dass wir den Um­setzer benutzen wollen, um ungehindert zum Dunkelstern zu gelangen. Natürlich kalku­liert er auch die zweite Möglichkeit ein. Aber bisher sieht er keine Anzeichen dafür.«

»Was tun wir jetzt?«, wollte Offshanor wissen.

»In die Zentrale zurückkehren und abwar­ten.«

»Wir sollten losschlagen, solange die Gar­byor noch weit genug vom Kardenmogher entfernt sind«, beharrte Offshanor.

Atlans Gesicht wurde nachdenklich. »Wir dürfen das Dutzend Schiffe im Orbit nicht außer Acht lassen. Eines davon ist die GARB-ONZYN des Erzherzogs. Er koordi­niert die Jagd nach uns. Wir warten, bis die Golfballraumer wieder unter den Horizont gesunken sind. Das Problem Farangon verta­gen wir auf später, er kann im Moment nichts ausrichten, was unsere Lage ver­schlimmern würde.«

*

Farangon selbst übernahm es, die Vorgän­ge im Orbit Kopaars zu überwachen. Ein wenig zollte ich ihm Hochachtung. Als Cap­pin kannte er die Möglichkeiten seiner Art­genossen genau, und er wusste, welche Ab­sichten und Ziele die Garbyor verfolgten. Vermutlich würden wir nie erfahren, wie es den Soldaten des Lordrichters Yagul Mahu­ur gelungen war, Farangon umzudrehen, oh­ne dass dieser seinen psisensiblen Verstand verloren hatte. Freiwillig war er bestimmt nicht zum Gegner übergelaufen.

Vielleicht war Fahrlässigkeit im Spiel, meinte der Extrasinn. Wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt, fällt man irgend-wann.

Ich rief Farangon zu mir. Er nahm im Ses­sel neben mir Platz. Halblaut setzte ich ihm auseinander, dass ich den Umsetzer dazu be­nutzen wollte, um den Mikrokosmos zu zer­stören und wieder in den Normalraum zu­rückzukehren.

Er verhielt sich aufgeschlossen, zeigte

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Verständnis und brachte Zweifel an. Er glaubte nicht, dass wir damit unser Ziel er­reichen würden. Der Flug zum Dunkelstern schien ihm die bessere Möglichkeit.

»Warten wir es ab«, sagte ich vieldeutig. In den folgenden Minuten beobachtete ich

ihn immer wieder. Er zeigte keinerlei Ner­vosität. Im Gegenteil, Farangon war die Ru­he selbst. Er war jetzt überzeugt, dass wir zum Dunkelstern fliegen wollten, konnte hinterher aber auch nicht behaupten, ich hät­te ihm die Unwahrheit gesagt.

»Die Garbyor sind noch vierhundert Me­ter entfernt«, meldete DENMOGH.

Ich tauschte mit Kythara einen kurzen Blick. Sie senkte die Augenlider zum Zei­chen, dass sie mit meiner Entscheidung ein­verstanden sein würde.

»Alle Systeme bereitmachen zum Start.« Wenn es so weit war, musste alles schnell

geschehen. Die Garbyor durften erst gar nicht merken, was eigentlich geschah. Ich schickte eine kurze Textnachricht an das Kommandopult. Die Varganin drehte sich kurz zu mir um.

»Bereit?« Sie hatte die Nachricht gelesen und verriet

ihre Professionalität einmal mehr dadurch, dass sie keine überflüssigen Fragen stellte. Wir lassen die Ladung verrutschen. Die Container des Kardenmogher fallen aus dem Schiff. Bis die Kerle wissen, wie ihnen geschieht, ist das Zeug spurlos verschwun­den.

»Bereit.« Ich hielt das für die überzeugendere Vari­

ante. Wenn dort, wo bisher Container stan­den, plötzlich ein Loch gähnte, würden die Garbyor sofort Alarm auslösen. Wenn sie aber mit ansahen, wie die Ladung verrutsch­te und ins Freie fiel, glaubten sie an Schlam­perei ihrer Artgenossen.

»Noch fünf Minuten bis zum Horizont«, sagte Farangon.

