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Schriften der Vereinigung Österreichischer

Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB)

Herausgegeben von Harald Weigel

Band 2

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29. Österreichischer BibliothekartagBregenz, 19.–23.9.2006

Herausgegeben von Harald WeigelBearbeitet von Jürgen Thaler und Gerhard Zechner

WA(H)RE INFORMATION

Wolfgang Neugebauer Verlag GesmbH Graz–Feldkirch

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Umschlag/Layout: Tobias Neugebauer

Druck: dd-ag, Birkach

Printed in Germany

ISBN 978-3-85376-282-0

© 2007 W. Neugebauer Verlag GesmbH Graz-Feldkirch

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Tonkopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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INHALT

VORWORT ................................................................................................................................................................................................................. 10

AUSBILDUNG

Sebastian Eschenbach, Monika Bargmann

Wie breit ist eng genug? Über die Ausbildung von Bibliotheksfachleuten

am Studiengang Informationsberufe in Eisenstadt ........................................................................... 13

Günter Olensky

Archiv-, Bibliotheks- und Informationsassistent/in (ABI-Ass.) –

Ein neuer Lehrberuf in Österreich ............................................................................................................................ 20

BIBLIOTHEKSBAU

Christian Enichlmayr

Bibliothekserweiterung in den engen Grenzen von Raum, Geld und Denk-

malschutz. Am Beispiel der Oberösterreichischen Landesbibliothek ........................ 25

Christian Jahl

Drei Jahre Hauptbücherei Wien am Gürtel: Architektur, Technik,

Angebote, Erfolg. Versuch einer Bilanz .............................................................................................................. 37

Helmut Windinger

Die neue Stadtbibliothek Salzburg ........................................................................................................................... 42

RECHT

Stephan Büttner

Digital Rights Management und Trusted Computing: Nutzer und Bibliothe-

ken zwischen DRM, Trusted Computing und gesetzlichem Rahmen .................. 48

Roland Alton-Scheidl

RegisteredCommons.org – Mehr Rechtssicherheit für Kreativschaffende .......... 55

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MUSIKALIENBEARBEITUNG

Thomas Aigner

Digitalisierung der Schubert-Autographe der

Wienbibliothek im Rathaus ................................................................................................................................................ 61

Michaela Brodl

Zur Digitalisierung der analogen AV-Medien. Konzept

und erste Erfahrungen zur Langzeitarchivierung in der

Österreichischen Nationalbibliothek ...................................................................................................................... 66

Susanne Eschwé

Der Bruno-Walter-Nachlass an der Universitätsbibliothek der Universität

für Musik und darstellende Kunst Wien .......................................................................................................... 72

Gabriele Fröschl

Digitalisierung – Eine Revolution in der Zugänglichkeit von AV-Medien? ..... 78

Manfred Kammerer

Musikbibliotheken in Österreich – ihre Aufgaben und Tätigkeiten ......................... 83

Thomas Leibnitz

Retrokatalogisierung an der Musiksammlung der Österreichischen

Nationalbibliothek: Ausgangssituation – Lösungsvarianten ................................................ 89

Robert Schiller

Zur Problematik bei der Recherche von Musikalien in Online-Katalogen ......... 93

SCHULBIBLIOTHEKEN

Andreas Klingenberg

Unterrichtsmodell zur Entwicklung von Informationskompetenz

bei Schülern der gymnasialen Oberstufe ...................................................................................................... 100

Andreas Klingenberg

Informationskompetenz für Schüler – der Verein INFOKOS

und das Projekt an der Fachhochschule Hannover ........................................................................ 106

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Werner Schöggl

Zum Einsatz von Sachbüchern in

der Sekundarstufe II (Oberstufe AHS) .......................................................................................................... 113

Anke Märk-Bürmann

Die Akademie für Leseförderung der Stiftung Lesen:

Aufbau von regionalen Lesenetzwerken in Niedersachsen ................................................ 117

BIBLIOTHEKEN UND GESELLSCHAFT

Stefan Alker, Christina Köstner, Markus Stumpf

Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien –

ein Zwischenbericht .................................................................................................................................................................... 125

Margot Werner

Raub und Restitution. Die Österreichische Nationalbibliothek

stellt sich ihrer NS-Vergangenheit ......................................................................................................................... 132

Manfred Hauer

Parlaments- und Rechtsinformationen für europäische Bürger.

Crosslinguales, semantisches Landtagsinformationssystem in Vorarlberg,

ein Dienst der Landesbibliothek .............................................................................................................................. 145

Wilhelm Hilpert

Die Bayerische Staatsbibliothek: Forschungsbibliothek und mehr ........................ 150

Olaf Eigenbrodt

Agenten der Wissensgesellschaft? Fragen an eine neue Soziologie

der Bibliothek ....................................................................................................................................................................................... 157

Oliver Kohl-Frey

Informationskompetenz hinter dem Bachelor-Horizont:

Ergebnisse einer Studie an der Universität Konstanz ................................................................ 166

Joachim Griesbaum

Zur Rolle von Websuchdiensten und Fachinformation im Suchverhalten

von Studierenden. Befunde einer explorativen Studie ............................................................... 174

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Wilfried Sühl-Strohmenger

Erwartungen an die Wissenschaftliche Bibliothek der Zukunft –

unter Berücksichtigung von Befunden der neueren Nutzerforschung ............... 183

Heimo Gruber

Können Bibliotheken einen Beitrag zur Überwindung

der digitalen Spaltung der Gesellschaft leisten? ............................................................................... 192

Ulrich Hohoff

Öffentlich zugängliche Bibliotheken an Universität und Hochschule?

Das Konzept der primären Nutzergruppe und seine Folgen für

andere Benutzergruppen ....................................................................................................................................................... 196

Roman Hummel

Was geht Bibliotheken die „digitale Spaltung“ an? ........................................................................ 205

TECHNIK

Dirk Lewandowski

Wie können sich Bibliotheken gegenüber Wissenschaftssuch-

maschinen positionieren? ..................................................................................................................................................... 211

Arnd Frederichs

Natürlichsprachige Abfrage und 3-D-Visualisierung von

Wissenszusammenhängen ................................................................................................................................................. 218

Harald Reiterer, Hans-Christian Jetter

Das Projekt MedioVis - Visuelle Exploration Digitaler Bibliotheken ........... 224

Winfried Gödert

Multilingualität und Lokalisierung zur Wissenserkundung oder

Vom Nutzen semantischer Netze für das Information Retrieval .............................. 233

Peter Mayr

Die virtuelle Steinsuppe – kooperatives Verwalten von

elektronischen Ressourcen mit DigiLink ..................................................................................................... 243

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Rainer Hubert

Digitalisierung – ein Königsweg? Wie die Österreichische Mediathek

ihre Tonaufnahmen digitalisiert ................................................................................................................................. 248

Jürg Hagmann

Zum Stand des Records Management in der schweizerischen

Privatwirtschaft. Ein Survey in ausgewählten Sektoren ......................................................... 254

Markus Heindl

Das eLearning-Projekt „Einführung in die Benutzung

der Universitätsbibliothek Bodenkultur“ ...................................................................................................... 260

Stefan Winkler, Jan Steinberg

Virtuelle Auskunftsdienste sind im Kommen! ..................................................................................... 266

WIRTSCHAFT

Manfred Antoni

Der Wertschöpfungsanteil von Verlagen am

wissenschaftlichen Publikationsprozess .......................................................................................................... 276

Adalbert Kirchgäßner

Lizenzen. Parasiten des Bibliotheksetats ...................................................................................................... 282

Bruno Bauer

Open Access Publishing: Ausweg oder Irrweg aus der Krise des

wissenschaftlichen Publikationswesens? Neueste Entwicklungen ........................... 293

Ulrich Pöschl

Interactive Open Access Publishing zur Verbesserung

wissenschaftlicher Kommunikation und Qualitätssicherung ........................................ 307

DIE AUTORINNEN UND AUTOREN ................................................................................................................................... 313

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VORWORT

Die „Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare“ (VÖB)

richtet alle zwei Jahre mit dem Österreichischen Bibliothekartag die zentrale

Fortbildungsveranstaltung für Beschäftigte in bibliothekarischen und verwandten

Einrichtungen aus. Unter dem Motto „Wa(h)re Information“ fand der 29. Öster-

reichische Bibliothekartag, diesmal maßgeblich organisiert von der Vorarlberger

Landesbibliothek, vom 19. bis 22. September 2006 im Festspiel- und Kongresshaus

Bregenz statt.

Nach 1976 und 1990 war Bregenz nun zum dritten Mal der Treffpunkt nicht nur der

österreichischen Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Mit 150 Vorträgen und Prä-

sentationen sowie mit 70 ausstellenden Firmen war der Bregenzer Bibliothekartag im

Festspiel- und Kongresshaus ein voller Erfolg, und mit rund 750 Teilnehmerinnen

und Teilnehmern aus 19 Ländern kamen fast so viele an den Bodensee wie zum

bisher bestbesuchten Kongress im Jahr 2000 in Wien.

Auf dem Kongress sollte in den Themenblöcken Recht, Wirtschaft, Gesellschaft

und Technik das Spannungsfeld zwischen der Sicherung der Informationsfreiheit

als Recht auf freien Zugang zu seriöser Information auf der einen Seite sowie der

sich verstärkenden Ökonomisierung und Monopolisierung des Informationswesens

andererseits kritisch beleuchtet werden. Dem Anspruch einer offenen Wissens-

gesellschaft und der Förderung breiter Informations- und Lesekompetenz durch

Bibliotheken stehen zunehmend auch einschränkende wirtschaftliche und rechtliche

Rahmenbedingungen sowie gravierende soziale Folgen gegenüber. Außerdem wid-

meten sich die Vorträge wie gewohnt den neuen Dienstleistungen von Bibliotheken

und den aktuellen Trends in der Bibliothekslandschaft.

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Wir haben den Bibliothekartag ausgerichtet in der Hoffnung, wiederum nachhaltig

zur Vertiefung der Fachkenntnisse und zur Erweiterung des Horizonts beizutragen,

auf dass er in guter Erinnerung bleiben und zu neuen Unternehmungen in den

Bibliotheken anregen möge. Die positiven Rückmeldungen lassen uns glauben, dies

sei in einem guten Ausmaß gelungen.

Den Dank an alle, die zum Gelingen der Tagung beigetragen haben, darf ich nun

erweitern um einen herzlichen Dank an die Bearbeiter des Tagungsbandes, die

Autorinnen und Autoren und unseren Verlag. Ich bin überzeugt, die für den Druck

aufbereiteteten Vorträge nachzulesen, wird sich lohnen. Die Tagungsbände der

Bibliothekartage wie der ODOK erscheinen künftig in der VÖB-eigenen Schrif-

tenreihe.

Harald Weigel

Vorarlberger Landesbibliothek und

Vereinigung Österreichischer

Bibliothekarinnen und Bibliothekare

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AUSBILDUNG

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WIE BREIT IST ENG GENUG?

ÜBER DIE AUSBILDUNG VON BIBLIOTHEKS-FACHLEUTEN AM STUDIENGANG INFORMATIONSBERUFE IN EISENSTADT

SEBASTIAN ESCHENBACH, MONIKA BARGMANN

Der Fachhochschul-Studiengang Informationsberufe ist seit 1997 Österreichs

Regelstudium für die Ausbildung von Information Professionals. 2005 wurde das

Curriculum wesentlich überarbeitet. Auslöser dafür war der so genannte „Bologna-

Prozess“, der Versuch, die akademische Ausbildung in Europa einheitlich zu

strukturieren und damit die Mobilität von Absolventinnen, Absolventen und

Studierenden zu erleichtern. Die notwendige Umstellung war auch Anlass, die

inhaltliche Ausrichtung des Studiums zu überdenken. An dieser Stelle sollen leitende

Gedanken bei der Umstellung und erste Erfahrungen nach eineinhalb Jahren Betrieb

des neuen Studiums präsentiert werden.

1. ORGANISATORISCHES UMFELD

Der Studiengang Informationsberufe ist als einer von zurzeit 194 Fachhochschul-

Studiengängen in Österreich Teil der Fachhochschul-Studiengänge Burgenland,

einem von 18 Erhaltern im Fachhochschulbereich. Diese Organisation betreibt an

den Standorten Eisenstadt und Pinkafeld akademische Ausbildung und Forschung

in vier Kompetenzbereichen: (1) Wirtschaft, (2) Informationstechnologie und

Informationsmanagement – hier sind auch „die Informationsberufe“ angesiedelt,

(3) Gesundheit und (4) Energie- und Umweltmanagement. Im Studienjahr 2006/07

waren elf Studiengänge mit etwa 1.500 Studienplätzen aktiv.

Die entscheidende Organisationseinheit für Lehre und Forschung ist aber der

Studiengang. Darin liegt einer der wichtigsten Unterschiede zur an Universitäten

üblichen Organisationsstruktur.

Am Studiengang Informationsberufe, einschließlich des dazugehörigen Master-

Studiengangs, bilden sich derzeit etwa 200 Studierende aus. Das Bachelor-Studium

beginnen pro Jahr zwischen 35 und 50 Studierende, im Master-Studium sind es

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35 bis 40. Sie werden betreut von einem Team aus sieben Hochschullehrerinnen und

Hochschullehrern aus unterschiedlichen Disziplinen, etwa 80 Lektorinnen und Lektoren

(die meisten aus der Praxis, einige von anderen Hochschulen), zwei wissenschaftlichen

Assistentinnen, einer eLearning-Expertin und vier Mitarbeiterinnen in der Administration

des Studiengangs. Bibliothek, IT, Marketing, Personal- und Rechnungswesen sowie

Facility Management sind studiengangsübergreifend organisiert.

2. ZIEL DER UMSTRUKTURIERUNG

Für Österreichs Hochschulen bedeutet der Bologna-Prozess vor allem, dass die bisher

üblichen acht- bzw. im technischen Bereich auch zehnsemestrigen Diplomstudien

ersetzt werden durch Bachelor-Studien mit sechs Semestern und Master-Studien

mit zwei oder vier Semestern.

Im Fall des bisher achtsemestrigen Diplom-Studiengangs Informationsberufe

bedeutet das die Umstellung auf einen sechssemestrigen Bachelor-Studiengang, der

weiterhin „Informationsberufe“ heißt, und einen viersemestrigen Master-Studiergang

„Angewandtes Wissensmanagement“. Beide Studiengänge wurden im Studienjahr

2005/06 das erste Mal angeboten.

Selbstverständlich ändern sich auch die Abschlüsse: Statt dem bisherigen „Mag. (FH)

für sozialwissenschaftliche Berufe“ werden in Zukunft ein „Bachelor of Arts in Social

Science“ (BA) beziehungsweise ein „Master of Arts in Business“ (MA) verliehen.

3. BERUFSFELD INFORMATIONSBERUFE

Für die Studiengänge im österreichischen Fachhochschulbereich ist generell die

enge Kopplung an die Berufspraxis charakteristisch. Die Definition des relevanten

Berufsfelds ist daher eine wichtige, herausfordernde Aufgabe. Das gilt in besonderem

Maß für den Studiengang Informationsberufe. Wie eng muss das Berufsfeld definiert

werden, um wirklich praxisgerecht ausbilden zu können? Wie weit muss es sein,

um in ausreichender Zahl Studierende anzusprechen und den Absolventinnen

und Absolventen einen guten Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen? Was sind

Informationsberufe eigentlich, was tun Information Professionals, wo liegen die

Grenzen zu anderen Berufen?

Für diese Fragen lassen sich keine ein für alle Mal gültigen Antworten finden. Denn

die relevanten Institutionen im Berufsfeld, Möglichkeiten für den beruflichen Ein-

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und Aufstieg, der Wettbewerb in der Form anderer Aus- und Weiterbildungsanbieter,

die Interessen potenzieller Studierender, rechtliche Rahmenbedingungen und

maßgebliche Technologie verändern sich ständig. Im Rückblick hat sich das

Berufsfeld – oder vielleicht präziser – haben sich die Berufsfelder für Information

Professionals in den letzten zehn Jahren, seit Gründung des Studiengangs, dramatisch

verändert, und niemand kann heute seriös sagen, wie das berufliche Umfeld in

weiteren zehn Jahren, also 2017, aussehen wird.

Befragungen unserer Absolventinnen und Absolventen belegen diese Dynamik

anschaulich: Nur 40% haben ihren Job von einer Vorgängerin bzw. einem Vorgänger

übernommen. 60% arbeiten auf neu geschaffenen Stellen. Die viel zitierte

„Informations- und Wissensgesellschaft“ macht sich also tatsächlich bemerkbar.

Unserer Erfahrung nach kann eine Definition des Berufsfelds daher immer nur eine

pragmatische Festlegung sein, die spätestens alle vier oder fünf Jahre grundsätzlich

überdacht werden muss. In seiner derzeitigen Form – die Akkreditierung läuft bis Ende

des Studienjahres 2009/10 – bildet der Bachelor-Studiengang Informationsberufe

international orientierte Information Professionals aus, die unter anderem in einem

der folgenden fünf Feldern Arbeit finden können:

– Bibliothekswesen

– Dokumentation (mit einem Schwerpunkt auf Nicht-Textdokumente)

– Informationsrecherche

– Online-Redaktion

– Business Information Management

Die ersten drei Tätigkeitsfelder lassen sich unter dem etablierten Begriff „Bibliotheks-,

Informations- und Dokumentationswesen“ (BID) zusammenfassen, während sich

die letzten zwei Bereiche auf die Schnittstellen zu Journalismus und Management

beziehen.

4. AUFBAU DES STUDIUMS

Der Studiengang definiert sich als Ausbildung für international orientierte

Information Professionals. Das sind Fachleute, die andere Menschen im Umgang

mit Information und Wissen professionell unterstützen können. Die Fähigkeiten,

die sie dabei einsetzen, liegen vor allem in den Bereichen Informationsorganisation,

Retrieval, Kommunikation, Sprachen und Einsatz von entsprechender Informations-

und Kommunikationstechnik.

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Erst in zweiter Linie kommen die traditionellen Einsatzorte wie Bibliotheken,

Büchereien, Dokumentationsstellen, Archive und die neueren Einsatzfelder wie

Online-Redaktionen, Kommunikationsabteilungen, Informationsservices oder

Wissensmanagementabteilungen ins Spiel.

Entsprechend ist das Studium aufgebaut (siehe Abb. 1):

– Das erste Studienjahr wird von einer intensiven Grundausbildung dominiert,

welche die Themen Informationsorganisation, Retrieval, Informations- und

Kommunikationstechnologie und Management (mit den Schwerpunkten Selbst-

und Projektmanagement) abdeckt.

– Im zweiten Studienjahr steht die Spezialisierung auf dem Plan. Die Studierenden

wählen aus einem Katalog von insgesamt 14 Modulen sechs aus. Entscheidend

ist, dass es bei der Spezialisierung nicht um eine einmalige Festlegung für einen

Einsatzbereich geht, wie zum Beispiel das wissenschaftliche Bibliothekswesen

oder das betriebliche Infomanagement. Für eine solche Entscheidung fehlt

den Studierenden – die zu diesem Zeitpunkt in der Mehrzahl nicht viel

älter als 20 Jahre sind – in der Regel auch noch die notwendige Erfahrung.

Stattdessen spezialisieren sie sich in mehreren überschaubaren Schritten auf

Tätigkeitsfelder wie z.B. „Katalogisieren und Beschlagworten für Bibliotheken“

oder „Digitalisierung“. Bei dieser Wahl lassen sie sich von ihren Interessen und

ihren individuellen Stärken und Schwächen leiten.

– Im dritten Studienjahr wird die Spezialisierung durch zwei weitere Wahlmodule

fortgesetzt. Im Mittelpunkt stehen jetzt allerdings der Einstieg ins wissen-

schaftliche Arbeiten durch zwei Bachelor-Arbeiten und das Praktikum

(mindestens 500 Stunden). Hervorzuheben ist dabei die Möglichkeit, das dritte

Studienjahr berufsbegleitend zu absolvieren. Zufriedene Praktikumsstellen

haben so die Option, die Studierenden übergangslos in ein weiterführendes

Arbeitsverhältnis zu übernehmen.

– Zusätzlich ziehen sich durch alle sechs Semester die Sprachausbildung

(verpflichtender Sprachunterricht in Englisch und zusätzlich Russisch, Kroatisch

oder Englischvertiefung als Wahlpflichtfach), eine intensive Projektmanagement-

Ausbildung und Lehrveranstaltungen zu den Themen Kommunikation, Gesellschaft,

Recht.

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Abb.1: Aufbau des Bachelor-Studiengangs Informationsberufe/Eisenstadt,

Stand 2007, die Hände zeigen auf die Position der bibliotheksspezifischen

Studienmodule

5. BIBLIOTHEKSNAHE STUDIENINHALTE

Aufbauend auf den Kerninhalten der Grundausbildung zum Thema Informations-

organisation und Retrieval im ersten Studienjahr können sich Studierende, die

besonders an einer Laufbahn im Bibliothekswesen interessiert sind, ab dem

dritten Semester mit Hilfe folgender Module spezialisieren (siehe die Hinweise in

Abb.1).

– Modul Indexing 1: Katalogisieren und Beschlagworten für Bibliotheken

– Modul Indexing 2: Thesauruserstellung, Erschließung von Text-, Bild- und

Tondokumenten, maschinelle Indexierung

– Modul Managing Libraries: Bestandsaufbau, Bibliotheksmanagement,

Organisationsstruktur

– Modul Digitization: Bestandserhaltung und Digitalisierung von Buch- und Non-

Book-Materialien

– Modul Managing Information Services: elektronische Dienste von

Informationseinrichtungen (z.B. Digitale Bibliothek, Fachportal)

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Darüber hinaus können sie drei Semester lang an einschlägigen Ausbildungsprojekten

arbeiten, ihr Praktikum in einer Bibliothek absolvieren und die zwei Bachelor-

Arbeiten zu bibliotheksrelevanten Themen schreiben.

Alles zusammen genommen können sich Interessierte auf diese Weise im Umfang

von bis zu 2.400 Stunden, das sind 53% ihres gesamten Studiums, mit Themen rund

um das Bibliothekswesen im engeren Sinn beschäftigen. Eine besonders individuelle

Gestaltungsmöglichkeit, die selbstverständlich auch für die anderen Einsatzbereiche,

wie Online-Redaktion oder Business Information Management, möglich ist.

6. VOR UND NACH DEM STUDIUM (DURCHGÄNGIGKEIT)

Der Umbau des Studiengangs hat auch bei den Zugangsvoraussetzungen

Neuerungen gebracht. Nach einem einschlägigen Lehrabschluss, unter anderem als

Archiv-, Bibliotheks- und Informationsassistentin bzw. -assistent, muss lediglich eine

Zusatzqualifikationsprüfung in Deutsch und Englisch abgelegt werden, um die

Zulassung zum Studium zu erhalten.

Nach dem Abschluss des Bachelor-Studiums stehen den Absolventinnen und

Absolventen Masterstudien an Fachhochschulen und Universitäten im In- und

Ausland und in der Folge auch Doktoratsstudien offen. In Eisenstadt kann man

das Studium am Master-Studiengang Angewandtes Wissensmanagement und zwei

weiteren Studiengängen im Bereich Wirtschaft fortsetzen.

7. BESONDERHEITEN UND STÄRKEN

Die inhaltliche Ausrichtung macht den Studiengang Informationsberufe in

der österreichischen Bildungslandschaft einzigartig. Darüber hinaus bietet

er den Studierenden große Freiräume, um das Studium an ihre individuellen

Talente, Kompetenzen und Neigungen anzupassen. Das betrifft knapp 60% der

Studieninhalte.

Für ein Fachhochschulstudium typisch, hat Lernen durch praktisches Tun einen

hohen Stellwert. Aber selbst für den Fachhochschulbereich sind 500 Praxisstunden

und zusätzliche 300 Stunden Projektarbeit neben einem großen Anteil an praktischen

Übungen überdurchschnittlich. Das hilft vielen Studierenden, erlerntes Wissen in

Fähigkeiten zu übertragen.

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Das Erlernen zweier Fremdsprachen, ein Semester, in dem der Unterricht

überwiegend auf Englisch abgehalten wird, die Möglichkeiten für Auslandssemester

und Auslandspraktika und die Einbindung vieler internationaler Lektorinnen

und Lektoren sind die Basis für die internationale Orientierung der Information

Professionals.

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ARCHIV-, BIBLIOTHEKS- UND INFORMATIONSASSISTENT/IN (ABI-ASS.) – EIN NEUER LEHRBERUF IN ÖSTERREICH

GÜNTER OLENSKY

Während im benachbarten deutschsprachigen Ausland bereits seit einigen Jahren

Lehrberufe im Bereich des Informationswesens angeboten werden, stand dem in

Österreich nur eine Beamtenausbildung gegenüber. In der Schweiz besteht seit 1997

für den wissenschaftlichen und öffentlichen Bereich der Beruf des Informations-

und Dokumentationsassistenten und in Deutschland kann seit dem Jahr 1998 der

Beruf des Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste – überwiegend für

den öffentlichen Bereich – ergriffen werden. In Österreich existierte seit 1985 die

Grundausbildung für die Verwendungsgruppen A3 u. A4 – Bibliotheks-, Informations-

und Dokumentationsdienst (früher „C-Ausbildung“, die Ausbildung für Mitarbeiter

und Mitarbeiterinnen des „mittleren Tätigkeitsbereiches“).

Mit Inkrafttreten des Universitätsgesetzes 2002 (UG 2002) wurde die gesetzliche

Grundlage für die österreichische Bibliotheksausbildung (BGBl. II Nr. 296/2000:

Verordnung: Grundausbildungen für die Verwendungsgruppen A3 und A4 –

Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationsdienst – erschienen am 12.9.2000)

außer Kraft gesetzt.

Die im wissenschaftlichen österreichischen Bibliothekwesen tätige Arbeitsgruppe der

Ausbildungsverantwortlichen kam in ihrer Sitzung vom 29. Jänner 2003 einstimmig zur

Auffassung, dass nun auch in Österreich die Zeit für die Etablierung eines entsprechenden

Lehrberufes im Bereich der Archive, Bibliotheken und Informationseinrichtungen

gekommen sei. Diese Arbeitsgruppe besteht aus den folgenden Mitgliedern: Frau

Reg. Rätin Heidelinde Zotter-Straka (Universitätsbibliothek Graz) – Ausbildungs-

leiterin der Grundausbildung aller Verwendungsgruppen des österreichischen

Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationswesens, Frau Min. Rätin Edith

Jurkovitsch (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur), Frau

Dr. Gabriele Pum (Österreichische Nationalbibliothek), Frau Mag. Maria Seissl

(Bibliothek und Archivwesen der Universität Wien), Frau Irmgard Lahner

(Universitätsbibliothek Salzburg), Frau Mag. Monika Schneider, MSc. (Universitäts-

bibliothek Innsbruck), Herr Peter Max Stepnitzka (Bibliothek und Archivwesen

der Universität Wien), Herr Mag. (FH) Christoph Bart (Österreichische

Nationalbibliothek) und Herr Dr. Günter Olensky (Universitätsbibliothek der

Veterinärmedizinischen Universität Wien) – Stellvertreter der Ausbildungsleiterin.

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Danach gab es Gespräche mit Vertretern des Bundesministeriums für Bildung,

Wissenschaft und Kultur und der Österreichischen Wirtschaftskammer zu

Detailfragen wie ein neuer Lehrberuf etabliert werden könnte. Parallel dazu erfolgte

ein reger Gedankenaustausch mit Vertretern von österreichischen Dokumentaren

und des Österreichischen Staatsarchivs, sowie der öffentlichen Bibliotheken. Es war

nicht schwer die Kolleginnen und Kollegen davon zu überzeugen, dass dieser neue

Lehrberuf auch außerhalb des wissenschaftlichen Bibliothekswesens eine wertvolle

Ergänzung zu den bisher angebotenen Berufsausbildungen darstellt.

Die weitere Vorgangsweise war: Die Arbeitsgemeinschaft der Bibliotheks-

direktoren/innen der Österreichischen Universitätsbibliotheken und der Öster-

reichischen Nationalbibliothek beantragte im Juni 2003 bei der Österreichischen

Wirtschaftskammer die Einrichtung des Lehrberufes Archiv-, Bibliotheks- und

Informationsassistent/in. Die Befürwortung dieses Antrages erfolgte Ende 2003 in den

Gremien der Sozialpartner (das sind Vertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaft).

Als nächster Schritt leitete die Wirtschaftskammer Österreichs die notwendigen

Unterlagen an das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten, damit

von Seiten des Ministeriums die dazu entsprechenden gesetzlichen Verordnungen

ausgearbeitet werden können.

Leider war hierzu von Seiten des Ministeriums fast ein ganzes Jahr erforderlich, sodass

erst am 1. Dezember 2004 die entsprechenden Verordnungen veröffentlicht wurden.

Es sind dies: Erlassung von Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf Archiv-,

Bibliotheks- und Informationsassistent/Archiv-, Bibliotheks- und Informations-

assistentin (BGBl. II Nr. 451/2004), Änderung der Lehrberufsliste (BGBl. II

Nr. 450/2004 – enthält Anrechnung auf verwandte Lehrberufe) und die Änderung der

Verordnung über die Lehrabschlussprüfungen in den kaufmännisch-administrativen

Lehrberufen (BGBl. II Nr. 457/2004).

Mit diesen gesetzlichen Grundlagen wurde in Österreich ein neuer Beruf geschaffen,

der das folgende Berufsprofil aufweist: Medien, Informationen und Daten beschaffen

und erwerben; Medien, Informationen und Daten formal erfassen; in Datenbanken

und -netzen recherchieren; Bestand ordnen, archivieren und Register erstellen;

technische Medienbearbeitung, Bestandspflege und Revisionen durchführen;

Entlehnvorgänge abwickeln; Erstinformationen für Benutzer geben; administrative

Arbeiten mit Hilfe der betrieblichen Informations- und Kommunikationssysteme

durchführen; an der betrieblichen Buchführung und Kostenrechnung mitwirken;

Statistiken, Dateien und Karteien anlegen, warten und auswerten. Anzumerken ist

noch, dass die erfolgreich abgelegte Lehrabschlussprüfung auch die Berufsausübung

des Buchhändlers ermöglicht.

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Die nächste Hürde, die es zu überwinden galt, war die Erstellung des Beruf-

schullehrplanes, der im ersten Halbjahr 2005 in Zusammenarbeit mit dem

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Berufsschullehrern

und der Gruppe der Ausbildungsverantwortlichen in enger Anlehnung an den

Buchhändlerlehrberuf entstand – der Fachunterricht wurde aber eigenständig

konzipiert und enthält die folgenden Unterrichtsfächer: Archiv-, Bibliotheks-

und Informationswesen, Medienkunde und Informationskompetenz, Informatik,

Fachpraktikum.

Wie schon oben erwähnt, ist die Ausbildung sehr eng mit jener der Buchhändler

verbunden, sodass auch die in Österreich existierenden Berufsschulen (Wien, Graz,

Linz, St. Pölten), an denen die Buchhändler ausgebildet werden, als Ausbildungsstätte

in Frage kommen. Die Intentionen der Gruppe der Ausbildungsverantwortlichen,

dass der Unterricht in der Berufsschule in geblockter Form, also als Lehrgang,

stattfinden sollte, konnte anfänglich nur von der Berufsschule in St. Pölten angeboten

werden. Im Herbst 2005, zu Schulanfang, waren in Wien fünf Lehrlinge (zwei von

der Österreichischen Militärbibliothek – Bundesministerium für Landesverteidigung,

zwei von der Hauptbücherei – Magistratsabteilung 13 und einer von dem Wiener

Stadt- und Landesarchiv – Magistratsabteilung 8) und in Graz vier Lehrlinge (drei

von der Universitätsbibliothek Graz und einer von der Bibliothek der Pädagogischen

Akademie) angemeldet.

In zahlreichen Gesprächsrunden mit der Direktorin der Berufsschule in Wien und

dem für Berufsschulen verantwortlichen Landesschulinspektor in Wien gelang es

schließlich auch in Wien den Unterricht in geblockter Form (also als Lehrgang)

anzubieten und darüber hinaus auch interessierte Lehrlinge aus allen Bundesländern,

außer der Steiermark – hier beharrte man auf den Standort Graz – in Wien

einzuschulen.

Erwähnenswert ist auch noch der viertägige ,Train-the-Trainer-Kurs‘ für Berufs-

schullehrer im November und Dezember 2005, der an der Universitätsbibliothek

Wien, der Universitätsbibliothek der Veterinärmedizinischen Universität Wien, am

Österreichischen Staatsarchiv und an der ,Hauptbücherei am Gürtel‘ stattfand. Damit

wurde sichergestellt, dass der Lehrkörper ein Basiswissen des neuen Fachgebietes

erhielt. Für alle übrigen, insgesamt zwölf Lehrlinge, startete der erste Lehrgang

am 13. Februar 2006 und dauerte zwölf Wochen. Zu den oben bereits angeführten

fünf Lehrlingen kamen noch sieben von den folgenden Einrichtungen dazu:

Österreichische Forschungsstiftung für Entwicklungshilfe (1), Universitätsbibliothek

Innsbruck (1), Universitätsbibliothek Salzburg (1), Universitätsbibliothek der

Veterinärmedizinischen Universität Wien (1), Universitätsbibliothek Wien (2),

Vorarlberger Landesbibliothek (1)

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Es besteht auch die Möglichkeit entweder durch Anrechnung bereits absolvierter

Berufsschuleinheiten oder durch Ablegen der erforderlichen Prüfungen auch ohne

am Unterricht in der Berufsschule teilzunehmen, sich zur Lehrabschlussprüfung

anzumelden. Dies wurde von einer Mitarbeiterin aus der Universitätsbibliothek

der Medizinischen Universität Graz wahrgenommen – am 13. Dezember 2005

konnte der ersten Archiv-, Bibliotheks- und Informationsassistentin zur bestandenen

Lehrabschlussprüfung gratuliert werden.

Abschließend noch ein kurzer Exkurs für alle jene, die mit den österreichischen

Voraussetzungen einer Lehrlingsausbildung nicht so vertraut sind. Grundvoraus-

setzung ist klarerweise das Vorhandensein einer Lehrstelle sowie ein Feststellungs-

bescheid (gem. § 3a Abs.1 Berufsausbildungsgesetz), der nach einer ,Begehung‘

durch die Sozialpartner ausgestellt wird. Wichtig ist auch das Einhalten folgender

Fristen nach Arbeitsbeginn des Lehrlings: Die Anmeldung zum Lehrvertrag an die

Wirtschaftskammer Österreichs muss innerhalb von drei Wochen, die Anmeldung bei

der Berufsschule hat innerhalb von zwei Wochen und bei der Krankenkasse innerhalb

von sieben Tagen zu erfolgen.

Weiters muss die Person, die als Lehrlingsausbilder genannt wird, die Berechtigung

zur Lehrlingsausbildung besitzen. Für Bundesbedienstete existiert hier eine

Sonderregelung und zwar ersetzt nach der Verordnung des Bundesministeriums

für wirtschaftliche Angelegenheiten „Gleichhaltung von Prüfungen mit der

Ausbilderprüfung und über die Gleichhaltung von Ausbildungen mit dem

Ausbilderkurs“ (BGBl. II Nr. 262/1998) die Dienstprüfung diese Ausbilderprüfung. Es

werden aber auch am Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) der Wirtschaftskammer

Österreichs entsprechende Kurse angeboten, die einen nach erfolgreicher

Absolvierung zum Ausbilder qualifizieren.

Die Lehrstellenbörse der Österreichischen Wirtschaftskammer und das Arbeitsmarkt-

service (AMS) ermöglichen die gezielte Auswahl eines geeigneten Lehrlings.

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BIBLIOTHEKSBAU

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BIBLIOTHEKSERWEITERUNG IN DEN ENGEN GRENZEN VON RAUM, GELD UND DENKMALSCHUTZ. AM BEISPIEL DER OBERÖSTERREICHISCHEN LANDESBIBLIOTHEK

CHRISTIAN ENICHLMAYR

Kulturbauten boomen: Im Sog der großen Museumsbauten, die allenthalben in Europa

sprießen, ist auch noch Platz für Bibliotheksinvestitionen. Trotz Schuldenkrise und

Sparzwang der öffentlichen Haushalte tummeln sich große Architektennamen: Rem

Koolhaas, Norman Foster, Mario Botta, Herzog & de Meuron u.v.a.m. Diese haben

in den vergangenen Jahren „landmark buildings“ geschaffen und bei Kulturpolitikern

und wohl auch Bibliothekaren die Hoffnung geweckt, dass große Architektur auch

ein Garant für Besucherströme sei. Die Investitionsbereitschaft der öffentlichen

Hand wird dabei teilweise gebremst von der Befürchtung, dass sich die Bibliothek

als physische Manifestation des Wissens demnächst in den virtuellen Räumen des

Internets auflösen könnte. In jedem Falle sind Entscheidungen für Bibliotheken,

Museen und Kunsthäuser aber auch Ausdruck eines kultur- und bildungspolitischen

Gestaltungswillens.

Was für die große weite Welt gilt, gilt im Kleinen auch für Linz und Oberösterreich:

Eine Kommune mit einem „Museum der Zukunft“ und einem Kunstmuseum

„Lentos“ baut eben noch einen „Turm des Wissens“, welcher Volkshochschule und

Stadtbibliothek in Symbiose beherbergt. Dazu baut die Gebietskörperschaft „Land

Oberösterreich“ ein Opernhaus, einen weiteren Museumsbau und sie erweitert und

saniert die 1999 angekaufte Studienbibliothek. Gespeist wird dieser Boom zusätzlich

durch die Ernennung von Linz zur „europäischen Kulturhauptstadt 2009“, eine

Entscheidung, die sich auch für die heutige Landesbibliothek als Turboeffekt für

bereits in der Schublade schlummernde Erweiterungspläne auswirkt.1 Zusammen mit

dem „Turm des Wissens“, dem Opernhaus aber auch in unmittelbarer Nachbarschaft

zu diversen türkischen Geschäften und Kulturvereinen entsteht dabei ein neuer

Kulturbezirk am südlichen Ende der Linzer Landstraße.

1 Vgl. Klaus Kempf: Gutachterliche Stellungnahme zur Situation und den Entwick-

lungsmöglichkeiten der Oberösterreichischen Landesbibliothek im Hinblick auf die

Erweiterung und die Sanierung des Bibliotheksgebäudes. Enthält: Raum- und Funkti-

onsprogramm – Flächenbedarf. Linz 2000.

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Die Oberösterreichische Landesbibliothek ist aus der Übernahme der ehemaligen

Studienbibliothek durch das Land Oberösterreich vom Bund im Jahr 1999 entstanden.

Als Studienbibliothek geht sie mit ihren Vorläufereinrichtungen auf die Zeit der

Klösteraufhebungen des Josephinismus zurück. Wenn auch wertvolle Buchbestände

nach Wien in die Hofbibliothek sowie nach Salzburg und München gelangten,

so besitzt die Bibliothek doch einige hundert mittelalterliche Handschriften,

Wiegendrucke und etwa 30.000 Druckwerke aus der Zeit von 1500 bis 1800. Der

wertvolle Rara-Bestand wird auch in Hinkunft eine wesentliche identitätsstiftende

Komponente des Bibliotheksprofiles sein, nur muss er besser „sichtbar“ gemacht

werden, als das bei der derzeitigen Unterbringung möglich ist.

Das heutige Gebäude im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ stammt aus der Zeit von 1930

bis 1934 und ist bis auf den Einbau von Zentralheizung und Personallift bis in die

Gegenwart wenig verändert. Es ist als Magazinsbibliothek konzipiert und umfasst im

Wesentlichen einen Magazinsturm mit sechs für das Publikum nicht zugänglichen

Speichergeschossen und eine Reihe von Kellerabteilen mit Kompaktanlagen, einen

um einen kleinen Freihandbereich erweiterten Lesesaal und kleinräumig angeordnete

Büroflächen, in denen auch die Entlehnverbuchung untergebracht ist. In seiner

architektonischen Anmutung hat der damalige Direktor Konrad Schiffmann das

Gebäude als „bolschewikisch“ empfunden.2 Beim Gebäude der Studienbibliothek

Linz handelt es sich um den einzigen Bibliotheksneubau der Zwischenkriegszeit.

Der Bauzustand von Dächern und Fenstern einerseits aber auch von bibliothekarischen

Einrichtungen wie etwa Kompaktanlagen andererseits ist sanierungsbedürftig.

Magazinsräume werden von Wasser- und Fernwärmeleitungen durchzogen, die

wertvollen Büchersammlungen sind ohne Klimatisierung untergebracht.

Die Bibliothek versteht sich heute als Universalbibliothek für die außeruniversitäre

Forschung in der Region; entsprechend liegt ein Sammelschwerpunkt stets auf

Druckwerken aus und über die Region. Sie versteht sich aber auch als Komplemen-

tär zu den Universitätsbibliotheken: Da ist vor allem die Campusuniversität am

Stadtrand mit den Fakultäten für Technik/Naturwissenschaften, für Recht sowie für

Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Da ist weiters eine katholisch-theologische

Privatuniversität, eine Kunstuniversität, die Musikuniversität „Anton Bruckner“

sowie die Hochschulbibliotheken der Fachhochschulen für Sozialarbeit und Me-

dizintechnik sowie gleich zwei pädagogischen Hochschulen – allesamt mehr oder

weniger mit starken bibliothekarischen Einrichtungen ausgestattet. In Summe also

2 Vgl. Günther Androsch: Die Baugeschichte der Studienbibliothek Linz: Konrad

Schiff manns Kampf um einen Bibliotheksneubau. [maschin.] Linz 1985, 81; zur

Baugeschichte der Linzer Studienbibliothek siehe auch: Walter Jaksch, Edith Fischer,

Franz Kroller: Österreichischer Bibliotheksbau: Architektur und Funktion. Wien u.a.

Bd. 1: Von der Gotik bis zur Moderne. 1992, 267–270.

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eine heterogene Landschaft für wissenschaftliche Bibliotheken, in der sich jede der

Einrichtungen ihr Profil erarbeiten muss. Im Falle der Landesbibliothek ist in den

vergangenen 25 Jahren jedenfalls neben der Funktion der Bewahrung des kulturellen

Erbes stark der Aspekt einer modernen Gebrauchsbibliothek dazu gekommen.

Die Teilnahme am österreichischen Bibliothekenverbund seit 2001 hat die Bibliothek

auch wieder für jene zahlreichen Studenten interessant gemacht, die in Wien,

Salzburg, Graz oder Innsbruck studieren, aber im Großraum Linz wohnen und

hier auch häufig ihre Diplom- und Prüfungsarbeiten anfertigen. Die Nachfrage

am Standort Schillerplatz entspricht so häufig einem Bibliotheksprofil, das eher

am Aufgabenbereich einer mittelstädtischen „public library“ ausgerichtet ist. Die

Landesbibliothek fungiert aber auch als Leiteinrichtung für ebenfalls zum Kulturressort

des Landes gehörigen Bibliotheken des Landesmuseums, des Literaturhauses

„Adalbert-Stifter-Haus“ und des Landesarchivs mit ihren kunstwissenschaftlichen,

literaturwissenschaftlichen und geschichtswissenschaftlichen Büchersammlungen.

Diese Sammlungen sind es auch, die wesentlich zur Ausrichtung der Bibliothek als

eine wissenschaftliche Mediensammlung beitragen.

Vermittels einer organisatorischen Neuausrichtung, einem geschärften Bibliotheken-

profil, Aufrüstung der technischen Infrastruktur und durch eine kleine aber

motivierte Mann- und vor allem Frauschaft ist es gelungen, Besucherfrequenz

und Ausleihfrequenz in den letzten Jahren mehr als zu verdoppeln, was unter den

gegebenen räumlichen Rahmenbedingungen durchaus als Überraschung gewertet

werden kann.

Jedenfalls ist das Haus bereits seit geraumer Zeit nicht mehr in der Lage, die

wachsenden Bestände aufzunehmen, geschweige denn, eine zeitgemäße und

benutzerorientierte Präsentation zu ermöglichen.

Bedingt durch die Entstehungszeit des Gebäudes in den 30er-Jahren des

vorigen Jahrhunderts unterliegt es einem beinahe als rigide zu interpretierenden

Denkmalschutz, der Eingriffe in Substanz und etwaige Aufbauten ganz verhindert

und allfällige Anbauten an den möglichen Stellen darauf zu achten haben, dass die

„Erlebbarkeit“ der Originalarchitektur erhalten bleibt. So heißt es im Gutachten

des Bundesdenkmalamtes etwa: „Ein denkmalpflegerisch vertretbarer Umgang

mit dem Bestand als ein in sich architektonisch zusammenhängendes Monument

setzt eine Erhaltung der gestaltprägenden Innenstrukturen mit den zugehörigen

entstehungszeitlichen Bauausstattungen voraus“.3

3 Aus dem Gutachten des Bundesdenkmalamtes vom 20.12.2005.

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Es kümmert die Denkmalpfleger wenig,

– dass es in dieser Architektur nur einen sehr schmalen und kleinräumigen

Eingangstrakt gibt, der keinerlei Orientierung und keine Empfangssituation

ermöglicht,

– dass man im Eingangsbereich der Bibliothek weder Bücher noch Bibliothekare

sieht, stattdessen schmale Gänge, die eher an ein altes Finanzamt erinnern, als

an eine Bibliothek mit Publikumsbetrieb,

– dass die wenigen Publikumsflächen erst nach Überwindung eines aus der

Mittelachse verschobenen Stiegenhauses erreichbar sind.

Erst in den letzten Jahren wurden durch eine erweiterte „ServiceZone“ mit

Entlehnverbuchung, einem Recherchebereich mit Online-Katalogen, einem

Zeitungsbereich und einem kleinen Freihandbereich für Nachschlagewerke

Funktionalitäten eines einigermaßen modernen Bibliotheksbetriebes geschaffen,

wenngleich dies oft eher nur angedeutet als realisiert ist. In Summe stehen im

Altbestand heute Publikumsflächen von wenigen hundert Quadratmetern einer

doch nicht unbeträchtlichen Gesamtnutzfläche von 4.000 Quadratmetern an

vorwiegend geschlossener Magazinsfläche gegenüber. Ein Besucher hat mir in

meinen Anfangsjahren im Haus einmal gesagt: „Wissen Sie, die Bibliothek sieht

aus, als ob sie in den Fünfziger Jahren zugesperrt worden wäre“.

Nach der Analyse des Altbestandes und seiner Lage rund um drei Straßenzüge

in U-Form wird relativ schnell klar, dass ein sogenanntes „Offener-Plan-

Bibliotheksgebäude“ im Sinne der Empfehlungen von Harry Faulkner-Brown

mit der Forderung nach einer allumfassenden Flexibilität nicht möglich ist.4 Das

Gebäude würde also von vornherein spezifische Funktionalitäten den einzelnen

Teilbereichen der Bibliothek zuordnen müssen und somit auch die Dreiteilung

der Bibliothek in Verwaltungsflächen, Publikumsflächen und Speicherflächen nur

teilweise auflösen können. Das heißt aber nicht, dass die in Fachkreisen berühmten

„Faulkner-Brownschen-Gesetze“ bei der Planung keine Anwendung gefunden

hätten.

Die Grenzen der Erweiterbarkeit sind aber nicht nur durch die Denkmalschutzauflagen

– mit ihren begrenzten Eingriffsmöglichkeiten in den Bestand – eng gezogen, auch

4 Harry Faulkner-Brown: Der off ene Plan und die Flexibilität. In: H. F.-B.: Bibliotheken

wirtschaftlich planen und bauen. München 1981, S. 9–25; zitiert nach: Ulrich Naumann:

Bibliotheksbau. Unterlagen für das Fernstudium, URL: http://www.ub.fu-berlin.

de/~naumann/biblbau_2006.pdf (30.12.2006).

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durch die Grundstücksflächen sind die Erweiterungsmöglichkeiten sehr begrenzt.

Sie beschränken sich im Wesentlichen auf ein ehemaliges Wohngebäude an der

Rückseite des Gebäudes, das über einen Innenhof an das Areal angebunden ist und

auf eine angrenzende Baulücke, für die keine denkmalschützerischen Gesichtspunkte

zu berücksichtigen sind. Allein um das ehemalige Wohngebäude in einen Zubau mit

einbeziehen zu können, muss es erst einmal von der provisorischen Ausstattung mit

Bibliotheksregalen befreit werden, mit anderen Worten: Bevor die Bibliothek neue

Regalflächen hinzugewinnt, verliert sie erst einmal welche durch Abbruch.

Einem Gutachten aus dem Jahr 2000 folgend und unter Einhaltung der Vorgaben

der Politik, war der Standort trotz der Kleinräumigkeit eigentlich trotzdem nicht

in Frage zu stellen. Zu verlockend sind auch die Vorteile des Standortes, liegt

dieser doch zentral und beinahe unmittelbar an der Einkaufsstraße „Landstraße“,

in verkehrsgünstiger Lage und bestens erreichbar von den zahlreichen allgemein-

und berufsbildenden Mittelschulen der Stadt aus. Bereichernd könnten sich auch

die neuen Kultur- und Bildungsbauten der Umgebung auswirken: Seit zwei Jahren

errichtet der Magistrat Linz ein gemeinsames Gebäude für Volkshochschule und

Stadtbibliothek, das unter dem Begriff „Turm des Wissens“ bereits überregionale

Bekanntheit erreicht hat. Zwei Straßen weiter ist ein neues Musiktheater mit einem

Investitionsvolumen von 150 Millionen Euro in Planung. Insgesamt entsteht damit

in einem Neustadtbereich mit relativ hohem Ausländeranteil auch so etwas wie ein

neues Kultur- und Bildungsdreieck am südlichen Ende der Linzer Innenstadt.

PLANUNGSZIELE

Der Leitgedanke für den Raumgewinn des Zubaues und die durchgreifende

Sanierung der bestehenden Räume entspringt dem Wunsch nach der radikalen

Verbesserung der Raumsituation, die dem Leser direkt zugute kommen und für ihn

unmittelbar erfahrbar werden soll. Wir sind bei der Definition der Planungsziele

davon ausgegangen, dass sich die Leserin bzw. der Leser heute

– in der Bibliothek primär selbst und unabhängig orientieren will, ohne dabei auf

das Fragenstellen und die Inanspruchnahme von Hilfe verzichten zu wollen.

– Dass die Leser weiters eine angenehme und stimulierende Umgebung suchen, in

der sie Literatur lesen und exzerpieren können, um sie zu eigenen Texten weiter

zu verarbeiten.

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– Dass sie in digitalen Katalogen und in elektronischen Ressourcen der Bibliothek

recherchieren, Medien bestellen, diese mit nach Hause nehmen oder auch in der

Bibliothek nutzen wollen.

– Dass sie sich einerseits zurückziehen können und in aller Ruhe für sich,

andererseits aber auch mehr und mehr in Gruppen Texte und Materialien

erarbeiten können.

– Schliesslich, dass die Leser sich treffen, sich unterhalten, sich entspannen bzw.

bei Bedarf auch erfrischen können.

Michael Brawn5 hat bereits 1970 in einer Darstellung zum Bibliotheksbau die

planerischen Gedanken zur Einrichtung von Benutzerarbeitsplätzen formuliert: Er

sieht Kommunikation als die Hauptaufgabe der Bibliothek, bezieht das aber nicht auf

die zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auf die Kommunikation zwischen

Informationsquelle und dem Leser. Räumliche Gliederung, Licht und Möblierung sind

die wichtigsten Voraussetzungen wenn eine Umgebung geschaffen werden soll, die eine

von Brawn beschriebene Kommunikationssituation herstellen soll. Ergänzen sollte man

dazu noch den Faktor Luft, im Sinne einer guten Luftqualität bzw. eines konstanten

Raumklimas. Freihandbereiche und Lesebereiche zur Kommunikation und zur

Kontemplation sollen einander durchdringen und die Arbeit mit dem eigenen Notebook

oder dem Computer der Bibliothek auf allen Publikumsflächen ermöglichen.

Die Frage, ob die architektonische Ausrichtung auf das Informationsmedium „Buch“

im Zeitalter des grenzenlosen Zugriffs auf elektronische Informationseinheiten

überhaupt noch gerechtfertigt ist, möchte ich mit Norbert Bolz beantworten: „Nicht

das Medium Buch ist am Ende“, sagt Bolz, sondern: „Das Buch als Leitmedium

der Gegenwart ist am Ende. Diese Stelle nimmt der Computer ein. Aber das Buch

gewinnt eine neue, sehr edle und achtenswerte Funktion – nämlich die der humanen

Kompensation. Das Buch ist das einzige Medium, das den Bedürfnissen der Menschen

entspricht. Es bietet den Trost der Überschaubarkeit. Ein Buch beginnt auf der ersten

Seite und endet auf der letzten. [...] Das spezifisch menschliche Verlangen nach einer

überschaubaren Welt, nach klaren Strukturen und Ordnungsmustern kann von den

klassischen Medien und vor allem vom Buch am besten befriedigt werden.“6

Im Auslobungstext zum offenen Architektenwettbewerb sind die Anforderungen

folgend zusammengefasst:

5 Michael Brawn: Bibliotheken, Architektur und Einrichtung. Stuttgart 1970, 147f.

Zitiert nach: Ulrich Naumann: Bibliotheksbauten für die Zukunft, a.a.O.

6 Vgl. Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsver-

hältnisse. München 1993.

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Schaffung eines großzügig bemessenen Eingangs- und (Erst)informationsbereich-

es, wo sich der Besucher leicht und rasch orientieren kann und wo er den Zugang

zu den anderen Räumlichkeiten der Bibliothek findet. Dies sollte in Form einer

Informationsdrehscheibe mit unmittelbarem Zugang zu den bibliothekarischen

Nahbereichen geschehen wie Verbuchung, Rückgabe, Neuerscheinungen, Quick-

Recherche, Zeitungsecke. Dazu sollte auch ein Zugang zu einem Ausstellungs-

und Erfrischungsbereich in der Eingangszone möglich sein.

Im Zentrum der Neukonzeption steht jedoch ein erheblich erweiterter Freihand-

Lesebereich mit einem Zielbestand von etwa 100.000 Medieneinheiten. Diese gut

belüftete und mit einer lesefreundlichen Beleuchtung ausgestattete Bücher- und

Medienlandschaft soll Anreiz und Stimulanz zum oft zitierten selbst gesteuerten

Lernen bieten.

Die Bibliothekare sind eng benachbart auf multifunktionalen Arbeitsplätzen für

Auskunft und Beratung untergebracht.

Vor dem Hintergrund eines weiter wachsenden gedruckten Literaturangebotes

und entsprechend den Archivverpflichtungen der Landesbibliothek ist auch

eine Erweiterung und sachgerechte Ausstattung der geschlossenen Magazine

unerlässlich. Vor allem die reichen historisch wertvollen Bestände verlangen

eine an sicherheitstechnischen und konservatorischen Standards orientierte

Unterbringung.

Nach dem Denkmalschutz und der Begrenztheit des Grundstückes kommt

man zur dritten einschränkenden Bedingung für das Bauvorhaben: In den

Vorbereitungsarbeiten sind wir von einem einzuplanenden Zuwachs an Flächen

ausgegangen, der für die kommenden 25 Jahre ausreichen sollte. Eigentlich nicht viel,

wenn man bedenkt, dass das bestehende Gebäude 75 Jahre auf dem Buckel hat. Diese

Bebauung ergab einen überschlagsmäßigen Finanzbedarf von etwa 18 Millionen

Euro. Das klingt nach heutigen Maßstäben als überschaubar, umgerechnet in

Schilling waren das aber noch vor fünf Jahren mehr als 200 Millionen Schilling, was

beträchtlich mehr klingt und zu Beginn der Kostenschätzungen im Jahr 2000 jenseits

der Schmerzgrenze der Politik angesiedelt war. Es wurde deshalb von vornherein

eine Etappenlösung eingeplant, von der zwar ein Vollausbau vom Architekten

zu konzipieren war, aber nur die erste Etappe mit einem Bauvolumen von neun

Millionen Euro bis zum Jahr 2009 realisiert werden sollte. Daraus ergibt sich, dass

die Bibliothekare den Architekten die beinahe unlösbare Aufgabe mitgaben, die volle

Funktionalität auch bereits in der ersten Etappe zu realisieren.

Der offene anonyme Architekturwettbewerb brachte insgesamt 52 Einreichungen.

Davon stammten zwei Drittel aus Deutschland. Aus dem Juryverfahren ging das

Büro Bez + Kock (Stuttgart) als Sieger hervor. Für uns als Bibliothekare stellte

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sich im Nachhinein als sehr positiv heraus, dass wir mit diesem Büro auf bereits

erfahrene Bibliotheksplaner gestoßen sind, die im Bereich der UB Göttingen,

zusammen mit dem bekannten Bibliotheksbauexperten Elmar Mittler schon eine

naturwissenschaftliche Bibliothek geplant haben, die nur den Nachteil hat, bis heute

nicht realisiert zu sein. Dem Umgang der Architekten mit dem Thema Bibliothek

kommen diese Erfahrungen jedenfalls sehr zu Gute.

Aus der Juryentscheidung: „Städtebaulich nimmt das Projekt die L-förmige Struktur

des Bestandsobjektes auf und bildet eine klar ausformulierte Gebäudeschicht aus.

Diese Schicht ist in einer durchgehend einheitlichen Form- und Materialsprache

gehalten. Die Wahl des Fassadenmaterials (Stein) weist das Bauwerk als Kultur- und

Bildungsobjekt aus [...] Die schwierige Aufgabe einer Sanierung des Altbaues und

zugleich die Schaffung der Erweiterungsflächen überzeugt bibliotheksfachlich einer-

seits durch sein effizientes Ausnutzen der zum Umbau bzw. zur Überbauung anstehenden

Flächen, andererseits schafft er die unerlässlichen Erschließungen in der Horizontalen

und Vertikalen ohne die eine gebrauchsfähige Bibliothek nicht auskommt.“7

DAS KONZEPT DER ARCHITEKTEN BEZ + KOCK (STUTTGART)

Diese inhaltliche Umorientierung von der Magazins- zur Freihandbibliothek verlangt

eine ihr entsprechende baulich-räumliche Umsetzung, die vor allem im Hinblick

auf den Wunsch nach großen, zusammenhängenden und damit übersichtlichen

Regalstellflächen im Altbau nicht ohne weiteres realisierbar erscheint. Es ist

deswegen das Ziel dieses Entwurfes, diese Flächen vorwiegend im Erweiterungsbau

unterzubringen, dem ehrwürdigen Altbau gleichsam ein „gebautes Regal“ zur

Seite zu stellen und so den Bestand nur mit den Nutzungen zu belegen, die seiner

Grundrissstruktur angemessen sind.

Formales Ziel für eine derartige Aufgabe muss nach Auffassung der Architekten

sein, einen Begleiter für den Altbau zu entwerfen, der zwar einerseits selbstbewusst

seine Aufgabe hinsichtlich Funktion und Städtebau wahrnimmt, aber andererseits

das Primat des Bestandes unangetastet lässt. Deswegen wird in der Formulierung

des neuen Baukörpers bewusst nicht das additive Prinzip des Altbaues wiederholt,

sondern die Erscheinung eines aus einem Stück gefertigten „Passstückes“ angestrebt.

Dadurch wird eine Konkurrenzsituation zwischen Neu und Alt vermieden, das Neue

bildet einen ruhigen Hintergrund für das markante Altgebäude, es passt wie der

Schlüssel zum bereits vorhandenen Schloss.

7 Protokoll des Preisgerichtes zum Ergebnis des Architekturwettbewerbes zur Sanierung

und Erweiterung der Oberösterreichischen Landesbibliothek 15./16. Mai 2006.

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GEBÄUDEKONZEPT/FUNKTION

Die Form des Passstückes ergibt sich aus den Grundstücksgrenzen, den städtebaulich

erforderlichen Abstandsflächen sowie der hofseitigen Außenkontur des Altbaues.

Verbunden werden die beiden Bauteile über eine Fuge, die den jeweiligen Situationen

entsprechend als Arbeitsplatzzone, als Bediengang, als Verglasung oder in der Mitte

des Hauses als ein vom bisherigen Innenhof abgeleiteter Luftraum über der zentralen

Infotheke, der „Drehscheibe“, ausgebildet ist.

Dabei nimmt der Altbau mit seinen Einzelräumen jene Funktionen auf, die

abgeschlossener Räume bedürfen, während der Neubau praktisch ausschließlich als

Regalstellfläche dient. So kann die Grundrissstruktur des Altbaues erhalten bleiben

und trotzdem dem Gesamtziel einer neuen, offenen Bibliothek dienen.

Die historisch wertvolle Haupttreppe des Altbaues bleibt die zentrale Treppe der

neuen Bibliothek. Das Treppenhaus wird im Luftraum des Innenhofes freigestellt.

So bleibt die früher außenräumliche Situation spürbar und das Treppenhaus mit

seinen Zierverglasungen wird selbst zum Ausstellungsstück.

Der Bücherspeicher bleibt in Funktion und Ausbau erhalten und wird dem Publikum

zugänglich gemacht. Der Festsaal mit seiner barocken Ausstattung wird seiner

Bedeutung gemäß als beaufsichtigter Handschriftenlesesaal vorgesehen.

Im Inneren erreicht der Besucher, nachdem er den bestehenden Haupteingang

passiert hat, die neue zenital belichtete Halle, die Drehscheibe der Bibliothek. Hier,

an der zentralen Informationstheke wird er empfangen, hier kann er sich orientieren,

alle wichtigen Teile der Bibliothek sind auf kurzem Wege erreichbar. Angelagert an

die zentrale Halle sind im Erdgeschoss Ausstellungs- und Vortragsbereich, das Cafe,

sowie eine Mediathek und ein Schulungsbereich für das Publikum. Diese Bereiche

sind alle ohne Passieren der Buchsicherung erreichbar, was eine große Flexibilität

der Verwendung z.B. hinsichtlich Öffnungszeiten ermöglicht.

Die Haupttreppe des Altbaues befindet sich innerhalb der Buchsicherungsanlage,

die im EG durchschritten wird und erschließt auf den Geschossen die um den

Innenhof/Luftraum angelagerten Rundgänge. Direkt am Antritt bzw. Austritt in

den jeweiligen Geschossen befinden sich die Entlehnbereiche mit Selbstverbuchung.

Durch die Nutzung der beiden Haupträume des Bestandes als Lesesäle entsteht

selbstverständlich eine Zonierung des Gebäudes, die Mehrzahl der Leseplätze ist

von den Verkehrswegen im Haus deutlich getrennt und doch auf kurzem Weg zum

Buch gelegen. Anleseplätze in den Regalreihen, sowie einige Kurzzeitplätze neben

den größeren Regalblöcken sowie auf den Zwischengeschossen des Magazinspeichers

vervollständigen das Angebot.

Der Verwaltungsbereich wird in den Obergeschossen im Neubau Rainerstraße

angesiedelt. Er ist direkt von außen über den Personal- und Liefereingang Rainer-

straße erschlossen und somit von den Öffnungszeiten der Publikumsbereiche

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unabhängig. Poststelle und Wareneingang befinden sich im EG auf Straßenniveau

und ermöglichen so unkompliziertes Arbeiten.

Die geschlossenen Magazinbereiche der ersten Bauetappe werden vollständig in

drei unterirdischen Geschossen untergebracht, die unter dem Innenhof und der

Neubebauung Rainerstraße zu liegen kommen. Dort werden auch die notwendigen

Technikräume situiert. Die Anbindung der Magazinsgeschosse an die Buchausgabe

bzw. Entlehnverbuchung soll über eine Buchförderanlage erfolgen.

Nunmehr geht es darum, die baulichen Möglichkeiten bestmöglich inner-

organisatorisch umzusetzen: nach der stufenweisen Einführung von Aleph 500

seit dem Jahr 2000 in den Bereichen Bearbeitung, Entlehnverbuchung, OPAC

und Fernleihe mit einer Anbindung an den österreichischen Bibliothekenverbund

will die Bibliothek künftig auch im Bereich der Selbstverbuchung entsprechende

Automatisierungsschritte setzten, schon allein um das Wachstum des Entlehn-

volumens zu verkraften. Ebenso müssen aber auch sicherheitstechnische Aspekte

in Zusammenhang mit den großzügigeren Freihandflächen berücksichtigt werden.

Wir erwarten uns entsprechende Antworten von der Einführung der RFID-

Technologie. Dazu muss aber erst der künftige Bestand des Freihandbereiches

mit Transpondern ausgestattet werden. Offen ist derzeit auch noch die Frage der

systematischen Aufstellung: Anders als viele Bibliotheken unseres Zuschnittes, die sich

für „Lernateliers“ und „reader interest Klassifikationen“ entschieden haben, tendieren

wir zu einer klassischen wissenschaftlichen Aufstellung nach Sachgebieten. Dafür

kommen dzt. die „Regensburger Verbundklassifikation“ (RVK) ebenso in Betracht

wie auch die seit 2007 in der deutschen Nationalbibliographie eingeführte DDC 22

gemäß der deutschsprachigen Version, wenngleich in einer Art abgespeckter Variante

unter Hintanhaltung synthetischer Notationen.

Neben der Orientierung an der physischen Wissensorganisation in einem neuen Haus

geht es aber auch darum, den schon bestehenden und sich laufend verändernden

elektronischen Ressourcen und Diensten eine Heimstätte zu geben, die die zentrale

Funktion der Bibliothek als Lernort unmittelbar erfahrbar macht. Mit der entstehenden

Architektur hat die Bibliothek die Chance, den geänderten Benutzererwartungen

gerecht zu werden und – im besten Fall – Potentiale zu mobilisieren, die die

bibliothekarischen Dienstleistungen auch künftig attraktiv erscheinen lassen.

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Fassadenskizze aus der Entstehungszeit des 1934 eröffneten Bibliotheksgebäudes.

Die Montage in ein Luftbild von der östlichen Portalseite

der Bibliothek zeigt beide Etappen des L-förmigen Zubaus –

aber nur die erste Etappe soll bis 2009 umgesetzt werden.

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Der Entwurf der Architekten

Bez + Kock (Stuttgart) sieht eine

Überbauung des ehemaligen

„Hinterhofes“ des Bibliotheksgebäudes

vor – er bildet die künftige „Drehscheibe“,

eine Informationstheke, die die Funktionen

„Empfang“, „Orientierung“ und „Quick-

Recherche“ ermöglichen soll.

Die Grafik zeigt die markantesten konzeptionellen Merkmale der Verbindung von „Alt“

und „Neu“: die Verbindung der beiden Baukörper durch den Innenhof und dessen

horizontale Erschließung mittels eines galerieartigen „Umganges“.

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DREI JAHRE HAUPTBÜCHEREI WIEN AM GÜRTEL: ARCHITEKTUR, TECHNIK, ANGEBOTE, ERFOLG. VERSUCH EINER BILANZ

CHRISTIAN JAHL

DER WEG ZUR HAUPTBÜCHEREI WIEN AM GÜRTEL

Seit 1980 suchten die Büchereien Wien (damals noch „Wiener Städtische

Büchereien“) einen neuen Standort für ihre Hauptbücherei. Einst selbst als großer

Wurf gefeiert, war die versteckt gelegene, kleine Hauptbücherei in der Skodagasse

im achten Wiener Gemeindezirk zu einer reinen Entlehn- und Abholbibliothek

geworden, die den Anforderungen einer modernen öffentlichen Bibliothek nicht

mehr gewachsen war. Zuletzt war ein Drittel der Medienbestände in einem Magazin

untergebracht und wurde auf Anforderung der Leserinnen und Leser ausgehoben

– eine Katastrophe für eine öffentliche Bibliothek, deren Klientel nach wie vor

zu einem nicht unwesentlichen Teil am Bücherregal gustiert, ohne in Online-

Katalogen zu recherchieren.Verschiedene andere Standorte, teils von der Leitung

der Büchereien Wien favorisiert, teils von außen an die Büchereien herangetragen,

blieben unrealisiert ehe dem damaligen Leiter der Magistratsabteilung 13, Dr.

Wolfgang Lischka, und dem Leiter der Wiener Städtischen Büchereien, Dr. Franz

Pascher, ein Bauplatz mit Vergangenheit angeboten wurde.

Am Urban-Loritz-Platz, oberhalb der U-Bahn-Linie 6, hatte der Baumeister und

Shopping-Mall-Betreiber Richard Lugner eine vom bekannten Architekten Adolf

Krischanitz entworfene Erweiterung des nach ihm benannten Einkaufszentrums,

die sogenannte „Wolkenspange“, in die öffentliche Diskussion eingebracht, die dem

Baumeister die direkte Anbindung der Shopping-Mall an die U-Bahn ermöglicht

hätte. Nachdem es zwischen der Wiener Stadtverwaltung und dem Bauwerber

Lugner zu keiner Einigung über die inhaltliche Ausgestaltung der „Wolkenspange“

gekommen war und sich die Stadt Wien entschieden hatte, den Bauplatz selbst zu

nutzen, war der Weg frei für die Hauptbücherei am Gürtel.

Im Frühjahr 1998 erfolgte die Anmeldung und Vorbereitung eines zweistufigen, EU-

weiten baukünstlerischen Wettbewerbs „Hauptbücherei und Zentralverwaltung der

Wiener Städtischen Büchereien“, für den 121 Planerinnen und Planer ihre Projekte

einreichten. Aus der zweiten Wettbewerbsstufe, an der zehn Projekte teilnehmen

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durften, ging Architekt Ernst Mayr als Sieger hervor, dessen Entwurf durch die

große Freitreppe, die komplexe Oberlichtführung, die beidseitige Abschottung der

Seitenflanken zu den Verkehrsströmen des Gürtels und die gläserne Öffnung hin

zur denkmalgeschützten Otto-Wagner-Station der U6 mit Blick auf den Kahlenberg

und durch die Verschränkung des Bibliotheks- und U-Bahn-Station-Zugangs

beeindruckte.

Nachdem bereits in der Pressekonferenz zur Präsentation des Siegerprojektes (15. Jänner

1999) der politische Wille zur raschen Realisierung des Bauprojektes bekundet worden

war und die „Wirtschaftlichkeitsprüfung“ bestanden wurde, erfolgte am 29. November

1999 der Spatenstich durch die Vizebürgermeisterin und für Bildung zuständige

Stadträtin Grete Laska und dem Planungsstadtrat Bernhard Görg. Gleichenfeier am

13. Dezember 2000, nach den umfangreichen Arbeiten im U-Bahn-Bereich und dem

zügigen Hochbau offizielle Eröffnung der Hauptbücherei am Gürtel am 7. April 2003

durch Bürgermeister Michael Häupl und Vizebürgermeisterin Grete Laska sowie

die Aufnahme des Publikumsbetriebes am 8. April 2003 waren die weiteren Stationen

im Entstehungsprozess der Hauptbücherei.

DIE ERFOLGSFAKTOREN

Prominenter Standort und leichte Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Mit der Wahl des ungewöhnlichen Standortes für eine Bibliothek zwischen den

Verkehrsströmen des Gürtels hat die Wiener Stadtpolitik ein bildungspolitisches

Zeichen gesetzt. Was mit dem EU – „URBAN Wien – Gürtel Plus-Programm“, in

dessen Rahmen unter anderem die Neugestaltung des Urban-Loritz-Platzes und die

Errichtung des von Silja Tillner geplanten markanten Membrandaches begonnen

hatte, wurde mit dem Bibliotheksbau eindrucksvoll fortgesetzt – die Aufwertung der

städtebaulichen Problemzone „Gürtel“. Der Kultur- und Bildungsbau Hauptbücherei

bildet eine Brücke zwischen den Bezirken inner- und außerhalb des Gürtels, eine

Brücke zwischen dem siebenten Wiener Gemeindebezirk mit urbaner, junger,

bildungsbewusster Bevölkerung und dem Museumsquartier als Kulturviertel und

dem fünfzehnten Bezirk, jenem Wiener Bezirk mit dem höchsten Bevölkerungsanteil

mit Migrationshintergrund (32,5%).

Die direkte Anbindung der Hauptbücherei an die U-Bahn-Linie 6, die Lage am

Verkehrsknotenpunkt Urban-Loritz-Platz, an dem nach Frequenzerhebungen der

Wiener Linien bis zu hunderttausend Menschen pro Tag vorbeikommen, ist ein

Glücksfall für die Bibliothek und mitentscheidend für den Bekanntheitsgrad in

der Stadt. Die Büchereien Wien sind mit dem spektakulären Bibliotheksbau ins

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Bewusstsein der Wiener Bevölkerung gerückt, nicht nur die Hauptbücherei, auch die

38 Zweigstellen und der Bücherbus weisen beeindruckende Nutzungszahlen auf.

Hauptbücherei Wien Am Gürtel (Bild: MA13, Manfred Seidl)

ARCHITEKTUR, TECHNIK UND LOGISTIK

Die Qualitäten des Bibliotheksbaus Ernst Mayrs beschränken sich nicht auf die nach

außen gerichtete urbane, moderne, beeindruckende Wirkung des „Bücherschiffes am

Gürtel“, auch die innere Gliederung des Hauses, die mit dem Bibliotheksplanungsteam

abgestimmte Zonierung in Bereiche des Abholens, des Kommunizierens, des

Verweilens und Studierens, die Gliederung der Verkehrswege und der Arbeitszonen,

etwa der Lernerker, die Teilung des Hauses in lautere Nutzungsbereiche in Nähe des

Haupteingangs im ersten und zweiten Bibliotheksgeschoss und leise Studienbereiche

im gläsernen Heck des Gebäudes, trägt wesentlich zur Bewältigung der verschiedenen

Nutzungsansprüche der täglich bis zu 3.500 Besucherinnen und Besucher der

Hauptbücherei bei.

Die mit den bibliothekarischen Fachleuten geplante Inneneinrichtung, bei der

Holzpaneele und Möbel- und Regalfronten aus Ahorn natur und Teppichbelag eine

wohnliche Atmosphäre schaffen, bildet eine stimmige Einheit mit dem Gebäude.

So verschränkt sich gelungene Bibliotheksarchitektur mit dem bibliothekarischen

Konzept der „Bibliothek als Lernort“, die mit ihren Medien- und Kursangeboten

zum längeren Verweilen einlädt.

Moderne Bibliothekstechnik gibt dem Haus die notwendige funktionierende

Logistik, um Nutzer- und Medienströme effizient zu organisieren.

RFID (Radio Frequency Identification) beschleunigt durch die Möglichkeit

der Stapelverbuchung an den Personalverbuchungsplätzen und die einfache

Medienverbuchung an acht Selbstverbuchungsgeräten die Entlehnung der Medien,

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die allesamt mit sogenannten Transponderetiketten versehen sind. Rund 40% der

Ausleihen werden von den Besucherinnen und Besuchern der Bibliothek selbst

vorgenommen. Auch die Diebstahlsicherung funktioniert mit RFID.

Eine Unterpult-Buchtransportanlage befördert die zurückgegebenen Medien (im

Schnitt 4.500 pro Tag, Spitzenwerte bis zu 10.000) in den Sortierraum, wo sie

von studentischen Aushilfskräften wieder auf Bücherwägen für die Fachbereiche

aufgeteilt werden.

MEDIENANGEBOT, ARBEITSPLÄTZE UND COLLEGEPRINZIP

Neben Architektur, leichter Erreichbarkeit und wohnlicher Atmosphäre interessieren

Bibliotkekskundinnen und -kunden vor allem die Angebote der Hauptbücherei.

360.000 Medien, davon 20% audiovisuelle Medien (CDs, CD-ROMs, DVDs, Videos,

Toncassetten, Schallplatten), 80 deutsch- und fremdsprachige Tageszeitungen und

rund 600 Zeitschriftenabonnements erwarten die Besucherinnen und Besucher der

Hauptbücherei, um entliehen oder vor Ort genutzt zu werden.

Gemütliche Sitzplätze zum Schmökern, Studienplätze, Abhörplätze für Compact

Discs und Schallplatten, Plätze zum Video- und DVD-Schauen in der Bibliothek

und viele Computerarbeitsplätze runden das Angebot der Hauptbücherei ab.

Die Internetnutzung wurde zweigeteilt. Während die Internetplätze in den

Fachbereichen dem Lernen, dem Studieren, dem Surfen mit Bildungshintergrund

vorbehalten sind, ist es in der räumlich getrennten Internetgalerie auch erlaubt, zu

chatten, SMS zu versenden, zum Vergnügen im Web zu surfen oder den E-Mail-

Account abzurufen.

Die Computerwerkstatt bietet spezielle Software, etwa zur Vorbereitung der

Tests für den Europäischen Computerführerschein oder den Europäischen

Wirtschaftsführerschein, Internetlinks zum Thema „Arbeiten und Bewerbung“ fürs

Selbststudium, aber auch kostenlose Einführungskurse in die Software der Werkstatt

an, die in Kooperation mit der Volkshochschule Meidling durchgeführt werden.

Ein wesentliches Prinzip für die Präsentation der Medienbestände, aber auch die

Arbeits- und Personalorganisation in der Hauptbücherei ist das Collegeprinzip.

Colleges, die in der Namensgebung bewusst Assoziationen zum Thema „Lernen“

wachrufen, sind themenzentrierte Bereiche der Hauptbücherei, die im Medienmix

alle Medien zu den Themen des Colleges präsentieren, Arbeitsplätze anbieten

sowie Information und Beratung an den College-Informationstheken offerieren.

Jedes College hat ein eigenes Team, das mit großer Autonomie ausgestattet

über Medienankäufe entscheidet, die gesamte Medienbestandsarbeit im College

leistet, die collegeeigene Infotheke betreut u.v.m. Die Collegestruktur bringt

den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Mischarbeitsplätze, abwechslungsreiche

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Tätigkeiten statt monotoner Konzentration auf einen Tätigkeitsbereich, der

Bibliothek Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit hoher Spezialisierung und großer

Identifikation mit ihrem Arbeitsbereich.

TEACHING LIBRARY ALS KONZEPT DER ZUKUNFT

Das bibliothekarische Konzept der „Teaching Library“, die ihren Kundinnen und

Kunden einerseits durch das Arrangement ihrer Medienangebote und Arbeitsplätze in

Lernsettings (etwa zu Themen wie „Sprachen lernen“,“ Erwerben von Informations-

und Medienkompetenz“) Möglichkeiten zum selbstgesteuerten Lernen anbietet,

andererseits in der Regel mit Kooperationspartnern traditionell geführte Kurse

und Workshops veranstaltet, ist in verschiedensten Facetten bereits in den Alltag

der Hauptbücherei integriert und wird in den nächsten Jahren weiter vertieft und

akzentuiert werden.

DIE HAUPTBÜCHEREI – EINE ERFOLGSGESCHICHTE

Seit der Eröffnung der Hauptbücherei im April 2003 haben in der Bibliothek 92.000

neue Kundinnen und Kunden eine Büchereikarte der Büchereien Wien gelöst.

Jährlich werden in der Hauptbücherei rund 1,9 Millionen Entlehnungen getätigt,

3.000 – 3.500 Menschen kommen täglich in die Hauptbücherei, das sind rund

800.000 Besucherinnen und Besucher im Jahr.

Die Hauptbücherei wird von einem jungen Publikum besucht, an die 90% der

Kundinnen und Kunden sind unter 40 Jahre alt.

2006 haben an die 25.000 Personen an 556 Veranstaltungen der Hauptbücherei

teilgenommen, an Workshops in der Computerwerkstatt, an Bibliotheksführungen,

an Abendveranstaltungen (Lesungen, Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Filmvor-

führungen) und an Kinderanimationsveranstaltungen.

Die Hauptbücherei steht selbst im Fokus der Medien und wird gerne als Kulisse

für bildungsbezogene Fernsehbeiträge, aber auch für Spielfilme verwendet.

Der Bau und der Erfolg der Hauptbücherei in Wien war für das öffentliche

Bibliothekswesen in Österreich ein Meilenstein und Initialzündung für weitere

bedeutende Bibliotheksbauten in Österreich (Wissensturm Linz, Neue Haupt-

bücherei der Stadtbibliothek Salzburg).

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DIE NEUE STADTBIBLIOTHEK SALZBURGHELMUT WINDINGER

Die neue Stadtbibliothek Salzburg ist das Herzstück eines städtebaulichen Gesamtkonzepts,

das auf dem Gelände des ehemaligen Stadions in Salzburg-Lehen realisiert wird. Der

Baubeginn wurde mit Anfang März 2007 fixiert. Die Fertigstellung ist für Ende 2008

geplant. In der Stadtbibliothek werden dann die bisher getrennten Bereiche Hauptbücherei,

Kinder- und Jugendbücherei sowie die Mediathek in einer Einrichtung zusammengeführt,

die Gesamtfläche wird sich mit 5.000 m² mehr als verdoppeln.

„It makes it clear that the library is genuinely at the heart of the city, rather then

marginalized like an embarrassing elderly relative.“ 1

Dieser Satz aus einem Zeitungsartikel des Architekturkritikers Dejan Sudjic

charakterisiert einen konkreten Bibliotheksneubau in England aus dem Jahr 2001

– die Norfolk & Norwich Millennium Library. Angesprochen war damit, dass

diese Bibliothek nicht als isolierter Solitär in der Stadtlandschaft steht, sondern

dass in diesem Gebäude gemeinsam mit anderen Einrichtungen und bei durchaus

heterogenen Nutzungen (unter anderem ein Radiostudio, eine Pizzeria) ein

lebendiges urbanes Zentrum entstanden ist.

Stadtbibliothek Ansicht von Süden (Bild: Halle 1)

Die Einbettung in ein Dienstleistungszentrum gemeinsam mit anderen

Einrichtungen ist auch für das Salzburger Projekt charakteristisch. So wird die

Stadtbibliothek hier in ein Gebäude integriert, das Geschäfte, Gastronomie und

andere Dienstleitungsbetriebe umfasst. Im Vordergrund stehen dabei Einrichtungen,

die unmittelbar zur Lebensqualität in diesem Teil der Stadt beitragen. Rund

1 Dejan Sudjic: Keep it quiet, this is a library. In: Th e Observer vom 18.11.2001,

URL: http://observer.guardian.co.uk/review/story/0,,596439,00.html (13.2.2007).

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um das Bibliotheksgebäude entsteht ein neues Zentrum mit weiteren sozialen

Infrastruktureinrichtungen. Während die Stadtbibliothek im Bereich der Westtribüne

des ehemaligen Stadions errichtet wird, stehen die anderen Einrichtungen auf

der ehemaligen Osttribüne: Dazu zählen ein Seniorenzentrum, Wohnungen und

ein großer städtischer Veranstaltungssaal. Die frühere Spielfläche wird von den

Gebäuden eingerahmt und bleibt als großzügiger Park erhalten – ein Platz zur

Erholung, zum Ausruhen und Entspannen. Überragt werden alle Gebäude von der

frei schwebenden Sky-Bar über der Stadtbibliothek, welche mit ihrer Beleuchtung

ein neues Wahrzeichen bildet.

Der ehemalige Stadionstandort wurde von den städtischen Entscheidungsträgern

bewusst gewählt, um den Stadtteil Lehen aufzuwerten und durch hochwertige

Infrastruktur einen Impuls zur Stadtteilerneuerung zu geben. Bei den Kaufleuten

und den Bewohnerinnen und Bewohnern in Lehen wurde dieses Signal sehr positiv

aufgenommen. Lehen ist der bevölkerungsreichste Stadtteil Salzburgs, hier wohnen

besonders viele Immigranten und neu zugezogene Österreicher; außerdem ist

Lehen ein wichtiger Schulstandort mit mehr als 6.500 Schülerinnen und Schülern.

Wenngleich die neue Bibliothek auf das unmittelbare Umfeld reagieren wird und

muss, ist es für die Konzeption trotzdem wichtig, dass es sich um eine zentrale

Stadtbibliothek handelt und nicht um eine Stadtteilbibliothek.

Löst man das Zitat von Dejan Sudjic aus seinem konkreten Bezug, so kann man es

durchaus programmatisch lesen: Dann geht es nicht mehr nur um die Integration

einer Bibliothek in ein bestimmtes örtliches Umfeld, sondern auch um die Stellung

der Bibliothek innerhalb des institutionellen Gefüges der Stadt selbst. Konkret geht

es also um die Frage, wie sich die Bibliothek im gesamten Gefüge der Stadt mit ihrer

Fülle von Aktivitäten und Einrichtungen positioniert: am Rande oder mittendrin.

Viel ist derzeit von Stadtbibliotheken als Standortfaktoren die Rede. Plausibel machen

kann man dieses Ziel nur, wenn es gelingt, die Stadtbibliothek als unabhängige

Plattform für Wissens- und Know-How-Transfer zu etablieren und mit anderen

Einrichtungen in der Stadt zu vernetzen. Die Bestände und Dienstleistungsangebote

können dann sowohl in realen als auch virtuellen Räumen der Bibliothek dieser

Aufgabe entsprechend strukturiert werden. Stadtbibliotheken nehmen damit einen

Auftrag wahr, der über den Status eines sektoralen Anbieters auf dem städtischen

Bildungs- und Kulturmarkt hinausgeht und eine neutrale, leicht zugängliche, offene

Vermittlungsfunktion für Wissen, Information und Know-How erfüllt. Damit haben

sie ein charakteristisches Alleinstellungsmerkmal, einen Auftrag, der nur von ihnen

wahrgenommen werden kann. Zugute kommt Stadtbibliotheken dabei, dass sie

traditionell eine große Bandbreite an Angeboten und Dienstleistungen aufweisen,

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die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Institutionen für Bibliotheken nichts

Neues ist, der Umgang mit Wissen, Information und Know-How zum Kerngeschäft

gehört und sie sich durch eine hohe Nutzerdichte und Niederschwelligkeit des

Angebotes auszeichnen. Freilich bleiben Stadtbibliotheken neben allem Handeln

mit Information immer auch ein Ort der kreativen Anregung und sinnvollen

Freizeitgestaltung. Wissen, Information, Kommunikation und Inspiration können

hier nebeneinander bestehen.

Eine ambitionierte Vision begreift die Salzburger Stadtbibliothek als Herzstück eines

städtischen Clusters für Bildung, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Tourismus und

Medien. Politisch fundiert wird diese längerfristige Vision durch den vom Gemeinderat

beschlossenen Kulturentwicklungsplan, der eben diesen städtischen Cluster als Ziel

fixiert und den Ausbau der Stadtbibliothek zu einem Kultur- und Medienzentrum

vorsieht. Sieht man sich die Ziele des Salzburger Kulturentwicklungsplanes an, so

lässt sich deren Umsetzung in der neuen Stadtbibliothek geradezu idealtypisch

verwirklichen:

Know-How-Transfer durch Vernetzung und Kooperation

Einrichtung realer und virtueller Räume (Center of Competence)

Brückenbildung Tradition – Moderne

Starke Kinder- und Jugendorientierung

Einsatz Neuer Medien und moderner Informationstechnologien

Kulturelle Vielfalt

Abgesehen von der langfristigen Vision gibt es ganz konkrete, handfeste Ziele,

die mit dem Neubau verbunden sind und bereits mit der Eröffnung umgesetzt

werden:

Stärkere Kundenorientierung bei der Medienpräsentation

Bildung von Portalen

Neue Angebote (z. B. Internet)

Mehr Aufenthaltsqualität

Einführung der Selbstverbuchung

Neues Corporate Design

Bildung eines Teams

Bei der Aufstellung und Präsentation der Medien soll es zu einer stärkeren

Kundenorientierung kommen. Dazu werden die Medienbestände nach thematischen

Schwerpunkten in Bereiche – so genannte Portale – zusammengefasst und

entsprechend präsentiert. Innerhalb dieser Portale kann es zu einer weiteren, flexiblen

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Zusammenfassung von Medien aus unterschiedlichen Systematikgruppen nach

Themen kommen. Als neues Angebot wird es – endlich – Internetzugang für die

Nutzer und weitere Recherchemöglichkeiten geben; Ziel der Bibliothek ist es, die

Bibliothekshomepage mittelfristig selbst zu einem Rechercheportal auszubauen.

Abgesehen vom Bücherbus wird es in der neuen Bibliothek keine Zweigstellen

mehr geben, was auf organisatorischer Ebene die Bildung eines einheitlichen Teams

aus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hauptbücherei, Mediathek und

Kinderbücherei mit sich bringt; gerade auf Grund der bisherigen organisatorischen

Erfahrungen wird auf die Bildung von (Teil-)Bibliotheken innerhalb der Bibliothek

bewusst verzichtet. Sichtbarer Ausdruck des geschlossenen Erscheinungsbildes wird

auch das neue Corporate Design für die Stadtbibliothek sein.