Kythara checkte die Ortung aller Vorgän­ge, die mit dem Umsetzer in Zusammenhang standen. Alles lief reibungslos. Wir brauch­ten nur hinzufliegen.

Arndt Ellmer

Aber so einfach würde es nicht sein. Die Garbyor hatten diesen Umsetzer selbst ge­baut und ihn mit Aggregaten aus vargani­schen Beständen aufgerüstet und ergänzt. Alte Kodes in den Speichern des Kardenmo­gher halfen mit Sicherheit nicht, die Anlage für unsere Zwecke umzuprogrammieren.

Farangon schien denselben Gedanken zur selben Zeit zu haben. Ich entdeckte plötzlich einen Ausdruck von Überraschung in sei­nem Gesicht. Dann verdüsterte es sich, nahm aber ziemlich schnell wieder einen gleichmütigen Ausdruck an. Ohne dass er es merkte, gab ich Offshanor hinter seinem Rücken einen Wink.

»Zwei Minuten«, murmelte der Verräter in seinem Sessel. »DENMOGH, besitzen wir Daten, wann das nächste Transportschiff eintrifft?«

Unter anderen Umständen hätte ich die Frage als Ausdruck der Sorgfalt empfunden. So aber lag klar auf der Hand, dass Faran­gon Zeit schinden wollte. Das Eintreffen ei­nes weiteren Schiffes hätte unser Vorhaben verzögern und dem Verräter Zeit verschaf­fen können.

»Es liegen keine Hinweise vor«, lautete die Antwort des Schiffes.

In Gedanken zählte ich die letzten achtzig Sekunden mit. Nacheinander verschwanden die Golfballraumer unter den Horizont des Planeten. Alles, was sich jetzt um die Anla­ge herum ereignete, empfingen sie über Funk oder Satellit. Die Möglichkeit, mit ih­ren starken Geschützen unmittelbar aus dem Orbit einzugreifen, besaßen sie für die näch­sten eineinviertel Stunden nicht.

»Sie sind weg!« Ich blickte in die Runde. »Ihr wisst alle,

worum es geht. Oberstes Ziel ist es, so schnell wie möglich von Kopaar wegzukom­men.«

Draußen im All hatten wir die geballte Kraft der Golfballraumer gegen uns. Aber irgendwo lauerte auch die AMENSOON. Die Besatzung würde sofort erkennen, was auf Kopaar vor sich ging. Das Oktaeder würde uns hoffentlich rechtzeitig zu Hilfe

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45 Vorstoß nach Kopaar

kommen. »Auf ein Wort, Farangon«, sagte Offsha­

nor ziemlich laut. »Ich brauche noch ein paar Informationen über eure Erkenntnisse, während ich pedotransferierte!«

Durch das Containerkonglomerat ging ein Ruck. Der Kardenmogher hatte sich in Be­wegung gesetzt.

9.

Es war ein lautloses Kräftemessen zwi­schen zwei Giganten. Beide waren Cappins vom Volk der Ganjasen, beide verfügten über die Parakraft der Pedotransferierung. Beide hatten sich dem Kampf gegen die Garbyor verschrieben, die nicht nur in Dwingeloo und der Milchstraße, sondern auch in anderen Galaxien wie Gruelfin ihr Unwesen trieben.

Einer von ihnen hatte inzwischen die Sei­ten gewechselt.

Ich vermochte nicht zu entscheiden, wie stark die Wut in ihrem Innern kochte, denn ihre Gesichter zeigten Gleichmut, fast schon Verständnis. Der Respekt der beiden vorein­ander war ziemlich groß. Weder Offshanor noch Farangon machte Anstalten, den Kon­trahenten anzugreifen.

»Es ist zwar ein ungewöhnlicher Zeit­punkt, aber wir haben schließlich noch ein paar Minuten.« Farangon blickte abwech­selnd zur Ortungsanzeige und auf Heroshan.

»So wenig habt ihr herausbekommen?« »Das nicht. Aber im Moment haben wir

wenig Zeit. Ich werde mich also auf das Wichtigste beschrä…«

Der Kardenmogher half unabsichtlich dem Verräter. Er glitt in diesem Augenblick aus dem Gestänge ins Freie. Die ersten Gar­byor bemerkten die rutschende Ladung und rannten davon. Andere blieben stehen und sahen zu. Dann aber wurden es immer mehr zusammenhängende Container, die zwischen den Gitterstäben des Transporters ins Freie rutschten und umfielen. Aus dem Poltern wurde Getöse, unterstützt von den Außen­lautsprechern des Fahrzeugs.