Der Begriff „Portal“ für die einzelnen Bestandsbereiche wurde gewählt, weil er einerseits

ein im Bibliothekswesen vertrauter Begriff ist und andererseits die künftige Entwicklung

mit der Integration physischer und virtueller Bestände bereits jetzt aufgreift. Die

Gliederung des Medienbestandes in der Stadtbibliothek (z.B. Gesundheit und Psyche,

Ausbildung und Beruf ) hat durchaus Nähe zu den Portalen, in denen die Inhalte im

Internet gegliedert sind (vgl. die Deutsche Internetbibliothek). Die Integration von

virtuell und real wird so für die Leserin und den Leser nachvollziehbar: Sie finden im

Internet und in der Bibliothek vor Ort vergleichbare Themengliederungen. Außerdem

beinhaltet „Portal“ ganz einfach auch ein schönes sprechendes Bild: Durch dieses

betritt man in der physischen Bibliothek eine jeweils eigene Lebenswelt. Theoretisch

bietet sich die Möglichkeit, diese Portale auch unterschiedlich zu inszenieren und

erlebbar zu machen. Darüber hinaus eignen sie sich auch als Anknüpfungspunkt

für den oben als Ziel genannten Know-How-Transfer und die Vernetzung mit

anderen wissensproduzierenden Einrichtungen der Stadt. Letztlich lässt sich auch

die Programmarbeit thematisch mit diesen Portalen verbinden.

Stadtbibliothek Eingangshalle (Bild: Halle 1)

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Die gesamte Bibliothek kann wie in einer Leserbiografie durchwandert werden. Der

400 m² große Eingangsbereich im Erdgeschoss dient als Umschlagplatz. Hier wird

die Erstinformation, Einschreibung und Verbuchung stattfinden; außerdem wird

hier die Außenpräsentation erfolgen; davon abgesehen soll dieser Raum aber von

anderen Nutzungen freigehalten werden. Gegenüber dem Eingang zur Bibliothek

gibt es im Gebäude ein Café. Das erste Obergeschoss beherbergt ein selbständig

geführtes Restaurant, von dem man durch eine Glaswand in die Eingangshalle der

Bibliothek blicken kann.

Im 2. OG befindet sich neben der Verwaltung die Kinderbibliothek auf einer Fläche

von rund 700 m². Dieser Bereich ist nur den Kindern gewidmet und wird für die

Funktionen Schauen, Hören, (Vor-)Lesen, Arbeiten und Spielen eingerichtet. Die

Verbindung zwischen zweitem und drittem Obergeschoss wird über eine breite

Treppe mit eingebauten Podesten hergestellt; dieser Bereich wird vorwiegend der

Jugend vorbehalten sein und die Funktionen Hören und Internet bieten.

Schließlich ist im dritten Obergeschoss die gesamte übrige Bibliothek auf rund

3.200 m² untergebracht. Die hier vorherrschenden Funktionen sind Entspannen,

Recherchieren, Kommunizieren und Arbeiten. Der große, offene Bibliotheksraum

ist baulich nicht untergliedert. Diese Situation ist einerseits eine Herausforderung

für die Abgrenzung der unterschiedlichen Funktionen in der Bibliothek, sie ist aber

andererseits von der architektonischen Gestaltung und räumlichen Erlebbarkeit

faszinierend. Der Rauminszenierung und dem Leitsystem kommt hier große

Bedeutung zu. Aufgeschlossen wird dieser Raum durch eine über die ganze Länge

laufende, mehrere Meter breite Mittelachse, die durch eine Öffnung im Dach

Tageslicht erhält. Die Innenraumgestaltung orientiert sich bis hin zu den Farben

am Corporate Design.

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RECHT

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DIGITAL RIGHTS MANAGEMENT UND TRUSTED COMPUTING: NUTZER UND BIBLIOTHEKEN ZWISCHEN DRM, TRUSTED COMPUTING UND GESETZLICHEM RAHMEN

STEPHAN BÜTTNER

Seit Jahren werden die Themen Digital Rights Management und vertrauenswürdige

Hard- und Software kontrovers diskutiert. Digital Rights Management (DRM)

wird einerseits oft auf das Thema Kopierschutz reduziert. Trusted Computing (TC)

wird andererseits oft mit DRM vermischt. Der gesetzliche Rahmen wiederum wird

davon isoliert wahrgenommen. Das eigentliche Problem für den Nutzer besteht

jedoch in der Kombination von DRM-Mechanismen, hard- und softwarebasierten

TC-Komponenten sowie den neuen Urheberrechtsgesetzen.

DIGITAL RIGHTS MANAGEMENT

Nach Kuhlmann/Gehring ist das Wesen von DRM „eine Kombination aus Techno-

logien, Rechtsvorschriften und Geschäftsmodellen zur Kontrolle und Verwertung

von digitalen Informationsgütern.“1 Bechtold hat es früher bereits ähnlich formuliert.

DRM stehe „für eine Vielzahl unterschiedlicher technischer und rechtlicher

Phänomene, die alle miteinander zusammenhängen.“2

DRM und TC haben sehr wohl unterschiedliche inhaltliche Entstehungsursachen

und sind zeitlich unabhängig voneinander entstanden.

DRM hat seine Wurzeln in den 1990er Jahren und entstand im Gefolge des

zunehmenden Vertriebs geistigen Eigentums in Form digitaler Medien. Urheber

bzw. Verwerter suchten nach geeigneten Vertriebswegen und Geschäftsmodellen

für digitale Inhalte.

Der 1. Generation bei der Entwicklung der Kerntechniken von DRM ging es zunächst

um Fragen wie nach IP-basiertem Zugriffsschutz und Verschlüsselungsverfahren.

1 Dirk Kuhlmann, Robert A. Gehring: Trusted Platforms, DRM and Beyond.

In: Lecture Notes in Computer Science. Berlin, Heidelberg 2003.

2 Stefan Bechtold: Vom Urheber- zum Informationsrecht. Implikationen des Digital

Rights Management. München 2002.

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In der 2. Generation kam die Objektidentifizierung hinzu, im Wesentlichen mit der

Beschreibung und Identifizierung durch Metadaten.

Die 3. Generation kann sowohl den Zugriff kontrollieren als auch Informationen

über die Nutzung sammeln.

Bei den hardwarebasierten DRM-Technologien werden die Endgeräte dahingehend

gesichert, dass ein Abgreifen der digitalen Inhalte nicht möglich ist.

Beispiele sind Dongles und Smartcards.

Die Hersteller versuchten sich auch mit softwarebasierten DRM-Systemen: Es

bleibt jedoch bisher bei Stand-Alone-Lösungen (z.B. Real-Player, Windows Media

Player).3

Bei den in der Praxis angewendeten DRM-Systemen sind meist mehrere Komponenten

anzutreffen.

Sehr transparent hat ein Blogger aus Kanada die Situation in einem illustrierten

Kinderbuch beschrieben. Erzählt wird die Geschichte eines kleinen Schweinchens,

das plötzlich eine Zaubertruhe entdeckt, in der man Dinge vervielfältigen kann. Das

Schweinchen benutzt diese Truhe zunächst nur für sich und kann es nicht verstehen,

dass auch andere daran partizipieren wollen. Widerwillig erlaubt es die Nutzung,

stellt dafür aber sehr genaue Regelungen bzw. Bedingungen auf: Jeder der etwas in

der Box vervielfältigt, darf es nur für sich selbst nutzen. Nach vielen unangenehmen

Erlebnissen für alle Beteiligten entscheidet sich das Schweinchen für eine andere

Herangehensweise, eine Zauberkiste zum Teilen (Magic Sharing Box – Use it!).4

3 Für weitere Aussagen zu den DRM-Techniken sowie die für den Anwender wichtigen

Komponenten und die dahinter stehenden Technologien siehe u.a. Stephan Büttner:

Rechte und Vertrauen sichern: Digital Rights Management und „Trusted Computing“.

In: Erfolgreiches Management von Bibliotheken und Informationseinrichtungen.

Hamburg 2004, Kap. 9.4.1.

4 Pig and the box, URL: http://www.dustrunners.com/Pig_and_the_Box_German.

pdf (23.2.2007).

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DRM-SYSTEMARCHITEKTUR

Allen am Markt befindlichen DRM-Systemen liegt eine ähnliche DRM-System-

architektur zu Grunde, bestehend aus drei Komponenten: Content Server, Lizenz-

Server und Nutzer.

DRM-Systemarchitektur (nach Rosenblatt, Trippe, Mooney)5

1. Laden von digitalen Inhalten (content package) durch den Nutzer. Der Container

enthält das verschlüsselte urheberrechtliche Werk sowie zusätzliche Informationen

wie Lizenzbedingungen, Urheberangaben etc.

2. Aktivierung des DRM-Controllers bei Aufruf der Datei (Abgleich mit den

Nutzungsbedingungen).

3. Übertragung der notwendigen Daten vom DRM-Controller zum Lizenz-

Server.

4. Identifizierung des Nutzers vom Lizenz-Server.

5. Abgleichung der Nutzungsrechte auf dem Lizenz-Server mit denen vom Nutzer

angeforderten.

6. Ggf. finanzielle Transaktion.

7. Erstellen einer personalisierten Lizenz vom Lizenz-Server.

8. Lizenz wird an den Nutzer gesendet.

9. Entschlüsselung des digitalen Inhalts vom DRM-Controller, Freigabe der

Wiedergabe an die gewünschte Anwendung und Kontrolle der in der Lizenz

vereinbarten Nutzungsbedingungen.

10. Endgerät startet die Wiedergabe.

5 William Rosenblatt, William Trippe, Stephen Mooney: Digital Rights Management:

Business and Technology. Chichester 2001.

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TRUSTED COMPUTING

Das Bemühen um vertrauenswürdige Systeme geht zurück bis in die 1960er Jahre.6

Ziel war es, Sicherheit und Vertrauen zwischen Maschinen herzustellen. „A Trusted

Platform is one containing a hardware-based subsystem devoted to maintaining trust

and security between machines.”7

Gehring beschreibt TC wie folgt: „A tool for making the behaviour of computer systems

more predictable, by enforcing rules on users and processes (i.e., mandatory access

control), trusted computing creates ample opportunity for ruling out undesirable effects

of software – and software users. At the same time it empowers parties controlling

access to the rule-making process to forcing users to comply with their private interests,

and to cut out competitors, when attempting to access, and use, system resources“.8

Hier wird sehr klar auf Regeln, Richtlinien gesetzt. Diese Regeln werden von den

Anbietern (Hardware, Firmware und Software) gemacht.

Hinter vielen aktuellen TC-Anwendungen steht die Trusted Computing Group (TCG),

ein Unternehmen, das 2003 aus der TCPA (Trusted Computer Platform Alliance)

entstand. In diesem Unternehmen sind viele Hard- und Softwareunternehmen vereinigt,

wie AMD, Hewlett Packard, IBM, Intel, Microsoft, Sony und Sun.

HARDWAREBASIERTES TRUSTED COMPUTINGKernbausteine bei hardwarebasierten TC sind das TPM-Modul (Trusted Platform

Modul) und das Core Root of Trust Measurement (CRTM):

– Das TPM ist ein spezieller Chip, der auf dem Mainboard eingebaut wird, eine

hardwareseitige Unterstützung für die Ver- und Entschlüsselung darstellt und

zur sicheren Abspeicherung von Passwörtern und Schlüsseln dient. Das TPM

entspricht einer Smartcard, ist jedoch nicht an einen konkreten Benutzer, son-

dern im Unterschied dazu fest an ein System gebunden.

– Das Core Root of Trust Measurement (CRTM) ist eine BIOS-Erweiterung.

Nach anhaltender Kritik kann der Anwender beide Komponenten deaktivieren, was

zunächst nicht vorgesehen war. (Es geht um die Durchsetzung von Regeln des Anbieters!)

Seit der TCG-Spezifikation 1.7 sind auch pseudonyme Nutzungsformen möglich.9

6 Siehe Dirk Kuhlmann, Robert A. Gehring: Trusted Platform,a.a.O.

7 Siani Pearson: Trusted Computing Platforms. New York 2003.

8 Robert A. Gehring: Trusted computing for digital rights management. INDICARE

Monitor, 2 (2006) 12; online verfügbar unter URL: http://www.indicare.org/tiki-

read_article.php?articleId=179 (23.2.2007).

9 Siehe Trusted Computing Group (TCG): TCG Architecture Overview, URL: https://

www.trustedcomputinggroup.org/downloads/TCG_1_0_Architecture_Overview.

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SOFTWAREBASIERTES TRUSTED COMPUTING Microsoft (MS) arbeitet seit Jahren an einer softwarebasierten Sicherheitskomponente,

die interessanterweise ihrerseits z.T. auf den TCG-Spezifikationen aufbaut. Im

aktuellen Betriebssystem VISTA ist von den jahrelangen Ankündigungen nicht sehr

viel übrig geblieben. Im Wesentlichen sind dies:

– User Account Protection (UAP):

Die Anwendungen werden (im Normalfall) mit eingeschränkten Zugriffs-

rechten gestartet, d.h. den Anwendungen wird ein Schreibzugriff auf die

Systemkonfiguration verwehrt – sie werden in einen Virtual Store im Windows-

Verzeichnis umgeleitet. Damit können Anwendungen keinen oder nur begrenzten

Schaden anrichten. Letztlich ist dies ein Rudiment aus dem Compartment-

Ansatz, dem Abschottungsprinzip von Microsoft.10

– Secure Startup Full Volume Encryption:

Mit dieser Technik wird das Verschlüsseln von Festplatten ermöglicht. Damit

wäre ein verloren gegangener oder gestohlener PC bzw. eine Festplatte wertlos,

da vor unberechtigtem Zugriff geschützt. Nach dem Start wird die Festplatte im

Hintergrund verschlüsselt (wahlweise 128 oder 256 Bit). Das Chiffrieren erfolgt

über die dieser Technik zugrunde liegende Bitlocker-Software.11

Geht es also beim DRM-Konzept um die Durchsetzung von Rechten, geht es bei den

TC-Ansätzen um Durchsetzung von vom Anbieter vorgegeben Nutzungsrichtlinien,

Regeln.

Was zunächst zu unterschiedlicher Zeit und aus unterschiedlichen Beweggründen

entwickelt wurde, kann im Zusammenspiel:

TC + DRM + Recht

für den Nutzer, die Bibliotheken, zum Problem werden. Die Hardware kontrolliert die

Software. Die Software kontrolliert den Benutzer12 und der Benutzer hat nur bedingt

Zugriff auf die Schlüssel. Der rechtliche Rahmen, der z.Z. die Verwertungsinteressen

der Informationswirtschaft in den Vordergrund stellt, „vollendet“ diese Kombination

zu Lasten der Nutzer.

pdf (23.2.2007).

10 Vgl. Gerald Himmelein: Baustelle Sicherheit – Microsoft krempelt seine Sicherheitsin-

itiative NGSCB um. In: c’t, (2004) 12, 43–46.

11 Martin Seiler: Vista-Verschlüsselung kein Allheilmittel. Computerwoche, (2006) 21.

12 Andy Müller-Maguhn: Hundertprozentige Sicherheit durch TCG? Schutz vor

wem? In: Symposium „Trusted Computing Group“, Berlin, 3.7.2003, URL:

http://ftp.gnumonks.org/pub/congress-talks/tcg2003-berlin/day2/papers/02_

huntertprozentige_it_sicherheit-ccc-maguhn.pdf (23.2.2007).

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USER RIGHTS MANAGEMENT: GESTALTUNGSRAUM FÜR NUTZER UND BIBLIOTHEKEN

Wo bleibt nun der Nutzer, welchen Gestaltungsraum haben Bibliotheken bei dem

Zusammenwirken aller Komponenten? Neben den schon teilweise dargelegten

Problemen sind durchaus Potenziale erkennbar.

AUTHENTIZITÄT UND INTEGRITÄTDie Gewährleistung von Authentizität und Integrität digitaler Dokumente war

schon bisher für Bibliotheken und Informationseinrichtungen wichtig.

Im Kontext der Entwicklung des „Web 2.0“, indem das Netzwerk als Plattform agiert,

sind webbasierte Anwendungen nur sinnvoll, wenn Offenheit und Sicherheit, also

die Vertrauenswürdigkeit gewährleistet ist. Gleiches gilt auch für die weltweiten E-

Science oder Grid-Aktivitäten. Gemeinsame Ressourcenverwaltung, kollaboratives

Arbeiten, Schaffung einer webbasierten publikationsunterstützenden Infrastruktur

basieren auf Offenheit aber eben auch auf Vertrauenswürdigkeit.

WAHRUNG DER URHEBERRECHTEBibliotheken und Informationseinrichtungen treten zunehmend auch als Anbieter

digitaler Inhalte auf, z.B. als Betreiber eines eVerlages oder preprint-Servers etc.

Hier sind neue Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und -bereitstellung,

neue Vertriebsformen für z.B. Audio-Dateien bereits im Einsatz.

NUTZERFREUNDLICHES URHEBERRECHT/USER RIGHTS MANAGEMENTUm einen Ausgleich zu den Regelungen des Digital Millennium Copyright Act 13

in den USA herzustellen, gibt es dort Bestrebungen, die Nutzerrechte zu stärken.

So wurde z.B. 2003 und nochmals 2005 ein Digital Media Consumers‘ Rights Act

(DMCRA) in das Repräsentantenhaus eingebracht.14 Ziel dieses Gesetzentwurfs sei

es „to restore the ability of consumers to use copyrighted material lawfully.“15

In den EU-Ländern ist der erste verpflichtende Korb der Novellierung des Urheber-

rechts im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der

Informationsgesellschaft in Kraft getreten. Z. Z. wird intensiv um den zweiten Korb

gerungen, also um die Regelungen, die den Mitgliedsstaaten überlassen wurden.

13 Digital Millennium Copyright Act H.R.2281, URL: http://thomas.loc.gov/cgi-bin/

query/z?c105:H.R.2281.ENR: (28.2.2007).

14 Digital Media Consumers‘ Rights Act, URL: http://thomas.loc.gov/cgi-bin/bdque-

ry/z?d108:h.r.00107: (28.2.2007).

15 Th e Digital Media Consumers’ Right Act of 2003, Hearing. H.R. 107, May 12,

2004, Serial No. 108–109.

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Dabei geht es u.a. um:

– die öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung,

– die Privatkopie,

– die Vergütung der Urheber etc.

In Deutschland setzt sich das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und

Wissenschaft“ 16 sehr aktiv dafür ein, dass das Urheberrecht nicht ausschließlich zu

einem Instrument der Kommerzialisierung von Wissen, insbesondere im Bildungs-

und Wissenschaftsbereich, wird. Bislang ist es gelungen, Regelungen bis 2008

aufzuschieben, die es den Bibliotheken untersagen, elektronische Dokumente zu

verteilen, wenn der Markt diese Dokumente ebenfalls anbietet, bzw. eine Bereitstellung

digitaler Dokumente erst dann möglich machen, wenn kein kommerzielles Angebot

vorliegt (§52a, §52b). Grundlegende Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens

ist der freie und faire Zugang zu Wissen. Sollten jedoch wissenschaftsfeindliche

und innovationshinderliche Gesetze in Kraft treten, wird Open Access so wichtig

wie nie zuvor.

Open Access wird von den Bibliotheken unterstützt, konnte sich aber bei den

Wissenschaftlern noch nicht in breiter Front durchsetzen.17 Bibliotheken und

Informationseinrichtungen sind deshalb gut beraten, sich diesem Aspekt wesentlich

stärker als bisher zuzuwenden, insbesondere auch Marketing bei den Nutzern zu

betreiben.

16 Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“.

URL: http://www.urheberrechtsbuendnis.de/ (28.2.2007).

17 Deutsche Forschungsgemeinschaft: Publikationsstrategien im Wandel? Ergebnisse

einer Umfrage zum Publikations- und Rezeptionsverhalten unter besonderer

Berücksichtigung von Open Access. Weinheim 2005.

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REGISTEREDCOMMONS.ORG – MEHR RECHTSSICHERHEIT FÜR KREATIVSCHAFFENDE

ROLAND ALTON-SCHEIDL

DIGITALER ZEITSTEMPEL ALS NACHWEIS FÜR URHEBER

RegisteredCommons.org ist ein Service, welcher im Rahmen des Kompetenznetz-

werkes Mediengestaltung, einem Zusammenschluss von vier österreichischen Fach-

hochschulen und Unternehmen der Kreativwirtschaft, entwickelt worden ist. Mit

einer Werkregistrierung bei Registered Commons ergeben sich für Kreativschaffende

zwei wichtige Vorteile: Sie können ihre Urheberschaft auf Grund des von Registered

Commons ausgestellten Zertifikats nachweisen. Und – was für den Nachweis der

Urheberschaft fast so bedeutend ist wie die Registrierung selbst – der Zeitpunkt

einer Werkregistrierung wird bei Registered Commons mit digitalen Zeitstempeln

festgehalten. Typische Anwender sind Musiker oder Photographen, die einzelne

Werke gerne ins Internet stellen, aber die Kontrolle über Ihr Werk behalten wollen,

Blogger, Wissenschafter oder auch Agenturen, die vor einer Kundenpräsentation

mit einem Zeitstempel dem Ideenklau vorbeugen wollen.

DIGITAL RIGHTS MANAGEMENT – WENIGER IST MEHR!

Viele große Medienunternehmen antworten auf die neue Herausforderung, Nut-

zungsrechte im Internet besser kontrollieren zu können, mit der Implementierung

von Digital Rights Management (DRM) in ihre Produkte. Dies bedeutet für Kon-

sumenten aber auch eine Einschränkung der Nutzbarkeit legal erworbener Werke.

Angesichts massiver Gewinneinbrüche in den letzten Jahren und Millionen im

Umlauf befindlicher privater Kopien ist diese Strategie sogar wirtschaftlich nachvoll-

ziehbar, wenn auch nicht gerade Erfolg versprechend.

Um welche Art der Auseinandersetzung es sich handelt, zeigt auch das Digital

Millenium Copyright Act (DMCA), ein vom US-amerikanischen Kongress 1998

beschlossenes Gesetz, das mittlerweile sogar Versuche, technische Schutzmethoden

zu umgehen, unter Strafe stellt. Trotz bestehendem Recht auf Privatkopie kriminali-

sieren die großen Labels weite Teile der Bevölkerung, wenn sie jede Form der Kopie

etwa in aufwändigen Kinospots untersagen.

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Während internationale Medienkonzerne (und wie das DMCA zeigt, auch Legis-

lativen) nach wie vor mit dem offensichtlichen Kontrollverlust beschäftigt sind und

zu reagieren versuchen, hat sich in den letzten Jahren eine Bewegung formiert, in

der Werke, ganz ohne DRM, anderen bewusst zur weiteren Nutzung zur Verfügung

gestellt werden. Viele Künstler haben die Möglichkeit erkannt, die sich ihnen eröff-

net, wenn sie ihre Werke unter weniger restriktiven Lizenzbestimmungen (Creative

Commons, GPL etc.) verbreiten. Die Wahrung und Einhaltung von Urheberrechten

ist in diesem Fall weit weniger problematisch, da die freie Verfügbarkeit der Werke

dazu animiert, deren Urheberschaft anzuerkennen.

Diese neuen Lizenzmodelle erleichtern die freie Distribution von gestalterischen

Werken im Internet wesentlich, da sie Werke aus dem engen Korsett traditioneller

Urheberrechtssysteme befreien. Sie weisen aber auch bedeutende Schwachstellen

auf. Zum einen können auch sie die unrechtmäßige Verwendung der Werke nicht

verhindern. Zum anderen wird die Klärung der Nutzungsrechte für die kommerzielle

Nutzung solcher Werke (etwa die Verwendung eines unter nichtkommerzieller Crea-

tive-Commons-Lizenz stehenden Musikstücks für den Abspann eines Independent-

Films) zunehmend schwieriger, da viele dieser Werke ohne die für kommerzielle

Nutzungskontexte notwendigen und vor allem verlässlichen Informationen über

Urheber und Werknutzung veröffentlicht werden.

Selbst wo diese vorliegen, ist die Situation immer noch problematisch. Unterneh-

men, die kommerziell an Vertrieb und anderen Werknutzungen interessiert sind,

benötigen für ihre Geschäfte Rechtssicherheit, das heißt verlässliche Informationen.

Und gerade diese findet man auf vielen Websites, die Werke unter offenen Lizenzen

anbieten, nicht. Relative Anonymität ist nach wie vor ein Merkmal vieler im Internet

publizierter Informationen und deren Autoren.

Das Kompetenznetzwerk Mediengestaltung hat sich in einem eigenen Arbeitspa-

ket 2004 bis 2006 mit dem Phänomen offener Lizenzen und der Problematik des

Copyright Clearings beschäftigt. Ende 2006 ist dann mit Registered Commons

ein Service entstanden, welcher die beschriebenen Lücken bei der Nutzung freier

Lizenzmodelle schließt. Dieser Service wird auch in Zukunft für Urheber, die für

ihre Werke offene Lizenzmodelle verwenden, aber auch an einer kommerziellen

Nutzung interessiert sind, von Interesse sein.

STUFENWEISE VERTRAUEN MIT TRUST LEVELS

Eine wichtige Design-Vorgabe bei der Entwicklung von Registered Commons war,

den Einstieg so einfach wie möglich zu gestalten, ohne auf eine sichere Benutzer-

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Authentifizierung verzichten zu müssen. Um auch Usern ohne professionellem

technischen Hintergrund ein Verständnis für die sicherheitsrelevanten Abläufe bei

Registered Commons zu vermitteln, wurden so genannte Trust-Levels eingeführt,

die mit Hilfe von Sternsymbolen (1–5) visualisieren, auf welche Art sich ein User

beim Service identifiziert hat. Registered Commons ermöglicht also auf der einen

Seite einen einfachen problemlosen Einstieg bei der Registrierung, schafft aber

gleichzeitig auch Transparenz über die Art der Identifizierung.

Während eine Registrierung mit einer E-Mail-Adresse nur wenig über die wahre

Identität einer Person aussagt, ermöglicht ein so genanntes Web of Trust (das auch

bei der PGP-Verschlüsselung angewendet wird) eine relativ sichere Identitätsfeststel-

lung. Für Benutzer, die sich anfänglich einzig mit ihrer E-Mail-Adresse registriert

haben (was mit einem niedrigen Trust-Level bewertet wird), besteht bei Registered

Commons daher zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, durch Nachweis vertrau-

enswürdiger Zertifikate ihr Trust-Level zu erhöhen. Das „Community-Projekt“

CAcert, welches im Gegensatz zu kommerziellen Certification Authorities (CA)

ein dezentrales Vertrauensnetz anwendet und von zahlreichen KMUs, Bildungsein-

richtungen und verschiedensten Projekten verwendet wird, ermöglicht Registered

Commons den Nutzern, ein solches Zertifikat über das weitverbreitete Netzwerk

an Mitgliedern zu erhalten.

Mit einer Werkregistrierung bei Registered Commons ergeben sich für Urheber

zwei wichtige Vorteile. Sie können ihre Urheberschaft aufgrund des von Registe-

red Commons ausgestellten Registrierungs-Zertifikats nachweisen. Je höher der

Trust-Level des Users, desto wertvoller ist natürlich der Nachweis. Und, was für

den Nachweis der Urheberschaft fast so bedeutend ist wie die Registrierung selbst:

Der Zeitpunkt einer Werkregistrierung wird bei Registered Commons ebenfalls

mit digitalen Zeitstempeln festgehalten, die von einer unabhängigen dritten Partei

(A-Cert) nach RFC 3161 erstellt werden und den in Europa gesetzlich verankerten

Grundlagen entsprechen.

Auch die Web 2.0-Technologie AJAX kam zum Einsatz: Auf diese Weise wurden

die unmittelbare Überprüfung von Formularfeldern und die Lizenzauswahl, wel-

che den ersten Schritt einer Werkregistrierung darstellt, gestaltet. In letzterem Fall

wird das Auswahlformular direkt über das von Creative Commons zur Verfügung

gestellte API (Application Programming Interface) mit sämtlichen verfügbaren

CC-Lizenzen gespeist und ständig aktualisiert. So bleibt Registered Commons

auch bei zukünftigen Änderungen im Lizenzmodell von Creative Commons stets

aktuell. Für die Registrierung von Softwareprojekten kann zusätzlich die GPL-

Lizenz ausgewählt werden.

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Registered Commons funktioniert somit als transparentes Panzerglas für digitale

Werke. Um den Service auch für Agenturen attraktiv zu machen, kann man vor

seinem Werk auch das Rollo herunterlassen, sodass nur die Metadaten sichtbar sind,

das Werk selbst jedoch nicht.

STRATEGISCHE KOOPERATIONEN

Erste Überlegungen einer Werkregistrierung gehen auf ein Treffen zu Creative

Commons im deutschen Sprachraum (D, A, CH) an der Universität Konstanz im

Jahr 2005 zurück. Mit der Universität Konstanz und zahlreichen anderen Partnern

aus Industrie und Forschung wurde ein Proposal zu einem Forschungsprojekt zu

Networked AudioVisual Systems verfasst, in dem die Einbindung und besondere

Rolle frei lizenzierter Inhalte in diesem Kontext untersucht werden sollte. Hier-

bei wurden bereits UseCases für eine Werkregistrierung entworfen. Nachdem im

sechsten Rahmenprogramm das Projekt leider nicht zum Zug kam, ergab sich die

Möglichkeit, Teilaspekte im Rahmen des Kompetenznetzwerks Mediengestaltung

weiterzuführen. Mit strg.at als neuem technischen Partner wurde im Juni 2006 mit

der Umsetzung begonnen, sodass bis zur Wizards of OS-Konferenz der Service am

15. September 2006 bereits inklusive der Anbindung an CAcert funktionstüchtig

online ging.

Während der Konferenz in Berlin fand der offizielle Launch statt. RegisteredCom-

mons.org wurde dort der Öffentlichkeit mit Lawrence Lessig (dem Erfinder von

Creative Commons an der Stanford Law School) präsentiert. „I think this will be

extremely useful. You guys took something we did, and you added to it in a way that

will really add important value and really make the copyright system – in a way that

it should – work much better“, meinte Lawrence Lessig zum Start von Registerd

Commons vor dem Premierenpublikum.

Seit dem Launch Event wurde bis Ende 2006 keine Gelegenheit ausgelassen,

Registered Commons zu präsentieren: bei den Bibliothekar tagen der Vereinigung

Österreichischer Bibliothekare, am Blogtalk im Museumsquartier, beim Streaming

Communities Workshop der FH Joanneum in Maribor oder beim Netlabel Festival

in Zürich. Zahlreiche Print-, Radio- und Online-Medien haben über Registered

Commons berichtet, wie Netzpolitik.org, ORF OE1 Matrix, der iCommons.org-

Newsletter, Der Standard, bei der ARGE creativwirtschaft Austria oder in Plagia-

rism Today, ein Weblog zum Thema.

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Screenshot des RegisteredCommons.org Service

Die Idee einer Werkregistrierung wurde von zahlreichen Werkschaffenden für

notwendig befunden, insbesondere natürlich von jenen, die mit den Fragen der

Rechtsklärung befasst sind oder deren Werke schon einmal plagiiert oder auf nicht

lizenzkonforme Art genutzt wurden.

Für den fortlaufenden Betrieb wurde eine strategische Kooperation geknüpft. Die

Fachhochschule Vorarlberg wird den Dienst hosten, wobei dedizierte Rechner sowie

eine klare Zutrittskontrolle Teil des Sicherheitskonzeptes sind.

strg.at hat der Open Source Genossenschaft OSalliance.com die Nutzungsrechte

insofern übertragen, als dadurch der Weg für weitere Kooperationen geebnet wird.

Der Genossenschaft kann prinzipiell jeder Nutzer des Registered Commons Dien-

stes beitreten und dadurch die Weiterentwicklung mitbestimmen und den operativen

Ablauf auch formal, etwa durch eine entsprechende Anfrage in der Generalver-

sammlung der Genossenschaft, überwachen. Durch die genossenschaftliche Struktur

ist weiters gewährleistet, dass Registered Commons nicht wie so manche Web 2.0

Anwendung plötzlich weiterverkauft wird, sondern einerseits unter Kontrolle der

Entwickler und der Nutzer bleibt und andererseits offen für jegliche Form von

Kooperation bleibt.

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MUSIKALIENBEARBEITUNG

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DIGITALISIERUNG DER SCHUBERT-AUTOGRAPHE DER WIENBIBLIOTHEK IM RATHAUS

THOMAS AIGNER

Als der Industrielle und Kunstmäzen Nicolaus Dumba im Jahr 1900 starb, wurde

seine hoch bedeutende Sammlung von Schubert-Autographen per Legat auf zwei

namhafte heimische Institutionen aufgeteilt. Während die Autographe der Schubert-

Symphonien in den Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde übergingen, erhielt

die Stadt Wien den knapp 200 Manuskripte umfassenden Rest der Sammlung, den

sie ihrer Bibliothek einverleibte.

Im Lauf der Jahre systematisch ausgebaut, ist die Schubert-Sammlung der

Wienbibliothek heute die weltgrößte ihrer Art. Derzeit umfasst sie ca. 340 Noten-

autographe zu 450 Werken, Erstausgaben fast aller Kompositionen, zahlreiche

spätere Ausgaben sowie Abschriften von fremder Hand, eigenhändige Schriftstücke,

weitere Dokumente betreffend Schubert und seinen Freundeskreis sowie

umfangreiche internationale Literatur über Schubert. Dem Materialtyp und der

Organisationsstruktur der Wienbibliothek entsprechend ergibt sich eine Aufteilung

auf Musik-, Handschriften-, Druckschriften- und Plakatsammlung.

Zu den von der Wienbibliothek verwahrten Spitzenautographen Schuberts zählen

etwa das Oktett, die Deutsche Messe und das Lied „Gretchen am Spinnrade“. Der

letzte bedeutende Neuzugang, die eigenhändige Niederschrift zweier Tänze für

Klavier, erfolgte 2005. Sämtliche Notenmanuskripte sowie Erst- und Frühdrucke

sind in einem klimatisierten und alarmgesicherten Tresorraum untergebracht, der

konservierungs- und sicherheitstechnisch den modernsten Standards entspricht.

Das Gleiche gilt neuerdings auch für die literarischen Handschriften, die im neu

errichteten Tiefspeicher der Bibliothek im Hof 6 des Rathauses verwahrt werden.

Die Schubert-Sammlung der Wienbibliothek wird von Musikwissenschaftlern und

Interpreten aus aller Welt aufgesucht. Sie enthält insbesondere unverzichtbares

Quellenmaterial für die „Neue Ausgabe sämtlicher Werke“ und andere quellen-

kritische Ausgaben der Kompositionen Schuberts. Über die Manifestation seines

künstlerischen Willens hinaus geben die Notenautographe auch Einblick in

seine Arbeitsweise. Sie sind weiters für die Datierung der Werke Schuberts von

entscheidender Bedeutung, insbesondere da ein Großteil von ihnen erst nach seinem

Tod publiziert und öffentlich aufgeführt wurde.

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Das Interesse breiterer Publikumsschichten an den Autographen Schuberts konnte

aus konservatorischen Gründen bisher nur über Ausstellungen befriedigt werden.

So wurden Teile der Schubert-Sammlung der Wienbibliothek bei den großen

Jubiläumsausstellungen 1978 und 1997 im Historischen Museum der Stadt Wien

(heute Wien Museum Karlsplatz) und bei der Wien-Ausstellung in Nagoya 2003

gezeigt.

Bereits im Frühling 2000 wurde der Autor dieses Aufsatzes von dem damaligen

Generalsekretär des Internationalen Franz Schubert Instituts und zugleich seinem

Vorgänger als Leiter der Musiksammlung der Wienbibliothek, Dr. Ernst Hilmar,

auf eine Digitalisierung sämtlicher Schubert-Autographe angesprochen. Diese

Idee wurde ein Jahr später im Zuge der Aufnahme der Schubert-Sammlung

der Wienbibliothek in das „Memory of the World“-Register der UNESCO (4.

September 2001) aufgegriffen. „Memory of the World“ bedeutet soviel wie

„Gedächtnis der Welt“: Das Programm setzt sich für sachgerechte Konservierung,

freie Zugänglichkeit sowie Bewusstmachung der Bedeutung ausgewählter Archiv-

und Bibliotheksbestände ein. Im „Management Plan“ des Aufnahmeantrags findet

sich folgender Passus:

„Repeated handling and natural aging of the material have, however slightly,

already left their marks. Therefore, restrictions concerning its accessibility have

become unavoidable. A partial solution to this problem may lie in providing at least

Schubert’s autograph music manuscripts as photo-reproductions via digital media.

This measure, which is currently being envisaged, would have the positive side-

effect of offering a basis for a side-by-side comparison of the world’s largest body of

Schubert autographs with respective items of other collections.“

Bei der praktischen Umsetzung dieser Absichtserklärung kam dem letzteren

Punkt sogar die größere Bedeutung zu. Das Hauptziel war nun, Wissenschaftlern,

außeruniversitären Experten (Musikverlagen, Archiven, Museen, Labels usw.),

Musikinstitutionen, Musikern, Komponisten und Musikinteressierten den Zugang

zu den Schubert-Autographen zu erleichtern und damit die Beschäftigung mit Leben

und Werk eines der zentralen Komponisten der europäischen Musikgeschichte zu

fördern und zugleich die Wienbibliothek verstärkt international zu positionieren.

Die Benützung der Originale konnte fortan auf die relativ wenigen Fälle von

Papieruntersuchungen und dergleichen eingeschränkt werden. Infolge des durch das

Online-Angebot zu erwartenden generell stärkeren Interesses an den Autographen

Schuberts ist jedoch auch auf diesem Gebiet mit vermehrter Nachfrage zu rechnen, was

den angestrebten Schonungseffekt teilweise wieder aufhebt. Die Langzeitsicherung

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durch Digitalisierung wird überhaupt zunehmend problematisch gesehen. Hardware,

Software und die zu Grunde liegenden Normen sind wiederholten Änderungen

unterworfen, was eine kontinuierliche Datenpflege bedingt. Ist die Migrationskette

einmal unterbrochen, sind die Daten ein für allemal verloren.

Die Digitalisierung der Schubert-Autographe der Wienbibliothek erfolgte schließlich

im Rahmen eines von o. Univ.-Prof. Dr. Gernot Gruber, dem Vorstand des Instituts

für Musikwissenschaft der Universität Wien, initiierten und geleiteten Projekts, das

vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds finanziell gefördert

wurde. Das Thema der Auslobung lautete „SciENCE for creative industries“. Gefördert

wurden Projekte, „die das wissenschaftliche Fundament für ,Creative Industries‘

verbreitern und mit einer mittelfristigen Nutzen- und Verwertungsperspektive zu

einer Stärkung der ,Creative Industries‘ in Wien beitragen können.“ Zu den besonders

förderungswürdigen Feldern zählten dabei ausdrücklich: Intelligent Cultural Heritage

und Musik sowie auch Future Interface und Visualisierung.

Das eingereichte Projekt trug den Titel „Online content management system for Vienna

music institutions“ und umfasste mehrere Teilprojekte. Neben der Digitalisierung

der Schubert-Autographe der Wienbibliothek ging es dabei um Internet-Radio

(Musikwissenschaftliches Institut der Universität Wien), das virtuelle Spielen

alter Musikinstrumente (Technisches Museum) und die Verwaltung historischer

Tonaufnahmen (Phonogrammarchiv Wien). Die technische Umsetzung oblag Univ.-

Doz. Dr. Christoph Reuter vom Institut für angewandte Musikwissenschaft und

Psychologie, Köln.

Für die Wienbibliothek erfolgte der Startschuss mit der Abgabe von einem am

19. November 2003 abgefassten „Letter of Intent“. Koordinator des Schubert-

Teilprojekts war der Verfasser dieses Aufsatzes, als Hauptmitarbeiter fungierte

Dr. Marc Strümper, der nach dem Ende des Projekts eine feste Anstellung an der

Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek erhielt. Die zu erstellende

Datenbank umfasste sowohl alle von der Musiksammlung der Wienbibliothek

im Rathaus verwahrten Notenmanuskripte Schuberts als auch die Briefe und

Lebensdokumente des Komponisten aus der Handschriftensammlung. Insgesamt

waren 7.290 Seiten im Format von ca. 34 x 24 cm zu digitalisieren, davon 7.252

Notenseiten und 38 Textseiten. Dabei kam es dem Projekt sehr zustatten, dass keine

Urheberrechte abzugelten waren.

Von einem Großteil der zu digitalisierenden Manuskripte lagen in der Redaktion

der Neuen Schubert-Ausgabe in Tübingen Mikrofilme vor. Diese sind jedoch nur

schwarz-weiß und waren daher als Ausgangsmaterial nicht geeignet. Zwar geht es

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den Interpreten vornehmlich um den Vergleich des Autograph mit den praktischen

Ausgaben und der Gesamtausgabe, doch spielen für eine andere Zielgruppe, nämlich

die Musikwissenschaftler, auch die Farbe von Tinte und Papier sowie eine hohe

Auflösung der Bilddateien eine wichtige Rolle. Da einige der Schubert-Autographe

der Wienbibliothek, allen voran die Manuskripte der Opern und Messen, gebunden

sind und beim Anpressen an eine Glasscheibe Schaden zu nehmen drohten, war die

gestellte Aufgabe mit einem Flachbettscanner nicht zu bewältigen.

Die Gerätewahl fiel schließlich auf einen Großformat-Scanner der Firma Cruse, den

Synchronlicht-Buchscanner CS-90A SL. Die Autographe wurden von September

2004 bis Jänner 2005 gescannt, wobei die Speicherung im TIFF-Format in einer

Auflösung von 300 dpi und einer Farbtiefe von 48 Bit im Sinne der Langzeitsicherung

sowohl auf DVDs als auch auf externen Festplatten erfolgte. Parallel dazu wurde der

bestehende Zettelkatalog der von der Wienbibliothek verwahrten Notenautographe

Schuberts in das OPAC-Format der Bibliothek retrokonvertiert, was die Erstellung

der deskriptiven Metadaten wesentlich erleichterte.

Die Web-Darstellung inklusive Beschlagwortung und Suchsystem wurde von April

bis Dezember 2005 entwickelt. Das Content Management System basiert auf PHP/

MySQL, als Werkzeuge für Grafikbearbeitung wurden ImageMagick-Anwendungen

verwendet. Die Bildschirmdarstellung erfolgt im JPEG-Format in einer Auflösung

von 150 dpi. Ein elektronisches Wasserzeichen soll vor unautorisierter Publikation

schützen. Die Daten liegen auf einem Server des Rechenzentrums der Universität

Wien.

Die Website bietet eine für den Umgang mit digitalisierten Archivmaterialien

optimierte Umgebung. Der Zugriff erfolgt schnell und bequem über eine Vielzahl

an Sucheinstiegen wie etwa Werktitel, Werkverzeichnis-Nummer, Werkgattung,

Besetzung, beteiligte Personen, Entstehungszeit, Wasserzeichen, Volltext sowie

deren Verknüpfungen. Angeboten werden folgende Ansichten: Überblick über alle

Seiten, Blätter und Detailansicht. Die einzelnen Seiten können online vergrößert

und verkleinert (25 bis 200 Prozent) sowie gedreht, geschärft, farbinvertiert und

vermessen werden.

Nach einem fünfmonatigen Probelauf von Jänner bis Mai 2006 wurde die neue

Online-Datenbank unter der URL www.schubert-online.at im Rahmen der Feiern

zum 150-jährigen Bestandsjubiläum der Wienbibliothek im Rathaus am 1. Juni

2006 in deren Musiksammlung präsentiert. Die Online-Benützung der virtuellen

Schubert-Autographe ist kostenlos, für die Reproduktion in Publikationen gelten

die Gebühren und sonstigen Bedingungen der Wienbibliothek.

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Zur Zeit wird an einer Verknüpfung der Digitalisate mit den Katalogisaten im OPAC

der Wienbibliothek gearbeitet. Mittelfristig wird die Speicherung der Datenbank

und der hochauflösenden Scans auf einem Server der Wienbibliothek erwogen.

Fernziel des Projekts ist eine Ausdehnung auf sämtliche Schubert-Autographe

weltweit, seien sie in öffentlichem oder privatem Besitz. Dadurch ergäben sich

einzigartige Möglichkeiten des Vergleichs von Schubert-Handschriften untereinander.

So könnten verschiedene Fassungen bzw. Kompositionsstadien ein und desselben

Werks, die meist auf mehrere Sammlungen verteilt sind, von einem einzigen Ort aus

und ohne aufwändige Reproduktionsmaßnahmen miteinander verglichen werden.

Analoges gilt für die Zusammenführung verstreuter Manuskriptteile sowohl zu

Einzelwerken als auch zu Kompositionszyklen. Zur „Reliquie-Sonate“ etwa existieren

Fragmente des Autographs in mindestens fünf verschiedenen Sammlungen in drei

Ländern (ein Blatt ist verschollen).

Als erste Institution hat sich die Österreichische Nationalbibliothek dem Projekt

angeschlossen, wobei die Bestellung von reprofähigen Vorlagen der von ihr

verwahrten Autographen ihren gewöhnlichen Benützungsbedingungen unterliegt.

Weitere Kooperationspartner, die grundsätzlich zu einer Zusammenarbeit bereit

wären, sind die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, der Wiener Schubertbund,

die Pierpont Morgan Library (New York), die British Library (London), das Royal

College of Music (London), die Nasjonalbiblioteket (Oslo), die Kongelige Bibliotek

(Kopenhagen), die Russische Nationalbibliothek (St. Petersburg) und das Puschkin-

Haus (St. Petersburg).

Die Wienbibliothek im Rathaus widmet dem Projekt unter dem Titel „Von

Schuberts Nachlass zu Schubert online“ eine vom Verfasser dieses Aufsatzes

kuratierte Ausstellung, die von Anfang Juni bis Ende Oktober 2007 im Haus der

Musik zu sehen ist.

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ZUR DIGITALISIERUNG DER ANALOGEN AV-MEDIEN. KONZEPT UND ERSTE ERFAHRUNGEN ZUR LANGZEITARCHIVIERUNG IN DER ÖSTERREICHISCHEN NATIONALBIBLIOTHEK

MICHAELA BRODL

ANALOGE AV-MEDIEN

Tondokumente ermöglichen erst seit etwa 100 Jahren ein wiederholtes Abhören

eines Klangerlebnisses und enthalten wesentlich mehr Informationen als ein

schriftliches Dokument wiedergeben kann. Sie sind lebendige Zeugnisse ihrer

Zeit. Dynamik, Agogik, der Klang einer Stimme, eines Instruments ist nicht oder

nur zum Teil schriftlich fassbar. Tondokumente sind aber aufgrund der Instabilität

ihrer Trägermaterialien wesentlich kurzlebiger als Papier und unaufhaltsam vom

Zerfall bedroht, womit der Verlust des Inhalts verknüpft ist. Darüber hinaus ist

das Verschwinden der Abspielgeräte auf dem Markt ein weiterer Faktor, der die

Zugänglichkeit zu den Informationen bedroht.

Das Sammeln von Wissen als Basis jeder Kultur enthält auch die Verantwortung,

dieses auf Dauer verfügbar zu halten. Von einer Nationalbibliothek wird erwartet,

dass die Originale erhalten und bewahrt werden, bzw. sollte das nicht möglich

sein, die Inhalte unabhängig vom Träger so aufgehoben werden, dass sie dem

Original möglichst nahe kommen. Da der Zerfallsprozess nicht aufzuhalten ist,

kann nur mit der Überführung der analogen Dokumente in die digitale Domäne

und mit der fortlaufenden Erhaltung und Migration dieser digitalen Dateien das

weitere Überleben der Inhalte gewährleistet werden.1 Dabei geht es nicht um einen

gegenwärtigen Zeitgeschmack oder um aktuelle Hörgewohnheiten, sondern um

eine objektive Darstellung kultureller Inhalte und Zeitdokumente als Grundlage

wissenschaftlicher Forschung und Analysen.

Um die Nähe zum Original und die langzeitige Verfügbarkeit der Inhalte zu

erreichen, empfiehlt die IASA (Internationale Gesellschaft der Schallarchive)

1 Dietrich Schüller: Sammeln – Bewahren – Verbreiten. Traditionelle Anliegen im

technischen Umfeld des jungen 21. Jahrhunderts. In: Jahrbuch des Österreichischen

Volksliedwerkes, 53/54 (2005), 29.

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eine Übertragungsrate von 24 bit und 96 kHz.2 Beim Abhören erkennt nur ein

wirklich gut geschultes und sehr sensibles Ohr den Unterschied zwischen einem

speicherintensiven wav-file und einem dateikomprimierten MP3-file. Da aber

davon ausgegangen werden muss, dass relativ bald nur mehr die Digitalisate zur

Verfügung stehen werden, sind diese hohen Ansprüche durchaus gerechtfertigt.

Eine ausführliche Dokumentation der Übertragung mit allen Angaben zu

Abspielgeräten, Übertragungsgeschwindigkeiten etc. bildet die Voraussetzung für

jede wissenschaftliche Untersuchung und erhöht den Wert der Ergebnisse.

BESTAND DER ÖSTERREICHISCHEN NATIONALBIBLIOTHEK

Der Bestand der analogen AV-Medien in der Österreichischen Nationalbibliothek

ist sehr vielfältig und heterogen. Die Trägermaterialien reichen von Walzen über

Schellackplatten, Langspielplatten und Selbstschnittfolien bis hin zu Tonbändern

unterschiedlichster Ausführung und Kassetten. Auch Videobänder und Filme

gibt es. Alle diese Tondokumente werden in vielen Abteilungen verwaltet, den

größten Bestand hat die Musiksammlung, gefolgt vom Archiv des Österreichischen

Volksliedwerkes und dem Österreichischen Literaturarchiv. Aber auch das

Esperantomuseum, die Handschriftensammlung oder die Kartensammlung zählen

einzelne kleinere Bestände zu ihrem Besitz. Die Gesamtsumme beläuft sich auf

etwa 22.000 analoge audiovisuelle Dokumente mit einer Gesamtspieldauer von etwa

30.000 Stunden Klangmaterial.

Die Bedrohung der Dokumente weist für die einzelnen Trägertypen einen

unterschiedlichen Grad auf: Walzen und auch Selbstschnittfolien sind beim Abspielen

einer hohen Belastung ausgesetzt. Nur Experten, die über geeignete Abspielgeräte

verfügen, sind dazu befähigt. Die Schellackplatte und auch ihre Nachfolgerin, die

Vinylplatte, bestehen aus einem sehr haltbaren Material und sind daher eher durch

Zerbrechen und durch Abschürfen beim Abspielen gefährdet als durch chemische

Prozesse. Allerdings verschwinden dafür allmählich die Abspielgeräte vom Markt

und deshalb können sie nicht mehr abgespielt werden. Tonbänder sind am stärksten

von chemischen Veränderungen bedroht, weil sich die verleimten Materialien

auflösen können. Ist die Information einmal von der Trägerschicht getrennt, ist sie

unwiederbringlich verloren.

2 Th e Safeguarding of the Audio Heritage: Ethics, Principles and Preservation Strategies,

Version 3, 2005 (= IASA Technical Committee – Standards, Recommended Practices

and Strategies, IASA-TC 03).

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Das Sammeln von Tondokumenten war nie Hauptaufgabe der ÖNB. Und

doch ist die Sammlung auf diese beachtliche Größe angewachsen. Neben

musikalischen Besonderheiten gibt es auch zahlreiche Unikate. So findet man in der

Musiksammlung die Schellack-Sammlung „L’Anthologie sonore“, eine Sammlung

von Schellackaufnahmen aus den Jahren 1933–1959, wo bedeutende Interpreten

alte Musik auf Originalinstrumenten einspielten, die in dieser Geschlossenheit

sonst nirgendwo vorhanden ist. Über 30 Jahre hindurch wurden hauseigene

Konzerte veranstaltet und dokumentiert, in deren Rahmen auch Uraufführungen

verbunden mit Komponistengesprächen stattgefunden haben. Persönliche Gespräche

von Schriftstellerinnen und Schriftstellern auf Tonbändern, Kassetten und

Diktierkassetten im Literaturarchiv sowie Feldforschungsaufnahmen aus dem Archiv

des Österreichischen Volksliedwerkes stellen weitere außergewöhnliche Aufnahmen

dar, die auf der ganzen Welt einzigartig sind und in hohem Maße die kulturelle

Identität des Landes dokumentieren.

ÜBERTRAGUNG

Um erste Schritte zur Digitalisierung für die Langzeitarchivierung zu setzen,

wurde im Frühjahr 2005 eine Arbeitsgruppe in der ÖNB eingerichtet, die unter der

Leitung der Autorin ein Konzept sowie eine Kostenschätzung zur Digitalisierung

dieser wertvollen Dokumente außer Haus erstellen sollte. Der Endbericht der

Arbeitsgruppe legte eine Prioritätenliste vor, die eine Reihenfolge der Übertragung

nach Dringlichkeit durch Bedrohung, Zugänglichkeit und inhaltlichem Interesse

anbietet. Nach Vorlage dieses Berichtes wird dieses Konzept nun schrittweise

umgesetzt. Dr. Marc Strümper von der Musiksammlung und Mag. Martin Wedl aus

dem Österreichischen Literaturarchiv haben mit der Autorin alle nötigen Schritte

in intensiver Arbeit im vergangenen Jahr ausgefeilt.

Die Höhe der Auftragssumme schrieb eine Ausschreibung vor, womit aber das

Problem verknüpft war, dass das Endprodukt einer Übertragung, das heißt das

digitale Audiofile nicht überprüfbar ist. Es ist nicht messbar, welche Bearbeitungen

vorgenommen wurden. Musikbearbeitungsprogramme haben zur vermeintlichen

Klangverbesserung viel anzubieten. Außerdem kann bei der Langzeitarchivierung

noch nicht auf Erfahrungen zurückgegriffen werden. Die IASA hat zwar

Empfehlungen schriftlich veröffentlicht, aber es gibt keine Institution, die schon so

lange damit gearbeitet hat, um daraus zuverlässige Schlüsse ziehen zu können.

Die technische Leiterin des Phonogrammarchivs hat nun für die Ausschreibung

eine Analyse des physischen Zustands der Tonbänder durchgeführt und ein

Leistungsverzeichnis erstellt, das den Vorgang der Digitalisierung entsprechend

den IASA-Vorgaben detailliert mit allen nötigen Parametern und Einstellungen

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festschrieb und den Anbietern auch als Grundlage ihrer Kalkulationen diente. Den

Zuschlag erhielt die Österreichische Mediathek beim Technischen Museum. Die

ersten Bänder wurden bereits zur Digitalisierung übergeben.

Von der Ausschreibung ausgenommen wurde die Übertragung der besonders

gefährdeten Materialien: Die Wachszylinderwalzen der Musiksammlung und die

Selbstschnittfolien wurden im Phonogrammarchiv übertragen, eine erste Auswahl

von Schellackplatten und Diktierkassetten in der Mediathek. Im Zuge dieser

Arbeiten wurden auch die Workflows, die genauen Arbeitsabläufe im Haus und

außerhalb entwickelt und erprobt, denn für die große Zahl der Dokumente ist eine

automatische Einspielung aller Dateien in einem Schritt erforderlich.

METADATEN

Eng verknüpft mit den Audio-files müssen die deskriptiven, technischen und

historischen Metadaten verwaltet werden. Enthalten die deskriptiven Metadaten alle

bibliothekarischen Angaben zu Titel, Urheber und Interpreten, Erscheinungsjahr, bei

nicht veröffentlichten Tondokumenten ist das das Jahr der Aufnahme, etc., versteht

man unter den technischen Metadaten jene Informationen, die zur Erstellung

der Datei geführt haben, die verwendeten Programme, die Abtastraten etc. Die

historischen Metadaten geben Aufschluss über die Parameter der Übertragung:

Welche Wiedergabegeräte mit welchen Einstellungen der Geschwindigkeit, der

Nadel beim Plattenspieler etc. wurden verwendet. Ohne diese Angaben verliert das

Dokument seinen Wert für wissenschaftliche Untersuchungen.

ARBEITSABLÄUFE

Der Arbeitsauftrag der Digitalisierung fordert ein hoch aufgelöstes wave-file, das

sozusagen ein neues Original darstellt und soweit wie möglich dem alten entspricht.

Zur Bearbeitung, für den Benützer und die Benützerin wird ein komprimiertes

MP3-file erzeugt, das sehr wohl Bearbeitungen wie Entrauschen und Entklicken

enthalten kann.

Nach der Übertragung erhält die ÖNB 2 Audio-files (1 x wav, 1 x MP3) und 3 XML-

Dateien mit den deskriptiven, den technischen und den historischen Metadaten, die

nach der Kontrolle der Dateien und dem Erstellen der Markerlisten automatisiert in

Digitool eingespielt werden. Eine Datei entspricht einer Einheit eines Tondokuments.

Das heißt: Für eine Schellack oder Schallplatte werden zwei Dateien erzeugt, wenn

sie auf beiden Seiten bespielt sind, ebenso wie für ein Tonband oder eine Kassette.

Bei einer Schellackplatte ist nur ein Lied auf jeder Seite zu katalogisieren. Bei den

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Tonbändern und Kassetten, die noch dazu den größten Anteil unserer Sammlungen

ausmachen, können sehr viele einzelne Werke wie Instrumentalmusikstücke, Lieder,

Lesungen, Gedichte, Gespräche oder mehrere Veranstaltungen auf einem Dokument

enthalten sein. Auf der Suche nach einem bestimmten Stück ist die Kenntnis des

Inhalts mit genauen Zeitangaben eine wichtige Voraussetzung, damit der Besucher

das jeweils gesuchte Werk finden und direkt vom Katalogdatensatz ansteuern kann.

Markerlisten, die mit den Titeln und Incipits auch genaue Zeitcodes enthalten,

sind wertvolle Hilfsmittel dabei. Die Erstellung dieser Markerlisten ist durch die

Bearbeitung mittels der digitalen Dateien wesentlich einfacher und in kürzerer Zeit

möglich.

KATALOGISIERUNG

Digitalisate ohne Katalogisierung sind wertlos, weil sie von keinem Benutzer

gefunden werden können. So wie die Tondokumente auf mehrere Sammlungen

verstreut sind, finden sich die Katalogeinträge ebenfalls in unterschiedlichen

Datenbanken, deren Erschließungstiefe variiert. Die Musiksammlung erfasst ihre

Tondokumente sowohl im Aleph-Verbundkatalog als auch in einem lokalen Katalog.

Das Literaturarchiv benutzt für ihre Dokumente den Nachlasskatalog HANNA, der

basierend auf Aleph den Regeln der Nachlassbearbeitung folgt. Als dritter Katalog

wird im Archiv des Österreichischen Volksliedwerkes das Bibliotheksprogramm

Infolk-Dokumentenverwaltung benutzt, das auf der Basis von Bis-C 2000 der Firma

Dabis den Bedürfnissen der Erfassung nach musikalischen Parametern nachkommt.

Es bedurfte zahlreicher Diskussionen und Besprechungen vieler betroffenen

Kolleginnen und Kollegen, bis wir nun soweit sind, dass die digitalen Tondokumente

gemeinsam mit allen dazu gehörenden Metadatendateien in einem automatisierten

Vorgang an die richtige Position in Digitool eingereiht werden können, damit eine

dauerhafte Verfügbarkeit gewährleistet ist.

SAMMLUNGSRICHTLINIEN

Der hohe Aufwand der Digitalisierung verlangt eine gezielte Auswahl: Die

Kriterien dafür sind vor allem die allgemeinen Sammelrichtlinien der ÖNB und die

Richtlinien für die Langzeitarchivierung. In den Beständen befinden sich nämlich

auch Dubletten und zwar Dubletten in der Form, dass idente Tonbeispiele auf

verschiedenen Trägern enthalten sind. Wir erachten es deshalb nicht sinnvoll, wenn

Tonbandaufzeichnungen von Radiosendungen digitalisiert werden, wo Schallplatten

vorgespielt wurden, die im Original in der ÖNB vorhanden sind. Wie hoch dieser

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Anteil am Gesamtbestand ist, lässt sich momentan noch nicht sagen. Dazu müssen

die Bestände erst genauer erfasst und recherchiert werden.

War man ursprünglich davon ausgegangen, dass die Übertragung in geschlossenen

Einheiten durchgeführt werden kann, wurde im Laufe des vergangenen Jahres

die Erfahrung gewonnen, dass die Heterogenität des Bestandes eine solche

Vorgangsweise nicht erlaubt. Es finden sich auch besonders gefährdete Dokumente

darunter, die nicht ohne Spezialbehandlung übertragen werden können und daher

aus dem Routineverfahren ausgeschieden werden müssen.

ZIEL

Wenn diese Dokumente nun übertragen sind, erfüllt die Österreichische

Nationalbibliothek als Gedächtnisinstitution eines Landes eine ihrer wichtigen

Aufgaben und eröffnet damit einen barrierefreien und unkomplizierten Zugang

zu den Musik- und Sprachaufnahmen der bisher weitgehend unbekannten

Sammlungsbestände.

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DER BRUNO-WALTER-NACHLASS AN DER UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK DER UNIVERSITÄT FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST WIEN

SUSANNE ESCHWÉ

Am 15. September 2007 jährte sich der Geburtstag von Bruno Walter Schlesinger

zum 130. Mal. Schon zu Lebzeiten umjubelt erweckt sein Name heute wie damals

– entgegen dem Schicksalsverlauf vieler anderer Vertriebener – hohe Wertschätzung,

seine künstlerische Bedeutung steht für die Nachwelt außer Zweifel.

Bruno Walter Schlesinger wird am 15. September 1876 in Berlin geboren. Nach

Lehrjahren am Stern‘schen Konservatorium beginnt er seine Dirigenten-Laufbahn

als Korrepetitor in Köln. 1894 begegnet er in Hamburg zum erstenmal Gustav

Mahler. Es folgen Wanderjahre nach Breslau, Pressburg, Riga und Berlin. 1901

holt ihn Mahler als Kapellmeister an die Wiener Hofoper. Diese Zeit, die Ära

Mahler, war die überwältigendste künstlerische Erfahrung in seinem Leben. Die

beiden verbindet eine tiefe Freundschaft. Ein Leben lang ist Bruno Walter um das

kompositorische Schaffen seines verehrten Freundes und Meisters bemüht.

Wien ist lange Zeit Bruno Walters Zuhause. Zeitlebens fühlt er sich dieser Stadt

mit ihrer „Musikerfülltheit“ und dem geistigen, künstlerischen Flair zur Zeit des Fin

de Siècle tief verbunden. Bis 1912 ist Bruno Walter als Hofopernkapellmeister in

Wien tätig. Nach Mahlers Tod geht er als Generalmusikdirektor an die Bayerische

Staatsoper nach München. Hier lernt er Thomas Mann kennen. Die beiden verbindet

eine lebenslange Freundschaft, die im kalifornischen Exil ihre Fortsetzung findet.

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1925 wird Bruno Walter an die Städtische Oper nach Berlin berufen; später wird

er Nachfolger von Wilhelm Furtwängler als Kapellmeister am Gewandhaus in

Leipzig. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und seiner Flucht aus

Deutschland leitet er 1936–1938 die Wiener Staatsoper. Der „Anschluss“ zwingt

ihn, auch Österreich zu verlassen. Er flieht vor den Nationalsozialisten in die USA.

1946 nimmt er die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1948, nach seiner Rückkehr

aus dem Exil, bereiten ihm die Wiener einen enthusiastischen Empfang, die Presse

spricht von „Trennung“, „Abwesenheit“ – eine seit damals gebräuchliche Diktion,

hinter der man versucht, das Unbewältigte der Schrecken des Dritten Reiches zu

verbergen. Der damalige Jubel gilt aber auch dem „großen Menschen“ Bruno Walter,

der – wie die Presse schreibt – auch in den bitteren Jahren der Ferne nie den leisesten

Schatten auf seine Liebe zu dieser Stadt fallen ließ. Er erntet viel „Lob“ für seinen

„guten Willen“, Vergangenes vergessen zu machen. Bruno Walter stirbt am 17.

Februar 1962 im Alter von 86 Jahren in Beverly Hills, Los Angeles in Kalifornien,

er ist im schweizerischen Montagnolo bei Lugano begraben.

Der Wert von Nachlässen, also per definitionem Materialien von „einheitlicher

Provenienz“ und „gewisser Vielfalt“– begehrt und ungeliebt zugleich –, erschließt

sich einem nicht auf den ersten Blick.1 Meist sind es wenig ansehnliche Kisten,

Kartons, Konvolute, die Wertvolles nur erahnen lassen; den Stellenwert des

Materials bestimmt die historische Bedeutung des „Nachlassers“. Die Spuren jenes

Menschenlebens, dessen Schaffen, Handeln, Fühlen, Denken werden erst erkennbar,

erfahrbar, ist der Nachlass, dieses „Mixtum compositum“, geordnet, verzeichnet,

erschlossen.2 Dieses spezifisch amorphe Erscheinungsbild eines Nachlasses gebildet

aus Manuskripten, Marginalien, Memorabilia ist es, das bei aller Wertschätzung des

1 Beibl. zur Erhebung „Zum Begriff Nachlaß“ zit. n. Gerhard Renner: Die Nachlässe in

den Bibliotheken und Museen der Republik Österreich, ausgenommen die Österreichi-

sche Nationalbibliothek und das Österreichische Th eatermuseum. Wien 1993, 15.

2 Ebd.

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Besitzes desselben, sich der Erschließung, ganz und gar aber der regelrechten – oft

nur allzu lange – widersetzt, sodass der Nachlass selbst „Geschichte“ wird.

Nur wenige Monate nach Bruno Walters Tod am 17. Februar 1962 gelangt sein

Nachlass auf Wunsch der Tochter und Erbin, Lotte Walter-Lindt, an die damalige

Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, der heutigen Musikuniversität.

Die Schenkung erfolgt unter der Auflage, dass das Material „nicht wie in einem

Museum tot gelegt wird“, sondern Lehrern und Schülern zugänglich bleiben

soll. Des weiteren sollte es in einem „speziellen kleinen Raum, der Bruno Walter

Zimmer heißen soll“, untergebracht werden.3 Man war auch anfangs sehr bemüht,

einen Gedächtnisraum zu schaffen, im Laufe der Zeit ist dieser allerdings den

Unterrichtserfordernissen zum Opfer gefallen. Das Thema Gedächtnisraum ist

bis heute ungelöst. Der Nachlass wird heute in einem Magazinsraum aufbewahrt

und nur eine kleine, erlesene Auswahl an Exponaten ist permanent ausgestellt. Die

„Raum-Frage“ ist bis heute ungelöst.

Nach und nach treffen die Materialien in Wien ein. Im Spätherbst 1964 ist es dann

so weit: In Anwesenheit von Lotte Walter-Lindt wird der Gedächtnisraum im Palais

Cumberland in Wien-Penzing feierlich eröffnet. Nach dem Tod von Lotte Walter-

Lindt 1970 geht jener Teil des Nachlasses, der in ihrem Privatbesitz verblieben ist, in

das Eigentum der Bruno Walter Memorial Foundation mit Sitz in New York über, von

dort gelangt er an die New York Public Library. Demzufolge ist der Bruno-Walter-

Nachlass ein „angereicherter Teilnachlass“, was mit dem Zusatz „Wiener Nachlass“

deutlich gemacht werden soll.

Die für einen Nachlass charakteristische „Mischung des Materials“ findet ihren

Niederschlag in den verschiedenen Materialkategorien, in die Nachlässe meist

gegliedert werden und die es gilt, nach bibliothekarischen Regeln in Kategorien

und Konvolute zusammenzufassen.

Die Kategorie der Werkmanuskripte innerhalb des Bruno-Walter-Nachlasses

umfasst 32 Handschriften von Kompositionen und 8 Konvolute mit Entwürfen

und Aufzeichnungen zu Schriften Bruno Walters, darunter etwa 30 Autographe. Im

Fall von Bruno Walter kommt gerade diesen Materialien besondere Bedeutung zu,

umfassen sie doch sein gesamtes schöpferisches Werk als Komponist und Autor.

Bruno Walter hat sich aber bekanntlich nicht nur künstlerisch mit Musik

auseinandergesetzt. Er war mit den bedeutendsten Schriftstellern seiner Zeit –

3 Aktenvermerk v. 29.5.1962 (Archiv d. Univ. f. Musik u. darst. Kunst Wien, /Zl.

1823/62).

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Thomas Mann, Stefan Zweig, Franz Werfel befreundet – er war aber vor allem

selbst ein geistreicher Schriftsteller, geradezu ein Meister des Ausdrucks über

Musik. Thomas Mann schwärmte von seiner „unbekümmerten Gescheitheit“,

seiner „treuherzigen Klugheit“ und dem „literarischen Zauber“ seiner Gedanken

über Musik In mehreren Schriften hat er sein großes Wissen für die Nachwelt

verewigt. Zahlreiche Entwürfe und Aufzeichnungen zu diesen Schriften sind im

Nachlass überliefert.

Die Gruppe der Briefe ist entgegen dem herrschenden Grundsatz, bestehende

Ordnungen in Nachlässen nach Möglichkeit beizubehalten, auf verschiedene

Konvolute aufgeteilt. Der wertvollste Brief, der im Nachlass verwahrt wird, ist

zweifellos der Entwurf eines Gratulationsbriefs Thomas Manns zum 70. Geburtstag

von Bruno Walter. Der Löwenanteil der Korrespondenz befindet sich in der Bruno

Walter Collection der New York Public Library.

Druckwerke sind nur „in begründeten Fällen“ als Bestandteil eines Nachlasses

anzusehen. Innerhalb des Nachlasses von Bruno Walter kommt aber gerade diesem Teil,

der Bibliothek, besonderer Stellenwert zu, denn eindringlicher als in Tonaufnahmen

drückt sich die Fähigkeit der musikalischen Darstellung eines Dirigenten in Gestalt

von schriftlichen Anmerkungen und Einzeichnungen in dessen persönlichen

Aufführungsmaterialien aus, denn es ist ja gerade diese Fähigkeit der Verbalisierung,

die uns oft eindringlicher als Tonaufnahmen die musikalischen Vorstellungen

eines Dirigenten vermitteln. Die annotierten persönlichen Notenmaterialien sind

demnach der wertvollste Bestandteil des Bruno-Walter-Nachlasses. Dabei kommt

denjenigen der Werke Gustav Mahlers besondere Bedeutung zu, denn Bruno Walters

Wirken in der Ära Mahler an der Wiener Hofoper verleiht seinen Interpretationen

von Werken Mahlers höchste Authentizität. Die wertvollste Mahler-Partitur im

Nachlass ist zweifellos das Mahler’sche Handexemplar seiner 5. Sinfonie, in dem

sich neben dirigiertechnischen Anmerkungen von Bruno Walter auch zahlreiche

handschriftliche Korrekturen von der Hand Gustav Mahlers finden.

Groß ist die Zahl der Ehrengaben und Memorabilien innerhalb der Kategorie Lebens-

dokumente. Orden, Medaillen, Ringe, Urkunden, Ehren- und Glückwunschdekrete,

Auszeichnungen und sonstige Ehrengeschenke werden bis heute in jener braunen

Ledertasche aufbewahrt, in der sie im September 1963 zusammen mit anderen

Schriftstücken in Wien ankamen.

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Dem „Kern“ des Nachlasses werden in späterer Folge auch mehrere „Anreicherungen“

hinzugefügt. Es sind dies Sammlungen und Erinnerungsstücke von Freunden und

Verehrern des Künstlers, die meist als Geschenk oder durch testamentarische

Verfügung in die Bibliothek gelangen und dem Nachlass später hinzugefügt werden.

Die wichtigste Anreicherung ist zweifellos die lebensgroße Gipsbüste, geschaffen

1952 in Los Angeles von Anna Mahler, der Tochter Gustav Mahlers.

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Nachlässe gelten als „sperriger Rohstoff“, sie entziehen sich nur allzu oft dem

gewohnten, regelrechten bibliothekarischen Handwerk der Bearbeitung. Das

amorphe Erscheinungsbild des Nachlasses, aber auch der Mangel an eindeutigen

Begriffsbildungen und einheitlichen Bearbeitungsgrundsätzen haben lange Zeit

die Entstehung einheitlicher Beschreibmodalitäten verhindert. Der Bruno-

Walter-Nachlass, der bereits in geordneter Form an die Bibliothek gekommen war,

wurde überwiegend den Ordnungsprinzipien eines preußischen Nominalkatalogs

unterzogen.

2001 gewährte die Universitätsbibliothek zum 125. Geburtstag des weltberühmten

Dirigenten nach langem wieder Einblick in das reichhaltige Quellenmaterial. Die

Ausstellung mit dem Titel Bruno Walter 1876-1962. Dirigent, Komponist, Schriftsteller,

Vertriebener … war vom 11. Oktober bis 9. November in der Aula der Universität

für Musik und darstellende Kunst Wien zu sehen. Die Ausstellung zeigte Facetten

des künstlerischen Wirkens und Schaffens von Bruno Walter anhand ausgewählter

Exponate aus dem Nachlass. Zum erstenmal wurde auch die leidvolle Erfahrung der

rassischen Verfolgung und letztendlich der Vertreibung des gefeierten Künstlers aus

Österreich thematisiert. Sie dokumentiert aber auch die Geschichte des Nachlasses

selbst, jenes unschätzbaren Erbes eines der größten Dirigenten des vergangenen

Jahrhunderts.

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DIGITALISIERUNG – EINE REVOLUTION IN DER ZUGÄNGLICHKEIT VON AV-MEDIEN?

GABRIELE FRÖSCHL

Seit rund sechs Jahren digitalisiert die Österreichische Mediathek ihre Audio-

Bestände. Zu diesem Zweck wurde ein neuartiges System entwickelt, das für

Benutzer vor Ort den schnellen Vollzugriff auf Audiodateien in Form von MP3-Files

direkt aus der Katalogdatenbank heraus ermöglicht. So genannte Marker-Listen

ermöglichen auch für Benützer eine zusätzliche, individuell editierbare, inhaltliche

Erschließung des Tondokuments. Im Hintergrund läuft hier sowohl eine vollständige

bibliothekarische Datenbank als auch ein Archivsystem mit Massenspeicher, das

den dauerhaften Erhalt der Tonfiles (hochauflösende Broadcast-wav-Dateien als

Archivformat, MP3-Dateien als Benutzungskopie) zuverlässig gewährleistet.

Die Digitalisierung hat in vielen Fällen, abhängig vom jeweiligen Format, durch

einfachere Handhabung und verbesserte Suchbarkeit einen entscheidenden

Fortschritt in der Benutzbarkeit von AV-Medien gebracht. Andererseits hat sich

gezeigt, dass mit der Digitalisierung neue Fragen im Zusammenhang mit der

Aufbereitung von Medien für die Öffentlichkeit auftreten, sei es im Bereich einer

weiteren Optimierung der Benutzerfreundlichkeit, aber auch in Hinblick auf

rechtliche Einschränkungen, vor allem in Bezug auf Internetnutzung.

PUBLIKUMSKATALOGE

Ein wichtiger Aspekt der Digitalisierungsstrategie in der Österreichischen Mediathek

ist die einfachere Handhabung von Tondokumenten durch Benützer. Das Abrufen

von Medienfiles (Format MP3) aus der Katalogdatenbank ersetzt den Umgang

mit dem Original-Material, ohne etwas an dessen Qualität zu ändern, denn: Mit

hohen Qualitätsstandards digitalisiert, wird das Digitalisat zum neuen Original. Der

Zugriff auf Medienfiles erleichtert zudem die inhaltliche Arbeit mit Tondokumenten

ganz wesentlich, denn die optische Darstellung der Tonkurve ermöglicht, mit

einiger Übung, eine bessere Orientierung innerhalb der Tonaufnahme und ein

schnelleres Auffinden gesuchter Informationen. Dies lässt für die Zukunft hoffen,

dass Tondokumente, mehr als bisher, als Quellen für wissenschaftliche Arbeiten

unterschiedlicher Disziplinen herangezogen werden.

Zudem kann digital vorliegendes Tonmaterial weiter aufgeschlossen werden. Das

Einfügen inhaltlich beschreibbarer Zeitpositionen, so genannter Marker, erlaubt eine

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tiefgehende Inhaltserschließung, denn Marker können individuell gesetzt werden.

Marker sind im Katalogsystem der Österreichischen Mediathek suchbar, können

beim einzelnen Tonfile direkt angespielt werden und ermöglichen so ein sofortiges

Abhören der gewünschten Stelle.

Digitalisierung bedeutet, generell betrachtet, für Tondokumente eine Verbesserung

der Benutzbarkeit, vor allem in Hinsicht auf die praktische Handhabung von Medien.

Der tatsächliche Grad der Verbesserung hängt einerseits vom Medium selbst ab,

andererseits von den Digitalisierungseinheiten sowie der Einbindung der Digitalisate

in ein Katalogsystem, also der Verbindung von Tonfiles und Metadaten. Generell

hat sich in der Praxis bewährt, dass die Digitalisierungseinheit gleichzusetzen ist mit

dem Stück, d.h. ein Tonband ein File, eine Schallplatte ein File usw. Dies kommt

sowohl der Logistik der Digitalisierung entgegen als auch den Gegebenheiten der

Katalogdatenbank. Digitalisierung ist damit nicht automatisch eine Aufgliederung

auf Beitrags- bzw. Trackebene, ermöglicht aber, in Verbindung von Katalogeintrag

und File, eine wesentlich vereinfachte inhaltliche Erschließung durch direkten

Zugriff auf das Dokument. Kann diese Mehrarbeit einer vertiefenden inhaltlichen

Erschließung nicht geleistet werden, bleibt als Verbesserung der Benutzbarkeit

der leichtere Zugriff, der eine schnellere Orientierung ermöglicht. Soll das File als

alleiniges Benützungsexemplar dienen, steht man, vor allem bei publizierten Medien,

vor einem erhöhten Aufwand hinsichtlich der Datenaufnahmen. Als Beispiel sei hier

die CD erwähnt. Das automatische Einlesen der Tracks bedarf in vielen Fällen einer

Ergänzung, zudem müsste das gesamte Begleitmaterial ebenfalls digital vorliegen

um einen tatsächlichen Ersatz für die Benutzung des Originalmediums bieten zu

können. In diesen Fällen dient Digitalisierung eher der Langzeitarchivierung als der

Verbesserung der Benutzbarkeit.

AUTOMATISCHE SPRACHERKENNUNG1

Eine bislang in der Praxis noch wenig erprobte Möglichkeit, wie Digitalisierung

die Zugänglichkeit von AV-Medien entscheidend verbessern könnte, sind

Softwareprogramme zur automatischen Spracherkennung, die als Voraussetzung

1 Zum Th ema Spracherkennung siehe: Zwischenbericht zum Forschungsprojekt an

der Österreichischen Mediathek „Aus dem Parlament“ – Radioberichterstattung von

Nationalratssitzungen in Zeiten der Großen Koalition und der ÖVP-Alleinregierung

1952 bis 1969. Quellensicherung und Quellenauswertung unter Einsatz moderner

Informationstechnologie. Die Ausführungen zur Spracherkennung wurden von Tina

Plasil verfasst. (unveröff entlichtes Dokument, Wien 2007). Gearbeitet wird bei diesem

Projekt mit dem NOA Dactylo Indexer Version 1.0.0 (Build ‚16) und dem Language

Model Toolkit Version 3.0 (Matador_1111) von Saillabs.

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das Vorliegen eines digitalen Tonfiles benötigen. Die Versuche in diese Richtung

sind in der Österreichischen Mediathek von den Intentionen getragen, dass mit Hilfe

automatischer Spracherkennung eine große Anzahl von Stichwörtern entstehen

kann, die in Verbindung mit dem entsprechenden Tonfile die Suchbarkeit innerhalb

der Audiodokumente erhöhen.

Zur Spracherkennung wird ein Tonfile in einem vierstufigen Modell mathematisch

analysiert. In der ersten Stufe werden Hintergrundgeräusche aus dem Tonfile

herausgefiltert. Dann wird in einer zweiten Stufe eine Phonemtranskription

durchgeführt. Phoneme sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden, aber nicht

bedeutungstragenden Einheiten einer Sprache.2 Die deutsche Sprache verfügt über

etwa 40 Phoneme, die nicht identisch mit Buchstaben sind, da viele Buchstaben

in mehreren Varianten ausgesprochen werden können. In einer dritten Stufe

entsteht auf Grund dieses phonetischen Transkripts eine Übersetzung anhand eines

Wörterbuchs. Das Spracherkennungsprogramm enthält ein Wörterbuch mit 150.000

bis 180.000 Wörtern, die aber in einem weiteren Arbeitsschritt mit neuen Worten

ergänzt werden können. Da die Spracherkennungssoftware lernend ist, kann man

davon ausgehen, dass durch das Hinzufügen neuer Wörter bzw. Textpassagen (das

Programm lernt nicht nur Worte, sondern rechnet auch aus dem kontextuellen

Zusammenhang Wahrscheinlichkeiten aus) die Trefferquote der Texterkennung

gesteigert werden kann.

In der vierten und letzten Stufe wird das Resultat mit einem Sprachmodell verglichen,

das mit Hilfe von Linguisten durch Analyse der gesprochenen Sprache entwickelt

wurde. Das Sprachmodell geht speziell auf den semantischen Kontext ein, der je nach

Wissenschaftsgebiet oder Thema variiert, wobei vektorielle Wahrscheinlichkeiten

für jedes Wort berechnet werden.

Probleme treten dann auf, wenn die Tonqualität der Files nicht optimal ist, z.B.

bei Aufnahmen, die über einen starken Hall verfügen, denn hier erkennt das

Sprachprogramm keine menschliche Stimme mehr, sondern erachtet die komplette

Aufnahme als Geräusch. Insgesamt zeigt sich, dass bei guten akustischen

Bedingungen verwendbare Ergebnisse erzielt werden können.

INTERNETPRÄSENZ

Ein unbestreitbarer Vorteil digitalisierter Medien liegt in der Möglichkeit via

Internet ein größeres Publikum zu finden und diesem die Benutzung der Bestände

zu ermöglichen. Unter Berücksichtigung urheber- und leistungsschutzrechtlicher

Gegebenheiten, die besonders für AV-Archive in einem hohen Maß einschränkend

wirken, können digitalisierte Medien sowohl in Online-Kataloge eingebunden

2 URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Phonem (20.2.2007).

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werden als auch, inhaltlich aufbereitet, darüber hinaus einen größeren Publikumskreis

ansprechen.

Webausstellungen haben sich für die Österreichischen Mediathek in den letzten

Jahren als zielführendes Mittel erwiesen, breitere Publikumsschichten für die

Bestände des Archivs zu interessieren. Ton- und auch Filmdokumente bieten sich

besonders an, Ausstellungen von herkömmlichen musealen Orten zu lösen und in den

virtuellen Raum zu setzen, sind diese Aufnahmen doch in gewisser Weise an jedem

Ort Original und verlieren, bei sorgfältigem und quellenkritischem Umgang, nichts

an Unmittelbarkeit und Authentizität. Vergangenheit wird so in Momentaufnahmen

gegenwärtig, Hören und Sehen verschafft ganz unmittelbare Eindrücke – und das

unabhängig von einem bestimmten Ausstellungsort.

Hinzu kommt, dass alle Webausstellungen der Mediathek keine temporären

Ereignisse sind, sondern ein dauerhafter Teil des Internetauftritts bleiben, der

mit jeder Webausstellung weiter wächst. Und hinter all dem steht ein digitales

Langzeitarchiv, das gewährleistet, dass das, was im Netz zu hören ist, auch auf Dauer

gesichert und erhalten bleibt.

WEBPROJEKTE DER ÖSTERREICHISCHEN MEDIATHEK

WWW.STAATSVERTRAG.ATwww.staatsvertrag.at war der Beitrag der Österreichischen Mediathek zu den

Ausstellungsaktivitäten rund um das Jubiläumsjahr 2005. Mit hunderten Ton- und

Filmdokumenten zu Politik, Alltag, Musik, Literatur und Sport wird der Weg zum

Staatsvertrag von 1945 bis 1955 nachgezeichnet. Tondokumente illustrieren jedoch

nicht nur die Geschichte, sie sind auch selbst Geschichte geworden. Der Umstand,

unter denen sie entstanden sind, die Art, wie Information transportiert wurde, all dies

sagt mehr über die Zeit aus, als man beim ersten Hineinhören wahrnimmt, deshalb

wird, neben der unmittelbaren Ebene des Surfens durch die Themenbereiche, einer

umfassenden Quellenkritik ein wichtiger Stellenwert eingeräumt.

MOZART – RUNDE GESCHICHTEN – EINE AKUSTISCHE HÖRREISE ZUM 250. GEBURTSTAG Rund hundert Schellackeinspielungen aus dem reichhaltigen Fundus der Öster-

reichischen Mediathek vermitteln in dieser Webausstellung zum Mozartjahr 2006

ein Bild von Mozarts Musik, das geprägt ist vom Interpretationsstil und dem

Musikgeschmack der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie der besonderen

Charakteristik des Mediums Schellack.

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Die Aufnahmen machen mit einem Mozart-Klang bekannt, der zeigt, wie wandelbar

und individuell Interpretationen sein können. Die Musikbeispiele werden ergänzt

durch Hörproben von Briefen Mozarts, Eindrücken von Zeitgenossen und

literarischen Werken. Der Rückgriff auf Schellackeinspielungen ist einerseits

eine bewusste Konzentration auf historische Aufnahmen, andererseits ist er einer

der wenigen Möglichkeiten für ein Archiv, unter Beachtung der Urheber– und

Leistungsschutzrechte Musik online zu stellen.

HOWDY! GÜNTHER SCHIFTERDiese, dem Moderator und passionierten Schellacksammler Günther Schifter

gewidmete Webausstellung gibt einerseits einen Querschnitt seiner umfangreichen

Sammlung zu Jazz und Swing wieder, andererseits präsentiert sie ein Stück

Rundfunkgeschichte mit Ausschnitten aus Klassikern wie „Music Hall“ oder

„Günther Schifter’s Schellacks“. Rundfunkmitschnitte generell gehören zu jenem

Teil der akustischen Überlieferung, der in den Köpfen noch sehr präsent ist, der aber

in den meisten Archiven nur sehr unvollständig erhalten ist.

WWW.AKUSTISCHE-CHRONIK.ATMit der akustischen Chronik zur österreichischen Geschichte von 1900 – 2000 steht

den Internetusern eine umfassende multimediale Darstellung zur Zeitgeschichte

zur Verfügung. Hunderte, zum Teil erstmals veröffentlichte Töne und Videos aus

dem Archiv der Österreichischen Mediathek illustrieren die wechselvollen Jahre

von der Monarchie bis zur Jahrtausendwende. Ein Schwerpunkt liegt hier auf den

Dokumenten zur Politik des Landes, daneben kommen jedoch auch Kunst, Kultur –

und soweit greifbar – auch das Alltagsleben nicht zu kurz, sodass in der Gesamtheit

ein facettenreiches Bild eines Jahrhunderts entsteht.

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MUSIKBIBLIOTHEKEN IN ÖSTERREICH – IHRE AUFGABEN UND TÄTIGKEITEN

MANFRED KAMMERER

EINLEITUNG

Die Bandbreite österreichischer Musikbibliotheken reicht von den Bibliotheken

der vier Musikuniversitäten mit ihrer grundsätzlichen Orientierung am

gelehrten Fächerspektrum und der aktuellen Literaturversorgung bis zu den

großen Musiksammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek oder der

Wienbibliothek im Rathaus, von themenzentrierten Archiven wie dem Archiv

des Volksliedwerks oder dem Arnold Schönberg Center in Wien bis zum MICA,

einem „Musikinformationszentrum“ mit angegliederter Bibliothek. Im folgenden

soll die Landschaft der österreichischen Musikbibliotheken in Form eines Überblicks

dargestellt und Besonderheiten ihrer Aufgabenstellungen und Tätigkeiten

herausgearbeitet werden.

TYPEN ÖSTERREICHISCHER MUSIKBIBLIOTHEKEN

Vorangestellt sei eine kurze Typologie österreichischer Musikbibliotheken. Die

Darstellung soll sich dabei auf den Kreis der in der „AG-Musikalienbearbeitung“ und

im österreichischen Zweig von IAML (International Association of Music Libraries)

vertretenen Institutionen konzentrieren. Die beiden Gremien können durchaus

als Spiegel der professionalisierten Landschaft österreichischer Musikbibliotheken

gelten. In diesem Rahmen kann unter anderem nicht auf das Thema „Musik

an öffentlichen Bibliotheken“ sowie auf die Vielfalt musikalischer Bestände im

kirchlichen Bereich eingegangen werden.

Typologien von Musikbibliotheken können von verschiedenen Ansätzen her

gedacht werden. Unterscheidungen ergeben sich aus der Berufspraxis selbst, aus dem

hypostasierten Nutzerkreis und der Art des daraus abgeleiteten Versorgungsauftrags

oder auch aus dem Grad der Selbstständigkeit der Institution. Überblickt man den

Teilnehmerkreis von IAML Österreich, so lassen sich unter Bezugnahme auf die

Themenstellung drei Typen erkennen:

– Die erste Gruppe bilden die großen Sammlungen der Nationalbibliothek, der

Wienbibliothek im Rathaus (ehem. Wiener Stadt- und Landesbibliothek) sowie

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Archiv, Bibliothek und Sammlung der Gesellschaft der Musikfreunde. Ohne die

genannten Institutionen darauf reduzieren zu wollen, ist deren hervorstechendes

Merkmal, dass sie alle über einen weltweit einzigartigen Bestand an Autographen

und historischen Drucken verfügen und als wahre Autographenschatzkammern

gelten können. Um den Reichtum dieser Sammlungen zu illustrieren seien

einige herausragende Beispiele angeführt: Die Musiksammlung der ÖNB

besitzt u.a. die weltweit größte Brucknersammlung, das Autograph von Requiem

und Ave verum corpus von W. A. Mozart, 140 Autographe von Hugo Wolf,

darunter alle großen Liederzyklen. Die Musiksammlung der Wienbibliothek

besitzt die weltweit größte Schubert- und Strausssammlung. Zudem sei auf

wertvolle Einzelautographe von Haydn, Mozart, Brahms, Bruckner und vielen

anderen verwiesen. Für die Gesellschaft der Musikfreunde sind insgesamt 180

Werke von Schubert sowie die Nachlässe von Johannes Brahms und Gottfried

von Einem anzuführen. Anzumerken bleibt, dass sich die Bandbreite der

Musiksammlungen der Nationalbibliothek und der Wienbibliothek weit über

den großartigen historischen Bestand hinaus erstreckt. Beide Institutionen sind

auch vollwertige wissenschaftliche Musikbibliotheken und fungieren außerdem

als Ablieferungsstellen für die Pflichtexemplare der österreichischen respektive

Wiener Verlagsproduktion.

– Die zweite Gruppe umfasst Musikbibliotheken an Institutionen mit Bildungs-

auftrag:

Hier sind neben den Bibliotheken der vier Musikuniversitäten mit ihrer Ausrichtung

am gelehrten Fächerspektrum auch musikwissenschaftliche Teilbibliotheken

größerer Einheiten, wie sie an den Allgemeinuniversitäten Salzburg, Wien oder Graz

existieren, anzuführen. Die Schwerpunktsetzung liegt bei den letztgenannten mehr

im wissenschaftlichen Bereich gegenüber der stärker an der lebendigen Musikpraxis

orientierten Herangehensweise der Bibliotheken an reinen Musikuniversitäten. Die

Bibliotheken der Landeskonservatorien in Graz, Wien, Innsbruck, Feldkirch und

Klagenfurt reihen sich in diesen Kreis ein.

Wesentliche Aufgaben dieser Gruppe sind:

– Bereitstellung der für Forschung und Lehre erforderlichen Materialien

(Noten, Bücher, Zeitschriften, audiovisuelle Medien)

– Beschaffung der Materialien für die Aufführungen der jeweiligen Institution.

Diese sind in vielen Fällen nicht käuflich zu erwerben und müssen für die

jeweiligen Aufführungen als Leihmaterial bereitgestellt werden.

– Unterhaltung eines wissenschaftlichen Apparats. Darunter fallen Lexika,

Bibliographien, thematische Werkverzeichnisse und wissenschaftliche Gesamt-

Ausgaben.

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– Über den Bereich dieser spezifischen Aufgaben hinaus kommt zumindest den

größeren Bibliotheken dieser Gruppe auch ein Auftrag zur Versorgung der

regionalen Öffentlichkeit zu. In den durch das UG 2002 vorgegebenen Strukturen

wird es nötig sein den Gedanken an die Universitätsleitungen heranzutragen, dass

Universitätsbibliotheken sehr wohl Teil der regionalen Kulturlandschaft sind und

großes Potential in sich tragen, die Außenwirkung der Universitäten im Sinne

der im Gesetz geforderten Erschließung der Künste zu stärken.

– Die dritte Gruppe bildet der Kreis der themenzentrierten Archive. Im Mittel-

punkt der Sammeltätigkeit steht hier oft eine Institution wie beim Archiv der

Wiener Konzerthausgesellschaft oder eine musikalische Gattung wie beim

Archiv des österreichischen Volksliedwerks. Genannt seien hier auch Sammlun-

gen, die Werk und Person eines Komponisten in den Mittelpunkt stellen, wie

etwa die Bibliotheca Mozartiana des Mozarteums oder das Arnold Schönberg

Center in Wien.

SPEZIFIKA DER GESAMMELTEN MATERIALIEN

Im Wesentlichen werden an Musikbibliotheken folgende Materialien gesammelt:

– Druckschriften über Musik

– Musik- bzw. Notendrucke

– Musikhandschriften

– Musik auf audiovisuellen Medien

– Sonstige Materialien (Mikroformen, Photos, Dias, Computerdisketten etc.)

Es sind in erster Linie die Materialtypen Musikhandschriften, Musik- und

Notendrucke und audiovisuelle Medien, die eine deutliche Abgrenzung gegenüber

anderen Bibliothekstypen erlauben und rechtfertigen, dass man von einer eigenen

musikbibliothekarischen Praxis sprechen kann.

Neben der offensichtlichen Tatsache der „Nichtsprachlichkeit“ seien drei wesentliche

Merkmale, die diese Materialien vom üblichen Sammlungsgut abheben, ausgeführt.

Es sind dies:

– die Vielzahl der Ausgabeformen für den jeweiligen Gebrauch

– die starke Bedeutung des Gattungs- und Besetzungsprinzips

– für die audiovisuellen Medien die Vielfalt der technischen Formate

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In keinem anderen Bereich tritt uns ein- und dasselbe Werk in so vielen

unterschiedlichen Ausgabeformen entgegen. Wir sehen ein Werk als Partitur,

Taschenpartitur, Chorpartitur, Klavierauszug, Klavierpartitur, als Aufführungsmaterial

(Stimmenmaterial), Faksimile u.a. vorliegen. Rechnet man den audiovisuellen Bereich

dazu, so erweitert sich der Umfang nochmals.

Die starke Präsenz von Gattungs- und Besetzungsnamen in den Titeln führt zu

einem Ineinanderfließen von Formal- und Inhaltskriterien. Das im Bibliothekswesen

vorherrschende Prinzip der alphabetischen Ordnung birgt u.a. dadurch Schwierig-

keiten, dass viele Titel aus den immer wieder gleichen Gattungsnamen wie Fuge,

Messe, Sonate oder Symphonie bestehen, was selbst bei ein und demselben

Komponisten Erschließung und Recherche erschweren kann. Zusätzlich kompliziert

wird die Angelegenheit durch die häufig vorkommenden fremdsprachigen

Bezeichnungen, wie z. B.: Quartett, Quartet, Quatuor.

Natürlich trägt die RAK-Musik diesen Gegebenheiten unter anderem auch

in den Einheitssachtiteln Rechnung. Durch die wenig intuitive Gestaltung der

Einheitssachtitel gestaltet sich die Recherche durch die Nutzer aber häufig als

schwierig und bedarf intensiver Unterstützung von Seiten der Bibliothekare.

Das Gattungs- und Besetzungsprinzip spielt auch bei der inhaltlichen Erschließung

von Musikalien eine nicht zu unterschätzende Rolle. Inhaltliche Suche bei

Musikalien gestaltet sich, anders als bei wissenschaftlicher Literatur, nicht in erster

Linie als Suche nach „Inhalten“ im engeren Sinn, sondern in vielen Fällen als Suche

nach Besetzungen, nach musikalischen Gattungen oder Genres. Für die inhaltliche

Erschließung von Musikalien existieren in Österreich zurzeit nur lokale Lösungen.

Eine verbundübergreifende Sacherschließung für Musikalien wäre sinnvoll und wird

in den Gremien auch bereits diskutiert.

Das zu Erschließung und Recherche von Noten Gesagte gilt auch für die

audiovisuellen Medien, wobei sich die Sachlage durch das Hinzukommen der

Interpreten eher kompliziert. Das übliche Primat des Autors wird durch die

Bedeutung des Interpreten quasi „unterminiert“. In engem Zusammenhang damit

steht auch das Problem der zahlreichen Sammelausgaben. In den meisten Einheiten

gibt es erhebliche Bestände an audiovisuellen Medien und die entsprechenden

Möglichkeiten, die Medien innerhalb der Bibliothek zu benützen. Die rasante

technologische Entwicklung im audiovisuellen Bereich stellt die Bibliotheken

immer wieder vor neue Herausforderungen. Geräte, entsprechendes Know-how

und Betreuung müssen bereitgestellt werden. Wir sehen uns mit einer Vielfalt von

technischen Formaten und ihrem permanenten Wandel konfrontiert. Der Ansatz

einer Digitalisierung, der von vielen Institutionen gewählt wird, ist sicherlich richtig;

führt er doch die verschiedenen Formate, von denen die älteren noch dazu einem

erheblichen Verschleiß unterliegen, in einem „Universalformat“ zusammen.

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ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

Öffentlichkeitsarbeit wird von fast allen Musikbibliotheken betrieben. Es ist heute

unabdingbar, sich gegenüber der regionalen Öffentlichkeit zu präsentieren und damit

neue Nutzerkreise für die jeweilige Bibliothek zu erschließen. Konkret sei hier die

Initiative der sechsmal jährlich stattfindenden Musiksalons der Musiksammlung

der Nationalbibliothek angeführt. Neben einer verstärkten Verankerung in der

Öffentlichkeit darf der Kontakt zu zeitgenössischen Komponisten als nicht zu

unterschätzender Vorteil dieses Projekts angesehen werden. Ähnliches gilt auch

für die Reihe „Kunst in der Musiksammlung“ der Wienbibliothek. Auch die an

vielen Bibliotheken vorhandenen Nachlässe bieten eine gute Möglichkeit zur

Öffentlichkeitsarbeit.

AUSBILDUNG

Im Gegensatz zu Deutschland, wo eine Ausbildung zum Musikbibliothekar in Form

eines Zusatzstudiums möglich ist, erfolgt die musikbibliothekarische Schulung in

Österreich immer „on-the-job“. Das erforderliche Wissen und Know–how wird an

den Bibliotheken von einer Generation an die nächste – fast ist man versucht zu

sagen, in oraler Tradition – weitergereicht. Dass das Niveau des bibliothekarischen

Könnens dennoch sehr hoch ist, ist erstaunlich und darf sicherlich dem individuellen

Engagement der Kolleginnen und Kollegen an den einzelnen Einheiten

zugeschrieben werden. In Anbetracht der Komplexität musikbibliothekarischer

Arbeit ist es bedauerlich, dass keinerlei fundierte Angebote existieren. Das UG 2002

regelt eine einheitliche Ausbildung für das Bibliothekspersonal an den Universitäten.

Eine entsprechende Verordnung wurde erlassen und an den größeren Universitäten

werden bereits die ersten Lehrgänge durchgeführt. Entsprechende Angebote – sei es

in Form eines Wahlfachs oder eines aufbauenden Kurses – wären hier zu begrüßen.

Ein erster gut angenommener Ansatz, das Thema Musik in ein Curriculum

aufzunehmen, existiert seit drei Jahren an der Fachhochschule Eisenstadt in Form

einer Lehrveranstaltung „Musik-, Kunst- und Mediendokumentation“.

MUSIKBIBLIOTHEKARISCHE GREMIEN

Fast alle österreichischen Musikbibliotheken sind Mitglied im österreichischen

Zweig der IAML (International Association of Music Libraries, Archives and

Documentation Centers). Dieser wurde im Jahre 2002 von Thomas Leibnitz,

dem Leiter der Musiksammlung der ÖNB, ins Leben gerufen. Es finden jährlich

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zwei Sitzungen statt, die jedes Mal eine musikbibliothekarische Themenstellung

zum Gegenstand haben und eine wichtige Gelegenheit für Zusammenarbeit und

Meinungsaustausch bieten.

Ein weiteres Gremium ist der bei der VÖB-Kommission für Nominalkatalogisierung

angesiedelte Arbeitskreis für Musikalienbearbeitung, der 2001 auf Anregung der

damaligen Direktoren der Hochschulbibliotheken Wien und Graz, Scholz und

Amtmann, gegründet wurde. Dieser Arbeitskreis trägt mit seiner profunden Arbeit

ganz wesentlich zum Niveau der bibliographischen Kultur und zur Qualität der

Kataloge bei und setzte auch den entscheidenden Impuls zur Präsentation der

Musikbibliotheken beim diesjährigen Bibliothekartag.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass eine Reihe von Kollegen auch in internationalen

musikbibliographischen Unternehmen wie RISM und RILM engagiert sind.

So betreut etwa die ÖNB das RILM (Repertoire Internationale de la littérature

musicale) für Österreich.

AUSBLICK

Die österreichischen Musikbibliotheken sind ein wichtiger Teil unserer

Bibliothekslandschaft. Die Qualität der an ihnen geleisteten Arbeit ist hoch.

Musikbibliotheken und musikbibliothekarische Praxis bewahren Musik, ermöglichen

Musik und ihre reflexive Durchdringung. Sie sind Grundlage und unverzichtbarer

Teil der Musikkultur unseres Landes.

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RETROKATALOGISIERUNG AN DER MUSIKSAMMLUNG DERÖSTERREICHISCHEN NATIONALBIBLIOTHEK:AUSGANGSSITUATION – LÖSUNGSVARIANTEN

THOMAS LEIBNITZ

Um die Katalogsituation der Musiksammlung der ÖNB zu verstehen, ist es zunächst

notwendig, einen kurzen Blick in die Geschichte zu werfen, in deren Verlauf es zur

relativen Eigenständigkeit dieser Sammlung (sowie der anderen Sondersammlungen

des Hauses) kam. Musikbezogene Materialien wurden von der Hofbibliothek vom

Spätmittelalter an gesammelt, doch erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert

begann man mit einer eigenständigen Katalogisierung von Musikalien; diese waren

bis dahin in die allgemeinen Handschriften- und Druckschriftenkataloge integriert

gewesen. Ein markantes Beispiel dafür sind die „Tabulae codicum manu scriptorum“,

die ab 1864 in zehn Bänden erschienene Handschriftenaufnahme der Bibliothek,

die die Musikhandschriften in den Bänden 9 und 10 im Signaturenbereich Cod.

15.501 bis 19.500 erschloss. Die räumliche Selbstständigkeit der Musiksammlung

ab 1920 – in diesem Jahr übersiedelte sie in das Albertinagebäude, wo sie bis 2005

blieb – machte eine eigenständige Katalogisierung der Musikbestände notwendig,

mit Ausnahme allerdings der musikbezogenen Sekundärliteratur, die stets (und bis

heute) im Rahmen des allgemeinen Bücherbestandes erfasst wurde.

AUSGANGSSITUATION

Kurze Zeit nach ihrem Amtsantritt als Generaldirektorin im Juni 2001 definierte Johanna

Rachinger als strategisches Ziel der Bibliothek bis 2005 die Umwandlung sämtlicher

bestehender Zettelkataloge des Hauses, insbesondere der Sondersammlungen, in

Online-Kataloge. Die Katalogsituation der Musiksammlung bot zu diesem Zeitpunkt

folgendes Bild:

MUSIKDRUCKEAlter Katalog der Musikdrucke (Zettelkatalog, Großformat, hand- u. maschin-

schriftlich, erfasst Erwerbungen bis 1948): ca. 140.000 Aufnahmen

Neuer Katalog der Musikdrucke (Zettelkatalog, internationales Format,

maschinschriftlich, erfasst Erwerbungen von 1948 bis 1999): ca. 122.000

Aufnahmen

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Katalog der Musikdruck-Serienwerke (Zettelkatalog, Großformat, hand-

schriftlich): ca. 50.000 Aufnahmen

Katalog der Sammlung Hoboken (gedruckter, mehrbändiger Bandkatalog,

erfasst die Erst- und Frühdrucksammlung Anthony van Hoboken): ca. 5.600

Aufnahmen

Aleph-Verbundkatalog (Online-Katalog ab 2000)

MUSIKHANDSCHRIFTEN Katalog der Musikhandschriften (Zettelkatalog, Großformat, hand- und

maschinschriftlich, erfasst Erwerbungen bis 1997): ca. 80.000 Aufnahmen

Nachlass- und Autographenkatalog (Online-Katalog ab 1997)

NACHLÄSSE Katalog der Fonds und Nachlässe (Zettelkatalog, Großformat, hand- und

maschinschriftlich, erfasst Erwerbungen bis 1997): ca. 30.000 Aufnahmen

Nachlass- und Autographenkatalog (Online-Katalog ab 1997)

TONTRÄGER Katalog der Tonträger (Zettelkatalog, internationales Format, erfasst Erwerbungen

von Schellacks, Schallplatten, Tonbändern und Compact Discs bis 1999): ca.

18.000 Aufnahmen

Aleph-Verbundkatalog (Online-Katalog ab 2000)

SEKUNDÄRLITERATUR Zettelkataloge wurden im Rahmen des Retroprojektes der Hauptabteilung

Bestandsaufbau und Bearbeitung digitalisiert

Die Nachteile, die aus dieser historisch gewachsenen, äußerst heterogenen und

inkonsistenten Katalogstruktur erwuchsen, brauchen nicht im Detail erläutert zu

werden; es genügt der Hinweis, dass ein Leser allein im Bereich der Musikdrucke

fünf Kataloge konsultieren musste, um eine Suchfrage vollständig zu bearbeiten.

Hinzu kam der Umstand, dass Teile des Zettelkatalogs, die dem 19. Jahrhundert

entstammten, wegen der verwendeten Kurrentschrift für einen erheblichen Teil der

Leserschaft unlesbar waren.

Der Wunsch, diese Situation grundlegend zu bereinigen, bestand in der Musiksammlung

bereits seit langer Zeit; allerdings bewegte sich jeder der denkbaren Reformschritte

in Dimensionen, die die Möglichkeiten des „Normalbetriebs“ weit überschritten. Die

naheliegende Lösung, die Zettelkataloge physisch zusammenzuführen, scheiterte

nicht nur am unterschiedlichen Zettelformat, sondern auch an unterschiedlichen

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Regelwerken und Personenansetzungen. Vor allem aber, und das muss nüchtern

festgestellt werden, bestand lange Zeit seitens der Führung der ÖNB keine Strategie

und keine Zielvorgabe hinsichtlich der Sammlungskataloge des Hauses.

LÖSUNGSVARIANTEN

Das an der ÖNB entwickelte Programm „KatZoom“ bot sich zunächst als schnell

durchführbare Variante an: Bei „KatZoom“ wird in digitalisierten Imagekatalogen

analog zum Zettelkatalog gesucht. Es war freilich bereits zu diesem Zeitpunkt (2002)

durchaus absehbar, dass „KatZoom“ in der Katalogdigitalisierung nur eine Etappe

bleiben würde; zu gravierend sind die Nachteile: Die Zersplitterung der Kataloge

bleibt erhalten, die Irrtumsmöglichkeiten sind groß, eine nachträgliche Korrektur

des Katalogs ist ausgeschlossen. Im Falle der Musik wäre als zusätzliches Problem

die Tatsache hinzugetreten, dass der Katalog der Musikalien zwar alphabetisch nach

Komponisten, innerhalb des Komponisten jedoch systematisch nach Gattungen

geordnet ist, was die am Alphabet orientierte „KatZoom“-Suche außerordentlich

erschwert hätte.

Diesem grundsätzlich unzulänglichen Lösungsansatz stand als Maximalvariante die

komplette Neukatalogisierung des Gesamtbestands im Aleph-Verbund gegenüber.

Die Vorteile zu erläutern, ist beinahe müßig: Es wäre ein in sich geschlossener Online-

Katalog inklusive der online erfassten Neuerwerbungen ab 2000 entstanden, die

Neuerfassung hätte die Inkonsistenzen und Unvollkommenheiten der historischen

Kataloge überwunden. Als unübersteigbar erwiesen sich allerdings die Hürden

finanzieller und organisatorischer Art: Einer Überschlagsrechnung zufolge hätte

die Neuerfassung des Bestandes zehn Vollzeitarbeitskräfte für den Zeitraum von

zehn Jahren erfordert. Dies war sowohl mit dem zur Verfügung stehenden Budget

als auch mit dem Zeitrahmen des Projektes „Digitale Sammlungskataloge bis 2005“

unvereinbar.

So kam es zu einer Kompromissvariante, die sich als sehr effektiv erwies: Die

Zettel wurden gescannt und von einem externen Unternehmen kategorisiert

abgeschrieben, wobei detaillierte Erfassungsanleitungen dafür sorgten, dass der

Nachbearbeitungsaufwand in überschaubarem Rahmen blieb. Dass dieser dennoch

beträchtlich war, sollte nicht verwundern; nicht nur Abschrift- und Verständnisfehler

mussten korrigiert werden, auch zahlreiche Inkonsistenzen und Lücken des

Altkatalogs waren zu bearbeiten. Das Ergebnis konnte sich schließlich durchaus

sehen lassen:

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– Sämtliche Sammlungsbestände (Musikhandschriften, Musikdrucke, Tonträger,

Nachlassbestände, mit Ausnahme allerdings der Neuerwerbungen ab 2000

und der Nachlassbestände im „Nachlass- und Autographenkatalog“ ab 1997)

sind nun in einem einheitlich strukturierten, online suchbaren Datenbestand

zusammengefasst (in www.onb.ac.at unter „Kataloge“ als „Katalog der Musik-

sammlung“).

– Es ist möglich, getrennt nach Materialarten (Musikdrucke, Musikhandschriften,

Tonträger, Dokumente) zu suchen.

– Die bisher auf die Funktionen eines Nominalkatalogs eingeschränkten

Suchmöglichkeiten wurden massiv ausgeweitet.

– Eine elektronische Bestellfunktion ermöglicht Recherche und Bestellung vom

Wohnsitz aus.

Folgende suchbare Kategorien stehen den Benützern zur Verfügung:

– Autor

– Titel (mit Verlags- und Kollationsangaben)

– Signatur

– Schlagwort 1: Materialart (Musikdruck, Musikhandschrift, Tonträger,

Dokument)

– Schlagwort 2: Gattungsgruppe (Dramatische Musik, Chormusik, Ensemble

vokal, Orchestermusik, Kammermusik, Solo instrumental)

Die Vergabe von Schlagwort 2 (Gattungsgruppe) ist noch in Arbeit; damit soll den

Benützern die Möglichkeit geboten werden, unabhängig von konkreten und nicht

immer bekannten Titelfassungen thematisch zu suchen. Ebenfalls in Arbeit ist die

Vereinheitlichung der Personenansetzungen nach PND, die auch die Suche mit

Nondeskriptoren ermöglicht (so führt z.B. die Suche nach „Tschaikowsky“, aber auch

nach „Tchaikovsky“ zu allen Treffern mit der korrekten Ansetzung „Čajkovskij“).

Für die Zukunft ist eine Integration dieses Katalogs in den Aleph-Verbund

ebenso ins Auge zu fassen wie die Verlinkung mit Volldigitalisaten. Und was die

„Annahme“ des neuen Mediums durch die Benützerinnen und Benützer betrifft:

Wenn das Ausbleiben von Beschwerden als Zustimmung anzusehen ist, dann

kann der neue Katalog der Musiksammlung als akzeptiert gelten (explizites Lob

gab es natürlich auch). Nostalgiker des Zettelkatalogs mögen sich damit trösten,

dass die digitalen Katalogaufnahmen auch jeweils den Blick auf den originalen,

gescannten Katalogzettel ermöglichen, vor allem aber, dass der historisch wertvolle

und geschichtsträchtige Zettelkatalog selbstverständlich weiterhin als Bestand der

Musiksammlung aufbewahrt wird.

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ZUR PROBLEMATIK BEI DER RECHERCHE VON MUSIKALIEN IN ONLINE-KATALOGEN

ROBERT SCHILLER

Bei der Autor- und Titelsuche nach Musikalien – genauer gesagt nach Musikalien

durch Durchführung von Recherchen in Online-Katalogen nach ihren auf die

konkreten Bestandsexemplare referierenden bibliographischen Nachweisen – ist man

mit außer gewöhnlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Wie schwierig diese Suchen

wirklich sind, wird den Musikbibliothekaren immer dann besonders deutlich, wenn

sie selbst erfolglos im Online-Katalog nach einem Titel recherchieren, vom dem sie

aus dem Gedächtnis wissen, dass ein entsprechendes Exemplar in der Bibliothek

vorhanden ist. Die Folgen dieses Misserfolges sind aber noch vergleichs weise

harmlos; man schließt dann zumeist folgerichtig auf Fehler in den Katalogangaben

oder auf Fehler in der Suchstrategie.

Ich werde lediglich für einen Teilbereich des gesamten Notenrecherche-Problemkomplexes,

den gänzlich zu umreißen hier zu weit führen würde, versuchen darzustellen,

(1) mit welchen Schwierigkeiten schon einfachste Nominal-Recherchen verbunden

sind,

(2) welche Auswirkungen diese Probleme in den Treffermengen zeitigen und

(3) welche Lösungsansätze sinnvoll erscheinen.

Betrachten wir eingangs ein einfaches Suchexempel, das die Veränderungen

von Trefferquoten bzw. Ausbeuten (oder Recalls) bei Variation der verwendeten

Suchbegriffe anschaulich machen soll. Recherchiert wurde im Online-Katalog

der Universitätsbibliothek der Kunstuniversität Graz (im Folgenden „UBKUG“

genannt), wobei bei der Recherche die Grundgesamtheit stets von vornherein auf

Musikalien (Noten und Tonträger) eingeschränkt wurde.1

Die in den Beispielsuchen verwendeten Suchwörter entstammen dem Suchvokabular

unserer Lesern.

1 Ca. 54.000 Musikalientitelsätze (rd. 66.000 Exemplare).

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Stichwortsuchen nach Mozarts „Hochzeit des Figaro“

Suchterme Treffer Recall/Ausbeute2

(Mozart & Hochzeit) 33 50%

(Mozart & Nozze) 66 100%

Die unterschiedlichen Ausbeuten der beiden Suchen sind einfach zu erklären.

Der Suchbegriff „Mozart“ ist zumindest als Teil des nach RAK angesetzten

Verfassernamens Bestandteil aller relevanten bibliographischen Datensätze,

„Hochzeit“ ist nur in der Hälfte aller relevanten Datensätze Bestandteil des

Hauptsach- oder Parallelsachtitels. Der Suchbegriff „Nozze“ ist entweder selbst

Teil des Hauptsach- oder Parallelsachtitels oder sonst jedenfalls Teil des nach RAK-

Musik gebildeten Einheitssachtitels (in diesem Fall der Originalsachtitel; die RAK

bezeichnen solche Titel auch als individuelle Benennung eines Werks).

Es besteht aus formaler Sicht noch kein grundsätzlicher Unterschied zwischen dieser

Recherche und einer Suche nach allgemeiner bzw. schöngeistiger Literatur, z.B. nach

Shakespeares „Romeo und Julia“ mit dem Suchterm (Shakespeare & Romeo & Julia),

wobei man im Fall der Shakespeare-Recherche mit den angegebenen Suchbegriffen

als Treffer generell Übersetzungen des Werkes ins Deutsche erwarten darf, im Fall

der Mozart–Hochzeit–Recherche aber generell nur Ausgaben mit Übersetzungen

des Werktitels ins Deutsche (ob der gesungene Text selbst in Deutsch vorliegt, bleibt

dabei unklar).

Stichwortsuchen nach Mozarts Klarinettenkonzert

Suchterm Treffer Ausbeute

(Mozart & Klarinettenkonzert) 5 18%

(Mozart & Konzert & Klarinette) 15 55%

Stichwortsuche nach Klavierquintett von Josef Suk

Suchterme Treffer Ausbeute

(Suk & Klavier & Quintett) 0 0%

2 Der Recall beschreibt die Vollständigkeit eines Suchergebnisses. Er ist defi niert als der

Anteil der bei einer Suche gefundenen relevanten Dokumente (bzw. Datensätze) an

den relevanten Dokumenten der Grundgesamtheit.

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Es ist klar, dass mit den gezeigten Suchen nur die Ausgaben gefunden wurden, deren

Titelangaben in der formalen Beschreibung die angegebenen deutschen Suchbegriffe

enthalten.

Es ist eine Besonderheit der instrumental-musikalischen Werkbenennung, dass

von Komponisten und Musikern häufig Werktitel gebildet werden, die formale

oder gattungsspezifische, besetzungsbezogene und andere spezifizierende oder

individualisierende Bezeichnungen enthalten (z.B. „Konzert für Violine und

Orchester“)3. Parallelfälle in der Literatur sind dagegen Ausnahmen (wie z.B.

die Bezeichnung „Gedicht“ oder „Sonett“). Vergleichsweise selten werden für

Instrumentalkompositionen individuelle Benennungen gebildet, wie beispielsweise

Schumanns „Kinderszenen“ oder die Streichquartette, die Puccini „Crisantemi“

nennt.

Der Einheitssachtitel der Werke wird in diesen Fällen gemäß RAK-Musik als

Formalsachtitel gebildet. Sein Zweck ist es, verschiedene Ausgaben einer bestimmten

instrumentalen Komposition, für die keine individuelle Benennung existiert, an

gleicher Stelle im Katalog nachzuweisen.4 Für die Bildung des Einheitssachtitels

wird im Unterschied zu schöngeistiger Literatur nicht der originale Titel des Werkes

verwendet, sondern unter anderem Angaben zu dessen Form oder Gattung und

Besetzung (günstigerfalls auch eine Werknummer).

Die zu erwartende Frage des laienhaften Lesers, die er uns etwa angesichts des

dargestellten Sachverhaltes stellen wird, lautet nun: „Ja, kommen denn meine

Suchbegriffe wie „Konzert“ und „Klarinette“ nicht zumindest im Einheitssachtitel

vor?“ Die beschämende Antwort des ehrlichen Musikbibliothekars: „Nun, wenn

ich’s genau nehme, nein!“. Der korrekte Einheitssachtitel im Mozartbeispiel sieht

nämlich folgendermaßen aus:

Konzerte, Klar Orch, KV 622.

Und im Suk-Beispiel so:

Quintette, Vl 1 2 Va Vc Kl, op. 8.

Der Gattungsbegriff erscheint im Formalsachtitel im Plural (ich nenn’s deswegen das

Pluralproblem), die Instrumentenangaben sind abgekürzt (ich nenn’s deswegen das

Abbreviationsproblem). Wenn die OPACs der Bibliothekssysteme nicht automatisch

die „Suchstrings“ bei der Stichwortrecherche rechtstrunkieren – was sie generell

3 Brahms bezeichnet sein Violinkonzert in der autographen Partitur lediglich als „Con-

cert“, der Erstdruck gibt unter anderem an: „Concert für Violine“.

4 Wobei es gleichgültig ist, ob der Nachweis im Zettelkatalog erfolgt oder in einer nach

dem Einheitssachtitel sortierten Treff erliste im Online-Katalog.

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nicht tun –, dann kommt „Konzert“ im angeführten Formalsachtitel sozusagen gar

nicht vor.

Das Argument, dass sich die Leser vor ihrer Recherche mit der Bildung von

Einheitssachtiteln befassen sollten, ist ungültig und beschämend.

Wir gestehen dem verwirrten Leser noch: „Hm, der Formalsachtitel ist für die Leser

bei der Recherche in Online-Katalogen leider keine große Hilfe.“ –

Ich habe zuvor die Recalls bezogen auf die Titeltreffer und nicht exemplarbezogen

berechnet und angegeben. Was dem Leser aber bei seiner Literatursuche entgeht,

sind ja die ihm gewissermaßen vorenthaltenen Exemplare (denn in den meisten

Fällen wünscht er oder sie die Bibliothek zu verlassen mit Notenheften unterm

Arm und nicht mit Titeldaten). Umgerechnet auf die Exemplare sieht es noch

schlimmer aus:

Suchterme Titeltreffer Titelrecall Exemplare Ausbeute

(Mozart & Klarinettenkonzert) 5 18% 5 16%

(Mozart & Konzert & Klarinette) 15 55% 15 50%

Berücksichtigt man nun noch die Quote entlehnter Exemplare, so tritt häufig der Fall

ein, dass der Leser die Bibliothek mit leeren Händen verlässt, obwohl die benötigten

relevanten Exemplare, deren Titelangaben trotz korrekt geleisteter Katalogisierungs-

arbeit einfach nicht recherchiert werden konnten, in den Magazinen liegen!

Dies veranlasst uns hier die nachfolgende milchmädchen- und stallknechtpsychologische

Generalisierung G einzukeilen:

Wenn eine Person P in einem durch sie selbst bestimmten Zielbereich Z einen

Gegenstand G sucht, von dem sie nicht weiß, ob er in Z existiere, und G in Z nicht

finden kann, so wird P glauben, dass G in Z nicht existiere.

Wir leiten daraus folgende für uns wichtige Nutzanwendung ab. Wenn der

Studierende über den Online-Katalog in den Titeldaten der UBKUG nach dem

musikalischen Werk „Quintett von Suk“ sucht, das Quintett von Suk aber über

den Online-Katalog in den Titeldaten der UBKUG nicht finden kann, so wird

der Studierende glauben, dass das Werk „Quintett von Suk“ in der UBKUG nicht

existiere.

Wie wir gesehen haben, lässt sich der Suk-Such-Fall unter die Generalisierung G

subsumieren; epistemisch oder erkenntnistheoretisch betrachtet bedeutet dies, dass

der Glaube, zu dem der Studierende gelangt, zwar gerechtfertigt, aber falsch ist: Die

UBKUG besitzt ein Exemplar des Quintetts von Josef Suk.

Bei der Milderung des Problems kann verbale inhaltliche Erschließung, die die Aspekte

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musikalische Form bzw. Gattung und Besetzung berücksichtigt, helfen. Neben

dem Nutzen, den sie natürlich für die inhaltliche Suche und vor allem für die für

Musikbibliotheken so wichtige Suche nach Besetzungen hat, stellt verbale inhaltliche

Erschließung auch für die Autor-Titelsuche äußerst bedeutsame Suchtermini zur

Verfügung. Für die Stichwortrecherche stehen in der UBKUG-Datenbank bei

inhaltlich erschlossenen Titeln wie im Fall des Suk-Quintetts folgende zusätzliche

Recherchewörter zur Verfügung:

Quintett

Violine 1 2

Viola

Violoncello

Klavier

Stimmen

Musikdruck.

Die Suche nach Suks Quintett verläuft nun gänzlich anders und ihr Ergebnis sieht

folgendermaßen aus:

Stichwortsuche nach Quintett von Josef Suk

Suchterme Treffer Ausbeute

(Suk & Quintett & Klavier) 1 100%

Die Schlagwörter für die inhaltliche Erschließung wurden aufbauend auf dem

Entwurf der RSWK-Musik5 bei uns gebildet. Die Schlagwörter lösen, abgesehen

davon, dass sie eine thematische – im Falle von Musikalien – insbesondere auch

eine Form- und Besetzungssuche ermöglichen, die beiden genannten Probleme: das

Pluralproblem und das Abbreviaturproblem.

Wir haben oben bemerkt, dass die Dekomposition von Suchbegriffen die

Trefferausbeute erheblich verbessert hat, zur Erinnerung:

Suchterme Titeltreffer Titelrecall Exemplare Ausbeute

(Mozart & Klarinettenkonzert) 5 18% 5 16%

(Mozart & Konzert & Klarinette) 15 55% 15 50%

5 Regeln für den Schlagwortkatalog (RSWK), Musikalien und Musiktonträger. Entwurf.

Berlin 1991.

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Die Dekomposition von Suchbegriffen wird aber üblicherweise von Lesern

zumindest nicht gezielt eingesetzt, sondern eher zufällig. „Klarinettenkonzert“ ist

einfach aus der Sicht, korrekter: aus der Begrifflichkeit des Lesers ein für diese

Suche adäquat erscheinender Suchbegriff. Das Kompositumproblem, wie ich es

nenne, wird durch die verbale inhaltliche Erschließung nicht gelöst und bleibt

somit weiter bestehen.

Dessen Lösung erscheint aber einfach: Man muss eben die bibliographischen

Datensätze mit den entsprechenden relevanten, über die bloße formale, titel-

bezogene Erschließung hinausgehenden Suchtermini versorgen, damit sie für die

Stichwortrecherche zur Verfügung stehen. Die einfachste Möglichkeit besteht

darin, ein Fußnotenfeld dafür zu verwenden. Viel zielführender aber scheint mir

der Ansatz, Alternativformen für den Einheitssachtitel zu hinterlegen und in einer

EST-Datei zu pflegen. Damit umgeht man die Schwierigkeit, dass man etwa bei

zusätzlicher Eintragung des Schlagwortes „Klarinettenkonzert“ der gemäß RSWK

verschlagworteten Sekundärliteratur ins Gehege kommt (eine einfache material-

bzw. medienbezogene Trennung müsste in musikbibliographischen Datenbanken

aber ohnedies Standard sein; mediengruppenbezogene Einschränkungen werden

bei den Suchen in der UBKUG regelmäßig verwendet). Die nunmehrige in allen

Beispielen stark verbesserte Ausbeute allein rechtfertigt dieses Vorgehen.

Oft empfehlen wir unseren Lesern nur mit dem Komponistennamen im Verfasserfeld

und der Werkverzeichnis- oder Werknummer im Stichwortfeld zu recherchieren.

Diese Suchstrategie ist in vielen Fällen zielführend, aber nicht in allen (es gibt

hierbei jede Menge Fußangeln, vor allem jene der individuellen Benennungen); die

wenigsten Leser verfallen aber sozusagen auf diese Strategie von sich aus bzw. aus

ihrer Suchbegrifflichkeit heraus. Die oben beschriebene Anreicherung der Daten

scheint jedenfalls mehr als gerechtfertigt. Weiters müssen bibliographisch korrekte

Beschreibungen um Zitiertitel und ähnliches bereichert werden, damit ein Auffinden

auch für diese Fälle gewährleistet ist.

Es gibt also noch viel zu tun (ich erinnere noch an die Problematik gezielt nach

musikalischen Ausgabeformen oder Epochen zu suchen), damit ein für den

Musikbibliotheksbenützer erfolgreiches und zufriedenstellendes Auffinden von

Musikalien und eine für Bibliotheken zufriedenstellende Bestandsnutzung möglich

sind.

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SCHULBIBLIOTHEKEN

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UNTERRICHTSMODELL ZUR ENTWICKLUNG VON INFORMATIONSKOMPETENZ BEI SCHÜLERN DER GYMNASIALEN OBERSTUFE

ANDREAS KLINGENBERG

Wir sprechen heute von der Informationsgesellschaft, weil viele Lebensbereiche

von Informationen abhängig sind. Andererseits finden wir uns in einer Flut von

Informationsangeboten wieder. Der kompetente Umgang mit Informationen ist

inzwischen die Schlüsselqualifikation.

Auch in der breiten Öffentlichkeit ist, insbesondere durch das schlechte Abschneiden

der deutschen Schüler bei den PISA-Studien, aber auch durch andere Bildungsstudien,

eine Bildungsdiskussion in Gang gekommen. Eine der vielen Erkenntnisse ist, dass

weniger Faktenwissen vermittelt werden sollte, sondern Schüler in die Lage versetzt

werden müssen, Probleme eigenständig zu lösen und selbständig zu lernen.

VORGESCHICHTE

Das „Unterrichtsmodell zur Entwicklung von Informationskompetenz bei

Schülern der gymnasialen Oberstufe“1 entstand aus den Erfahrungen während

eines Praktikums in der Schulbibliothek des Gymnasiums Käthe-Kollwitz-Schule,

Hannover. Ausgelöst durch bevorstehende Referate wurden von den Schülern immer

wieder Rechercheanfragen an den Verfasser herangetragen. Aus Gesprächen auch

mit den Lehrern wuchs die Idee, Schulungen für die Literaturrecherche anzubieten.

Die Rechercheeinführungen sollten zur Vorbereitung auf die Facharbeit dienen, die

in Niedersachsen in der Oberstufe Pflicht ist.

RECHERCHEEINFÜHRUNG

Die Rechercheeinführungen fanden in einer Doppelstunde vor Beginn der

Bearbeitungszeit der Facharbeit in fünf Leistungskursen statt. Inhalte der

Einführungen waren:

– Recherchevorbereitung: Thema festlegen, Suchbegriffe sammeln, Informations-

quellen auswählen

1 In: Neues für Bibliotheken, Neues in Bibliotheken, hg. von Rolf Fuhlrott. Wiesbaden

2006 (= B.I.T. online: Innovativ; 12).

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– Bibliotheksrecherche: Welche Bibliotheken gibt es in Hannover, welches sind ihre

Bestände, wie funktioniert der Online-Katalog?

– Internetrecherche: Was ist ein Katalog, was eine Suchmaschine, was eine

Metasuchmaschine, wie gestaltet sich eine fachbezogene Recherche im

Internet?

– Wissenschaftliche Arbeiten: Was macht eine wissenschaftliche Arbeit aus, wie ist

der Aufbau, wie gestaltet man ein Literaturverzeichnis?

Die Erfahrungen zeigten deutlich, dass die Zeit viel zu knapp bemessen war: In

90 Minuten konnten die aufgeführten Themen nicht ausführlich genug behandelt

werden, für Übungen blieb nur sehr wenig Zeit. Es zeigte sich auch, dass die Schüler

zur Internetrecherche ausschließlich eine Suchmaschine nutzten und nur mit einem

Begriff suchten. Es war klar, dass für ein Unterrichtsmodell ein Schwerpunkt auf die

Internetrecherche gelegt werden musste.

RECHERCHEPROTOKOLL

Für die Facharbeit im Leistungskurs Englisch mussten die Schüler die einzelnen

Schritte ihrer Suche in einem Rechercheprotokoll festhalten. Geforderte Elemente

waren:

– Thema

– genutzte Informationsmittel

– Suchanfrage/Sucheinstieg

– Ergebnis der Recherche

Das Protokoll ermöglichte einen guten Überblick über die Suche, was die Schüler

als hilfreich empfanden. Das Rechercheprotokoll konnte auch Bewertungsgrundlage

für den Lehrer sein. Die Auswertung zeigte, dass fast alle Schüler das Internet

als Informationsquelle genutzt hatten, und zwar obwohl nur wenig Fähigkeiten

in der Nutzung von Suchmaschinen vorhanden waren. Eine Schlussfolgerung

für ein Unterrichtsmodell musste deshalb auch an dieser Stelle sein, in Zukunft

einen Schwerpunkt auf die Internetrecherche zu legen. Die Wissenschaftlichen

Bibliotheken wurden nur wenig genutzt; die Befragung von Experten wurde von

fast keinem Schüler in Erwägung gezogen.

Aber die Schüler kamen durch das Rechercheprotokoll auch zu erstaunlichen

(Selbst-)Erkenntnissen. Zwei Zitate können dies beispielhaft belegen:

„[...] but I found out that most of the things that were published on the internet

could also be found in the books I had [...]“.

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Das Internet war also nicht unbedingt die einzige oder bessere Quelle.

„The best source of information was obviously the library.“

Dieser Schüler hatte erkannt: Die Bibliothek liefert wichtige (die besten)

Informationen zur Lösung seiner Frage, seines Problems. Dies war für alle Beteiligten

eine äußerst erfreuliche Erkenntnis.

INFORMATIONSKOMPETENZ

Die gängige Definition der Informationskompetenz stammt aus dem Final Report2

des Presidential Committee on Information Literacy der American Library

Association (ALA). Daraus lassen sich vier Elemente der Informationskompetenz

ableiten:

– einen Informationsbedarf zu erkennen,

– Informationen zu beschaffen,

– Informationen zu bewerten

– und Informationen effektiv zu nutzen.

Als informationskompetenter Schüler wird man demnach zunächst einen Bedarf

an Informationen zur Lösung eines spezifischen Problems erkennen. Des Weiteren

wird der Schüler Quellen ausfindig machen und Suchstrategien anwenden. Er muss

schließlich entscheiden: Helfen die gefundenen Informationen zur Lösung meines

Problems? Und der Schüler muss das Gefundene in den eigenen Wissensbestand

integrieren, er muss lesen, muss verstehen. Wenn gewünscht, können die

Informationen schließlich an andere weitergeben werden, entweder gesprochen

oder schriftlich, als Hausarbeit oder in Form eines Vortrags.

Für das Unterrichtsmodell hat der Verfasser die Standards der Informationskompetenz

für Schüler3 betrachtet. Als weitere Anregung dienten die Angebote für Schüler von

Bibliotheken in Deutschland. In den bisherigen Benutzerschulungen wurde der

Online-Katalog, manchmal noch alte Zettelkataloge vorgestellt. Es ging um die

verschiedenen Standorte und natürlich um die Ausleihmodalitäten. Es ging also in

2 American library association presidential committee on information literacy: fi nal

report, URL: http://www.ala.org/ala/acrl/acrlpubs/whitepapers/presidential.htm

(15.11.2006).

3 American association of school librarians ; association for educational communications

and technology: Information literacy standards for student learning, URL: http://www.

ala.org/ala/aasl/aaslproftools/informationpower/InformationLiteracyStandards_fi nal.

pdf (15.11.2006).

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der Regel um die Vermittlung der eigenen Bestände. Die Internetrecherche blieb

meist wenig oder gar unberücksichtigt.

Dazu kommen heute weitere Angebote der Bibliotheken unter Schlagwörtern wie

Lesekompetenz, Medienkompetenz und eben Informationskompetenz. Leseförderung

findet dabei in der Regel für das Grundschulalter statt, auch Medienkompetenz

hat eher die unteren Jahrgangsstufen als Zielgruppe. Informationskompetenz

ist in der Regel Thema der Angebote Wissenschaftlicher Bibliotheken für ihre

Studierenden. Angebote für ältere Schüler, für Oberstufenschüler zur Vermittlung

von Informationskompetenz gibt es praktisch nicht. Das Ziel des Unterrichtsmodells

und die Motivation des Verfassers war es, diese Lücke zu schließen.

Die erfolgversprechenden Konzepte für Studenten wurden genauer betrachtet.

Die folgenden drei flossen letztlich in die Arbeit ein: Das von Benno Homann

entwickelte Dynamische Modell der Informationskompetenz (DYMIK), das

Lernsystem Informationskompetenz (LIK) von Detlev Dannenberg und die

Bibliothekspädagogik von Holger Schultka.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus den verschiedenen Konzepten waren zum

einen die Individualität von Lösungsstrategien und Recherchewegen. Jeder sucht

auf seine Weise, jeder hat einen eigenen Lösungsansatz und eine individuelle

Problemlösungsstrategie. Andererseits zeigte sich, dass ein Informationsprozess

nicht linear, sondern viel mehr netzartig verläuft. Der Suchende springt immer

wieder zurück und ändert seine Suchstrategie, weil er auf andere, neue Suchbegriffe

gestoßen ist oder neue Ideen erst während der Recherche bekommen hat. Eine

weitere Erkenntnis, die schon über das Unterrichtsmodell hinausgeht, war die

Notwendigkeit der Kooperation unterschiedlicher Bildungseinrichtungen und der

Bibliotheken.

VORÜBERLEGUNGEN

Das folgende Zitat hebt noch einmal den Unterschied zwischen den bisherigen

Benutzerschulungen und der Vermittlung von Informationskompetenz hervor: „We

must de-emphasize the mechanics“4 meint, dass man wegkommen muss von der

ausschließlichen Erläuterung des Kataloges, der Systematik oder ähnlichem, um

so den Wandel von reinen Benutzerschulungen zur Vermittlung von Informations-

kompetenz zu vollziehen.

4 Esther S. Grassian, Joan R. Kaplowitz: Information literacy instruction. Th eory and

practice. New York u.a. 2001, 9.

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Folgende Vorüberlegungen spielen für die Vermittlung von Informationskompetenz

an Schüler – und hier zunächst einmal ganz konkret in der Schule – eine Rolle:

– Räumliche und technische Ausstattung: Aus den Räumen der Schule sollte ein

Zugang zum Online-Katalog der örtlichen Bibliotheken möglich sein sowie ein

Zugang zum Internet allgemein.

– Kenntnisstand der Zielgruppe: Wie gut sind die Fähigkeiten der Schüler in der

Computernutzung, wie gut in der Bibliotheksbenutzung? Welche Bibliotheken

kennen die Schüler, welche nutzen sie regelmäßig?

– Selbstbestimmtes, selbständiges Lernen: Jeder Mensch lernt auf andere Art und

Weise, hat eigene Problemlösungsstrategien.

– Schließlich sollte das Ziel der Bemühungen sein, den Schülern ein Gesamtkonzept

der Informationskompetenz zu vermitteln und somit einen großen, übergeordneten

Rahmen zu schaffen.

UNTERRICHTSEINHEITEN

Zu Beginn jeder Unterrichtseinheit sind Bezüge zu den Standards der

Informationskompetenz hergestellt, um die Lernziele genauer zu definieren. Es

werden die Inhalte und die eigentliche Idee der Unterrichtseinheit beschrieben. Im

Anhang finden sich passende Arbeitsblätter zur Umsetzung.

Das Unterrichtsmodell umfasst zahlreiche Elemente: Eine Unterrichtseinheit

beschäftigt sich mit dem experimentellen Vergleich von Internetsuchdiensten. Sie dient

dem Kennenlernen unterschiedlicher Suchdienste, um die Schüler zur Verwendung

auch anderer Suchmaschinen anzuregen. Die Schüler sollen außerdem lernen, die

angebotenen Hilfetexte bei den Suchanbietern zu nutzen. Schließlich sollen die

Schüler entscheiden können, wann sie sinnvoller Weise welchen Dienst benutzen.

Die Einheit zu weiteren Methoden der Informationsbeschaffung soll die Schüler

animieren, durch Ausprobieren auch andere Quellen zur Problemlösung heran-

zuziehen. Dazu kann das Befragen anderer Personen zählen; hinzu kommt der

Besuch eines Archivs oder der Impuls, eigene Umfragen durchzuführen.

Eine weitere Unterrichtseinheit beschäftigt sich mit den verschiedenen Arten von

Informationsquellen und -trägern. In dieser Einheit geht es um die Sensibilisierung der

Schüler für das Thema „Information“. Es sollen die richtigen Fragen zum Schlagwort

Informationsgesellschaft gestellt werden:

– Was sind Informationen?

– Wie findet man Informationen?

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– Wer produziert Informationen?

– Wer publiziert Informationen?

– Wer benötigt Informationen?

– Was kosten Informationen?

– Wer bezahlt Informationen?

Im offenen Gespräch mit den Schülern werden zunächst Beiträge gesammelt, die in

Zusammenhang mit dem Begriff Information stehen. Dabei geht es zunächst um

das bereits vorhandene Wissen der Schüler. Münden kann ein solches Gespräch in

der Aufstellung von Informationsquellen und -trägern, darstellbar beispielsweise in

einer Mind Map.

Die Schüler sollen außerdem unterschiedliche Quellen kennen lernen und unter-

scheiden können. Dazu kann ihnen die Rechercheaufgabe gestellt werden, Hintergrund-

informationen zu bestimmten Quellen zu sammeln. Anhand eines Fragenkataloges

sowie der Auflistung von Vor- und Nachteilen für Produzenten und Nutzer können nun

Portraits einzelner Medien erstellt werden, die die Schüler untereinander präsentieren.

Dies ist auch sinnvoll im Hinblick auf die Bewertung gefundener Informationen und

deren Verlässlichkeit.

ERKENNTNISSE

Erkenntnisse aus der Arbeit am Unterrichtsmodell waren unter anderem: Es gibt

einen grundsätzlichen Bedarf der Schüler nach Informationskompetenz, aber auch

einen ganz praktischen durch Facharbeit und Seminarfach. Auf der anderen Seite

findet die Vermittlung von Informationskompetenz an Oberstufenschüler nicht

oder nur vereinzelt statt.

Die Motivation für die Kooperation zwischen Fachhochschule Hannover und Käthe-

Kollwitz-Schule war diese Lücke zu schließen. Warum ist eine Kooperation sinnvoll?

Bibliothekare und Informationsspezialisten besitzen Informationskompetenz. Lehrer

besitzen die pädagogische und didaktische Kompetenz, um solche Fähigkeiten zu

vermitteln. Die Hoffnung des Verfassers ist, dass die Arbeit zum Ausprobieren

animiert und die vorgeschlagenen Unterrichtseinheiten konkrete Anwendung

finden. Darüber hinaus hat die Diskussion mit Lehrern und die Arbeit an dem

Unterrichtsmodell ergeben, dass eine Professionalisierung auf beiden Seiten – also

bei Lehrern und Bibliothekaren – nötig ist. Eine Kooperation macht also Sinn.

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INFORMATIONSKOMPETENZ FÜR SCHÜLER – DER VEREIN INFOKOS UND DAS PROJEKT AN DER FACHHOCHSCHULE HANNOVER

ANDREAS KLINGENBERG

Das Projekt zur Vermittlung von Informationskompetenz an Schüler startete unter

der Leitung des Verfassers zum Wintersemester 2005/06 und hatte entsprechend

der Studienordnung eine Laufzeit von einem Jahr. Teilnehmer waren 20 Studierende

aus dem Studiengang Informationsmanagement der Fachhochschule Hannover. Das

Gymnasium Käthe-Kollwitz-Schule, Hannover, diente als Kooperationspartner

unter anderem als Praxis- und Experimentierfeld für das Projekt.

ZIELE

Die Fragestellung zu Beginn des Projektes lautete: Wie kann Schülern der Oberstufe

Informationskompetenz vermittelt werden? Die Ziele wurden in Gesprächen mit

Lehrern der Käthe-Kollwitz-Schule festgelegt. Als wichtigstes Ziel wurde vereinbart,

informationskompetente Schüler zu erreichen sowie konkrete Unterrichtseinheiten

zu entwerfen, die dieses Ziel unterstützen können. Auf der anderen Seite war klar,

dass auch die Informationskompetenz der Lehrer gestärkt werden muss. Schließlich

sollten Konzepte für das in Niedersachsen neu eingeführte Seminarfach entwickelt

werden.

ARBEITSGRUPPEN

Die Themenschwerpunkte wurden in fünf

Arbeitsgruppen umgesetzt, die im folgenden

genauer vorgestellt werden.

RECHERCHEHANDBUCHDie erste Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit

dem Erstellen eines Handbuches für Schüler zur

Hilfe bei der Recherche und zur Vermittlung

der Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens.

Das sogenannte Recherchehandbuch enthält

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ein Glossar bibliothekarischer und anderer Fachbegriffe und Einführungen in

grundlegende Recherchetechniken. Das gedruckte Handbuch wird im Unterricht der

Käthe-Kollwitz-Schule eingesetzt. Es ist auch in elektronischer Form verfügbar1.

Zu den Inhalten des Recherchehandbuches zählen unter anderem folgende

Kapitel:

– Durchführung der Recherche (darin: Vorbereitung der Recherche, Typologie von

Suchdiensten und konventionellen Medien, Aufbau einer Recherchestrategie,

Übersicht hannoverscher Bibliotheken, wichtige Kataloge für die Medienrecherche,

Operatoren, Klammerung, Phrasensuche, Platzhalter, Trunkierungsmöglichkeiten

sowie Übungen)

– Evaluation der Ergebnisse (darin: Analyse der Misserfolge bei der Recherche,

Bewertung der Ergebnisse, Quellen kritisch hinterfragen)

– Weiterverarbeitung der Ergebnisse (darin: Auswertung der gefundenen Materialien,

Anleitung zur Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten, Vorgaben der Käthe-

Kollwitz-Schule für die Facharbeit)

– Präsentationstechniken (darin: Präsentationen ansprechend gestalten, Hinweise

zu Artikulation und Körpersprache, Tipps für Präsentationen mit Power Point

und Overheadprojektoren)

– Zitiertechniken (darin: Verwendung von Zitaten in wissenschaftlichen Arbeiten,

korrektes Zitieren, Belegen der Zitate, Anlegen eines Literaturverzeichnisses,

Titelaufnahme bzw. Quellenangabe, Zitieren von Internet-Veröffentlichungen)

1 URL: http://www.infokompetenz.de/fi les/Recherchehandbuch.pdf.

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Neben den inhaltlichen Aspekten war der Arbeitsgruppe eine übersichtliche

Gestaltung wichtig, z.B. die schnelle Orientierung anhand der Symbole am

Rand. Das Monitor-Symbol dient als Erkennungszeichen für alle elektronischen

Informationsmittel, die Glühbirne als Symbol für besondere Tipps. Alle Fachbegriffe

haben einen Verweis auf das Glossar, zu erkennen an Pfeil und Kursivdruck.

SCHULUNGEN FÜR SCHÜLEREine andere Arbeitsgruppe führte Schulungen für Schüler durch. In diesen

Einführungen ging es z.B. um verschiedene Informationsquellen, die die Schüler

kennen lernen sollten. Auch die Recherche, insbesondere im Internet wurde ausführlich

thematisiert. Angesprochen wurden Vorträge, Referate und Präsentationstechniken

sowie Hausarbeiten und die Problematik von „copy & paste“, Plagiaten, Abschreiben

usw. Schließlich wurden Zitiertechniken vermittelt und der Umgang mit Textver-

arbeitungsprogrammen.

Ziel dieser Arbeitsgruppe war es, Schulungen durchzuführen und daraus übertragbare

Unterrichtskonzepte in Form einzelner Unterrichtsstunden zu entwickeln, die von

anderen nach genutzt werden können sowie Arbeitsblätter und Übungsaufgaben zu

erstellen. Bei diesen Schulungen war die Absprache mit den Lehrern sehr wichtig,

z.B. damit der thematische Bezug zum Unterricht hergestellt werden konnte oder um

Vorkenntnisse zu klären. Weiterhin wichtig bei den Schulungen war, dass zumindest

ein Drittel der Zeit für Übungen reserviert war. Es wurden vorzugsweise weniger

Inhalte vermittelt, statt dessen mehr Ausprobieren und Experimentieren der Schüler

ermöglicht.

FORTBILDUNGEN FÜR LEHREREine weitere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der anderen Seite: Auch die Lehrer

müssen ihre Informationskompetenz stärken. Und sie müssen bei der Vermittlung

von Informationskompetenz an Schüler fachlich unterstützt werden. Im Frühjahr

2006 wurden drei Fortbildungen für Lehrer mit zusammen über 80 Teilnehmern

durchgeführt. Inhalte der Fortbildungen waren z.B. plagiierte Schülerarbeiten und

gezielte Suchstrategien im Vergleich zu „trial and error“. Behandelt wurden auch die

Themen Internetsuchdienste und Webseitenbewertung.

Es gab hier schon erste Ansätze, das Projekt auszuweiten: Die Fortbildung zum

Seminarfach beispielsweise wurde regional, also über die Käthe-Kollwitz-Schule

hinaus angeboten. Mit der enormen Teilnehmerzahl von 63 Lehrern hatte das

Projektteam nicht gerechnet.

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SUCHPORTALEine vierte Arbeitsgruppe des Projektes beschäftigte sich mit der Schaffung eines

Internet-Portals2 für Schüler. Ziel war es, Schüler insbesondere in Recherchefragen zu

unterstützen. So zählen zu den Inhalten des Portals unter anderem eine elektronische

Fassung des bereits erwähnten Recherchehandbuches sowie Linksammlungen zu

einzelnen Unterrichtsfächern. Es gibt verschiedene Kategorien von Links, der

Bereich mit Hinweisen zum Erkennen von Plagiaten und Unterrichtsvorschlägen

ist Lehrern vorbehalten. Im Portal finden sich Tipps und Tricks für Schüler und

unter „Downloads“ die Übungsblätter aus den Schulungsveranstaltungen. Außerdem

kann über eine Art Forum der Austausch der Schüler über Jahrgänge und Klassen

hinweg ermöglicht werden.

Werbung spielte in der Projektarbeit eine große Rolle: Nicht nur für die Fortbildungen

mussten die Lehrer mobilisiert werden. Auch für das Suchportal wurden eigens

gestaltete Plakate in der Schule ausgehängt, die insbesondere die Schüler ansprechen

sollten. Das zusätzlich ursprünglich geplante E-Learning-Modul war mit dem Zeit-

und Personaleinsatz leider nicht mehr zu leisten.

EVALUATIONDie fünfte Arbeitsgruppe des Projektes machte sich die Evaluation des gesamten

Projektes zur Aufgabe. Die Gruppe hatte drei Ziele: Die Erfolgsmessung des

Projektes an sich mit Hilfe von Fragebögen und Interviews, die Einschätzung

der Informationskompetenz der Schüler und die Entwicklung von Tests, die zur

Selbstkontrolle aber auch als Prüfung oder Lernkontrolle von Lehrern verwendbar

sind.

2 URL: http://www.komm-in-form.info/.

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Ergebnisse der Evaluationsbemühungen sind z.B.:

– Die überwiegende Mehrheit der befragten Schüler beginnt die Informationssuche

für ein Referat im Internet.

– Nur ein Viertel der Schüler nutzt zur Vorbereitung auf einen Vortrag die

Bibliothek.

– Nur die Hälfte der Schüler hat jemals bisher ein Lexikon für den Unterricht

benutzt.

In der Praxis ist es wichtig, die Kenntnisse der Zielgruppe festzustellen, und zwar

bereits etwa eine Woche vor den Schulungen, um bei der Planung noch darauf

eingehen zu können. Der Kenntnisstand wurde dann noch einmal direkt nach den

Schulungen anhand der gleichen Tests überprüft, um zu sehen, ob die Schulungen

eine Änderung gebracht haben. Ein Beispiel: Während vor der Schulung bei fast

allen Schülern nur eine einzige Internetsuchmaschine bekannt war, konnten 60%

der Schüler nach der Schulung drei weitere nennen. Das heißt zwar noch nicht, dass

sie diese auch benutzen, aber es geht in die richtige Richtung. Grundsätzlich wäre

eine längerfristige Evaluation in diesem Bereich notwendig.

ERGEBNISSE

Es gab viel „Drumherum“ bei diesem Projekt: Dazu gehörte der Besuch des Bibliotheks-

ausschusses der Käthe-Kollwitz-Schule, die Einladung zur Gesamtkonferenz oder

der Bericht auf der schuleigenen Webseite. Auch einen Artikel in der gedruckten

Schülerzeitung hat es gegeben. Das Projektteam musste viel Werbung machen in

der Schule, z.B. mit Plakaten für die Lehrerfortbildungen oder mit dem schriftlichen

Angebot, eine Schulung im Unterricht durchzuführen.

Was hat die Arbeit gebracht? Die Studierenden sammelten während des Projektes erste

Praxiserfahrung in der Informationsvermittlung. Die Schüler der Käthe-Kollwitz-

Schule profitierten als primäre Zielgruppe von den Schulungsveranstaltungen, von

der Hilfestellung während der Erstellung der Facharbeit und von weiteren Produkten.

Darüber hinaus wurden den Lehrern mit den Fortbildungsveranstaltungen Strategien

und Anregungen zur Vermittlung von Informationskompetenz angeboten. Die Unter-

stützung durch die Studenten, also durch die angehenden Informationsspezialisten,

wurde durch die Lehrer sehr positiv aufgenommen. Der Erfolg des Projektes zeigt sich

auch darin, dass im Wintersemester 2006/07 ein Folgeprojekt gestartet ist.

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AUSBLICK: DER VEREIN INFOKOS

Eine Ausweitung der Kooperation zwischen Käthe-Kollwitz-Schule und Fachhoch-

schule Hannover ist darüber hinaus in Sicht: Im April 2006 wurde der Verein

INFOKOS e.V. – Informationskompetenz für Schüler gegründet. Der Verein soll

das Engagement einzelner Personen zusammenführen. Dazu gehören Professoren

der Hochschulen, Bibliothekare aus unterschiedlichen Bibliothekstypen, Lehrer

verschiedener Schularten und Studenten, z.B. von der Fachhochschule Hannover

aus dem Studiengang Informationsmanagement. Zu den Zielen des Vereins zählen

unter anderem informationskompetente Schüler zu erreichen, die Zusammenarbeit

von Schule und Bibliothek zu vertiefen, auszubauen oder überhaupt erste zu

schaffen. Dabei geht es ganz gezielt um die Zusammenarbeit konkreter Personen,

also einzelner Lehrer und Bibliothekare. Wichtig ist dabei die Professionalisierung

in der Vermittlung von Informationskompetenz.

Arbeitsfelder zum Erreichen dieser Ziele sind die Öffentlichkeitsarbeit, z.B. in

Form einer Webseite. Weitere Aktivitäten finden im Bereich Fortbildungen

statt, die in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Hannover, der Akademie

für Leseförderung, dem niedersächsischen Institut für Lehrerbildung und

Schulentwicklung (NiLS) oder der niedersächsischen Schulbehörde durchgeführt

werden. Zwei Lehrerfortbildungen zum Seminarfach fanden bereits statt, unter

anderem in der Technischen Informationsbibliothek (TIB), Hannover, sowie

eine Tagung unter dem Titel „Informationskompetenz im Deutschunterricht“ in

Zusammenarbeit mit dem NiLS.

Die Webseite des Vereins ist unter der Adresse http://www.infokompetenz.de

abrufbar. Hier sollen auf lange Sicht Unterrichtsmaterialien zur Vermittlung von

Informationskompetenz an Schüler angeboten und zusammengestellt werden.

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112

Weiterhin soll der Informationsaustausch im Bereich Informationskompetenz

für Schüler gefördert oder überhaupt erst ermöglicht werden. Auf der Seite

fallen an zentraler Stelle die vier Begriffe „Suchen“, „Prüfen“, „Wissen“ und

„Darstellen“ besonders ins Auge. Sie sind das Ergebnis der Beschäftigung mit

dem Begriff Informationskompetenz und auf schulische Inhalte zugeschnitten.

Sie korrespondieren mit der Definition der Informationskompetenz als Fähigkeit

einen Informationsbedarf zu erkennen/Informationen zu beschaffen/Informationen

zu bewerten/Informationen effektiv zu nutzen. Insgesamt dient die Seite dem

Bündeln von Informationen und Aktivitäten im Bereich Informationskompetenz

für Schüler. So finden sich neben Ideen für einzelne Schulfächer auch Links zu

Schulbibliotheken, Hochschulen und zu Themen wie Leseförderung als einer

Grundlage der Informationskompetenz.

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ZUM EINSATZ VON SACHBÜCHERN IN DER SEKUNDARSTUFE II (OBERSTUFE AHS)

WERNER SCHÖGGL

AUSGANGSSITUATION – SELBSTSTÄNDIGES LERNEN IN DER OBERSTUFE

Die AHS soll auf das Studium vorbereiten und zur aktiven Teilnahme am

gesellschaftlichen Diskurs befähigen.

Für beides sind hohe Lese- und Medienkompetenz unabdingbar.

Sachbücher können beim Erwerb dieser Fertigkeiten eine bedeutsame Rolle spielen.

In der Sekundarstufe II erfolgt der selbstständige Erwerb von Wissen, Fertigkeiten

und Fähigkeiten in der Regel außerhalb der Unterrichtsstunden. Die Ergebnisse

werden in Form von Referaten, Facharbeiten, Ausarbeitungen zu den Spezialgebieten

für die Matura und Fachbereichsarbeiten im Unterricht vorgestellt oder als schriftliche

Arbeiten in die Beurteilung mit einbezogen.

Abgesehen von der Begleitung bei den Fachbereichsarbeiten wird im Allgemeinen

erwartet, dass die Schülerinnen und Schüler über die für solche eigenständigen

Arbeiten erforderlichen Fertigkeiten bereits verfügen bzw. sich diese während der

Ausarbeitung selbstständig erwerben:

Motivation, Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem selbst oder von der

Lehrkraft gewählten Thema.

Klare Formulierung und Eingrenzung der Thematik und des Ziels

Auswahl der geeigneten Materialien

fortgeschrittene Lesefertigkeiten

der Zielsetzung und der Zielgruppe angemessene Verarbeitung und Aufbereitung

der Ergebnisse.

Eine beträchtliche Anzahl von Schülerinnen und Schülern beherrscht diese

Fertigkeiten auch tatsächlich und liefert ausgezeichnete Arbeiten ab – vor allem

dann, wenn sie das Thema selbst gewählt haben.

Weniger erfreulich sind die Ergebnisse bei Schülerinnen und Schülern mit unzu-

reichender Medienkompetenz – unter Medienkompetenz verstehe ich, was in der

englischsprachigen Literatur unter information literacy1 verstanden wird – oder wenn

das Thema den Schülerinnen und Schülern nicht liegt.

Sie greifen dann zum Internet, tippen bei Google ein paar Suchbegriffe ein und

1 Eine gute Übersicht mit weiteren Verweisen unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/

Informationskompetenz (3.3.2007).

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übernehmen die Inhalte eines ihnen viel versprechenden Webangebots, das sie unter

den ersten paar Treffern auswählen. Sie liefern dann eine mittelmäßige Arbeit ab

und haben damit ihren Auftrag erfüllt. Nur selten wird die Arbeit mit dem Hinweis

„reines Kopieren aus dem Internet“ negativ beurteilt.

Das Ziel der Schüler, eine positive Note zu bekommen, wurde mit dieser Strategie

und einem Minimum an Arbeitszeit und geistiger Leistung erreicht – sie wird

dann bei weiteren Aufgabenstellungen erneut eingesetzt. Das rasche Auffinden

von brauchbaren Informationen wird damit vielleicht sogar perfektioniert. Dieser

Nebeneffekt mag ein wenig über den grundsätzlichen Mangel hinwegtäuschen.

Befriedigen können solche Ergebnisse natürlich keinesfalls.

Was dabei nämlich nicht- oder in zu geringem Ausmaß - gelernt wird, ist:

Aktive Auseinandersetzung mit – längeren – Texten.

Auseinandersetzung mit verschiedenen Standpunkten.

Herausarbeiten des eigenen Standpunkts.

Und: die emotionale Beteiligung, ein ganz entscheidendes Merkmal bei der

Generierung von Wissen.

Hier kommen Sachbücher ins Spiel:

Beim Erwerb und der Verfeinerung von fortgeschrittener Lese- bzw. Medienkompetenz

und bei der aktiven, von Emotionen begleiteten, Auseinandersetzung mit

verschiedensten Themen sind Sachbücher eine äußerst brauchbare Hilfe.

WARUM EIGNEN SICH SACHBÜCHER BEIM ERWERB VON MEDIENKOMPETENZ IN DER OBERSTUFE

Auf Grund ihrer Eigenschaften können Sachbücher in diesem Zusammenhang eine

große Hilfe sein: Sachbücher gehen vielfach von allgemein anerkannten Wahrheiten

aus und versuchen diese entweder zu widerlegen oder lassen sie in einem neuen

Licht erscheinen. Dieser Ansatz ist besonders für Jugendliche anziehend, weil damit

Hoffnung gemacht wird: Auch ich kann noch einiges ändern in dieser Welt, die

etablierte Schicht weiß nicht alles. Es wird also eine Überlegenheit versprochen:

Wenn ich bestimmte Dinge weiß, dann bin ich mächtiger als andere (daher muss ich

dieses Buch lesen). Diese Überlegenheit wird durch neues Wissen erlangt – daher

sind Fakten wichtig, und ebenso wichtig ist die Interpretation von Fakten durch

die Autorinnen und Autoren. Es wird ein Problem thematisiert, dem alle hilflos

gegenüber stehen: die Autorin/der Autor verspricht Hilfe – man braucht nur ein

paar Dinge zu wissen – und diese Dinge stehen in ihrem/seinem Buch.

Sachbücher reden von der wirklichen Welt – und zwar direkt, nicht auf die Umwege

über die literarische Betrachtungsweise, den Filter einer Romanfigur. Gleichwohl

gibt es Verweise auf große Schriftsteller, Zitate aus Romanen, Dramen, Lyrik-

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Einsprengsel, mit denen die Autoren ihre Argumente stützen oder veranschaulichen

– damit können Sachbücher auch als Brücke zur großen Literatur genutzt werden

(und der Jugendliche kann sich mit Wissen aus der Weltliteratur schmücken).

Schließlich werden die Argumente der Sachbuchautoren in Film, Funk, Fernsehen,

Internet thematisiert. Somit eignen sie sich besonders auch als Impulsgeber bei der

multimedialen Behandlung von Themenbereichen.

Die Behandlung von Sachbüchern im Unterricht, was auch bedeutet, dass

Lesestrategien bewusst gemacht und geübt werden, hat zur Folge, dass auch

die Internet-Ressourcen besser verstanden werden: Mit einer allgemein hohen

Lesefertigkeit können sich Schülerinnen und Schüler auch schwierige Texte zu

eigen machen.

Denn Sachbücher kommen nicht immer volksnah und für jedermann verständlich

daher. Wir sollten uns im Laufe unseres Lebens mit Themen auseinander

setzen, von denen wir in der Schule nicht wussten, dass diese einmal wichtig sein

werden. Es bereitet z.B. vermutlich kein besonderes Lesevergnügen, das aktuelle

Regierungsprogramm zu lesen. Wenn wir aber wissen wollen, was tatsächlich dahinter

steckt, müssen wir uns darum bemühen und dabei eine Vielfalt an Lesetechniken

einsetzen. Gute Leserinnen und Leser werden damit keine Schwierigkeiten haben,

denn sie verfügen über die erforderlichen Lesetechniken (Veranschaulichung mittels

Mindmap, Textsortenwissen aktivieren, Vorwissen aktivieren, Wissenslücken füllen,

Markieren, Notizen machen). Jugendliche haben aber infolge der geringeren Anzahl

an Erfahrungen von vornherein weniger Möglichkeiten, Vorwissen zu aktivieren

und Fakten zu vernetzen. Sie werden daher mehr Zeit für das Füllen von Lücken

aufwenden müssen – und auch Textsortenwissen könnte ihnen fehlen. Daher sollten

sie angeleitet werden unterschiedlichste Textsorten zu behandeln – und zwar nicht

nur exemplarisch in Auszügen. Zudem enthalten viele der neueren Sachbücher

unterschiedliche Textsorten: Sachbeschreibungen, Tabellen, Diagramme, Dialoge,

biografische Notizen, aber auch fiktive Erzählungen und erfundene Dialoge.

Die deutsche Sachbuchforschung, ein Forschungsprojekt der Humboldt Universität

(http://www.sachbuchforschung.de2), begreift das Sachbuch als eigene Gattung.

Mit Aufsätzen, Veranstaltungen und der neuen Zeitschrift Non fiktion, Arsenal der

anderen Gattungen (www.non-fiktion.de3) untersucht sie Geschichte und Wirkung

2 Sachbuchforschung. Das populäre deutschsprachige Sachbuch im 20. Jahrhundert

(1918 – 2000). Geschichte, Th eorie und Praxis einer literarischen Gattung.

Ein Forschungsprojekt der Humboldt-Universität Berlin/Universität Hildesheim,

URL: http://www.sachbuchforschung.de/index.html (3.3.2007).

3 Non Fiktion. Arsenal der anderen Gattungen, 1 (2006) 1, zum Th ema „Die Popularität

des Sachbuchs.“

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des deutschsprachigen Sachbuchs. Demzufolge wäre die Befassung mit dem

Sachbuch als eigene Gattung Aufgabe des Deutschunterrichts.

Allerdings: Sachbücher vermitteln Wissen und Ideen in vielen Themenbereichen

in relativ leicht lesbarer Form, sie eignen sich daher ganz besonders für

fächerübergreifenden Unterricht. Ein Beispiel von vielen sei hier kurz genannt:

Michael Frayn: Kopenhagen. Stück in zwei Akten über Heisenbergs umstrittene

Rolle beim deutschen Atomprojekt. Göttingen ³2003.

„Das Schauspiel erweckt Neugier nach mehr Hintergrundinformation, und das

Buch befriedigt sie durch eine gelungene Auswahl von Kommentaren namhafter

Wissenschaftshistoriker, die zudem einen guten Eindruck von den Möglichkeiten

und Grenzen der (Wissenschafts-) Geschichtsschreibung vermitteln. Zusammen

mit dem umfangreichen Nachwort des Autors – ursprünglich für die amerikanische

Buchfassung geschrieben – und einer Auswahlbibliografie ist der Kommentarteil

mehr als doppelt so lang wie der Text des Stücks!“ (Aus der Rezension in Spektrum

der Wissenschaft (online verfügbar bei amazon.de)

Dazu bieten sich dann zusätzlich an:

Paul L. Rose: Heisenberg und das Atombombenprojekt der Nazis. Zürich 2001.

Ernst Peter Fischer: Werner Heisenberg: Das selbstvergessene Genie. München

2001.

WIE KÖNNEN SCHULBIBLIOTHEKEN DEN EINSATZ VON SACHBÜCHERN IN DER OBERSTUFE UNTERSTÜTZEN

Im Grunde ist alles, was für Lesemotivation in Zusammenhang mit fiktionalen

Texten geschieht, auch auf Sachbücher übertragbar. Schulbibliothekare sollen dem

Bestand ihrer Sachbücher besonderes Augenmerk widmen und die Attraktivität ihres

Angebots mit den Kollegen und Schülern besprechen. Sie sollten ihr Angebot breiter

bekannt machen, und zwar durch das Aufstellen nach für Jugendliche interessanten

Themen, durch regelmäßiges Ausstellen von Sachbüchern zu aktuellen Themen

(Was ist gerade los? Was ist in den nächsten Wochen los? An der eigenen Schule oder in

den Medien.), durch Unterrichtsempfehlungen für Kollegen u.ä. Veranstaltungen

zu Sachbüchern mit Sachbuchautoren bzw. Experten zu bestimmten Themen sind

anzuregen oder selbst zu organisieren.

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DIE AKADEMIE FÜR LESEFÖRDERUNG DER STIFTUNG LESEN:AUFBAU VON REGIONALEN LESENETZWERKEN IN NIEDERSACHSEN

ANKE MÄRK-BÜRMANN

Die Akademie für Leseförderung der Stiftung Lesen an der Gottfried Wilhelm

Leibniz Bibliothek in Hannover wurde am 26. Februar 2004 als Einrichtung des

Kultusministeriums, des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der Stiftung

Lesen mit dem Ziel gegründet, die regionalen Voraussetzungen für die Förderung

der Lesekompetenz und Lesefreude von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen

systematisch, nachhaltig und flächendeckend zu verbessern. Der zwischen der

Stiftung Lesen und dem Land Niedersachsen geschlossene Kooperationsvertrag

über die Einrichtung der Akademie ist zunächst auf 3 ½ Jahre begrenzt.

Die Akademie hat drei Aufgabenschwerpunkte:

1. die Durchführung von Veranstaltungen zur Fortbildung und Information von

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Bereich der Leseförderung (Eltern,

Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Bibliothekarinnen und

Bibliothekare, Leselernhelferinnen und Leselernhelfer, Vorlesepatinnen und

Vorlesepaten usw.),

2. die Einrichtung eines Internetportals zur Leseförderung, in dem

unter anderem gelungene Projekte zur Leseförderung dokumentiert werden

(www.akademiefuerlesefoerderung.de), sowie

3. der Aufbau und die Betreuung von regionalen Lesenetzwerken in ganz

Niedersachsen.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben sind drei Mitarbeiterinnen mit unterschiedlichen

Schwerpunkten an der Akademie tätig:

1. weiterführende Schulen (Sek. I und II), Vermittlung von Erkenntnissen der

Leseforschung, Leseevents

2. Grundschulen, Förderschulen, Fortbildung von Leselernhelferinnen und

Leselernhelfern (Lesementorinnen und Lesementoren)

3. Zusammenarbeit Kindertagesstätte, Schule und Bibliothek, Fortbildung von

Vorlesepatinnen und Vorlesepaten

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FORTBILDUNG UND INFORMATION VON MULTIPLIKATORINNEN UND MULTIPLIKATOREN

Es werden regelmäßig Veranstaltungen am Ort der Akademie, in der Gottfried

Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover, angeboten. Darüber hinaus können

Einrichtungen zur Leseförderung die Mitarbeiter zu bestimmten Themen zu sich

einladen, wobei nur die Fahrtkosten zu tragen sind. Mit diesen „Abrufangeboten“ wird

eine möglichst flächendeckende Versorgung in ganz Niedersachsen gewährleistet.

Besondere Perspektiven ermöglichen die Angebote der Akademie, die sich

an mehrere Berufsgruppen gemeinsam richten und dadurch die Chance des

Erfahrungsaustausches, der gegenseitigen Information sowie zukünftigen

Kooperation bieten. So lernen beispielsweise Lehrkräfte mehr von den vielfältigen

Angeboten der Bibliotheken zur Leseförderung kennen. Bibliothekarinnen und

Bibliothekare gewinnen einen besseren Einblick in den schulischen Arbeitsalltag und

können somit effektivere Strategien in der Kooperation mit diesen Einrichtungen

entwickeln.

Ein erheblicher Teil der Angebote der Akademie richtet sich an Ehrenamtliche,

die in der Leseförderung tätig sind: Leselernhelferinnen und Leselernhelfer, die

Kinder im Leselernprozess unterstützen, sowie Vorlesepatinnen und Vorlesepaten,

die Kindern regelmäßig in Kindergärten, Schulen oder Bibliotheken vorlesen.

Systematisch aufeinander aufbauende Module legen bei dieser Zielgruppe die Basis

für eine qualifizierte Grundausbildung. Die Fortbildungen für Vorlesepatinnen und

Vorlesepaten beispielsweise umfassen folgende Themen: Bedeutung des Vorlesens für

die Entwicklung einer Lesekarriere, Planung und Durchführung einer Vorlesestunde,

Vorlesetechnik sowie Vorstellung aktueller Bilder- und Kinderbücher.

Ein weiteres Ziel der Veranstaltungen besteht in einer umfassenderen Verbreitung

der Erkenntnisse der Leseforschung für die in der praktischen Leseförderung tätigen

Berufsgruppen. In Kooperation mit der Universität Hannover wurde beispielsweise

eine Ringvorlesung unter dem Thema „Lesen in der Mediengesellschaft“ angeboten,

im Rahmen derer namhafte in der Leseforschung tätige Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftler Vorträge gehalten haben.

INTERNETPORTAL ZUR LESEFÖRDERUNG

Das Internetportal www.akademiefuerlesefoerderung.de informiert über die

Einrichtung und Arbeit der Akademie, über Veranstaltungs- und Fortbildungs-

angebote, gelungene Projekte zur Leseförderung sowie bereits vorhandene regionale

Lesenetzwerke.

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Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit einer weiteren Begleitung der Teil-

nehmerinnen und Teilnehmer von Fortbildungsveranstaltungen, die in der nach

Zielgruppen geordneten Materialiensammlung vertiefende und aktuelle Hinweise

finden. Es werden dort beispielsweise Literaturlisten und Power-Point-Vorträge

von Veranstaltungen hinterlegt, die die Möglichkeit bieten, die entsprechenden

Veranstaltungen nachzuarbeiten.

Zusätzlich soll das Internetportal noch stärker als Kommunikationsplattform für alle

in Niedersachsen an der Leseförderung beteiligten Einrichtungen genutzt werden.

Es wird angestrebt, zukünftige Entwicklungen in Abstimmung mit anderen Portalen

zur Leseförderung (www.lesenindeutschland.de, www.schulmediothek.de usw.) im

Sinne einer deutlicheren Schwerpunktsetzung durchzuführen.

REGIONALE LESENETZWERKE

Unter einem Lesenetzwerk versteht die Akademie den Zusammenschluss von

mindestens drei Partnern, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam Projekte zur

Leseförderung planen und durchführen. Ein Lesenetzwerk sollte eine Einrichtung

bzw. eine Person als regionale Kontaktstelle bzw. Ansprechpartner festlegen.

Die Einrichtung von regionalen Lesenetzwerken unterstützt die Forderung,

dass Leseförderung vor Ort nur gelingen kann, wenn die Einrichtungen, die

eine Leserbiographie beeinflussen, möglichst eng miteinander kooperieren:

Elternhaus, Kindergarten, Schule und Bibliothek. Nur der regelmäßige Austausch

von Informationen und die gemeinsame Planung von Aktivitäten sichert auf

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Dauer eine systematische und nachhaltige Wirkung der gewählten Maßnahmen

sowie eine verbesserte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Die Mitarbeiter der

Akademie informieren in ihren Veranstaltungen über die Idee der Einrichtung eines

Lesenetzwerks. So sind seit Gründung viele neue Lesenetzwerke entstanden, zusätzlich

Vorleseinitiativen und Mentorengruppen. Die Akademie unterstützt und begleitet

die entstandenen Netzwerke mit Informations- und Fortbildungsveranstaltungen

vor Ort. Sie werden außerdem im Internetportal erfasst. Ein Erfahrungsaustausch

der einzelnen regionalen Kontaktstellen soll in Zukunft initiiert werden. Die

bereits gegründeten Lesenetzwerke weisen sehr individuelle Strukturen auf, die

den jeweiligen Bedingungen vor Ort Rechnung tragen.

Exemplarisch sollen hier einzelne vorgestellt werden.

Lesenetzwerk Hannover (520.000 EW) als Beispiel für eine Großstadtinitiative

Das Lesenetzwerk Hannover wurde auf Anregung der Direktorin der Stadtbibliothek

Hannover, Frau Dr. Carola Schelle-Wolff, im Mai 2004 gegründet. Gemeinsame

Aktionen wie die „Hannoverschen Lesefeste“ (2005 auf einem zentralen Platz in

der Innenstadt, 2006 im Zoo, 2007 in einer Straßenbahn) sollen in Zukunft durch

ein nachhaltiges Gesamtkonzept für die Region Hannover ergänzt werden. Es wird

angestrebt, ein Projekt zur frühkindlichen Leseförderung nach dem englischen

Vorbild des „Bookstart“ durchzuführen.

z erLesenetzwerk Hannover (520.000 EW)

Mentor – die Leselernhelfer e.V.

Regionale Kontaktstelle:Stadtbibliothek Hannover

Börsenverein des Deutschen Buchhandels-Landesverband Niedersachsen

3 Buchhandlungen

Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW

Alice-Salomon-Schule

Akademie für Leseförderung

Friedrich-Bödecker-Kreis e.V. Evangelische Buch- und Büchereiarbeit

Freiwilligenzentrum

Arbeiterwohlfahrt

Fachbereich Bildung und Qualifizierung

Berater fürSchulbibliotheksarbeit

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Lesenetzwerk Lüneburg (68.000 EW) als Beispiel für eine Mittelstadtinitiative

Das Lesenetzwerk Lüneburg (www.netzwerk-lesefoerderung.de) existiert seit Mai

2006. Es ist eine Gründung, die auf die Initiative von Frau Prof. Dr. Christine Garbe,

Professorin für Literaturwissenschaften und Literaturdidaktik an der Universität

Lüneburg, zurückgeht. Die für Lüneburg anvisierten Ziele sind der Aufbau einer

Internetplattform für das Lesenetzwerk Lüneburg (www.netzwerk-lesefoerderung.de),

die Verbesserung der Zusammenarbeit in der Leseförderung zwischen Kindergarten

und Grundschule, die Unterstützung der Leseförderung in der Grundschule durch

den Verein Mentor e.V., die Förderung der Lesekompetenz von Risikoschülerinnen

und -schülern der Sek. I, die systematische Verbesserung der Aus- und Weiterbildung

in Sachen Lesekompetenz bei Lehrkräften, die konzertierte Leseförderung durch

Bibliotheken, Buchhandlungen und weitere Einrichtungen, die Durchführung

eines Leseevents „Lüneburg liest!“ mit Hilfe von Studierenden der Universität

Lüneburg sowie Leseförderungsaktivitäten im Rahmen der Jugend(sozial)arbeit.

Ein besonderes Kennzeichen für das Lesenetzwerk Lüneburg ist die Vernetzung von

Leseforschung und praktischer Leseförderung. Netzwerkpartner sind unter anderem

die Universität Lüneburg, der Verein „MENTOR – Die Leselernhelfer Lüneburg

e.V.“, die Ratsbücherei sowie der Freundeskreis der Ratsbücherei Lüneburg e.V.

Lesenetzwerk Rehburg-Loccum (10.000 EW) als Beispiel für eine Initiative in einer

ländlichen Region

Dieses Lesenetzwerk wurde Ende 2005/Anfang 2006 ins Leben gerufen. Die

Entstehung wurde maßgeblich durch das Engagement der Leiterin des Kindergartens

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Littlefoot, Frau Karin Busse, und die Frauenbeauftragte der Gemeinde, Frau Judith

Weber, beeinflusst. Es werden verschiedene Vorleseveranstaltungen angeboten,

Aktionen zum Welttag des Buches sowie Vorträge über Legasthenie. Beteiligt

sind Kindergärten und Grundschulen mit ihren jeweiligen Fördervereinen und die

ehrenamtlich geleiteten evangelischen Büchereien.

Projekte und Ideen zur Zusammenarbeit in Lesenetzwerken

Zusätzlich zu Großveranstaltungen, bei denen alle Partner eines Lesenetzwerks

beteiligt sind, können sich durch die enge Zusammenarbeit in einem Lesenetzwerk

Projekte zwischen den einzelnen Einrichtungen entwickeln, von denen hier einzelne

beispielhaft erwähnt werden sollen. Die vorgestellten eignen sich insbesondere für

die Kooperation von Schulen mit Bibliotheken.

Elternabend in der Bibliothek

Ein Elternabend zur Leseförderung wird von der Schule in die öffentliche Bibliothek

als einem besonders attraktiven, zum Lesen anregenden Raum verlagert. Im

Rahmen eines handlungsorientierten Konzepts beschäftigen sich die Eltern mit

den Leseinteressen ihrer Kinder, werden durch die Bibliothek geführt, besonders

auf deren Veranstaltungs- und Medienangebote für Kinder im Grundschulalter

hingewiesen und tauschen Tipps zur Leseförderung in der Familie aus.1

Die dargestellten Beispiele könnten durch zahlreiche weitere ergänzt werden. Ein

Lesenetzwerk bietet eine solide Basis zur Umsetzung dieser überaus kreativen

und vielfältigen Ideen zur Verbesserung der Lesemotivation. Die Akademie für

Leseförderung übernimmt dabei die wichtige Aufgabe, die Lesenetzwerke bei

der Implementierung dieser Ideen zu unterstützen und somit zu deren Stabilität

beizutragen.