Die letzten Garbyor brachten sich in Si­cherheit. Einer sprach hastig in ein Funkge­rät.

»Phase Eins ist abgeschlossen«, meldete DENMOGH. »Ich starte Phase Zwei!«

Farangon vergaß den Artgenossen. Ich sah, wie sich seine Hände um die Lehnen des Kontursessels klammerten.

Die Knöchel traten weiß hervor. Er starrte auf den Bildschirm, der ihm die Umgebung des Kardenmoghers zeigte, auf der einen Seite die Hunderte von Metern hohe Kon­struktion, auf der anderen die Anlagen am Rand des Raumhafens. Die geparkten Schif­fe bekamen nichts von dem Vorgang mit, der Transporter stand zwischen ihnen und dem Fahrzeug.

Im kreisenden Hologramm vor unseren Köpfen leuchteten Lämpchen und Sensorflä­chen auf. Der Kardenmogher war soeben in seinen Tarnanzug geschlüpft. Der Deflektor­schirm und das Antiortungsfeld standen.

Damit existierte das Fahrzeug nur noch für extrem sensible Taster und Orter.

Kythara steckte ihre Arme bis zu den El­lenbogen in das Präferenzhologramm. Ihre Finger rasten über die Sensorfelder. Im Hin­tergrund entstand eine Reihe kleiner Moni­torhologramme. Sie zeigten, wie sich Teile der Container gegeneinander verschoben, während das Konglomerat gleichzeitig vom Boden abhob und auf fünfzig Meter Höhe stieg. Dort gruppierten sich die Container um, setzten sich halbe Räume und halbe Wände wieder zu ganzen zusammen. Inner­halb von weniger als fünf Minuten baute sich der Kardenmogher zu dem Doppelke­gelstumpf zurück, als der er in den Mikro­kosmos gelangt war.

»Atlan!« Farangons Stimme klang plötz­lich schrill. »Was fliegt das Ding für einen Kurs?«

Er hatte erwartet, dass wir am Boden blie­ben. Stattdessen stieg der Kardenmogher steil in die Atmosphäre Kopaars hinauf.

»Alles läuft genau wie abgesprochen. Was soll die Frage?«, spielte ich den Ah­

nungslosen. Er nahm es mir nicht ab, aber es

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verwirrte ihn dennoch. »Wir verschwinden so schnell wie mög­

lich von hier!«, fügte ich hinzu. Farangon warf einen fast panischen Blick

auf Kythara, die noch immer wie eine Welt­meisterin auf der holografischen Klaviatur des Kardenmoghers spielte. Ihr Gesicht zeigte volle Konzentration, die Lippen hatte sie aufeinander gepresst.

»Ihr werdet nicht …« »Stör sie doch nicht!«, herrschte Offsha­

nor den Artgenossen an. »Was jetzt kommt, geschieht außerhalb unserer Verantwortung. Es ist allein Atlans und Kytharas Angele­genheit.«

Und Kalarthras' natürlich!, fügte ich in Gedanken hinzu. Bisher hatte sich niemand so recht Gedanken darüber gemacht, wie mit den Artefakten der varganischen Kultur ver­fahren werden durfte. Theoretisch fielen sie noch immer unter den Besitz der Varganen. Wobei die Lordrichter sich um diese Legiti­mation wohl kaum scheren würden.

Juristische Spitzfindigkeiten helfen nicht gegen Transformbomben, meldete sich mein Extrasinn. Und zu große Langmut nicht ge­gen Top-Spione.

Das saß! Und doch … uns fehlte noch im­mer der letztgültige Beweis.

Farangon nagte an der Unterlippe. Ich sah, wie er nach der Bedienungsfläche schielte, mittels der sich auch die Funkver­bindung aktivieren ließ. DENMOGH rea­gierte und zeigte damit, dass er Farangon unablässig beobachtete. Das Holopanel vor Farangons Sessel erlosch. Der Cappin hatte keinen Zugriff mehr auf Einrichtungen des Schiffes.