Visionen „Leseland Niedersachsen“

Eine systematische Aus- und Fortbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

in der Leseförderung, eine selbstverständliche und kontinuierliche Kooperation

zwischen Elternhaus, Kindertagesstätten, Schulen und Bibliotheken sowie ein

flächendeckendes Netz von Lesenetzwerken sind Visionen für die zukünftige

Gestaltung des „Leselands Niedersachsen“. Die Akademie für Leseförderung setzt

sich intensiv dafür ein, dass diese Visionen in naher Zukunft Realität werden.

1 Siehe dazu Michael Diekmann, Svenja Henatsch, Anke Märk-Bürmann: Elternabend

in der Bibliothek. In: BuB, 58 (2006) 9, 636–638.

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Celler Lese-Experten

Das auf die Initiative der Bibliotheksgesellschaft Celle e.V. zurückgehende Projekt

zur Zusammenarbeit zwischen Schulen und Öffentlichen Bibliotheken konnte 2006

ca. 1500 Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen des Landkreises Celle

als Leseexpertinnen und Leseexperten (www.lese-experten.de) gewinnen. Diese

hatten die Aufgabe, sich aus einem Paket von 15 Kinder- und Jugendbüchern eine

bestimmte Anzahl auszuleihen, zu lesen und dazu Buchbesprechungen anzufertigen.

Als Belohnung wurden Buchpreise, Autorenlesungen und Veröffentlichungen der

Buchbesprechungen in der örtlichen Presse in Aussicht gestellt.

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BIBLIOTHEKEN UND GESELLSCHAFT

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PROVENIENZFORSCHUNG AN DER UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK WIEN – EIN ZWISCHENBERICHT

STEFAN ALKER, CHRISTINA KÖSTNER, MARKUS STUMPF

DAS PROJEKT PROVENIENZFORSCHUNG AN DER UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK WIEN

Anstoß zur aktuellen Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek (UB) Wien

gaben Hinweise auf bedenkliche Bestände in der Bibliothek und das allgemeine

Interesse an dieser Aufarbeitung. Erste Hinweise auf konkrete Bestände gaben

drei bibliothekarische Hausarbeiten1 an der UB Wien, aus denen jedoch keine

Konsequenzen gezogen wurden. Erst Evelyn Adunka mit ihren Ergebnissen zur

„Sammlung Tanzenberg“2 stieß auf Resonanz und schärfte das Problembewusstsein

an der UB Wien. Peter Malina, der ehemalige Leiter der Fachbibliothek für

Zeitgeschichte, konnte 2004 das Provenienzforschungsprojekt an der Hauptbibliothek

beginnen und gewann ein Projektteam des Universitätslehrganges „Library and

Information Studies“ für Forschungen zu den Anfang der 1950er Jahre von der

Büchersortierungsstelle übernommenen, in den 1960er Jahren einsignierten und mit

„Sammlung Tanzenberg 1951“ bezeichneten Beständen der Hauptbibliothek.3

In der Folge ging man daran, die Eingänge aus den Jahren 1938–1945 der Haupt-

bibliothek systematisch und durchgängig auf Vorbesitzervermerke zu untersuchen

1 Maria Aldouri-Lauber: Die Fachbibliothek für Romanistik. Retro-Perspektive einer

wissenschaftlichen Institution. Bibliothekarische Hausarbeit. Wien 1988; Erika Neu-

ber: Die Fachbibliothek für Völkerkunde. Entstehungsgeschichte, Bestand und Verwal-

tung. Bibliothekarische Hausarbeit. Wien 1988; Susanne Wicha: Die Fachbibliothek

für Volkskunde. Ein Beitrag zur Geschichte und Entwicklung eines Außenbereichs

der Universitätsbibliothek Wien sowie zur Disziplin Volkskunde. [Bibliothekarische

Hausarbeit] Wien 1994.

2 Evelyn Adunka: Der Raub der Bücher. Plünderung in der NS-Zeit und Restitution

nach 1945. Wien 2002, 143–148.

3 Vgl. die Website des Projekts: http://www.ub.univie.ac.at/tanzenberg/; Karin Lach: Der

historische Hintergrund zur „Sammlung Tanzenberg“ an der Universitätsbibliothek

Wien, URL: http://www.ub.univie.ac.at/tanzenberg/downloads/Historischer_Hinter-

grund.pdf (15.1.2007); Angelika Zdiarsky: Stempelspuren in der NS-Vergangenheit.

Die „Sammlung Tanzenberg 1951“ an der Universitätsbibliothek Wien. In: Mitteilun-

gen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich, (2006) 1, 19–26.

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und diese zu dokumentieren. Diese Arbeit ist im Kern abgeschlossen, erste Ergebnisse

über Teilbestände liegen bereits vor.4

Im Frühjahr 2006 wurde das Projekt Provenienzforschung auch auf den dezentralen

Bereich der UB, das heißt auf die Fachbereichs- und Institutsbibliotheken, erweitert.

Ein eigenes Team (bestehend aus den Autoren des vorliegenden Zwischenberichts)

übernahm die aus organisatorischen und historischen Gründen anders gelagerte

Untersuchung der an vielen Standorten angesiedelten einzelnen Bibliotheken,

betreut die Website des Projekts5, organisiert die geplante Tagung im Frühjahr

20086 und koordiniert das Gesamtprojekt.

Im Gegensatz zur Österreichischen Nationalbibliothek fallen die Bestände der

UB Wien nur teilweise unter das Kunstrückgabegesetz, denn einerseits werden

die Universitäten nicht vom Bundesmuseengesetz geregelt und andererseits

sind sie mit dem UG 2002 nicht mehr direkt dem Unterrichtsministerium als

Bundeseinrichtung unterstellt. Im UG 2002 wird geregelt, dass „die Bestände der

Universitätsbibliotheken, die aus geschichtlichem, künstlerischem und sonstigem

kulturellen oder wissenschaftlichen Zusammenhang ein Ganzes bilden, im

Eigentum des Bundes“ verbleiben.7 Für die UB Wien wurde diesbezüglich die

Grenze für Bestände, die im Bundesbesitz verbleiben, mit dem Erscheinungsjahr

bis 1800 festgelegt, während jene mit späterem Erscheinungsjahr ins Eigentum der

Universität Wien übergehen. Aus dieser Grenze, also der Jahreszahl 1800, ergibt sich

daher auch die jeweilige Zuständigkeit. Bei Bundeseigentum ist selbstverständlich

entsprechend dem Kunstrückgabegesetz vorzugehen, d.h. es werden der Kommission

für Provenienzforschung Dossiers vorgelegt, die in weiterer Folge die Restitution an

die Erben oder die Abgabe an den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer

des Nationalsozialismus empfiehlt.

Bei Beständen im Eigentum der Universität Wien wird grundsätzlich analog zum

Kunstrückgabegesetz verfahren, d.h. das Projektteam übergibt zunächst der UB-

Direktion Dossiers über nachgewiesen restitutionswürdige Erwerbungen sowie

über bedenkliche Erwerbungen, bei denen die Aktenlage trotz eines begründeten

Verdachts nicht ausreichend Information über den Erwerbungsvorgang liefert, und

in weiterer Folge der Kommission für Provenienzforschung. Auch die Aufgabe der

Erbensuche liegt beim Projektteam. Um eine Regelung für die als erblos bezeichneten

Bücher, also jene, bei denen zwar die bedenkliche Quelle, nicht aber der Vorbesitzer

4 Vgl. Peter Malina: Die Gestapo als Bücherlieferant. Vorläufi ge Ergebnisse der Proveni-

enzforschung an der Universitätsbibliothek Wien. In: Mitteilungen der Gesellschaft für

Buchforschung in Österreich, (2006) 2, 30–41.

5 URL: http://www.ub.univie.ac.at/provenienzforschung/.

6 URL: http://www.ub.univie.ac.at/provenienzforschung/tagung_2008.html.

7 Aus: BGBl. I Nr. 120/2002, §139, Abs. 4.

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festgestellt wurde, zu treffen, trat die Bibliotheksleitung an den Nationalfonds8 heran,

der die entsprechenden Bestände der UB Wien analog zu anderen Fällen in seinem

Aufgabenbereich abwickeln wird.

Die UB Wien ist die erste Universitätsbibliothek in Österreich, die sich umfassend

mit unrechtmäßigen Beständen beschäftigt und die Geschichte der eigenen

Institution in der NS-Zeit gründlich aufarbeiten läßt. Ziel ist die Lokalisierung

und Klärung unrechtmäßiger Bestände und deren Restitution, aber auch die aktive

Auseinandersetzung mit dem Thema.

FACHBEREICHS- UND INSTITUTSBIBLIOTHEKEN

Die heutige Struktur der UB Wien ist historisch gewachsen. Während der NS-Zeit

entsprach die UB der heutigen Hauptbibliothek, die Fachbibliotheken lagen im

Verwaltungsbereich der einzelnen Institute bzw. Seminare, die bibliothekarische

Arbeit wurde meist von Assistenten oder bibliothekarischen Hilfskräften erledigt.

Erst mit dem UOG 1975 gingen erste Institutsbibliotheken in die Verwaltung

der UB über und im Herbst 2006 gibt es noch zehn, die von Institutsmitarbeitern

betreut werden. Die Bücher stehen aber alle im Besitz der UB und daher werden

alle Buchbestände durchgesehen.

An der Universität Wien gibt es dzt. 50 Fachbereichs- und Institutsbibliotheken,

von denen nur wenige von vornherein aus einer näheren Untersuchung ausscheiden,

weil sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden und keine Altbestände

übernommen haben.9 Prinzipiell kann festgehalten werden, dass jede Bibliothek ihr

eigenes System, anders geführte Inventarbücher, eine andere Aufstellung etc. hat. Das

bedeutet ein immer neues Einstellen auf die Situation und fortgesetztes Anpassen

der Methoden an die jeweilige Lage. Die Palette reicht von ausführlich geführten

Inventarbüchern und Aufstellungen im Numerus Currens bis zu nach vielen kleinen

Sachgruppen aufgestellten Bibliotheken, wo sich keinerlei historische Unterlagen

erhalten haben und nur eine Generalautopsie der Bücher ein Ergebnis bringt.

Den ersten Schritt der Untersuchung bildete ein Besuch in der jeweiligen Bibliothek

zur Erfassung von grundlegenden Daten und zur Einschätzung des Recherchebedarfs.

Es erleichtert die Arbeit, wenn in den Inventarbüchern neben den Provenienzen

Erwerbungsart und Eingangsdatum angeführt sind und wenn neben Autor und Titel

auch das Erscheinungsjahr angegeben ist. Andere Unterlagen zu den Erwerbungen

sind in den seltensten Fällen erhalten geblieben, nur manchmal finden sich Hinweise

8 URL: http://www.de.nationalfonds.org/.

9 Das gilt für folgende Bibliotheken: Institutsbibliothek für Genderforschung, Instituts-

bibliothek für LehrerInnenbildung, Bibliothek des Kurt Gödel Research Centers für

Mathematische Logik und Institutsbibliothek für Vergleichende Literaturwissenschaft.

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auf Erwerbungen in Institutskorrespondenzen und anderen Archivmaterialien. Um

die Entwicklung der einzelnen Bibliotheken besser nachvollziehen zu können und

handelnde Personen bzw. den Aufbau der Institute zu kennen, werden darüber hinaus

Institutsgeschichten und Jahresberichte herangezogen sowie Zeitzeugen befragt.

Mit Ende 2006 konnte die Ersterfassung abgeschlossen werden. In siebzehn

Bibliotheken ist auch die Autopsie bereits abgeschlossen und es sind etwa 20.000

Bände auf Vorbesitzervermerke, also handschriftliche Eintragungen, Stempel oder

Exlibris durchgesehen. Nach der Durchsicht aller in Frage kommenden Bibliotheken

beginnt mit den dabei gewonnenen Daten die eigentliche Provenienzforschung,

also die Recherche in Archiven und anderen Quellen nach den Personen und

Institutionen. Denn es hat sich gezeigt, dass sich erst mit der Durchsicht mehrerer

Bibliotheken Zusammenhänge und Parallelen erkennen lassen.10

Im Zuge dieser Forschungen entsteht ein Bild sehr inhomogener Geschichten.

Einige Institute und damit ihre Bibliotheken wie jene der Zeitungswissenschaft

(heute: Publizistik- und Kommunikationswissenschaft) oder der Theaterwissenschaft

(heute: Theater-, Film- und Medienwissenschaft) wurden am Beginn der 1940er

Jahre gegründet und vom NS-Staat massiv unterstützt. In anderen, wie etwa in

der Astronomie, herrschte weitgehend Stillstand, der erst nach dem Krieg wieder

beendet wurde. Die Entwicklung der einzelnen Wissenschaften wirkte sich oft sehr

stark auf die Bücherbestände aus. So sind die Bücher, die während der NS-Zeit am

Orientalischen Institut waren, heute auf fünf verschiedene Bibliotheken verteilt. Sie

fanden sich außer an der heutigen Bibliothek für Orientalistik an den Bibliotheken

für Byzantinistik, Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde, Judaistik, Japanologie

und Sinologie. Auch andere Bibliotheken sind durch ihre Entwicklung sehr eng

miteinander verbunden.

Die eben erwähnte Orientalistik ist auch auf Grund der dort betriebenen Erwerbungs-

politik interessant. 1933/34 und dann von 1936 bis 1945 leitete Viktor Christian

(1885–1963) das Orientalische Institut. Ab 1933 Mitglied der NSDAP, hatte er viele

Verbindungen zu hohen Funktionären im NS-Staat bzw. zur NSDAP und nutzte

diese, um aus diversen Bibliotheken Bücher an sein Institut zu bringen. Unter dem

Titel „Leihgabe Ahnenerbe“ wurde nicht nur ein Teil der sehr wertvollen Bibliothek

von Ludwig Feuchtwanger (1885–1947), dem Bruder des Schriftstellers Lion

Feuchtwanger (1884–1958), nach Wien gebracht, sondern auch Bibliotheksbestände

des damals bekannten jüdischen Gelehrten Samuel Krauss (1866–1949). Außerdem

kamen Bücher aus den drei großen jüdischen Gemeinden des Burgenlandes (Kittsee,

Lackenbach und Frauenkirchen) ans Institut.11 Alle diese Bücher wurden nicht

einsigniert, sondern nur mit einem Etikett gekennzeichnet und separat aufgestellt.

Das erklärt, warum trotz einiger Restitutionen in der Nachkriegszeit noch zu Beginn

10 Vgl. den Fall der französischen Bücher bei den Fallbeispielen.

11 Institut für Orientalistik, Mappe Ahnenerbe.

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der 1990er Jahre etwa 400 unbearbeitete Bücher in einem Schrank extra aufbewahrt

wurden. Beim Umzug vom Neuen Institutsgebäude der Universität Wien auf den

Campus im Alten AKH wurde diese „Last“ zurückgelassen. Nur unter den Dubletten

der Bibliothek fand sich durch Zufall ein einziges Buch aus diesem Bestand.12

FALLBEISPIELE

Französische Bücher von der Gestapo

Ein besonders interessanter Fall sind jene französischen Bücher, die die

Universitätsbibliothek im Juni 1942 an diverse Institute verteilte. Erst die Durchsicht

mehrerer Inventarbücher zeigte, dass immer im selben Monat französische Bücher

aus der UB an die Institute kamen. Da diese Bücher durch keinen Besitzervermerk

gekennzeichnet sind, konnte dieser Umstand zunächst nicht erklärt werden.

Die Universitätsbibliothek hatte 1942 eine große Anzahl französischsprachiger

Bücher von der Gestapo erhalten. Knapp 1.000 Bände wurden in der heutigen

Hauptbibliothek einsigniert und mit „1942 d.d. Polizeileitstelle“ gekennzeichnet,

andere wurden weitergegeben.13 Die Herkunft dieser Bücher, die alle verlagsneu

scheinen, im Zeitraum zwischen 1920 und 1941 erschienen sind und keinerlei

Eintragungen aufweisen, ist unklar. Fest steht aber schon heute, dass es sich um

einen der größten bedenklichen Buchbestände im Bereich der UB handelt.

Österreichische Pressekammer

An der Fachbereichsbibliothek für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,

die aus der Bibliothek des 1938 mit Unterstützung des Propagandaministeriums

gegründeten und 1942 eröffneten Instituts für Zeitungswissenschaft hervorgegangen

ist, finden sich gut 50 Bücher aus Sammlungen und Fachverbänden der

Österreichischen Pressekammer. Diese war 1936 als berufsständische Vertretung

der Presseschaffenden gegründet und 1939 endgültig aufgelöst worden, wobei ihre

Fachverbände in die Reichspressekammer überführt wurden. In der Bibliothek finden

sich Bücher mit dem Stempel des Verbands Österreichischer Zeitungsverleger bzw.

der Herausgeber österreichischer Tageszeitungen, sowie solche mit dem Stempel der

in der Pressekammer angesiedelten „Sammlung Münz“.14

12 Gespräch mit einem Zeitzeugen am 6.4.2006 (anonym).

13 Vgl. Peter Malina: Die Gestapo als Bücherlieferant, a.a.O., 37.

14 Vgl. Wolfgang Duchkowitsch: Zeitungswissenschaft „an der schönen heimatlichen

Donaustadt“. Aufbau, Einrichtung und Funktion des Wiener Instituts für Zeitungs-

wissenschaft. In: Willfährige Wissenschaft. Die Universität 1938–1945, hg. von Gernot

Heiß u.a. Wien 1989 (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik; 43), 155–178, 156.

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Jacob Persky

Im Inventarbuch der Slawistikbibliothek sind 24 von der Nationalbibliothek

Wien geschenkte Titel verzeichnet (16 davon waren tatsächlich auffindbar). Bei

der Durchsicht dieser Bücher fand sich in zweien der Stempel der Leihbibliothek

Persky. Der Fall war bereits aus der Nationalbibliothek bekannt, dort wurden 23

Signaturen festgestellt.15 Der in der heutigen Ukraine gebürtige Buchhändler Jacob

Persky betrieb in Wien eine Leihbibliothek, die am 26. April 1938 von der Gestapo

versiegelt wurde, etwa 4.000 Bände wurden beschlagnahmt. Persky wurde drei Tage

später, am 29. April 1938, verhaftet und nach Dachau deportiert. Später konnte er

nach Italien emigrieren, sein weiteres Schicksal konnte jedoch noch nicht geklärt

werden.

Charlotte und Karl Bühler

Karl Bühler (1879–1963) gründete das Wiener Psychologische Institut 1922 und

leitete es bis zum so genannten „Anschluss“ im März 1938. Am 23. März 1938

wurde das Institut versiegelt und Bühler verhaftet. Später konnte er über Norwegen

in die USA emigrieren. Vor seiner Emigration löste er seinen Hausstand auf und

verkaufte auch seine Privatbibliothek. Einen Teil dieser Bibliothek, nämlich etwa 900

Werke, schätzte der UB-Bibliothekar Prof. Viktor Kraft auf 500,--RM. Schließlich

zahlte das Psychologische Institut 400,-- statt der ursprünglichen 500,-- RM für die

Bücher.16 Bis jetzt konnten gut 150 Werke in verschiedenen Fachbereichsbibliotheken

lokalisiert werden. Obwohl das Institut damals für die Bücher gezahlt hat, werden sie

heute als unrechtmäßige Erwerbungen eingestuft, weil solche Käufe unter Zwang

abgewickelt wurden und die Verkäufer nie auch nur eine Reichsmark tatsächlich

erhielten.

AUSBLICK

Fünf Jahre nach der Konferenz Raub und Restitution in Bibliotheken im April 2003

im Wiener Rathaus geben die jüngsten Forschungen und Projekte an diversen

Bibliotheken sowie die verstärkten Bemühungen an der Universitätsbibliothek Wien

den Anstoß zu einer Tagung. Im März 2008 veranstalten die UB Wien und die

15 Vgl. Personendossier Jacob Persky. In: Abschlussbericht der Österreichischen Natio-

nalbibliothek an die Kommission für Provenienzforschung, bearbeitet im Auftrag der

Generaldirektion der Österreichischen Nationalbibliothek von Margot Werner. Wien

2003.

16 Zahlung im Rechnungsbuch und Gutachten datiert mit 19.11.1938; der Brief, in dem

es heißt, die Bücher seien nur 400,-- RM wert, stammt vom 9.1.1939 (zu diesem Zeit-

punkt war bereits gezahlt).

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Wienbibliothek im Rathaus in Kooperation mit der Vereinigung Österreichischer

Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB) die Tagung Bibliotheken in der NS-Zeit.

Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte17, bei der auf die aktuellen Ergebnisse

der Provenienzforschung und der Forschung über Bibliotheken in der NS-Zeit

eingegangen werden soll.

Ziel des Projekts ist es, bis Frühjahr 2008 die Autopsie und Auswertung der Daten

weitgehend abgeschlossen zu haben und bei der Tagung Ergebnisse vorlegen zu

können. So sollen die Resultate der Provenienzforschung und der damit verbundenen

historischen Aufarbeitung einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden. Zugleich

will das Projekt damit auch Ansporn und Öffentlichkeit für andere Institutionen,

allen voran Universitätsbibliotheken, bieten, sich mit dem vorliegenden Thema

auseinanderzusetzen. Verglichen mit der sehr aktiven Erwerbungspolitik an der

Österreichischen Nationalbibliothek in der NS-Zeit,18 war die der UB Wien

gemäßigt. Das Projekt zeigt, dass eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

der eigenen Bibliothek notwendig und dass sie, auch bei einer komplexen historischen

bzw. institutionellen Situation, machbar und zielführend ist.

17 URL: http://www.ub.univie.ac.at/provenienzforschung/tagung_2008.html.

18 Vgl. Murray G. Hall und Christina Köstner: „… allerlei für die Nationalbibliothek zu

ergattern“. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit. Wien u.a. 2006.

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RAUB UND RESTITUTION.DIE ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK STELLT SICH IHRER NS-VERGANGENHEIT

MARGOT WERNER

In den letzten Jahren wurde die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt auf das Thema

der Restitution von in der NS-Zeit enteigneten Kunstobjekten gelenkt – man denke

beispielsweise an die Diskussionen rund um den Fall der Klimt-Gemälde aus dem

ehemaligen Besitz der Familie Bloch-Bauer. Kaum jemand würde jedoch vermuten, dass

auch in österreichischen Bibliotheken nach wie vor geraubtes Eigentum meist jüdischer

Verfolgter verwahrt wird. Dabei geht es nicht um einige wenige prominente Objekte,

sondern um eine Unmenge an Druckschriften, Handschriften, Autographen und

Photographien höchst unterschiedlicher Qualität und höchst unterschiedlichen Werts.

Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Bemühungen der Österreichischen

Nationalbibliothek (ÖNB) zur Ausforschung und Rückgabe dieser Objekte sowie

den damit verbundenen Schwierigkeiten. Im Folgenden wird kurz über das seit dem

Jahr 2002 laufende Projekt „Provenienzforschung“ berichtet und im Anschluss an

Hand von zwei markanten Fallbeispielen der typische Verlauf von der Entziehung

über die Rückstellungen der Nachkriegszeit bis zur aktuellen Provenienzforschung

und schließlich der Rückgabe an die Erben der Verfolgten skizziert.

Um einen Eindruck der Größenordnung dieses Projekts der ÖNB zu vermitteln,

zuallererst die Recherchergebnisse: 52.403 Einzelobjekte – Bücher, Photos, Negative,

Autographen, Handschriften, Karten und Musikalien – mussten nach Abschluss

der Erhebungsarbeiten als bedenkliche Erwerbungen der NS-Zeit, oder deutlicher

gesagt, als geraubt eingestuft werden.

Im Fall der Österreichischen Nationalbibliothek, die zweifellos als „Staatsbibliothek“

der damaligen Ostmark und drittgrößte Bibliothek des Deutschen Reiches eine

Sonderstellung einnahm, kann die Aufnahme von beschlagnahmten Bibliotheken als

eine Form der gezielten „Erwerbungspolitik“ bezeichnet werden: Mit Kriegsbeginn

waren Handel und Tausch mit dem Ausland weitgehend unterbrochen, diese Lücke

wurde durch die Aufnahme von beschlagnahmten Beständen kompensiert. In Zahlen

ausgedrückt bedeutet dies, dass z.B. allein in der Druckschriftenabteilung von 70.000

in der NS-Zeit vergebenen Signaturen über 10.000 mit beschlagnahmten Bänden

belegt wurden.

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Federführend für diese Form des Zuwachses verantwortlich zeichnete mit dem

1938 berufenen Generaldirektor Paul Heigl ein hochrangiger und überzeugter

Nationalsozialist, der sich persönlich um die Beschlagnahme und Zuweisung

berühmter Bibliotheken und Sammlungen vornehmlich jüdischer Sammler bemühte

(einige prominente Beispiele wären etwa die Bibliothek Arthur Schnitzlers, die

Bibliothek der Familie Kuffner – Moritz Kuffner war Begründer der Sternwarte

am Wiener Gallitzinberg und besser bekannt als Besitzer der Ottakringer Brauerei

– oder die Privatbibliothek von Alphonse de Rothschild.)

Beschlagnahmt und in die Nationalbibliothek eingebracht wurden aber auch die

Bibliotheken von der nationalsozialistischen Ideologie entgegenstehenden Vereinen

und politischen Organisationen: Zu nennen wäre etwa die Bibliothek der Freimaurer

Großloge und die beschlagnahmten Bibliotheken von kulturellen Institutionen und

staatlichen Einrichtungen der vom Deutschen Reich besetzten Gebiete.

Wie ging nun die Nationalbibliothek mit diesen Massen an beschlagnahmten Büchern

und Sammlungsobjekten um? Sie wurden teils in ihre Bestände aufgenommen (etwa

15.000 Bücher und mehrere tausend Sammlungsobjekte), teils aber aus Zeitmangel

in den Magazinen gelagert oder auch als Dubletten an Bibliotheken des Deutschen

Reichs abgegeben.

Nun möchte ich einen Bogen zur heutigen Provenienzforschung spannen: Jene

beschlagnahmten Objekte, die in die Bestände des Hauses aufgenommen wurden,

wurden mit einem markanten Kürzel – das die heutigen Forscher erst in die Lage

versetzt beschlagnahmtes von rechtmäßig erworbenem Eigentum zu unterscheiden

– gekennzeichnet:

Als Provenienzangabe, die geeignet war die Herkunft der Bestände zu verschleiern

– denn das war die Vorgabe der damaligen Leitung –, wurde die Sigle „P 38“ (als

Abkürzung für „Polizei 1938“) gewählt. Dieses Kürzel wurde entsprechend der

in der Nationalbibliothek üblichen bibliothekarischen Aufnahme eines Werkes

sowohl in die beschlagnahmten Bücher selbst als auch in die jeweiligen Inventare

als Provenienzangabe eingetragen.

Stempel „P(-olizei 19)38“

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Stempel „P (-olizei 19)38“ in der Druckschrift „Josephus Flavius (germ.),

Flavii Josephi des Hochberuempten Histori beschreibers alle Bücher,

nemlich zwenzig, Straßburg 1561.

Besagte Kennzeichnung gewinnt heute auch insofern an Bedeutung, als ja bei

weitem nicht nur Bibliotheken prominenter Verfolgter von der Nationalbibliothek

beansprucht wurden – die Mehrzahl der anonymen, von der Gestapo abgelieferten

Bücher stammte aus kleinen Privatbibliotheken ausgewanderter oder deportierter

Verfolgter. Diese Bücher, die nicht mit Eigentumsvermerken ihrer ehemaligen

Besitzer gekennzeichnet sind, die auch ohne weitere Formalitäten und ohne

Übergabeverzeichnisse per LKW in der Nationalbibliothek abgeladen wurden, sind

ausschließlich über das in Inventaren und Büchern eingetragene Kürzel als Raubgut

identifizierbar.

Immer wieder wird die Frage gestellt, wie hoch die Zahl der in die Nationalbibliothek

eingebrachten geraubten Bücher und Sammlungsgegenstände insgesamt anzusetzen

ist. Diese Frage ist leider nicht in absoluten Zahlen zu beantworten. Nur so viel: Allein

jene Fälle namentlich bekannter Vorbesitzer, zu welchen auch Akten nachweisbar

sind, umfassen mindestens 150.000 Druckschriften und 45.000 Sammlungsobjekte,

rechnet man nun die anonym von der Gestapo zugelieferten Objekte hinzu, so erhöht

sich diese Zahl – vorsichtig geschätzt – auf das Doppelte. Das heißt also, wir können

zwischen 1938 und 1945 von einem Zuwachs von 400–500.000 beschlagnahmten

Objekten ausgehen.

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Ein Großteil dieser niemals bearbeiteten und inventarisierten Objekte wurde bald

nach Kriegsende restituiert. Rückgestellt wurden dabei aber in erster Linie die

umfangreichen Bibliotheken bekannter Sammler und Institutionen. Die bereits

inventarisierten Objekte aus der großen Masse der von der Gestapo anonym

zugelieferten privaten Klein- und Kleinstbibliotheken blieben aber im Haus, wie

das unerwartet hohe Ergebnis der heutigen Provenienzforschung zeigt.

Im Jahr 1950 waren die Restitutionen in der ÖNB weitgehend abgeschlossen.

Ungeachtet der Tatsache, dass noch zahlreiche unrechtmäßig erworbene Bücher

und auch Sammlungsobjekte in den Magazinen lagerten, wurde der Themenkomplex

als abgeschlossen betrachtet.

PROVENIENZFORSCHUNG HEUTE

Erst Anfang 1998 setzte Bundesministerin Elisabeth Gehrer eine „Kommission für

Provenienzforschung“ ein, die den Auftrag erhielt, in den Museen und Sammlungen

des Bundes alle Erwerbungen von 1938–1945 systematisch zu überprüfen, um

noch verbliebene, von ihrer Provenienz her bedenkliche Zugänge festzustellen.

Die ersten Ergebnisse der Tätigkeit dieser Kommission waren dann Grundlage für

das in kürzester Zeit erstellte Kunstrückgabegesetz, das im Dezember 1998 vom

Nationalrat einstimmig verabschiedet wurde.

Das Kunstrückgabegesetz sieht die Rückgabe von in den österreichischen

Bundesmuseen und Sammlungen verwahrten Kunstgegenständen an die

ursprünglichen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger in drei möglichen Fällen

vor und zwar:

1. Objekte, die zwar nach Kriegsende im Zuge eines Rückstellungsverfahrens ihren

Eigentümern zurückgegeben, dann aber im Gegenzug für die Gewährung einer

Ausfuhrgenehmigung ihren Besitzern abgepresst wurden.

2. Objekte, die während der NS-Zeit unrechtmäßig erworben wurden und sich

noch heute im Eigentum des Bundes befinden (das ist der weitaus häufigste Fall),

oder

3. nach Abschluss von Rückstellungsverfahren nicht an die ursprünglichen

Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger zurückgegeben werden konnten und

demzufolge als herrenloses Gut unentgeltlich in das Eigentum des Bundes

übergegangen sind.

Die Ergebnisse der Provenienzforschung der einzelnen Bundesmuseen (wozu auch

die Österreichische Nationalbibliothek zählt) werden dem auf der Grundlage des

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Kunstrückgabegesetzes beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und

Kultur eingerichteten Beirat vorgelegt, der eine Empfehlung an die zur Entscheidung

über die Rückgabe berufene Ministerin abgibt.

Die ÖNB hat seit Erlass des Kunstrückgabegesetzes umfangreiche Recherchen zur

Ermittlung von nach wie vor innerhalb der Bestände befindlichem Raubgut angestellt.

Vor allem das Nachholen einer in der Nachkriegszeit versäumten systematischen

Durchsicht aller fraglichen Bestände (eine sogenannte „Generalautopsie“) in den

Magazinen der Druckschriftenabteilung und der Sammlungen wurde als notwendig

erkannt. Dabei mussten alleine in der Druckschriftenabteilung weit über 150.000

Bände geprüft werden.

Als unschätzbare Quelle erwies sich das weitgehend vollständige Archiv der

Generaldirektion. Zuweisungen größerer und wertvoller Bibliotheken und

Sammlungen sind gut dokumentiert. Schlecht bis überhaupt nicht dokumentiert ist

hingegen die Zulieferung jener Unzahl an Druckschriften und Sammlungsobjekten,

die aus den schon erwähnten kleinen Sammlungen emigrierter oder deportierter

Verfolgter stammt. Übergabelisten sind leider nur in den seltensten Fällen erhalten.

War einem Akt dennoch ein Verzeichnis beigelegt, so wurde gezielt nach den

einzelnen Objekten gesucht.

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Zuweisung von beschlagnahmten Beständen des Jüdischen Museums Wien, 1942

Als ein großer Vorteil erwies sich die in der Druckschriftenabteilung vorgenommene

Aufstellung nach dem Numerus-currens-System. Die Vergabe der Signaturen

entspricht mit geringen Abweichungen dem Datum der Inventarisierung. Demzufolge

war es möglich, einen eingegrenzten Signaturenbereich von 70.000 Signaturen (etwa

100.000 Bänden) den Jahren 1938–1945 zuzuordnen.

Die Einlaufsbücher der Druckschriftenabteilung selbst geben keinen Hinweis auf

einen eventuellen Vorbesitzer, alle aus beschlagnahmten Bibliotheken stammenden

Werke sind durch die schon erwähnte einheitliche Provenienzangabe „P 38“

gekennzeichnet.

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Für beschlagnahmte Zuwächse („Provenienz P 38“)

reserviertes Inventar der Druckschriftensammlung

Ein Hauptziel der Buchautopsie war daher die Erfassung von Besitzerzeichen in

Form von Exlibris und handschriftlichen oder gestempelten Namenseinträgen und

Widmungen.

Auch in den Sondersammlungen der ÖNB mussten vorerst die unterschiedlichen

Ordnungsprinzipien unterworfenen Inventare und Zuwachsbücher der Jahre 1938–

1945 überprüft, im Anschluss die als bedenkliche Erwerbungen vermuteten Objekte

einer Autopsie unterzogen werden.

In allen Sammlungen wurde zudem darauf geachtet, ob auf Grund von Bearbeitungs-

rückständen aus der NS-Zeit Objekte erst nach 1945 inventarisiert worden waren.

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„Stefan Zweig, Jeremias, Leipzig 1917“. Eigenhändige Widmung an Roda Roda

(Alexander Friedrich Rosenfeld). Das Buch stammt aus der beschlagnahmten

Bibliothek Roda Rodas.

Ein spezielles Problem stellte in diesem Zusammenhang der sogenannte „Altbestand“

dar. Der Altbestand präsentiert sich als eine durch Bearbeitungsrückstände seit

dem Ende der Monarchie entstandene Ansammlung von unterschiedlichsten

Druckwerken, deren genaue Herkunft heute nicht mehr restlos geklärt werden

kann. Dieser Bestand, der alleine 52.500 Bände umfasst und von dem angenommen

werden musste, dass sich darunter auch in der NS-Zeit geraubte Bände befinden,

wurde im Zuge der jetzt durchgeführten Provenienzforschung vollständig, ebenfalls

Buch für Buch, autopsiert.

Als Gesamtergebnis der Autopsien in allen Abteilungen des Hauses lag nicht nur

eine Liste der eingangs erwähnten 52.403 vermutlich entzogenen Objekte, sondern

auch ein Verzeichnis von etwa 450 verschiedenen Besitzzeichen von Privatpersonen

und Institutionen vor, das als Grundlage der weiteren Recherchen benutzt wurde.

Nach allen erfassten Namen wurde sowohl in diversen Archivbeständen (wie etwa im

Österreichischen Staatsarchiv, im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, im

Archiv des Bundesdenkmalamtes) als auch in der Sekundärliteratur recherchiert.

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Druckschriften aus der beschlagnahmten Bibliothek Ottmar Strauss.

Vielfach wurden in der NS-Zeit Besitzzeichen entfernt – eine Zuordnung ist heute nur

noch selten möglich.

In 72 Fällen ist es gelungen, die Entziehungsgeschichte sowie Anhaltspunkte zu

möglichen Erben zu ermitteln. Jene Besitzervermerke, die nicht identifiziert werden

konnten, da sie zum Teil nur aus Namensfragmenten bestehen bzw. eindeutig

ausländischer Herkunft sind, werden vom Nationalfonds der Republik Österreich

für Opfer des Nationalsozialismus in einer Datenbank publiziert, um eventuellen

Erben die Möglichkeit zu geben, Ansprüche zu stellen.

Die ÖNB hat sich mit tatkräftiger Unterstützung der Israelitischen Kultusgemeinde

Wien und dem Nationalfonds der Republik Österreich zudem der sehr schwierigen

Aufgabe der Erbensuche gestellt. Mit teils enormen Rechercheaufwand wird versucht

Erben auf der ganzen Welt ausfindig zu machen.

Es ist uns bislang gelungen 42 Einzelfälle abzuwickeln und zusammen 32.247

Objekte an ihre rechtmäßigen Besitzer zu restituieren.

FALLBEISPIELE

Fall Arthur Schnitzler

Einer der prominentesten Fälle in der ÖNB ist wahrscheinlich die Beschlagnahmung

der Bibliothek des Schriftstellers Arthur Schnitzler:

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Im Inventar des Bildarchivs der ÖNB wurden im Zuge der Arbeiten zur

Provenienzforschung 84 Signaturen Negative und 27 Photographien, 1941 unter

dem fragwürdigen Inventareintrag „H. Schnitzler via Gen. Dir. Heigl“ verzeichnet,

entdeckt. Wie eine erste Sichtung ergab, waren es in erster Linie Bilder privater

Natur: Erinnerungsaufnahmen an eine Urlaubsreise nach Italien und in die Schweiz,

Arthur Schnitzler in Wanderadjustierung mit Spazierstock, Schnitzler bei einem

Spaziergang und – eine der fröhlichsten Aufnahmen – Arthur Schnitzler lachend

vor seinem ersten Auto.

Diese Photos führten zu einem Entziehungsfall, der vermutlich alleine auf die aktive

Beteiligung der Nationalbibliothek zurückzuführen ist.

Die Nationalbibliothek bekundete schon lange vor dem „Anschluss“ Interesse am

literarischen Nachlass und an der Autographensammlung des 1931 verstorbenen

Arthur Schnitzler. Am 30. April 1939 schien dann die Gelegenheit zum Erwerb

dieser Sammlung gekommen, die Wiener Zeitung vermeldete an diesem Tag die

Beschlagnahme des gesamten Besitzes von Arthur Schnitzlers Sohn Heinrich. Bereits

am nächsten Tag setzte Generaldirektor Heigl ein entsprechendes Bittschreiben an

das zuständige Ministerium auf.

Um der sich zögerlich dahinschleppenden Angelegenheit den nötigen Nachdruck

zu verleihen wurde seitens der Nationalbibliothek schließlich die Zentralstelle für

Denkmalsschutz (heute Bundesdenkmalamt) und die Gestapo eingeschaltet – mit

Erfolg: 1940 wurde die Bibliothek im Umfang von etwa 12.000 Bänden, die einen

damaligen Wert von etwa 30 bis 40.000,-- RM repräsentierte, sowie zwei Kisten

diverse Schriften und private Photographien der Familie von der Nationalbibliothek

übernommen.

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Bescheid der Gestapo 1940:

Zuweisung der beschlagnahmten Bibliothek Arthur Schnitzlers

Nun kommen die eingangs erwähnten Photographien ins Spiel: Die Nationalbibliothek

musste feststellen, dass sich die eigentlich beanspruchte Autographensammlung

nicht unter den übernommenen Bibliotheksbeständen befand, sondern bereits 1938

von der Familie Schnitzler außer Landes gebracht worden war. Nun sah man die

Gelegenheit gekommen, diese privaten Aufnahmen, um deren Rückgabe die Familie

dringend ersuchte, gegen die wertvolle Autographensammlung einzutauschen.

Verständlicherweise ging der Anwalt der Familie Schnitzler nicht auf diesen Handel

ein. So blieben die Aufnahmen bis zuletzt im Haus und wurden erst kürzlich wieder

aufgefunden.

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1946 wandte sich Heinrich Schnitzler mit einem Rückgabeantrag an die ÖNB. Da

die Bibliothek aber leider im Zuge ihrer Bearbeitung völlig zerrissen worden war,

sollte es dreieinhalb Jahre dauern bis die Restitutionsarbeiten halbwegs abgeschlossen

waren und Heinrich Schnitzler mitteilen konnte etwa zwei Drittel seiner Bibliothek

wiedererhalten zu haben.

Im Jahr 2005 konnten schließlich sowohl die erwähnten Photographien als auch

einige Bücher und Sammlungsobjekte, die in der Nachkriegszeit übersehen worden

waren, an ihre nunmehrigen Besitzer, die Enkeln und die Schwiegertochter Arthur

Schnitzlers, restituiert werden.

Fall Hugo Friedmann

Der Fall des jüdischen Wiener Wäschefabrikbesitzers Hugo Friedmann ist hingegen

nun einer jener zahlreichen Restitutionsfälle, die keinerlei Niederschlag in den

Aktenbeständen des Hauses gefunden haben. Dementsprechend schwierig gestaltete

sich die Recherche, an deren Beginn lediglich ein sehr markantes, schmuckloses

schwarzes Exlibris mit der Aufschrift „Hugo Friedmann Vindobonensis“ stand.

Exlibris des Sammlers Hugo Friedmann

Zu Beginn der Recherchen war nicht einmal klar, ob die so gekennzeichneten

insgesamt neun Handschriften und Inkunabeln überhaupt als bedenkliche

Erwerbungen im Sinne des Kunstrückgabegesetzes zu bewerten sind, wurden sie doch

erst lange nach 1945 in den Bestand der Handschriftensammlung aufgenommen.

Alleine auf Grund des Namens von Friedmann wurden Nachforschungen in

verschiedenen österreichischen Archiven angestellt. Im Zuge der Recherchen

offenbarte sich Stück für Stück das Schicksal des Sammlers Hugo Friedmann.

In Vorbereitung seiner Ausreise beauftragte Friedmann eine Wiener Spedition, sein

gesamtes Umzugsgut – darunter eine wertvolle Bibliothek und eine Kunstsammlung

– nach Triest zu transportieren, von wo aus die Verschiffung erfolgen sollte.

Das Umzugsgut tausender Emigranten wurde allerdings im Hafen von Triest

zurückgehalten und schließlich im Jahr 1944 durch die Dienststelle des Obersten

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Kommissars für das Adriatische Küstenland beschlagnahmt. Darin befindliche

Bücher wurden in der Triester Synagoge gesammelt und von dort ins ganze Deutsche

Reich verteilt.

Maßgeblich an dieser Verteilung beteiligt war der zum Spezialsachverständigen für

Bücherkunde ernannte Generaldirektor Heigl, nachgewiesen ist ebenso, dass auch die

Nationalbibliothek sich aus diesen in Triest gesammelten geraubten Büchermassen

bediente. Es ist daher dringend anzunehmen, dass zumindest ein Teil von Friedmanns

Bibliothek auf diesem Weg Eingang in die Bestände der Nationalbibliothek fand.

Friedmanns Bemühungen die Ausreise seiner Familie zu organisieren, schlugen

fehl:

Hugo, seine Ehefrau Hilde und die beiden Kinder – Hans-Georg, damals 14, und

Liselotte, zehn Jahre alt – wurden im Oktober 1942 gemeinsam in das Ghetto

Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz beziehungsweise Dachau

ermordet.

Die wenigen nun aufgefundenen Stücke aus Friedmanns Bibliothek wurden 2005

an seine überlebenden Neffen restituiert.

Der Sammler Hugo Friedmann um 1938

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PARLAMENTS- UND RECHTS-INFORMATIONEN FÜR EUROPÄISCHE BÜRGER. CROSSLINGUALES, SEMANTISCHESLANDTAGSINFORMATIONSSYSTEM IN VORARLBERG, EIN DIENST DER LANDESBIBLIOTHEK

MANFRED HAUER

ABSTRACT Die Landesregierung des österreichischen Bundeslandes Vorarlberg in Bregenz hat

die Analyse und Erschließung der Dokumente im Umfeld der Landtagssitzungen an

seine Landesbibliothek delegiert. Aus einfachen Word-Dokumenten werden durch

automatisierte Workflows mehrsprachig suchbare PDF-Dokumente generiert. Sie

sind durch Browsing für Bürger und Internet-Search-Engines sichtbar. Eine auf den

speziellen Bedarf abgestimmte Volltextsuche für alle Bürger und Landtagsmitglieder

ist verfügbar. In der Erschließung kommen u.a. eine kleine Klassifikation (Taxonomie,

Systematik) und mehrere Thesauri zum Einsatz, darunter der große EUROVOC

der EU in 18 Sprachen.

1. EUROPÄISCHER RAHMENDie Bundesrepublik Deutschland hat im Mai das „Gesetz über die Weiterverwendung

von Informationen öffentlicher Stellen (IWG)“ beschlossen und damit die Richtlinie

2003/98/EG umgesetzt. Dabei geht es darum, die Informationen aus öffentlichen

Stellen zur Weiterverwendung zur Verfügung zu stellen, dies in nicht diskriminierender

Weise, zeitnah und ohne überhöhte Entgelte und möglichst nicht exklusiv.

Der Landtag des Bundeslandes Vorarlberg hat schon seit vielen Jahren seine

Parlamentsschriften online suchbar. Die Suchergebnisse der alten, exklusiven Lösung

waren oft problematisch. Vorhandene Dokumente wurden in der Volltextsuche nicht

gefunden. Parlamentarier, Sachbearbeiter und Bürger hatten alle Schriften des Landtags

theoretisch voll zur Verfügung: öffentlich, kostenlos, technisch kompatibel – fanden

praktisch aber nicht den Weg dorthin. Wegen typischer Retrieval-Probleme!

Die Vorarlberger Landesbibliothek ist europaweit im Bibliothekswesen als Pionier

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bekannt. Sie hatte einen elektronischen Katalog lange vor den meisten anderen

Bibliotheken und war vor vier Jahren Pionier mit der maschinellen Inhaltsanalyse

von Bücherinhaltsverzeichnissen und der Literatursuche auf Basis moderner

Retrievaltechnologie. Sie hat dem Landtag eine Alternative zur bestehenden Lösung

vorgeschlagen und übernimmt die maschinelle und die intellektuelle Inhaltsanalyse

der Parlamentsmaterialien.

2. ANFORDERUNGEN AN EINE NEUE LÖSUNGDie Lösung sollte im Landtag wenig an den gewohnten Arbeitsgängen ändern,

wo in Word-Dateien die Protokolle der Parlamentssitzungen und der sonstige

Schriftverkehr wie z. B. Anfragen an das Parlament erfasst werden. Wie bisher

sollte das Sekretariat die formalen Angaben erfassen, nun aber nicht mehr in Word-

Metadatenfeldern, weil es hier über die Jahre Inkonsistenzen gegeben hatte, sondern

in Notes-Masken. Eine Terminologiekontrolle, Übersichtslisten zur Kontrolle vieler

Dokumente oder Ähnliches war nicht vorhanden und sind in Word auch nicht

möglich.

Die neue Lösung sollte

Inkonsistenzen in den Metadaten reduzieren,

mehr Übersicht bieten,

die Produktion weitestgehend automatisieren und

die Suchleistung sollte sich verbessern.

Die Entwicklung der Lösung sollte von AGI – Information Management Consultants

durchgeführt werden, welche auch die maschinelle Indexierung und das crosslinguale

Information Retrieval bei der Landesbibliothek eingeführt haben. Die Entwicklung

erfolgte stark interaktiv.

3. INPUT-WORKFLOWDer Input ist nun deutlich stärker automatisiert und kontrolliert. Sobald eine Word-

Datei fertig ist, wird sie in einem Input-Folder abgelegt.

Die neue Applikation auf Basis von Lotus Notes & Domino 7.0 mit dem Projekt-

namen VLR-GOV überprüft automatisch beim Start, ob in dem Input–Folder

eine oder mehrere neue Dateien liegen und importiert nach Zustimmung. Durch

Meldungen sichtbar sieht sie, wie im Hintergrund MS-Word 2003 startet, verfügbare

Metadaten extrahiert werden, die Notes übernimmt, wie die Datei in eine PDF-

Datei für die Internet-Anzeige und eine Text-Datei für die maschinelle Indexierung

konvertiert wird und schließlich selbst ins Archiv wandert. Das Benutzerinterface

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der Datenbank ist über Benutzerrollen gesteuert. Die Sekretärin sieht eine Liste

all jener neu importierten Dokumente, in denen die Metadaten noch fehlen oder

unvollständig sind. Hinter den meisten dieser formalen Metadatenfelder liegen nun

kontrollierte Listen, so von Landtagsperioden, Sitzungen, Parteien, Jahren, Orten,

Dokumenttypen.

Nach Erfassung der formalen Metadaten ist die Vorarlberger Landesbibliothek am

Ball – in einem einige Kilometer entfernten und sehr schön gelegenen ehemaligen

Benediktinerkloster mit Blick auf den Bodensee. Dort läuft intelligentCAPTURE

täglich zur Produktion in der Bibliothek, um Bücherinhaltsverzeichnisse zu scannen,

automatisch Aufsätze aus dem Internet zu holen und zu erschließen und einige

Websites automatisch zu beschreiben. Hier hinein fließen die Parlamentsdokumente,

werden automatisch im Hintergrund dieser Anwendung verarbeitet und verschwinden

nach der Produktion wieder ganz aus dem Programm intelligentCAPTURE.

Den letzten Schritt übernimmt ein ausgebildeter Bibliothekar. Er ordnet das

Dokument einer selbst entwickelten Klassifikation zu, einem hierarchischen

Themenbaum. Er kann ein oder mehrere solcher Klassen auswählen. Gegenüber

jedem maschinellen Document Clustering ist dieses Verfahren hinsichtlich

Richtigkeit und Relevanz überlegen. Denn dieser Bibliothekar kann diese Klassen

jederzeit fortschreiben, wenn neue Themen erforderlich sind. Er nimmt auch

die Auswahl relevanter Personen und Parteien vor. Suchbar sind alle Parteien und

Personen, aber besonders relevante werden durch seine Bewertung hervorgehoben.

Diese Bewertung verlangt ein gutes Verständnis der Landespolitik. Das kann bislang

keine Maschine erkennen.

4. DIE SEARCH ENGINE – CROSSLINGUAL, SEMANTISCHSo einfach es ist, ein Wort in eine Suchzeile zu tippen, so schwierig kann es manchmal

sein, die richtigen Worte zu finden.

VERZEICHNISSE:Manchmal weiß man nur grob den Zeitraum, in dem ein Thema behandelt worden

ist, dieser kann zeitlich weit zurückliegen, und Sprache wandelt sich laufend.

Sachbegriffe unterliegen Moden, Gremien werden umbenannt, Personen wechseln

ihre Namen etc. Deshalb ist ein einfaches Top-Down-Browsing von Landtagsperiode

über Jahre über Sitzungen und deren Themen realisiert.

Alternativ schafft der Themenbaum einen fachlichen Zugang – auf hohem

Abstraktionsniveau und innerhalb eines Themas nach zeitlicher Folge. So können

Diskussionsstränge überblickt werden.

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Für viele Anfragen ist es leichter, über diese Navigationsstrukturen sich einem Thema

und einzelnen Dokumenten zu nähern, als über eine Volltextsuche.

Suche über beliebige Web-Search-Engines:

Die Verzeichnisstrukturen haben darüber hinaus einen technischen Nutzen. Sie

sind Links, die von Web-Crawlern von Search Engines ausgewertet werden. Somit

sind all diese Daten nicht mehr exklusiv über die Homepage der Landesregierung

suchbar, sondern auch über jede gute Search Engine. Diese Öffnung erscheint uns

wesentlich, da die Mehrzahl der heutigen Internet-Benutzer eher auf allgemeinen

Search Engines wie Yahoo, MSN, Ask oder Google zugreift, als von Anfang an auf

einschlägige Fachportale wie hier der Landesregierung.

SUCHMASKE: Für die meisten Recherchierenden steht dennoch die spezialisierte Suchmaske im

Vordergrund. So einfach wie bei Google genügt es, ein oder mehrere Suchworte

einzugeben. Doch dann beginnt der Unterschied: Jedes Suchwort wird in dem Thesaurus

der Europäischen Union, dem EUROVOC, gesucht und der längsten Übereinstimmung

wird der Vorzug gegeben. Der EUROVOC hat derzeit 18 Sprachen und wird vom

Parlament in Brüssel in Kooperation mit nationalen Parlamenten laufend fortgeschrieben

und übersetzt. Er kennt nicht nur für jeden Begriff seine Übersetzung, sondern auch

seine Synonyme, seine Unter- und Oberbegriffe und andere Begriffsassoziationen.

Wegen der Mehrsprachigkeit des Thesaurus spielt es keine Rolle, ob die Suchworte

in Deutsch oder einer der anderen EU-Sprachen eingegeben werden. Alle Suchworte

werden automatisch auf den deutschen Fachbegriff hingeführt – weil alle Dokumente

nur in deutscher Sprache eingestellt werden. So führt z.B. das Suchwort:

„bevölkerungsentwicklung“ zu der expandierten Query:

„bevölkerungsentwicklung“ OR „Bevölkerungsentwicklung“ OR „Bevölkerungs-

dynamik“ OR „dynamik, Bevölkerungs~“ OR „bewegung, Bevölkerungs~“ OR

„entwicklung, Bevölkerungs~“ OR „Bevölkerungsbewegung“ OR „Bevölkerungs-

entwicklung“ OR „Bevölkerungsbewegung“ OR „Demographische Entwicklung“

OR „Bevölkerungswachstum“ OR „Bevölkerungsrückgang“.

Ein Thesaurus ist eine sprachliche Sicht auf eine Domäne und der EUROVOC

keine spezielle Sicht auf Vorarlberg. Deshalb hat die Landesbibliothek ihren

Fachthesaurus zusätzlich eingebunden und wird einen speziellen Landesthesaurus,

der erst rudimentär existiert, entwickeln. Hier werden die Zusammenhänge

zwischen Regionen, Orten, Lagen, Pflanzen, Tieren, Wirtschaftsfeldern, Parteien,

Vereinigungen, Personen und mehr semantisch modelliert. Auch dies ist ein Thema

für die Landesbibliothek als Dienstleister für die Landesregierung.

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Bei der Query-Expansion um Übersetzungen, Synonyme und optional auch

Unterbegriffe steht auch die Wortstammsuche (*familie*) und die Fuzzy-Suche

(Meyer, Mayer, Maier, Meir, Meier ...) alternativ zur Verfügung. Suchoperatoren wie

OR, AND, NOT, NEAR, SENTENCE sind zulässig, aber meist nur von Experten

genutzt. Anstelle von NEAR wie bei Google ist das strengere logische AND als

Default-Operator zwischen zwei Suchbegriffen implementiert.

Die maschinelle Indexierung hat nicht nur wichtige Worte in dem jeweiligen

Dokument erkannt und betont, sondern auch zusätzlich Grundformen erzeugt

und angemessene Deskriptoren, sprachliche Vorzugsbenennungen ergänzt. Somit

können Worte unabhängig von ihrer morphologischen Variante (Haus oder Häuser)

und oft unabhängig von ihrer Bezeichnung gefunden werden. In Kombination mit

den Thesauri, die während der Suche zugeschaltet werden, sollte dem Suchenden

nichts mehr entgehen.

Die Ergebnisanzeige nach Relevanz-Ranking, nach Dokumententyp oder Zeit wird

evtl. noch um eine Sortierung nach Themen ergänzt. Die gefundenen Dokumente

können mit und ohne Metadaten angezeigt werden, dank Acrobat ist das Drucken,

Sammeln in einer Kollektion, Versenden per E-Mail oder lokales Abspeichern,

Herauskopieren, die Suche, Zooming und mehr möglich.

5. EINSCHÄTZUNGDie Retrievalmöglichkeiten des neuen Landtagsinformationssystems dürften

im europäischen Raum für Parlamente noch weitgehend einzigartig sein. Es

ermöglicht zeitnah, kostenlos und insbesondere ohne sprachliche Barrieren einen

variantenreichen Zugang zu den Schriften des Vorarlberger Landtages.

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DIE BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK: FORSCHUNGSBIBLIOTHEK UND MEHR

WILHELM HILPERT

Die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) ist mit knapp über neun Millionen Bänden

die zweitgrößte Universalbibliothek des deutschen Sprachraumes. Sie nimmt

einerseits für Bayern als zentrale Landes- und Archivbibliothek eine führende

Rolle im Rahmen des Bayernkonsortiums und des kooperativen Leistungsverbundes

aller wissenschaftlichen bayerischen Bibliotheken ein. Darüber hinaus ist sie Teil

der virtuellen deutschen Nationalbibliothek, gemeinsam mit der Staatsbibliothek

zu Berlin Preußischer Kulturbesitz und der Deutschen Nationalbibliothek. In

diesem Zusammenhang sind die Aktivitäten der BSB vielfältiger Art und haben

ihren Schwerpunkt bei der Digitalisierung und der Langzeitarchivierung sowie

der Buch- und Handschriftenrestaurierung. Die Einzigartigkeit ihrer Bestände

sichert der Bayerischen Staatsbibliothek eine Rolle unter den weltweit führenden

Forschungsbibliotheken. Kennzahlen zur Bayerischen Staatsbibliothek aus dem Jahr

2005 sind in der Tabelle 1 zusammengefasst.

Leistungskennzahlen 2005

Gesamtbestand (Bände) 9.020.000

Bestandsaufbau (Euro) 11.700.000

Jahreszugang (Bände) 140.000

Leihvorgänge 2.115.000

davon Fernleihe/Dokumentlieferung 518.000

Benutzer 46.000

Personelle Ressourcen 460*

Tabelle 1: Leistungskennzahlen und personelle Ressourcen der Bayerischen

Staatsbibliothek (*inklusive 70,5 Stellen für Landesaufgaben)

Andererseits liegt die Bayerische Staatsbibliothek in unmittelbarer Nähe zu

einer der größten deutschen Universitäten. Viele der Studierenden, die täglich

in ihre Räumlichkeiten strömen, kennen kaum den Unterschied zwischen der

Universitätsbibliothek auf der gegenüberliegenden Straßenseite und der Bayerischen

Staatsbibliothek, haben beide Bibliotheken doch sogar einen gemeinsamen

Bibliotheksausweis. Überraschend zahlreich finden sich aber auch die Studierenden

der Technischen Universität und der Fachhochschule in den Lesesälen der BSB

ein. Es gehört heute ganz bewusst zur Philosophie unserer Direktion, keinerlei

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künstliche Hürden für studentische Besucher des Hauses aufzubauen. Noch vor

fünfzehn Jahren war dies völlig anders. Jeder Student, der ein Buch ausleihen wollte,

musste nachweisen, dass er dieses nicht auch an einer Universitätsbibliothek hätte

entleihen können. Der Ruf, den sich die Bayerische Staatsbibliothek durch diese und

ähnliche Haltungen bei einer ganzen Generation von Studierenden erworben hat,

könnte katastrophaler kaum sein.

Die Bayerische Staatsbibliothek begibt sich heute ganz bewusst in dieses Spannungsfeld

zwischen den oft gegensätzlichen Ansprüchen einer Forschungsbibliothek einerseits

und einer Bibliothek für die studentische Grundversorgung andererseits. Aus Tabelle

2 ist ersichtlich, dass sich die Nutzer der BSB in zwei große Blöcke aufteilen lassen,

mit den studentischen Nutzern auf der einen und den wissenschaftlichen und

privaten Nutzern auf der anderen Seite.

Benutzergruppierung Aktive Nutzer (innerhalb der letzten 12 Monate)

Studenten und Schüler 28.637 61,5%

Wissenschaftler und

wissenschaftliche Einrichtungen 12.809 27,5%

Sonstige Privatnutzer 2.769 6,0%

Bibliotheken im Rahmen des

Leihverkehrs 1.647 3,5%

Behörden und interne Kunden

der BSB 728 1,5%

Gesamt ca. 46.590 100%

Tabelle 2: Benutzerübersicht der Bayerischen Staatsbibliothek

Natürlich findet sich unter den Studierenden auch der eine oder andere Doktorand

oder Habilitand, der mit seinen Nutzungskonditionen zufrieden ist und daher seine

studentische Nutzergruppe nicht hat ändern lassen. Auch die privaten Nutzer sind

zum überwiegenden Teil Wissensarbeiter mit einer akademischen Ausbildung. In

einer Gesellschaft, in der die Bürger selbstbewusst angemessene Leistungen der von

ihnen finanzierten Einrichtungen einfordern, wäre es äußerst gefährlich, sich nur

für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung zuständig zu erklären. Wenn man sich

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aber entscheidet, die mündigen und erwachsenen Bürger zuzulassen, dann gilt dies

eben auch für die Studierenden, die eindeutig dieser Gruppe zuzurechnen sind. Die

allerschlechteste Lösung ist jedenfalls, sie nur ein ‚kleines bisschen’ zuzulassen, so

wie bis in die frühen neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts an der BSB geschehen,

denn dies wird letztendlich nur dazu führen, dass der Bibliothek dieses Vorgehen

von den meisten Betroffenen völlig zu Recht als behördliche Schikane ausgelegt

wird. Der Service für Studierende an der Bayerischen Staatsbibliothek hat aber

auch seine Grenzen, da die BSB eben keine Universitätsbibliothek ist. So ist trotz

immer wieder vorgebrachter studentischer Forderung keine Lehrbuchsammlung

eingerichtet worden und es wird auch keine Mehrfachexemplare der wichtigsten

Studienliteratur im Allgemeinen Lesesaal geben.

Es ist längst gängige Praxis, auch Dienstleistungen, wie sie von Bibliotheken erbracht

werden, zu messen. Die Qualität solcher Dienstleistungen ist dabei naturgemäß sehr

viel schwerer fassbar als die reine Quantität. Eine Institution, die nur auf Qualität

setzen würde, liefe hier Gefahr, als zwar einerseits elitär, aber andererseits auch wenig

effektiv zu gelten. Wer diesen Ruf besitzt, dem wird von Entscheidungsträgern wohl

kaum zugetraut, einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Bildungs- und

Ausbildungssituation sowie der Informationsversorgung der Bürger eines Landes zu

leisten. Die Folgen für Etat und Personalstand wären nicht nur in Zeiten knapper

öffentlicher Kassen für eine Bibliothek verheerend.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass der Weg, den die Bayerische Staatsbibliothek

hier geht, schwierig ist. Und ganz sicher ist er eines nicht, konfliktfrei. Im Allgemeinen

Lesesaal, der mit seinen 550 Arbeitsplätzen zwar groß, aber nicht unbegrenzt

ist, treffen die unterschiedlichen Ansprüche und Erwartungen der Nutzer sehr

akzentuiert und massiv aufeinander. Durch die starke studentische Inanspruchnahme

ist der Lesesaal an vielen Tagen im Jahr ab 10.00 Uhr bis auf den letzten Platz

gefüllt. Wer ab dieser Zeit den Lesesaal besucht, um die Bücher einzusehen, die er

sich für seine Forschung in den Lesesaal bestellt hat – alle Bestände vor 1906 werden

nur in den Lesesaal ausgegeben –, der ist gezwungen, im Stehen zu arbeiten oder

sich auf eine der Treppen zu setzen.

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Der Allgemeine Lesesaal der Bayerischen Staatsbibliothek ist an

sieben Tagen der Woche von 8.00 bis 24.00 Uhr geöffnet.

Da die räumlichen Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft sind, haben wir zur

Lösung der oben geschilderten Überfüllung zunächst den Weg über die Erweiterung

der Öffnungszeiten ins Auge gefasst. Es bestand dabei immerhin die Chance, dass ein

Teil der Nutzer auf die erweiterten Randzeiten ausweicht, um somit eine Entlastung

zu den Kernzeiten zu erreichen. Dazu wurde im Sommer 2005 eine ganz bewusst

kurz gehaltene Umfrage unter den Besuchern des Lesesaales durchgeführt. Über

70 % der Besucher zeigten sich mit den bestehenden Öffnungszeiten unzufrieden

und konnten zwischen mehreren Varianten zukünftiger Öffnungszeiten wählen,

darunter auch eine Rund-um-die-Uhr-Öffnung. Mit großem Abstand wurde von

den Besuchern die Variante gewählt, bei der die Bibliothek an sieben Tagen der

Woche von 8.00 Uhr bis 24.00 Uhr geöffnet ist.1 Mit Beginn des Jahres 2006 haben

wir entsprechend dieser Wahl die Öffnungszeiten erweitert. Sehr schnell zeigte sich,

dass das neue Angebot hervorragend angenommen wurde: sowohl was den Besuch

in den Morgen- und Abendstunden, aber auch an den Wochenenden betraf. Die

Hoffnung auf eine Entlastung zu den Kernzeiten unter der Woche hat sich jedoch

nicht erfüllt.

1 Klaus Ceynowa: 2.000 Stunden mehr … Die neuen Öff nungszeiten der Bayerischen

Staatsbibliothek. In: Bibliotheksforum Bayern, 34 (2006) 1/2, 41.

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Das wichtigste Ergebnis einer Nutzerumfrage im Jahr 2005 war, dass

für ca. 86% der Besucher Öffnungszeiten von 8.00 Uhr bis 24.00 Uhr

an sieben Tagen in der Woche ausreichend sind.

Die Betreuung des Lesesaales in den Erweiterungszeiten wurde ausschließlich in die

Verantwortung einer externen Firma übergeben, die dafür zwei Personen einsetzt.

Eine Person besetzt die Zugangs-Ausgangs-Kontrolle und eine Person ist als „mobile

Aufsicht“ im Einsatz.

Das Problem einer adäquaten Arbeitssituation für unsere forschende Klientel war damit

aber immer noch nicht annähernd gelöst. In dieser Situation hat sich die Bayerische

Staatsbibliothek entschlossen, einen Teil des Allgemeinen Lesesaales – insgesamt 58

Arbeitsplätze – durch einerseits variable, andererseits hinreichend stabile Elemente

aus Lärm dämmendem Material und Glas abzutrennen und als Lesesaalbereich für

Forschung auszuweisen. Für die Zulassung zu diesem Lesesaalbereich für Forschung

ist erstens ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachzuweisen, zweitens eine

aktuelle Forschungstätigkeit, sei es über eine Bestätigung einer Hochschule, ein

Stipendium oder aktuelle Veröffentlichungen. Drittens muss ein Bezug zum Bestand

der Bayerischen Staatsbibliothek gegeben sein. Der Zugang zum Lesesaalbereich

für Forschung geht über eine Türe mit einer Transponderschließanlage. Der Vorteil

solcher Schließanlagen liegt darin, dass verloren gegangenen Transponderschlüsseln

die Zugangsberechtigung entzogen werden kann. Ein Missbrauch verlorener

Schlüssel kann somit auf einfachem Wege verhindert werden. Die Ausgabe der

Transponder erfolgt gegen Kaution und ist jeweils auf ein halbes Jahr befristet.

Gewünschte Öffnungszeiten

304

30%

129

13%428

43%

111

11%

29

3%

Öffnungszeiten wie bisher

Werktags 8-24 Uhr Sa/So wiebisher

An jedem Tag 8-24 Uhr

7 Tage / 24 Stunden

eigener Vorschlag

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Der Lesesaalbereich für Forschung findet sich im Allgemeinen

Lesesaal und ist durch flexible, schalldämpfende und weitgehend

transparente Elemente abgetrennt.

Bis heute – der Lesesaalbereich für Forschung ist nun fünf Monate in Betrieb –

wurden ca. 180 Transponderschlüssel ausgegeben. In Spitzenzeiten der Nutzung sind

die 58 Arbeitsplätze zu etwa 80% belegt. Eine Vielzahl der Zugelassenen hat sich sehr

positiv über diese Einrichtung geäußert, zum Teil gab es geradezu überschwängliches

Lob. Die Kritik der Nichtzugelassenen, im Wesentlichen sind es Studierende, ist

überraschend moderat ausgefallen, bedenkt man, dass ein abgeschlossener Bereich

mit freien Plätzen in einem ansonsten hoffnungslos überfüllten Lesesaal äußerst

provokant wirkt. Insgesamt waren es nur vier Beschwerden. Ein Grund für diese

erstaunlich geringe Zahl mag sein, dass die Studierenden erkennen, dass sie in

absehbarer Zeit als Doktoranden selbst in den Genuss einer Zulassung kommen

können und dass die Sicherheit auf einen Lesesaalplatz gerade in dieser Phase ihrer

Studien auch für sie selbst ein hohes und dringend benötigtes Gut darstellt.

Zeitgleich mit der Einrichtung des Lesesaalbereiches für Forschung wurden weitere

Maßnahmen gegen einen Missbrauch des Allgemeinen Lesesaales und seiner

Angebote unternommen. Ein Beispiel ist die Einführung von Sisis-Web-Control.

Durch den Einsatz dieser Software kann sichergestellt werden, dass nur noch

eingetragene Nutzer der Bayerischen Staatsbibliothek die 50 Internetarbeitsplätze

im Lesesaal benutzen. Die Bayerische Staatsbibliothek wird es verschmerzen, dass

sie dadurch zukünftig keine Erwähnung mehr in ostasiatischen oder australischen

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Reiseführern findet. Wurde sie doch dort nicht wegen ihrer reichhaltigen Buch-

bestände, sondern nur wegen der Möglichkeit des kostenfreien Zuganges ins Internet

– auch für Touristen – aufgenommen.

In einer Umfrage im Jahr 2006 wurden einige Fragen zur Wirkung der

Bibliothek gestellt. Die Ergebnisse haben uns überaus ermutigt.

Die Bayerische Staatsbibliothek hat sich in den letzten Jahren insgesamt zu einem

modernen bibliothekarischen Dienstleistungszentrum für alle Bürger gewandelt.

Ein neuer Internetauftritt, die Einführung eines virtuellen Auskunftsdienstes

oder der Beitrag der BSB zum Erwerb und zur Verbreitung der Nationallizenzen

für Datenbanken runden das in diesem kurzen Beitrag geschilderte Bild ab.

Den Mitarbeitern wird hohe Flexibilität und laufend die Bereitschaft zu Neuem

abverlangt. Ein Lohn hierfür ist, dass die BSB offensichtlich für ihre Nutzer zu

einer Institution geworden ist, die ihnen bei der Lösung ihrer Probleme in hohem

Maße behilflich ist. In einer Umfrage im Jahr 2006 hat auf die Frage: „Inwieweit

hat die BSB folgende Ihrer Tätigkeiten unterstützt oder zu einem erfolgreichen Abschluss

gebracht?“, der überwiegende Teil der Nutzer – weit über 85% – die BSB als sehr

hilfreich oder gar als Voraussetzung für den Erfolg angesehen.

050

100150200250300350400450500

Wissenschaftliche Arbeit

Studium

Berufliche Arbeit

Schulzeit

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AGENTEN DER WISSENSGESELLSCHAFT? FRAGEN AN EINE NEUE SOZIOLOGIE DER BIBLIOTHEK

OLAF EIGENBRODT

Bibliotheken sehen sich – wie andere Informationseinrichtungen auch – gerne

als selbstverständlichen Teil der Wissens- oder Wissenschaftsgesellschaft. Hierbei

handelt es sich oberflächlich betrachtet um eine gesellschaftliche Konstellation, in

der ökonomisch das Wissen bzw. die Wissenschaft (als Tätigkeit und Einrichtung)

eine bedeutende Rolle spielt. Gefragt wird, ob Information hier Rohstoff oder Ware

ist oder wie man mit der beschleunigten technischen Entwicklung Schritt halten

kann. Dies sind Fragen an die Ökonomie und die Technologie, die gestellt werden,

wenn es um die Zukunft und die Entwicklung des Bibliothekswesens geht. Die

Fragen, die man an eine neue gesellschaftliche Konstellation – wenn man sie als

solche wirklich ernst nimmt – stellen sollte, sind jedoch zuallererst soziologische

Fragen. In dem Moment, in dem wir die Bibliothek nicht mehr als Teil einer

lebendigen Gesellschaft und die Benutzer oder Kunden nicht mehr als Individuen

mit speziellen Bedürfnissen und Fragen sehen, geben wir den Anspruch auf, uns mit

der Gesellschaft und den Individuen zu entwickeln. Im Folgenden möchte ich diesem

Anspruch etwas nachgehen – theoretisch, indem ich Fragen an die gesellschaftliche

Bedeutung von Bibliotheken und Informationseinrichtungen stelle – praktisch,

indem ich an zwei Beispielen zeige, welche Bedeutung soziologische Fragestellungen

haben können. Ich beginne aber mit der grundlegenden Frage, warum wir eigentlich

eine Soziologie der Bibliothek brauchen.

Im deutschsprachigen Raum spielte die Soziologie im bibliothekswissenschaftlichen

Bereich lange die Rolle einer Hilfswissenschaft. Sie lieferte empirische Daten und

Vergleichswerte – zum Beispiel für die Benutzerforschung – oder auch Schlagworte

wie ‚Informationsgesellschaft’ für politische Debatten um die Zukunft der Bibliothek.

Diese Marginalisierung grundlegender soziologischer Forschung hat einen Grund:

Die Bibliothekswissenschaft führt seit ihrer Entstehung ein Doppelleben zwischen

einer geisteswissenschaftlichen Disziplin und einem anwendungsorientierten Fach.

Mit der weltweiten Umbenennung von Library Science in Information Studies schien

diese Frage in den 1990er Jahren und darüber hinaus entschieden. Aus deutscher

Sicht war der Höhepunkt dieser Entwicklung die drohende Schließung des einzigen

universitären Instituts für Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu

Berlin, das jetzt als Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft reüssiert.

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Man fragte sich endlich: Bibliothekswissenschaft – quo vadis.1 Im angelsächsischen

Raum und den skandinavischen Ländern hatte diese Diskussion schon in den 1990er

Jahren begonnen. Auf Grund immer sichtbarer werdender gesellschaftlicher Brüche

machte man sich über die makrostrukturelle Rolle der Bibliotheken Gedanken.

Ausgehend von den Öffentlichen Bibliotheken nahm man den ‚sozialen Raum’ der

Bibliothek ins Visier, doch dazu später. Bei eingehender Literaturrecherche stellt sich

heraus, dass die Soziologie der Bibliothek unterschwellig immer ein Thema war, nach

den 1970er Jahren aber von technischen und ökonomischen Fragestellungen verdrängt

wurde. Jetzt beginnt man wieder öffentlich, sich über die Rolle der Soziologie in der

Bibliotheks- und Informationswissenschaft Gedanken zu machen:

„What we need are profound reflections on the unique characteristics of today‘s

democratic challenges and the ways public librarianship can and must be reformulated

in order to be relevant with respect to those changes.”2

Was Ragnar Audunson hier als Herausforderung für die Auseinandersetzung mit

dem öffentlichen Bibliothekswesen definiert, sieht Magnus Torstensson allgemeiner

und auch existentieller:

„I think that it is important that courses and research within the perspective ‚library

and society‘ are given substantial scope in LIS departments. This, I consider, is

important, not only for the role of libraries concerning citizenship, but also for the

survival of libraries and library education itself. We must know why we exist and

what we are working for.”3

Torstensson geht davon aus, dass die Impulse hinsichtlich sozialer Verantwortung

eher aus der Praxis und von den Bibliotheksverbänden kommen als aus dem

wissenschaftlichen Bereich. Das sehe ich für den deutschsprachigen Raum auch

so. Schon lange beschäftigen sich Bibliothekare mit Problemen wie Erreichbarkeit

migrantischer Bevölkerungsgruppen oder dem Digital Divide. Dies sind zuallererst

gesellschaftliche Fragen, mit denen sich eine Soziologie der Bibliothek systematisch

und substantiell auseinandersetzen müsste. Dass der Digital Divide nicht in erster

Linie ein technisches Problem ist, wird später noch einmal Thema sein.

Heißt das, dass Soziologie der Bibliothek vor allem Selbstversicherung für

Bibliothekare ist? Eine Art Selbsthilfeprogramm für einen Berufsstand, der sich in

Zeiten von Google neue Beschäftigungen sucht? Ich denke nicht. So wichtig die

1 Petra Hauke: Bibliothekswissenschaft – quo vadis? Eine Disziplin zwischen Traditio-

nen und Visionen. Programme – Modelle – Forschungsaufgaben. München 2005.

2 Ragnar Audunson: Th e public library as a meeting place in a multicultural and digital

context. Th e necessity of low-intensive meeting places. In: Journal of Documentation,

61 (2005) 3, 429–441, 440.

3 Magnus Torstensson: Libraries and society – the macrostructural aspect of library and

information studies. In: Library Review, 51 (2002) 3/4, 211–220, 219.

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Selbstvergewisserung über das für wen und warum für eine erfolgreiche Arbeit ist, so

wenig ist sie nur eine Nabelschau. Es geht nicht um die Erfindung neuer Rollen, weil

man ansonsten mit der Entwicklung nicht mithalten kann. Bibliotheken haben schon

immer einen Katalog an gesellschaftlichen Funktionen, der ihre Existenz wesentlich

begründet. Dieser wird nicht durch einen neuen ersetzt, sondern lediglich erweitert.

Aus meiner Sicht würde ich zur Zeit folgende Punkte in den Vordergrund stellen:

– Sicherung der Meinungs- und Informationsfreiheit

– Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben

ermöglichen bzw. unterstützen

– Gesellschaftliche Vielfalt fördern

– Austausch zwischen Individuen und Gruppen ermöglichen

– Kulturelles Erbe bewahren und zugänglich machen

– Wissenschaftskommunikation fördern

– Unterstützung von Erziehung, Bildung und Wissenschaft

– Individuelles Lernen ermöglichen

– Demokratisches Denken und Handeln fördern

Dies ist nur eine vorläufige und etwas ungeordnete Liste. Ich denke, es ist aber wichtig

zu begreifen, dass hier Kernaufgaben bibliothekarischen Handelns und Grundwerte

bibliothekarischer Ethik liegen. Technologie und Betriebswirtschaft sind nur

Hilfsmittel, dies unter sich verändernden Rahmenbedingungen zu erreichen. Das war

auch schon Martin Schrettinger bewusst, der die ‚vollkommene Geschäftsführung‘

nicht als Selbstzweck begriffen hat.4 Es ist aber gerade in Deutschland aus

historischen Gründen etwas schwieriger, Grundwerte bibliothekarischen Handelns

so selbstverständlich aus der Tradition heraus zu vermitteln, wie es Amerikaner,

Briten oder Skandinavier tun. Bibliotheken lassen sich eben auch unter Bedingungen

wie Monarchie oder Totalitarismus effizient organisieren – ihre gesellschaftliche

Rolle bleibt dann zu hinterfragen.

Die gesellschaftlichen Umbrüche, die wir jetzt unter demokratischen Vorzeichen

erleben, sind weitreichend genug, um sich zu überlegen, wie wir darauf reagieren

können und müssen.

Nicht erst seit den 1990er Jahren ist absehbar, dass wir uns von dem Konzept der

Industriegesellschaft wie wir es kannten abwenden müssen. Der Soziologe Daniel

Bell hat bereits in den 1970er Jahren basierend auf empirischen Daten den Übergang

in eine nachindustrielle Gesellschaft beschrieben.5 Nachindustriell bedeutet, dass

4 Martin Schrettinger: Versuch eines vollständigen Lehrbuchs der Bibliothek-

Wissenschaft oder Anleitung zur vollkommenen Geschäftsführung eines Bibliothekars.

München 1829.

5 Daniel Bell: Die nachindustrielle Gesellschaft. Frankfurt am Main 1985.

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der industrielle Sektor gegenüber der Dienstleistungswirtschaft volkswirtschaftlich

an Bedeutung verliert, dass die Zahl professionalisierter und technisch qualifizierter

Berufe zunimmt und dass das theoretische Wissen wichtiger wird als praktische

Fähigkeiten. Bell war nicht der einzige Soziologe, der sich schon damals mit

diesen Fragen beschäftigte. In diesem Umfeld wurden die wirkungsmächtigen

Begriffe Dienstleistungsgesellschaft, Mediengesellschaft, Informationsgesellschaft,

Wissensgesellschaft und Wissenschaftsgesellschaft (und noch einige mehr) geprägt.

Dabei war schon Bell sich bewusst, dass mit der Industriegesellschaft das letzte

gesellschaftstheoretische Modell mit normativem Anspruch abgelöst wurde:

„Wir können die ‚Totalität‘, das ‚Ding an sich‘ nicht erkennen. Jede Gesellschaft

muss unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, wobei sich ein Analytiker

allerdings seines jeweiligen Standpunktes bewusst sein muss.”6

Es ist heute nicht möglich, ein bestimmtes Modell als für die gesamte Gesellschaft

gültiges zu konstatieren. Die Auflösung der bürgerlichen Öffentlichkeit, von

Jürgen Habermas zehn Jahre zuvor formuliert, ist durchaus mit diesen Prozessen in

Verbindung zu bringen.7 Dieser Tatsache sollten wir uns bewusst sein, wenn wir von

Informations- oder Wissensgesellschaft reden.

Untereinander sind diese Begriffe – entgegen ihrer gängigen Verwendung – auch

nicht austauschbar. Informationsgesellschaft ist ein technologisch zentriertes

Gesellschaftsmodell, das im wesentlichen von binären Konstellationen bestimmt

wird. Die zugrunde liegenden Modelle und Formeln sind fest in einer technischen

Welt verhaftet und machen dort auch Sinn. Sie sind aber nicht einfach auf den

Menschen übertragbar. Die intersubjektive Anthropologie weiß schon seit langem,

dass ein dyadisches Modell nicht ausreicht, die Konstitution des Individuums zu

erklären.8 Die Subjektbildung und jede nachfolgende Kommunikation setzt demnach

die Figur des oder der Dritten voraus, der/die/das nicht auf ein Rauschen reduziert

werden kann, sondern durch seine Anwesenheit den Prozess erst ins Laufen bringt.

Oder anders:

„The ends of information, after all, are human ends. The logic of information must

ultimately be the logic of humanity. For all information‘s independence and extent,

it is people, in their communities, organizations and institutions, who ultimately

decide what it all means and why it matters.”9

6 Ebd., 19.

7 Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öff entlichkeit. Untersuchungen zu einer Kate-

gorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied u.a. 1962.

8 Jürgen Fischer: Der Dritte. Zur Anthropologie der Intersubjektivität. In: wir/ihr/sie.

Identität und Alterität in Th eorie und Methode, hg. von Wolfgang Eßbach. Würzburg

2000, 103–136, 104.

9 John Seely Brown, Paul Duguid: Th e social life of information. Boston 2000, 18.

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Das dyadische Konzept der Informationsgesellschaft widerspricht dieser Logik.

‚Reine’ Information kann in einer menschlichen Umgebung nicht existieren, weil

Erfahrung und Bedeutung sie immer direkt verändern. Insofern stellt das Wissen eine

entscheidende Erweiterung dar. Nicht nur, weil es die beiden genannten Faktoren

voraussetzt, sondern weil es genau in den Räumen entsteht und existiert, die in der

technischen Informationstheorie als Rauschen wahrgenommen werden. Dabei ist es

egal, ob es sich um die aufklärerische Vorstellung des diskursiv erworbenen Wissens

handelt, oder um das „Schwarmwissen“ des Internet.

Wenn man sich aus diesen Gründen für das Modell Wissensgesellschaft entscheidet,

muss man sich bewusst sein, dass man damit nicht die gesamte Gesellschaft beschreibt

und erst recht nicht alle Menschen erreicht. Für mich ist es aber in zweierlei Hinsicht

wertvoll: Zum einen, weil man in der Diskussion über den Begriff eine Vermittlung

zwischen den beiden Polen einer polytechnischen und einer geisteswissenschaftlichen

Bibliothekswissenschaft erreicht, zum anderen, weil Wissensgesellschaft sich als

politisches Schlagwort sehr gut mit Bibliotheken verbinden lässt.

Es bleibt die Frage, warum die Wissensgesellschaft oder jede andere Teilgesellschaft

auf den physischen Raum der Bibliothek setzen sollte, wo doch genug andere

physische und virtuelle Räume zur Verfügung stehen. Dazu muss man zunächst die

Frage beantworten, inwiefern der Bibliotheksraum überhaupt ein sozialer Raum

ist oder sein sollte. Audunson definiert in dem schon zitierten Aufsatz drei soziale

Theorien des Bibliotheksraums:

Der ‚moralische Raum’: Diese kommunitaristisch geprägte Theorie geht von einer

Ethik der Gemeinschaft aus, die von der Bibliothek gegen eine zunehmende

Individualisierung und Kommerzialisierung zu verteidigen ist. Die Verwurzelung in

den 1960er und 1970er Jahren ist diesem Modell deutlich anzumerken, es lässt sich

aber auch an moderne globalisierungskritische Protestbewegungen anschließen.

Der ‚soziale Raum’ ist dagegen weniger politisch als soziologisch basiert. Populär

geworden ist dabei das Modell der Bibliothek als ‘Dritter Raum’: ein barrierefrei

zugänglicher, politisch neutraler, nicht-kommerzieller und vor allem nicht hierarchisch

geprägter Treffpunkt zur gesellschaftlichen Verständigung über soziale, ethnische,

politische oder religiöse Schranken hinweg.

Der ‚diskursive Raum’ schließt an das Ideal des öffentlichen Raums der bürgerlichen

Gesellschaft an: Die Menschen treffen sich als Bürger ihrer Gemeinde bzw. aktive

Teile ihrer Gemeinschaft.10

Ich möchte die Frage etwas von den politischen Implikationen der einzelnen Modelle

lösen und eine von den Funktionen her gedachte Herangehensweise wählen. Sicher

10 Vgl. Ragnar Audunson: Th e public library as a meeting place in a multicultural and

digital context, a.a.O., 435.

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ist die Bibliothek seit Habermas nicht mehr als eine im klassischen bürgerlichen

Sinne öffentliche Sphäre zu denken, obwohl sie auch noch entsprechende Funktionen

erfüllt. Daher habe ich in Anlehnung an Hannah Arendt vorgeschlagen, die Bibliothek

als gesellschaftlichen Raum zu bezeichnen.11 Der gesellschaftliche Raum definiert

sich danach über seine Multifunktionalität. Wie Audunsons Liste zeigt, sind je

nach politischer Voraussetzung ganz unterschiedliche Funktionen möglich, die sich

aber meiner Meinung nach gegenseitig nicht ausschließen. Hinzu kommen aber

etliche andere Funktionen, die, auch wenn sie zum Teil kontemplativen Charakter zu

haben scheinen, die Anwesenheit des/der Dritten voraussetzen oder zumindest nicht

ausschließen. In seiner Neutralität kommt die Definition als gesellschaftlicher Raum

dabei dem sozialen Raum am nächsten, der vor allem von Oldenburg als ‚Dritter

Raum‘ propagiert wurde.12 Audunson spricht in diesem Zusammenhang von „low

intensive meeting places” und meint damit solche Orte, die nicht durch fest gefügte

und hierarchische soziale Strukturen definiert sind, sondern Begegnungen auf einem

relativ niedrigen Level zulassen.

Obwohl die Öffentliche Bibliothek hier immer besonders hervorgehoben wird,

sind auch Wissenschaftliche Bibliotheken mit diesen Modellen zu erfassen. Sie

funktionieren als gesellschaftliche Räume auch dann, wenn sie explizit nur eine

Teilgesellschaft oder eine definierte Gruppe wie z.B. die Campusgemeinschaft

ansprechen. Gerade für die im Gegensatz zu Universitätsstädten in Deutschland oder

Österreich in ihrer Reichweite sehr begrenzten Universitäts- und Collegebibliotheken

in den USA sind in den letzten Jahren soziologische Studien angestellt worden.

Ich möchte zeigen, wie hier soziologische Erkenntnisse zum Raum der Bibliothek

tatsächlich in die praktische Planung von Bibliotheken eingreifen könnten.

Ausgehend von der Fragestellung, welche Bedeutung Bibliotheken heute noch für

das soziale Leben auf dem Campus und damit das Funktionieren der Universität

haben, stellte man ein unerwartetes Verhalten von Studierenden fest:

„While students are intensely engaged in using new technologies, they also want

to enjoy the library as a contemplative oasis. Interestingly, a significant majority of

students still considers the traditional reading-room their favorite area of the library

– the great, vaulted, light-filled space whose walls are lined with books they may

never pull off the shelf.”13

11 Olaf Eigenbrodt: Bibliotheken als Räume urbaner Öff entlichkeit. Berliner Beispie-

le. Berlin 2005, 20. Vgl. auch Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigem Leben.

München 1996.

12 Ray Oldenburg : Th e Great Good Place. New York 1989.

13 Geoff rey T. Freeman: Th e Library as Place. Changes in Learning Patterns, Collections,

Technology and Use. In: Library as Place. Rethinking Roles, Rethinking Space, hg. von

Council on Library and Information Resources. Washington 2005, 1–9, 6.

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Betrachtet man soziologische Erkenntnisse und Studien der letzten 10 Jahre, ist

diese Feststellung weniger überraschend. Würde man allerdings mitteleuropäische

Kapazitäten des Bibliotheksbaus mit der Frage konfrontieren, ob man bei einem

Um- oder Neubau einen Lesesaal vorsehen soll, würde die Antwort negativ ausfallen.

Der Raum der Bibliothek muss – dogmatisch betrachtet – funktional und voll

flexibel sein. Entgegen lernpsychologischer und soziologischer Erkenntnisse wird

ein Arbeitsverhalten bei den Benutzern behauptet, das dem erwähnten dyadischen

Mensch-Maschine-Verhältnis entspricht. Allenfalls Gruppenarbeitsräume sind heute

denkbar. Warum aber die merkliche Anwesenheit anderer Menschen und das Arbeiten

in einer Gemeinschaft auch ohne direkte Kommunikation für die Konzentration

wichtig sein können und für die Selbstvergewisserung des Individuums in der

Wissensgesellschaft sogar entscheidend sind, kann man nicht beantworten, wenn man

keine soziologische Reflektion betreibt. Wieder einmal sind es die angelsächsischen

und skandinavischen Länder, die hier angefangen haben, neue Fragen zu stellen und

Antworten zu suchen. Bibliotheken sind keine eindimensionalen Funktionsräume,

sondern bieten ein Konglomerat an verschiedenen Nutzungen. Dies bedeutet die

Abkehr von einer auf Effizienz klassischer bibliothekarischer Aktivitäten und die

Präsentation von Informationsressourcen konzentrierten, rein funktionalistischen

Bibliotheksarchitektur.14

Damit bin ich bei meinen abschließenden Bemerkungen und Fragen zum Digital

Divide angelangt. Der Digital Divide wird oft – ausgehend von den Problemen

der weniger oder wenig entwickelten Länder – als die soziale Frage der Zukunft

betrachtet. Globale Akteure wie die UNESCO und die Bill and Melinda Gates

Foundation legen Programme auf und Kofi Annan stellt auf dem UN-Weltgipfel

zur Informationsgesellschaft Notebooks mit Handkurbeln vor, die Schülern in

unterentwickelten Ländern auch ohne Stromversorgung Anschluss an das Internet

bieten sollen. Es wird also viel getan, auch wenn manches nach Aktionismus klingt.

Ich möchte das Augenmerk auf einige soziologische Fragen lenken, die sich für

mich damit verbinden. Zum einen – und das ist inzwischen nichts Neues mehr

– verläuft der digitale Graben nicht nur irgendwo südlich der Sahara, sondern

mitten durch die europäischen postindustriellen Gesellschaften. Auch hier wird

Aktionismus entwickelt und in den Schulen (und neuerdings auch Altenheimen)

werden Anschlüsse an das Internet geschaffen. Aber bedeutet so ein Anschluss

auch einen wirklichen Zugang zu den Informationsressourcen? Was ist mit Kindern

und Jugendlichen, die die Angebote ihrer Schule gar nicht nutzen? Welches sind

14 Vgl. Olaf Eigenbrodt: Living Rooms und Meeting Places – aktuelle Annäherungen

an den Raum der Bibliothek. In: Die Bibliothek als öff entlicher Ort und öff entlicher

Raum/Th e Library as a Public Place and Public Space, hg. von Paul S. Ulrich. Berlin

2006, 47–61, 55–59.

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die Informationskompetenzen, die Kinder in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit

brauchen? Welche Informationen brauchen arabischstämmige Jugendliche, um

die antisemitische und gewaltverherrlichende Propaganda, die ihnen auf vielen

Fernsehkanälen und Internetseiten ihrer Community begegnet, als solche einordnen

zu können? Oder kürzer gefasst: Ist die Zahl der Internetanschlüsse wirklich ein

Zeichen für den Grad der Informationskompetenz, den eine Gesellschaft hat? Es geht

eben nicht nur um einen digitalen Graben, den man mit Rechnern und Anschlüssen

überbrücken kann, sondern um ein grundsätzliches Problem der Wissensgesellschaft,

den Zugang zum Wissen selbst. Die vorhandenen Lösungsansätze lassen überdies

viele Fragen offen. Wo kommen eigentlich die Rohstoffe für die Hardwareausstattung

der Anschlüsse her, wenn man wirklich das Ziel hätte, möglichst allen Menschen in

Schwellen- und Entwicklungsländern einen Internetzugang zu ermöglichen? Wer

stellt die Rechnerkapazitäten, baut die Netze und sichert die Stromzufuhr? Zur Zeit

stellt sich die Lage ganz anders dar: Jeden Monat werden 400.000 Computer umsonst

aus entwickelten Ländern nach Nigeria gebracht, allerdings als Sondermüll.15

Wenn man den Digital Divide diskutiert, kommt man sehr schnell auf das Thema

Open Access zu sprechen, aktuell eine der wichtigsten Fragen im Bereich der

wissenschaftlichen Bibliotheken. Open Access spielt jedoch nur da eine entscheidende

Rolle, wo die Personen und Infrastrukturen vorhanden sind, die frei verfügbaren

Angebote zu finden und zu nutzen. Der Digital Divide ist aber nicht in erster Linie

mit der quantitativen Frage von Anschlüssen oder frei zugänglichen Ressourcen

verbunden, sondern mit sozialen Problemen. Die Schaffung von wirklichem Zugang

zu – im jeweiligen kulturellen Kontext – relevanten und qualitativ hochwertigen

Informationen ist der einzige wirklich strategische Ansatz:

„Providing access is much more than having equipment available for people to see. It

is about motivating people to become involved making them feel comfortable about

doing so, helping them get started and then to develop their learning capabilities;

and, ultimately, to encourage the broad mass of people in our society to communicate

and participate in shaping the information society”16

Viele der Fragen, die eine in diesem Sinne neue Soziologie der Bibliothek stellen

könnte und müsste, sind hier nicht berücksichtigt worden. Die angerissenen

Problemfelder haben aber gezeigt, dass es notwendig ist, gesellschaftliche

Verhältnisse zu analysieren und Antworten auf die Frage zu finden, was

15 Basel Action Network: Executive Summary. Are We Building High-Tech Bridges or

Waste Pipelines? URL: http://www.ban.org/BANreports/10-24-05/documents/Execu-

tiveSummary.pdf (12.2.2007).

16 Joe D. Hendry: Social inclusion and the information poor. In: Library Review, 49

(2000) 7, 331–336, 334.

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Bibliotheken in sich verändernden Gemeinschaften leisten können. Technische

und ökonomische Fragen sind in diesem Kontext wichtig, aber kein Selbstzweck.

So wie die Bibliothekswissenschaft substantielle Antworten aus einer Verbindung

theoretischer und anwendungsorientierter Überlegungen finden muss, sollten sich

die Bibliotheken die Räume schaffen, die Individuen brauchen, um ihre Potentiale

vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderung zu entfalten. Insofern ist die

Fragestellung meines Titels auch falsch: Bibliotheken sollten sich nicht als Agenten

für ein gesellschaftstheoretisches Modell betrachten, sondern als Beauftragte der

Individuen und Gemeinschaften, für die ihre Einrichtung tätig ist.

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INFORMATIONSKOMPETENZ HINTER DEM BACHELOR-HORIZONT:ERGEBNISSE EINER STUDIE AN DER UNIVERSITÄT KONSTANZ

OLIVER KOHL-FREY

1. EINLEITUNG: BOLOGNA, BACHELOR, BIBLIOTHEK

Die Vermittlung von Informationskompetenz wird im Zuge der Umsetzung des

Bologna-Prozesses ein zunehmend wichtiges Feld bibliothekarischen Handelns. Die

Hochschulen stellen dabei im Zuge der Schaffung eines einheitlichen europäischen

Hochschulraums auf gestufte Bachelor-, Master- und Promotionsstudiengänge um.

Der Bachelor als erster Abschluss soll neben der wissenschaftlichen Ausbildung

häufig sogenannte berufsfeldorientierte Kompetenzen vermitteln, zu denen neben

IT-Kenntnissen, Sprachen und Soft Skills häufig auch Informationskompetenz gehört.

Informationskompetenz wird von vielen Bibliotheken als eigene Kernkompetenz

gesehen, weswegen an vielen Universitäten Bibliothekare die Lehre in Informations-

kompetenz übernommen haben. Dies geschieht unter unterschiedlichsten

institutionellen Rahmenbedingungen und in vielfältigen Ausprägungen, die an

anderer Stelle ausführlich dokumentiert sind.1

An der Universität Konstanz wurde sehr frühzeitig mit der Umstellung auf die

gestuften Studiengänge begonnen. Von Anfang an wurde von Seiten der Bibliothek

ein Lehrangebot in Informationskompetenz im Bereich Schlüsselqualifikationen der

Bachelor-Studiengänge geschaffen, das heute circa fünf Kurse pro Semester in bisher

zwölf Studiengängen umfasst. Dieses Lehrangebot ist mittlerweile sehr gut etabliert

1 Für Deutschland insgesamt z.B. bei Claudia Lux und Wilfried Sühl-Strohmenger:

Teaching Library in Deutschland. Wiesbaden 2004. Für einzelne deutsche Regionen

z.B. bei Annemarie Nilges und Marianne Reesing-Fidorra: Informationskompetenz als

Gemeinschaftsaufgabe der Hochschulbibliotheken in NRW – eine Bilanz. In: Geld ist

rund und rollt weg, aber Bildung bleibt (94. Deutscher Bibliothekartag in Düsseldorf

2005), hg. von Daniela Lülfi ng. Frankfurt am Main 2006, 193–202; oder für Bayern bei

André Schüller-Zwierlein: Informationskompetenz stärken – Schlüsselqualifi kationen

lehren. In: Bibliotheksdienst, 39 (2005) 12, 1631–1639; oder bei Oliver Kohl-Frey:

Modularisierung und E-Learning. Das Projekt Informationskompetenz in Baden-

Württemberg, http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2005/1492 (21.2.2007).

Für die Schweiz z.B. bei Esther Bättig: Information Literacy an Hochschulen. Ent-

wicklungen in den USA, in Deutschland und der Schweiz. [Diplomarbeit], Chur 2005.

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und wird noch immer kontinuierlich ausgebaut. Gleichzeitig wurde im Rahmen

eines vom Land Baden-Württemberg geförderten Projekts (Informationskompetenz

I) ein aus sieben Modulen bestehender Musterkurs für Präsenzlehre und E-Learning

entwickelt.2 Dieser wird nicht nur an der Universität Konstanz, sondern auch an

zahlreichen anderen Hochschulen genutzt. Diese können auf die unter Creative

Commons lizenzierten Module über die Website der Bibliothek zugreifen3.

2. INFORMATIONSKOMPETENZ HINTER DEM BACHELOR-HORIZONT

Viele Bibliotheken haben sich in den letzten Jahren stark im Feld der

Informationskompetenz, vor allem für Studienanfänger in den Bachelor-Studiengängen

engagiert. Die Informationskompetenz von fortgeschrittenen Studierenden,

Doktoranden, Wissenschaftler oder Professoren stand bisher eher nicht im Zentrum

der Aufmerksamkeit. Dabei wiesen bereits einige Studien darauf hin, dass auch die

Informationskompetenz Fortgeschrittener nicht optimal zu sein scheint.4 Die Bibliothek

der Universität Konstanz beschäftigt sich deshalb seit Anfang 2006 im Rahmen eines

von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten internationalen

Projekts (Informationskompetenz II) mit diesem Thema. Ausgangspunkt war zunächst

die Ermittlung der Informationskompetenz Fortgeschrittener an der Universität

Konstanz mit Hilfe einer Befragung. Diese quantitativen Ergebnisse wurden

2 Vgl. Johanna Dammeier: Informationskompetenz mit Blended Learning. Ergebnisse

des Projekts Informationskompetenz I der Bibliothek der Universität Konstanz. In:

Bibliotheksdienst, 40 (2006) 3, 314–330; und Oliver Kohl-Frey: Modularisierung,

E-Learning und die Einbindung in Studienpläne. Zur Vermittlung von Informations-

kompetenz an der Universität Konstanz. In: Bibliothek, 29 (2005) 1, 42–48.

3 URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/bibliothek/projekte/informationskompetenz/

material.html (21.2.2007).

4 Für Deutschland ist hier v.a. die so genannte SteFi-Studie zu nennen, von der fast

ausschließlich die Studierenden-Ergebnisse wahrgenommen wurden, nicht aber die

Professoren-Ergebnisse (Rüdiger Klatt u.a.: Nutzung elektronischer wissenschaftlicher

Information in der Hochschulausbildung. Barrieren und Potenziale der innovativen

Mediennutzung im Lernalltag der Hochschulen (Endbericht). Dortmund 2001. Für die

Darstellung einiger ausgewählter Ergebnisse der SteFi-Studie mit Bezug auf Fortge-

schrittene vgl. auch Oliver Kohl-Frey: Beyond the Bachelor. Informationskompetenz für

Anfänger und Fortgeschrittene an der Universität Konstanz. In: Teaching Library, hg. von

Ute Krauss-Leichert. Frankfurt am Main 2007, im Druck. Im englischsprachigen Raum

sind eine ganze Reihe von Untersuchungen erschienen, über die derzeit ein Literatur-

bericht im Projekt Informationskompetenz II der Bibliothek der Universität Konstanz

erstellt wird.

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ergänzt durch eine Reihe von Experteninterviews an deutschen, amerikanischen und

chinesischen Bibliotheken5. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wurden Strategien

entwickelt, die derzeit in der Konzeptions-, Einführungs- bzw. zum Teil schon in einer

ersten Evaluationsphase sind.

2.1 ZUR METHODIK DER STUDIE

Um die Informationskompetenz Fortgeschrittener an der Universität Konstanz

zu ermitteln, wurden im Frühjahr 2006 alle Graduierten – Master-Studierenden,

Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeiter – der Universität mit Hilfe eines

Online-Fragebogens befragt. Dieser richtete sich an alle, deren E-Mail-Adresse

von der Universitätsverwaltung zur Verfügung gestellt werden konnte (N=867).

Dieses Forschungsdesign schließt zwei Teilgruppen aus der Untersuchung aus: Zum

einen wurden Studierende in höheren Semestern in den noch laufenden Diplom-,

Magister- und Staatsexamensstudiengängen, die grundsätzlich auch fortgeschrittene

Benutzer sind, nicht berücksichtigt, weil sie formal noch keinen Abschluss haben.

Zum anderen wurden Master-Studierende, Doktoranden und wissenschaftliche

Mitarbeiter ohne eine der Universitätsverwaltung bekannte E-Mail-Adresse nicht

erfasst. Aufgrund dieser beiden Unschärfen ist jedoch keine systematische Verzerrung

der Ergebnisse zu erwarten.

Die Befragung wurde von einer Projektgruppe vorbereitet, innerhalb der Bibliothek

diskutiert und ergänzt und schließlich einem Pretest mit 23 Teilnehmern unterzogen,

die ein breites Spektrum an Fachdisziplinen und akademischen Abschlüssen

aufwiesen. Die zahlreichen nützlichen Anregungen aus dem Pretest wurden im

weiteren Verlauf in der Projektgruppe diskutiert und teilweise eingearbeitet.

Insgesamt enthielt der Fragebogen 16 Fragen, die neben demographischen Daten

und den Fragen zur Informationskompetenz vor allem Angaben zu zukünftigen

Informations- und Beratungswegen sowie zu gewünschten Arbeitsschwerpunkten

der Bibliothek abfragen.6

5 Bisher wurden Leitfadengespräche mit Vertretern folgender Einrichtungen geführt:

Deutschland: Geoforschungszentrum Potsdam, Max-Planck-Institut für Biochemie

Martinsried, Wissenschaftszentrum Berlin. USA: Columbia University, MIT, New York

University, Stanford University, University of California Berkeley, University of California

Los Angeles, Yale University. China: Academy of Sciences Wuhan, Tsinghua University

Peking. Weitere Gespräche sind in Planung.

6 Der Fragebogen ist verfügbar unter der URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/fi lead-

min/Dateien/Informationskompetenz/Publikationen/KonstanzFragebogenPDFVersion.

pdf (21. 2. 2007). Diese Version (pdf ) weicht zwar in der Gestaltung vom verwendeten

Fragebogen etwas ab, die Fragentexte aber sind mit dem Original völlig identisch.

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Bei der Entwicklung der Fragen wurde besonders die Problematik der Messung von

Informationskompetenz intensiv diskutiert. Für gewöhnlich erfolgt die Messung von

Informationskompetenz durch Tests, die ganz konkrete Aufgabenstellungen enthalten, z.B.

die Recherche zu einem bestimmten Thema, die Evaluation von gefundener Information

oder die Zitierung einer bibliographischen Einheit.7 Eine solche Messung mag mit einer

Gruppe Studierender8 oder eventuell auch einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern

denkbar sein, aber nicht bei einer standardisierten Online-Befragung mit der hier

ausgewählten Zielgruppe. Wäre ein solches Test-Verfahren eingesetzt worden, wäre nach

Einschätzung der Projektgruppe die Rücklaufquote signifikant niedriger ausgefallen.

Deshalb wurde auf eine Selbsteinschätzung der Wissenschaftler zurückgegriffen, die ihr

eigenes Niveau in verschiedenen Feldern der Informationskompetenz einschätzen sollten.

Trotz der Gefahr einer möglichen Verzerrung aufgrund der sozialen Erwünschtheit einer

hohen Informationskompetenz9 schien dies der einzig gangbare Weg, um eine ausreichend

hohe Rücklaufquote zu erreichen. Bei der Zusammenstellung und Formulierung der

20 einzuschätzenden Items wurde auf eine starke Orientierung an den bestehenden

Standards der Informationskompetenz geachtet, vor allem an den deutschsprachigen

Standards des Netzwerks Informationskompetenz Baden-Württemberg.10 Zusätzlich

wurde eine Frage eingefügt, die zumindest die Recherchekompetenz der Befragten

separat messen sollte: „Welche Recherchequellen verwenden Sie in der Regel, um gezielt

nach Forschungsergebnissen zu suchen?“

7 Gerade in den USA wird dies in Prüfungen von Studierenden auch häufi g praktiziert.

Das Projekt SAILS (Standardized Assessment of Information Literacy Skills, URL:

http://www.projectsails.org/ (21.2.2007) z.B. stellt dafür einen umfangreichen Fragen-

katalog zur Verfügung.)

8 Im Wintersemester 2006/07 wurde an der Universität Konstanz eine Pre-/Post-Mes-

sung im Kurs Informationskompetenz Politik-/Verwaltungswissenschaft für Master-

Studierende durchgeführt. Dabei wurde den Studierenden am Anfang und am Ende des

Kurses (sprich: des Semesters) der gleiche Test vorgelegt, wobei der Test zwischenzeitlich

nicht besprochen wurde. Dabei stieg die durchschnittlich erreichte Punktzahl der Studie-

renden um 8%, die gleichzeitig abgefragte Selbsteinschätzung in Informationskompetenz

sogar um 12,5%. 23 Studierende verbesserten ihre Punktzahl, zwei blieben gleich und

drei verschlechterten sich (Quelle: Eigene Daten und Berechnungen).

9 Zum Problem sozialer Erwünschtheit vgl. z.B. Andreas Diekmann: Empirische Sozi-

alforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Hamburg 1995, 382–385; oder

Rainer Schnell, Paul B. Hill und Elke Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung.

München, Wien 31992, 363–364.

10 Netzwerk Informationskompetenz Baden-Württemberg: Standards der Informations-

kompetenz für Studierende. 2006, URL: http://www.informationskompetenz.de/laen-

der/bw/materialien/NIK-Standards.pdf (21.2.2007).

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170

Der Fragebogen wurde schließlich elektronisch mit einem an der Universität weit

verbreiteten Werkzeug zur Evaluierung von Lehrveranstaltungen (Evasys) erstellt.

Zum Beginn der Befragung Anfang April wurde an die bekannten Adressen

eine E-Mail verschickt, die den Link auf die Online-Befragung enthielt. Drei

Wochen später wurde eine Erinnerungsmail versandt und Anfang Mai wurde die

Befragung nach fünf Wochen Laufzeit beendet. 285 Befragte beantworteten den

Fragebogen, was einer Rücklaufquote von knapp einem Drittel (32,9%) entspricht.

Von diesen 285 Graduierten geben 10,5% einen Bachelor als höchsten Abschluss

an, 73,3% einen Master oder vergleichbare Abschlüsse wie Diplom, Magister oder

Staatsexamen und 11,9% sind bereits promoviert oder sogar habilitiert. Der größte

Teil also befindet sich in der wissenschaftlichen Qualifizierungsphase und arbeitet

an einer Promotion. Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse der Studie

bezüglich der Informationskompetenz vorgestellt werden.

2.2 ERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNG

Recherche nach Forschungsergebnissen

Einen grundlegenden Bestandteil der wissenschaftlichen Tätigkeit macht, gerade

in der wissenschaftlichen Qualifizierungsphase bis zur Promotion, die Suche nach

Ergebnissen anderer Forschungsarbeiten aus. Deshalb wurden die Graduierten

gefragt, welche Recherchequellen in der Regel benutzt werden, um gezielt nach

Forschungsergebnissen zu suchen. Die am häufigsten benutzten Quellen sind

demnach allgemeine Suchmaschinen (76,1%) vor Bibliothekskatalogen (71,9%),

bibliographischen Fach- und Volltextdatenbanken (58,6%) und wissenschaftlichen

Suchmaschinen (43,2%), wie die folgende Abbildung verdeutlicht:

Gezielte Recherche nach Forschungsergebnissen (n=285)

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171

Suchmaschinen sind also die Hauptquellen bei der Recherche nach wissenschaftlichen

Forschungsergebnissen; sie werden von über drei Viertel der Fortgeschrittenen zur

Recherche herangezogen.11 Für Bibliothekare, die erhebliche Ressourcen in die

Pflege von Katalogen und den Kauf von Aufsatzdatenbanken und anderen Quellen

aufwenden, lassen sich aus diesen Ergebnissen mindestens zwei Strategien ableiten:

Zum einen muss auf der Ebene der Vermittlung von Informationskompetenz noch

mehr als bisher über die inhaltlichen und recherchetechnischen Schwächen der

wissenschaftlichen, aber vor allem auch der allgemeinen Suchmaschinen informiert

werden. Zum anderen müssen im Bereich des Einsatzes neuer elektronischer Services

Suchmaschinen noch stärker als bisher in bibliothekarische Überlegungen einbezogen

werden. Suchmaschinen etablieren sich als das Suchinstrument für alle Fälle, vor

allem Google als Marktführer „which offers patrons a fast and easy-to-use way to find

information and answers”12. Suchmaschinen sind vollständig in den Arbeitsprozess der

Wissenschaftler integriert, weshalb die Integration von Inhalten in Suchmaschinen

bzw. die Verknüpfung von bibliothekarischen Diensten mit Suchmaschinen (Stichwort

Linkresolving) weiter vorangetrieben werden muss.

Selbsteinschätzung der Informationskompetenz

Die Befragten wurden – trotz der in Abschnitt 2.1 ausgeführten methodischen

Schwierigkeiten – um eine Selbsteinschätzung in 20 Feldern der Informations-

kompetenz gebeten. Die Mittelwerte der 20 Items der Fragenbatterie sowie der

ungewichtete Index über alle Items sind der folgenden Abbildung zu entnehmen.

11 Dies deckt sich mit den Ergebnissen der SteFi-Studie, vgl. Rüdiger Klatt u.a.: Nutzung

elektronischer wissenschaftlicher Information in der Hochschulausbildung, a.a.O, 173.

12 Jane Lee und Felicia Poe: UC Health Sciences Libraries Metasearch Exploration. Part

II: Medical Faculty, Researcher and Resident Focus Group Findings (Draft). University

of California 2006, 4, URL: http://www.cdlib.org/inside/assess/evaluation_activities/

docs/2006/draft_healthSciences_aug2006.pdf (21.2.2007).

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Selbsteinschätzung der Informationskompetenz (n=276)

Besonders hoch schätzen die Befragten demnach ihre Fähigkeiten in den Bereichen

Richtiges Zitieren (Mittelwert x=1,82), Einfache Suche im lokalen Katalog (1,75)

und vor allem Einfache Suche im Internet mittels Suchmaschinen (1,50) ein. Dies ist,

bezogen auf die zuvor dargestellten Ergebnisse, eine besonders interessante Aussage:

Suchmaschinen sind also für die Fortgeschrittenen das wichtigste Instrument für die

Recherche nach aktuellen Forschungsergebnissen und mit der einfachen Suche mit

Suchmaschinen kennen sich die Graduierten nach eigener Einschätzung besonders

gut aus. Dies bestätigt aus unserer Sicht die bereits diskutierten Strategien.

Weiterer Handlungsbedarf für Schulungsmaßnahmen im weiteren Sinne ergibt sich

aus Bereichen, in denen sich die Graduierten weniger gut einschätzen. Daraus lässt sich

ein Informations- oder Fortbildungsbedarf ableiten, der von Seiten der Bibliothek mit

verschiedenen Methoden gedeckt werden kann. Eher skeptisch werden die eigenen

Kenntnisse in den folgenden Feldern eingeschätzt: Elektronische Literaturverwaltung

(Mittelwert x=2,80), Nutzung weiterer Suchoptionen in Fachdatenbanken wie z.B.

Verknüpfung von Suchbegriffen, Indexsuche etc. (2,84), Export von Trefferdaten aus

Katalogen und Datenbanken (2,87), der Umgang mit audiovisuellen Medien wie

Videoschnitt etc. (3,62), automatische Benachrichtigungsdienste wie Alerts (3,63)

und Web-Publishing von Texten, z.B. auf einem Institutional Repository (3,66). Trotz

der in Abschnitt 2.1 diskutierten Gefahr der sozialen Erwünschtheit einer hohen

Informationskompetenz bewerten die Befragten also einige ihrer Fertigkeiten im

Durchschnitt eher als gering. Wollte man annehmen, dass die Befragten aufgrund

der Tatsache sozialer Erwünschtheit ihre Informationskompetenz noch zu positiv

eingeschätzt hätten, wäre der bibliothekarische Schulungsbedarf nochmals größer.

Bibliothekarische Schulungsmaßnahmen sollten sich nach diesen Ergebnissen

vorwiegend der fortgeschrittenen Suche in Datenbanken, dem Einrichten von

Benachrichtigungsdiensten (Alert, RSS Feed etc.), dem Export von Treffern

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173

aus Datenbanken und anderen Quellen sowie dem Arbeiten mit Literatur-

verwaltungsprogrammen13 wie RefWorks oder Bibliographix widmen. Auch das

Publizieren elektronischer Dokumente jenseits der gängigen Publikationswege, z.B.

auf einem Institutional Repository, scheint ein für die gesamte Zielgruppe interessantes

Thema. Beim Umgang mit audiovisuellen Medien, z.B. dem Videoschnitt für eine

Lehrveranstaltung, dürfte es sich eher um den Bedarf einer sehr speziellen Gruppe

(Medienwissenschaften, Geschichte etc.) handeln.

3. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Die vorgestellten Ergebnisse der Konstanzer Graduiertenstudie weisen darauf hin,

dass auch fortgeschrittene Studierende und Wissenschaftler/innen nicht in allen

relevanten Feldern informationskompetent sind. Daraus lässt sich für Bibliotheken

ein Handlungsbedarf bei der Verbesserung der Informationskompetenz auch von

fortgeschrittenen Studierenden und Wissenschaftler ableiten.

Bei der Konstanzer Befragung wurden auch die Präferenzen für gewünschte

Informationskanäle, etwaigen Beratungsbedarf und bevorzugte Beratungswege

abgefragt, worüber an anderer Stelle berichtet wird; ebenso wie über die Umsetzung

der Erkenntnisse der Studie durch die Bibliothek der Universität Konstanz.14

13 In den in den USA geführten Experteninterviews wurde mehrfach die Strategie ge-

nannt, Literaturverwaltungsprogramme als eine Art trojanisches Pferd („door-opener“,

Bibliothek 8, „to sneak databases in“, Bibliothek 4; Bibliotheken hier in anonymisierter

Form) zu nutzen: Die Studierenden und Wissenschaftler versprechen sich von ihnen

zunächst eine Arbeitserleichterung beim Management ihrer Referenzen und nehmen

deshalb an Schulungsveranstaltungen teil. Damit haben die Bibliothekare die Chance,

auf wichtige Kataloge und Datenbanken hinzuweisen, aus denen Treff er importiert

werden können, wobei sich häufi g herausstellt, dass die Teilnehmenden die vorgestell-

ten Quellen bis dahin nicht kannten oder nutzten.

14 Oliver Kohl-Frey: Beyond the Bachelor, a.a.O.; und Oliver Kohl-Frey: Mittendrin

statt nur dabei. Informationskompetenz und Fachreferat an der Universität Konstanz.

Vortrag auf dem 3. Kongress für Bibliothek und Information in Leipzig 2007, in

Vorbereitung, URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/bibliothek/projekte/informations-

kompetenz/publikationen.html (21.2.2007).

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ZUR ROLLE VON WEBSUCHDIENSTEN UND FACHINFORMATION IM SUCHVERHALTENVON STUDIERENDEN. BEFUNDE EINER EXPLORATIVEN STUDIE

JOACHIM GRIESBAUM

ABSTRACTDie Suchdienste des Internet, allen voran Google, haben die Art und Weise Infor-

mationen zu suchen grundlegend verändert. Die Potenziale dieser Dienste für die

informationelle Absicherung sind unbestritten und kommen insbesondere auch in

Ausbildungskontexten zum Tragen. Andererseits ist zu konstatieren, dass die Ge-

fahr besteht, dass der bequeme und einfache Zugriff auf Informationen über einige

wenige Websuchdienste letztlich zu einem eingeengten Verhaltensspektrum führt,

indem im Sinne einer Selbstbeschränkung andere, potenziell adäquatere Informati-

onsquellen zunehmend ausgeblendet werden. Der Text schildert die Ergebnisse einer

explorativen Fallstudie in einem Kurs der Informationswissenschaft Konstanz. In der

Studie wird die Einschätzung der Lernenden zum wahrgenommenen Nutzen ein-

schlägiger Fachinformationsdienste für den Studienerfolg erfragt. Ergänzend wird

exemplarisch geprüft, inwieweit es derzeit möglich ist, die in derartigen Diensten

nachgewiesenen relevanten Dokumente auch kostenfrei zu beschaffen.

1. PROBLEMFELDER POPULÄRER WEBSUCHDIENSTE

Neben traditionellen Medien und klassischen Informationsdiensten wie etwa Biblio-

theken stellen die populären Websuchdienste zunehmend das zentrale Hilfsmittel

zur Befriedigung von Informationsbedürfnissen dar. Kink & Hess 2006 fassen die

Ergebnisse einer qualitativen Vorstudie zum Wandel der Informationsbeschaffung

durch Suchmaschinen in der These zusammen, dass Suchmaschinen zunehmend

diejenigen Medien substituieren, die „zwar im weitesten Sinne vergleichbar sind, in

ihrer Funktionalität und Effizienz diesen aber weitgehend unterliegen.“1 Suchmaschi-

nen eignen sich zwar sehr gut für eine erste Orientierung und werden folgerichtig

1 N. Kink, T. Hess: Suchmaschinen als Substitut für traditionelle Medien? Erste Ergeb-

nisse einer Studie zum Wandel der Informationsbeschaff ung durch Suchmaschinen.

In: Th e Rising Power of Search-Engines on the Internet: Impacts on Users, Media

Policy, and Media Business Scientifi c Workshop, 26 June 2006, Berlin/Germany, URL:

www.uni-leipzig.de/~journ/suma/abstracts/Abstract_Kink_Hess.pdf (30.8.2006).

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in vielen Fällen als das erste Mittel der Informationsbeschaffung genutzt. Oftmals

dominieren Suchmaschinen aber selbst in Recherchekontexten – wie z.B. der Suche

nach wissenschaftlicher Information – in denen systematischere und effektivere

Suchwerkzeuge zur Verfügung stehen.

2. SUCHVERHALTEN VON STUDIERENDEN

Im deutschsprachigen Raum erlangte vor allem die sogenannte Stefi-Studie2 zur

Nutzung elektronischer Fachinformationen von Studierenden hohe öffentliche

Aufmerksamkeit. Im Ergebnis werden erhebliche Defizite bezüglich der Informa-

tionskompetenz3 von Lehrenden und Lernenden konstatiert. Griffiths bestätigt in

einer Literaturanalyse zum Suchverhalten bei Websuchdiensten und einer Studie

zum Suchverhalten von Studierenden diese Befunde.4 Dabei wird hinsichtlich der

Suchmaschinennutzer deutlich, dass diese vor allem auf Geschwindigkeit und Ef-

fektivität von Suchmaschinen Wert legen und nur in geringem Maße bereit sind,

komplexe Suchanfragen einzugeben bzw. einen interaktiven mehrstufigen Recher-

cheprozess zu durchlaufen.5

2 R. Klatt et al.: Nutzung elektronischer wissenschaftlicher Information in der Hoch-

schulausbildung. Barrieren und Potenziale der innovativen Mediennutzung im

Lernalltag der Hochschulen. 2003, URL: http://www.stefi .de/download/kurzfas.pdf

(26.8.2006).

3 Informationskompetenz kann dabei grundlegend als Fähigkeit zur informationel-

len Absicherung (Information Literacy) verstanden werden. Konkret: kompetent zu

sein, benötigte Informationen zu suchen und zu fi nden, die Relevanz und Validität

der gefundenen Wissensobjekte zutreff end beurteilen zu können und fähig sein, das

erworbene Wissen in den gegebenen Kontexten nutzen und anwenden zu können. Vgl.

Th e Association of College and Research Libraries: Information Literacy Competency

Standards for Higher Education, 2000, URL: http://www.ala.org/ala/acrl/acrlstan-

dards/informationliteracycompetency.htm (28.8.2006).

4 J. Griffi ths: Student searching behavior and the web: use of academic resources and

Google. In: Library Trends, Vol.22 No.3, 2005, URL: http://fi ndarticles.com/p/articles/

mi_m1387/is_4_53/ai_n14732768 (letzter Zugriff 1.9.2006).

5 F. Johnson, J. Griffi ths, R. J. Hartley: Task dimensions of user evaluations of informa-

tion retrieval systems. In: Information Research, 8 (4) 2003, URL: http://informationr.

net/ir/8-4/paper157.html (1.9.2006).

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3. INFORMATIONSKOMPETENZVERMITTLUNG IM CURRICULUM DER INFOR-MATIONSWISSENSCHAFT DER UNIVERSITÄT KONSTANZ

Im Fachbereich Informatik und Informationswissenschaft in Konstanz wird In-

formationskompetenz im Kurs Informationsaufbereitung/Information Retrieval

eingeübt. Die Beförderung von Informationskompetenz wird kursbegleitend durch

mehrere Gruppenübungen angestrebt, in denen systematische Vorgehensweisen bei

problemorientierten Recherchen eingeübt werden. Die Übungsgruppen führen die

jeweiligen Recherchen zunächst mit Hilfe frei wählbarer Websuchdienste und an-

schließend mit Hilfe der thematisch einschlägigen INSPEC-Datenbank6 durch.

4. EXPLORATIVE STUDIE

In der im Kurs vorgenommenen Untersuchung wurde die Durchführung der Re-

cherchen beobachtet, die erarbeiteten Ergebnisse bewertet und die Studierenden

nach der Durchführung der Rechercheübungen hinsichtlich des wahrgenommenen

Nutzens einschlägiger Fachinformationsdienste für den Studienerfolg befragt. Das

Ziel bestand darin,

– Informationen zum wahrgenommenen Nutzen der im Kurs gewählten Methodik

der Informationskompetenzvermittlung zu gewinnen,

– die Nützlichkeitseinstufung und Nutzungshäufigkeit von Suchdienstetypen zu erfra-

gen bzw. festzustellen, ob sich im Ablauf des Kurses Änderungen feststellen lassen,

– zu ermitteln, ob und inwieweit seitens der Studenten prinzipiell die Bereitschaft

besteht, für den Zugriff auf Fachinformation auch zu bezahlen.

Ergänzend wurden die Ergebnisse der Übungsrecherchen dahingehend analysiert,

ob die mit Hilfe der INSPEC-Datenbank gefundenen und als relevant beurteilten

Artikel, die in der Datenbank selbst ja nur als Referenz nachgewiesen werden, auch

tatsächlich beschafft und dabei kostenfrei bezogen werden konnten.

Die Befragung wurde im Juli 2006 durchgeführt. An der Befragung nahmen 25

Teilnehmer teil. Alle Teilnehmer sind männlichen Geschlechts und zwischen 19

und 30 Jahren alt. 23 der 25 Teilnehmer sind Studenten des Studiengangs Infor-

mation Engineering, ein Teilnehmer studiert Soziologie mit Nebenfach Informatik,

ein Teilnehmer machte bezüglich des Studienfachs keine Angaben. Die Befragten

stehen in der überwiegenden Zahl der Fälle am Beginn ihres Studiums. Die Befunde

der Studie sind damit in keinem Fall für die Gruppe der Studenten als Ganzes re-

präsentativ, vielmehr können sie als Beispiel für die Einschätzung eines hochgradig

technikorientierten und internetaffinen Teilnehmerkreises betrachtet werden.

6 URL: http://www.iee.org/Publish/INSPEC/ (2.9.2006).

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Der Fragebogen weist insgesamt 31 Items auf. Bei geschlossenen Fragen wurden

5-stufige Likert-Skalen von „-2“ bis „+2“ verwendet und Intervallskalenniveau unter-

stellt. Die Befunde zu den Übungsrecherchen wurden anhand der von den Übungs-

gruppen erarbeiteten Rechercheprotokolle und -analysen derselben erschlossen.

5. RESULTATE

5.1 BEFÖRDERUNG DER INFORMATIONSKOMPETENZFolgende Tabelle zeigt die Selbsteinstufung der Informationskompetenz vor dem

Kurs und nach Absolvierung der Übungen.

Tabelle 1: Informationskompetenzeinstufung

Vor dem Kurs nach den Übungen im Kurs

Mittelwert -0,08 1,04

Sta. Abw. 0,70 0,45

Mit Ausnahme eines Teilnehmers stufen alle Teilnehmer ihre Informationskompetenz

nach den Übungen im Kurs höher ein als zuvor. Der Mittelwert der Informationskompe-

tenzeinstufung erhöht sich von einem neutralen Wert (-0,08) um gut einen Skalenpunkt

auf den Wert 1,04, was einer hohen Informationskompetenzeinstufung entspricht. Es

handelt sich um eine signifikante Änderung, die impliziert, dass die im Kurs angewand-

ten Schulungsmaßnahmen als sehr erfolgreich eingestuft werden können.

5.2 SUCHDIENSTETYPEN Hinsichtlich der verschiedenen im Kurs behandelten bzw. für eine Recherche

sinnvoll nutzbaren Suchdienstetypen zeigt sich sowohl bezüglich der Einstu-

fung der Nützlichkeit derselben als auch der angegebenen Nutzungshäufi gkeit

ein eindeutiges Bild. Tabelle 2 zeigt, dass im Vergleich zu anderen Suchdiensten

die populären Suchdienste des Web als in hohem Grade unverzichtbare Such-

dienste gelten.

Tabelle 2: Nützlichkeit von Suchdienstetypen für das Studium

Mittelwert Sta. Abw.

Websuchdienste 1,60 0,71

Karteikästen der Bibliothek 1,00 1,00

Elektronische Kataloge der Bibliothek 0,48 0,85

Fachspezifische Informationsdienste 0,54 1,06

(Fachdatenbanken, Online-Zeitschriften)

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Die eben angeführte Nützlichkeitseinstufung korrespondiert mit den Angaben zur

Nutzungshäufigkeit. Folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse der Befragung zur Such-

dienstenutzung der Teilnehmer vor dem Kurs und der voraussichtlichen Nutzung

derselben im weiteren Studienverlauf.

Tabelle 3: Nutzung von Suchdiensten

Vor dem Kurs im weiteren

Verlauf des Studiums

Mittelwert Sta. Abw. Mittelwert Sta. Abw.

Websuchdienste 1,88 0,34 1,71 0,55

Karteikästen der Bibliothek -1,58 0,88 -1,24 1,01

Elektronische Kataloge der -0,58 1,28 0,52 0,87

Bibliothek

Fachspezifische Informations-

dienste -0,96 1,23 0,75 0,85

(Fachdatenbanken, Online-Zeitschriften)

Die Tabelle verdeutlicht das Bild der wahrgenommenen Relevanz der populären

Suchmaschinen, die auch nach dem Kurs der mit Abstand am meisten genutzte

Suchdienstetyp bleiben. Es werden aber ebenso starke Veränderungen im antizipier-

ten künftigen Nutzungsverhalten der unterschiedlichen Suchdienstetypen deutlich.

Während vor dem Kurs die Nutzungshäufigkeiten sowohl von OPACs als auch

fachspezifischen Informationsdiensten als gering bzw. sehr gering bezeichnet werden

kann, wollen die Studierenden des Kurses diese Dienste im weiteren Studienverlauf

wesentlich häufiger nutzen.

5.3 ZAHLUNGSBEREITSCHAFT FÜR DEN ZUGRIFF AUF FACHINFORMATION Nach Kuhlen ist zu erwarten, dass in Deutschland in Folge der Reform des Ur-

heberrechts auf die Studierenden erhebliche Informationskosten zukommen.7 Die

Bibliotheken sind auf Grund z.T. bereits monopolartiger Strukturen auf dem Markt

für Forschungsveröffentlichungen, „bei denen einige Großanbieter die Preise und Kon-

ditionen für den elektronischen Zugang diktieren können“,8 tendenziell immer weniger

in der Lage, den kostenlosen Zugriff auf wissenschaftliche Arbeiten sicherzustellen.

Eine derartige Entwicklung lässt befürchten, dass sich die Substitutionseffekte zwi-

schen Fachinformations- und Websuchdiensten für Lernkontexte weiter verstärken.

7 R. Kuhlen: Was läuft verkehrt beim Urheberrecht? Vortrag bei einer Podiumsdiskussi-

on zur Urheberrechtsreform an der Universität Konstanz, 19.7.2006, URL: http://www.

kuhlen.name/Vortraege06-Web/vortrag-asta190706-urhr.pdf (4.9.2006).

8 Heise News „Riesengewinne mit wissenschaftlichen Publikationen“, 18.4.2006, URL:

http://www.heise.de/newsticker/meldung/72062 (4.9.2006).

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Es ist plausibel zu erwarten, dass bei der Auswahl von Suchdiensten die populären

Suchmaschinen, die ja fast ausschließlich nur frei zugängliche Wissensbestände

nachweisen, gegenüber fachspezifischen Suchdiensten, die oft einen hohen Anteil

kostenpflichtiger Dokumente referenzieren, von Seiten der Studenten noch stärker

bevorzugt werden, zumindest dann, wenn seitens der Studierenden nur eine geringe

Zahlungsbereitschaft vorhanden ist. Um bezüglich dieser Bereitschaft ein erstes

Bild zu gewinnen, wurde die Befragung abschließend mit fünf Fragen zu diesem

Themenbereich ergänzt. Folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse im Überblick.

Tabelle 4: Zahlungsbereitschaft für den Zugriff auf Fachinformation

Mittelwert Sta. Abw.

Ich bin bereit, für den Bezug wissenschaftlicher Artikel, -0,68 1,18

die relevant für mein Studium sind, die bei SUBITO

anfallenden Gebühren in Höhe von 5–10 Euro pro

Artikel zu bezahlen

Ich bin bereit, für den Bezug wissenschaftlicher Artikel, -1,32 1,07

die relevant für mein Studium sind, die bei

kommerziellen Anbietern üblichen Preise in Höhe

von 15–40 Euro zu bezahlen

Ich bin nicht bereit, für wissenschaftliche Artikel, 0,20 1,32

die relevant für mein Studium sind, zu bezahlen,

notfalls beschränke ich mich auf kostenfrei

erhältliche Dokumente

Informationskosten sollten grundsätzlich 1,24 1,01

nicht von den Studierenden getragen werden

Die Studierenden sind bezüglich der Frage der Zahlungsbereitschaft für wissen-

schaftliche Artikel gespalten, 14 der 25 Teilnehmer stimmen der Aussage: „Ich bin

nicht bereit, für wissenschaftliche Artikel, die relevant für mein Studium sind, zu bezahlen,

notfalls beschränke ich mich auf kostenfreie erhältliche Dokumente“, zu. Bezüglich der

Frage, ob Informationskosten grundsätzlich nicht von den Studierenden getragen

werden sollten, ergibt sich ein eindeutiges Bild. Mit einem Mittelwert von 1,24

stimmen die Teilnehmer der Befragung zu – nur ein Teilnehmer äußert zu dieser

Fragestellung eine negative Einschätzung. Insgesamt zeigt sich also, dass der privat

zu tragende kommerzielle Erwerb fachrelevanter wissenschaftlicher Information von

den Lernenden in der Mehrzahl skeptisch gesehen wird. Eine Zahlungsbereitschaft

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ist hinsichtlich der Gebühren kommerzieller Anbieter faktisch nicht vorhanden, sie

ist aber auch bei dem durch Bibliotheksinstitute betriebenen Dienst SUBITO, der

wesentlich geringere Gebühren aufweist, sehr gering ausgeprägt.

In ihrer realen Bedeutung sind diese Befunde zwar zu relativieren, da zu beachten

bleibt, dass die Befragung quasi nur Absichtserklärungen zu ermitteln vermag und

zudem die Studierenden, zumeist am Anfang ihres Studiums stehend, noch kaum reale

Erfahrungen im Umgang mit derartiger Information, etwa als notwendiger Grund-

lage für Haus- oder gar Abschlussarbeiten, aufweisen. Zudem lässt sich das Ergebnis

nicht ohne weiteres auf andere Studienfächer beziehen, da die Bedeutung von Fach-

information sicher nicht für alle Studienfächer gleichermaßen relevant ist. Gerade für

informatik- und informationswissenschaftsnahe Themenfelder existiert eine Vielzahl

qualitativ hochwertiger, kostenlos zugänglicher, über Suchmaschinen recherchierbarer

Wissensbestände. Es bleibt also letztlich offen, ob und inwieweit diese Einschätzung

der Lernenden tatsächlich eine „Verweigerung“, einen Boykott kostenpflichtiger In-

formationen nach sich ziehen würde. Sicher hingegen ist, dass die Problematik nicht

gerade dazu beiträgt, den Gebrauch von fachspezifischen Suchdiensten und Fachin-

formation respektive deren Attraktivität für die Studierenden zu befördern.

5.4 DOKUMENTZUGRIFFInwieweit tatsächlich von Seite der Studenten derzeit bereits eine Zahlungsbe-

reitschaft für den Zugriff auf Fachinformation nötig ist, soll abschließend durch

ein konkretes Fallbeispiel beleuchtet werden. Im Kurs wurde die Dokumentbe-

schaffung im Rahmen der Gruppenübungen durchgeführt und eingeübt. Hierbei

wurde von den einzelnen Gruppen geprüft, ob und wie sie auf den Volltext der in

der INSPEC-Datenbank recherchierten und als relevant bewerteten Referenzen

zugreifen können. Klassischerweise stellen die Bibliotheken (Bibliotheksverbünde)

vor Ort die Dokumente in eigenen Beständen zur Verfügung und ermöglichen z.T.

auch den unmittelbaren und kostenlosen elektronischen Zugriff auf externe An-

bieter. Ergänzend besteht die Option, entweder über Fernleihen oder SUBITO die

Dokumente aus anderen Bibliotheksbeständen zu beziehen. Am einfachsten und

häufig die schnellste Möglichkeit auf einen Volltext zuzugreifen ist es oft, den Titel

der Publikation in einer Websuchmaschine einzugeben und zu hoffen, dass der Text

von dieser indexiert und irgendwo auf einem Webserver frei zugänglich abgelegt ist.

Zuletzt besteht schließlich die meist teure Option, die Dokumente bei den jeweiligen

Verlagen und Publishern (Elsevier, Springer, etc.) direkt zu beziehen. Aufgabe der

Übungsgruppen war es nun, für die relevanten Treffer ihrer Recherchen zu prüfen,

ob sie bei einer Titelsuche in einer Suchmaschine auf den Volltext zugreifen können

und/oder ob der kostenlose Zugriff in Papier- oder elektronischer Form durch die

Bibliothek ermöglicht wird. Die Resultate sehen wie folgt aus.

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Tabelle 5: Kostenloser Dokumentzugriff durch Websuchdienste

und Bibliothek

Relevante Dokumente Websuch- Bibliothek Über- Kostenfrei

dienste lappung insgesamt

Summe 236 67 32 9 99

Quote 100% 28,39% 13,56% 3,81% 41,94%

Die Ergebnisse deuten an, dass ein kostenloser Zugriff auf fachrelevante wissen-

schaftliche Dokumente, zumeist Artikel aus Zeitschriften und Proceedings, tat-

sächlich nicht in der Mehrheit der Fälle vorausgesetzt werden kann und deshalb die

oben thematisierte Problematik einer kommerziellen Verknappung von Wissensbe-

ständen tatsächlich ein für Studienkontexte relevantes Problemfeld darstellt. Die in

der obenstehenden Tabelle eingetragenen Werte haben sicher nur exemplarischen

Wert, zeigen aber auf, dass vor dem Hintergrund einer faktisch nicht vorhandenen

Zahlungsbereitschaft der Studenten diese Entwicklung zumindest potenziell zu

einer qualitativen Verschlechterung der Ausbildung an Universitäten beizutragen

vermag.

6. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorliegende explorative Studie zu-

nächst hinsichtlich des Suchverhaltens die Forschungsbefunde anderer Studien

untermauert und dabei die hohe Relevanz der populären Websuchdienste auch

bzw. gerade in Ausbildungskontexten bestätigt. Weiterhin wird dargestellt, wie im

Fachbereich Information Engineering die Nutzung elektronischer wissenschaftlicher

Information als integraler Bestandteil des Curriculums in der Lehre verankert und

damit für die Studenten obligatorisch im Studium eingebunden ist. Dabei lassen

die Ergebnisse der Befragung hoffen, dass die Studierenden im weiteren Verlauf

ihres Studiums neben Suchmaschinen vermehrt weitere, im Ausbildungskontext

potenziell adäquatere Informationsdienste zumindest ergänzend nutzen.

Weiters deuten die Ergebnisse der Befragung an, dass seitens der Studierenden

zunächst keine Zahlungsbereitschaft für den Zugriff auf hochwertige Wissensbe-

stände erwartet werden kann. Damit ist eine weitere wichtige Hürde auf dem Weg

hin zu einer kompetenten informationellen Selbstversorgung angesprochen. Die

kommerzielle Verknappung von Wissen kann durchaus einer Googlerisierung der

Ausbildung Vorschub leisten. Aktuelle Bestrebungen, in der Folge der Reform des

Urheberrechts die Rechte der Informationsverwerter zu stärken, sind somit unter

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dem Aspekt der informationellen Versorgung der Studenten, letztlich damit der

Qualität der Ausbildung, nicht nur an Universitäten, skeptisch zu betrachten. Die

im Kurs angesprochene Idee, die künftig anfallenden Studiengebühren zur Deckung

derartiger Informationskosten zu verwenden, wird von den Studierenden zumindest

nicht a priori abgelehnt. Dies könnte auch als Anreiz wirken, um auf Seiten der

Studierenden vermehrt derartige Fachinformation zu nutzen. Dieses erste Gedan-

kenspiel ist sicher noch nicht ausgereift, aber vielleicht kann die vorliegende Studie

einen Impuls geben, um neue Konzepte zur Erhöhung der Attraktivität von Fach-

information zu entwickeln und damit sowohl die Informationskompetenz befördern

als auch die Informationsversorgung verbessern. Denn es geht schon längst nicht

mehr darum, einen Gegensatz zwischen den klassischen Informationsdiensten für

Forschung und Lehre an Hochschule einerseits und Suchmaschinen andererseits

zu pflegen, sondern darum, trotz der Effektivität, Effizienz und Kostenfreiheit von

Suchmaschinen die Attraktivität „professioneller“ Fachinformationsdienste für die

Nutzer nachhaltig zu erhalten und dabei die Kompetenz zu deren zieladäquater

Anwendung sicher zu stellen.

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ERWARTUNGEN AN DIE WISSENSCHAFTLI-CHE BIBLIOTHEK DER ZUKUNFT – UNTER BERÜCKSICHTIGUNG VON BEFUNDEN DER NEUEREN NUTZERFORSCHUNG

WILFRIED SÜHL-STROHMENGER

1. INFORMATIONSÜBERFLUTUNG UND AUFMERKSAMKEIT

Die im Zuge weiter wachsender Nutzung des Internet überproportional steigenden

Informationsmengen stellen Bibliotheken, aber vor allem die Nutzer selbst vor enorme

Probleme der Präsentation, Vermittlung und Auswahl von Informationsressourcen:

Wenn sich die verfügbare Information innerhalb eines Jahres verdoppelt oder gar

verdreifacht, wird es dementsprechend doppelt oder dreimal so schwierig, etwas zu

finden.

Die Informationspraxis im Zeitalter des Internet stößt ohnehin an Grenzen der

menschlichen Informationsverarbeitungskapazitäten1 – das sollte auch hinsichtlich

der zukünftigen Gestaltung von Bibliotheken berücksichtigt werden: Der limitierende

Faktor der Informationsverarbeitung ist die Aufmerksamkeit: „If attention goes one

place, then it can’t go another.“2 Die „Theorie der Innovationsdiffusion“ von Everett

Rogers3 aus den 60er Jahren beinhaltet ein Modell, das die Aneigner von Innovationen

in verschiedene Kategorien einteilt und auf dem Gedanken basiert, dass bestimmte

Individuen gegenüber Innovationen zwangsläufig offener sind als andere.

2. ENTWÜRFE ZUR „BIBLIOTHEK DER ZUKUNFT“

Dieter E. Zimmer hat bereits im Jahr 2000 die Hauptkennzeichen der hybriden

Bibliothek beschrieben, die eine „Schnittstelle zwischen den verschiedenen

1 Siehe dazu auch Steff en-Peter Ballstaedt: Kognition und Wahrnehmung in der Informa-

tions- und Wissensgesellschaft. Konsequenzen gesellschaftlicher Veränderungen für die

Psyche. In: Medienpädagogik „Wissensgesellschaft“, hg. von Hans-Dieter Kübler, Elmar

Elling Bonn 2005 (= Arbeitsmaterialien Medien), URL: http://www.bpb.de/publikationen/

JF6K73,html.

2 Vgl. dazu u.a. Th omas H. Davenport, John C. Beck: Th e attention economy. Under-

standing the new currency of business. Boston 2001.

3 Vgl. Everett M. Rogers: Diff usion of innovations. New York 52003.

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Aggregatzuständen der Information“4 sein müsse, d.h. sie benötigt Magazine

und Leseplätze genauso wie Bildschirmarbeitsplätze und Leseplätze für e-Books

sowie Drucker und Scanner, um elektronische Veröffentlichungen in gedruckte

verwandeln zu können und umgekehrt.5 Krichel und Koenig plädieren für die offene

wissenschaftliche Bibliothek, die aus einer frei verfügbaren Datensammlung mit

Abstracts und Indices besteht.6 Im Endstadium enthält eine offene wissenschaftliche

Bibliothek Beschreibungen aller wissenschaftlichen Dokumente, die jeweils mit

den Publikationskanälen (Zeitschrift, Konferenz usw.) verlinkt sind, in denen sie

erschienen sind, mit genauen Autoreninformationen und mit Zitatbeschreibungen

für jedes zitierte Werk.7

Elmar Mittler nannte 1996 u.a. folgende Aspekte:8 Die Bibliothek der Zukunft

ist die nutzerorientierte Bibliothek, d.h. die Bedürfnisse der Nutzer müssen in der

Bibliothek der Zukunft besser realisiert werden können. Die neue Bibliothek kann

nur in Kooperation von Wissenschaftlern, Bibliothekaren und Rechenzentren

geschaffen werden, und zwar auf verschiedenen Kooperationsebenen (regional,

national, international).

4 Dieter E. Zimmer: Die Bibliothek der Zukunft. Text und Schrift in den Zeiten des

Internet. Hamburg 2000, S. 13.

5 Relativ weit fortgeschritten ist die digitale Bibliothek der Zukunft an der Bibliothek

der ETH Zürich: vgl. dazu die Beiträge in: Auf dem Weg zur digitalen Bibliothek, hg.

von Corinne Gysling und Wolfram Neubauer. Strategien für die ETH-Bibliothek im

21. Jahrhundert Zürich 2005 (= Schriftenreihe B der ETH-Bibliothek; Bibliothekswe-

sen; 7); siehe auch die „Vision Bibliothek 2015“ in: Ludger Syré und Jürgen Seefeldt:

Portale zu Vergangenheit und Zukunft – Bibliotheken in Deutschland. Hildesheim,

Zürich 2003, S. 95 ff .; ferner Jürgen Seefeldt: Zukunftsvisionen – Die Bibliothek

von morgen, in: B.I.T.online, 8 (2005), 1, 11–18, URL: http://www.b-i-t-online.de/

archiv/2005-01-idx.html.

6 Th omas Krichel, Michael E.D. Koenig: From Open Access to Open Libraries. Claims and

Visions for Open Academic Libraries. Paper presented in the second China Digital Librar-

ies conference. Beijing 2004, URL: http://openlib.org/home/krichel/papers/dijon.pdf.

7 Beispiel einer solchen off enen wissenschaftlichen Bibliothek ist RePEc (Research Pa-

pers in Economics) an der sich hunderte von Freiwilligen aus 55 Ländern und 34 US-

Staaten beteiligen, um so die Verbreitung wirtschaftswissenschaftlicher Forschungser-

gebnisse voranzubringen, URL: http://repec.org/.

8 Vgl. Elmar Mittler: Die Bibliothek der Zukunft. Überlegungen aus Anlaß der Planun-

gen zu einem Informations- und Kommunikationszentrum in Adlershof (Berlin). In:

Bibliothek. Forschung und Praxis, 20 (1996) 2, 259–261.

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Schließlich sind nach Norbert Lossau die digitalen Services wesentlich für eine

zukunftsorientierte wissenschaftliche Bibliothek. Im Fokus seiner Überlegungen

stehen die Wissenschaftler, offensichtlich insbesondere der naturwissenschaftlich-

technischen Disziplinen. Schlüsselbegriff für Lossau ist die e-Science, die neue

Formen wissenschaftlicher Arbeitsweisen sowie vernetztes Wissen impliziert. Die

heute von Bibliotheken angebotenen Informationsdienste erstrecken sich auf eine nur

schwer überschaubare Vielfalt von Ressourcen, während die zukünftigen Services eine

integrierte Suche aller gedruckten und online verfügbaren Informationsressourcen

beinhalten sollen. Es bedarf sodann vielfältiger inhaltlicher Relevanzfilter, der

Reduzierung bibliographischer Suche auf Grundkategorien und auf die Volltextsuche,

eines Ergebnis-Rankings u.a.m. Lossau empfiehlt multidisziplinäre wie auch

fachbezogene Suchmaschinen, sodann die Entwicklung inhaltlicher, fachspezifischer

und interdisziplinärer Navigationssysteme.9

3. EMPFEHLUNGEN

Die Erwartungen an die wissenschaftliche Bibliothek der Zukunft kommen auch

in den Positionspapieren und Empfehlungen von Wissenschaftsorganisationen wie

der Deutschen Forschungsgemeinschaft10 bzw. des Wissenschaftsrats11, ferner im

gemeinsam von der Bertelsmann Stiftung und der Bundesvereinigung Deutscher

Bibliotheksverbände (heute: BID) herausgegebenen Strategiekonzept „Bibliothek

2007“12 oder in der kürzlich von der österreichischen Sozialdemokratie initiierten

„Bibliotheksinitiative Österreich“13 zum Ausdruck.

9 Vgl. dazu u.a. Norbert Lossau: Weiterentwicklung der Infrastruktur für wissenschaft-

liche Information im digitalen Zeitalter. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Techni-

schen Universität Dresden, 55 (2005) 1–2, 73–81.

10 Vgl. u.a. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): Wissenschaftliche Literaturversor-

gungs- und Informationssysteme: Schwerpunkte der Förderung bis 2015. DFG-Posi-

tionspapier. Bonn 2006, URL: http://www.dfg.de/forschungsfoerderung/wissenschaft-

liche_infrastruktur/lis/download/positionspapier.pdf; vgl. ferner das DFG-Programm

„Nationallizenzen für elektronische Medien“, URL: http://www.nationallizenzen.de/

11 Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch

Hochschulbibliotheken. Greifswald 2001 (Drucksache 4935/01), URL:http://www.

wissenschaftsrat.de/texte/4935-01.pdf.

12 Vgl. Bertelsmann Stiftung: Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e. V.:

Bibliothek 2007. Gütersloh 2004.

13 Vgl. Bibliotheksinitiative Österreich: Bibliotheksinitiative Österreich. Für eine Mo-

dernisierung und nachhaltige Entwicklung des österreichischen Bibliothekswesens. In:

Mitteilungen der VÖB, 59 (2006) 2, 97–102.

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Hochschulbibliotheken werden zu „Hybridbibliotheken“. Gegenüber der ehemals stark

betonten Bestandsorientierung gewinnt die Beschaffungs- und Nachweisorientierung

an Bedeutung; im allgemeinen hält die Bibliothek nicht mehr nur die Daten selbst

vor, sondern auch Informationen über die Daten anderer Anbieter, um im Falle der

Nachfrage einen effizienten Zugang und Zugriff auf die gewünschten Informationen

zu ermöglichen.14 „Auf absehbare Zeit werden „Hybridbibliotheken“, welche eine

Mischung aus gedruckten und digitalen Publikationen und Informationsquellen

vorhalten, das vorherrschende Modell sein, zu welchem sich die Bibliotheken

weiterentwickeln müssen.“15

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) erstrebt ein integriertes digitales

Informationssystem für die Wissenschaft, wie es in Gestalt von „vascoda“ als

Keimzelle sowie des Systems der Sondersammelgebiete schon existiert. „Ziel muss

es sein, das DFG-Sondersammelgebietssystem in das nationale Wissenschaftsportal

einzubetten und durch digitale Ressourcen zu komplettieren. Neben der Lizenzierung

digitaler Verlagsangebote sollen im Rahmen einer Prioritätenplanung gemeinfreie

Bestände der Sondersammelgebiete digitalisiert werden.“16 Bereits realisiert wurde

in diesem Zusammenhang das DFG-Projekt der „Nationallizenzen“17, um dadurch

die Versorgungslücken insbesondere bei digitalen Text- und Werkausgaben, den

von wissenschaftlichen Verlagen angebotenen Digitalisierungen zurückliegender

Zeitschriftenjahrgänge sowie speziellen Fachdatenbanken wirkungsvoll zu

schließen.

Die Entwürfe im Rahmen des Projekts „Bibliothek 2007“ beziehungsweise der

sozialdemokratischen „Bibliotheksinitiative Österreich“ beziehen sich auf die

wachsende Bedeutung des öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliothekswesens

für das lebenslange Lernen in der Wissensgesellschaft.

4. NUTZERERWARTUNGEN AN DIE BIBLIOTHEK DER ZUKUNFT

Die Nutzerperspektive ist aus einschlägigen Studien zum Informationsverhalten

der wissenschaftlichen Nutzer sowie aus Nutzerbefragungen an deutschen,

österreichischen und schweizerischen Hochschulbibliotheken zu gewinnen.

Differenziert muss dabei nach studentischen und nach wissenschaftlichen Nutzern

14 Vgl. Wissenschaftsrat, a.a.O., 30.

15 Ebd., 29.

16 Ebd., 4.

17 Siehe Näheres auf der entsprechenden WWW-Seite unter URL: http://www.Natio-

nallizenzen.de.

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werden, weil die Erwartungen dieser beiden für die Hochschulbibliotheken zentralen

Gruppen recht unterschiedlich sind.

Die Münsteraner Studie zum Informationsverhalten und zum Informationsbedarf

der Wissenschaftler hat ergeben, dass der Informationsbedarf der Wissenschaft

ständig anwächst und sich verändert. Der „information overload“ übersteigt die

Aufnahmekapazität nicht nur der Studierenden, sondern auch der Wissenschaftler

– Informationsverzicht ist vielfach der Ausweg.18 Gewünscht wird ein breiter,

übergreifender, einheitlicher Zugriff insbesondere auf fachspezifische Informationen.

Es entsteht eine „now or never“-Mentalität, bei Verzicht auf schwer erreichbare

Information. Die Trennung zwischen Recherche und Beschaffung existiert nicht

mehr. Wissenschaftler in allen Fächern nutzen sowohl gedruckte wie elektronische

Quellen, wenn auch letztere für die Zukunft als deutlich wichtiger angesehen werden.

Fachportale könnten helfen, insbesondere wenn sie auf einer Kooperation zwischen

Bibliotheken und Fachwissenschaftlern beruhen, jedoch stehen die Wissenschaftler

einer inhaltlichen Gewichtung durch Nicht-Fachleute misstrauisch gegenüber.

„Tätigkeiten, die inhaltliche Bewertung von Informationen implizieren, behalten

sich die Wissenschaftler vor.“19 Personalisierte Dienste (Profile) werden gewünscht.

Die mangelnde Informationskompetenz wird auch auf Seiten der Wissenschaftler

konstatiert.

In den Jahren 2000 bis 2004 wurden verschiedene Nutzungsuntersuchungen

im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)

durchgeführt.20 Nutzer recherchierten demnach Information mit höchstens ein

oder zwei Suchbegriffen, sahen sich maximal zwei Seiten der Ergebnisanzeige

an, begannen sehr schnell eine neue Suche, ohne die erste Rechercheanfrage für

eine Verfeinerung zu nutzen, verwendeten weder Boole’sche Operatoren noch

Trunkierungen, verstanden die Ergebnispräsentation im Ranking oft nicht.

Vorzugsweise bedienten sie sich dabei der Suchmaschinen, danach eigener Linklisten

und dann erst der Themenportale bzw. der Fachdatenbanken. Zur Beschaffung

von Information werden am häufigsten Bücher und Fachzeitschriften verwendet,

dicht gefolgt von Suchmaschinen. Man sucht vor allem Volltexte, sodann Abstracts

und (mit einigem Abstand) Literaturhinweise, danach Forschungs-/Projektberichte,

18 Vgl. dazu und zum Folgenden Roswitha Poll: Informationsverhalten und Informati-

onsbedarf der Wissenschaft. Teil 1 der Nutzungsanalyse des Systems der überregiona-

len Literatur- und Informationsversorgung. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und

Bibliographie, 51 (2004) 2, 59–75.

19 Ebd., 89.

20 Vgl. Beate Tröger: Nutzungsanalysen im Blick auf fachliche und interdisziplinäre

Webportale – Ergebnisse und Konsequenzen. In: B.I.T.online, 7 (2004) 1, 21–27.

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Adressen, Infos über aktuelle Projekte u.a. „Inhaltliche Desiderate vor allem

konventioneller Fachdatenbanken sind aus Nutzersicht damit besonders einerseits

im Bereich der Volltext- und Abstract-Versorgung und andererseits im Bereich

der sog. Fakteninformationen zu sehen.“21 Gewünscht wird ein „One-Stop-Shop-

Zugriff auf alle Informationen von einem einzelnen Zugang aus.“22

Lokale Wissenschaftlerbefragungen ergaben, dass mit der Bibliothek die Begriffe

„Fachliteratur“ und „Bücher“ assoziiert werden. Das Internet ist die mit Abstand

wichtigste Informationsquelle, abgesehen von Kollegenkontakten, während die

UB-Homepage und die Fachdatenbanken mit Abstand folgen. Die Bibliothek soll

– gleichrangig mit klassischen Aufgaben – zum Dienstleister für Internetangebote

und Zentrum für die Schulung Studierender in der Literatur-/Informationssuche

werden. Prioritäten für die Zukunft sind (Dortmunder Erhebung 2004):23

– die Erschließung wissenschaftlich relevanter Internetquellen

– die Schulung Studierender in der Informations- und Literatursuche

– der Ausbau des Printbestandes

– der Aufbau einer Suchmaschine für wissenschaftlich relevante Informationen

Man erwartet eine aktive Informationspolitik von der Bibliothek (Freiburg

199624, Konstanz 200025), die stärkere Betonung der elektronischen Medien und

Dienstleistungen. Ingo Mörth betrachtet die Bibliotheken der Zukunft treffend als

„Wissensspeicher, Suchmaschinen und Orte des Lernens“.26 Mit der Digitalisierung

21 Ebd., S. 24.

22 Ebd., S. 25.

23 Vgl. Ursula Georgy, Ute Engelkenmeier: Imageanalyse einer Universitätsbibliothek als

Basis zur Kundenbindung. In: Daniela Lülfi ng, Irmgard Siebert (Hg.): 94. Deutscher

Bibliothekartag in Düsseldorf 2005. „Geld ist rund und rollt weg, aber Bildung bleibt“.

Frankfurt am Main 2006 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie; Sonder-

heft 89), 61–77.

24 Vgl. Wilfried Sühl-Strohmenger: Die Erwartungen von Wissenschaftler(innen) an In-

formationsdienstleistungen und Informationsmanagement einer Universitätsbibliothek.

In: Bibliotheksdienst, 30 (1996) 1, 23–46.

25 Siehe Oliver Kohl: Befragungen in Bibliotheken – Das Beispiel einer Befragung von

Lehrenden an der Bibliothek der Universität Konstanz. In: Bibliothek. Forschung

und Praxis, 24 (2000) 1, 87–92, URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltex-

te/1999/63/.

26 Ingo Mörth: Wissensspeicher, Suchmaschinen und Orte des Lernens. Zur Zukunft der

Bibliotheken im Bildungssystem. In: 28. Österreichischer Bibliothekartag 2004. Ge-

neralthema: Bibliotheken – Fundament der Bildung. Tagungsband/21.–25. September,

Linz, hg. von Christian Enichlmayr. Linz 2005 (= Schriftenreihe der Oberösterreichi-

schen Landesbibliothek), 15–26.

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der eigenen Bestände und dem Nachweis in OPACs, dem Zusammenschluss zu

elektronischen Bibliotheksverbünden mit der Perspektive eines „World Catalogue“,

der teilweisen Umstellung auf rein digitale Informationsträger (e-Journal, e-Book)

haben sich die wissenschaftlichen Bibliotheken zu einem Knotenpunkt im virtuellen

Netzwerk des Wissens entwickelt. Dadurch wandelt sich aber auch ihr Bildungsauftrag

und ihre Rolle im Bildungssystem. „Nicht mehr die optimale Bestandspflege, die

Vermittlung dieses Bestandes an die Leserschaft und die Schaffung einer möglichst

guten Rezeptionsqualität vor Ort stehen im Mittelpunkt, sondern die Unterstützung

der Nutzer in der Auswahl und Verarbeitung der elektronischen Informationsfülle.

Bibliotheken bekommen einen wesentlichen zusätzlichen Stellenwert: Navigator im

Wissensozean und Lehrerin der notwendigen Informationskompetenzen.“27

Die seit dem Jahrtausendwechsel von verschiedenen Hochschulbibliotheken in

Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführten Nutzerbefragungen richteten

sich zwar häufig primär an ihre Hauptnutzergruppe – die Studierenden –, bezogen

darüber hinaus aber auch die Wissenschaftler und die sonstigen Nutzergruppen

mit ein: Nordrhein-Westfalen 2001 (alle Hochschulbibliotheken)28, ETH Zürich

(1998), 200329, Österreich-Befragung 2003 (10 Zentral-Hochschulbibliotheken)30,

27 Ebd., S. 21

28 Vgl. Robert Follmer, Stefan Guschker, Sebastian Mundt: „Alles, was man zum Lernen

braucht...“. Übergreifende Ergebnisse der Benutzerbefragung in den nordrhein-westfä-

lischen Universitätsbibliotheken 2001. In: ProLibris, 1 (2002), 20–25.

29 Vgl. Wolfram Neubauer, Alice Keller: Dienstleistungsangebote von Bibliotheken in

elektronischer Form. Eine Benutzungsstudie der ETH-Bibliothek. In: Nachrichten für

Dokumentation, 50 (1999), 407–412; Wolfram Neubauer, Annette Trinkler, Margit

Unser: „Alles in allem: die beste Bibliothek, die ich kenne“ – Nutzerbefragung an der

ETH-Bibliothek 2003. Zürich 2005, URL: http://e-collection.ethbib.ethz.ch/show?typ

e=bericht&nr=413.

30 Siehe dazu Bruno Bauer: Die elektronische Bibliothek auf dem Prüfstand ihrer Kunden.

Konzeption und Methodik der gemeinsamen Online-Benutzerbefragung 2003 an zehn

österreichischen Universitäts- und Zentralbibliotheken. In: Bibliotheksdienst, 38 (2004),

595–610; Bruno Bauer et al.: Wie beurteilen Nutzer unser elektronisches Medien- und

Dienstleistungsangebot? Ausgewählte Ergebnisse der gemeinsamen Online-Nutzerbe-

fragung 2003 an zehn österreichischen Universitäts- und Zentralbibliotheken.

In: 28. Österreichischer Bibliothekartag 2004, a.a.O., S. 151–189.

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Mannheim 200331, Augsburg 200332, Eichstätt-Ingolstadt 200333, Graz 2003, 200434,

StUB Bern 200435, Dortmund 2004/0536, Göttingen 200437, Stuttgart 200438,

Düsseldorf 200539, Freiburg 2005/0640.

Zwar fragen die Bibliotheken kaum nach den Zukunftsvorstellungen, die die Nutzer

mit der Bibliothek verbinden. Die Präferenzen der aktuellen Nutzung veranschaulichen

dennoch implizit, welche Schwerpunkte von der Bibliothek auch in der weiteren

Zukunft gesetzt werden sollten, um dem Nutzerbedarf zu entsprechen.

Die Analyse der berücksichtigten Nutzerbefragungen ergibt – ungeachtet

der jeweils unterschiedlichen Erhebungsmethoden –, dass Fachbücher und

Zeitschriften, die Bibliothekshomepage und der lokale Online-Katalog, das

Internet, die Informationsrecherche und die Ausleihe die am stärksten genutzten

Bibliotheksdienstleistungen sind. Das Buch ist weiterhin Primärmedium. Danach

folgen die Arbeit in den Lesesälen, die Nachfrage nach gedruckten Beständen

31 Vgl. Marek Fuchs: Ergebnisse der Benutzerbefragung 2003 der UB Mannheim :

Methodische Anlage der Untersuchung. Mannheim 2003, URL: www.bib.uni-mann-

heim.de/aktuelles/befragung/befragung.html.

32 Vgl. dazu Ulrich Hohoff : Eine Nutzerbefragung und ihre Folgen – Anmerkungen aus

der Universitätsbibliothek Augsburg. In: Bibliotheksforum Bayern, 34 (2004) 1, 63–69.

33 Vgl. Maria Löffl er, Marek Fuchs: „Und, was sagen Sie dazu?“. Die Online-Benutzerbe-

fragung der Universitätsbibliothek Eichstätt-Ingolstadt: Methodik und Ergebnisse. In:

Bibliotheksforum Bayern, 31 (2003), 3, 238–252.

34 Siehe dazu Gerhard Reichmann: Benutzerzufriedenheitsstudie für die UB Graz. In:

Mitteilungen der VÖB, 56 (2003) 3–4, 34–48; Gerhard Reichmann: Benutzerforschung

mit beschränkten Ressourcen. In: Mitteilungen der VÖB, 57 (2004) 2, 41–52.

35 Vgl. Christian Lüthi: Die StUB im Urteil ihrer Benutzerinnen und Benutzer, in:

LIBERNENSIS, (2004) 2, 12f. [Kurzbericht].

36 Siehe Ursula Georgy, Ute Engelkenmeier: Imageanalyse einer Universitätsbibliothek

als Basis zur Kundenbindung. In: 94. Deutscher Bibliothekartag in Düsseldorf 2005,

a.a.O., 61–77.

37 Vgl. Klaus Ceynowa et al.: „Ich bin eigentlich rundum zufrieden.“ Postalische Nutzer-

befragung an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In:

Bibliothek. Forschung und Praxis, 28 (2004) 1, 85–98.

38 Siehe Robert Scheuble: Benutzerbefragung an der WLB. Methode und Einzelergeb-

nisse. In: Bibliotheksdienst, 38 (2004) 4, 461–470.

39 Siehe Joachim Kreische: Nutzungsanalysen der hybriden Bibliothek. In: B.I.T.online,

9 (2006) 1, 17–25.

40 Vgl. Wilfried Sühl-Strohmenger: Nutzerbefragungen im Freiburger Bibliothekssystem.

In: EUCOR-Bibliotheksinformationen, (2006) 27, 15–19, URL: http://www.ub.uni-

freiburg.de/eucor/infos/.

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(Lehrbücher), nach Auskunfts- und Informationsservice sowie nach leistungsfähigen

Kopiergeräten.

Am stärksten gewünscht sind, mit Blick auf die elektronische Bibliothek, demnach

der Ausbau des elektronischen Medien- und Dienstleistungsangebots, eine

beschleunigte Dokumentlieferung, mehr Informationsmarketing (e-Journals,

Datenbanken, Online-Fernleihe etc. sind vielfach unbekannt), die Realisierung

verschiedener Nutzungsmöglichkeiten im Kontext der Hybridbibliothek und der

Direktzugang zu elektronischen Volltexten. Am stärksten gefragt sind, mit Blick auf

die „reale“ Bibliothek, erweiterte Öffnungszeiten, der Ausbau aktueller gedruckter

Bestände, der Auskunfts- und Informationsservice, bessere d.h. bedarfsgerechte

Lern-/Arbeitsbedingungen sowie leistungsfähige, funktionierende Kopierer und

eine gute Auswahl von Lehrbüchern.

5. SCHLUSSFOLGERUNGEN

Es gibt im Jahr 2015 keine Bibliothek des Typs „one size fits it all“, sondern jede

wird ihren lokalen Bedarf reflektieren. Einige werden sich den Platz mit anderen

lokalen (auch kommerziellen) Dienstleistern teilen, andere werden zur virtuellen

Bibliothek. Die Bibliothek der Zukunft wird es mit aktiven Nutzern zu tun

haben, die als Partner und Teilhaber am Prozess der Informationsproduktion und

der Informationsaneignung verstanden werden müssen (Stichwort: Web 2.0).

Gleichzeitig wird die Bibliothek zur „Teaching Library“, da die Nutzerschaft

angesichts exponentiell zunehmenden Informationsmengen der zur bedarfs-

gerechten Bewältigung dieser Informationsvielfalt nötigen Informations- und

Medienkompetenzen noch mehr bedarf als schon heute. Das Medium Buch

bleibt, wird aber ergänzt durch digital(isiert)e Medien, der Langzeitarchivierung

dieser Medien kommt wachsende Bedeutung zu. Die Bibliothek der Zukunft

sollte eine Überforderung der Innovationsfähigkeit unserer Nutzer vermeiden.

Sie bietet ein differenziertes Informationsangebot nach Bedarf der Zielgruppen

und ist ein attraktiver Ort des Lernens und Arbeitens mit konventioneller

und digitaler Information. Sie eröffnet den Zugang zur Information direkt über

eine Suchmaschine und bemüht sich um die Erschließung auch der Internet-

ressourcen. Die Bibliothek der Zukunft versteht die Vermittlung von Informations-

kompetenz als eine Kernaufgabe.

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KÖNNEN BIBLIOTHEKEN EINEN BEITRAG ZUR ÜBERWINDUNG DER DIGITALEN SPALTUNG DER GESELLSCHAFT LEISTEN?

HEIMO GRUBER

Der Begriff des Digital Divide beschreibt die unterschiedlichen Möglichkeiten in

Bezug auf den Zugang, die Nutzung und den Umgang mit Informations- und

Kommunikationstechnologien (IKT), insbesondere dem Internet. Bei der Bewertung

des Digital Divide bieten sich drei Bestimmungsebenen an:

– Global (Entwickelte Welt versus Entwicklungsländer)

– National (Differenz zwischen Information Rich und Information Poor innerhalb

der einzelnen Gesellschaften)

– Nutzungskluft (trotz vorhandenen Zugangs sorgen unterschiedliche Medien-

kompetenz und inhaltliche Barrieren für Trennungen)

Bibliotheken müssen den ungehinderten Zugang zur Information garantieren

und sind herausgefordert, einen öffentlichen und möglichst kostenfreien Zugang

zum Internet bereitzustellen. Die entsprechenden Prinzipien sind in zwei

programmatischen Dokumenten der IFLA festgelegt:

IFLA Internet-Manifest http://www.ifla.org/III/misc/im-g.htm (2002) und

Alexandria Manifest über Bibliotheken: Die Informationsgesellschaft in Aktion http://

www.ifla.org/III/wsis/AlexandriaManifesto-de.html (2005).

Es ist kein Zufall, dass das Alexandria Manifest in zeitlicher Nähe zum Weltgipfel zur

Informationsgesellschaft in Tunis verabschiedet wurde und sich auch darauf bezieht.

Der World Summit on the Information Society (WSIS) wurde Ende der 1990er Jahre

von der UNO initiiert und ist ein Versuch, die Debatte um die Entwicklung der

Informationsgesellschaft und die Bedeutung der IKT für die Entwicklungsländer

global zu führen.

Der WSIS-Prozess wird von drei Gruppen getragen:

a) Regierungen des Nordens und Südens

b) Wirtschaftszweige des IKT-Sektors

c) Zivilgesellschaftliche Organisationen (NGOs).

Bisher fanden zwei große Weltgipfel in Genf 2003 und Tunis 2005 statt. Die dabei

verabschiedeten Dokumente http://www.itu.int/wsis/outcome/booklet/index.html

räumen den Bibliotheken und Bibliothekaren einen wichtigen Stellenwert beim

Projekt Building an Information Society ein. Nach diesen hehren Zielen soll bis 2015

die Hälfte der Weltbevölkerung online sein.

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Die Entwicklungsländer haben einen Digitalen Solidaritätsfonds für die Dritte Welt

gefordert, der auf dem Prinzip der Freiwilligkeit akzeptiert wurde. Mittlerweile

wurde dieser Fonds tatsächlich geschaffen: Ein Prozent des Gewinnes, den IKT-

Unternehmen aus Aufträgen des öffentlichen Sektors generieren, soll an den Fonds

überwiesen werden. Der WSIS-Prozess ist nicht zuletzt ein Tauziehen um die

Kontrolle und Verwaltung des Internet, die künftig im Internet Governance Forum

diskutiert werden soll.

16,9% der gesamten Weltbevölkerung (1,114 Milliarden Menschen) haben

Zugang zum Internet. (Quelle: www.internetworldstats.com) Die höchste

Durchdringungsrate erreicht Nordamerika mit 69,7%, während der afrikanische

Kontinent einen Versorgungsgrad von nur 3,6% aufweist. Die Nord-Süd-Kluft

des weltweiten Digital Divide zeigt sich hier besonders drastisch: Mit einem

Anteil von 5,1% der Erdbevölkerung stellt Nordamerika 20,9% der globalen

Internet-Nutzer, das bevölkerungsreichere Afrika (14,2% der Weltpopulation)

erzielt einen Anteil von 3%. Obwohl in Asien nur 10,7% der Menschen online

sind, stellt dieser Kontinent die höchste absolute Zahl an Internet-User:

398,7 Millionen.

Österreich weist im europäischen Vergleich eine sehr hohe Internet-Dichte

auf. (Quelle: http://medienforschung.orf.at/international.htm) Bereits 67% der

Österreicher ab 14 Jahren haben grundsätzlich Zugang zum Internet, 62% sind

aktive Internet-User.

Am weitesten verbreitet ist das Internet in den nordischen Ländern, allen voran Island

mit einem User-Anteil von 88%. Es folgen Finnland, Dänemark und Norwegen, wo

mehr als drei Viertel der Bevölkerung online sind. Eine Durchdringungsrate von über

70% wird darüber hinaus auch in Schweden, in der Schweiz, in den Niederlanden

und in Luxemburg erreicht, während Länder wie Großbritannien, Frankreich und

Deutschland erst hinter Österreich rangieren.

Allerdings zeigt die Verteilung innerhalb der österreichischen Gesellschaft, dass

dieser Nutzen nicht allen beschieden ist. Nach wie vor verlaufen die Trennlinien

entlang von Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen. Nach den statistischen

Zahlen des Austrian Internet Monitor (http://www.integral.co.at/dImages/AIM-

C_4Quartal_2006.pdf ) benützen 71% der Männer, aber nur 54% der Frauen das

Internet. Innerhalb der Altersgruppe der 14–19-Jährigen sind 90% online, dagegen

bloß 21% der über 60-Jährigen. Hohe Bildungsabschlüsse und hohe Einkommen sind

in Gruppen mit großem Nutzungsgrad überrepräsentiert, während für Benachteiligte

das Gegenteil gilt.

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Dass die Möglichkeit eines öffentlichen Internetzuganges in österreichischen

Bibliotheken im öffentlichen Bewusstsein nicht sehr entwickelt zu sein scheint, zeigt

der Umstand, dass im Austrian Internet Monitor bei der Erhebung der Zugangsorte

die Bibliotheken nicht als eigenständige Größe geführt werden.

Hingegen demonstrierte in den USA eine Studie der Gates Foundation und nationaler

Bürgerrechtsorganisationen, dass dort die Bibliotheken einen wichtigen Beitrag zur

Schließung der digitalen Teilung leisten: http://www.digitale-teilung.de/content/

news/.

Sogar 60% der amerikanischen Offliner sind die Bibliotheken als öffentliche Zugangs-

orte bekannt. Während Afro-Amerikaner und Hispano-Amerikaner hinter den

Nutzungsraten der weißen Bevölkerung zurückliegen, benutzen diese beiden Gruppen

insgesamt deutlich häufiger Bibliothekscomputer als ihre weißen Mitbürger.

Für Österreich gibt es keine empirische Untersuchung über die Benutzerstruktur

bei Internetzugängen in Bibliotheken. Es existiert aber eine materialreiche Studie,

die mit der Auswertung einer breiten Erhebung in den Wiener Internet-Cafes

dem Zusammenhang von Digital Divide und öffentlichen Internetzugängen

nachgespürt hat.1 Lachmayr kommt dabei zum Ergebnis, dass die Benutzer der

Internet-Cafes überwiegend Menschen sind, die privat über keinen Internetzugang

verfügen, trotzdem aber auf Grund ihrer Medienkompetenz nicht zu den von

Digital Divide betroffenen Gruppen zählen. Aus beobachtender Praxis kann für

die öffentlichen Bibliotheken ein ähnlicher Befund erstellt werden. Auch zu den

dortigen Internetzugängen kommen in der Mehrzahl Menschen, die zu Hause

keinen Anschluss vorfinden, aber die Technik beherrschen und daher nicht zu den

Information Poor gezählt werden können.

Und das führt zum zentralen Punkt unserer Fragestellung: Können Bibliotheken

überhaupt einen Beitrag zur Überwindung von Digital Divide leisten?

Dabei geht es nicht nur um den Zugang und die Vernetzung, sondern vor allem

um das Know How und das Nutzungsverhalten, sowie die Verhinderung des Second

Level Digital Divide: Man hat zwar Zugang, kann ihn aber nicht adäquat nutzen

– mit den fatalen Folgen, in einer zunehmend wissenszentrierten Ökonomie, in

der Information zum wichtigsten Faktor wird, zu unterliegen. Die Funktion der

Bibliotheken als Anbieter öffentlichen Zugangs kann nicht oft genug betont

werden – vor allem, weil die Bilanz nach wie vor eine dürftige Sprache spricht. So

1 Norbert Lachmayr: Digital Divide und öffentliche Internetzugänge: Einflusspotential

kommerzieller Internetpools in Wien. [Wien Diss.] 2002.

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weist die Statistik des Büchereiverbandes Österreichs für 2005 (Quelle: http://www.

publikationen.bvoe.at/perspektiven/bp3_06/s36-42.pdf ) in 1.563 österreichischen

öffentlichen Bibliotheken insgesamt nur 860 Internet-PCs aus.

Offliner benennen als entscheidende Faktoren neben hohen Kosten den fehlenden

Nutzen.2 Es kann daher nur an Interessen angeknüpft werden. Was ein wichtiger

Inhalt ist, stellt sich für verschiedene Zielgruppen unterschiedlich dar. Entscheidend

für die Relevanz der Inhalte ist deren Bedeutung für die persönliche Lebensführung

des potentiellen Nutzers. Wenn das Internet Informationen bereitstellt, die zur

Verbesserung des individuellen beruflichen oder privaten Lebensbereiches dienen,

ist der Anreiz, sich mit dem neuen Medium zu beschäftigen, ausreichend groß, um

auch bisherige Nichtnutzer zu überzeugen.

Bibliotheken müssen sich in stärkerem Maß zu Lernorten entwickeln. Da dem

vielfach die Personalsituation entgegensteht (zu knappe Ressourcen, manchmal

mangelnde Kompetenzen), sind Kooperationen (etwa mit Schule, Einrichtungen

der Erwachsenenbildung, AMS, Senioreninitiativen u.ä.) umso wichtiger. Ebenso

werden Schulung und Weiterbildung von Bibliothekaren von entscheidender

Bedeutung sein.