Er wusste jetzt endgültig, dass er enttarnt war.

»Was ist hier los?«, murmelte er. Heroshan Offshanor lachte. »Genau um

diese Frage geht es mir. Hast du eine Ant­wort? Und denk gut nach – es sollte eine verdammt gute sein.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.« Farangons Schultern sanken her­ab. Er schien übergangslos kleiner und älter

Arndt Ellmer

geworden zu sein. Eigentlich erwartete ich, er würde jetzt sprechen und uns die Wahr­heit sagen. Aber ich täuschte mich. Etwas in seinem Innern verhinderte die bessere Ein­sicht. Er tat, als ginge ihn das alles nichts mehr an.

Ändern konnte er nichts mehr. Also tat er das, was ihm als Einziges übrig blieb.

Er spielte den unbeteiligten Zuschauer.

*

Der Kardenmogher erreichte zwanzig Ki­lometer Höhe. Die Luft um ihn herum bilde­te hektische Wirbel – das einzige Anzei­chen, dass da etwas war.

Ich tauschte mit Kythara einen knappen Blick.

Jetzt oder nie! Ich griff in das Holo vor meinem Sessel. Auf dem Intern-Hologramm tauchten

blassrosa Spindeln und mit bläulicher Ener­gie gefüllte Rohre auf. Halbkugeln mit Sta­cheln drehten sich um 180 Grad, bis sie nach außen standen. Das technische Verständnis der Cappins reichte aus, zumindest einen Teil der varganischen Systeme zu identifi­zieren. Gebannt verfolgten sie, wie Ab­strahlspindeln, Projektoren und Geschütz­mündungen in Position fuhren. Der Karden­mogher verwandelte sich ringsherum in eine Kampfmaschine.

Meine Finger bewegten sich fast wie von selbst. Die Klaviatur des Fahrzeugs verfügte über intuitive Bedienungsfelder, die syn­chron funktionierten. Die Impulse von Ky­tharas Panel bildeten mit denen aus meinem so etwas wie eine harmonische Einheit. Wir bewegten uns nicht, gönnten einander kei­nen Blick, aber wir kommunizierten über die Eingabefelder miteinander.

Wirklich beeindruckend, wie ihr euch ver­steht!, spottete der Extrasinn.

Ich wandte leicht den Kopf und sah zu Fa-rangon hinüber. Offshanor saß unmittelbar hinter ihm, jederzeit zum Eingreifen bereit.

Auf der Stirn des Verräters bildeten sich Schweißperlen. Er schloss die Augen, aber

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im nächsten Augenblick riss er sie wieder auf.

»Wusstest du eigentlich«, kicherte Offs­hanor hinter ihm, »dass der Kardenmogher über eine auch nach innen vektorierbare Pa­ra-Abwehr verfügt? Ich wette, jetzt weißt du es.«

Farangon hatte offenbar versucht, sich mit Hilfe seiner Fähigkeit abzusetzen und die Garbyor zu warnen. Jetzt schlug er vor Ver­zweiflung die Hände vor das Gesicht.

»Warum?«, fragte er, fast flehentlich. »Warum haltet ihr mich auf? Wir müssen doch etwas unternehmen, ehe die Garbyor …«

»Das tun wir soeben«, antwortete ich. »Du brauchst dich um nichts mehr zu küm­mern.«

Dreißig Kilometer Höhe. »Wir sind so weit!«, verkündete Kythara. »Der Abstand ist nicht groß genug. Ver­

giss die Schwarze Substanz nicht, mit der sie in den Anlagen experimentieren!«

Die Garbyor gaben jetzt Alarm. Sie such­ten nach den herausgefallenen Containern, fanden sie aber nicht. Auch der Marquis war rasch am Ort des Geschehens.

»Alles bestens«, verkündete Xarpatosch. »Der letzte Pedotransferer kehrt soeben zu­rück.«

Die Besatzung des Transporters hatte kei­nen direkten mentalen Kontakt zu den Cap­pin-Bewusstseinen gehabt, konnte also nicht viel über das sagen, was geschehen war.