Auch für das Zusammenwirken von öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken

eröffnet sich hier ein weites Feld: Informationskompetenz und soziale Kompetenz

können Synergieeffekte erzielen und wechselseitiges Lernen fördern.

Nicht zuletzt müssen sich Bibliotheken selbst verändern, um zu verlässlichen

Navigatoren der Informationsbeschaffung zu werden: Ihr Auftritt im Netz erfordert

eine entsprechende Architektur, um das Gewünschte systematisch suchen zu

können.

2 Mechthild Winkelmann: Auf den Inhalt kommt es an? Wie und warum [nicht] Bürger

ins Netz gehen. In: Digitale Teilung – Digitale Integration. Perspektiven der Internet-

nutzung, hg. von Gernot Gehrke. München 2004, 53–66.

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ÖFFENTLICH ZUGÄNGLICHE BIBLIOTHEKEN AN UNIVERSITÄT UND HOCHSCHULE?DAS KONZEPT DER PRIMÄREN NUTZER-GRUPPE UND SEINE FOLGEN FÜR ANDERE BENUTZERGRUPPEN

ULRICH HOHOFF

Unser Thema, das wegen neuerer Entwicklungen ja wieder Aktualität erlangt,

ist in Deutschland eigentlich schon lange im Bewusstsein der verantwortlichen

Bibliothekare. Planungsgruppen und Verbände haben sich darüber immer wieder

geäußert. Ich möchte eingangs drei Beispiele aus drei Jahrzehnten zitieren.

UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK: FÜR ALLE ODER NUR FÜR UNIVERSITÄTSMITGLIEDER?

Das erste Beispiel führt zurück in die Zeit nach 1968, in eine Phase des

bildungspolitischen Aufbruchs und der Neugründung vieler Universitäten. Eine

Arbeitsgruppe der Deutschen Bibliothekskonferenz hat damals – in einem Projekt

des Deutschen Büchereiverbands und der Berliner Arbeitsstelle für das Bücherwesen

(alle drei Institutionen sind mittlerweile Geschichte) – den berühmt-berüchtigten

„Bibliotheksplan 1973“ geschrieben. Er wurde publiziert – mit dem Untertitel

„Entwurf eines umfassenden Bibliotheksnetzes für die Bundesrepublik Deutschland“

– und sofort heftig kontrovers diskutiert.1

Die Arbeitsgruppe hatte erstmals versucht, die Aufgaben verschiedener Bibliotheks-

typen und ihrer sehr unterschiedlichen Träger (Kommune, Bundesland, Bund,

sonstige öffentliche Einrichtung, Stiftung) aufeinander abzustimmen. Ihr neuer

Planungsansatz ging davon aus, dass jeder Bibliothekstyp seinen spezifischen

Beitrag zur künftigen Gemeinschaftsaufgabe Bildung leisten solle, von der

öffentlichen Bücherei über die Stadtbibliothek, die Universitätsbibliothek und die

Landesbibliothek bis hin zur Deutschen Bibliothek.

1 Bibliotheksplan 1973. Entwurf eines umfassenden Bibliotheksnetzes für die Bundesre-

publik Deutschland. Projektleitung: Deutscher Büchereiverband e.V. und Arbeitsstelle

für das Büchereiwesen, Berlin. Berlin: Deutsche. Bibliothekskonferenz 1973. Auf

169–172 sind die Namen von nicht weniger als 44 Mitarbeitern an der Publikation

aufgeführt (Anlage 14).

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Die Bildungseuphorie war damals groß, die Ansprüche, welche dieser erste

Masterplan für die deutschen Bibliotheken erfüllen sollte ebenso. Bibliotheken

sollten als Akteure im Bildungsprozess zu Gunsten des Bürgers verankert werden

– ein Versuch, der in Teilen vor drei Jahren in dem Konzept „Bibliothek 2007“

nochmals aufgegriffen wurde. Ich zitiere einige Ziele des „Bibliotheksplans

1973“: Die Vernetzung der Bibliothekslandschaft diene unter anderem dazu, „das

noch vorhandene Bildungsgefälle abzubauen, überall in Stadt und Land gleiche

Bildungschancen und Bildungsmöglichkeiten zu gewährleisten“ sowie „eine freie

politische Meinungsbildung für alle Bürger“ zu ermöglichen. Ein weiteres Zitat:

„Gleichzeitig vermitteln die Bibliotheken aktiv und kontaktfördernd Kenntnisse

über die gesellschaftlichen Zusammenhänge und ihre Wandlungen und dienen

so der Integration des Einzelnen in die Gesellschaft.“ Die berühmt gewordene

Zusammenfassung der Ziele lautet: Es sei notwendig, dass „Literatur aller Art

[…] und Informationsmittel für jedermann an jedem Ort erreichbar sind“.2 Das

bezog sich nicht nur auf die nächstgelegene kommunale Bücherei, es sollte auch für

Universitätsbibliotheken, Landesbibliotheken und für Bibliotheken von nationaler

Bedeutung gelten. Jede Universitätsbibliothek sollte jedem bildungshungrigen

Interessenten offen stehen, also auch, wie die Formel damals hieß, eine „Bibliothek

für alle“ sein.

Das zweite Beispiel ist 20 Jahre jünger. Die Bundesvereinigung deutscher

Bibliotheks-verbände (BDB) schränkte diesen Grundsatz zwar in ihrem Grundsatz-

papier „Bibliotheken 1993“ ein, verteidigte ihn aber noch mit wünschenswerter

Deutlichkeit. Er gilt auf mehreren Ebenen. Erstens heißt es ganz allgemein:

„Bibliotheksdienste müssen jedermann ohne besondere Erschwernisse zugänglich

sein“. Zweitens liest man über die Hochschulbibliotheken, diese seien „primär“

für die eigene Hochschule da und – ein entscheidender Zusatz – „fungieren als

wissenschaftliche Allgemeinbibliotheken“. Drittens hielt die BDB fest, die Aufgabe

der Universitätsbibliotheken sei die Literatur- und Informationsversorgung „inner-

und außerhalb der Universitäten“.3

Das dritte Beispiel ist im Kontext des Weltkongresses der International Federation of

Library Associations (IFLA) zu sehen, der 2003 in Deutschland stattfand. Zu diesem

Anlass erschien eine gut lesbare Bestandsaufnahme des deutschen Bibliothekswesens,

verfasst von Jürgen Seefeldt und Ludger Syré im Auftrag der BDB. Die Autoren

2 Alle Zitate a.a.O., 10.

3 Nachweis: Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände: Bibliotheken ’93. Struk-

turen Aufgaben – Positionen. Realisation: Hans-Jürgen Kuhlmeyer, Simone Rennert.

Göttingen, Berlin 1994. Zitate auf 6, 41 und 42. Auf 181/182 sind die Namen der 38

Mitarbeiter aufgeführt.

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verweisen mehrmals auf die Bedeutung der Bundesländer als Träger der Hochschul-

und Landesbibliotheken. Über die Hochschulbibliotheken heißt es im Abschnitt

über „Universitäten und andere Hochschulen“ zunächst, deren Bibliotheken seien

„in erster Linie“ für Hochschullehrer und Studierende da. Es folgt immerhin der

Nachsatz: „Sie haben sich heute aber auch der Bevölkerung geöffnet“. Etwas später,

bei den Aufgaben der rd. 100 Universitätsbibliotheken in Deutschland, wird dann

ausgeführt: „Alle Universitätsbibliotheken können aber auch für wissenschaftliche

Zwecke von Nicht-Hochschulangehörigen benutzt werden“.4

Ein Vergleich der drei Positionen bibliothekarischer Spitzenorganisationen

zu Universitätsbibliotheken zwischen 1973 und 2003 zeigt, dass Aussagen zur

Literaturversorgung der wissenschaftlich Interessierten, die nicht zur Universität

gehören, heute deutlich defensiver formuliert werden als 1973. Der Beitrag der

Universitätsbibliotheken zur Verbesserung der allgemeinen Bildung von damals

ist als Ansatz nicht mehr aktuell. Man unterscheidet stattdessen zwei Gruppen:

die Mitglieder der eigenen Universität und die sonstigen Benutzer, welche halt

so mitschwimmen im Strom der Leser, ohne dass die UB sich näher für sie

interessieren müsse. Der diffamierende Ausdruck „Nicht-Hochschulangehöriger“

zur Kennzeichnung dieser Benutzergruppe spricht für sich.

Aus heutiger Sicht waren die Ziele des „Bibliotheksplans 1973“ nicht realistisch. Aber

man sollte oder muss auch sehen, dass die Planer von damals für das Konzept einer

öffentlichen Universitätsbibliothek einen gewaltigen Zuwachs an Erwerbungsmitteln

und an Mitarbeitern mitgeplant und eingefordert hatten.

NEUE KONZENTRATION AUF DIE „PRIMÄRE NUTZERGRUPPE“

Universitätsbibliotheken sind institutionsgebunden. Ihre Hauptaufgabe war immer

die Arbeit für die eigene Universität. Das Umfeld Universität, in dem sie sich

bewegen, hat sich inzwischen deutlich verändert. Fast alle größeren Veränderungen

der Universitäten seit den Neunziger Jahren wirkten so, dass die Universitätsbibliothek

zwar stärker in den Universitätsbetrieb eingebunden wurde als früher, zugleich aber

auch stärker von ihr abhängig wurde. Ich nenne aus meiner Berufserfahrung in

Bayern heraus folgende Faktoren:

4 Jürgen Seefeldt, Ludger Syré: Portale zu Vergangenheit und Zukunft – Bibliotheken

in Deutschland. Im Auftrag der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände

herausgegeben. Mit einem einführenden Essay sowie einem Nachwort von Georg

Ruppelt. Hildesheim, Zürich, New York 2003. Zitate auf 31 und 45.

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a) Verfügbare Mittel: Die Erwerbungsmittel stagnierten. Die Kommunikation mit

den Dozenten der Universität über deren laufenden Bedarf ist deutlich intensiver

geworden. Auch waren Titelreduzierungen und umfangreiche Abbestellaktionen

von Periodika zu besprechen. Titel, die man früher für den künftigen Bedarf, zur

Abrundung eines Faches, aus fachübergreifenden Überlegungen oder für Benutzer

aus Stadt und der Region gekauft hatte, wurden nicht mehr bestellt. Selbst die

Konsortialverträge sind, nach der ersten Euphorie über umfangreiche Verlagspakete,

heute strikt vom lokalen Bedarf jeder Bibliothek bestimmt.

b) Prof ilierung der Universität: Gleichzeitig mit dem Mittelrückgang begannen

die Universitäten, ihr Profil zu schärfen. Sie mussten nun erstmals Studiengänge

mehrerer Universitäten im Bundesland aufeinander abstimmen. Einige Fächer

brachen weg, andere orientierten sich neu, einige Fächer wurden auf die Zuarbeit

zu Bachelor-Studiengängen reduziert, andere starteten Master-Studiengänge.

Es entstanden vermehrt fakultäts- und universitätsübergreifende Studiengänge.

Neue Forschungsgebiete, neue Elite-Studiengänge und neue übergreifende

Kompetenzzentren für Profilschwerpunkte stecken in den Anfängen. In den

meisten dieser Fälle existiert hier leider keine gesonderte Finanzierung für den

Bibliotheksbedarf. Das reduziert die Berücksichtigung der Interessen von

Benutzern außerhalb der Universität erheblich. Oft sind nur ad personam zugesagte

Berufungsmittel eines Professors dafür einsetzbar.

c) Die Zahl der Bibliotheksmitarbeiter nimmt ab: Parallel zu den erwähnten

Veränderungen laufen Bemühungen, die Anzahl der Staatsdiener zu reduzieren, um

nicht später von Pensionskosten überrollt zu werden. Als zentrale Einrichtungen sind

die Universitätsbibliotheken in Stelleneinsparprozesse beim nicht-wissenschaftlichen

Personal einbezogen und müssen teilweise Leistungen abbauen.

d) Grundausbildung: Wenn die Universitätsbibliotheken noch stärker in Schulung

und Unterricht für die Studierenden (Stichwort Informationskompetenz) einsteigen

sollen, wird dringend zusätzliches Personal benötigt, vor allem für Übungen und

deren Besprechung, das aber nicht in Sicht ist.

e) Zwei weitere Entwicklungen werden die Bindung der Universitätsbibliothek

an inneruniversitäre Prozesse – und damit ihre Bindung an Leistungen für die

primäre Zielgruppe der Universitätsangehörigen – weiter verstärken: Erstens

kommen in den großen Bundesländern ab Herbst 2006 bzw. Sommersemester

2007 Studienbeiträge (auch als „Studiengebühren“ bezeichnet) für alle Studierenden,

in der Regel € 1.000,-- pro Jahr, welche die Universität für die Verbesserung der

Lehre einsetzen muss. Das ist einerseits eine Erleichterung, weil sich daraus

Erwerbungen, Lizenzen, verlängerte Öffnungszeiten und anderes finanzieren

lassen. Andererseits dürfte es die Anspruchshaltung der Studierenden gegenüber

der Dienstleistungseinrichtung UB verstärken (und die Haltung der Dozenten,

dieser entgegenzukommen). Ich hoffe, wir werden nicht gezwungen sein, eines

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Tages z.B. die wichtigsten zwei Gesetzessammlungen jedem angehenden Juristen

als Lehrbuch der Universitätsbibliothek auszuhändigen. Zweitens kommt auch in

Bayern die Budgetierung, und ein besseres Finanzcontrolling der Universitäten ist

in Vorbereitung. Die Professoren werden dann die Leistung der Bibliothek, die

als Vorkostenstelle prozentual bei ihren Budgets mit veranschlagt wird, stärker am

Nutzen für sie selbst und ihre Studenten bemessen.

Universitätsangehörige sind heute stärker „primäre Zielgruppe“ einer Universitäts-

bibliothek als früher. Ich nenne drei Beispiele, um zu zeigen, dass der Zugriff auf

Ressourcen der Universitätsbibliothek durch andere Benutzer sich verschlechtert.

a) Zugriff auf lizenzierte Netzdatenbanken: Ein Gutachten des Vereins Deutsches

Forschungsnetz (DFN), der das Wissenschaftsnetz in Deutschland betreibt, von

2005 sieht ernste Probleme beim Netzzugang durch nicht-universitäre Benutzer.

Die Rechteverwerter von Datenbanken verlangen, dass der Zugriff auf Datenbanken

und elektronische Zeitschriften soweit wie möglich von den Universitätsräumen

aus stattfindet. Universitätsmitglieder haben zusätzlich die Möglichkeit, sich von

außerhalb, z.B. von zuhause, über das Rechenzentrum wie ein Benutzer in den

Bibliotheksräumen anzumelden, nicht-universitäre Benutzer haben dieses Recht

nicht. Wir können diese missliche Situation leider derzeit nicht ändern.

b) Gebühren: Die Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf muss seit 2005 von

Benutzern, die nicht Universitätsmitglieder sind, eine Jahresgebühr verlangen, wie sie

in öffentlichen Bibliotheken für alle Benutzer häufig vorkommt. Die Begründung

war, dass Mitglieder zusätzliche Leistungen erhielten, die zu Universitätszwecken

aufgebaut worden seien. Weitere Bibliotheken werden folgen. Die eingenommenen

Mittel stehen bisher übrigens der Bibliothek nicht für Investitionen zur Verfügung. An

der Staatsbibliothek zu Berlin ist jetzt die Benutzung eines Lesesaals kostenpflichtig.

Der Benutzer muss wie für die Ausleihe eine Monatskarte (€ 10,--) oder eine

Jahreskarte (€ 26,--) erwerben.

c) Eingeschränkte Ausleihe: An Universitätsbibliotheken können manchmal Schüler nicht

ausleihen. Lehrbücher aus Lehrbuchsammlungen sind für Studenten reserviert. Ein

Ortsleser kann nicht entleihen. Wenn nur ganz wenige Exemplare vorhanden sind, ist das

sicher sinnvoll. Bei höheren Exemplarzahlen müsste man eine Öffnung diskutieren.

d) Die Nutzung durch Externe wird nicht evaluiert: Im „Bibliotheksindex“, der seit

einigen Jahren auch für Universitätsbibliotheken in Deutschland erstellt wird (auch

österreichische Bibliotheken sind Teilnehmer) spielt für viele Leistungsindikatoren

die Größe der Zielgruppe, für die man arbeitet, eine wesentliche Rolle. Als „primäre

Nutzergruppe“ für eine UB wurden schlichtweg die Universitätsmitglieder definiert.

Damit gelten die nicht-universitären Benutzer als zu vernachlässigende Größe.

Leistungen für sie gehen nicht in die Bewertung der Bibliotheken ein, was deren

Leistung nicht korrekt wiedergibt.

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Nun könnte man einwerfen: Sollten UBs in dieser schwierigen Lage nicht froh sein,

dass andere Benutzergruppen nicht zusätzlich Arbeit verursachen? Weshalb sollten

sie sich auch noch um externe Nutzer kümmern?

EINGESCHRÄNKTER SERVICE FÜR EXTERNE BENUTZER ALS STRATEGIE?

Es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, um welche Benutzer es sich bei den

Externen handelt, deren Zugang zu Informationen in der Universitätsbibliothek

eingeschränkt wird:

– Oberstufenschüler

– Absolventen der eigenen Universität

– Absolventen und Dozenten anderer Universitäten

– Behördenmitarbeiter mit akademischem Hintergrund

– Firmenmitarbeiter und Freiberufler

– weitere akademisch interessierte Benutzer.

Für ihren Bedarf existiert kein Erwerbungs- oder Lizenzetat. Es gibt keinen

Bestand, der ihren Bedarf gezielt abdeckte. Sie sind nur geduldete Mitbenutzer des

Bibliotheksgutes für die Universitätsmitglieder.

Lenken wir den Blick auf die Bildungsbiographie eines Lesers der Universitätsbibliothek,

dann sehen wir, dass er mehrmals seinen Status als Benutzer wechseln kann.

Als Schüler Oberstufe Gymnasium nicht universitär

Als Student primäre Nutzergruppe

Als Promovend nicht universitär

Als Berufstätiger nicht universitär

Als Lehrbeauftragter/Assistent primäre Nutzergruppe

Als Privatmann, alumnus, Gasthörer nicht universitär

Als Privatdozent/Professor primäre Nutzergruppe

Als Rentner/Pensionär nicht universitär

Im Extremfall kann ein Leser im Lauf seines Lebens jeder der acht Benutzergruppen

an der Universitätsbibliothek zugeordnet werden. Der sechsmalige Statuswechsel

zwischen Nicht-Mitgliedschaft und Mitgliedschaft, zwischen dem Status als

gewollter Benutzer und als nur geduldeter Benutzer verursacht der Bibliothek und

dem Leser jedes Mal Arbeit. Es ist kaum nachvollziehbar, dass diese Wechsel sinnvoll

sein sollen. Denn der Leser arbeitet jedes Mal wissenschaftlich und benötigt jedes

Mal Informationen aus der Universitätsbibliothek.

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EINE BESSERE STRATEGIE: INTEGRATION EXTERNER BENUTZER

Auch die Bibliotheken müssen sich von Zeit zu Zeit fragen, ob sie die richtigen

Dinge tun, ob ihre Handlungsstrategie richtig ist. Wer die richtigen Schritte tun

will, muss zuerst die Richtung kennen, in die er geht. Dazu gehört es, zu wissen, für

welche Zielgruppe(n) man arbeitet. Werfen wir einen Blick in Hochschulgesetze

oder Benutzungsordnungen von Universitätsbibliotheken, dann findet sich dort etwa

eine Formulierung, wonach an Universitäten der Bedarf von Lehre und Forschung

im Vordergrund stehe. Eine Schlechterstellung des externen Nutzers, der nicht

Universitätsmitglied ist, findet sich dort nicht. In der Benützungsordnung der

Bayerischen Staatlichen Bibliotheken, die auch für die Universitätsbibliotheken

gilt, liest man z.B. über deren „Aufgaben“, sie dienten „als öffentliche Bibliotheken

wissenschaftlichen Zwecken sowie der beruflichen Arbeit und Fortbildung“

(ABOB 1993, unverändert in der aktuellen Version 2001, § 2). Jeder Bürger, der

Werke aus ihrem Angebot zu einem dieser Zwecke benötigt, hat das Recht, diese

zu benutzen (§ 4).5 Die Rahmenbenutzungsordnung für Sachsen (1997) hat die

Zweckbestimmung der Universitätsbibliotheken als „öffentliche Bibliotheken“

übernommen,6 die Benutzungsordnung für Sachsen-Anhalt (1995) gebraucht

diese Formulierung ebenfalls.7 Nicht von Interessen der Universität, sondern

von dem Interesse des Bürgers, mit Material aus der Bibliothek zu arbeiten,

gehen die Benutzungsordnungen aus. Ihr Ansatzpunkt ist die Bibliothek als

Dienstleistungseinrichtung für den Bürger. Wenn das wissenschaftliche Interesse

als Benutzungszweck für die Universitätsbibliothek ausschlaggebend ist, dann fehlt

ihr eigentlich schon die Grundlage, um Benutzergruppen erster und zweiter Klasse

bilden zu können.

Dieser Abschnitt trägt die Überschrift „Eine bessere Strategie“, weil sich aus dieser

Lage ein verändertes Vorgehen ableiten lässt. Die Universitätsbibliotheken sind

sich seit Jahren darin einig, dass sie sich am Informationsbedarf ihrer Kundschaft

orientieren sollten. Umso mehr erstaunt es, dass die nicht zur Universität gehörenden

Benutzer als Zielgruppe(n) bisher nicht recht entdeckt worden sind (mit Ausnahme

der Schüler der Oberstufe), die Universitätsbibliotheken ihren Informationsbedarf

5 Allgemeine Benützungsordnung der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken (ABOB);

Lansky/Kesper: Bibliotheksrechtliche Vorschriften, Frankfurt am Main 2005, No. 1332

(Fassung 2001), § 2 und § 4. Online-Version unter: URL: http://www.bibliothek.uni-

augsburg.de/bibliothek/recht/abob/.

6 Allgemeine Rahmenbenutzungsordnung für die Staatlichen Bibliotheken im Freistaat

Sachsen (ARBOS); Lansky/Kesper, a.a.O., No.1389a, § 2.

7 Musterbenutzungsordnung für die Landes- und Hochschulbibliotheken des Landes

Sachsen-Anhalt; Lansky/Kesper, a.a.O., No.1390, § 2.

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nicht näher untersucht haben. Das ist ein Versäumnis, denn diese Zielgruppe macht

zwischen 15 und 25 % der regelmäßigen Benutzer einer Universitätsbibliothek aus.

Sie umfasst an jeder Universität mehrere Tausend Leser.

Die bessere Strategie heißt also Integration: nicht-universitäre Benutzer integrieren

und sie als gleichberechtigt ansehen. Das könnte zunächst dazu führen, dass eine

Universitätsleitung der Strategie ablehnend gegenübersteht. Doch in diesem Fall

kann die Universitätsbibliothek argumentieren, dass ein guter Service für diese

Benutzergruppen in mehrfacher Hinsicht der Universität selbst Nutzen bringt, ein

Rückbau der Dienstleistungen für Externe sich also negativ auswirken würde.

Folgende Argumente gegen eine Abwendung von den externen Benutzern sind

stichhaltig:

Erstens der Hinweis auf die rechtlichen Grundlagen (Gesetz, Benutzungsordnung).

Geschäftsgrundlage für die Benutzung der Universitätsbibliothek ist demnach das

wissenschaftliche Interesse des Bürgers (der meistens zugleich Steuerzahler ist), nicht

aber ein inneruniversitäres Interesse.

Zweitens die Verbindung dieser externen Benutzer zur Universität. Unter ihnen findet

sich der größte Teil des akademischen Nachwuchses (die Schüler der Oberstufe),

außerdem gerade jene Absolventen der Universität (alumni), welche diese durch

Angebote stärker an sich binden sollte.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass die Universität ja beansprucht,

Wissenschaftler für den Arbeitsmarkt ihres Einzugsgebiets auszubilden. Absolventen

der Universität sind häufig Arbeitgeber der fertig Studierten und häufig selbst in

der Region wissenschaftlich tätig. Die Universität darf diesen Menschen, welche

sie als Abnehmer der ausgebildeten Studenten dringend braucht, den Zugang zu

wissenschaftlicher Literatur und zu Informationen nicht erschweren.

Drittens finden sich unter den externen Benutzern viele Wissenschaftler,

Behördenmitarbeiter, Lehrer und sonstige wirtschaftlich-gesellschaftlich-

kulturell engagierte Bürger. Sie sind Multiplikatoren. Von ihrem Eindruck hängt

der gute (oder schlechte) Ruf der Universität in Stadt und Region auch ab. Um

diese wissenschaftsfreundlichen Kreise sollte die Universität sich bemühen,

statt sie abzuschrecken. Die genannten drei Argumente lassen sich zu einer

Formel zusammenfassen: Im eigenen Interesse sollte die Universität externe

Bibliotheksbenutzer nicht schlechter stellen als die Universitätsmitglieder.

Viertens gilt das Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Im Bereich der Fernleihe

wiederholen Bibliothekare in ihrer Universität immer wieder den Hinweis, dass in

der Literaturversorgung von Universitätsbibliotheken überörtliche Leistung und

Gegenleistung einander bedingen. Wer wenig für die Fernleihe herausgibt, der

bekommt auch wenige Fernleihwünsche seiner Benutzer erfüllt. Analog gilt das für

den Umgang mit nicht-universitären Benutzergruppen. Die Universität sollte sie als

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Freunde der Wissenschaft, als Helfer, als potentielle Schenker, Spender, Förderer und

Stifter für die Universität sehen, kurz: Sie sollte sie umwerben statt brüskieren.

Wenn es gelänge, mit Argumenten dieser Art an unseren Universitäten Gehör zu

finden und Einsicht einsichtig zu machen, dann könnten die Bibliothekare hoffen, dass

Benutzer, die nicht Universitätsmitglieder sind, als Zielgruppe mehr Anerkennung

finden. Sie sind zum großen Teil Steuerzahler, die unsere Arbeit finanzieren und

sie sind gerade die an Wissenschaft interessierten Bürger. Universitätsbibliotheken,

die Dienstleistungen für nicht-universitäre Benutzer erbringen, können sogar eine

Botschafterfunktion für ihre Universität übernehmen. Es gibt Universitätsleitungen,

denen klar ist, welches Potential hier zu heben wäre und im Interesse der Universität

bei der Informationssuche Unterstützung verdient, aber es sind wenige.

Ein breit angelegter Zugang zu wissenschaftlichen Informationen ist für wissen-

schaftlich Arbeitende und für Teile der Gesellschaft insgesamt notwendig. Dieser

breite Zugang ermöglicht es dem Bürger, Wissenschaft kennenzulernen, ihre

Notwendigkeit zu verstehen und den notwendigen Aufwand dafür zu akzeptieren.

Er ist auch eine Voraussetzung dafür, dass sich das Image der Universitätsbibliothek

in der Öffentlichkeit weiter verbessern kann. Sie gilt noch zu sehr als Hort der

Wissenschaft und zu wenig als Serviceeinrichtung für alle wissenschaftlich

Arbeitenden.

Universitätsbibliotheken sollten sich den Literatur- und Informationsbedarf der

nicht-universitären Benutzer genau ansehen, um besser auf ihn eingehen zu können.

Wenn sie sich hier stärker öffnen und bewusst Dienstleistungen für Benutzergruppen

außerhalb der Mitgliedschaft der Universität entwickeln und anbieten, können

sie für ihre Ausstrahlung in die Öffentlichkeit und für ihr universitäres Umfeld

auch etwas erreichen. Auf dem Weg zu diesem verbesserten Selbstverständnis

können Bibliotheksgremien und Bibliotheksverbände die Universitätsbibliotheken

unterstützen und dadurch deren Einbindung in die Gesellschaft verbessern helfen.

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WAS GEHT BIBLIOTHEKEN DIE„DIGITALE SPALTUNG“ AN?

ROMAN HUMMEL

„Digital Divide“ hat mehrere Facetten. Die Verwendung dieses Begriffes ist daher

nicht selten mehrdeutig und hat dazu noch häufig einen fatalistisch-pessimistischen

Beigeschmack – wohl auch als Reaktion auf Marketingstrategien, die vorgeben,

soziale Integration und Partizipation fänden durch ein paar Mausklicks ihre

Vollendung. Die „digitale Kluft“ muss teilweise sogar als Marketingargument der

Kommunikationsindustrie herhalten: Chancenungleichheiten auf dem Bildungssektor

wie auch auf dem Arbeitsmarkt sind dieser Auffassung zufolge vorrangig einer

noch nicht optimal ausgebauten technischen Infrastruktur bzw. einer mangelhaften

Endgeräteversorgung der Nutzer geschuldet.1 Die technophile Euphorie wie ihr

Gegenteil ignorieren aber die soziale Gestaltung – und auch Gestaltbarkeit – von

Innovationen. In einem Beitrag, der sich wesentlich an Personen richtet, die mit der

Redistribution von Information im Zusammenhang mit Bibliotheken und Archiven

beschäftigt sind, soll daher von jenen Elementen der „digitalen Spaltung“ gesprochen

werden, die zumindest prinzipiell beeinflusst werden können.

Wir vernachlässigen daher hier technologisch-ökonomische Aspekte der

Ungleichverteilung in der Infrastruktur (die vor allem in der Kluft zwischen

industrialisierten und „Dritte-Welt“-Regionen eine wesentliche Rolle spielen).

Ebenso bleiben kulturspezifische Unterschiede bei der Informationsübertragung

ausgeklammert (wie zum Beispiel die Beherrschung des lateinischen Alphabets

oder hinreichende Englischkenntnisse), die bei der sinnvollen Nutzung digital

bereitgestellter Informationen Barrieren darstellen können. Statt dessen soll der

Blick auf einige soziologische Faktoren der „Digital Divide“ gelenkt werden.

INTERESSENSASPEKTE UND MEDIENKOMPETENZ

Die Sozialisation, das heißt das Lernen des jeweils „richtigen“ Verhaltens in Familie,

Peergroups, Ausbildungsinstitutionen und am Arbeitsplatz, erfolgt bekanntlich

in unterschiedlichen Milieus und zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich.

Während für die einen möglicherweise Ordnung, Bewährtes und die „Heile Welt“

die Markierungen sind, wonach sich das Leben ausrichtet, sind dies für andere etwa

1 Vgl. dazu den Überblick bei Klaus Beck: Computervermittelte Kommunikation im

Internet. München 2006, 244–253.

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Risikobereitschaft, Streben nach Selbstverwirklichung und Affinität zu sozialen

und technischen Innovationen. Dazu kommen noch die auf Grund von Bildung

und Einkommen in unterschiedlichem Ausmaß bestehenden Möglichkeiten,

den als erstrebenswert erachteten Lebensstil zu realisieren. Grundsätzlich besteht

aber zwischen Milieu und Selbstverständnis bzw. zwischen sozialer Position und

Disposition eine „Art ontologischer Komplizenschaft“,2 d.h. man wendet sich

nur jenen Lebensformen zu, strebt nur jene an, für die man sich selbst geeignet

erachtet. Das gilt auch für die Ausprägung des Geschmacks, die Wertschätzung von

Kulturgütern und führt damit zu unterschiedlichen Motivationslagen hinsichtlich

der Akzeptanz von Informationskanälen.

Das lässt sich beispielsweise an den für den ORF3 durchgeführten Sinus-Studien gut

zeigen: Die in diesem Zusammenhang Interviewten werden einerseits nach klassischen

soziodemographischen Merkmalen wie formale Bildung, Beruf, Einkommen geordnet.

Andererseits werden sie auf Grund bekundeter Werthaltungen und Einstellungen

in bestimmte Milieus gegliedert. Diese Matrix kann dann mit den verschiedenen

abgefragten Arten von Medienaktivitäten oder Konsum korreliert werden.

Wenn man diese nicht sehr detailliert veröffentlichten Daten nochmals sehr vergröbert

mit der hier diskutierten Frage in Beziehung setzt, kommt man bereits zu interessanten

Aussagen über soziale Spaltungen in der Medien- und Wissensverwendung, die

allerdings sowohl digital wie analog sind: „Ober- und Mittelschicht“ haben gegenüber

der „Unterschicht“ eine doppelt so große Nutzung sowohl des Internet wie auch von

Büchern. Das dokumentierte Interesse an „Geschichte und Zeitgeschehen“ ist in

der Sozialpyramide „oben“ zweieinhalb mal größer als „unten“. Die „Modernen“

wiederum haben eine rund viermal größere Bereitschaft, das Internet zu nutzen, ein

rund doppelt so großes Interesse an „Geschichte und Zeitgeschehen“ aber auch ein

etwas größeres Faible für Bücher als die „Traditionellen“.

Das bloße Vorhandensein neuer Kommunikationsinfrastrukturen (worin sie auch

immer bestehen mögen) führt von sich aus weder dazu, dass etwa kleine Kinder

massenhaft in populärwissenschaftlichen Datenbanken recherchieren und schon gar

nicht, dass sie dies auf Grund von philantropischen Unternehmensselbstverständnissen

kostenlos dürften, wie dies zu Zeiten des „Internet-Hypes“ prognostiziert wurde.4

2 Pierre Bourdieu: Der Tote packt den Lebenden. Schriften zu Politik & Kultur 2. Ham-

burg 1997, 29.

3 ORF Medienforschung: Die Sinus-Milieus im Teletest, URL: http://mediaresearch.

orf.at/index2.htm?fernsehen/fernsehen_sinus.htm (18.9.2006).

4 Nicholas Negroponte: Total digital. Die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der

Kommunikation. München 1995, 13.

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207

Derartige Fehleinschätzungen der Wirkungen von Medientechnologien wiederholen

sich immer wieder: Auch dem Telegraphen war 1850 im französischen Parlament

unterstellt worden, er bewirke eine moralische „Umwälzung zu Gunsten der

Wahrheit“, weil nun alle Informationen allen zur Verfügung stünden.5

Behauptungen, das Web würde grundsätzlich zu rationalem Auswahlverhalten

in Bezug auf angebotene Informationen führen und jeder werde sein eigenes

„Kommunikationsmanagement“ betreiben,6 hatten niemals empirische Grundlagen.

Zuwendung zu bestimmten Distributionskanälen – vom Web über das Fernsehen

bis zu Bibliotheken – sowie auch zu bestimmten inhaltlichen Genres ist hochgradig

von Gewohnheiten und Routinen bestimmt.7 Dies führt nicht selten zu einem als

„rationale Ignoranz“ bezeichneten Verhalten, 8 innerhalb dessen Informationen von

den potentiellen Nutzern nicht nach ihrer Brauchbarkeit für die eigene Orientierung,

sondern nach dem für sie notwendigen Such- und Verstehensaufwand beurteilt

werden. Dies gilt aber in gleicher Weise für analoge wie digitale Medien.

Je größer das prinzipiell zugängliche Informationsangebot ist, um so schwieriger wird

jedenfalls die Selektion. Auch für Alltagsfragestellungen, wie etwa die Suche nach

einem Kochrezept, gilt: Je mehr Wissen über einen Bereich besteht, um so leichter

lassen sich zusätzliche Informationen finden und bewerten (sonst sitzt man am

Ende noch der albernen Scherzfrage auf, wie lange man ein Ei kochen muss, bis es

weich ist). Es bedarf also eines Operationalisierungsprozesses und der Erstellung von

Relevanz- und Gültigkeitskriterien. Hier, so kann unterstellt werden, erfolgen auch

kontinuierliche soziale Lernprozesse, wie aus dem nahezu gänzlichen Verschwinden

von E-Mail-Kettenbriefen (welche gutgläubig Geldüberweisungen von Bill Gates,

kostenlose Mobiltelefone usw. bei Weiterleitung versprachen) gefolgert werden kann.

Andere Falschmeldungen werden gerade auch durch Webpublikationen richtig

gestellt.9 Zusätzlich braucht es Medienkompetenz, die beim Web zweifellos eine

größere Rolle spielt als bei der Kanalwahl von Fernsehprogrammen.10

5 Patrice Flichy: Tele. Geschichte der modernen Kommunikation. Frankfurt, New York 1994, 24.

6 Vgl. Die Internet-Ökonomie. Strategien für die digitale Wirtschaft hg. von Axel

Zerdick, Arnold Picot, Klaus Schrape et al. Berlin, Heidelberg, New York 1999, 220.

7 Vgl. Uwe Hasebrink: Vom aktiven zum überforderten Publikum? Überlegungen zur

Mediennutzung in der Informationsgesellschaft. In: Orientierung in der Informations-

gesellschaft, hg. von Walter A. Mahle. Konstanz 2000, 120 (= AKM-Studien; Bd. 43).

8 Marie-Luise Kiefer: Das überforderte Individuum als Nutzer der Informationsgesell-

schaft, ebd., 108.

9 Vgl. Urban Legend Reference Pages, URL: http://www.snopes.com/ (28.2.2007).

10 Nicola Döring: Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kom-

munikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen, Bern,

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208

UND DIE BIBLIOTHEKEN?

Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass weder rein ökonomische

Theorieansätze – „jeder, der nur will, kann sich im Supermarkt der Wissensgesellschaft

bedienen“11 – noch auch technikzentrierte Erklärungsmodelle – „Informationszugang

ist allein eine Frage der Infrastruktur“12 – die durchschnittliche Nutzung interaktiver

Medien korrekt beschreiben können. Ebenso wenig besteht aber Anlass für eine

„Cultural Myopia“.13 Die Digitalisierung bewirkt als solche keine gesellschaftlichen

Spaltungen, sie macht diese aber gerade während ihrer Verbreitungsphase sichtbar.

Für Bibliotheken lassen sich aus diesen Ausführungen folgende Schlussfolgerungen

ziehen:

1) Da die Nutzung von Informationskanälen wesentlich sozialisationsgeprägt ist,

ist der Kontakt zwischen Heranwachsenden und Bibliotheken für die weitere

Nutzung essentiell. Was immer die Kontaktchancen erhöht kann milieubedingte

Spaltungen im Informationszugang verringern.

2) Die Vermittlung von Medienkompetenz im Sinne der Kenntnis effizienter

Suchstrategien wird z.B. von Bibliotheken, von Bildungseinrichtungen wie Schulen

oder Universitäten betrieben. Allgemeine Gemeinde- und Landesbibliotheken

hindert vermutlich Ressourcenknappheit, diese Aufgabe zu übernehmen.

Könnten sie dies aber, würde dies jedenfalls analoge wie digitale Spaltung im

Informationszugang reduzieren.

3) Da die Digitalisierung die Integration bisher vorhandener Speichermöglichkeiten

und Verbreitungswege mit sich gebracht hat, müssen sich Bibliotheken

fragen, inwieweit sie selbst eine Spaltung in analoge und digitale Medien

aufrechterhalten. Die (einstweilen noch utopische) Idealform wäre, nicht nur

Bücher oder Zeitungsausgaben vergangener Jahre bereit zu stellen, sondern

auch Rundfunksendungen, CDs oder sogar gespeicherte Websites, um so eine

generelle „Informationsbrokerfunktion“14 erfüllen zu können.

Toronto, Seattle 2003, 138.

11 Vgl. kritisch dazu: Roman Brandtweiner: Diff erenzierung und elektronischer Vertrieb

digitaler Informationsgüter. Düsseldorf 2000, 40; sowie Frank Hartmann: Globale

Medienkultur. Technik, Geschichte, Th eorien. Wien 2006, 209.

12 Vgl. Rainer Fischbach: Mythos Netz. Kommunikation jenseits von Raum und Zeit?

Zürich 2005, 116.

13 Th eories of the New Media, hg. von John Th ornton Caldwell. A Historical Perspective.

London 2000, 14.

14 Veronika Oechtering: Reorganisation wissenschaftlicher Kommunikation – die Verän-

derung des Bibliothekswesens. In: Informationsgesellschaft – Medien – Demokratie,

hg. von Edelgard Bulmahn, Kurt van Haaren et al. Marburg 1996, 431.

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4) Unter der Voraussetzung, dass Bibliotheken als Institutionen zu begreifen sind,

die nicht nur Informationen aufbewahren, sondern diese Informationen auch

einer möglichst großen Zahl von Personen nutzbar machen sollen, fällt ihnen

auch eine wesentliche Rolle dabei zu, die gesellschaftliche Kluft in der Nutzung

relevanten Orientierungswissens zu verringern. Das bedeutet auch, die Akzeptanz

des Bibliotheksangebotes – auch durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit – zu

erhöhen.

Digital (wie analog) Divide ist daher – salopp formuliert – ein Arbeitsauftrag für

Bibliotheken und die für sie Verantwortlichen.

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TECHNIK

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WIE KÖNNEN SICH BIBLIOTHEKEN GEGENÜBER WISSENSCHAFTSSUCH-MASCHINEN POSITIONIEREN?

DIRK LEWANDOWSKI

EINLEITUNG

Dieser Aufsatz beschreibt die Probleme bei der Erschließung des wissenschaft-

lichen Web (Academic Invisible Web), zeigt Beispiele kommerzieller Wissenschafts-

suchmaschinen unter der Leitfrage, was Bibliotheken von diesen lernen können

und stellt schließlich Vor- und Nachteile der Wissenschaftssuchmaschinen denen

der bisherigen Bibliotheksangebote gegenüber. Daraus werden Empfehlungen

abgeleitet, wie sich Bibliotheken mit umfassenden Suchlösungen gegenüber den

Wissenschaftssuchmaschinen positionieren können.

DAS ACADEMIC WEB

Wenn es um die zukünftigen Aufgaben der Bibliotheken bei der Erschließung von

Literatur bzw. allgemeiner: von wissenschaftlichen Inhalten geht, so ist neben dem

klassischen Printbereich an Web-Inhalte zu denken, und zwar an den gesamten Bereich

des sog. Academic Web.1 Hier ist zu unterscheiden zwischen den für die allgemeinen

Suchmaschinen zugänglichen Inhalten im Oberflächen-Web (Surface Web) und den

für die Suchmaschinen verborgenen Inhalten im Invisible Web. Lewandowski und

Mayr führen für diesen speziellen Bereich, der den Großteil des Academic Web

ausmacht und zu dem auch die von Bibliotheken lizenzierten Datenbanken gehören,

den Begriff Academic Invisible Web (AIW) ein.2 Seine Erschließung kann als eine der

größten Herausforderungen für zukünftige Bibliotheksangebote gelten.

Um ein besseres Bild von der Bedeutung und der Komplexität dieser Aufgabe zu

bekommen, lohnt ein Blick auf die Größe des AIW. Lewandowski und Mayr3 zeigen

anhand von bisherigen Hochrechungen und eigenen Berechnungen, dass das gesamte

Invisible Web (also inklusive des nicht-wissenschaftlichen Teils) zwar wesentlich

kleiner ist als die in der bekannten Untersuchung von Bergman geschätzten 550

1 Dirk Lewandowski, Philipp Mayr: Exploring the Academic Invisible Web. In: Library Hi

Tech, 24 (2006) 4, 529–539.

2 Ebd.

3 Ebd.

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212

Milliarden Dokumente4, aber doch höher liegen dürfte als die für die Gesamtheit

der im Gale Directory of Databases geführten Datenbanken berechneten 18,92

Milliarden Dokumente.5 Damit zeigt sich, dass das AIW in einem Größenbereich

liegt, der dem der Datenbestände der größten Suchmaschinen des Oberflächen-Web

entspricht. Bei diesem Umfang wird deutlich, dass für eine umfassende Suchlösung

nur eine Zusammenarbeit zwischen kommerziellen Suchmaschinen, Bibliotheken

sowie Verlagen und Datenbankanbietern zielführend ist.6

ÜBERBLICK WISSENSCHAFTSSUCHMASCHINEN

Schon die bereits bisher bestehenden Wissenschaftssuchmaschinen gehen beim

Aufbau ihrer Indizes weit über die bekannten Bibliotheksangebote hinaus. Sie

enthalten (je nach Ausrichtung) Bücher, Aufsätze, Graue Literatur aus dem

Web, Reports, Manuskripte, Zeitschriften, Inhalte aus Repositories, Inhalte aus

Datenbanken sowie manchmal auch Forschungsdaten. Diese Auflistung zeigt,

dass die Kataloge der Bibliotheken deutlich erweitert werden müssen, um mit

den Wissenschaftssuchmaschinen konkurrieren zu können. Dazu müssen alle

Rechercheangebote einer Bibliothek auch über einen einzigen Zugang recherchierbar

sein.7 Es ist für die an umfassende Web-Suchangebote gewöhnten Nutzer heute

nicht mehr verständlich, dass eine erfolgreiche Bibliotheksrecherche über mehrere

Rechercheeinstiege erfolgen muss; die Konsequenz ist die Hinwendung zu Web-

Suchmaschinen bzw. zu von diesen bereitgestellten Spezialsuchmaschinen.

Die bekannteste dieser Spezialsuchmaschinen für wissenschaftliche Inhalte dürfte

Google Scholar8 sein. Dabei handelt es sich um eine Suchmaschine für Aufsätze

und Bücher aller Fächer, wobei wenn möglich ein direkter Link auf den (kostenlosen

oder kostenpflichtigen) Volltext angegeben wird. Die Quellen von Google Scholar

sind neben dem freien Web Angebote von Partnerverlagen und Open-Access-

4 Michael Bergmann: Th e Deep Web: Surfacing Hidden Value. In: Journal of Electronic

Publishing, 7 (2001) 1.

5 Martha E. Williams: Th e State of Databases Today: 2005. In: Gale Directory of Data-

bases. Vol. 2. Detroit, Mich. 2005, XV–XXV.

6 Dirk Lewandowski, Philipp Mayr: Exploring the Academic Invisible Web, a.a.O.

7 Dirk Lewandowski: Suchmaschinen als Konkurrenten der Bibliothekskataloge: Wie

Bibliotheken ihre Angebote durch Suchmaschinentechnologie attraktiver und durch

Öff nung für die allgemeinen Suchmaschinen populärer machen können. In: Zeitschrift

für Bibliothekswesen und Bibliographie, 53 (2006) 2, 71–78.

8 URL: http://scholar.google.de (24.2.2007)

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Archive. Die Inhalte werden per Crawling9 gesammelt und im Volltext erschlossen.

Die Volltexterschließung erlaubt zwar eine direkte Suche in den Texten, eventuell

in den Originalquellen (Verlagsangebote, Open-Access-Archive) vorhandene

Schlagwörter, Systemstellen usw. werden jedoch nicht übernommen, was die

Recherche erschwert.

Zusätzlich zu den Volltexten werden Zitationen ausgewertet, so dass auf der einen

Seite Informationsflüsse nachvollzogen werden können, auf der anderen Seite im

Ranking eine Bewertung nach Popularität erfolgen kann. Bei Google Scholar besteht

zwar ein gewisser Anspruch auf Vollständigkeit, eine Angabe der indexierten Quellen

und über die Vollständigkeit der Indexierung wird jedoch nicht gemacht.10 Einen guten

Überblick über die Vor- und Nachteile von Google Scholar gibt Peter Jacsó.11

In Konkurrenz zu Google Scholar wird auch von Microsoft unter dem Namen

Windows Live Academic12 eine Wissenschaftssuchmaschine angeboten, die sich

allerdings auf nur einige Fachbereiche und die Inhalte von Verlagen beschränkt.

Ebenso ist keine Zitationsanalyse vorhanden. Insgesamt ist das Angebot noch in

einem frühen Entwicklungsstadium, sollte jedoch weiter beobachtet werden.

Weitere Suchmaschinen für wissenschaftliche Inhalte sind

Scirus13:

Diese Suchmaschine deckt neben dem Academic Surface Web (ohne Beschränkung

auf Literatur) auch Teile des Academic Invisible Web ab. Neben Repositories sind

hier vor allem die Inhalte von Elsevier, dem Betreiber dieser Suchmaschine, zu

nennen.

9 Zur den Besonderheiten und Problemen des Crawling siehe: Dirk Lewandowski: Web

Information Retrieval. Technologien zur Informationssuche im Internet. Frankfurt am

Main 2005, 48–50.

10 Zu dieser Problematik vgl. Dirk Lewandowski: Google Scholar – Aufbau und strate-

gische Ausrichtung des Angebots sowie Auswirkung auf andere Angebote im Bereich

der wissenschaftlichen Suchmaschinen, URL: http://www.durchdenken.de/lewandow-

ski/doc/Expertise_Google-Scholar.pdf (25.2.2007) und Philipp Mayr, Ann-Kathrin

Walter: Abdeckung und Aktualität des Suchdienstes Google Scholar. In: Information

Wissenschaft und Praxis, 57 (2006) 3, 133–140.

11 Peter Jacsó: Google Scholar: Th e pros and cons. In: Online Information Review, 29

(2005) 3, 208-214.

12 URL: http://academic.live.com (24.2.2007); siehe: Konstanze Söllner: Google Scholar

und Windows Live Academic Search – aktuelle Entwicklungen bei wissenschaftlichen

Suchmaschinen. In: Bibliotheksdienst, 40 (2006) 7, 828–837.

13 URL: http://www.scirus.com (24.2.2007).

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Forschungsportal.net:

Diese Suchmaschine deckt die Websites der in Deutschlang öffentlich geförderten

Forschungseinrichtungen sowie die Online-Dissertationen der Deutschen

Nationalbibliothek ab. Allerdings leidet dieses Angebot bedauerlicherweise an

gravierenden Mängeln im Ranking und der Aufbereitung der Treffer.

Nicht vergessen werden sollten bei der Diskussion um die Wissenschaftssuchmaschinen

auch die großen interdisziplinären Literaturdatenbanken (wie Web of Science und

Scopus) und die Datenbanken der großen Verlage (wie Springerlink und Science

Direct).

Zwar nicht direkt auf wissenschaftliche Inhalte ausgerichtet, aber doch für eine

wissenschaftliche Recherche von zunehmender Bedeutung sind die Suchmaschinen für

Buch-Inhalte. Auch hier ist an prominentester Stelle das Angebot von Google (Google

Buchsuche14) zu nennen. Es dürfte sich hierbei um das größte Digitalisierungsprojekt

weltweit handeln. Alle Bücher sind (soweit sie durch OCR korrekt erfasst werden

konnten) im Volltext durchsuchbar; bei gemeinfreien Werken ist auch ein Download

als PDF möglich. Eine weitere Erschließung findet allerdings nicht statt.

In eine ähnliche Richtung wie Google geht auch die „Open Content Alliance“15, die

allerdings in rechtlicher Hinsicht einen anderen Weg einschlägt: Hier werden nur

freie Werke digitalisiert; geschützte Werke werden nur nach expliziter Genehmigung

durch den Rechteinhaber erfasst. Die Digitalisate sind dann für jedermann zugänglich

und dürfen weiterverarbeitet und -verbreitet werden. Kooperationspartner bei diesem

Projekt sind unter anderem das Web Archive, Yahoo und MSN. Auch dieses Projekt

befindet sich noch in einer frühen Phase und kann keine vergleichbare Anzahl

digitalisierter Bücher vorweisen wie die Buchsuche von Google.

Seit langem Vorreiter bei der Suche nach Büchern und deren Inhalten ist das Online-

Versandhaus Amazon. Im Idealfall finden sich dort umfassende Informationen

zum Titel: Bibliographische Angaben, klassifikatorische Angaben, Schlagwörter,

Klappentext, Besprechungen („Redaktion“ & Kunden), Hinweise auf ähnliche

Bücher (aufgrund des Kaufverhaltens bzw. aufgrund des Browsingverhaltens),

wichtige Mehrwortausdrücke aus dem Text, Zitationen, von Kunden vergebene

Tags, von Kunden erstellte Themenlisten, beschränkt zugänglicher Volltext („Search

Inside“), „Upgrade“: zusätzlich zum gedruckten Buch die elektronische Version mit

der Möglichkeit der Bearbeitung.16

14 URL: http://books.google.de (24.2.2007).

15 URL: http://www.opencontentalliance.org (24.2.2007).

16 Vgl. Dirk Lewandowski: Suchmaschinen als Konkurrenten der Bibliothekskataloge, a.a.O.

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Zwei neuere Dienste kommerzieller Suchmaschinen zeigen, dass sich die von

den Suchmaschinen entwickelten Technologien problemlos auf weitere Bereiche

übertragen lassen: Das Google News Archive17 bindet Inhalte aus den Datenbanken

kommerzieller Anbieter ein; Yahoo Search Subscriptions18 verfährt ähnlich mit

Inhalten aus Quellen wie Factiva, Forrester und Lexis-Nexis. Für die Zukunft

sind weitere Hybrid-Angebote zu erwarten, die kostenlose mit kostenpflichtigen

Angeboten kombinieren.

Die angeführten Beispiele vermitteln einen Eindruck davon, welche Ansätze von den

kommerziellen Anbietern verfolgt werden. Diese gehen weit über das bisher von den

Bibliotheken angebotene hinaus, bisher fehlt jedoch eine umfassende Suchlösung, die

sowohl den bibliothekarischen Ansprüchen als auch denen der Nutzer gerecht wird.

CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR BIBLIOTHEKEN

Festzuhalten ist, dass kommerzielle Suchmaschinen auf der einen Seite in immer

mehr Suchbereiche der Bibliotheken vordringen und auf der anderen Seite einen

weit umfassenderen Ansatz verfolgen als die Bibliotheken.

Die Vorteile der kommerziellen Wissenschaftssuchmaschinen sind auf den Ebenen

der Inhalte, der Erschließung und der Suche zu sehen:

Inhalte: Der (zumindest tendenzielle) Ansatz der Wissenschaftssuchmaschinen

ist es, alle Aufsätze und alle Bücher zu erschließen, dazu kommen noch andere

Inhalte des Academic Web.

Erschließung: Die Inhalte werden im Volltext erschlossen (bzw. wenigstens

Ausschnitte davon) und teils mit Rezensionen und tags angereichert.

Empfehlungssysteme kommen zum Einsatz.

Suche: Die Suche ist schnell und ist einfach zu bedienen. Die Suchinterfaces

orientieren sich an den allgemeinen Web-Suchmaschinen.

Auf der anderen Seite stehen gravierende Nachteile der Wissenschaftssuchmaschinen

auf den Ebenen der Quellen, der Erschließung und der Communities:

Quellen: Die Quellenlage ist oft unklar, außerdem ist meist nicht bekannt, ob die

entsprechenden Quellen auch vollständig und aktuell erschlossen werden.

Erschließung: Es finden sich oft hohe Fehlerraten, beispielsweise bei

Autorennamen und Zeitschriftentiteln, wenn eine automatische Extraktion der

Informationen erfolgt. Eine bibliothekarische Erschließung mittels Klassifikation,

Schlagwörtern usw. erfolgt nicht.

17 URL: http://news.google.com/archivesearch (24.2.2007).

18 URL: http://search.yahoo.com/subscriptions (24.2.2007).

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Communities: Werden Community-Aspekte ausgenutzt, so wird stets nur eine

Nutzergruppe gebildet, die aus allen Nutzern des Systems besteht. Spezielle

Belange der Wissenschaftler werden dadurch ignoriert.

Betrachtet man die neueren Bibliotheksangebote, die sich eher als Wissenschafts-

suchmaschinen verstehen,19 so zeigt sich, dass Bibliotheken bisher nur Nachahmer

sind, nicht aber Vorreiter. Die wichtigsten bibliothekarischen Angebote im

deutschsprachigen Raum sind:

BASE20 mit einem Teilbestand des OPAC der UB Bielefeld und einer umfang-

reichen Sammlung von Open-Access-Quellen.

Die HBZ-Suchmaschine21, welche einen OPAC auf Basis von Suchmaschinen-

technologie darstellt.

Vascoda22 mit einem Meta-Ansatz zur einheitlichen Recherche in Fachdatenbanken

und Bibliothekskatalogen, der schrittweise auf Suchmaschinentechnologie

umgestellt werden soll.

Dandelon.com mit einer Anreicherung von Katalogdaten durch Inhalts-

verzeichnisse und einer umfangreichen automatischen Indexierung inklusive

Thesaurusanreicherung.

Sollen bibliothekarische Suchmaschinen vor den Nutzern bestehen, so müssen sie

die Stärken der kommerziellen Wissenschaftssuchmaschinen mit den gewachsenen

Stärken der Bibliotheken verbinden.

BIBLIOTHEKEN ALS INNOVATOREN

Bei der Gestaltung von benutzerorientierten Wissenschaftssuchmaschinen bieten

sich für Bibliotheken drei Ebenen an. Zuerst ist die technische Ebene zu nennen.

Hier erfolgt zurzeit eine Ablösung der alten Datenbank-Technologie der OPACs

durch Suchmaschinentechnologie. Die Hersteller von Bibliothekssystemen sollten

diesen Schritt schnellstmöglich vollziehen, da ihre konventionellen Lösungen nicht

mehr zeitgemäß sind. Eine eigene Technologieentwicklung durch Bibliotheken ist

zwar aussichtslos, wenn sich bibliothekarische Initiativen allerdings mit starken

Partnern zusammentun (wie dies teils schon geschehen ist), können sie sich aktiv in

die Technologieentwicklung einbringen, um zu optimalen Resultaten zu gelangen.

19 Siehe auch Dirk Lewandowski: Suchmaschinen als Konkurrenten der Bibliothekskata-

loge, a.a.O.

20 URL: http://base.ub.uni-bielefeld.de (24.2.2007).

21 URL: http://suchen.hbz-nrw.de (24.2.2007).

22 URL: http://www.vascoda.de (24.2.2007).

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Auf der Benutzerebene können sich Bibliotheken bei der Entwicklung

von Informationssystemen einbringen, indem sie sich konsequent an den

Nutzerbedürfnissen orientieren und entsprechende benutzerführende Systeme

entwickeln. Hier können sie auch Vorreiter für andere Bereiche sein.

Auf der Ebene der Erschließung sollten Bibliotheken ihre Stärken in die zukunfts-

orientierten Anwendungen „hinüberretten“. Gerade die kommerziellen Angebote

zeigen, dass eine bibliothekarische Erschließung dringend gebraucht wird und sich

aus ihrem Fehlen große Schwächen im Gesamtsystem ergeben.

Abschließend kann gesagt werden, dass bibliothekarische Angebote die Stärken der

kommerziellen Dienste adaptieren und durch bibliothekarische Stärken erweitern

sollten. So können Lösungen entstehen, die nicht nur die Nutzer von einem

dauerhaften Wechsel zu den kommerziellen Wissenschaftssuchmaschinen oder gar

den allgemeinen Web-Suchmaschinen abhalten, sondern ihnen ein einzigartiges

„user experience“ bieten, das sie an ihre Bibliothek bindet.

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NATÜRLICHSPRACHIGE ABFRAGE UND 3-D-VISUALISIERUNG VON WISSENSZUSAMMENHÄNGEN

ARND FREDERICHS

Eine der größten Herausforderungen für alle technischen Anwendungen ist die

sogenannte Mensch–Maschine-Schnittstelle, also der Problemkreis, wie der bedie-

nende Mensch mit der zu bedienenden Technik kommunizieren kann. Waren die

Benutzungsschnittstellen bis Ende der Achtziger Jahre vor allem durch die Notwen-

digkeit des Benutzers geprägt, sich an die Erfordernisse der Maschine anzupassen,

so wurde mit Durchsetzung grafischer Benutzungsoberflächen zunehmend versucht,

die Bedienbarkeit so zu gestalten, dass ein Mensch auch ohne größere Einarbeitung

in die Lage versetzt werden sollte, seine Befehle der Technik – letztlich also dem

Computer – zu übermitteln. Trotz aller Fortschritte auf diesem Gebiet blieb immer

die Anforderung, der Mensch solle auf die ihm natürlichste Art und Weise kommu-

nizieren können, mit menschlicher Sprache. Diese Anforderung gilt gerade auch für

das Retrieval von Informationen: Warum ist es nötig, die Nutzung von Booleschen

Operatoren zu erlernen, nur um eine Suchanfrage stellen zu können?

Ein anderes Thema ist die Frage nach der Visualisierung von Wissenszusammen-

hängen, die sich der Herausforderung stellt, in einem geradezu uferlos sich aus-

weitenden Informationsangebot weiterhin den Überblick behalten und relevante

Informationen schnellstmöglich finden zu können.

Beide Aspekte wurden von Bill Gates prägnant einfach auf den Punkt gebracht:

„Man sollte die Frage ,warum ist der Himmel blau?‘ eintippen können und darauf

eine Antwort erhalten. […] Das ist eine der großen Aufgaben der Informatik. […]

Ein anderes Marathon-Projekt: Die Suche nach besseren Benutzerschnittstellen. Es

scheint intuitiv richtig zu sein, dass dreidimensionale Oberflächen Bildschirmmate-

rial klarer präsentieren könnten, so Gates. Microsoft habe an dem Problem seit zehn

Jahren gearbeitet. ,Und wie viele Prototypen wir da gebaut haben. Alle wurden sie

durch Usability-Tests geschickt. Und keiner funktionierte.‘“1

Die Brockhaus Duden Neue Medien GmbH hat sich in einem vom Bundesmini-

sterium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekt die-

sen Anforderungen gestellt und in Kooperation mit namhaften wissenschaftlichen

1 Interview mit Bill Gates: Gates: IT wird völlig unterschätzt, Technology Review vom

5.3.2004, URL: http://www.heise.de/tr/aktuell/meldung/print/45276.

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Partnern2 Lösungen entwickelt, die letztlich in der Brockhaus Enzyklopädie digital

Anwendung finden konnten. Im folgenden wird versucht, die Ergebnisse dieses

Projekts darzustellen.

DIE NATÜRLICHSPRACHIGE SUCHHILFE

Bei der Informationsrecherche hat sich die Nutzung von Suchmaschinen längst

etabliert und jeder, der wenigstens gelegentlich Suchanfragen formuliert, hat sich an

typische Erfordernisse gewöhnt. So werden Suchen quasi automatisch lemmatisiert

und um Stoppworte eliminiert vorgenommen, kaum jemand käme auf die Idee nach

der „Höhe des Bundestages“ zu suchen. Stattdessen wird eine UND-verknüpfte

Suchanfrage nach „Höhe“ und „Bundestag“ ausgeführt. Zudem ist klar, dass Suchen

dann besonders erfolgreich sind, wenn ein eher seltener, eindeutiger Begriff gefunden

werden soll.

In der Realität herrschen solche Idealbedingungen selten vor, so dass der Suchende

gezwungen ist, seine Suchanfragen mehrmals zu modifizieren, um sich dem ge-

wünschten Suchergebnis anzunähern. Wirklich problematisch wird es, wenn der

eigentlich gesuchte Begriff überhaupt nicht bekannt ist, da in so einem Fall die

einfache Indexsuche ausscheidet.

Mit der natürlichsprachigen Suchhilfe der Brockhaus Enzyklopädie digital wird dem

Anwender nun ein Werkzeug an die Hand gegeben, das genau diese Problemkreise

löst. Wer wissen möchte, wer der Sage nach den Menschen das Feuer brachte, kann

diese Frage unmittelbar an die Enzyklopädie richten und erhält nach kurzer Fragen-

analyse als Ergebnis eine Suchergebnisliste, deren erster Eintrag mit 95% Relevanz

der Artikel „Prometheus“ ist (s. Bild 1).

Andere Beispiele funktionieren entsprechend: Warum ist der Himmel blau? (Artikel

„Himmelsblau“), Bei welcher Temperatur des Körpers erfriert ein Mensch? (Artikel

„Kältetod“), Welche Säugetiere können fliegen? (Artikel „Flugsäuger“) oder: Welches

ist der höchste Berg der Erde? (Tabelle „Die höchsten Berge der Erde“).

2 Beteiligte Partner (in alphabetischer Reihenfolge): Bibliographisches Institut & F.A.

Brockhaus AG/Brockhaus Duden Neue Medien GmbH, Mannheim; Institut der Ge-

sellschaft zur Förderung der Angewandten Informationsforschung e.V. (IAI), Saarbrük-

ken; Intelligent Views (i-views), Darmstadt; interActive Systems GmbH (iAS), Marburg;

Joanneum Research ( JR), Graz; Krieger, Zander & Partner GmbH, München; MediaSu-

pervision Software Consulting GmbH (MSSC), Eppelheim bei Heidelberg.

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Selbstverständlich hat auch dieses System Grenzen: „Wie heißt meine Großmutter?“

kann von der natürlichsprachigen Suchhilfe genauso wenig beantwortet werden wie

die Frage, ob es im Universum extraterrestrische Intelligenz gibt. Und nicht zuletzt

muss man auch berücksichtigen, dass auch das umfassendste Nachschlagewerk in-

haltliche Grenzen besitzt. Dennoch wird der Suchende auch in solchen Fällen nicht

im Stich gelassen, das Dialogmodul gibt Hinweise, wie die Suche präzisiert werden

kann und man bekommt Gelegenheit, eine verfeinernde Nachfrage einzugeben, um

doch noch sinnvoll weiterzukommen (s. Abb. 2).

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Wie funktioniert das Ganze? „Die von uns erarbeitete Lösung fußt letztlich auf

einer differenzierten Fragetypologie, auf einer morphosyntaktischen Analyse sowohl

der Sucheingabe als auch der durchsuchten Texte und einer darauf aufbauenden

Strategie von differenzierten Suchvorgängen – z. B. werden bei einer als Personen-

frage identifizierten Eingabe andere Suchvorgänge durchgeführt und die Ergebnisse

anders bewertet als bei einer Ursachenfrage. Eine zentrale Rolle spielt die Relevanz-

bewertung der Suchmaschine, die für diesen Einsatzzweck und die verwendeten

Substanzen entwickelt und optimiert worden ist.“3

Weitere Informationen und Einsatzmöglichkeiten können gerne bei der Brockhaus

Duden Neue Medien GmbH in Mannheim angefragt werden.

DER 3-D-WISSENSRAUM

Wer sich mit lexikalischen Inhalten befasst, stellt sehr bald fest, dass die Mög-

lichkeiten, Artikel in Beziehung zueinander zu setzen, allein durch das klassische

Verweissystem schnell an Grenzen stoßen. Insbesondere der Wunsch, bereits beim

Verweis weitere Informationen so zu verankern, dass auf einen Blick erkennbar wird,

auf welche Art von Artikel verwiesen wird. Darüber hinaus soll nicht nur auf Artikel

verwiesen werden, die inhaltlich in irgendeiner Beziehung zum Ausgangsartikel ste-

hen, es sollte auch möglich sein, sachsystematische Verbindungen herzustellen, die es

erlauben, strukturiert die Recherche zu vertiefen. Aus solchen Anforderungen ergibt

sich einerseits die Notwendigkeit einer grafischen Visualisierung, andererseits sind

zweidimensionale Darstellungen schnell überfrachtet und würden dem Anspruch

nach Veranschaulichung nicht mehr gerecht. Die für die Brockhaus Enzyklopädie

digital realisierte Lösung sieht daher ein dreidimensionales Gebilde vor:

3 Christoph Rösener: Die Stecknadel im Heuhaufen. Natürlichsprachlicher Zugang zu

Volltextdatenbanken. Frankfurt am Main 2005.

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Die im Raum befindliche Scheibe ist in Segmente unterteilt, die farblich differen-

ziert Themen wie Politik, Geschichte oder Geografie repräsentieren. Auf der Scheibe

stehen unterschiedlich ausgeformte Gebilde für Personenartikel, Sachartikel, geogra-

fische Artikel oder Schlüsselartikel. Die Größe der Gebilde steht für den Umfang des

repräsentierten Artikels, die Nähe zum im Zentrum der Scheibe stehenden Begriff

wiederum für die berechnete inhaltliche Nähe des Verweises zum gerade aktiven

Lemma. Somit kann sehr schnell erfasst werden, ob das Verfolgen eines Verweises

für die eigene Informationsrecherche vielversprechend ist oder nicht.

„Horizontal wurde eine assoziative Bezugsstruktur errechnet, letztlich also nichts

anderes als ein Dokumentcluster von Lexikonartikeln, bei denen verschiedene Merk-

male bzgl. Ihrer Relevanz zueinander gemessen werden. […] Orthogonal zu diesen

assoziativen Verbindungen, sozusagen in der Vertikalen, sind an vielen Artikelfi-

guren sachsystematische Verbindungen geknüpft. Im vorliegenden Beispiel öffnet

ein Rechtsklick auf die Figur ,Hellpach‘ ein Kontextmenü, welches die Person als

deutschen Psychologen ausweist und gleichzeitig die Verbindung zu weiteren Ein-

trägen des gleichen Typs anbietet.“4

4 Bernd Kreißig: Der neue Brockhaus: Einsatz von Sprachtechnologie und Wissensnetz.

In: Information Wissenschaft & Praxis, 57 (2006) 6–7, 343–346.

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Somit ist eine effektive und zielführende Recherche genauso möglich wie die schnelle

Übersicht auch über komplexere Themen.

Insgesamt präsentiert sich mit diesen Hilfsmitteln die Brockhaus Enzyklopädie

digital nicht nur als eines der innovativsten deutschsprachigen Nachschlagewerke,

sie beweist auch, dass zu Problemstellungen, an denen sich sogar die Größten der

Softwareindustrie die Zähne ausgebissen haben, pragmatische Lösungen angeboten

werden können.

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224

DAS PROJEKT MEDIOVIS – VISUELLE EXPLORATION DIGITALER BIBLIOTHEKEN

HARALD REITERER, HANS-CHRISTIAN JETTER

EINLEITUNG UND MOTIVATION

Ziel des Forschungsprojektes MedioVis, das in enger Kooperation mit der Bibliothek

der Universität Konstanz durchgeführt wird, ist die Realisierung einer innovativen

visuellen Benutzungsschnittstelle zur analytischen Suche und zum interessengeleiteten

Stöbern im Katalog der Konstanzer „Mediothek“. Deren elektronische und

multimediale Titel (z.B. Videoaufzeichnungen, DVD, Tonträger, CD-ROM) sind

ein bedeutsamer Bestandteil des Serviceangebots der Bibliothek der Universität

Konstanz, der gerade in dem Bereich der Theater-, Film- und Medienwissenschaften,

aber auch in der Fremdsprachenausbildung oder zu Unterhaltungszwecken intensiv

von Studenten, Lehrpersonen und Wissenschaftlern genutzt wird.

MedioVis leistet dabei einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung und

Erweiterung der nutzerorientierten Dienstleistungen, indem dem Bibliotheksnutzer

nicht nur ein effizientes Suchen, sondern auch ein interessengeleitetes Stöbern im

Katalog mittels spezieller Visualisierungen und neuartigen Interaktionskonzepten

ermöglicht wird. Dabei wird er von der ersten Eingrenzung des Katalogs bis zur

Selektion des gewünschten Titels begleitet, wobei zur Entscheidungsunterstützung

eine Anreicherung mit ergänzenden Metadaten aus dem World Wide Web

stattfindet. Das Projekt wird dabei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft

(DFG) im Förderprogramm für Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und

Informationssysteme gefördert, um somit die Schaffung eines für andere Bibliotheken

frei verfügbaren und nachnutzbaren Systems zu unterstützen und dieses unter

Realbedingungen zu testen. Zu diesem Zweck wird MedioVis von der UB Konstanz

seit dem Sommer 2004 im operativen Testbetrieb auf Arbeitsplätzen innerhalb der

Mediothek angeboten.

Die Motivation für das Projekt MedioVis erwuchs aus Gesprächen mit Benutzern

und deren Beobachtung bei der Verwendung des traditionellen bibliographischen

Webkatalogs bzw. OPACs „KOALA“, der gerade für die Domäne „Film“ in den

Augen der Befragten nur wenig geeignet war. Als Hauptproblem erwies sich dabei,

dass die Entscheidungsunterstützung bei der Filmrecherche für den Benutzer durch

einen traditionellen bibliographischen Katalog nur unzureichend ist. Ein Großteil

entscheidungsrelevanter Informationen über Filme ist in den Metadaten-Standards

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aus dem Bibliothekswesen nicht berücksichtigt, weshalb der Benutzer dazu gezwungen

ist, eine eigenhändige Recherche in verschiedensten verstreuten Informationsquellen

aus dem World Wide Web durchzuführen (z.B. Filmdatenbanken wie die „Internet

Movie Database“ oder Kataloge von E-Commerce Anbietern wie Amazon).

Besondere Relevanz erhalten diese externen Daten, da im Falle der Mediothek

vonseiten der Bibliothek keine inhaltliche Erschließung oder Verschlagwortung

multimedialer Titel vorgenommen wird. Auch eine inhalts- oder handlungsbezogene

Suche über die Zuordnung von Titeln zu Fachgebieten ist nicht durchführbar, da diese

Zuordnung zu unspezifisch ist. So umfasst das Fachgebiet „Theater/Tanz/Film/Funk/

Fernsehen“ fast alle vorhandenen Videoaufzeichnungen und DVDs, unabhängig von

deren Inhalt, Handlung oder Genre. Im Endeffekt ist so allenfalls eine am Filmtitel

oder an Personennamen orientierte Suche möglich. MedioVis verfolgt daher das

Ziel, den traditionellen bibliographischen Katalog mit umfassenden textuellen und

multimedialen Metadaten wie Inhaltsangaben, Postern, Porträts, Videosequenzen

oder Biograpfien anzureichern. Diese Metadaten werden dabei durch automatisierte

Importfunktionen gemeinsam mit den bibliographischen Katalogdaten im eigenen

MedioVis Media Warehouse abgelegt oder dort als Hyperlinks hinterlegt. Der

so entstehende heterogene Informationsraum bzw. multimediale Katalog bleibt

dabei trotz seiner Komplexität durch die visuellen Werkzeuge und die zoombare

Benutzungsschnittstelle von MedioVis für den Benutzer beherrschbar.

DIE MEDIOVIS BENUTZUNGSSCHNITTSTELLE

Die Gestaltung der Benutzungsschnittstelle erfolgte speziell unter dem Gesichtspunkt

der Benutzerfreundlichkeit bzw. Gebrauchstauglichkeit („Usability“) und wurde

dahingehend gegenüber den traditionellen webbasierten Kataloganwendungen in

Bibliotheken optimiert. So werden bei Suchanwendungen für Online-Kataloge

bislang typischerweise statische Listendarstellungen von Suchtreffern eingesetzt,

obwohl interaktive Tabellen die Inhalte benutzergerechter aufbereiten und flexibler

auf das Informationsbedürfnis des Benutzers eingehen können.1 Weiterhin werden die

gefundenen Inhalte, zugehörige Volltexte oder optionale Zusatzinformationen (falls

überhaupt vorhanden) oftmals in räumlich weit entfernten Bildschirmbereichen, in

überlappenden Fenstern oder auf isolierten Webseiten angeboten, weshalb der visuelle

Kontext und der Bezug zur Treffermenge verloren geht (siehe Abbildung 1).

1 Jens Gerken: Evaluation eines Metadaten-Browsers: Liste vs. Leveltable. [Bachelorar-

beit] Konstanz 2004.

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226

Abb. 1: Der Webkatalog bzw. OPAC „Koala“ der UB Konstanz

zu Beginn des Projektes MedioVis (2003).

Mit dieser Gestaltung geht eine Vielzahl kognitiv belastender Wechsel der

Modalität und des Layouts während der Arbeit des Benutzers einher, die er

durch eine kontinuierliche Vergegenwärtigung seiner Navigationswege und -ziele

kompensieren muss. Diese mentale Belastung beeinträchtigt die Effektivität,

Effizienz und die Benutzerzufriedenheit, die als die zentralen Leitkriterien für

die Gebrauchstauglichkeit gelten.2 Insbesondere wenn vom Benutzer verschiedene

ergänzende Informationsquellen aus dem Web herangezogen werden müssen, ist

er gezwungen, die Informationen eigenhändig aufzufinden und im Gedächtnis, in

Notizen oder in manuell erstellten Dokumenten zusammenzuführen. Dabei gehen

diese an sich integrierbaren Tätigkeiten zu Lasten des Benutzers, dessen Zeit und

dessen kognitiver Beanspruchung. Auch die Handhabung der dazu notwendigen

gleichzeitig geöffneten Webseiten führt zu einer Belastung, die der primären

Benutzeraufgabe, nämlich der Suche, Recherche und Entscheidungsfindung,

abträglich ist.

2 Siehe DIN EN ISO 9241-11: „Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit“.

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MedioVis setzt dagegen auf innovative Konzepte der interaktiven Visualisierung

und der direkt-manipulativen Interaktion mit dem Informationsraum. Zentraler

Bestandteil ist dabei die zoombare Tabellenvisualisierung namens „HyperGrid“,

die das visuelle Eintauchen in die Tiefe des Informationsraums erlaubt.3 Der Name

„HyperGrid“ setzt sich dabei aus den zwei Schlüsselkonzepten zusammen: „Hyper“

steht für die Fähigkeit untereinander verwobene Hypertext- oder Hypermedia-

Inhalte in verschiedenen Modalitäten darzustellen. „Grid“ steht für die klare zwei-

dimensionale Gitterstruktur, die dabei zur interaktiven Visualisierung und als

Ordnungsrahmen verwendet wird.

Abb. 2: HyperGrid in der MedioVis Benutzerschnittstelle.

Die HyperGrid ermöglicht dabei die kompakte Präsentation umfangreicher

Informationsräume in Tabellenform mit Attributen verschiedenster Datentypen

3 Hans-Christian Jetter et al.: HyperGrid – Accessing Complex Information Spaces.

In: People and Computers XIX - Th e Bigger Picture. Proceedings of HCI 2005, hg.

von Tom McEwan, Jan Gulliksen und David Benyon. Goldaming 2006, 349–364.

Harald Reiterer et al.: Zoomtechniken zur Exploration komplexer Informationsräume

am Beispiel HyperGrid. In: Mensch und Computer 2005 – Kunst und Wissenschaft.

Grenzüberschreitung der interaktiven ART, hg. von Christian Stary. München, Wien

2005, 143–153.

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228

und Modalitäten in variablen Detailgraden. Dazu vereinigt die HyperGrid die

vertrauten Konzepte von Webbrowser und Tabelle, um eine analytische Sichtweise

auf den Informationsraum (z.B. durch Filterung, Sortierung und Vergleiche in der

Tabelle) mit einer interessengeleiteten, browsing-orientierten Vorgehensweise (z.B.

Stöbern in einem reichhaltigen Angebot an Metadaten durch Zooming in einzelne

Tabellenzellen) funktional und visuell zu kombinieren. In der HyperGrid werden dazu

die einzelnen Objekte des Interesses, nämlich die Filme, in den Zeilen angeordnet. Die

Spalten repräsentieren inhaltlich unterschiedliche Sichten auf diese Objekte (Aspects

of Interest, AOI). Abbildung 2 zeigt die HyperGrid mit Filmen aus der Mediothek,

die aufgrund einer Stichwortsuche nach dem Regisseur „Spielberg“ als Suchergebnis

dargestellt wurden. Als inhaltliche Sichten auf die Filme sind den Spalten die drei AOI

„Titel“, „Beschreibung“ und „Exemplar“ zugeordnet, wobei unter „Titel“ Informationen

über den Film „an sich“, unter „Beschreibung“ nähere Informationen zu Personen,

Inhalt und Handlung und unter „Exemplar“ Informationen zum Medientyp, zum

Standort und zur Verfügbarkeit zusammengefasst sind.

Wie in Abbildung 2 deutlich wird, führt diese Art der Zuordnung in Kombination

mit der Zoomfunktion zu einem neuen Verständnis von der Tabellenzelle, die hier

nicht mehr nur statischer Informationsträger eines einzelnen Werts eines Datentyps

ist, sondern zum Ausgangspunkt für eine weitere gerichtete Exploration des

Informationsraums und zu einem dynamischen Präsentations- und Interaktionsbereich

wird. Die Zelle erhält die Rolle eines „Fensters“ in den Informationsraum, dessen

inhaltliche Ausrichtung durch dessen Position in der HyperGrid definiert ist. Die

„Größe“ dieses Fensters bzw. der Grad des Interesses (Degree of Interest, DOI) an

den dort verfügbaren Inhalten werden dabei vom Benutzer durch Klicken mit der

Maus kontrolliert. Der DOI ist für jede Zelle individuell wählbar, wobei sich die

Zellgröße im Sinne eines Zooms durch einen animierten Effekt vergrößert oder

verkleinert und sich an die individuelle Interessenlage des Benutzers und an den

Umfang der darzustellenden Information anpasst. So können durch Zoomen in die

Zellen der Trefferdarstellung nicht nur einzelne Metadatenattribute, DVD-Cover

oder Videostreams (siehe Abbildung 2, Trailer des Filmes „Catch me if you can“),

sondern auch die Biographien der beteiligten Schauspieler, deren Porträtaufnahmen,

zugehörige PDF-Dateien oder die Darstellung des Geburtsortes als Satellitenbild

oder auf der Weltkarte eingeblendet werden. Dieser sanfte Übergang der Zellen von

wenigen abstrakten Metadaten über detaillierte multimediale Metadaten bis hin zur

bildschirmfüllenden Volltextdarstellung wird als semantischer Zoom bezeichnet.

Dabei können die dargestellten Inhalte über Hyperlinks zu beliebigen weiteren

externen Informationsquellen führen, z.B. zu Online-Enzyklopädien wie Wikipedia

oder ähnlichen Online-Datenbanken. Somit sind ausgehend von der Trefferdarstellung

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im Katalog auch „Ausflüge” zur weiteren Recherche und Beurteilung des Treffers

ins World Wide Web möglich, bei denen der Ausgangspunkt des Browsings durch

die Position und den Kontext, in dem sich das Browserfenster in der HyperGrid

befindet, als Orientierungspunkt erhalten bleibt. MedioVis schließt damit für den

Benutzer die Lücke zwischen der Suche im Angebot bibliographischer Kataloge und

den reichhaltigen Metadaten aus externen Webressourcen (z.B. Online Datenbanken,

aktive Online-Communities oder Webservices wie Google Maps), wobei durch die

HyperGrid als übergeordnete Struktur die Orientierung, Navigation und Interaktion

zwischen beiden Welten erheblich vereinfacht wird.

Dabei ermöglichen gerade die tabellenspezifischen Interaktionen wie Sortierung

und Filterung die analytische Bewertung und Handhabung von Treffern in der

HyperGrid. Die individuellen Zustände der Zellen bzw. Browserfenster bleiben auch

bei der Änderung der Sortierung erhalten, welche durch Klick auf den entsprechenden

Spaltenkopf ausgelöst wird. Als Sortierkriterium dient dabei das erste Attribut

innerhalb der Zellen, also das mit der höchsten Relevanz für den jeweiligen AOI (in

Abbildung 2 also „Titel“, „Beschreibung“ und „Exemplar“). Die benutzer-adaptive

Spalte (Abbildung 2, rechte Spalte) bietet zusätzlich die Möglichkeit ein beliebiges

Attribut aus der Tiefe des Informationsraums direkt zur Ansicht und zur Sortierung

an die Oberfläche zu holen. Als analytisches Werkzeug stehen weiterhin für jede

Spalte Eingabefelder als Tabellenfilter bereit (Abbildung 2, erste Zeile in der Tabelle),

die die Ergebnismenge anhand der dort eingegebenen Schlüsselworte filtern. Es

werden nur die Einträge dargestellt, die dem dort formulierten Filterkriterium (bzw.

mehreren und verknüpften Filterkriterien) entsprechen. Wird beispielsweise unter

„Exemplar“ das Schlüsselwort „DVD“ eingegeben und unter „Jahr“ „199“, reduziert

sich die Darstellung auf die Filme, die als DVD vorliegen und die in den 90er Jahren

veröffentlicht wurden. Somit kann die HyperGrid auch die analytische Sichtweise

auf den Datenraum durch eine filter- und sortierbare Tabellenstruktur mit einer

interessengeleiteten, browsing-orientierten Vorgehensweise funktional und visuell

kombinieren.

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Abb. 3: HyperGrid und Scatter Plot in der MedioVis Benutzerschnittstelle

In MedioVis spielt der Zoom auch in einem Punktdiagramm namens „Scatter Plot“

unterhalb der HyperGrid eine zentrale Rolle (Abbildung 3). Diese Visualisierung

basiert auf der Idee des „FilmFinders“4 und positioniert die gefundenen Filme

entsprechend ihrer Attribute in einem kartesischen Koordinatensystem. Sie bietet

einen Gesamtüberblick über die Treffermenge und kann gleichzeitig als visueller

Filter genutzt werden. Quantitative Attribute wie z.B. das Jahr oder die Häufigkeit

der Ausleihe können dabei genauso verwendet werden wie nominale Daten (z.B.

Land, Sprache oder Titel). Der Benutzer kann so durch die richtige Auswahl der

Achsenbelegung und durch Zooming in bestimmte Ausschnitte des Punktdiagramms

Titel mit besonderen Eigenschaften (z.B. häufig entliehene Filme der 1980er) gezielt

heranholen und herausfiltern.

In MedioVis sind das Punktdiagramm und die HyperGrid dabei gleichberechtigte

und synchro nisierte Sichten auf die Treffermenge. So werden beim Zooming im

Punktdiagramm auch in der HyperGrid nur noch die Filme angezeigt, die sich im

4 Christopher Ahlberg und Ben Shneiderman: Visual information seeking using the

FilmFinder. In: Proceedings of the SIGCHI conference on Human factors in comput-

ing systems, hg. von Beth Adelson, Susan T. Dumais und Judith S. Olson. Boston 1994,

433–434.

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gerade sichtbaren Ausschnitt des Diagramms befinden. Umgekehrt kann der Benutzer

durch Eingaben in den Tabellenfilter innerhalb der HyperGrid auch Filme aus dem

Diagramm ausblenden. Beide Visualisierungen können so je nach Fragestellung

des Benutzers ergänzend genutzt werden, um selbst komplexe Filterkriterien durch

direkt-manipulative Interaktion ohne aufwändige Eingabemasken zu formulieren.

Wurde so die Treffermenge ausreichend eingeschränkt, können die relevanten Filme

zur weiteren Verarbeitung oder Bestellung in eine Art elektronischen Warenkorb

abgelegt werden, der auch Funktionen zum Speichern, Drucken oder Versenden der

Rechercheergebnisse erlaubt.

EVALUATION VON MEDIOVIS

Eine Bewertung der MedioVis Benutzungsschnittstelle erfolgte in der AG Mensch-

Computer Interaktion innerhalb einer vergleichenden Studie, die die objektive

Effizienz und die subjektive Benutzerwahrnehmung von MedioVis mit denen

der bisherigen Kataloganwendung ”KOALA“ in einem kontrollierten Experiment

mit 24 Testpersonen verglichen hat. Die Ergebnisse der Studie bescheinigten

MedioVis eine statistisch hoch signifikante Überlegenheit in den durchschnittlichen

Bearbeitungszeiten.5 Die Benutzer erfüllten dabei die gestellten Suchaufgaben im

Schnitt in der Hälfte der Zeit, die sie mit „KOALA“ benötigten. Eine signifikante

Überlegenheit konnte auch bei der subjektiven Beurteilung von MedioVis durch

die Benutzer mit den standardisierten Fragebögen „Software Usability Scale“ zur

Messung der subjektiven Gebrauchstauglichkeit und „AttrakDiff“ zur Messung der

subjektiven Gebrauchstauglichkeit und Attraktivität festgestellt werden. 6

5 Christian Grün et al.: MedioVis – A User-Centred Library Metadata Browser. In: Pro-

ceedings of the 9th European Conference, ECDL, Research and Advanced Technology

for Digital Libraries, hg. von Andreas Rauber, Stavros Christodoulakis, A Min Tjoa.

Berlin, Heidelberg, New York 2005, 174–185.

6 John Brooke: SUS: A ,quick and dirty‘ usability scale. In: Usability Evaluation in

Industry, hg. von Patrick W. Jordan. London, Bristol 1996, 189–194. Marc Hassenzahl

et al.: Ein Fragebogen zur Messung wahrgenommener hedonischer und pragmatischer

Qualität. In: Mensch und Computer 2003 – Interaktion in Bewegung, hg. von Jürgen

Ziegler und Gerd Szwillus. Wiesbaden 2003, 187–196, URL: http://hci.uni-konstanz.

de/MedioVis (27.2.2007).

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ZUSAMMENFASSUNG

Um sich einen tiefergehenden Eindruck von MedioVis zu verschaffen und um

Neuigkeiten über das Projekt zu erfahren, sei hier auf die Projekt-Website

verwiesen. Neben einem vertonten Demonstrationsvideo, das die wesentlichen

Komponenten und die Benutzungsoberfläche erläutert, sind dort auch alle bisherigen

Veröffentlichungen und eine Demonstrationsversion zugänglich. Der bisherige Erfolg

des Projektes in Bezug auf die Evaluation mit Bibliotheksbenutzern bestätigt die in

MedioVis realisierten Konzepte zur Unterstützung der analytischen Suche und des

interessengeleitete Stöberns in multimedial angereicherten Katalogdaten. Das Potential

der visuellen Präsentation von Inhalten und direkt-manipulativer Navigation durch

den Informationsraum mittels zoombasierten Interaktionstechniken (HyperGrid,

Punktdiagramm) wird sichtbar und erscheint dabei noch längst nicht ausgeschöpft.

Das MedioVis-Projekt und dessen Zielsetzung, die MedioVis-Technologie zur

Nachnutzung frei zur Verfügung zu stellen, kann dabei als Ausgangsbasis und als

Anregung für eine neue Generation gebrauchstauglicherer visueller Katalogsysteme

für digitale Bibliotheken und für multimediale Sammlungen dienen.