Fünfzig Kilometer Höhe! Der Kardenmo­gher sauste weiter. Wie ein Geschoss aus den Tiefen des Alls raste er davon. Draußen kochte die Luft und bildete einen trichterför­migen Wirbel.

»Sie kommen!«, meldete DENMOGH. Der erste Golfballraumer tauchte über

dem Horizont auf. Farangon nahm die Hän­de vom Gesicht. Er sondierte die Lage. Als er die Schiffe entdeckte, hellte sich seine Miene auf.

»In wenigen Augenblicken erreichen wir die Maximalgeschwindigkeit«, sagte Kytha­ra in meine Richtung.

»Ich bin so weit«, nickte ich. Wir hatten die dichten Schichten der At­

mosphäre hinter uns. Der Kardenmogher er­reichte ungehindert den freien Raum. Keines der Garbyor-Schiffe war nah genug, um auf uns schießen zu können. Sie beschleunigten, kamen aber in der Anfangsphase so nah über dem Planeten nur schwerfällig voran.

Offshanor beugte sich nach vorn, dem Artgenossen entgegen. »Wir haben nur diese eine Chance. Sieh es ein!«

Farangon erstarrte. Ruckartig wandte er den Kopf in meine Richtung. Fast schien es, als wolle er mich mit seinen Blicken ver­schlingen.

Ich absolvierte die letzte Kodeabfrage und schaltete den Sicherungsmechanismus für den Hegnudger aus. Mit den nächsten Be­rührungen meiner Fingerspitzen aktivierten sich die Gravo-Zyklon-Projektoren. Außer­halb des Schutzschirms entstanden flirrende Feldwirbel, sie entlockten dem Verräter ein hektisches Keuchen. Mit dem Wissen der Cappins ahnte er ungefähr, um welche Art von Waffe es sich handelte.

»Das – das …« Sein Krächzen verstumm­te. Aus weit aufgerissenen Augen beobach­tete er, wie der Wirbel sich Richtung Plane­tenoberfläche ausdehnte, sich dabei kegel­förmig nach unten weitete. Dabei saugte er Energie aus der Umgebung an, verwandelte die Gase der Luft in Energie, die er in Rich­tung Boden beschleunigte.

Zur Wirkung der Gravo-Zy­klon-Projektoren kam die verstärkende Wir­kung des Hegnudgers hinzu. Er trieb das Wirbelfeld mit hoher Beschleunigung nach unten. Der Energieausstoß war so groß, dass der Kardenmogher dadurch einen zusätzli­chen Beschleunigungsimpuls erhielt.

»Zehn Sekunden«, sagte Kythara unbe­wegt.

Die Feldwirbel erreichten die Planeteno­berfläche. Der Kegel besaß inzwischen einen Durchmesser von fast tausend Kilo­metern.

Einen Augenblick lang schien dort unten das Leben stillzustehen. Dann rotierte es

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übergangslos mit der vernichtenden Kraft ei­nes gewaltigen Tornados. Der Unterschied zu diesem Naturphänomen war, dass die Feldwirbel nicht nur einen Sturm verursach­ten. Sie besaßen auch eine Gravokomponen­te. Weit unter uns rotierte die Schwerkraft und schaukelte sich zu gewaltiger Stärke auf. Alles, was in diese Mühle geriet, kam als feinster Staub wieder heraus.

»Der Umsetzer löst sich auf!«, meldete DENMOGH. »Ich lege die Ausschnittver­größerung in das Hologramm.«

Für ein paar Sekunden sahen wir eine to­tale Unordnung dort, wo bis vor wenigen Sekunden akkurat Gebäude und Versuchsan­lagen gestanden hatten. Dann existierte bis tief ins Innere des Planeten nur noch Staub.

Wir zählten die Sekunden. Keine zwanzig dauerte es, bis die erste Magmafontäne aus dem Innern Kopaars in die Höhe schoss, in­zwischen mehr als tausend Kilometer im Durchmesser. Wir entdeckten dunkle zuckende Würmer, die jedes Licht schluck­ten und sich vor der Glut in Sicherheit brin­gen wollten.

Die ersten explodierten, und sie erzeugten Schockwellen, die bis in den Kardenmogher durchschlugen, das kleine Fahrzeug über­rollten und vor ihm her ins All hinausjagten.

Unsere Außenbeobachtung brach über­gangslos zusammen. Irgendwo in den Tiefen des Fahrzeugs jaulten Aggregate. Der Kar­denmogher fing an zu bocken, während aus dem Triebwerksbereich Donnerschläge bis in die Zentrale hallten.

»Ich habe euch gewarnt«, murmelte Fa-rangon. »Ihr wolltet nicht auf mich hören.«

*

Die Gravo-Zyklon-Projektoren des Kar­denmogher stellten eine verheerende Waffe dar. Ich verglich sie mit den Arkonbomben, gegen die auch kein Kraut gewachsen war. Nur zündete eine Arkonbombe den Kern­brand auf einem Planeten, der diesen inner­halb von wenigen Stunden und Tagen auf­fraß, die Planetenkruste gewissermaßen auf-

Arndt Ellmer

weichte, bis sie dem Innendruck nicht mehr standhielt.

Die Varganenwaffe hingegen benötigte für denselben Effekt gerade mal ein paar Minuten. Der maximale Durchmesser des Wirkungskegels lag bei 10.000 Kilometern, das reichte aus, um einen Planeten von durchschnittlicher Größe innerhalb kurzer Zeit zu pulverisieren.

Die Hologramme in der Zentrale flacker­ten. DENMOGH gab sich alle Mühe, sie ei­nigermaßen zu stabilisieren. Wir sahen, wie Kopaar explodierte. Der Planet schleuderte sein Inneres ins Weltall. Das Magma ver­schluckte den Staub, der von der Oberfläche übrig geblieben war.

Die Schwarze Substanz explodierte eben­falls. Sie erzeugte zusätzlich Schockwellen und hyperenergetische Ladungen. Sie näher­ten sich mit Lichtgeschwindigkeit, und ih­nen hatte der Kardenmogher in dieser Stärke nichts entgegenzusetzen.

Noch hielt das kleine Raumfahrzeug sei­nen Kurs. Die Triebwerksleistung lag dicht unter dem Maximum. Der Kardenmogher beschleunigte weiter, aber die Gravoschock­wellen rüttelten an ihm und versuchten, ihn aus seiner Bahn zu werfen.

»Ich versuche, die Schockwellenfront mit Hilfe der Feldwirbelprojektion aufzuhalten«, sagte ich.

Kythara verneinte. »Dazu fehlt uns die Energie. Wir brauchen sie auf der Schirm­staffel.«

Uns blieb nichts anderes übrig, als dem sich ausbreitenden Chaos so lange standzu­halten, bis sich der Kardenmogher in den Hyperraum retten konnte. Weiter draußen im Mikrouniversum ging es derzeit ruhiger zu.

Noch!, meinte der Extrasinn und erinnerte mich daran, dass sich die Schockwellenfront der Schwarzen Substanz vermutlich über den ganzen Mikrokosmos ausbreiten würde.

Bis dahin, so hoffte ich, hatten wir die dann brüchige Trennschicht hoffentlich durchquert und waren wohlbehalten zurück im Standarduniversum.

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Eine Garantie dafür gab es allerdings nicht.

Ich wandte mich an Farangon. »Hast du uns nichts zu sagen?«

»Was sollte … Ach, es ist ohnehin zu spät!«, sagte er. »Ich verstehe euch nicht.«

»Wir sitzen doch alle im gleichen Boot«, tat ich überrascht.

Plötzlich traf ein Schlag wie von einem überdimensionalen Hammer den Kardenmo­gher. Der Doppelkegelstumpf fing an zu tau­meln. Für uns sah es aus, als würde sich draußen das Universum plötzlich um uns drehen. Dann aber kamen die ersten Ausset­zer der Gravoprojektoren durch. Der Schwerkraftvektor wechselte, fiel für Sekun­den vollständig aus.

Alarm heulte durch das kleine Schiff. DENMOGH meldete erste Materialschäden an den Abstrahlspindeln der Gravo-Zy­klon-Projektoren. Er hätte sie nur einzufah­ren brauchen, aber das kostete wieder Ener­gie. Und die brauchte er für die Schirmstaf­fel.