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MULTILINGUALITÄT UND LOKALISIERUNG ZUR WISSENSERKUNDUNGODER VOM NUTZEN SEMANTISCHER NETZE FÜR DAS INFORMATION RETRIEVAL

WINFRIED GÖDERT

FRAU DR. INGETRAUT DAHLBERG ZUM 20. FEBRUAR 2007

1. AUSGANGSLAGE

Fasst man die Entwicklung bisheriger und die Vorstellungen zukünftiger Information

Retrieval Systeme unter dem Gesichtspunkt zusammen, welche Eigenschaften sie

zur Verarbeitung von thematischen Anfragen haben bzw. haben sollen, so lassen sich

folgende Generationen von Retrieval-Paradigmen angeben:

MATCHING VON WÖRTERNHiermit ist der gegenwärtige technische Mindeststandard beschrieben, über den alle

Retrievalsysteme, OPACs oder Suchmaschinen verfügen. Dieser Standard reicht

aber weder aus, um Null-Treffer-Mengen zu vermeiden, noch um differenzierte

thematische Recherchen durchzuführen oder gar Interessen zu berücksichtigen, die

mit Wissenserkundung beschrieben werden.

BEGRIFFLICHES SUCHENBegriffliches Suchen versucht, die Wortsuche auf das thematisch Gemeinte zu

erstrecken, Mehrdeutigkeiten zu vermeiden und insbesondere Null-Treffer-

Ergebnisse zu vermeiden. Hierzu werden vorab definierte Synonymie-Relationen

aus Normdateien in den Rechercheablauf einbezogen. Neuere Studien haben gezeigt,

dass nunmehr auch die Zahl der OPACs steigt, in denen derartige Möglichkeiten

angeboten werden.1

1 Jessica Hubrich: Die Schlagwortrecherche in deutschsprachigen OPACs: Typen der

Schlagwortsuche und der Einsatz der Schlagwortnormdatei (SWD) dargelegt un-

ter Rückgriff auf eine empirische Untersuchung. In: Bibliotheksdienst, 39 (2005) 5,

626–653.

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BERÜCKSICHTIGUNG UND EXPLORATION DES BEGRIFFLICHEN UMFELDES EINES SUCHBEGRIFFSIdealerweise besteht das Ziel, das semantische Umfeld eines Suchbegriffs

benutzergesteuert für die Bildung von Treffermengen zu berücksichtigen. Derzeit sind

zum Erreichen der Zielsetzung zwei Entwicklungslinien zu beobachten. In OPACs

oder anderen Recherchesystemen mit offenen Dokumentbeständen werden vorab

definierte a priori Beziehungen, die das semantische Umfeld eines Begriffs beschreiben,

für die Bildung der Treffermengen berücksichtigt. Ein auf die Dezimalklassifikation

gestütztes Verfahren wurde bereits im System ETHICS der ETH Zürich eingesetzt.2

In Recherchesystemen mit abgeschlossenen Dokumentbeständen kommen mit Erfolg

Kombinationen aus linguistischen und statistischen Verfahren zum Einsatz, die teil-

weise bereits Ansprüchen einer begrifflichen Exploration genügen.3

BERÜCKSICHTIGUNG UND EXPLORATION VON THEMEN Thematische Exploration bricht mit der Vorstellung, dass dem Recherchierenden

alle begrifflichen Zusammenhänge des gewünschten Themas zum Zeitpunkt

der Recherche bereits bewusst sein müssen und postuliert, dass das Aufzeigen

neuer Zusammenhänge die Ergebnismenge positiv beeinflusst. Realisierungen

setzen eine Verbindung von begrifflicher Exploration mit Berücksichtigung von

dokumentspezifischen a posteriori Relationen durch Boolesche Verknüpfungen oder

syntaktischen Operationen voraus. Aus heutiger Sicht kann kein Beispiel angegeben

werden, in dem diese Zielsetzung realisiert wäre.

Sieht man die Unterstützung von Vorgängen der Wissenserkundung als generelle

Zielsetzung für die Entwicklung von Rechercheumgebungen, so stellt sich die Frage

nach den Anforderungen an die hierfür einzusetzenden Instrumente.

2. MULTILINGUALITÄT UND LOKALISIERUNG

Multilinguale Erschließung wird gerne unter der Zielsetzung gesehen, Beziehungen

zwischen Entitäten normierten Vokabulars in verschiedenen Sprachen herzustellen

2 Vgl. für das methodische Vorgehen z.B.: Herbert Funk, Klaus Loth: Sachabfrage im

ETHICS auf der Basis der UDK. Ein OPAC. In: Wissensorganisation im Wandel:

Dezimalklassifi kation – Th esaurusfragen – Warenklassifi kation. Proc. 11. Jahrestagung

der Gesellschaft zur Klassifi kation. Frankfurt am Main 1988, 43–47.

3 Als besonders gelungenes Beispiel kann auf das sog. „Wissensnetz“ der digitalen Brock-

haus-Enzyklopädie verwiesen werden; vgl. Christoph Rösener: Die Stecknadel im Heuhau-

fen: Natürlichsprachlicher Zugang zu Volltextdatenbanken. Frankfurt am Main 2005, X,

243.

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235

und so idealerweise eine Verbindung von der begrifflichen Recherche in der einen

Sprache zur Recherche in einer anderen Sprache zu schaffen (Crosswalks), ohne

dass dabei ontologische Unterschiede berücksichtigt werden.

Ein solches Verständnis muss immer dann an Grenzen stoßen, wenn in den beteiligten

Ordnungssystemen nicht nur allgemein verbindliche („universale“) Strukturen

abgebildet sind, sondern Teilbereiche sozialer Wirklichkeitskonstruktionen. Solche

spezifischen Wirklichkeitskonstruktionen, die nicht einem strikten universalen

Bezugssystem zugeordnet werden können, sollen nachfolgend als Lokalisierung

verstanden werden. Hierbei kann es sich handeln um:

– Historische Entwicklungen und Zusammenhänge

– Ethnische Themen

– Religiöse Themen

– Juristische Themen

– Nationale Organisationsformen

– Politische Strukturen

– Erziehungs- und Bildungssystem

– Alltagskulturelle Themen (Sport, Haushalt, Hobby, Brauchtum, …)

– Fauna und Flora

Besondere Aufmerksamkeit verdienen Lokalisierungsüberlegungen in multi-

lingualen Erschließungs- und Retrievalkontexten, da dort in der Regel jede Sprache

Beziehung zu einem Bezugssystem haben wird, in dem derartige spezifische

Wirklichkeitskonstruktionen vorkommen.

Zur Realisierung multilingualer Erschließung sind verschiedene Wege vorgeschlagen

worden.

Für Klassifikationen ist ein multilingualer Zugang über Erweiterungen des

Registervokabulars in mehreren Sprachen möglich, unabhängig davon, ob das System

mit seinen Benennungen selbst in eine andere Sprache übersetzt oder um Klassen

erweitert wurde, die durch den Bezugsraum der Übersetzung erforderlich oder als

wünschenswert angesehen wurden.4

Für multilinguale Thesauri werden bislang folgende Vorgehensweisen empfohlen:

1. Benutzung einer Leitsprache, die Ausgangspunkt für die begriffliche Strukturierung

ist. Die anderen Sprachen werden in Form einer Art (Quasi-) Synonymie-Relation

4 Vgl. beispielhaft die schon erwähnte Realisierung des Systems ETHICS der ETH Zürich.

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angebunden. Die begriffliche Deckungsgleichheit zwischen den Deskriptoren kann

bei dieser Vorgehensweise nicht immer gewährleistet werden.

Im Grundsatz handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um einen monolingualen

Thesaurus (soweit es die begriffliche Struktur betrifft) mit einem multilingualen

Zugangsvokabular.

2. Jede berücksichtigte Sprache wird für den Aufbau der Struktur gleich behandelt. Die

Deskriptoren der verschiedenen Sprachen werden nach wie vor in unterschiedlicher

begrifflicher Deckungsgleichheit aufeinander abgebildet. Zusätzlich wird versucht,

die jeweiligen Strukturen ebenfalls aufeinander zu beziehen.5

Diese Vorgehensweise setzt als Idealbild die Strukturgleichheit der zu verwendenden

Begriffe in den verschiedenen Sprachen voraus. Selbst wenn diese Erwartung

realistisch wäre – mit der Hinzunahme weiterer Sprachen wird sie immer fragwürdiger

– eine solche Vorgehensweise beraubt sich der Chance, die in den Bezugsräumen

vorhandenen Wirklichkeitskonstruktionen (Lokalisierungen) spezifisch abzubilden,

aufeinander zu beziehen und Crosswalks dazwischen herzustellen.

Im Zusammenhang mit der Erstellung der deutschen Ausgabe der Dewey Decimal

Classification wurde durch einen neuen Vorschlag Multilingualität und Lokalisierung

verbunden.6 Das Ergebnis besteht aus der Schlussfolgerung, dass eine Klassifikation

mit jeder Übersetzung in andere Sprachen eine jeweils neue Sichtweise gegenüber

den vorherigen Ausgaben eröffnet: Je mehr bei der Strukturierung des Systems

darauf geachtet wird, nur „universale“ Strukturen zu berücksichtigen, desto mehr

können bei der Gestaltung des Zugangsvokabulars oder bei Erweiterung der

Klassenstruktur Gesichtspunkte einer Lokalisierung eingebracht werden. Ergebnis

wäre ein entlokalisiertes universales Kernsystem mit einem Kranz lokalisierter

Systeme, die nicht allein Übersetzung des Kernsystems sind, sondern in ihrer

Struktur das Lokalisierungsgebiet der jeweiligen Sprache berücksichtigen (vgl. Abb.

1 und Abb. 2)

5 Vgl. z.B.: Gerhard J.A. Riesthuis: Information languages and multilingual subject ac-

cess. In: Subject retrieval in a networked environment: Proceedings of the IFLA Satel-

lite Meeting held in Dublin, Ohio, hg. von I.C. McIlwaine. München 2003, 11–17.

6 Winfried Gödert, Michael Preuss: Anforderungen an ein Klassifi kationssystem in ei-

ner globalisierten Welt. Vortrag anlässlich des DDC Workshops in Frankfurt am Main,

20. April 2005. Folien der Präsentation unter URL: http://www.ddc-deutsch.de/publi-

kationen/pdf/workshop2005-goedert-preuss.pdf.

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Abb.1: Struktur des globalen Kernsystems mit

lokalisierten Erweiterungen und Registern

Abb.2: Die Zielprojektion: Entlokalisierte DDCoglobal mit Lokalisierungen

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3. DAS PROJEKT CRISSCROSS

Das Projekt hat die Zielsetzung,7 ein erweitertes multilinguales und thesaurusbasiertes

Registervokabular zur Dewey–Dezimalklassifikation (DDC Deutsch) zu erstellen,

das als Recherchevokabular zu heterogen erschlossenen Dokumenten verwendet

werden kann. Dazu soll eine Verbindung zur Schlagwortnormdatei (SWD)

hergestellt werden, indem jedes Sachschlagwort der SWD eine DDC-Notation

erhält. Schließlich sollen die im Projekt MACS8 begonnenen Arbeiten fortgesetzt

werden, Links zwischen den Schlagwörtern der Schlagwortnormdatei (SWD), der

Library of Congress Subject Headings (LCSH) und Répertoire d‘autorité-matière

encyclopédique et alphabétique unifé (Rameau) herzustellen.

Damit steht das Projekt in der Tradition der zuvor charakterisierten Überlegungen

zur Erstellung multilingualer Thesauri. Denkt man an die Berücksichtigung weiterer

Sprachen, so ergibt sich ein zusätzliches Argument, über die Art der semantischen

Brücken zwischen den Begriffen nachzudenken.

4. MULTILINGUALITÄT, LOKALISIERUNG UND SEMANTISCHE NETZE

Konsequent gedachte Lokalisierung erfordert eine größere semantische Ausdrucks-

vielfalt, als sie in der Regel in den klassischen Dokumentationssprachen mit

Begrenzung auf Äquivalenzen (Synonyme, Quasi-Synonyme), Hierarchien,

Assoziationen oder genetische Zusammenhänge vorhanden ist.

Der Wunsch nach Verfeinerung und Anreicherung semantischer Relationen im normierten

Vokabular großer Normdateien wird zunehmend auch aus Retrievalsicht geäußert.9 Dieses

Interesse wird im Kontext des Semantic Web gestützt durch die Diskussion um maschinelle

Interpretation und Verwertbarkeit des Vokabulars und der Relationen. Zielsetzung ist

hierbei, geeignete Repräsentationsformen für Ontologien zu finden, um ihren semantischen

Gehalt mit anderen Web-Anwendungen verbinden zu können.

Aus dokumentationssprachlicher Sicht können semantische Netze als eine

Verallgemeinerung bisheriger Ansätze angesehen werden, indem eine stärkere

7 Vgl. zum Projekt URL: http://www.d-nb.de/wir/projekte/crisscross.htm.

8 Vgl. zum Projekt URL: http://www.d-nb.de/wir/projekte/macs.htm und https://ilmacs.

uvt.nl/pub/.

9 Douglas Tudhope, Harith Alani und Christopher Jones: Augmenting thesaurus

relationships: possibilities for retrieval. In: Journal of digital information, 1 (2001) 8,

URL: http://jodi.ecs.soton.ac.uk/Articles/v01/i08/Tudhope/.

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Differenzierung des verwendeten Relationeninventars bei genauerer Bestimmung

des Typs und seiner formalen Eigenschaften vorgenommen wird. Primäres Ziel

ist eine Form der Wissensrepräsentation, die beispielsweise über den Weg von

Inferenzschlüssen entlang der Relationenpfade im Netz vorhandene, aber nicht

explizit ausgewiesene Beziehungen zwischen Netz-Entitäten abzuleiten gestatten.

Die Art der zu berücksichtigenden Relationen bestimmt sich dabei häufiger aus

Nutzen- und Zweckorientierungen, als dies aus klassischen Dokumentationssprachen

mit universaler Ausrichtung bekannt ist.

In der Übertragung dieser Ideen auf dokumentationssprachliche Kontexte kann ein

großes Potenzial für Gestaltung zukünftiger Retrievalumgebungen gesehen werden,

sofern entsprechend aussagekräftige Netze mit Bezug zu erschlossenen Dokumenten

zur Verfügung stehen.

Es stellt sich die Frage, ob die Erstellung derartiger Netze von Grund auf neu

geschehen sollte (naturgemäß muss dann in der Regel auch die Erschließung erneut

durchgeführt werden) oder ob nicht die Weiterentwicklung vorhandener großer

Ordnungsstrukturen mit bereits umfangreichen erschlossenen Dokumentbeständen

in geeignete Ontologiemodelle mehr Erfolg versprechende Ergebnisse liefern

könnte.

Die Prüfung dieser Frage erfordert eine genauere Kenntnis der formalen Eigenschaften

der vorhandenen Dokumentationssprachen. Interessanterweise existieren bislang

kaum quantitativ orientierte Studien zur Frage der Relationen-Zahl – sowohl

absolut als auch differenziert nach Relationstypen – oder zur Relationen-Dichte,

-Homogenität, oder -Zuverlässigkeit.

In einer Studie aus dem Jahr 200410 konnte für den Sachschlagwortbestand der

Schlagwortnormdatei (SWD) – das größte normierte deutschsprachiges Vokabular

(mit ca. 160.000 Sachschlagwörtern, 140.000 Synonymen) – ermittelt werden, dass

18% der Schlagwörter über gar keine Relation verfügten und 34 % ohne Ober-,

Unter- oder Verwandte Begriffe waren. Ein Eindruck zur Relationendichte in der

SWD vermittelt ein Vergleich mit dem Standardthesaurus Wirtschaft: Auf der

ersten Hierarchieebene befinden sich in der SWD 45% aller Schlagwörter (im

STW: 20%), auf der zweiten Ebene 27% (STW: 22%), auf der dritten Ebene 13%

(STW: 23%), auf der vierten Ebene 7% (STW: 16%) und auf der fünften Ebene

4% (STW: 10%).

10 Unveröff entlichte Studie, die im Auftrag der Deutschen Bibliothek an der FH Köln,

Institut für Informationswissenschaft durchgeführt wurde.

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Analysen der drei genannten Normdateien lassen zusammenfassend erkennen:

1. Die Relationierung der Begriffe ist unterschiedlich umfangreich und dicht

ausgeprägt (allein wegen der Bindung an erschlossene Bestände). Für die LCSH

und für Rameau können zwar keine der SWD vergleichbaren Daten angegeben

werden11, Stichproben deuten jedoch auf vergleichbare Verhältnisse hin.

2. Die vorhandene Relationierung folgt über mehrere Stufen selten homogenen

Gesichtspunkten12 und bietet somit keinerlei Voraussetzungen für logische

Inferenzprozesse.

3. Es gibt viele Beispiele semantischer Cluster, die in jeder der drei Dateien dem

Gedanken der Lokalisierung Rechnung tragen. Bei geeigneter Strukturierung

sind so gute Voraussetzungen gegeben, das Verständnis der jeweiligen

Wirklichkeitskonstruktion sichtbar zu machen und für begriffliche Crosswalks

zwischen semantischen Strukturen zur Verfügung zu stellen. Als Beispiel denke man

etwa an die Thematik „Regierungssysteme“ und ihre begriffliche wie strukturelle

Repräsentation.13

Der Vorschlag lautet nun:

1. Benutzung einer Kern-Ontologie mit universalen Relationen.

2. Die Lokalisierung erfolgt über sprachspezifische semantische Netze, die nach

Festlegung eines geeigneten Relationeninventars aus den vorhandenen Dateien

entwickelt und an die Kernontologie angeschlossen werden.

Für die Bestimmung des Relationeninventars sind möglicherweise Anlehnungen

an bekannte Vorarbeiten zur Erstellung universaler facettierter Ordnungsstrukturen

nützlich.

11 Beide stehen nicht unmittelbar als maschinenlesbare – und damit statistisch auswertbare

– Dateien zur Verfügung.

12 Vgl. die Studie zu den LCSH: ALA / Subcommittee on Subject Relationships/Refer-

ence Structures: Final Report to the ALCTS/CCS Subject Analysis Committee. June

1997, URL: http://www.ala.org/ala/alctscontent/catalogingsection/catcommittees/sub-

jectanalysis/subjectrelations/fi nalreport.htm.

13 Vgl. die Beispiele in der zum Vortrag verwendeten Präsentation, URL: http://www.

bibliothekartag.at/bibliotag2006/Vortraege/VortraegePDF/Goedert_multilinguali-

taet_lokalisierung.pdf.

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Derartige Netze können insbesondere die wirklichkeitskonstruierenden Teile einer

speziellen Lokalisierung durch ein eigenes Set von Relationen flexibler abbilden als

es bei der Integration in die Struktur der Systematik machbar wäre. Die Verbindung

zwischen den semantischen Netzen muss dann nicht mehr einer Philosophie

kontextfreier semantischer Übereinstimmung folgen, sondern hat „nur“ noch eine

Brückenfunktion zwischen verschiedenen Lokalisierungen. Jede der beteiligten

Dateien kann dabei autonom weiter gepflegt und entwickelt werden, ohne dass

Änderungen für den semantischen Gehalt der Verlinkungen berücksichtigt werden

müssten (vgl. Abb.3).

Abb.3 Lokalisierte semantische Netze mit Kernontologie

5. KONSEQUENZEN FÜR DAS RETRIEVAL

Ein Retrievalmodell kann für diesen Vorschlag nur in ganz groben funktionalen

Umrissen gegeben und nicht im Sinne einer Benutzersicht gegeben werden (vgl.

Abb.4). Im Vordergrund dieses Modells steht die Nutzung der verschiedenen

hinterlegten Relationsarten für Navigations- und Retrievalzwecke sowie der

bedarfsorientierte Überstieg mittels der Kernontologie aus einem lokalisierten Netz

in ein anderes. Man denke als Beispiel wieder an das Thema „Regierungssysteme“ und

seine begriffliche wie strukturelle Repräsentation. Die in der Abbildung angedeutete

Recherche nach Einzelbegriffen muss um die Möglichkeiten thematischer

Recherchen durch postkoordinierende Verknüpfungen ergänzt gedacht werden.

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Abb.4: Vereinfachtes funktionales Retrievalmodell zur semantischen Navigation

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DIE VIRTUELLE STEINSUPPE – KOOPERATIVES VERWALTEN VON ELEKTRONISCHEN RESSOURCEN MIT DIGILINK

PETER MAYR

DAS PROBLEM LOTSENFUNKTION

Die Bibliothek als Leuchtturm im Datenmeer? Informationskompetenz wird als

eine der Stärken von Bibliothekaren gesehen. Natürlich erwarten unsere Benutzer

diese Kompetenz nicht nur im Bereich der gedruckten Literatur, sondern auch bei

elektronischen Informationsquellen.

Nahezu jede Bibliothek bietet auf ihrer Homepage eine Sammlung ausgewählter

Links an – seien es freie Informationsressourcen oder kostenpflichtige Datenbanken.

Anfangs waren diese Listen einfache, statische HTML-Seiten. Jedoch je größer diese

Verzeichnisse wurden, desto mehr Aufwand floss in die Wartung dieser Seiten statt

in den eigentlichen Bestandsaufbau. Beispielsweise mussten die Einträge redundant

angelegt werden, um mehrere parallele Einstiegspunkte (z.B. alphabetisch und nach

Fachgruppen) zu schaffen oder Ressourcen unter mehrere Kategorien abzulegen.

Nächster Schritt – die 2. Generation – war daher die Einführung von

datenbankgestützten Linklisten. Dies erforderte anfangs zwar mehr konzeptionellen

Aufwand, dieser wurde aber durch die vereinfachte Wartung bald wett gemacht.

Durch diese Datenhaltung waren verschiedene Sichten auf die Links möglich ohne

die Einträge doppelt vorzuhalten.

Die Redundanz im eigenen Bestand war zwar jetzt minimiert, bei einem Blick über

den Tellerrand der eigenen Bibliothekshomepage wurde aber schnell sichtbar, dass

es oft große Überschneidungen mit den Linklisten anderer Bibliotheken gab.

Da die Verbundkatalogisierung konventioneller Medien schon längst bibliothekar-

ischer Alltag war, lag nahe, dieses System – zuerst in kleinem und mittleren Rahmen

– auch auf die elektronischen Ressourcen auszudehnen.

Als „dritte Generation“ etablieren sich deshalb derzeit Systeme zum kooperativen

Aufbau von Linksammlungen. Durch die Verteilung der Aufnahmetätigkeit kann so der

Aufwand für die Wartung der Seiten nochmals reduziert werden. Systeme dieser Art sind

die „Deutsche Internetbibliothek“1, „Academic Linkshare“2 und eben auch DigiLink.

1 URL: http://www.interntbibliothek.de.

2 URL: http://www.academic-linkshare.de/.

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EIN KLEINER EXKURS ÜBER DIE STEINSUPPE

Der Titel dieses Artikels bezieht sich auf ein altes Märchen, welches in vielen

verschiedenen Variationen erzählt wird. Eine davon lautet so:

„Ein hungriger Wanderer kommt mit einem Kessel in ein armes Dorf und

verspricht, er werde aus nichts weiter als einem glänzenden Stein und Wasser eine

köstliche Suppe kochen. Mit ein wenig Kohl schmecke sie allerdings noch etwas

besser … Zuerst sind die Dorfbewohner skeptisch, doch dann bringen sie kleine

Gaben: einen Kohlkopf, ein Bündel Karotten, ein Stückchen Fleisch. Am Ende ist

der Kessel mit genügend herzhafter Suppe gefüllt, um alle satt zu machen. Und die

Moral von der Geschichte: Durch Kooperation kommen bedeutende Leistungen

zu Stande, selbst mit bescheidenen und anscheinend unbedeutenden Zutaten.“3

DigiLink ist nun so eine virtuelle Steinsuppe. Das hbz stellt – im Prinzip – nur eine

technische Plattform zur Verfügung. Das eigentliche Schmackhafte, die Inhalte

werden von den beteiligten Bibliotheken geliefert.

DIE GESCHICHTE VON DIGILINKDigiLink entstand als Zusatzmodul der Digitalen Bibliothek4, um den einzelnen

Institutionen die Möglichkeit zu geben, neben der Metasuche auch eine Linksammlung

mit kostenfreien und lizensierten Informationsressourcen anzubieten.

Im April 2004 wurde das System zum ersten Mal produktiv von einer Gruppe

Pilotanwendern eingesetzt, inzwischen nutzen öffentliche und Hochschulbibliotheken

aus Deutschland und Österreich DigiLink. Insgesamt werden über 25.000 Links in

89 lokalen Sichten verwaltet.

Dieser Datenpool enthält nicht nur freie Internetlinks, auch Verweise zu kosten-

pflichtigen Datenbanken oder eigenen CD-ROMs können mit dem System zentral

an einer Stelle gepflegt werden.

KOOPERATION IN AKTIONJede teilnehmende Bibliothek hat ihre eigene lokale DigiLink-Sicht. Diese kann im

Layout mittels CSS, eigener Kopf- und Fußzeile sowie Logos perfekt an die jeweilige

corporate identity angepasst werden.

Auch bei den Inhalten können die Struktur und die Bezeichnungen der Fachgruppen

beliebig verändert werden.

3 William W. Hargrove et.al.: Der selbst gebastelte Supercomputer, URL: http://www.

wissenschaft-online.de/spektrum/index.php?action=leseprobe&artikel_id=5994

(27.2.2006).

4 URL: http://www.digibib.net.

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WENIGER ARBEIT DURCH VERWEISEBeim Anlegen eines neuen Links können die lokalen Administratoren festlegen, ob

der Eintrag den anderen Teilnehmern – im Linkpool – zugänglich gemacht werden

soll.

Fremde Links anderer Institutionen können als Verweise eingebunden werden,

in diesem Fall bleiben die Schreibrechte beim Ersteller, allerdings können lokale

Anmerkungen eingefügt werden (vgl. Abbildung 1, Bibliothek B).

Will eine Bibliothek den Eintrag prinzipiell übernehmen, aber die eingetragenen

Metadaten anpassen, so besteht die Möglichkeit eine Kopie zu erstellen (vgl.

Abbildung 1 Bibliothek C).

Damit können alle Felder der Aufnahme verändert werden, allerdings muss dieser

neue Eintrag dann auch von der nehmenden Bibliothek gewartet und aktualisiert

werden.

WENIGER ARBEIT DURCH GRUNDBESTÄNDEGerade viele kleinere Bibliotheken besitzen nicht die nötigen Personalressourcen,

um eine umfangreiche Linksammlung aufzubauen und zu warten.

Abhilfe schaffen die Grundbestände in DigiLink. Das hbz pflegt Linksammlungen,

die jeweils in Inhalt und Struktur auf öffentliche bzw. Hochschulbibliotheken

zugeschnitten sind.

Die einzelnen Institutionen können nun darauf zugreifen und ihre eigene Sicht

darauf aufbauen. Dabei können der gesamte Grundbestand oder aber nur einzelne

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Kategorien daraus übernommen werden und natürlich kann die Sicht durch eigene

Einträge ergänzt werden.

WENIGER ARBEIT DURCH ANDERE FUNKTIONALITÄTENIn DigiLink gibt es zahlreiche weitere Funktionen, die die tägliche Arbeit erleichtern

sollen: Die Administratoren können z.B. automatisch über neue freie und/oder lizenz-

pflichtige Links im Datenpool informiert werden.

Beim Anlegen eines Eintrags hilft ein Doublettencheck, Doppeleinträge zu

vermeiden. Beim manuellen Einträgen gibt es die Option, Dublin Core und HTML-

Metatags automatisch aus der Internetseite zu extrahieren.

Auch Benutzer können Linkvorschläge machen, die über die Administrationsoberfläche

eingearbeitet oder abgelehnt werden. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, direkt eine

Rückmeldung zum Vorschlag zu senden.

Ein weiterer Vorteil von DigiLink sind die offenen Schnittstellen, die eigenen Daten

können als CSV exportiert und weiterverarbeitet werden, auch ein Zugriff über

OAI-PMH 2.05 ist möglich.

Ein RSS Feed informiert die Benutzer über Neueinträge am Standort.

5 Vgl. URL: http://en.wikipedia.org/wiki/OAI-PMH.

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Ob diese dann die Links eifrig nutzen, kann über die Statistik überprüft werden.

Auswertungen nach Link- und Kategoriennutzung sowie die Erstellung von

Nulllisten6 sind möglich.

DER OBLIGATORISCHE AUSBLICK

Mit dem hbz-Werkzeugkasten7 existiert bereits der Prototyp der nächsten DigiLink-

Version. Im Werkzeugkasten werden knapp 60.000 Links zu Bibliotheken,

Antiquariaten, Verlagen etc. in aller Welt verwaltet. Auch hier kann die Oberfläche

an das eigene Layout angepasst werden.

Um eine noch stärkere Integration in den eigenen Webauftritt der Bibliotheken zu

ermöglichen, wird derzeit eine Webservice-Schnittstelle entwickelt.

6 Links und Kategorien, die im Auswertungszeitraum nie angeklickt wurden.

7 URL: http://toolbox.hbz-nrw.de.

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DIGITALISIERUNG – EIN KÖNIGSWEG? WIE DIE ÖSTERREICHISCHE MEDIATHEK IHRE TONAUFNAHMEN DIGITALISIERT

RAINER HUBERT

Es ist absolut unvermeidlich, aber einfacher werden die Dinge dadurch nicht!

Es tut nicht weh, ist aber sehr teuer.

Es ist die Lösung, die selbst das Problem ist.

Wenn man einmal damit angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören.

Die einleitenden Sätze meinen die Digitalisierung, die Digitalisierung und ihre

Folgen. Sie hat vieles in einen neuen Kontext, manches auf den Kopf gestellt und

insbesondere die Welt der audiovisuellen Archive völlig verändert. Dies ist auch der

Gesichtspunkt dieser Betrachtung: die audiovisuellen Medien im allgemeinen und

die Audio-Medien im besonderen – dargestellt am Beispiel der Österreichischen

Mediathek.

Dass es sinnvoll ist, das Thema an der Österreichischen Mediathek zu exemplifizieren,

gründet im Umstand, dass diese Einrichtung schon sehr früh mit der Umstellung auf

ein digitales System begonnen hat und das Thema Digitalisierung am besten in einem

solchen Gesamtkontext zu betrachten ist. Digitalisierung allein ist zuwenig – sie muss

interagieren mit einer effektiven Langzeitarchivierung, mit einer entsprechenden

Metadatenverwaltung und einer passenden Schnittstelle für die Benutzer. Die

Problemstellung Digitalisierung legt eine systemische Lösung nahe.1

Was nun also das Exempel Österreichische Mediathek betrifft, so wurde 1999/2000

geplant und entschieden; 2000 wurden Massenspeicher, Workstations und neue

Datenbank in Betrieb genommen; und 2002 lief das System bereits mit all seinen

Komponenten: Katalogdatenbank plus Spezialplayer für Tonfiles, Internetauftritt mit

Online-Katalog und Medienpräsentationen, migrationsoptimierter Massenspeicher,

Digitalisierungsstationen für verschiedene Audio-Formate und verschiedene

automatische Komponenten. Derzeit, Anfang 2007, sind bereits rund 20.000

1 Das ist ein umfangreiches Th ema, das hier nicht wirklich behandelt werden kann.

Allein schon die schiere Menge von miteinander in Relation stehenden Dateien, die

bei jeder Tonaufnahme anfallen – Tondateien verschiedener Art (Sicherheitskopien,

Benützerstücke, unter Umständen jeweils in zwei oder mehr Teilen), Metadatendateien

(die Datensätze der hierarchischen Katalogdatenbank, die Dateien mit technischen

Metadaten) – legen Automatismen und systemische Lösungen nahe.

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Einheiten digitalisiert, wozu noch eine große Zahl von Tonaufnahmen kommt, die

bereits digital „auf die Welt gekommen“ sind.

Warum tut sich eine verhältnismäßig kleine Stelle – rund 30 Personen, allerdings

weit über eine Million Tonaufnahmen auf Trägern und in Formaten verschiedenster

Art – so etwas an? Warum eine so tiefgreifende Umstellung, die es erforderlich

machte, einen Großteil der Mitarbeiter entsprechend einzuschulen (denn „ohne

System“ geht heute hier fast nichts mehr)? Die Antwort ist eine doppelte:

Es ist bekannt, dass audiovisuelle Medien eine kurze Lebenserwartung haben – ihre

Träger werden unbrauchbar und für die unterschiedlichen Formate sind immer

schwerer Wiedergabemöglichkeiten zu finden. Wenn nichts geschieht, wird in

wenigen Jahrzehnten das meiste nicht mehr verwendbar sein. Da wir das nicht

wollen, stehen die meisten AV-Archive vor der Situation, rasch agieren zu müssen.

Sie, bzw. ihre Sammlungen, haben nur digital eine Zukunft.2 Dass die Mediathek

vergleichsweise sehr früh gestartet ist, hat mit günstigen inneren und äußeren

Umständen zu tun, aber eben auch mit der Erkenntnis, dass es jedenfalls notwendig

sein würde, diesen Schritt zu tun. Freilich haben wir es uns dadurch nicht eben leicht

gemacht – viele Wege und Lösungen, die heute vorhanden sind, gab es damals noch

nicht. Insgesamt ist der Zeitvorsprung allerdings ein Segen für die Bestände selbst:

Je früher sie ins Digitale „hinübergerettet“ werden, desto besser.

DAS MODELL DIGITALER LANGZEITBEWAHRUNGDie Mediathek hat ihre integrale systemische Lösung der Archivproblematik relativ früh

umgesetzt, allerdings waren die Grundzüge einer solchen Lösung schon länger klar:3

Angesichts der oben skizzierten Gefährdung audiovisuellen Materials erschien

rechtzeitige Kopierung des Materials die gegebene Rettungsstrategie. Dabei war

offensichtlich, dass die Kopierung ins Digitale führen musste, konkret also, dass

analoge Tonaufnahmen in Tondateien umzuwandeln waren.

Dafür gibt es zwei Gründe:

1. bei einer weiteren Kopierung, die dann eine digitale Kopierung ist, tritt kein

Qualitätsverlust ein (bei analogen Kopien: „Kopierverlust“, der mit jeder

Generation zunimmt);

2 Audrücklich ausnehmen davon möchte ich Filmarchive und ihre fi lmischen Bestän-

de. Das hier Gesagte ist nicht adäquat auf Filmmaterial anwendbar. Aus zahlreichen

Gründen steht hier immer noch die analoge Langzeitarchivierung im Vordergrund

3 Die Problemstellung wurde bereits seit Jahren diskutiert, z.B. im Rahmen der IASA,

der Internationalen Vereinigung der Schall- und AV-Archive; hier war es vor allem

Dietrich Schüller vom Phonogrammarchiv der österreichischen Akademie der Wis-

senschaften, der das Modell der Langzeitbewahrung durch Migration sehr dynamisch

vertreten hat; der Autor erinnert sich noch, dass diese Th esen zu Beginn der neunziger

Jahre im Kollegenkreis noch mit beträchtlicher Skepsis aufgenommen wurden.

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2. dieses künftige Weiterkopieren kann automationsgestützt durchgeführt werden.

Warum aber solche Weiterkopierung, warum solche Migrationen? Weil digitale

Formate und Träger noch kürzeren Bestand haben als die analogen Audioformate

und -träger, die wir gerade verlassen.

Am Beginn stand also ein Paradoxon: nicht eine Rettung des Materials in einen

sicheren Hort, keine Rettung auf Dauer, sondern das Anstoßen eines Prozesses,

der eigentlich solange kein Ende haben darf, solange wir unsere Töne hören wollen.

Kein ewiger Träger also, weil die neuen Träger und Formate noch gefährdeter sind

als die alten – wohl aber ein ewiges, sich stets regenerierendes Archiv. Was in die

Zukunft mitgenommen wird, ist der audiovisuelle Inhalt, die jeweilige Form bleibt

wie Schlacke am Weg zurück.

Viel mehr als diese Vorstellung hatten wir nicht, als wir im Jahr 2000 ernst machten

und zusammen mit mehreren Partnerfirmen unser digitales System umsetzten.

KRITISCHE BEURTEILUNG DER LÖSUNG

DIGITALE LANGZEITARCHIVIERUNG HEUTEZunächst ist nochmals zu betonen, dass es sich dabei eben nicht um eine Lösung ein für

allemal handelt; wir müssen unsere Daten „bewegen“ wie die Pferde – und wir müssen

auch die Bestandteile des Systems selbst immer wieder auf neuesten technischen

Stand bringen. Vielleicht wird es einmal Techniken geben, die die Migrationslösung

obsolet machen, aber im Augenblick ist die digitale Langzeitarchivierung nicht

zuletzt deswegen eine aufwändige Sache. Digitales benötigt mehr Aufmerksamkeit

als die meisten analogen Bestände – vor allem aber die dauernde, ununterbrochene

Obsorge; einmal nicht aufgepasst – und alles ist weg. Kritisch ist, dass das Problem

in der Öffentlichkeit derzeit noch kaum wahrgenommen wird. Vorkehrungen, den

Kulturverlust durch Zerfall des Digitalen zu verhindern, werden organisatorisch und

finanziell nicht oder unzureichend getroffen.

Während Digitalisierung ein Modewort geworden ist, bleibt „digitale Langzeit-

archivierung“ eine Unbekannte. Für das eine lassen sich mit Mühe allenfalls Mittel

aufstellen, für das andere nicht. Projektgelder für Digitalisierung aber, die keine

Zukunftsperspektive für die Bewahrung beinhalten, sind reine Verschwendung.

Die CD-ROM mit den Projektergebnissen in der Schreibtischschublade ist ein

katastrophaler Irrweg.

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DIGITALISIERUNG

Die eigentliche Arbeit des Digitalisierens: Hier sind wir in der täglichen Praxis immer

wieder mit folgender Auffassung konfrontiert: „Digitalisieren – das kann eh jeder“.

In gewisser Weise stimmt das sogar, so, wie heutzutage jeder photographieren kann.

Zwar wird wohl kein Knipserphotograph die Berechtigung von Berufsphotographen

und Photoarchiven bestreiten; bei der neuen Kunst des Digitalisierens ist das nicht

ganz so; Digitalisierung allerdings, so wie wir sie verstehen, ist eine ungemein

verantwortungsvolle Aufgabe. Sie muss auf höchstem professionellen Niveau

durchgeführt werden – mit besten Geräten, mit hoher Expertise und mit Aufzeichnung

verschiedenster Parameter der Digitalisierung. Dafür gibt es Vorgaben.4 Es geht

schließlich darum, neue elektronische Originale zu schaffen. Die alten Bänder und

Platten werden nicht mehr verwendbar sein, also ist die entsprechende Tondatei

unser neues Original.

SONDERSITUATION DER AV-MEDIENEin Umstand ist bei einer Diskussion der Digitalisierung unbedingt in Rechnung

zu stellen: Für unterschiedliches Kulturgut spielt Digitalisierung eine sehr

unterschiedliche Rolle – essentiell für die meisten AV-Medien, von sekundärer,

das heißt hier sich primär auf die Benützung beziehender Bedeutung z.B. für

Musealgut. Ein Museumsobjekt – wie etwa die Dampfmaschine eines Technischen

Museums – lässt sich als solche nicht „digitalisieren“, man kann digitale Abbilder

schaffen, die aber nie das Original ersetzen können. Bei AV–Medien ist das anders:

Der Kern des Audiovisuellen lässt sich mit nur geringen Verlusten in immer neue

elektronische Originale umwandeln. Ob man eine Tonaufnahme via Tonbandgerät

oder via Computer abhört, ist im Grunde egal, ob man vor ein Museumsoriginal

tritt oder bloß ein Repro in Händen hält, hingegen nicht. Daher auch die Rolle von

AV–Archiven als besonderer Propagatoren der digitalen Revolution.

ZUGÄNGLICHKEITGenerell lässt sich sagen, dass digitale Medien leichter benützbar sind als analoge.

Das ist ja ein Hauptgrund für die Digitalisierung überhaupt, wenngleich aus Sicht

der Bewahrer der Aspekt der Sicherung mindestens ebenso schwer wiegt. Klassisches

Beispiel einer Verbesserung der Zugänglichkeit wäre eine Tonbandaufnahme, deren

Benützung mühevolles Suchen durch Reversieren mit dem Band erfordert, während

4 Für Audiomedien vor allem die Arbeiten des Technical Committe der IASA, Inter-

nationale Vereinigung der Schall- und audiovisuellen Archive: Th e Safeguarding of

the Audio Heritage: Ethics, Principles and Preservation Strategy, IASA-TC 03, 2005;

Guidelines on the Production and Preservation of Digital Audio Objects, IASA TC-

04, 2004.

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die Orientierung in einem Tonfile mittels eines Players, der das Tonsignal optisch

anzeigt, sehr bequem und rasch ist. Hinzu kommt, dass in einem System wie jenem

der Mediathek der Weg vom Treffer im Katalog per Knopfdruck zum Abspielen

der Tonaufnahme führt. – Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele: Das Infopaket

Compact Disc – die Scheibe plus das oft sehr ausführliche Beiheft – stellt uns bei

Übernahme in ein digitales System vor erhebliche Probleme: Das „Grabben“ der Disc

selbst ist noch recht leicht, aber das Beiheft zu digitalisieren erfordert einen ganz

anders strukturierten zusätzlichen Workflow – und vor allem: Das Zusammenführen

von Tondatei und gescanntem Beiheft ist alles andere als trivial.

DIE ORGANISATION VON DIGITALISIERUNG UND DIGITALER LANGZEITARCHIVIERUNGAngesichts der Größe des Arbeitsgebietes von Digitalisierung und digitaler

Langzeitarchivierung wäre eine Arbeitsteilung zwischen den betroffenen

kulturbewahrenden Einrichtungen sehr sinnvoll.

Es ist durchaus nicht notwendig und erstrebenswert, dass jede Institution alle

Funktionalitäten in diesem Zusammenhang selbst besorgt. Vermutlich wäre das ja

auch gar nicht finanzierbar.

Wir müssen differenzieren zwischen dem

Besitz analoger Originale,

der Fähigkeit, diese professionell zu digitalisieren und

der Fähigkeit, Dateien auf Dauer zu bewahren.

Die Mediathek deckt selbst alle drei Aufgaben ab, aber das ist zu einem guten Teil

darauf zurückzuführen, dass es zur Zeit unseres Starts zum Selbermachen keine

wirklichen Alternativen gab. Für eine kleine Stelle wie die Mediathek lag es hart an

der Grenze des Leistbaren, ein digitales Gesamtsystem aufzubauen. Jetzt läuft es

und wir werden es weiterführen, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass andere,

vor allem kleinere Stellen, sich nicht beides – Digitalisieren und Langzeitarchivieren

– aufhalsen wollen, sondern nur eine oder auch keine der beiden Aufgaben.

Sich mit beidem etwas im eigenen Haus anzufangen, ist nur sinnvoll, wenn es wirklich

um relevante Mengen an zu digitalisierendem und zu bewahrendem Material geht.

Digitalisierungsstationen und Massenspeicher wie in der Mediathek – so etwas für

bloß ein paar tausend Stunden Material hochzuziehen, wäre Geldverschwendung.

Die Voraussetzung für eine Delegierung von Aufgaben ist natürlich, dass es

ausreichend professionelle Digitalisierungsstellen und Massenspeicher gibt, an die

man sich wenden kann. Hier hat sich in den letzten Jahren sicher viel getan. Eine

Zertifizierung von verlässlichen Anbietern solcher Leistungen – „Service Provider“

– wäre wünschenswert.

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„WARE INFORMATION“ – „CONTENT HOLDER“ UND „SERVICE PROVIDERS“Für Stellen wie die Mediathek ergibt sich derzeit eine ganz spezielle Situation:

Wir können nun unsere vorhandene Infrastruktur anderen zur Verfügung stellen.

Damit tun wir einerseits etwas für die allgemein-österreichische Kultursicherung und

andererseits erfüllen wir jene Auflagen, die uns die neoliberale Kulturpolitik stellt:

nicht nur Kultur, sondern auch „Geld zu machen“. Dass eine solche Doppelstellung

auch gewisse Probleme mit sich bringen kann, liegt dabei auf der Hand. Dennoch

können sich hier sinnvolle Kooperationen ergeben, wofür hier ein aktuelles Beispiel

angeführt sei:

Im Sommer 2006 erhielt die Österreichische Mediathek einen großen Auftrag

zur Digitalisierung von Tonaufnahmen der Österreichischen Nationalbibliothek.

Die Nationalbibliothek lagert also die Digitalisierung von Tönen an uns aus, nicht

aber die Langzeitarchivierung, denn über einen Massenspeicher verfügt sie selbst.

Eine dritte Stelle, das Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften,

kontrolliert als Konsulent, dass die Ton-Digitalisierung wirklich auf höchstem

professionellen Niveau erfolgt. Ich glaube, dass durch Zusammenarbeiten dieser Art

nur alle Beteiligten gewinnen können und unsere Ressourcen am kostensparendsten

eingesetzt werden.

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ZUM STAND DES RECORDS MANAGEMENT IN DER SCHWEIZERISCHEN PRIVATWIRTSCHAFT. EIN SURVEY IN AUSGEWÄHLTEN SEKTOREN

JÜRG HAGMANN

Im Auftrag des Ausschusses eArchiv des Vereins schweizerischer Archivarinnen

und Archivare (VSA) haben Studierende der HTW Chur unter Anleitung von

Prof. Dr. Niklaus Stettler und der Unterstützung von PriceWaterhouseCoopers

zwischen Sommer 2005 und Frühjahr 2006 eine Umfrage über den Stand von

Records Management (RM) in der Privatwirtschaft der deutschsprachigen Schweiz

durchgeführt. Befragt wurden total 28 Firmen unterschiedlicher Betriebsgröße

(multinationale Großbetriebe sowie größere KMU’s) aus den Branchen Chemie/

Pharma, Finanz- und Elektrizitätswirtschaft. Primäre Zielsetzung der Umfrage ist

die Sensibilisierung von Verantwortlichen aller Stufen für das Thema RM. Sofern

in den einzelnen Organisationen noch keine expliziten RM-Programme bestehen

oder initiiert worden sind, geht es darum, die Akteure, die für die Aufbewahrung

von gesetzlich relevanten Unterlagen zuständig sind, zu erreichen und sie mit dem

Konzept des RM – basierend auf der ISO Norm 15489 – bekannt zu machen.

Zur Erhebung wurden fragebogenunterstützte Experteninterviews durchgeführt.

Der Fragebogen besteht aus 22 Fragen, die in acht Schwerpunkte (inhaltliche

Themenblöcke) aufgeteilt sind:

1. Erwartungen, die mit der Einführung von RM in einer Firma verbunden sind

2. Einfluss der gesetzlichen Anforderungen (Compliance)

3. Organisatorische Maßnahmen (Policies, Aufbewahrungspläne) und Verant-

wortlichkeiten

4. IT-Ausstattung. Sind die Systeme in der Lage, die Authentizität und Integrität

der Unterlagen zu garantieren?

5. Organisation der Ablage (Filing)

6. Langzeitarchivierung

7. 3–5-jährige Planungsvorhaben

8. Längerfristige Zukunftserwartungen, Trends und Nutzenaspekte

Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Es besteht eine starke

Korrelation zwischen der Betriebsgröße und dem Stand von RM in den untersuchten

Firmen. Am weitesten fortgeschritten sind die RM-Programme der Großbetriebe

in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. In KMU’s scheinen die Aktivitäten

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noch gering zu sein und Handlungsbedarf wird kaum signalisiert. Hier ist der

Begriff und die Disziplin des RM noch weitgehend unbekannt. Insbesondere in

der Elektrizitätswirtschaft hat sich die traditionelle Art der Schriftgutverwaltung

bis heute bewährt.

Unabhängig von der Branche haben sich im wesentlichen drei Befunde bzw.

Problembereiche herauskristallisiert:

RM wird noch nicht als Supportprozess verstanden, der als Querschnittfunktion

durch alle Unternehmensbereiche hindurchgeht. Es wird nicht das ganze

Organigramm abgedeckt. RM beschränkt sich auf die wenigen bekannten und

klassischen Bereiche des Schriftguts (Finanzen, Personal u.a.m.).

Unvollständig ist die Abdeckung auch in Bezug auf die Kontrolle von Unterlagen.

In der Regel werden die offiziellen Records, die in den Kernprozessen entstehen,

gut verwaltet, hingegen entziehen sich die sogenannten inventarresistenten

Unterlagen aus Office-Systemen – insbesondere Korrespondenz mit E-Mails

– der zentralen Verwaltung durch einen Akten- und Aufbewahrungsplan

(schedule). Damit ensteht ein potentielles Compliance-Problem.

Ausbildung und interne Schulung für alle Mitarbeiter einer Firma sind nötig,

um die Thematik in den Unternehmen besser bekannt zu machen, um Risiken

in Bezug auf die Rechenschafts- und Auskunftsfähigkeit der Organisation zu

minimieren.

Nach dem Ergebnisteil werden drei Fallstudien vorgestellt: UBS, Novartis,

Elektrizitätswerke der Stadt Zürich (ewz), die im Sinne von „Best-Practice“

aufzeigen, wie RM in der Praxis umgesetzt werden kann.

Das Erfreuliche am Projekt war die Tatsache, dass eine fruchtbare Kooperation

innerhalb des oft ungleichseitigen Dreiecks Wissenschaft – Wirtschaft – Berufs-

verband entstand.

Dieses Vorgehen sollte vermehrt Schule machen, können doch damit mehrere Ziele

gleichzeitig verfolgt werden:

die Fachhochschulen bekommen Untersuchungsfelder und Kontakte zur betrieb-

lichen Praxis und können auf konkrete Weise die Managementdisziplin RM

befruchten bzw. erforschen,

die Wirtschaft erhält Inputs (awareness) und schafft potentiell neue Stellen, um

RM in den Firmen zu professionalisieren,

der Berufsverband kann neue Mitglieder werben und entsprechendes Know-how

auf einer generischen Ebene vermitteln.

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Für die Ergebnisse der einzelnen Themenblöcke verweise ich auf den integralen

Synthesebericht,1 der im Internet als Volltext zur Verfügung steht.

Im Folgenden sollen nur noch ein paar wichtige Aspekte aus Themenblock drei

erörtert werden: organisatorische Maßnahmen und Verantwortlichkeiten.

Die Fragen 5 und 6 ergründeten die Verantwortlichkeiten für RM in der Organisation

und ihre Positionierung in der Hierarchie. Generell gilt: Je höher in der Hierarchie

die RM-Funktion angesiedelt ist, desto höher ist der Stellenwert und das Bewusstsein

für RM in der Organisation. In Ergänzung zum Bericht muß jedoch an dieser

Stelle eine differenziertere Betrachtung angestellt werden. Was der Bericht nicht

differenziert (bzw. der Fragebogen nicht ergründet), ist die Ebene der Umsetzung

von RM (Prozessverantwortung) in der Organisation. In der Praxis haben sich

nämlich zwei Modelle herauskristallisiert:

Modell 1: Geteilte Verantwortung (strategisch und operativ)

Dieses Modell dürfte nur in größeren Unternehmen (Konzern) zur Anwendung

kommen. Eine von der Geschäftsleitung eingesetzte Fachstelle steuert, koordiniert

und harmonisiert sämtliche RM-Aktivitäten auf der globalen strategischen Ebene

und ist primär verantwortlich für das normative Rahmenwerk (Legislative mit

Weisungsbefugnis), entwickelt aber auch Services, die der operativen Ebene bei

der Umsetzung der RM-Programme dienen. Auf der operativen Ebene sind die

einzelnen Geschäftseinheiten verantwortlich für die Umsetzung der lokalen RM-

Programme. Dieses Modell ist noch wenig verbreitet, da primär die Probleme dort

gelöst werden, wo die Records täglich anfallen – im Business. Die Fallstudie der

Firma Novartis (Bericht S. 39ff ) zeigt jedoch, dass für international tätige Konzerne

dies der einzige Weg sein dürfte, um alle Aktivitäten im Sinne einer einheitlichen

Policy konzernweit und effektiv zu steuern und zu koordinieren. Neben Novartis

hält sich auch die SwissRe an dieses Modell und auch die UBS hat entsprechende

Maßnahmen in diese Richtung eingeleitet (Bericht S. 38).

Modell 2: Einheitliche Verantwortung (operativ)

Die RM-Funktion ist neben der Herausgabe von Weisungen direkt zuständig für die

Umsetzung des RM-Programms; d.h. sie erstellt die Inventare, die Aufbewahrungspläne,

organisiert die Ablage sowie die Vernichtung. Die Ergebnisse in der Grafik auf S. 18

(Frage 6) des Berichts beziehen sich primär auf dieses Modell.

Generell gibt es bei dieser Frage keine eindeutigen Positionierungen. Am meisten

ist die RM-Funktion in einer Stabsstelle in der Logistik (Dienste, Archiv) oder in

1 Ausschuss eArchiv des VSA und HTW Chur, Fachbereich Informationswissen-

schaft (Hg.): Records Management Survey Schweiz in ausgewählten Sektoren der

Privatwirtschaft (2005/2006) Synthesebericht, Chur Sept. 2006 (Autoren: Niklaus

Stettler, Jürg Hagmann, Gerhard Emch, Anna Fridrich, Joseph Wandeler); download

unter URL: http://www.vsa-aas.org/Projekt_RM_Survey.294.0.html ( Jänner 2007). Im

folgenden zitiert im fortlaufenden Text mit Bericht und Seitenangabe.

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„anderen Bereichen” (IT) angesiedelt. Branchenspezifisch ist interessant, dass in der

Pharmabranche RM noch öfters in der Forschung & Entwicklung aufgehängt ist

und in der Elektrizitätswirtschaft im Finanzbereich, d.h. in Kernprozessen. Dies

deutet auf die Nähe der RM-Funktion zum operativen Geschäft.

UNTERSCHIEDE ZWISCHEN DEM ÖFFENTLICHEN UND PRIVATEN SEKTOR

Der Bericht hat schließlich indirekt deutlich gemacht, dass es ein paar signifikante

Unterschiede zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor gibt, die hier z.T. als

Thesen formuliert werden.

RELEVANZ DER ORGANISATORISCHEN EINBETTUNG UND POSITIONIERUNG DER RM-FUNKTION IN DER ORGANISATION:

Während im öffentlichen Sektor in der Regel ein zwingender Auftrag vom

Gesetz her besteht und daraus eine entsprechende (stufengerechte) Funktion mit

den nötigen Kompetenzen abgeleitet wird, muss sich in der Privatwirtschaft die

Funktion RM ihre Position in der Organisation meist erst erkämpfen. Wenn sie

dann mal geschaffen ist, geht es um die Einbettung in der Unternehmenshierarchie.

Hier gilt: je höher, desto besser der Stellenwert von RM und desto größer die

Budgets. Allerdings kann eine gute Positionierung den Durchsetzungserfolg eines

RM-Programms noch nicht garantieren, aber es ist eine wichtige Voraussetzung.

Während das Topmanagement in der Regel die Legitimation von RM ohne

Vorbehalte einsieht (compliance!), hapert es beim Middle-Management, da diese

Stufe primär am Erfolg ihrer Kernprozesse gemessen wird und nicht an der

Qualität des Informations- und Records-Managements.

ANFORDERUNGEN AN DIE AUFBEWAHRUNG: Während im öffentlichen Sektor die Aufbewahrungsanforderungen durch

die jeweiligen Archivgesetze und -verordnungen (Kantone und Bund) inkl.

dauernde Aufbewahrung (Auftrag zur Überlieferungsbildung) definiert sind

(z.B. mittels Registraturplänen), betrifft dies im privaten Sektor nur bestimmte

Arten von Unterlagen, die als Akten einer gesetzlichen Aufbewahrungsfrist

unterliegen (v.a. Geschäftsbücher, Steuerakten). Selbst diese Unterlagen

werden oft nicht systematisch in Aufbewahrungsplänen (retention schedules)

dokumentiert, obwohl sie mehr oder weniger sachgemäß aufbewahrt werden.

Groß wird jedoch die Unsicherheit bei Unterlagen außerhalb der gesetzlichen

Aufbewahrungsanforderungen, die jedoch für das betriebliche Know-how relevant

sind. Hier wird meist nach Gutdünken und unkoordiniert aufbewahrt. Zusätzliche

Komplexität erwächst denjenigen Unternehmen, die neben den nationalen

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Aufbewahrungsanforderungen auch noch internationalen Regeln nachkommen

müssen (z.B. Sarbanes-Oxley). Hier haben es öffentliche Einrichtungen einfacher,

sie müssen nur den nationalen Gesetzen und Verordnungen Folge leisten.

HETEROGENITÄT UND DYNAMIK DER PROZESSE: Es wäre zu untersuchen, inwiefern in der öffentlichen Verwaltung eine ebenso

heterogene und dynamische Landschaft von Geschäftprozessen innerhalb einer

Organisation zu managen ist wie in der Privatwirtschaft. In der Regel dürfte ein

von der Dynamik der Marktwirtschaft getriebenes Unternehmen einer höheren

Beschleunigung des Change Management unterworfen sein als der öffentliche

Sektor, was eine dauernde Änderung und Anpassung der Prozesse und folglich

auch der daraus hervorgehenden Unterlagen bedingt.

Mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede gibt ist in den Bereichen RM-Projektmanage-

ment sowie in der technischen Implementierung von Lösungen, wenn sie nicht

allzu (branchen-) spezifisch sind, also etwa auf der Ebene der Langzeitarchivierung

oder E-Mail-Archivierung. Auch in der Formatfrage kämpfen alle mit derselben

Problematik, unabhängig vom Sektor. Was PriceWaterhouseCoopers (PWC) vor

zwei Jahren als Empfehlung für RM-Projekte im öffentlichen Sektor abgegeben

hat, lässt sich genauso gut auf den privaten Sektor übertragen2:

– RM auf Ebene Gesamtverwaltung bzw. Gesamtunternehmen behandeln.

– Genug Zeit in konzeptionelle Vorarbeiten investieren.

– Strategische und organisatorische Grundlagen schaffen.

- Lösung auf längerfristigen Zeitraum zuschneiden.

– Es gibt keine Wunderlösung! Individuelle Zielsetzungen und Nutzenerwartungen

formulieren.

– Genaue Nutzenanalyse durchführen.

– Solide ausgereifte Technologie wählen.

– Vernünftiger Grad der Automatisierung wählen.

– Großes Augenmerk auf Kommunikation und Change Management legen.

– Etappiertes Vorgehen wählen, gegliedert nach einzelnen Realisierungs-

schritten.

– Realistisch den Aufwand abschätzen.

– Vom Erfahrungsschatz anderer profitieren.

2 Th omas Reitze, Tilman Braun, Michael Bischof: Elektronische Verwaltung von Akten

und Geschäftsprozessen. Studie zum aktuellen Stand des Records Management im

öff entlichen Sektor. Bern 2004, 21.

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Zum Schluss sei noch erwähnt, dass aus meiner Sicht das Thema ‚Records

Management‘ in der Bibliothekswelt noch nicht groß Einzug gehalten hat, obwohl

v.a. in den größeren Einrichtungen die Akten des Hauses auch professionell verwaltet

werden müssen. Als lobendes Beispiel sei hier die Bibliotheque Nationale de France

(BNF) erwähnt, die seit drei Jahren ein eigenes Records Management betreibt3, das

sogar die E-Mail-Archivierung einbezieht.

3 Vgl. URL: http://jhagmann.twoday.net/stories/2856638/ und http://www.bnf.fr/pa-

ges/collections/coll_archives.htm (8.1.2007).

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DAS eLEARNING-PROJEKT „EINFÜHRUNG IN DIE BENUTZUNG DER UNIVERSITÄTS-BIBLIOTHEK BODENKULTUR“

MARKUS HEINDL

ABSTRACT:

Im Januar 2006 ging das eLearning-Projekt „Einführung in die Benutzung der

Universitätsbibliothek Bodenkultur“ online.1

Die derzeitig vorhandenen zehn Lernmodule bieten Leitfäden zu den verschiedenen

Services der Bibliothek, es kommt aber natürlich auch der interaktive Charakter

des eLearning in Form von Selbsttests bzw. Übungsaufgaben in den Lernmodulen

zum Tragen.

Zusätzlich wurden ein Diskussionsforum und ein wöchentlich stattfindender

„Bibliotheks-Chat“ in die Lerneinheit integriert, um den Benutzern auch virtuell

die Möglichkeit des direkten Kontakts mit den Bibliothekaren zu geben.

DIE UNIVERSITÄT FÜR BODENKULTUR WIEN

Die Universität für Bodenkultur2 umfasst die Lehre und Forschung in Fächern,

deren Grundlage die für das menschliche Leben vorausgesetzten und erneuerbaren

Ressourcen sind. Schwerpunkte sind unter anderem Land- und Forstwirtschaft,

Lebensmittel- und Biotechnologie, Raumplanung und Landschaftsgestaltung,

Kulturtechnik, Wasserwirtschaft und Management von Naturgefahren.

SCHULUNGEN AN DER UB BODENKULTUR WIEN

Schon seit 1996 ist die Universitätsbibliothek Bodenkultur3 mit der Vorlesung

„Einführung in die Suche nach wissenschaftlicher Literatur“ in der Lehre vertreten. Mit

Beginn des Wintersemesters 2006 wurde eine Blended Learning Lehrveranstaltung

unter dem Titel „Einführung in die Benutzung der Universitätsbibliothek

Bodenkultur“ in den Studienplänen der Universität für Bodenkultur zugelassen.

Zusätzlich werden diverse Schulungen angeboten. Für Erstsemestrige gibt es im

1 Siehe URL: https://moodle.boku.ac.at/course/category.php?id=33.

2 Siehe URL: http://www.boku.ac.at/.

3 Siehe URL: http://www.boku.ac.at/bib.html.

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Rahmen von Tutorien allgemeine Führungen durch die Bibliothek, für Interessierte

werden weitere, intensive Führungen angeboten. Für einige Studienrichtungen

werden Seminare über spezielle Fertigkeiten wie z.B. die Suche im Online-Katalog

oder in Datenbanken abgehalten. Da der Anteil der ausländischen Studenten an

der Universität für Bodenkultur ca. 15% beträgt4, darunter viele mit nicht-deutscher

Muttersprache, werden diverse Kurse in englischer Sprache angeboten. Für das

wissenschaftliche Personal führt die UB Bodenkultur auch Vorort-Schulungen an

den jeweiligen Instituten durch.

ZEITLICHER VERLAUF DER ENTWICKLUNG DER eLEARNING-LERNEINHEITEN DER UB BODENKULTUR

Mit Beginn des Wintersemesters 2005 nahm eine neue universitätsweite eLearning–

Plattform an der BOKU ihren Betrieb auf: die Plattform „BOKUlearn“5. Die

Lernplattform basiert auf dem Open-Source Learning-Management-System (LMS)

Moodle6.

Im November 2005 wurde das eLearning-Projekt der Universitätsbibliothek durch

die Gründung einer Arbeitsgruppe ins Leben gerufen.

Im Zeitraum von November 2005 bis Jänner 2006 erfolgte die Sammlung/

Überarbeitung/Erstellung von Materialien, welche in den eLearning-Lerneinheiten

verwendet werden sollten. Parallel dazu verlief die Erstellung des Grundgerüstes des

Kurses auf der eingesetzten eLearning-Plattform.

Im Januar 2006 konnte die Freischaltung der ersten Online-Lernmodule der UB in

deutscher Sprache erfolgen.

Im Zeitraum von Januar bis März 2006 erfolgte die Erarbeitung von englischen

Materialien und parallel hierzu wiederum der Aufbau der englischen Version der

Lerneinheit, so dass dann im März 2006 auch diese unter dem Titel „Introduction to

the services and facilities of the university library“ für die Öffentlichkeit freigegeben

werden konnte.

Somit waren die Grundsteine für die Lerneinheiten in beiden Sprachen gesetzt.

Natürlich erfolgte und erfolgt weiterhin eine laufende Aktualisierung der verwendeten

Materialien.

4 Universität für Bodenkultur (Hrsg.): Wissensbilanz : Wissen schaff t Verantwortung.

Wien 2005.

5 Siehe URL: http://e-learning.boku.ac.at/.

6 Siehe URL: http://www.moodle.org.

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Seit dem Wintersemester 2006 werden die erstellten Lernmodule als Grundlage für

die Abhaltung einer Blended Learning Lehrveranstaltung7 verwendet.

DIE VERWENDETEN eLEARNING-LERNINHALTE

Hierzu ist gleich zu Beginn anzumerken, dass es sich bei eLearning natürlich nicht

einzig und allein um eine Sammlung von Dokumenten handeln kann und soll.

Natürlich führt an der Vermittlung von Informationen über die Services der Bibliothek

durch Leitfäden und Informationsblätter kein Weg vorbei. Zusätzlich hierzu wurde

aber auch weiterführendes Material zur Vermittlung von Informationskompetenz

(z.B. zum Thema Copyright) erstellt und in die Lerneinheit mit eingebunden.

Weiters erfolgt die Angabe der Lernziele zu den einzelnen Modulen bzw. auch

eine Zielgruppeneinteilung. Überdies werden weiterführende Links zum jeweiligen

Themenbereich angeboten.

Um die Interaktivität des eLearning effektiv in Verwendung zu bringen, wurden

Selbsttests erstellt, welche von den Benutzern ausgefüllt und online abgegeben werden

können. Sie erhalten sofort nach Abgabe eines Tests die individuelle Rückmeldung

zu ihrem Testergebnis.

Die verwendeten Fragetypen umfassen: Multiple-Choice-Fragen, Fragen mit

Freitextantworten, Zuordnungsaufgaben und Fragen mit Auswahlmöglichkeit der

Antworten.

Zusätzlich zum Abschluss eines Moduls wird dann noch ein Aufgabenblatt zur

Verfügung gestellt, auf welchem einige Beispiele zur Anwendung des im Modul

erworbenen Wissens angeführt sind.

Für die Kommunikation/Interaktion mit der Bibliothek wurde ein Diskussionsforum

eingerichtet, in dem die Benutzer sowohl mit den Bibliothekaren als auch natürlich

untereinander kommunizieren können, wenn sie Probleme bei bzw. Fragen zur

Benutzung der verschiedenen Services der Bibliothek haben.

Funktionalitäten, welche Schreibrechte in der eLearning-Plattform voraussetzen

(z.B. die aktive Teilnahme am Diskussionsforum), sind nur für Angehörige der

Universität für Bodenkultur nach einem Login benutzbar.

Zusätzlich zu den pro Modul zur Verfügung gestellten Materialien wurde auch ein

„Materialien-Pool“ auf der eLearning-Plattform geschaffen, über welchen direkt alle

zum Einsatz kommenden Unterlagen kumuliert heruntergeladen werden können.

Die bereits in die eLearning-Plattform „BOKUlearn“ integrierte Kalenderfunktion

erlaubt es auch, den Benutzern Ankündigungen/Termine der Bibliothek direkt zur

Verfügung zu stellen.

7 Siehe URL: https://blis.boku.ac.at/zope/tpp/lv/lva_html?num=180001&sem=2007S.

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Überdies gibt es ein Nachrichtenforum, in welchem die neuesten Nachrichten

der Universitätsbibliothek zu finden sind. Dieses Nachrichtenforum ist in Form

eines RSS-Feeds8 durch die Benutzer abonnierbar bzw. werden neu eingetragene

Informationen direkt an subskribierte Benutzer per E-Mail weitergeleitet, so dass

diese immer mit den neuesten Informationen der Bibliothek „just in time“ versorgt

sind.

SINN UND ZWECK DER LERNEINHEITEN

Die eLearning-Plattform ist erstens als Orientierungshilfe für neue Bibliotheks-

benutzer zu empfehlen. Sie werden an die verschiedenen Services der Bibliothek

und an die Grundlagen der Literaturrecherche herangeführt. Dieser Bereich wird

vorrangig durch das erste Modul „Allgemeines“ abgedeckt.

Als unumgänglich und für die wissenschaftliche Ausbildung grundlegend sehen wir

die studiumsbegleitende Vermittlung von Informationskompetenz, welche durch die

zusätzlichen Themenbereiche wie z.B. Copyright oder Literatursuche im Internet

auf der Plattform erfolgen soll.

Weiters werden die eLearning-Lerneinheiten der Bibliothek bei Führungen,

Einführungskursen und Schulungen zur Begleitung bzw.Vertiefung und Erweiterung

verwendet. Hierbei ist besonders hervorzuheben, dass ein lesender Zugriff auf die

verfügbaren Dokumente und Lerninhalte für jeden möglich ist. Die eLearning-

Lerneinheiten der Bibliothek erlauben somit auch „Gästen“ Zugang zu den

angebotenen virtuellen Kursen. Um an einer Diskussion aktiv teilnehmen bzw. den

Chat nutzen zu können, sind allerdings Schreibrechte auf der Plattform notwendig,

welche ausschließlich Universitätsangehörigen nach Login zur Verfügung stehen.

Der eingerichtete „Bibliotheks-Chat“ bzw. das Diskussionsforum erlauben eine

direkte synchrone bzw. asynchrone Möglichkeit der Kommunikation mit der

Bibliothek („Ask a librarian“).

Durch die zur Verfügung gestellten interaktiven Materialien bzw. Funktionalitäten

der Plattform (Testmodul, Übungsaufgaben) besteht natürlich die Möglichkeit

des selbstgesteuerten Lernens für die Benutzer. Das Lerntempo bzw. auch die

Lerninhalte können frei gewählt werden.

Ein weiterer großer Vorteil des Einsatzes der eLearning-Plattform ist die zeitliche

bzw. örtliche Unabhängigkeit des Lernenden. Die Plattform ist rund um die Uhr

über das Internet weltweit erreichbar.

Durch die universitätsweite Verwendung der eLearning-Plattform „BOKUlearn“

sieht sich die Universitätsbibliothek nach Implementierung ihrer Lerneinheiten in

einem äußerst wichtigen Bereich der Lehre vertreten. Die Integration der Online-

8 Siehe URL: https://moodle.boku.ac.at/rss/fi le.php/162/3/forum/593/rss.xml.

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Lerneinheiten war ein weiterer wichtiger Schritt für die Bibliothek, in einem

innovativen Setting als „Teaching Library“ tätig zu werden.

WIE WIRD DIESES NEUE SERVICE DER UB BODENKULTUR ANGENOMMEN?

Die deutsche Lerneinheit verzeichnete bisher ca. 18.000 und die englische Version

ca. 3.000 Aktionen. Vorrangig werden die zur Verfügung gestellten Dokumente und

Leitfäden geöffnet bzw. heruntergeladen. Das Nachrichtenforum der Bibliothek

erfreut sich ebenso sehr großer Beliebtheit, wie an der Zugriffsstatistik zu bemerken

ist (auch durch Zugriff über den abonnierten RSS-Feed).

Die eLearning-Lerneinheit der UB Bodenkultur wird allerdings nicht nur von

innerhalb der Universität sehr positiv aufgenommen. Es gab auch schon umfangreiches

positives Feedback von „Universitätsfremden“:

So wurden die Onlinekurse z.B. durch das Institut für Bibliotheks- und

Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin begutachtet und

äußerst positiv bewertet.

Überdies erfolgte auf Anfrage des European Observatory on Information Literacy

Policies and Research eine Aufnahme der Kurse in das EnIL (European Network

on Information Literacy)9.

Weiters wurde das Projekt bereits bei mehreren bibliothekarischen Kongressen bzw.

Veranstaltungen vorgestellt, unter anderem auch beim 3. Treffen der Österreichischen

MedizinbibliothekarInnen in Wien.

Das Ergebnis der Bewertung der im Wintersemester abgehaltenen Blended Learning

Lehrveranstaltung ist ebenfalls äußerst positiv ausgefallen und bestärkt natürlich die

Bestrebungen der Bibliothek, verstärkt als „Teaching Library“ aufzutreten.

ZUKÜNFTIGE ENTWICKLUNG

Ein ganz essenzieller und selbstverständlicher Punkt für die zukünftige Entwicklung

ist die laufende Aktualisierung der bereits vorhandenen Lerninhalte. Weiters sollen

evtl. noch fehlende Lerninhalte bzw. zusätzliche Materialien erstellt und in die

einzelnen Module miteingebunden werden. Ein extrem wichtiges Anliegen ist

natürlich die Bekanntmachung der Lerneinheiten der Bibliothek sowohl innerhalb

der Universität (im Rahmen von Benutzerschulungen, Benutzerneuaufnahmen,

Führungen durch die Bibliothek und Informationsveranstaltungen) als auch

außerhalb.

9 Siehe URL: http://www.ceris.cnr.it/Basili/EnIL/gateway/root_Austria.htm.

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Eine Bestrebung der Bibliothek, welche bereits umgesetzt werden konnte, ist die

Verwendung der erstellten Lerneinheiten im Rahmen einer im Studienplan der

BOKU verankerten Lehrveranstaltung. Diese Blended Learning Lehrveranstaltung

ist seit dem Wintersemester 2006 in den Studienplänen der Universität für

Bodenkultur als Wahlfach zugelassen.

Da die eLearning-Plattform noch viele weitere Funktionalitäten bietet, welche

zur Zeit noch nicht von der Bibliothek eingesetzt werden, ist hier noch einiges an

Potenzial zur Weiterentwicklung vorhanden. So könnten z.B. die Prüfungen der

Teilnehmer der Blended Learning Lehrveranstaltung online über Lernplattform

abgehalten werden.

Überdies ist angedacht, einen Bereich „FAQ“ (Frequently Asked Questions) mit den

von Benutzern am häufigsten gestellten Fragen in die Lerneinheit zu integrieren.

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VIRTUELLE AUSKUNFTSDIENSTE SIND IM KOMMEN!

STEFAN WINKLER, JAN STEINBERG

EINLEITUNG

Bibliothekarische Dienstleistungen werden mittlerweile wie selbstverständlich

auch außerhalb der Bibliotheken am Wissenschaftsarbeitsplatz, von zu Hause, im

Fernstudium, oder gar mobil, oft auch jenseits der Öffnungszeiten der Einrichtungen,

genutzt. Dadurch entstehen neue Informations- und Beratungsbedürfnisse, denen

mit entsprechenden Angeboten, sog. Virtual Reference Services oder Virtuellen

Auskunftsdiensten begegnet werden kann. Tausende Bibliotheken weltweit haben sich

daher in den letzten Jahren entschlossen, zusätzlich zu ihren Informationsschaltern

elektronische Auskunftsdienste über Chat, E-Mail oder das Web anzubieten.

Im deutschsprachigen Raum ist dieser Bedarf erkannt und vom Bibliotheksservice-

Zentrum Baden-Württemberg (BSZ)1 aufgegriffen worden. In enger Kooperation

mit der Arbeitsgruppe „Virtuelle Auskunft im SWB“2 wurde der maßgeschneiderte

E-Mail-Anfrage- und Weiterleitungsdienst InfoDesk entwickelt.3 Mit der

Universitätsbibliothek Konstanz, der Bibliothek der HTWG Konstanz, sowie der

1 Das BSZ ist eine Infrastruktureinrichtung für Wissenschaftliche Bibliotheken mit

einem breiten Dienstleistungsspektrum. Kernaufgabe ist der Betrieb des Online-Ka-

talogs des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes Baden-Württemberg, Saarland,

Sachsen (vgl. URL: http://www2.bsz-bw.de )

2 Teilnehmer der AG Virtuelle Auskunft waren in der Pilotphase im Jahr 2005 die

Universitätsbibliotheken Konstanz, Mannheim, Heidelberg, Stuttgart, Freiburg

und die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden.

Mittlerweile hat sich der Kreis erweitert, so dass Bayerische Universitätsbibliotheken

(Bamberg, Regensburg, Würzburg) ebenso teilnehmen, wie Vertreter der Deutschen

Internetbibliothek.

3 Im Jahr 2004 führte das BSZ für die Arbeitsgruppe „Virtuelle Auskunft im SWB“ eine

dreimonatige Vorstudie durch, die eine Bedarfsanalyse und eine Marktstudie zu bereits

bestehenden Angeboten für kommerzielle und nichtkommerzielle Auskunfts-Software

beinhaltete. Die AG empfahl aufgrund der Ergebnisse eine Eigenentwicklung auf der

Basis von Open Source Software. Im April 2005 wurde ein erster Prototyp von Info-

Desk vorgestellt, der dann schrittweise mit zahlreichen Anpassungen, Erweiterungen

und Detailverbesserungen versehen wurde. Mehr Hintergrundinformationen fi nden

sich auf der Projekt-Homepage, URL: http://www2.bsz-bw.de/cms/entwickl/virtausk/

index_html.

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Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek startete InfoDesk im März 2006

in den Regelbetrieb.

Nach einer kurzen Beschreibung der Grundfunktionen von Virtuellen Auskunfts-

diensten wird im Folgenden dargelegt, mit welcher Technologie InfoDesk arbeitet,

wie der Geschäftsgang im Alltag des Auskunftsbibliothekars aussieht und welche

besonderen Features InfoDesk auszeichnen. Im Anschluss daran wird beschrieben,

wie eine Bibliothek, die sich für InfoDesk interessiert, das System testen und auf ihre

jeweiligen Organisationserfordernisse anpassen kann. Erste Erfahrungen aus dem

Regelbetrieb werden vorgestellt. Am Ende wird ein Ausblick auf die anstehenden

Nutzungsausweitungen gegeben, sowie das partizipative Entwicklungsmodell

beschrieben, das den Bibliotheken erlaubt, die technische Weiterentwicklung

maßgeblich zu beeinflussen.

GRUNDFUNKTIONEN EINER VIRTUELLEN AUSKUNFT

Bei virtuellen Auskunftsdiensten geht es um die elektronische Vermittlung

von Informationskompetenz, Entgegennahme von Kritik und Anregungen,

Bearbeitung von Anschaffungsvorschlägen, technische Hilfestellung, Lösung von

Zugangsproblemen zu Informationssystemen und um die rasche Beantwortung von

Fragen rund um die Literaturbeschaffung.

Anders als bei der Bearbeitung mit herkömmlichen E-Mail Clients werden

bei Virtuellen Auskunftsdiensten Fragen in einem Netzwerk kooperierender

Einrichtungen bearbeitet. Über die Organisationsgrenzen der einzelnen Bibliotheken

oder Teilbibliotheken hinaus können Fragen weitergeleitet, beantwortet, archiviert,

durchsucht und statistisch ausgewertet werden.

Bei E-Mail- und Weiterleitungsdiensten werden die Fragen in der Regel über

Webformulare (vgl. Abb.1) entgegen genommen und in einer Datenbank abgelegt.

Dem Kunden wird sodann in einer automatisch erzeugten E-Mail zunächst

der Eingang der Frage bestätigt. Kurz darauf sehen Bibliotheksmitarbeiter die

neu eingegangene Frage und beantworten diese entweder direkt oder leiten sie

an zuständiges Personal weiter. Sobald die Frage abschließend bearbeitet wurde,

erhält der Kunde eine – ebenfalls automatisch generierte – zweite E-Mail mit der

Antwort.

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Abb.1: Anfrageformular von InfoDesk bei der Bibliothek der Universität Konstanz

In Ergänzung zu dieser Bearbeitungsfunktionalität stehen Virtuellen Auskunfts-

systemen diverse Auswertefunktionen zur Verfügung. Auf einen Blick ist ersichtlich,

welche Fragen noch nicht abschließend beantwortet wurden, oder welche Person

für welche Frage zuständig ist. Zusätzlich können oft Statistiken erstellt oder

häufig wiederkehrende Fragen nach redaktioneller Bearbeitung in eine Wissenbasis

überführt werden, in der sie wiederum den Kunden zur Verfügung stehen.

Nicht zuletzt wird mit Virtuellen Auskunftsdiensten – ähnlich wie bei CRM-

Systemen4 – der Aufbau von langfristigen Kundenbeziehungen angestrebt.

TECHNOLOGIE VON INFODESK

Die o.g. Grundfunktionen einer Virtuellen Auskunft werden auch durch den

E-Mail-Anfrage- und Weiterleitungsdienst InfoDesk abgedeckt. InfoDesk basiert

auf der Freien Software Scarab5, die mit einer OpenBSD/Apache-ähnlichen Lizenz

verbreitet wird.6 InfoDesk unterstützt Mehrsprachigkeit, verschiedene Datenbank-

4 CRM = Customer Relationship Management bzw. Kundenbeziehungsmanagement.

5 URL: http://scarab.tigris.org/.

6 Im Gegensatz zu einer kommerziellen Software besteht bei Freier Software die Mög-

lichkeit, das Produkt jederzeit abzuändern, sprich auf die eigenen Bedürfnisse anzupas-

sen oder um neue Features zu erweitern. Dass für Freie Software keine Lizenzkosten

pro Auskunftsarbeitsplatz anfallen, ist ein zusätzlicher, nicht unwichtiger Begleitef-

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Backends und besitzt eine XML-Schnittstelle für den Daten-Import/-Export.

Aufgrund seiner Implementierung in Java beruht InfoDesk auf einer zeitgemäßen,

objektorientierten Programmiersprache.7 All diese Aspekte gemeinsam bilden eine

solide technische Grundlage für zukünftige Erweiterungen bzw. Anpassungen an

bibliothekarische und kundenorientierte Erfordernisse.

Im Folgenden werden einige der InfoDesk-Features, wie der modulare Aufbau, das

Rollen- und Rechtemodell, die Suchfunktionalität sowie die Statistikfunktionen

ausführlicher beschrieben.

MODULARER AUFBAU

InfoDesk bildet Bibliotheken und Konsortien in Modulhierarchien ab. Ein

Konsortium besteht z.B. aus mehreren Bibliotheksmodulen, die wiederum

verschiedene Auskunftsmodule und ein Modul für eine lokale Wissenbasis

besitzen können. Module können also einem Elternmodul zugeordnet bzw. um

Kindmodule erweitert werden. Ein Modul besitzt mindestens einen Container zur

Aufbewahrung von Inhalten, verfügt über dazu passende Eingabeformulare und hat

eine eigenständige Nutzerverwaltung.

ROLLEN UND RECHTE

Jeder Benutzer erhält mit dem Einloggen in die Anwendung für seine Module (z.B.

Virtuelle Auskunft oder Wissensbasis) eine Rolle, die vorher vom Administrator

zugewiesen wurde. An diese Rollen, beispielsweise die Rolle des „Bibliothekars“

oder des „Redakteurs“, sind Rechte gebunden, mit denen u.a. erlaubt wird, Fragen

zu sehen, zu bearbeiten oder zu verschieben, Module nach Fragen zu durchsuchen,

Benutzer einzurichten, usw. Mittlerweile wurde auch die Rolle des „LocalAdmins“

eingeführt, mit der die Nutzerverwaltung für die Module einer Bibliothek durch

lokale Administratoren übernommen werden kann. Zu ihr gehören das Einrichten

neuer Nutzeraccounts, die Passwortverwaltung, die Vergabe der Rollen sowie die

Pflege der Einträge für das Bibliotheksprofil.

fekt. Mit Scarab konnte auf einem reifen Produkt aufgesetzt werden, das bereits eine

Vielzahl der benötigten Grundfunktionen bereithielt. Seine Flexibilität und der gut

strukturierte, modulare Aufbau zeichnen Scarab gegenüber anderen, vergleichbaren

Produkten aus.

7 Dies war für die AG Virtuelle Auskunft ein wichtiges Auswahlkriterium.

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Die Bildschirmoberfläche und die verfügbaren Funktionalitäten variieren je nach Rolle,

die dem Nutzer zugewiesen wurde. Für Nicht-Administratoren sind beispielsweise die

Optionen zu Benutzer- und Moduleinstellungen nicht sichtbar und das Freischalten

eines Artikels in der Wissensbasis ist nur den Redakteuren erlaubt.

Abb. 3: Bearbeiteransicht von InfoDesk: Liste der bei der SLUB Dresden eingegangen

Fragen in unterschiedlichen Bearbeitungszuständen

SUCHFUNKTIONALITÄTEN

Das Information Retrieval ist eine der besonderen Stärken von InfoDesk. Die

Recherche eines Auskunftsbibliothekars nach Fragen in den eigenen sowie ggf. in

Modulen anderer teilnehmender Bibliotheken wird durch das in InfoDesk integrierte

Such- und Indexierungstool Lucene8 stark erleichtert. So verfügt die Anwendung

neben Boole’schen Operatoren, Phrasensuche, Trunkierung und Maskierung auch

über eine Fuzzy Search9. Zum Schnelleinstieg existiert eine Suchbox mit zwei

jederzeit sichtbaren Eingabefeldern für die Volltext- und Frage-ID-Suche. Zusätzlich

wird eine „Einfache Suche“ und eine bis ins kleinste Detail reichende „Erweiterte

Suche“ angeboten. Jeder Bibliothekar hat darüber hinaus die Möglichkeit, individuell

8 URL: http://lucene.apache.org/.

9 Unscharfe Suche: Findet auch Begriff e, die dem Suchbegriff ähnlich sind. Als Grundlage

hierfür dient der „Levenshtein-Algorithmus“ (vgl. URL: http://www.levenshtein.de/).

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benötigte Suchabfragen als „Persönliche Suche“ abzuspeichern (vgl. Abb. 3).

Wie an diesem Beispiel deutlich wird, verfügt InfoDesk über ein breites Spektrum

von Interaktionsmöglichkeiten, das es auch Anwendern mit sehr unterschiedlicher

Herangehensweise erlaubt, das System effizient zu bedienen.

STATISTIKEN

Es stehen jeder Bibliothek zur Auswertung ihrer Auskunftstätigkeit individuell

konfigurierbare Statistiken zur Verfügung. Es kann nach Fächern, formalen

Kategorien, Zeit (Tage, Monate, Jahr) und nach Bearbeitern ausgewertet werden.

Gruppierungen sind auch möglich, z.B. das Zusammenfassen von Physik,

Chemie und Biologie zu einer Gruppe „Naturwissenschaften“, oder verschiedene

Bearbeiter zu einer Gruppe „Frühschicht“ usw. Statistiken können zusätzlich zu

der Bildschirmausgabe als Excel-Tabelle und auch als Tab-Delimited ausgegeben

werden. Sie können einmalig abgefragt oder zur mehrmaligen Ausführung mit

Namen und Beschreibung abgespeichert werden.

Der Geschäftsgang „Virtuelle Auskunft“ mit InfoDesk

Generell hängt der Einsatz von Informationstechnologie stets eng mit den

organisatorischen Gegebenheiten der nutzenden Einrichtung zusammen. Wie

der Geschäftsgang „Virtuelle Auskunft“ mit InfoDesk aussehen soll, stimmen die

Bibliotheken in der Einführungsphase mit dem InfoDesk-Team ab (s.u.).

Im Standard-Workflow können neu eingehende Fragen entweder an eine andere

Institution weitergeleitet werden, an Personal im eigenen Haus zugewiesen oder

gleich selbst bearbeitet werden. Wurde die Frage zugewiesen, ändert sich ihr Zustand

von „Neu“ in „Zugewiesen“ und sie erscheint bei der jeweiligen Person in der Liste

der „mir zugewiesenen Fragen“. Wird die Frage gerade beantwortet, so stellt sie der

Bibliothekar erst auf „In Bearbeitung“ und am Ende auf „Bearbeitet“ (vgl. Abb. 2).

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Abb. 2: Standard-Workflow der Anfragebearbeitung

Viele Funktionen lassen sich schon im Standard-Workflow über verschiedene Wege

erreichen. Zudem wird es auch nicht nur den einen Geschäftsgang für die Bearbeitung

von Fragen in InfoDesk geben. Der Workflow ist innerhalb von InfoDesk nicht

fest vorgeschrieben, sondern kann durchaus für jedes einzelne Modul abgewandelt

und erweitert10 werden. Er wird zusammen mit allen anderen modulspezifischen

Einstellungen über eine ausdifferenzierte Administrationsoberfläche konfiguriert.

FLEXIBLE KONFIGURATION

An InfoDesk interessierte Bibliotheken erhalten jederzeit die kostenlose

Möglichkeit, die Anwendung auf einem Demonstrationsrechner zu testen.

Basierend auf Erfahrungen aus dem Regelbetrieb wird ein Entwurf gemacht, der

den Anforderungen der testenden Einrichtung entspricht.

Typischerweise tauchen insbesondere in der Phase der Erstkonfiguration und des

Testbetriebs einer neuen Teilnehmerbibliothek einrichtungspezifische Wünsche

auf, die in aller Regel umgehend erfüllt werden können. Diese Wünsche beziehen

sich z.B. auf die für jede Einrichtung frei definierbaren Eingabefelder und deren

Beschriftungen, die Kategorien für die inhaltliche Erschließung, die Textbausteine

der E-Mails oder das Logo der Einrichtung, etc.

Eine herausragende Eigenschaft von InfoDesk ist das dynamische Verwalten

sämtlicher Feldzusammenstellungen der Module sowie die Verwendung von

Kategorieneditoren. Umkonfigurationen der Felder eines Moduls führen zu sofortigen,

automatischen Anpassungen an vielen Stellen im Programm (Such-, Eingabe-,

Statistikformulare, etc.), ohne dass weitere Eingriffe erforderlich wären. Dadurch lassen

sich viele, selbst umfangreiche Änderungswünsche der Bibliotheken schnell und ohne

Programmieraufwand oder Unterbrechung des laufenden Betriebs erfüllen.