Die Abbildungen in den Hologrammen flirrten. Die Schockwellenfront verzerrte die gesamte Raumzeit im System der gelben Sonne.

Ein zweiter Schlag erschütterte den Kar­denmogher. Diesmal krachte es anschlie­ßend. Ein Poltern zeugte davon, dass irgend-wo ein Aggregat oder ein Gegenstand umge­fallen war. Wir hörten die Schläge, mit de­nen er von Wand zu Wand fiel. Dort unten waren die Schwerkraftprojektoren ausgefal­len.

Spätestens jetzt begriff der Letzte in dem kleinen Fahrzeug, dass die Situation gefähr­licher war, als wir angenommen hatten. Ein Denkfehler?

Vermutlich nicht. Die Wirkung der Schwarzen Substanz stieg exponentiell. Was wir nicht hatten vorhersehen können, war ihr Verhalten unter der Einwirkung von Gravo-Zyklon-Projektoren. Hier fehlte uns eindeu­tig Wissen, das weder der Kardenmogher noch Kalarthras oder Kythara besaß. Auch die Garbyor konnten so etwas nicht vorher­

sehen. »Schnallt euch jetzt besser an!«, forderte

DENMOGH uns auf. »Es könnte euer Leben retten!«

Wir folgten der Aufforderung und legten die mechanischen Sicherheitsgurte an. Sie pressten uns tief in die Kontursitze, das war gut so.

Die Gravoprojektoren fielen wieder aus, diesmal für mehr als eine Minute. Um uns drehte sich alles, wir fuhren Karussell durch das halbe Universum. Keiner von uns wus­ste anschließend noch, wo unten oder oben war. Der Fußboden …

Die Säulen unserer Sessel endeten im Nichts. Draußen tobten hyperenergetische Entladungen um das Schiff.

Sie verzerrten die Raum-Zeit-Struktur im Kopaar-System. Es entstanden Zonen der Nichtwirklichkeit, Nischen ohne die gülti­gen Gesetze des Standarduniversums, wie sie in diesem Mikrokosmos herrschten. Der Fußboden war hineingeraten und deshalb nicht mehr sichtbar. Im dreidimensionalen Koordinatensystem gedacht, existierte er jetzt an einem anderen Ort. Dennoch trug er weiter das Gewicht der Sessel.

War es das erste Zeichen, dass sich die Trennschicht auflöste und der gesamte Sek­tor mit seinen 230 Lichtjahren Durchmesser in den Normalraum zurückkehrte?

DENMOGH gab erneut Alarm. Die Luft­versorgung des Innenraums stellte ihren Be­trieb ein. Alle Systeme, die nicht dringend für den Antrieb und die Schirmstaffel benö­tigt wurden, fuhren herunter.

Wir spürten plötzlich, wie ein Sog den Kardenmogher erfasste. Gleichzeitig fiel die Bildübertragung erneut aus. Ich wartete auf Anzeichen des Wechsels, suchte auf den Or­tern die typischen Ausschläge, die den Wechsel in den Hyperraum anzeigten.

»Wir sind erst bei knapp dreißig Prozent Lichtgeschwindigkeit«, sagte Kythara. »Bis zur ›Schwelle‹ dauert es noch.«

In den Tiefen des Kardenmoghers dröhnte und blubberte es. Keinem in der Zentrale fiel auf, dass der Boden wieder da war. Dafür

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nahm der Sog zu, der das Fahrzeug in einen Strudel hineinriss. DENMOGH versuchte mit allen Mitteln, die Fluglage zu stabilisie­ren und die Außenbeobachtung wieder in Gang zu bringen. Es gelang nicht.

Stattdessen traf wieder ein Schlag das Schiff. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein, als sich über mir die Decke öffnete, eine Glutwolke aus Magma und Gasen auf uns herunterraste, durch den Boden hindurch und irgendwohin.

Ein Blinzeln reichte, um die Unversehrt­heit der Decke wiederherzustellen.

Ich sah, wie Farangon das Gesicht verzog. Er tastete nach einer Tüte, öffnete seinen Helm und übergab sich. Als er sich den Mund abgewischt hatte, spülte er ihn mit der internen Wasserversorgung des Schutzan­zugs aus.

»Schließ den Helm wieder!«, forderte ich ihn auf.

Er beachtete es nicht. »Wir sitzen alle in einem Sarg. Es gibt kein Entkommen!«

Als habe er mit diesen Worten einen Schalter ungelegt, faltete etwas den Karden­mogher wie eine Ziehharmonika zusammen. Vor meinen Augen verschwamm die Zentra­le, machte graurotem Schlierennebel Platz.

Etwas stimmt nicht!, war mein letzter Ge­danke, dann verlor ich das Bewusstsein.

Epilog

Er verdankte es einzig seinem Piloten, dass er noch am Leben war. Jenseits des Schiffes wölbte sich Kopaar nach außen, schleuderte gewaltige Magmamassen ins All hinaus, die sofort eine Reihe Raumer ver­schlangen und auf der Stelle vernichteten.

Die GARB-ONZYN flog schon weiter draußen. Sie verzichtete bis zuletzt auf den Einsatz der Schutzschirme, legte alle Energi­en in den Antrieb. Wie ein Geschoss und mit ächzendem Rumpf trieb der Pilot die Kugel in den freien Weltraum hinaus.

Erzherzog Garbgursha beobachtete auf der Aufzeichnung, wie der Umsetzer explo-

Arndt Ellmer

dierte und sich im Umkreis von tausend Ki­lometern die Planetenkruste auflöste. Er ent­deckte die Ballungen Schwarzer Substanz, die wie aufgeschreckte Tiere hin und her ra­sten, sich mit Energie aus dem Planetenin­nern aufpumpten und dann ebenfalls explo­dierten. Um sie herum riss der Normalraum auf, verschlang Teile des Planeten auf Nim­merwiedersehen. Löcher entstanden im All rund um Kopaar, durch die Magma ins Nichts versickerte. Augenblicke später ver­schwanden die Löcher und hatten den halb-en Planeten verschluckt.

Garbgursha wartete noch immer auf die Feindortung. Sie blieb aus. Kein fremdes Schiff befand sich in der Nähe. Die AMEN­SOON hing noch immer im Ortungsschutz des Roten Zwergs in 3,8 Lichtjahren Entfer­nung und rührte sich nicht.

Schweren Herzens und mit Furcht vor den Konsequenzen machte sich der Erzherzog mit dem Gedanken vertraut, Lordrichter Ya­gul Mahuur über den Zwischenfall zu infor­mieren, der einen herben Rückschlag dar­stellte. Garbgursha legte sich vielfach Worte zurecht, wie er es erklären sollte. Jedes Mal verwarf er sie wieder. Beschönigen half nichts, die nackte Wahrheit war wie immer in solchen Fällen das Beste.

Wir haben versagt. Kopaar ist vernichtet. Nein, nicht nur Kopaar, stellte Garbgurs­

ha nach einem Blick auf die Orter fest. Überall im Mikrokosmos brachen gewal­

tige Raumbeben und Strukturerschütterun­gen los. Innerhalb weniger Atemzüge weite­ten sie sich zu Hyperstürmen aus, wie der Erzherzog sie noch nie gesehen hatte.

»Rotalarm für die gesamte Raumflotte!«, schrie er und wäre beinahe aus seinem Ses­sel gefallen. »Rette sich, wer kann!«

Das Miniaturuniversum mit seinen 55.000 Sonnen drohte unterzugehen.

ENDE

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51 Vorstoß nach Kopaar

Chaos im Miniaturuniversum von Michael Marcus Thurner

Fast scheint es, als könne die AMENSOON den Garbyor nicht nur immer weiter entschlüp­fen, sondern sogar zusätzlich noch Schaden anrichten. Doch nichts ist gewiss, solange der Verräter an Bord nicht endgültig enttarnt wurde. Ist es tatsächlich der Cappin Farangon? Oder verbirgt sich hinter der scheinbaren Allwissenheit der Lordrichter mehr, als Atlan bis­her ahnen kann?

Die Ereignisse in Dwingeloo steuern mit der Vernichtung Kopaars einem dramatischen Höhepunkt zu, denn nun entsteht

CHAOS IM MINIATURUNIVERSUM