Auf die gleiche Art und Weise werden auch die sich z.T. sehr stark unterscheidenden

Anfrageformulare der Bibliotheken ohne Aufwand über die InfoDesk-

Administrationsoberfläche zusammengestellt und über das Einfügen von einer

Zeile HTML-Code auf der betreffenden Homepage der Bibliothek eingeblendet

– diese Art der Anbindung erleichtert auch spätere dynamische Anpassungen bei

10 Eine aktuelle Erweiterung besteht in der Implementierung einer Rückantwortfunktion:

Die in Form von E-Mails eintreff enden Rückfragen zu gegebenen Antworten werden

wieder in das System importiert und mit einer Referenz auf die ursprüngliche Frage

versehen. Dieses Feature wird sich nahtlos in den jeweiligen Workfl ow einfügen.

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den Formularfeldern und hat sich bewährt.

Wenn dann nach der Testphase von der Bibliothek ein Übergang in den Regelbetrieb

gewünscht wird, braucht das Eingabeformular nur noch für die Bibliothekskunden

frei geschaltet zu werden.

ERFAHRUNGEN AUS DEM REGELBETRIEB

Aus der einjährigen Regelbetriebserfahrung von InfoDesk kann ein sehr positives

Fazit gezogen werden: Ungeachtet der laufend stattfindenden Anpassungen und

Erweiterungen der Software wurde ein beinahe unterbrechungsfreier Betrieb

gewährleistet.11 Die Antworten kommen in aller Regel schnell – oft innerhalb

weniger Stunden – und sind ebenso wie die Anfragen von einer erfreulich hohen

Qualität. Bislang hatte der InfoDesk-Dienst auch unter keinerlei Spam zu leiden.

Die Anfragen beziehen sich nicht selten auf Spezialfälle, die nicht mit den üblichen

FAQs der Bibliotheken abgedeckt werden können, was eine schöne Bestätigung für

den Bedarf nach einem solchen Dienstleistungsangebot ist.

Die Zahl der eingehenden Fragen variiert stark in Abhängigkeit von der Größe der

betreffenden Bibliothek und der Art der Präsentation des Dienstes auf der jeweiligen

Homepage. Wird ein prominent platzierter Button „Fragen Sie uns“ auf zahlreichen

Seiten des Webauftritts eingeblendet, ist mit sehr viel mehr Anfragen zu rechnen,

als wenn der Zugang zum Frageformular nur einmal in einer untergeordneten Seite

auftaucht. Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek

Dresden verzeichnete von Beginn an über 40 Fragen pro Woche, mit leicht

zunehmender Tendenz. Der Schwerpunkt der eingehenden Fragen lag hier, wie bei

anderen Bibliotheken auch, eindeutig bei formalen Fragen (z.B. zu den Themen

Bibliotheksbenutzung und Literaturbeschaffung).

Nutzungsausweitung und Deutsche Internetbibliothek

Der kontinuierliche Ausbau der Anzahl der nutzenden Einrichtungen ist ein

wichtiges Projektziel. Zwölf wissenschaftliche Bibliotheken setzen InfoDesk derzeit

im Regelbetrieb ein. Bundesweit haben sich zahlreiche weitere Bibliotheken für

InfoDesk interessiert und evaluieren den Dienst mit Testaccounts.

Mitte 2007 ist u.a. auch die Migration der Deutschen Internetbibliothek12 auf

die InfoDesk-Plattform geplant. Die Deutsche Internetbibliothek betreibt einen

E-Mail-Auskunftsdienst für inhaltliche Fragen sowie eine kooperativ gepflegte

11 Einzige Ausnahme: Nach dem europaweiten Stromausfall Anfang November 2006 war

auch InfoDesk für mehrere Stunden nicht zu erreichen.

12 URL: http://deutscheinternetbibliothek.de.

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Linkdatenbank in einem Netzwerk von z.Zt. 94 öffentlichen und wissenschaftlichen

Bibliotheken. Die Integration öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken, mit

zum Teil sehr unterschiedlichen Geschäftsgängen, ist, wie oben gezeigt wurde, in

InfoDesk einfach zu realisieren.

Partizipatives Entwicklungsmodell

Die Entwicklermannschaft wurde mittlerweile vergrößert, wodurch in Zukunft die

von den Bibliotheken geäußerten Featurewünsche schneller erfüllt werden können.

Die geplante Schnittstelle zur verteilten Authentifizierung per Shibboleth13 soll noch

innerhalb des laufenden Jahres implementiert werden.

Das Team des BSZ stützt sich bei Weiterentwicklungen besonders auf die Erfahrungen

und Vorschläge der Pilotbibliotheken, die seit Projektbeginn am Konzept des Dienstes

und an der Optimierung von Funktionalität und Usability der Anwendung mitgearbeitet

haben. Auf den zweimal jährlich stattfindenden Treffen der AG Virtuelle Auskunft

findet ein Erfahrungsaustausch statt, werden Verbesserungsvorschläge gesammelt und

gemeinsam priorisiert. Dieses Feedback der Anwender wird im Projekt als integraler

Bestandteil einer partizipativen Softwareentwicklung gesehen.

FAZIT

Schon jetzt stellt sich InfoDesk jedoch als praktisches, stabiles und flexibles Tool

heraus. Aufgrund der in enger Absprache mit den Bibliotheken durchgeführten

permanenten Verbesserung der Anwendung ist abzusehen, dass der Anwenderkreis

weiter wachsen und die Kommunikation mit den Kunden der teilnehmenden

Bibliotheken durch einen anwenderfreundlichen Dienst erweitert wird.

Ein Projekt auf der Erfolgsspur!

13 URL: http://aar.vascoda.de/.

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WIRTSCHAFT

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DER WERTSCHÖPFUNGSANTEIL VON VERLAGEN AM WISSENSCHAFTLICHEN PUBLIKATIONSPROZESS

MANFRED ANTONI

Im Zuge der Diskussionen zur Urheberrechtsnovelle und den gesetzgeberischen

Schritten gegen Verlage drängt sich die Frage auf, welche Funktion und Aufgabe Verlage

heutzutage in dem Prozess der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse einnehmen.

Am Beispiel des Wiley-VCH Verlags wird aufgezeigt, welchen Wertschöpfungsanteil

ein wissenschaftlicher Verlag im digitalen Zeitalter zur Sicherung qualitätsvoller

Veröffentlichungen sowie zur Sicherstellung einer weltweiten Verbreitung, einer

dauerhaften Sichtbarkeit und der Auffindbarkeit von Publikationen besitzt.

1. DAS UNTERNEHMEN WILEY-VCH

Von 1921 bis 1996 war der Verlag im Wesentlichen in den Händen der chemischen

und pharmazeutischen wissenschaftlichen Gesellschaften in Deutschland. Seit

1996 ist der Verlag Teil der weltweit agierenden Verlagsgruppe John Wiley &

Sons, Inc., die 2007 ihr 200-jähriges Verlagsjubiläum feiert. Der Wiley-VCH

Verlag unterhält Standorte in Weinheim, Berlin, Darmstadt und Zürich. Im

Geschäftsjahr 2006 publizierte der Verlag insgesamt 131 Zeitschriften in 1.208

Heften mit nahezu 158.000 Seiten. Es sind im gleichen Zeitraum 334 neue Bücher

erschienen und 1.588 Bücher lieferbar. Der Umsatz des Verlages setzt sich zu 56%

aus Zeitschriftensubskriptionen und Lizenzen, zu 25% aus Buchverkäufen und zu

19% aus Anzeigeneinkünften zusammen.

Der Verlag beschäftigt rund 410 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind etwa

85% in den Redaktionen und Lektoraten sowie im Marketing und Verkauf tätig.

Lediglich 15% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit administrativen oder

ausschließlich leitenden Tätigkeiten betraut. Dies vermittelt einen ersten Eindruck

über die Schwerpunkte der Arbeit von wissenschaftlichen Verlagen.

2. DIE AUFGABEN DER VERLAGE IM DIGITALEN ZEITALTER

Seit 1997 bietet Wiley-VCH Inhalte auch auf digitalem Wege an. Seither hat sich

die Verbreitungsgeschwindigkeit ebenso erhöht wie die Verbreitung selbst. Niemals

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zuvor konnten mehr Menschen auf unsere Inhalte zugreifen – und dies gilt weltweit.

Grundsätzlich hat sich an den Aufgabenstellungen von Verlagen nichts geändert,

im Gegenteil: Es sind neue Aufgaben dazu gekommen. Neben kontinuierlichen

Aktualisierungen unserer Internet-Plattform Wiley InterScience muss insbesondere

die Authentizität der Beiträge gewährleistet werden. Nur die Inhalte, die unter Wiley

InterScience veröffentlicht werden, sind die Inhalte, die der Rechteinhaber – der

Autor – uns als Verlag zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat.

Autoren geben uns die Verwertungsrechte ihrer Inhalte mit dem Wissen, dass

diese Inhalte durch Begutachtungsprozesse und wissenschaftliches Redigieren der

Manuskripte (Vollständigkeit, Logik, Stimmigkeit, Klarheit, Sprache, Struktur,

Indexierung usw.) sowie durch die digitale Aufbereitung einen deutlichen

Wertzuwachs erfahren, und folglich für den Autor und Nutzer Mehrwert stiften.

Mittels der Selektion von Inhalten sichern wir Qualität und schützen das geistige

Eigentum unserer Autoren. Darüber hinaus sorgen wir mit der weltweiten Verbreitung

unserer Publikationen für die Sichtbarkeit sowohl der Inhalte als auch der Autoren

selbst. Die Retrodigitalisierung unserer Inhalte umfasst in der Zwischenzeit u.a.

die Physik- und Astronomie-Backfiles von 1799 bis 1999 sowie die Chemistry

Backfile Collection von 1831 bis 1999. Vergangene Inhalte werden von uns verfügbar

gemacht und tragen zur Bewahrung des kulturellen Erbes bei.

Aber auch neue Inhalte entstehen durch die Gründung von Zeitschriften – in den

letzten fünf Jahren haben wir mehr als 20 neue Zeitschriften gegründet, zum Teil

durch Zusammenführung existierender Zeitschriften. Dabei wurden 16 existierende

Zeitschriften eingestellt. Alle diese neuen Zeitschriften haben ihren Platz im

Wissenschaftsmarkt gefunden. Wie alle unsere Zeitschriften erleben auch diese

neuen Zeitschriften eine kontinuierlich wachsende Zahl an Manuskripteingängen.

3. DER PROZESS DES ELEKTRONISCHEN PUBLIZIERENS

Wie vergleichsweise einfach sich die Welt des Publizierens im Print-Zeitalter doch

gestaltete: Ein Autor schickt einen wissenschaftlichen Beitrag, unser Redakteur

überprüft ihn auf Vollständigkeit und Sinnhaftigkeit, schickt zwei ausgesuchten

Gutachtern das Manuskript zu, bekommt dieses mit einem Kommentar zurück,

bearbeitet gemeinsam mit dem Autor die Anmerkungen der Gutachter im Falle der

Annahme des Manuskripts für die Zeitschrift, gibt das Manuskript in die Herstellung,

die Herstellung sorgt dafür, dass der Beitrag in der korrekten Form ins richtige Heft

der Zeitschrift kommt. Dieser hier verkürzt dargestellte Prozess ist im digitalen

Zeitalter im Wesentlichen der gleiche. Hinzu kommen aber Funktionalitäten, die

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heute im elektronischen Publikationsprozess zum Standard gehören (auch hier kann

nur eine Auswahl aufgezeigt werden). Die Autoren erwarten ein nutzerfreundliches

Übermittlungstool für die Manuskripte (bei uns manuscriptXpress und MsCentral).

Die Reviewer erwarten ebenfalls leicht zu bedienende und leicht zu erlernende

Bearbeitungsinstrumente. Um dem suchenden Wissenschaftler den höchstmöglichen

Komfort zu bieten, werden im Bearbeitungs- und Produktionsprozess die Inhalte im

Sinne einer DTD (document type definition) strukturiert; es werden DOIs (digital

object identifier) angebracht, die CrossRef und EarlyView ermöglichen. Zudem

werden die Möglichkeiten des sog. forward linking oder citation tracking geschaffen;

mit Alerts erhalten registrierte Wissenschaftler elektronische Mitteilungen über

Inhalte, die in ihrem angegebenen Gebiet aktuell erschienen sind. Schließlich sorgen

E-Newsletter dafür, dass unsere Nutzer über Such- und Nutzungsfunktionalitäten

aktuell informiert werden.

Dies alles ist nur möglich, da Verlage in die software-technische Entwicklung

Millionenbeträge investiert haben. Naturwissenschaftliche Verlage führen

diese Entwicklungen seit Jahren vor allen anderen Verlagen an. Mit all diesen

Nutzungsmöglichkeiten sorgen Verlage dafür, dass immer mehr Menschen zu

immer geringeren Preisen die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nutzen

können. Verlage sind Transaktionskostenreduzierer für den wissenschaftlichen

Erkenntnisgewinnungs- und Verbreitungsprozess. Diese Funktion haben Verlage

bereits in der Vergangenheit wahrgenommen; heute übernehmen sie die Funktion

im Zuge der Bereitstellung digitaler Inhalte im Internet – zumeist parallel mit

dem immer noch geforderten gedruckten Exemplar für Archivierungszwecke.

Das bedeutet, dass Verlage zweispurig arbeiten und damit auch die Kosten der

Zweispurigkeit tragen. Wer heute noch glaubt, dass das digitale Verbreiten von

wissenschaftlichen Inhalten nur wenig kostet, der irrt völlig. Verlage tragen das

Kostenrisiko für zwei unterschiedliche Distributionswege, beim Print-Produkt

sind es neben den Personalkosten die Handlings- und Versandkosten, bei der

digitalen Distribution sind es zusätzlich die Software-Kosten für eine sichere und

schnelle Übermittlung der Artikel sowie deren Zustellung und Übermittlung an

den Nutzer und dessen Dokumentenschutz. In jedem Falle sind diese Kosten

nicht zu vernachlässigen, auch wenn dies gelegentlich proklamiert wird. Selbst

Protagonisten des Open Access (OA) haben inzwischen eingesehen, dass durch

OA der Publikationsprozess nicht kostengünstiger zu bewerkstelligen ist. Immerhin

eine Erkenntnis, die für die verschiedenen Versuchen zum OA angesichts der in der

Zwischenzeit angefallenen Millionenverluste zu spät kommt.

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4. ANMERKUNGEN ZUR PREISGESTALTUNG VON ZEITSCHRIFTEN

Der entscheidende Punkt der Auseinandersetzung zwischen Bibliothekaren und

Verlagen (Wissenschaftler halten sich in dieser Diskussion vornehm zurück und

weichen auf OA aus, schon, um sich nicht in Diskussionen zu begeben, die von

ihnen massive Einschränkungen verlangen könnten) sind die Preise. Hier treffen

naturgemäß antagonistische Interessen aufeinander.

Schaut man sich die im Zuge der OA-Bewegung durchgeführten Kalkulationen

an, kann man feststellen, dass sich die Preise für die Publikation eines Artikels in

einer internationalen Spitzenzeitschrift durchaus im Bereich von € 2.500 bis zu €

9.000 bewegen. Dies sind zunächst reine Kostenkalkulationen. Rechnet man den

Ressourcenverbrauch von Zeitschriften auf einen Artikel zurück, kommt man zu

Kosten in vergleichbaren Größenordnungen.

Grundsätzlich kann man sagen, dass in die Forschung in den letzten Jahrzehnten

immer mehr Ressourcen gesteckt wurden. Sich zu wundern, dass aus dieser Situation

immer mehr Forschungsergebnisse generiert werden, zeugt von einer gewissen

Weltfremdheit. Die entsprechende Anpassung der Etats der Bibliotheken hat man in

diesem Zuge schlicht vergessen. Schaut man sich die Referenzzahlen für 13 unserer

Zeitschriften im Chemiebereich an, in denen hausinterne Redaktionen tätig sind,

dann ergeben sich hieraus einige Konsequenzen:

2001 2006

Eingereichte Manuskripte 5.500 16.000

Veröffentlichte Seiten 35.000 65.000

Veröffentlichte Artikel 3.000 6.000

Hefte 280 420

Downloads 3,5m 6,1m

Auf die Verdreifachung der eingereichten Manuskripte folgte eine massive Erhöhung

der Ablehnungsquote von 55% auf 62,5%. 2001 mussten 5.500 Artikel begutachtet

und bearbeitet werden, 2006 waren es hingegen 16.000 Artikel. Dieser Entwicklung

konnte insbesondere nur dadurch Schritt gehalten werden, weil wir massiv in

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Funktionalitäten investierten, die den Workflow der Manuskripteingänge und des

Bearbeitens von Artikeln erheblich beschleunigten.

Schaut man sich die letzten Jahre an und bildet Wachstumsraten, dann stellt man

fest, dass die durchschnittliche Erhöhung der Anzahl

– der Ausgaben p.a. rund 4%

– der Artikel p.a. rund 8%

– der Seiten p.a. rund 10%

betrug (wiederum für das Beispiel der 13 Zeitschriften aus dem Bereich Chemie). In

den letzten Jahren haben wir uns, wie alle anderen STM-Verlage auch, bemüht, die

Erhöhung der Preise auf das niedrigste mögliche Maß zu begrenzen. So haben wir

für das Kalenderjahr 2006 in unserem Katalog durchschnittliche Preiserhöhungen

von nicht mehr als 9,9% angezeigt. Davon kommen aber deutlich weniger als 6%

tatsächlich bei uns an.

Woran liegt dies? Nicht in jedem Land dieser Erde können wir unsere Preise überhaupt

realisieren. In Ländern der Dritten Welt erzielen wir nur einen Bruchteil davon,

was die wohlhabenden Länder bezahlen können. Unser Modell der mehrjährigen

Verträge enthält Preisbegrenzungen, die das Preiswachstum bremsen. Abbestellungen

aufgrund mangelnder Mittel tun ein Übriges. Gleichzeitig investieren wir immer

mehr in neue Zeitschriften, erhalten immer mehr Zuschriften, bieten immer mehr

Funktionalitäten online an, erhöhen den Servicegrad für unsere Nutzer, müssen

unsere Angebote an das Web 2.0 anpassen, fahren immer noch zweigleisig, müssen

gegen die Enteignung im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren (s. UrhG-E 1. und

2. Korb) sowie im Rahmen der Dokumentenlieferungen (s. subito) kämpfen, und

sehen uns darüber hinaus mit einer immer schlechteren Zahlungsmoral konfrontiert.

Die Aushöhlung der wirtschaftlichen Basis insbesondere der STM-Verlage schreitet

voran. Jeder einzelne Artikel kann heute von mehr Menschen als jemals zuvor genutzt

werden, jeder einzelne Artikel ist heute bei weitaus geringeren Preisen zu nutzen

als jemals zuvor. Die Verlage organisieren die massenhafte Verbreitung des Wissens

unter den Generationen. Dafür sollte (fast) kein Preis zu hoch sein!

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5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Im gegrenzten Rahmen dieses Beitrages können naturgemäß nur wenige Aspekte

des Anteils der Verlage am wissenschaftlichen Wertschöpfungsprozess diskutiert

werden. In der Diskussion mit Wissenschaftlern, Wissenschaftsmanagern und

Bibliothekaren stößt man häufig auf völlig falsche Vorstellungen von der Arbeit in

den Verlagen. Die Hoffnung, ein wenig Einblick über Zahlen und Fakten vermittelt

zu haben und die Diskussion damit konstruktiv voranzubringen, bleibt immer!

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LIZENZEN.PARASITEN DES BIBLIOTHEKSETATS

ADALBERT KIRCHGÄSSNER

Es gibt kein Leben ohne Parasiten. Waschen Sie sich

nicht zu oft die Hände, sonst werden Sie krank.

Michel Serres

Wissenschaftliche Verlage und Bibliotheken sind Symbionten: „Symbiose (griechisch

symbioun [Verb] = zusammenleben, Symbiosis = das Zusammenleben) bezeichnet

das Zusammenleben von Organismen verschiedener Arten. Das Zusammenleben

kann für einen oder mehrere Partner nützlich sein.“1 Verlage produzieren

wissenschaftliche Literatur, die die wissenschaftlichen Bibliotheken beschaffen und

zur Nutzung bereitstellen. Bei der Symbiose ist der „Mutualismus (Zusammenleben

mit wechselseitigem Nutzen) nur eine spezifische Form der Symbiose, welche von

Mutualismus über Neutralismus bis hin zu Parasitismus reichen kann. Die Vorstellung

von Symbiosen als ein Leben in Harmonie zum wechselseitigen Nutzen ist völlig

überholt. Unbestritten ist, dass Symbiosen Vorteile für beide Partner beinhalten

können. Tatsächlich erfordert jede Symbiose aber auch strikte Kontrolle und

Überwachung des Partners, denn das Ausnutzen einer Leistung ohne Gegenleistung

durch Täuschen ist evolutionär profitabler und weit verbreitet.“2 Die Symbiose von

Bibliotheken und Verlagen hat weitreichende finanzielle Konsequenzen für beide

Seiten. Und die finanziellen Folgen dieser Symbiose für die Bibliotheken werden in

diesem Beitrag analysiert.

FORMEN DER LITERATURBESCHAFFUNG

Bibliotheken beschaffen Literatur und Information in unterschiedlichen Formen.

Diese sind durch die Dauer des Bezugsvorganges sowie die juristische und technische

Form der Beschaffung bestimmt. Bibliotheken kaufen Bücher, die einzeln bestellt

und geliefert werden. Oder sie bestellen zur Fortsetzung; dann werden regelmäßig

oder unregelmäßig Bände oder Hefte solange geliefert, bis die Lieferung vollständig

erfolgte, weil das bestellte Werk abgeschlossen ist, oder bis die Bibliothek abbestellt,

weil sie den Bezug einer Zeitschrift oder Serie nicht fortsetzen will.

1 Vgl. Eintrag „Symbiose“. In: Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Symbiose

(12.1.2007).

2 Ebd.

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Bei den Einzelbestellungen kann die Bibliothek durch Nichtbestellen weiterer

Einzeltitel steuern, während sie bei Fortsetzungen und Zeitschriften durch

Abbestellen steuern muss. Da Bibliotheken Werke und Zeitschriften möglichst

vollständig besitzen und den Benutzern anbieten wollen, wird bei knappen Mitteln

eher bei der Einzeltitelbeschaffung gespart als dass mehrbändige Werke oder

laufende Fortsetzungen abgebrochen oder Zeitschriften abbestellt werden.

Früher haben die Bibliotheken die Materialien gekauft. Die gekaufte Literatur

ging in das Eigentum der Bibliothek über, war Bestand und stand langfristig der

Nutzung zur Verfügung. Seit Literatur online angeboten wird, wird diese Literatur

häufiger als Lizenz angeboten. Hier bezahlt die Bibliothek für die Möglichkeit,

online zugängliche Literatur befristet ihren Benutzern zur Nutzung zur Verfügung

stellen zu können. Es wird Information zur Nutzung bereitgestellt, die Nutzer

werden mit Information versorgt, und die Bibliothek muss die Bereitstellung für

jede Nutzungsperiode aufs Neue bezahlen. Die Bibliothek erwirbt keinen Bestand,

der auf Dauer zur Verfügung steht.

PREISSTEIGERUNGEN UND ETATSTEIGERUNGEN

Im langjährigen Mittel sind die Preise für wissenschaftliche Literatur stärker

angestiegen als die Erwerbungsetats der Bibliotheken. Dies reduziert die

Kaufmöglichkeiten der Bibliotheken von Jahr zu Jahr, wenn die steigenden Preise

nicht durch zusätzliche Mittel aufgefangen werden können. Wenn die Kosten für

Zeitschriften und Fortsetzungen stärker ansteigen als die Erwerbungsmittel, wächst

deren Anteil an den Ausgaben und es können (relativ dazu) weniger Monographien

gekauft werden. Will die Bibliothek längerfristig die Anteile von Monographien und

Zeitschriften am Gesamtzugang stabil halten, muss sie – wenn die Preise schneller

ansteigen als der Etat – regelmäßig Zeitschriften und Fortsetzungen abbestellen.

Diese Wirkung wurde in den neunziger Jahren massiv verstärkt. Die Zeitschriften haben

Monopolcharakter, da die Lektüre einer Fachzeitschrift nur in engen Grenzen durch

die Lektüre einer anderen Fachzeitschrift ersetzt werden kann. Und die Zeitschriften

werden im Gegensatz zu Monographien, die einzeln bestellt werden, vorausbezahlt.

In den neunziger Jahren nutzten die großen wissenschaftlichen Verlage besonders

im Bereich Naturwissenschaften, Technik und Medizin diesen Monopolcharakter

der Zeitschriften, indem sie die Preise Jahr um Jahr sehr viel stärker anhoben als die

Kostensteigerung dies erforderte. Dies ist auch daran abzulesen, dass in diesen Jahren

die Gewinne dieser Verlage stark angestiegen sind und bis zu fünfunddreißig Prozent

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Umsatzrendite erwirtschaftet werden konnte.3 Für die Bibliotheken ergab sich vor

allem bei den Zeitschriften dadurch folgende Situation:

– Die Preissteigerung war deutlich höher als die Kostensteigerung.

– Die Kostensteigerung war deutlich höher als der allgemeine Preisindex.

– Der Preisindex war deutlich höher als die jährliche Etatsteigerung.

In dieser Zeit kamen zusätzlich zu den gedruckten Medien die elektronischen

Medien auf den Markt. Diese ersetzten die gedruckten Medien nur zum Teil, und

wenn sie sie ersetzten waren sie meist teurer als die Papierausgaben. Oft mussten

dann beide Ausgaben gekauft werden. Und die elektronischen Medien konnten oft

nicht gekauft werden, sondern wurden nur als Lizenz angeboten. Dies bedeutet, die

Bibliothek muss für diese Inhalte, will sie diese ihren Benutzern auf Dauer anbieten,

Jahr für Jahr aufs Neue bezahlen. Diese Zahlungen steigen jährlich (schneller als

der Etat) und wenn die Bibliothek die Lizenz nicht weiterbezieht, kann oftmals der

bisher bereitgestellte Bestand nicht mehr genutzt werden.

DAS MODELL

Um diesen Zusammenhang darzustellen wird hier ein vereinfachtes Modell vorgestellt.

Die Werte sind so gewählt, dass der Effekt innerhalb von zehn Perioden dargestellt

werden kann. Wenn die Preissteigerung geringer oder höher ist, dauert es nur länger oder

kürzer, bis das abgeleitete Ergebnis eintritt – aber das Ergebnis ist immer dasselbe.

Betrag in € Anzahl Bände Durchschnitts- Preis-

bzw. Titel preis in € steigerung

Monographien 300.000 6.000 50 2%

Fortsetzungen 100.000 1.000 100 3%

Zeitschriften 600.000 3.000 200 6%

Gesamt 1.000.000 10.000 100 4,5%

Tabelle : Modell Ausgangsdaten

3 Vgl. Reed Elsevier Geschäftsbericht für das Jahr 2003, hier: Operation and Financial

Review, Sience and Medical: URL: http://www.reedelsevier.com/staging/ReviewRe-

port/e3.html. Hier wird berichtet, dass die Umsatzrendite in diesem Bereich sich auf

33,81% beläuft. Im Geschäftsbericht 2004 wird dieser Bereich nicht mehr separat

ausgewiesen. – In der Klageerwiderung zur Subitoklage auf Seite 44 wird ausgeführt,

dass der Gewinn von Wiley seit 1994 jährlich um 12 Prozent, der Gewinn je Aktie in

dieser Zeit um ca. 22 Prozent stieg. Dies lässt darauf schließen, dass die Umsatzrendite

sich in ähnlicher Größenordnung wie bei Elsevier bewegt.

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285

Für die weiteren Berechnungen wird angenommen, dass die Preissteigerung gleich

der Differenz zwischen der Marktpreissteigerung und der Etatsteigerung ist. (Wenn

die Preise um fünf Prozent steigen und der Etat um drei Prozent, hat das die gleiche

Wirkung, wie wenn die Preise um zwei Prozent steigen und der Etat gleichbleibt.)

Und es wird ein Zeitraum von zehn Perioden (= Jahren) betrachtet. Ausgehend von

diesen Daten werden drei Entwicklungen untersucht:

– Die Anteile von Monographien, Fortsetzungen und Zeitschriften am

Bestandszugang sollen gleich bleiben.

– Die Zeitschriften (und die Fortsetzungen) sollen gehalten, also möglichst nicht

abbestellt werden.

– Ein Teil der Zeitschriften wird in ein Konsortium eingebracht und kann nicht

abbestellt werden.

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286

DAS AUSGANGSMODELL

Werden die laufenden Verpflichtungen

für Zeitschriften und Fortsetzungen

regelmäßig in dem Umfang gekürzt,

wie die Kaufkraft des Erwerbungsetats

sinkt, sinkt der Gesamtzugang,

die Anteile des Bandzugangs von

Monographien, Fortsetzungen und

Zeitschriften bleiben gleich, aber

die Ausgaben für Zeitschriften

wachsen auf Kosten der Ausgaben für

Monographien und Fortsetzungen.

DAS ZEITSCHRIFTENMODELL

Ausgehend von den gleichen An-

fangswerten wird errechnet, wie sich

Zugang und Ausgaben verändern,

wenn die Bibliothek mit erster

Priorität die Zeitschriften halten,

mit zweiter Priorität die laufenden

Fortsetzungen weiterführen will

und dafür die Monographien ent-

sprechend reduziert.

Bis zur siebten Periode können Zeit-

schriften und Fortsetzungen gehalten

werden, während die Monographien-

käufe kontinuierlich reduziert werden,

bis sie im Lauf der siebten Periode

ganz eingestellt werden müssen. Um

die Zeitschriften zu halten, müssen

ab diesem Zeitpunkt die Käufe der

Fortsetzungen reduziert werden, bis

in der zehnten Periode nur noch

Zeitschriften gekauft werden können.

(Ab der elften Periode müssten dann

die Zeitschriften reduziert werden.)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

0

50

100

150

200

250

300

350

400

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

Abbil dung 1 : D urchschnittspreise im G rundmodell

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

0

200

400

600

800

1.000

1.200

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

Abbil dung 2 : Ausgabenentwic klung im G rundmodell

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

0

2.000

4.000

6.000

8.000

10.000

12.000

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

Abbil dung 3 : Zugangsentwicklung i m Gr undmodell

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287

Die Durchschnittspreise für Mono-

graphien, Fortsetzungen und Zeit-

schriften entwickeln sich in diesem

Modell genauso wie im Grundmodell,

aber der Durchschnittspreis für

alle Käufe steigt stärker an, da der

Anteil der Zeitschriften an der

gesamten Beschaffung ansteigt, bis

der Durchschnittspreis der gesamten

Beschaffung dem Durchschnittspreis

der Zeitschriften gleich ist.

Die Universität Konstanz hat aus

dieser Überlegung heraus schon

Mitte der achtziger Jahre entschieden,

dass in keinem Fach die laufenden

Kosten für Fortsetzungen und

Zeitschriften über siebzig Prozent

der Literaturkosten in den Geistes-

und Sozialwissenschaften und über

fünfundachtzig Prozent in den

Naturwissenschaften steigen dürfen.

Deshalb muss seitdem in allen

Fächern in regelmäßigen Abständen

abbestellt werden, um diese

Grenzen einzuhalten. Damit konnte

sichergestellt werden, dass auch bei

schrumpfenden Kaufmöglichkeiten

in allen Fächern weiterhin auch

Monographien beschafft werden

konnten.

KONSORTIALMODELL

Ausgehend vom Grundmodell wird

angenommen, dass die Bibliothek

entscheidet, an einem Konsortium

teilzunehmen. Es wird angenommen,

dass

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

(200)

0

200

400

600

800

1.000

1.200

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

Abbil dung 4 : Ausgabenentwic klung im Zeitschri ftenmodell

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

(2.000)

0

2.000

4.000

6.000

8.000

10.000

12.000

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

Abbil dung 5 : Zugangsentwicklung i m Zeitschr iftenmodell

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

0

50

100

150

200

250

300

350

400

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

Abbil dung 6 : D urchschnittspreisentwicklung im Zeitschr iftenmodell

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288

– ein Drittel der Zeitschriften durch

den Konsortialvertrag gebunden

wird,

– für das Konsortium ein Aufschlag

von zehn Prozent auf die Abon-

nementspreise zu bezahlen ist,

– für die vom Konsortium

betroffenen Zeitschriften ein

Abbestellverbot gilt und

– die Preise im Konsortium

abweichend von der bisherigen

Preissteigerungsannahme um

zehn statt sechs Prozent steigen.

Der Cross-Access wird nicht berück-

sichtigt, da die zusätzlichen Titel zwar

ein zusätzlicher Bestand sind, aber die

Ursächlichkeit und Wirkungsweise

durch die zusätzlichen Titel nicht

verändert wird. Zudem sind die

zusätzlichen Titel vielfach nicht

die für die Nutzer der Bibliothek

interessantesten, da diese im Gegen-

satz zu den noch bezogenen bereits

abbestellt oder nie bestellt waren.

Um das Konsortium zu finanzieren,

müssen in den folgenden Perioden

Zeitschriften abbestellt werden.

Dabei werden auch Zeitschriften

abbestellt, die wichtiger als einzelne

zum Konsortium gehörende oder

durch das Konsortium als Cross-

Access-Titel zugängliche Titel sind,

da die konsortialen Zeitschriften

nicht abbestellt werden können. Da

weniger wichtige Zeitschriften im

Konsortium und die Cross-Access-

Zeitschriften nicht abbestellt werden

können aber wichtigere Titel, die

nicht zum Konsortium gehören

abbestellt werden, entsteht ein

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

0

200

400

600

800

1.000

1.200

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

E-Zeit-schriften

Abbil dung 7 : Ausgabenentwic klung im K onsorti almodel l

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Jahr

0

5.000

10.000

15.000

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

E-Zeit-schriften

Abbil dung 8: Zugangsentwic klung im K onsortial model l

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Jahr

0

500

1.000

1.500

Gesamt

Mono-graphien

Fort-setzungen

Zeit-schriften

E-Zeit-schriften

Abbil dung 9 : D urchschnittspreisentwicklung im K onsor tialmodell

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289

Nutzenverlust für die Benutzer der Bibliothek, der größer ist, als die Reduzierung

der Titelanzahl anzeigt. Der Gesamtnutzen wäre höher, wenn die Bibliothek über

Abbestellungen nach der Wichtigkeit der Titel für die Nutzer entscheiden könnte.

Im Modell geschieht nun folgendes:

– Bereits in der fünften Periode können keine Monographien mehr gekauft

werden.

– Ab der sechsten Periode können keine Fortsetzungen mehr gekauft werden.

– Ab der siebten Periode müssen die Zeitschriften, die nicht im Konsortium

gebunden sind, reduziert werden.

– In der neunten Periode werden die gesamten Mittel benötigt, um das Konsortium

zu finanzieren, und

– in der zehnten Periode ist die Teilnahme am Konsortium nicht mehr finanzierbar,

auch wenn sonst nichts anderes mehr eingekauft wird. Und die in den neun

vorhergehenden Perioden genutzten elektronische Zeitschriftenbestände sind

nicht mehr nutzbar, wenn nicht ein Archivrecht vereinbart war.

Die Durchschnittspreise für Monographien, Fortsetzungen und die nicht-konsortialen

Zeitschriften entwickeln sich in der gleichen Weise wie in den beiden vorher

behandelten Modellen. Der Durchschnittspreis für die konsortialen Zeitschriften

steigt entsprechend stärker an. Die Kosten für das Konsortium erfordern von Periode

zu Periode einen immer größeren Anteil am Gesamtetat, bis sie in der neunten

Periode den gesamten Etat aufbrauchen. Deshalb dominiert der Durchschnittspreis

der konsortialen Zeitschriften den Durchschnittspreis des gesamten Einkaufes,

solange die Bibliothek am Konsortium teilnehmen kann.

FIXKOSTEN IM BIBLIOTHEKSETAT

In jedem Bibliotheksetat gibt es Kostenanteile, die von der Bibliothek nur in Grenzen

gesteuert werden können. Alle Bezüge, die längerlaufende Verträge erfordern, haben

zur Folge, dass die Bibliothek nicht kurzfristig darüber entscheiden kann, ob sie

die damit verbundenen Beschaffungen tätigen will oder nicht. Lieferungen aus

Subscriptionen mit Gesamtabnahmeverpflichtungen müssen abgenommen werden,

auch wenn die Bestellungen schon Jahre zurückliegen und die Verhältnisse sich

seitdem grundlegend geändert haben. Zeitschriftenabonnements können nur für

das Folgejahr mit längerem Vorlauf gekündigt werden – sofern sie nicht durch

einen länger laufenden Gesamtvertrag unter Abbestellverbot stehen. Bei diesen

Abnahmeverpflichtungen gibt es auch nur sehr beschränkt die Möglichkeit, mit

der Begründung wegfallender Haushaltsmittel den Bezug vorzeitig zu beenden.

Da die Preise für Zeitschriften und Fortsetzungen meist schneller steigen als die

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290

Erwerbungsetats, verschieben sich die Anteile der Ausgaben für Dauerbezüge und

Einzelkäufe in den Etats jedes Jahr. Je größer der „Fixkostenanteil“, d.h. der Anteil der

Dauerverpflichtungen aus langlaufenden Bezugsverträgen am Gesamtetat ist, desto

schwieriger wird es für die Bibliothek, auf Veränderungen in den Bezugsbedingungen

bei Etatkürzungen oder Änderung der Nutzungsanforderungen zu reagieren.

Datenbanken, die die herkömmlichen Bibliographien und Nachschlagewerke

zunehmend ersetzen, sind im Verhältnis zu den gesamten Literaturkosten der

einzelnen Fächer sehr viel teurer als es früher die Bibliographien und Lexikas

waren. Da diese Datenbanken meist Monopolcharakter haben und die Verlage diese

Monopolstellung nutzen, um die Preise stärker als die Kosten anzuheben, steigen

ihre Preise überproportional an und verdrängen zunehmend die Primärliteratur.

– So kosten die beiden Datenbanken Scifinder und Beilstein inzwischen bereits

mehr als 25% der Mittel, die für Literatur und Information für das Fach Chemie

zur Verfügung stehen, und dies mit steigender Tendenz. Da der Preis für diese

Datenbanken jährlich um (mindestens) fünf Prozent steigt, der Etat aber langfristig

stagniert und in der Vergangenheit um höchstens zwei Prozent gestiegen ist, ist

absehbar, wann nur noch diese Datenbanken gekauft werden können (in etwa

15 Jahren kosten die beiden Datenbanken etwa die Hälfte und in dreißig Jahren

den gesamten Etat des Faches). In dieser Zeit wird die Möglichkeit, erforderliche

Information, die nicht in den beiden Datenbanken mitgeliefert werden kann, zu

beschaffen, von Jahr zu Jahr geringer.

In gleicher Weise wirken Zeitschriften, die nur als Titelgesamtheit gekauft

werden können, oder wenn die elektronischen (Parallel-)Titel nur bezogen werden

können, wenn der Titelbestand einschließlich der jährlichen Preissteigerung

auf Dauer bezahlt werden muss. Da nur große Verlage diese monopolistischen

Knebelverträge durchsetzen können, hat dies zur Folge, dass die kleineren

Verlage – unabhängig von der Qualität ihrer Zeitschriften – ständig Anteile am

Markt für wissenschaftliche Information verlieren. Die Großverlage nutzen die

monopolistische Struktur wissenschaftlicher Information, um unabhängig von den

tatsächlichen Bedürfnissen der Wissenschaft und der Qualität ihrer Zeitschriften

im Verhältnis zu den Zeitschriften der Wettbewerber steigende Anteile der Etats

für wissenschaftliche Information zu vereinnahmen. Sie monopolisieren über ihre

Marktmacht die Verfügung über die wissenschaftliche Information. In der Folge

wird die Meinungsvielfalt verringert und die Informationsmöglichkeiten werden

eingeschränkt.

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291

ALTERNATIVEN FÜR DIE BIBLIOTHEKEN

Die Bibliotheken haben nur beschränkte Möglichkeiten, dem entgegenzusteuern.

Eine Möglichkeit ist, grundsätzlich keine Zeitschriftenbündel, sondern nur Einzeltitel

einzukaufen. Dies kostet meist höhere Aufschläge für die elektronischen Ausgaben.

Da bei Einzeltitelkauf aber eine Anpassung an den Bedarf der Wissenschaft vor

Ort leichter möglich ist als beim Paketkauf, kann weiterhin von Jahr zu Jahr die

beschaffte Information an den Bedarf angepasst werden. Je nachdem wie stark

sich die Interessen in der Universität (z.B. bei Neuberufungen, Gründung oder

Auflösung einer Fachrichtung u.ä.) verändern, kann schon in wenigen Jahren trotz

einer geringeren Gesamtmenge an Information eine bessere Versorgung des Bedarfs

gegeben sein im Gegensatz zu „kosten“günstigen Paketkäufen, die zwar im Anfang

eine größere Titelvielfalt bieten, aber nur geringere Anpassungsmöglichkeiten an

die Bedarfsveränderungen erlauben.

Da Zeitschriften vielfach der Dokumentation aber nur punktuell der aktuellen

Information dienen,4 kann überlegt werden, ob größere Anteile der Zeitschriften

nicht mehr fortlaufend bezogen werden und der Wissenschaft stattdessen die

einzelnen Artikel über Artikellieferdienste beschafft werden. Dann gewinnt die

Bibliothek die notwendige Handlungsfreiheit, die Materialien und Informationen

zu beschaffen, die am dringlichsten gebraucht werden.

Eine weitere Möglichkeit ist, immer dann, wenn absehbar ist, dass eine vertragliche

Festschreibung von Titelpaketen unvermeidlich sein wird, im Vorfeld, d.h. ein

bis zwei Jahre vorher die gesamte betroffene Verlagsproduktion zu kündigen und

den längerlaufenden Vertrag in entsprechendem zeitlichen Abstand auf einer

sehr viel geringeren als der bisherigen Titelbasis abzuschließen. Dies erfordert

aber in mehrjährigem Abstand immer wieder aus den Verträgen auszusteigen, die

entsprechenden Titel für ein oder zwei Jahre nicht zu beziehen, und dann wieder mit

einer neuen Titelzusammenstellung einen längerlaufenden Vertrag abzuschließen.

Damit gewinnt die Bibliothek ein Stück Handlungsfreiheit zurück, muss aber

Unterbrechungen in der Bereitstellung vor allem der Zeitschriftenliteratur in Kauf

nehmen.

4 Vgl. Adalbert Kirchgäßner: 13 Jahre Zeitschriftenabbestellungen an der Universität

Konstanz. In: Das Zeitschriftenparadoxon – oder: Wer verfügt über die wissenschaft-

liche Information. Hg. von Werner Stephan. Stuttgart 2004; Abbildungen 9 und 10.

Siehe auch URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2003/1036/ Die

Nutzungskurven von 2004 enthalten erheblich mehr Zeitschriften als diejenigen von

2003, haben aber die gleiche Struktur.

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292

Die Bibliotheken sollten darauf hinarbeiten – und einige Ansätze in dieser

Richtung gibt es schon – Konsortialverträge als Rahmenverträge zu gestalten, die

in Abhängigkeit von Umsatz und Titelanzahl Konditionsverbesserungen bieten, aber

den Bibliotheken Handlungsmöglichkeiten belassen. So könnten Abbestellkorridore

vereinbart werden, die bei Überschreiten gewisser Abbestellmengen die Konditionen

des Gesamtvertrages verschlechtern aber nicht erfordern, den Gesamtvertrag zu

kündigen. Ebenso sollte dann eine Umsatzausweitung mit einer Verbesserung

der Konditionen verbunden sein. Die Langfristbindung der Verträge mit dem

bisherigen „alles oder nichts“ ist auf Dauer keine Option zur bedarfsgerechten

Informationsversorgung.

Um Bewegung in den Markt zu bekommen, sollten die Bibliotheken die Open-

Access-Publikationsmöglichkeiten fördern. Dies können sie nur in Grenzen tun, vor

allem durch Werbung bei den Autoren. Hilfreich sind hierbei die inzwischen belegten

Gegebenheiten, dass Open-Access-veröffentlichte Beiträge höhere Zitationsraten

haben als die Veröffentlichungen vergleichbarer Kaufzeitschriften, und dass die

Abschöpfung von Monopolrenditen bei diesen Publikationsformen geringer ist als

bei Kaufzeitschriften.5

SYMBIOSE: PARASITISMUS ODER ALLIANZ?

Die Symbiose von Verlagen und Bibliotheken hat sich in den letzten Jahren Richtung

Parasitismus verändert. „Parasiten sind hoch spezialisierte Lebewesen“ und „im

Allgemeinen besteht eine hohe Abhängigkeit eines Parasiten von seinem Wirt oder

seinen Wirten.“6

Die Gestaltung der Konsortien schädigt die Bibliotheken zunehmend in ihrer

Funktion der Literatur- und Informationsversorgung der Wissenschaft. Ziel

der Bibliotheken sollte es sein, die Beziehungen so zu verändern, dass eine

Protokooperation bzw. Allianz wieder möglich wird: Eine „[l]ockere Beziehung

zwischen verschiedenen Arten; alle Arten ziehen einen Vorteil aus der Beziehung,

sind aber ohne einander gleichwohl lebensfähig“7.

5 Th eodore C. Bergstrom und Carl T. Bergstrom: Can „autor pays“ journals compete

with „reader pays“? In: Nature 2004, URL: http://www.nature.com/nature/focus/acces-

sdebate/22.html.

6 Vgl. Symbiose. In: Wikipedia: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Symbiose

(12.1.2007).

7 Ebd.

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OPEN ACCESS PUBLISHING: AUSWEG ODER IRRWEG AUS DER KRISE DES WISSENSCHAFTLICHEN PUBLIKATIONS-WESENS? NEUESTE ENTWICKLUNGEN

BRUNO BAUER

EINLEITUNG

Open Access Publishing (OAP) ist wahrscheinlich das am meisten strapazierte –

gemeinsame – Thema von Wissenschaftlern, Bibliothekaren und Verlegern.

Initiiert wurde die Idee von Open Access (OA) durch eine Reihe von offiziellen

Erklärungen. Von den mittlerweile an die 50 bedeutenderen OA-Deklarationen ist

jenen ein besonderer Stellenwert einzuräumen, die mit den Städtenamen Budapest,

Bethesda und Berlin in Zusammenhang stehen:

– Budapest Open Access Initiative1

– Bethesda Statement on Open Access Publishing2

– Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen3

Aus den BBB-Erklärungen werden folgende Kriterien für OAP abgeleitet:

– Sicherung der Qualität durch Peer Review.

– Zugänglichkeit unmittelbar und kostenfrei über das Internet.

– Archivierung auf einem öffentlichen Server und

– Verbleib des Copyrights beim Autor.

Zur Erreichung des Ziels OA für wissenschaftliche Publikationen werden zwei Wege

vorgeschlagen:

1) Selbstarchivierung von Dokumenten in fachlichen oder institutionellen

Repositorien („Green Road to Open Access“).

2) Publikation in eigenen OA-Zeitschriften („Gold Road to Open Access“).

1 URL: http://www.soros.org/openaccess/g/read.shtml.

2 URL: http://www.earlham.edu/~peters/fos/bethesda.htm.

3 URL: http://www.mpg.de/pdf/openaccess/BerlinDeclaration_dt.pdf.

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Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Fachartikeln, Weblog-Einträgen und

Konferenzbeiträgen über OAP. Im vorliegenden Beitrag werden bewusst einzelne

Facetten von OA ins Schlaglicht gestellt, die meist nur wenig Beachtung finden.

OAP-SCHLAGLICHT 1:KONFERENZEN UND IHRE VERANSTALTER

Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht wieder eine neue große OAP-Konferenz

angekündigt wird. Wenn man nicht die inhaltlichen Schwerpunkte, sondern die

Veranstalter der großen OA-Konferenzen ins Schlaglicht stellt, ist feststellbar,

dass einige wenige Institutionen nicht nur die aktuelle Diskussion um OAP im

Wesentlichen tragen, sondern auch durch Projekte und Initiativen zur Avantgarde

des OAP zählen.

TABELLE 1: INSTITUTIONEN ALS BETREIBER VON OA-KONFERENZEN UND OA-INITIATIVEN BZW. OA-PROJEKTEN

Institution Konferenz Initiative / Projekt

Max-Planck-Gesellschaft Berliner Konferenz 20031 Berliner Erklärung

Berlin 42 eSciDoc3

CERN Berlin 24 Cern Document Server5

Universität Southampton Berlin 36 Cogprints79

Deutsche Zentralbibliothek für Medizin

Cologne Summit on Open Access Publishing 20048

German Medical Science9

Lund University Lund 200610 DOAJ11

OAP-SCHLAGLICHT 2:PROPONENTEN UND IHRE MOTIVATION

Nicht nur die Konferenzen und ihre Veranstalter, sondern auch die Proponenten

der OAP-Bewegung sind es wert, einmal ins Schlaglicht gestellt zu werden. In den

Programmen der Konferenzen finden sich immer wieder die gleichen Namen. OAP-

Experten – von Steven Harnad bis Jan Velterop – setzen seit Jahren die wesentlichen

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295

Akzente in der OAP-Diskussion. Weil Initiatoren von OAP-Proklamationen und

Betreiber von OAP-Projekten zugleich auch als Veranstalter großer OAP-Konferenzen

auftreten, könnte man überspitzt formuliert sogar von Marketingveranstaltungen

sprechen.

Als besonders bezeichnend erweisen sich Formulierungen wie die folgenden:

– „… tireless proselytising of a host of John the Baptist-like f igures from Paul Ginsparg

to Stevan Harnad …” (D. Law) 4

– „Wir sind von Open Access überzeugt.“ (A. Borbely, Prorektor für Forschung an der

Uni Zürich)5

– „Werdet Teil der Revolution!“ (Nobelpreisträger H. Varmus)6

Vor dem Hintergrund dieser Aussagen, die Begriffe wie Krieg, Überzeugung und

Revolution enthalten, ist Oliver Obst zuzustimmen, der in diesem Zusammenhang

von „Open Access-Ideologen“7 spricht.

Weil OAP mit dem Anspruch, einen Ausweg aus der Krise des wissenschaftlichen

Publikationssystems zu weisen, schwerpunktmäßig im akademischen

Umfeld angesiedelt ist, wäre eine weniger emotionale, dafür aber sachlichere

Diskussionsführung angebracht.

OAP-SCHLAGLICHT 3:GRAVIERENDE ÖKONOMISCHE AUSWIRKUNGEN

Bei der Diskussion um OAP handelt es sich allerdings nicht bloß um einen

akademischen Streit, sondern der von den Proponenten des OAP eingeforderte

Paradigmenwechsel im wissenschaftlichen Publikationswesen würde auch das

etablierte Geschäftsmodell, das sich bisher auf Zeitschriftenabonnements (print)

und Zeitschriftenlizenzen (online) gestützt hat, in seinen Grundfesten erschüttern.

4 Derek Law: Delivering Open Access: From Promise to Practice. In: Ariadne Issue 26,

Feb. 2006, URL: http://www.ariadne.ac.uk/issue46/law/.

5 Sabine Witt: „Wir sind von Open Access überzeugt”. In: Universität Zürich, Uni

News, 22.9.2004, URL: http://www.unipublic.unizh.ch/campus/uni-news/2004/1342.

html.

6 Harold Varmus, Nobelpreisträger: „Werdet Teil der Revolution“ In: Zeit.de, 18.6.2003,

URL: http://www.zeit.de/2003/26/N-Interview-Varmus.

7 Oliver Obst: Academic Publishing in Europe: Dienstag. In: medinfo, 6. April 2006,

URL: http://medinfo.netbib.de/archives/2006/04/06/1289.

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Bei einem jährlichen Publikationsvolumen von zwei Millionen Fachartikeln in

wissenschaftlichen Zeitschriften ist es jedenfalls angebracht, die gravierenden

ökonomischen Auswirkungen von OAP auf das traditionelle Verlagswesen ins

Schlaglicht zu setzen. Die unterschiedlichen Positionen zwischen den etablierten

Verlagen und den OA-Proponenten werden an der unterschiedlichen Einschätzung

der Tragfähigkeit der OAP-Geschäftsmodelle deutlich.8

Exemplarisch für die vollkommen konträren Schlussfolgerungen ist ein Streitgespräch

zwischen Dietrich Götze, ehemaliger Verleger des wissenschaftlichen Springer-

Verlages und Ulrich Korwitz, Direktor der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin,

anzuführen, das 2004 im Börsenblatt unter dem Titel „Irrweg oder Notausgang“ 9

veröffentlicht worden ist:

– „Keines der Open-Access-Modelle hat eine wirtschaftliche Grundlage“ (D. Götze),

– „Open Access ist primär eine Notwehrreaktion auf überhitzte Preisstrukturen“

(U. Korwitz).

Für die möglichen brisanten ökonomischen Konsequenzen eines Paradigmenwechsels

im wissenschaftlichen Publikationswesen steht eine Mitteilung von Oxford University

Press vom Dezember 2005: „More than 1.000 Oxfordshire publishing jobs could be at risk

if proposals to alter the way scientif ic journals are published become reality […]“10.

OAP-SCHLAGLICHT 4:BIBLIOTHEKS- UND ZEITSCHRIFTENKRISE

In einer Vielzahl von Untersuchungen wurden die Preissteigerungen der letzten

Jahre im Bereich der wissenschaftlichen Zeitschriften dokumentiert. Ein sehr

anschauliches Beispiel für diese Problematik liefert eine Resolution der University

of California, die 2003 zur Problematik der unverhältnismäßig teuren Elsevier-

Zeitschriften ins Internet gestellt worden ist, und in der u.a. dargestellt worden

ist, dass die University of California für Zeitschriften dieses Verlages ca. 50% des

Zeitschriftenbudgets ausgibt, während sie für diese Titel nur ca. 25% der Nutzung

verzeichnet.11

8 Bruno Bauer: Zur aktuellen Situation von Open Access: Cologne Summit on Open

Access Publishing. In: Bibliotheksdienst 39, (2005) 2, 206–215.

9 Dietrich Götze & Ulrich Korwitz: Irrweg oder Notausgang. Debatte. In: Börsenblatt

2004, 50, 16–17.

10 1000 publishing jobs could go. In: Oxfordshire Archive, 17. Dez. 2005, URL: http://ar-

chive.oxfordmail.net/2005/12/17/90099.html.

11 University of California, Committee on the Library. Resolution on Ties with Elsevier

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Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch eine Mitteilung über den

Wissenschaftsverlag Elsevier, die am 18. April 2006 in heise online erschienen ist: „Mit

7.300 Mitarbeitern brachte er es im abgelaufenen Geschäftsjahr auf einen Reingewinn von

655 Millionen Euro, was bei einem Umsatz von 2,1 Milliarden Euro einer Umsatzrendite

von 31 Prozent entspricht.“12

Wenn man diese Problematik ins Schlaglicht setzt, wird verständlich, dass manche

nicht von einer Bibliotheks- und Zeitschriftenkrise, sondern von einer Verlags-

und Zeitschriftenkrise sprechen, die man nur mit einer radikalen Umstellung des

wissenschaftlichen Publikationssystems lösen könne.

OAP-SCHLAGLICHT 5:HIGHLIGHTS DER „GOLD ROAD TO OPEN ACCESS”

Vor nunmehr sieben Jahren wurden in einem Open Letter der Public Library of Science13

Wissenschaftler aufgerufen, ab 1. Oktober 2000 nicht mehr als Autor, Reviewer,

Herausgeber, Käufer für Zeitschriften zur Verfügung zu stehen, deren Beiträge nicht

nach einer bestimmten Zeit (zumeist sechs Monate nach dem Erscheinungstermin)

frei zugänglich gemacht werden. Diese Aktion musste nicht zuletzt deshalb erfolglos

bleiben, weil für die potentiellen Autoren, die die Kriterien des Open Letter erfüllen

wollten, keine alternative Publikationsplattformen vorhanden waren.

In der Folge wurde von den Proponenten von OAP ein neuer Weg beschritten. Um

Autoren, die mit den Zielen von OAP sympathisieren, Publikationsmöglichkeiten

bieten zu können, wurden eigene OA-Zeitschriften gegründet. Zu den aktuellen und

vielerorts zitierten Highlights unter den OA-Titeln zählen:

– BioMed Central14

– PLoS15

– DIgital Peer Publishing NRW16

– German Medical Science17

Journals. October 8, 2003, URL: http://senate.ucsc.edu/col/res.1405.pdf.

12 Richard Sietmann: Riesengewinne mit wissenschaftlichen Publikationen. heise online:

news, 18. 4.2006, URL: http://www.heise.de/newsticker/meldung/72062.

13 URL: http://www.plos.org/about/letter.html.

14 URL: http://www.biomedcentral.com/.

15 URL: http://www.plosjournals.org/perlserv/?request=index-html.

16 URL: http://www.dipp.nrw.de.

17 URL: http://www.egms.de.

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298

Mittlerweile ist auch ein weiterer Kritikpunkt, nämlich das Fehlen des Impact Factors

(IF) bei OA-Zeitschriften nicht mehr zulässig. Von den 163 von BioMed Central

herausgegebenen OA-Zeitschriften weisen mittlerweile 26 einen IF auf, 13 weitere

verfügen bereits über einen inoffiziellen IF. PLoS Biology und PLoS Medicine haben

sich mit einem IF von 14,672 bzw. 8,389 bereits unter den absoluten Spitzentiteln

des jeweiligen Faches etabliert.

OAP-SCHLAGLICHT 6:„GOLD ROAD TO OPEN ACCESS” IN ÖSTERREICH

Einen guten Überblick über die Vielzahl der OA-Zeitschriften bietet das an

der Universität Lund erstellte Directory of Open Access Journals18, das zur Zeit

2.581 Zeitschriften nachweist. Aufnahmekriterien für das DOAJ sind OA,

Qualitätskontrolle (Peer Review), Forschungscharakter der Zeitschrift und

periodische Erscheinungsweise. Dennoch zeigen sich große Unterschiede in Qualität

und Umfang der erfassten Zeitschriften.

Das Directory verzeichnet derzeit 22 österreichische Zeitschriften, davon

14 des medizinischen Fachverlages Krause & Pacherneg. Von den übrigen acht

OA-Zeitschriften werden fünf an Instituten der Universitäten Wien, Salzburg

und Linz erstellt, drei an sonstigen Einrichtungen (Joanneum, ECSA Austria und

Wienxtzra/ifp). Hinsichtlich des Kriteriums periodische Erscheinungsweise (nicht näher

eingegangen wird hier auf die Kriterien Qualität und Peer Review) ist festzuhalten,

dass der Umfang dieser Zeitschriften zwischen 13 und 169 Artikeln variiert, wobei

letzteres eine Zeitschrift betrifft, die schon seit 1992 existiert und die retrospektiv

online gestellt bzw. frei geschaltet worden ist.

18 URL: http://www.doaj.org.

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TABELLE 2: IM DOAJ VERZEICHNETE ÖSTERREICHISCHE OA-ZEITSCHRIFTEN (OHNE 14 OA-TITEL DES MEDIZINISCHEN

FACHVERLAGS KRAUSE UND PACHERNEGG)

Herausgeber OA-Zeitschrift Frequenz OA ab Zahl

Universität WienAustrian Studies in Social Anthropology12 3x / Jahr 2005 ff 13 Artikel

Universität WienWEB-FU: Wiener E-Beiträge des Instituts für Finno-Ugristik13

Irregulär 2001 ff 39 Artikel

Universität Wiene-Journal Philosophie der Psychologie14 3x / Jahr 2005 ff 70 Artikel

Universität SalzburgRhet On: Online Zeitschrift für Rhetorik und Wissenstransfer15

2x / Jahr 2004 ff 30 Artikel

Universität LinzPSR – Papers on Social Representations16 Irregulär 1992 ff 169 Artikel

JoanneumJoannea – Geologie und Paläontologie17 Irregulär 1999 ff 47 Artikel

ECSA Austria EIoP – European Integration online Papers18 4x / Jahr 1997 ff 154 Artikel

Wienxtra / ifp e-beratungsjournal.net19 1x / Jahr 2005 ff 23 Artikel

Die Analyse der österreichischen Beiträge im DOAJ (ohne Titel des Verlags Krause

& Pachernegg) führt zu folgenden Erkenntnissen:

a) Das im DOAJ behauptete Aufnahmekriterium periodische Erscheinungsweise

scheint nicht wirklich überprüft zu werden.

b) Nur acht im DOAJ verzeichnete Titeln mit insgesamt 545 Aufsätzen (davon

viele retrospektiv online gestellt und frei geschaltet) sind ein Indiz dafür, dass

die OA-Idee in Österreich, insbesondere im universitären Bereich, bisher nicht

sehr gut verankert ist.

Dieser Befund spiegelt sich auch in den Ergebnissen einer Auswertung der Beteiligung

österreichischer Autoren an den OA-Zeitschriften von BioMed Central und PLoS,

die ebenfalls nur eine geringe Akzeptanz für alternative Publikationsformen

nachgewiesen hat.19

19 Bruno Bauer: Open Access Publishing – Trends in Deutschland, Österreich und der

Schweiz: Initiativen, Projekte, Stellenwert. Delivered at ODOK 05: 11. Österreichisches

Online-Informationstreff en, 12. Österreichischer Dokumentartag: „Zugang zum Fach-

wissen“, Bozen, URL: http://www.uibk.ac.at/voeb/odok2005/tagungsband/bauer.pdf.

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OAP-SCHLAGLICHT 7:GESCHÄFTSMODELL EINES KOMMERZIELLEN OPEN ACCESS-VERLAGES

Der unmittelbare und kostenfreie Zugang zur wissenschaftlichen Fachinformation

stellt ein wesentliches Kriterium von OAP dar. Mit diesem Publikationsmodell ist

das bisherige Finanzierungsmodell (Reader-Pays bzw. seine Bibliothek) nicht mehr

kompatibel.

Bei der Entwicklung eines kommerziellen Geschäftsmodells für OAP hat der

BioMed Central eine führende Rolle übernommen. Die von diesem Verlag

offerierte institutionelle Mitgliedschaft ist seit der Berliner Erklärung 2003 auf

großes Interesse bei vielen Universitäten und auch Bibliothekskonsortien gestoßen.

Während die Zahl der institutionellen Mitglieder bis 2005 weltweit kontinuierlich

angestiegen ist, ist wegen einer deutlichen Erhöhung der Mitgliedsbeiträge bzw. der

Veröffentlichungsgebühren seit dem Jahreswechsel 2005/2006 ein stetiger Rückgang

bei den Mitgliedschaften zu verzeichnen. Mittlerweile stehen 372 aktiven Mitgliedern

in 32 Ländern 272 Former Members gegenüber.20 So etwa reduzierte sich die Zahl der

deutschen BioMed Central-Mitglieder innerhalb eines Jahres von 48 auf 37; beendet

haben mit der Charité Berlin, der Universität Köln, der Universität Heidelberg und

dem DKFZ Heidelberg auch vier jener zehn Institutionen ihre Mitgliedschaften,

deren Mitarbeiter bis Jahresende 2005 am häufigsten in BioMed Central publiziert

hatten. Ihre Mitgliedschaften beibehalten haben u.a. die Max-Planck-Gesellschaft,

die Universität Köln und die Universität Zürich, durchwegs Institutionen, die als

Proponenten der OAP-Bewegung ein besonders großes Interesse am Erfolg dieses

Publikationsmodells haben, das sie auch als Veranstalter einschlägiger internationaler

Konferenzen unter Beweis gestellt haben.

OAP-SCHLAGLICHT 8:HYBRIDE OPEN-ACCESS-GESCHÄFTSMODELLE ALS ALTERNATIVE KOMMERZI-ELLER VERLAGE?

„Wir bieten doch auch Open Access an!“, wird beginnend mit 2004 immer häufiger von

Vertretern kommerzieller Verlage eingewendet, wenn das OAP thematisiert wird.

Tatsächlich besteht für Autoren, deren Beiträge in etablierten Verlagszeitschriften

erscheinen, in vielen Fällen bereits die Möglichkeit, gegen Bezahlung die Freischaltung

ihrer Beiträge zu veranlassen. Dieses Geschäftsmodell verfolgt ein Konzept, das nicht

auf OA-Zeitschriften, sondern auf OA-Fachartikeln basiert.

20 URL: http://www.biomedcentral.com/inst.

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TABELLE 3: HYBRIDE OPEN ACCESS-GESCHÄFTSMODELLE

Beginn Verlag BezeichnungBetroffene

TitelArtikelkosten

2004/06 Nat. Acad. Sci OA Option PNAS $ 750–1000

2004/07 Springer Open Choice Alle Titel $ 3000

2004/11 AIP Author Select 11 Titel $ 1500–1800

2005/02 Blackwell Online Open79 v. 750

Titeln$ 2500 p.A.

2005/04 BMJ Unlocked 22 Titel $ 2200–3145

2005/07 OUP Oxford Open47 v. 192

Titeln$ 1500–2800

2006/05 Elsevier Sponsored Articles 40 Titel $ 3000

2006/06 Royal Society EXiS Open Choice 7 Titel GPB 300 pro Seite

Nachdem die etablierten Verlage zunächst der OA-Bewegung reserviert oder

grundsätzlich ablehnend gegenübergestanden sind, lohnt es sich, deren Beweggründe

ins Schlaglicht zu stellen.

Bedeutende Forschungsförderungseinrichtungen fordern in ihren OA Policies mittler-

weile als Auflage für die finanzielle Unterstützung von Forschungsprojekten die

Publikation der Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, die den

Standards von OA entspricht oder zumindest nach sechs Monaten frei zugänglich

ist, etwa National Institutes of Health21, Wellcome Trust22 oder DFG23.

Folglich handelt es sich bei den hybriden OA-Geschäftsmodellen etwa von

Springer oder Elsevier nicht um überzeugende Initiativen für OAP, sondern

vielmehr um den Versuch, auch in Zukunft einer bestimmten Autorengruppe, die

entsprechende OA Policies zu berücksichtigen hat, etablierte Verlagszeitschriften als

Publikationsplattform anbieten zu können und damit den Fortbestand dieser Titel

abzusichern. Eine Publikation von Forschungsergebnissen etwa in Zeitschriften

von Springer oder Elsevier bleibt für einen Autor, der öffentliche Forschungsgelder

bekommt, weiterhin möglich, weil er ja den entsprechenden Beitrag über Open Choice

freikaufen kann.

21 URL: http://grants.nih.gov/grants/guide/notice-fi les/NOT-OD-05-022.html.

22 URL: http://www.wellcome.ac.uk/doc_WTD002766.html.

23 URL: http://www.dfg.de/aktuelles_presse/information_fuer_die_wissenschaft/ande-

re_verfahren/infowissenschaft_04_06.html.

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OAP-SCHLAGLICHT 9:KOSTEN EINES PARADIGMENWECHSELS AM BEISPIEL VON DREI ÖSTERREICHI-SCHEN UNIVERSITÄTEN

In der OA-Debatte werden häufig Einsparungsmöglichkeiten für Bibliotheken

als ein wichtiges Argument vorgebracht. Allerdings gibt es nur wenige

Untersuchungen über die finanziellen Auswirkungen eines vollständigen Umstiegs

vom etablierten Publikationssystem (mit Subskriptionen und Lizenzen) zum OA-

Publikationsmodell, wie sie etwa im Rahmen eines Untersuchungsausschusses des

britischen Unterhauses 2004 für Großbritannien berechnet worden sind. Für den

Fall eines Paradigmenwechsels zu OAP war an den britischen Hochschulen fast mit

einer Verdoppelung der Zeitschriftenausgaben zu rechnen;24 mittlerweile haben

sich die Kosten für OAP deutlich erhöht. Weil für Österreich keine vergleichbare

Studie vorliegt, wird das OAP-Geschäftsmodell am Beispiel von drei österreichischen

Universitäten (Veterinärmedizinische Universität Wien, Technische Universität Wien,

Medizinische Universität Wien) ins Schlaglicht gestellt.25

Zunächst wurde die Zahl der Fachartikel, die an den betreffenden Universitäten im Jahr

2005 verfasst worden sind, in Relation zu den Ausgaben für Zeitschriftenabonnements

bzw. -lizenzen der jeweiligen Universitätsbibliotheken für 2006 gesetzt.

TABELLE 4: ZEITSCHRIFTENARTIKELN & ZEITSCHRIFTENKOSTEN

Institution Vet.-Med. Uni Wien

Tech. Uni Wien

Med. Uni Wien

Zahl der Zeitschriftenartikel von Uni-Angehörigen

320 3.100 3.450

Ausgaben der UB für Zeitschriftenabonnements bzw. -lizenzen

€ 280.000 € 1,490.000 € 1,200.000

24 Bruno Bauer: UK Parliament’s Science & Technology Committee Inquiry. Britische

Politiker stellen an 23 Vertreter von Verlagen, Fachgesellschaften, Bibliotheken, Wissen-

schaften und Forschungsorganisationen 428 Fragen über die Zukunft des wissenschaft-

lichen Publikationswesens. In: Medizin – Bibliothek – Information, 4 (2004) 2, 38–43.

25 Bruno Bauer: Kommerzielle Open Access Publishing-Geschäftsmodelle auf dem

Prüfstand: ökonomische Zwischenbilanz der „Gold Road to Open Access“ am Beispiel

von drei österreichischen Universitäten. In: GMS Medizin – Bibliothek – Information,

6 (2006) 3, Doc32.

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Zeitschriftenausgaben pro publiziertem Fachartikel

€ 875 € 486 € 347

Pro veröffentlichtem Fachartikel eines Mitarbeiters der Veterinärmedizinischen

Universität Wien, der Technischen Universität Wien bzw. der Medizinischen Universität

Wien wurden € 875, € 486 bzw. € 347 für Zeitschriftenabonnements bzw. -lizenzen

ausgegeben.

In einem zweiten Schritt wurde das Szenario angenommen, dass das OA-

Publikationsmodell das etablierte Publikationsmodell vollständig ablöst. Für die

folgenden Berechnungen bilden die Geschäftsmodelle von Biomed Central 2006 ($

1.453) und Springer Open Choice 2006 ($ 3.000) die Basis.

• Bei einem kompletten Paradigmenwechsel wären für die Finanzierung

der an der Veterinärmedizinischen Universität Wien 2005 entstandenen

Zeitschriftenpublikationen, je nach OAP-Geschäftsmodell, zwischen € 352.000

(BioMed Central 06) und € 727.000 (Springer Open Choice) erforderlich, was

gegenüber den aktuellen Ausgaben für Zeitschriftenabonnements und -lizenzen

in Höhe von € 280.000 einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf zwischen 26%

und 160% für den Zeitschriftenbereich bedeuten würde.

• Ein Paradigmenwechsel würde an der Technischen Universität Wien zwischen

€ 3,410.000 (BioMed Central) und € 7,040.000 (Springer Open Choice) kosten,

sodass zusätzlich zu den aktuellen Ausgaben für Zeitschriftenabonnements und

-lizenzen in Höhe von € 1,490.000 ein Finanzierungsbedarf zwischen 129% und

372% der Zeitschriftenkosten gegeben wäre.

• Besonders gravierende finanzielle Auswirkungen würde ein Paradigmenwechsel

für die Medizinische Universität Wien nach sich ziehen, die bei einem Umstieg auf

eines der beschriebenen OAP-Geschäftsmodelle für die Zeitschriftenpublikationen

zwischen € 3,795.000 und € 7,835.000 zu bezahlen hätte, während für

Zeitschriftenabonnements und -lizenzen derzeit € 1,200.000 ausgegeben werden;

somit wäre ein zusätzlicher Finanzierungsaufwand zwischen 216% und 553%

gegenüber den aktuellen Zeitschriftenkosten gegeben!

OAP-SCHLAGLICHT 10:PERSPEKTIVE FÜR „GREEN ROAD TO OPEN ACCESS”

Der Anteil der OA-Zeitschriften am wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkt beträgt

derzeit erst knapp 8 %.26 Der Aktionsschwerpunkt hat sich mittlerweile von der

26 Christian Woll: Optimierungspotentiale bei der praktischen Umsetzung von Open

Access. Proceedings Knowledge eXtended. Die Kooperation von Wissenschaftlern,

Bibliothekaren und IT-Spezialisten. (= Schriften des Forschungszentrums Jülich. Reihe

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„Gold Road to OA“, der Herausgabe von OA-Zeitschriften, die ursprünglich von den

Wegbereitern der OA-Bewegung in den Vordergrund gestellt worden ist, auf die

„Green Road to OA“, die Selbstarchivierung der Publikationen durch die Autoren

und das Einbringen in fachliche und institutionelle Repositorien, verlagert, weshalb

es auch dieser Bereich verdient, ins Schlaglicht gestellt zu werden.

Einen Überblick über die bestehenden Repositorien vermittelt das Directory of Open

Access Repositories/OpenDOAR27. Bei Analyse der bestehenden Repositorien wird

evident, dass auch die „Green Road to OA“ von jenen Institutionen forciert wird,

die sich schon als Vorreiter der „Gold Road to OA“ und als Initiatoren von OAP-

Proklamationen sowie als Veranstalter großer OAP-Konferenzen gezeigt haben.

Zu nennen sind etwa die Max-Planck-Gesellschaft (eDoc-Server)28, CERN (CERN

Document Server)29 oder die Universität Zürich (ZORA – Zurich Open Repository and

Archive)30.

Wie bei der „Gold Road to OA“, so ist auch der österreichische Beitrag auf der “Green

Road to OA” bisher bescheiden, openDOAR weist unter insgesamt 843 Repositorien

gerade einmal vier österreichische Repositorien mit insgesamt ca. 2.500 Publikationen

nach.

Bemerkenswert ist allerdings auch für die Situation in Österreich die Vernetzung

zwischen Personen, Projekten und Initiativen. So wird das European Research Papers

Archive von Michael Nentwich betrieben, der auch als Herausgeber der bereits

genannten European Integration online Papers fungiert und Mitorganisator der

sogenannten Wiener Erklärung für Open Access (2005) war.

TABELLE 5: IN OPENDOAR VERZEICHNETE ÖSTERREICHISCHE REPOSITORIEN

Institution Bezeichnung Zahl der Dokumente

Institut für Philosophie der Universität Wien

Sammelpunkt. Elektronisch archivierte Theorie20

823 Items

Wirtschaftsuniversität Wien ePubWU – Elektronische Publikationen der Wirtschaftsuniversität Wien21

570 Items

Akademie der Wissenschaften

epub.oeaw – Elektronisches Publikationsportal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften22

nur Bücher

Bibliothek/Library 14), Jülich 2005, 135–151.

27 URL: http://www.opendoar.org.

28 URL: http://edoc.mpg.de/.

29 URL: http://cdsweb.cern.ch/.

30 URL: http://www.zora.unizh.ch/zora/.

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European Research Papers Archive

ERPA – European Research Papers Archive23

1.057 Items

RESÜMEE

In zehn Schlaglichtern wurden im vorliegenden Beitrag jeweils Themen in

den Mittelpunkt gerückt, die in der aktuellen Auseinandersetzung um OAP oft

vernachlässigt werden.

• Besonders bemerkenswert an der internationalen OA-Diskussion ist das Netzwerk

aus Institutionen und Experten, die als Träger von Initiativen und Projekten,

als Kongressveranstalter, als Autoren in Fachpublikationen und Weblogs OAP

fördern.

• Auf nationaler Ebene ist festzustellen, dass sowohl die Entwicklung der „Gold

Road to OA“ als auch der „Green Road to OA“ in Österreich, abgesehen von

Unterstützungserklärungen offizieller Stellen31, kaum thematisiert wird. Es

fehlen fundierte Untersuchungen, wie sie etwa auf Initiative des Scientif ic and

Technology Committee des House of Commons für Großbritannien32, der DFG für

Deutschland33 und der Europäischen Kommission für die Europäische Union34in

Auftrag gegeben worden sind.

Fragestellungen, wie „Open Access – Sackgasse oder Königsweg?“35 oder „Open Access

– Modetrend oder Paradigmenwechsel“36 können noch nicht endgültig beantwortet

31 Bruno Bauer: Open Access Publishing – Irrweg oder Ausweg aus der Zeitschriftenkri-

se. In: Online Mitteilungen, 81, (2005), 10–18.

32 House of Commons, Science and Technology Committee. Scientifi c Publications: Free

for all? Tenth Report of Session 2003–04. Vol I: Report. HC 399-I. 20 Juli 2004, URL:

http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200304/cmselect/cmsctech/399/399.pdf.

33 Albert Over, Friedhelm Maiworm, Andre Schelewsky: Publikationsstrategien im

Wandel – Ergebnisse einer Umfrage zum Publikations- und Rezeptionsverhalten unter

besonderer Berücksichtigung von Open Access, Studie. Bonn, Weinheim 2005.

34 Mathias Dewatripont et al.: Study of the economic and technical evolution of the

scientifi c publication markets in Europe: fi nal report. Commissioned by DG-Research,

European Commission. Brussels: European Commission, Directorate General for

Research, Information and Communication Unit. Jänner 2006, URL: http://www.gbv.

de/du/services/gLink/2.1/514159847/999/; http://ec.europa.eu/research/science-soci-

ety/pdf/scientifi c-publication-study_en.pdf.

35 Titel einer Veranstaltung von Forum Zeitschriften/GeSIG im Rahmen der Frankfurter

Buchmesse 2004, URL: http://www.gesig.org/gesig/deu/bild/Frankfurter_Buchmesse.pdf.

36 Ulrich Korwitz: Open Access – Modetrend oder Paradigmenwechsel. In: Deutsche

Zahnärztliche Zeitschrift, 60 (2005) 2, 65.

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werden, auch wenn von Einzelnen ein Ende der OAP-Diskussion bereits eingefordert

wird.37 In der nächsten Phase der OAP-Diskussion gilt es, die vielen ungeklärten

Detailfragen zu OAP, die z.T. auch im vorliegenden Beitrag ins Schlaglicht gestellt

worden sind, zu beantworten.

37 Rafael Ball: Green Road – Golden Road: Open Access – Th e Road to Hell? In: B.I.T.

online, 9 (2006) 2, 125–129.

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INTERACTIVE OPEN ACCESS PUBLISHING ZUR VERBESSERUNG WISSENSCHAFTLICHER KOMMUNIKATION UND QUALITÄTSSICHERUNG

ULRICH PÖSCHL

Die traditionellen Formen von Publikation und Fachbegutachtung werden den

Anforderungen effizienter Kommunikation und Qualitätskontrolle im zunehmend

diversifizierten und rasch fortschreitenden Wissenschaftsbetrieb unserer Zeit nicht

gerecht. Spektakuläre Betrugsfälle sind nur die Spitze eines Eisbergs von Problemen,

die aus einer Flut entbehrlicher, mit mangelnder Sorgfalt erstellter und fehlerhafter

Veröffentlichungen entstehen.1 Im Gegensatz zu landläufigen Missverständnissen

stellt der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen (Open Access) keine

Bedrohung für das derzeit praktizierte, wenig effiziente und zunehmend überforderte

System wissenschaftlicher Qualitätssicherung dar, sondern bietet vielmehr die

Grundlage und vielfältige Möglichkeiten für dringend nötige Verbesserungen2.

Im traditionellen Publikationswesen erfolgt die Fachbegutachtung unter Kollegen

(Peer Review) in einem nicht-öffentlichen Verfahren, und der Zugang zu

wissenschaftlichen Publikationen, die größtenteils aus öffentlich finanzierten Projekten

stammen, ist nicht nur für die zahlende Öffentlichkeit, sondern auch für Gutachter

limitiert. An den Universitäten und Forschungseinrichtungen in Deutschland und

weltweit ist jeweils nur ein Bruchteil der gesamten wissenschaftlichen Literatur frei

zugänglich.

Dem entgegen bietet Open Access umfassenden Informationszugang für Gutachter

und Kollegen, ermöglicht eine gemeinschaftliche Fachbegutachtung (Collaborative

Peer Review) und erleichtert die Neu- bzw. Weiterentwicklung statistischer

Qualitätsindikatoren3. Die Vorteile von Open Access und Collaborative Peer Review

1 Ulrich Pöschl: Interactive journal concept for improved scientifi c publishing and qual-

ity assurance. In: Learned Publishing, 17 (2004), S. 105–113, URL: www.copernicus.

org/EGU/acp/poeschl_learned_publishing_2004.pdf.

2 Ian Baldwin et al.: Statement of the Quality Assessment Working Group. Conference

on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities. Berlin 2003, URL:

www.zim.mpg.de/openaccess-berlin/Schutz-QualityAssessment.pdf.

3 Ulrich Pöschl: Collaborative Peer Review and Quality Assurance. E-Journal Summit.

National Academy of Sciences. Washington DC 2006, URL: www.copernicus.org/

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lassen sich effizient und flexibel mit den Stärken des traditionellen Publikationswesens

und Peer Review verbinden. Dies demonstrieren die erfolgreiche interaktive Open

Access Fachzeitschrift Atmospheric Chemistry and Physics (ACP, www.atmos-chem-

phys.org) und eine wachsende Zahl von Schwesterjournalen der European Geosciences

Union (EGU, www.egu.eu), die von einem internationalen, weltweit verzweigten

Netzwerk von Editoren herausgegeben werden.

Diese Zeitschriften praktizieren einen zweistufigen Publikationsprozess mit

öffentlichem Peer Review und interaktiver Diskussion. In der ersten Stufe werden

Manuskripte, die eine rasche Vorauswahl (Access Review) durch die Editoren

passieren, sofort als „Discussion Paper“ im Online-Diskussionsforum des Journals

(Atmospheric Chemistry and Physics Discussions, ACPD) veröffentlicht. Dort werden

auch die Kommentare bestellter Fachgutachter, zusätzliche Kommentare anderer

interessierter Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft und die Antworten der

Autoren publiziert. Dabei haben die bestellten Fachgutachter die Möglichkeit, anonym

zu bleiben. In der zweiten Stufe werden Überarbeitung und Fachbegutachtung der

Manuskripte auf die gleiche Weise komplettiert wie in traditionellen Zeitschriften –

wenn nötig unter Iteration von Revision und Begutachtung. Erst wenn die Editoren

ein revidiertes Manuskript akzeptieren, wird dieses als „Final Paper“ im Journal

veröffentlicht. Zur dauerhaften Dokumentation des wissenschaftlichen Diskurses

ist auch das Diskussionsforum ISSN-registriert, und alle Discussion Papers und

Kommentare bleiben permanent archiviert und individuell zitierfähig, unabhängig

davon, ob entsprechende Final Papers angenommen und im Journal publiziert

werden4.

Der interaktive Zweistufenprozess löst das Dilemma zwischen rascher Kommunikation

und gründlicher Qualitätskontrolle. Es fördert die wissenschaftliche Diskussion und

bietet allen Beteiligten (mit Ausnahme von Autoren mangelhafter Manuskripte)

Vorteile gegenüber dem traditionellen Verfahren von Veröffentlichung und Peer

Review (All-Win Situation).

EGU/acp/Poeschl_EJournalSummit_Washington2006.pdf; ders.: Open Access, Public

Peer Review and Interactive Discussion for Improved Scientifi c Communication &

Quality Assurance. IFQ-DFG-WZB Workshop Peer Review Revisited. Berlin 2006,

URL: www.copernicus.org/EGU/acp/Poeschl_IFQ_DFG_WZB_Berlin_2006.pdf.

4 Ulrich Pöschl: Interactive journal concept for improved scientifi c publishing and qual-

ity assurance, a. a. O.; Th omas Koop, Ulrich Pöschl: An open, two-stage peer review

journal. In: Nature Web Debate on Peer Review 2006. (URL: www.nature.com/nature/

peerreview/debate/nature04988.html.

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1) Die Discussion Papers ermöglichen den Autoren freie Rede und rasche Verbreitung

neuer Ergebnisse und bieten den Lesern aktuellste Information nahezu direkt

vom Urheber. Zwischen Einreichung eines Manuskripts und Veröffentlichung

im Diskussionsforum vergehen planmäßig nur wenige Tage. Die Minimalzeiten

von ACPD liegen bisher bei einer Woche (inkl. Access Review, Typesetting und

Proofreading), weitere Verkürzungen sind durch technische Fortschritte in der

Manuskript verarbeitung zu erwarten.

2) Der öffentliche Peer Review mit interaktiver Diskussion bietet den Autoren

hochwertiger Manuskripte öffentliche Anerkennung und direkte Rückmeldungen

aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft, was erfahrungsgemäß insbesondere

von Studenten und Nachwuchsforschern hoch geschätzt wird. Das öffentlich

dokumentierte Begutachtungsverfahren schützt die Autoren zudem vor

versteckten Behinderungen und Plagiarismen durch Konkurrenten. Tatsächlich

wird ACP bzw. ACPD bevorzugt zur Veröffentlichung besonders aktueller und

innovativer Studien genutzt.

3) Den Fachgutachtern bietet das öffentliche Verfahren die Genugtuung, dass

ihre Meinung und Beiträge sichtbar und nachhaltig dokumentiert werden.

In aufwändiger Arbeit verfasste Kommentare, Anregungen und Kritikpunkte

stehen der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung und

werden nicht nur von Editoren und Autoren genutzt (oder missachtet). Je nach

Wunsch können Gutachter die Autorenschaft für ihre zitierfähigen Kommentare

namentlich geltend machen oder aber ihre Anonymität wahren. Die Möglichkeit

zur Wahrung der Anonymität ist mitunter zur Vermeidung persönlicher Konflikte

erforderlich sowie zum Schutz der Gutachter vor potentiell rufschädigenden

Fehleinschätzungen, die im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit nicht nur

aufgrund naturgemäß limitierter Kompetenz/Kenntnisse, sondern auch durch

Überlastung und Zeitmangel auftreten können (wichtige grundlegende Fragen

können sich manchmal als „dumme Fragen“ herausstellen und umgekehrt). Bei

etwa der Hälfte der rund zweitausend bisher in ACPD abgegebenen öffentlichen

Gutachter-Kommentare bevorzugten die internationalen Fachgutachter (mehrere

Hundert Wissenschaftler weltweit) ihren Kommentar anonym zu publizieren,

obwohl auch die kritischen Kommentare zumeist sehr kompetent und konstruktiv

verfasst sind. Interessanterweise war die Bereitschaft zur Aufgabe der Anonymität

bei Modellierern generell größer (ca. 2/3) als bei Experimentatoren (ca. 1/3).

4) Der Zugang zu den Kommentaren anderer Gutachter und interessierter

Wissenschaftler in der öffentlichen Diskussion bietet dem einzelnen Fach-

gutachter zusätzliche Ansatzpunkte und die Möglichkeit, durch Zustimmung

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zu bereits geäußerten Punkten eigene Formulierarbeit zu sparen und sich auf

ergänzende Aspekte zu konzentrieren. Andererseits liegt es in der Natur aktiver

Wissenschaftler (und kommt in ACPD häufig vor), dass Gutachter und andere

interessierte Wissenschaftler die Kommentare ihrer Kollegen hinterfragen und

relativieren bzw. diesen widersprechen.

5) Von der Offenlegung und Dokumentation kontroversieller Fragen und Argumente

profitieren interessierte Leser ebenso wie von der Ergänzung der Discussion Papers

durch komplementäre Fachinformationen und Bewertungen in unterstützenden

und kritischen Kommentaren. Die Gesamtseitenzahl interaktiver Kommentare,

die von Gutachtern, Autoren und anderen interessierten Wissenschaftlern

in ACPD publiziert werden, beträgt mehr als 1/3 der Gesamtseitenzahl der

Discussion Papers (durchschnittlich 4 Kommentare/Paper; bisheriges Maximum:

17 Kommentare/Paper). Die meisten Kommentare sind nicht weniger interessant

als die Originalveröffentlichung und bieten einen Fundus an wertvollen

Hintergrund- und Begleitinformationen, die in traditionellen Fachzeitschriften

nicht verfügbar waren. Sämtliche Rückmeldungen bestätigen, dass Leser von

ACP bei Veröffentlichungen, die ihre eigene Forschungsarbeit betreffen, praktisch

immer auch an den Gutachterkommentaren und der interaktiven Diskussion in

ACPD sehr interessiert sind.

6) Die Transparenz der Begutachtung wirkt abschreckend gegen die Einreichung

mangelhafter Originalmanuskripte, da Autoren öffentlich die Verantwortung

dafür übernehmen müssen und mangelnde Sorgfalt bei der Verfassung von

Manuskripten nicht unter missbräuchlicher Ausnutzung der Arbeitskapazität von

Fachgutachtern kompensieren können. Die daraus resultierende Verringerung

von Korrekturbedarf und Ablehnungshäufigkeit von Manuskripten trägt

substantiell zur Schonung der verfügbaren Fachgutachter-Kapazitäten bei, die

zu den meistlimitierten Ressourcen im wissenschaftlichen Publikationswesen

gehören. In der Tat liegt die Ablehnungsquote von ACP bei nur etwa 10%,

während die Ablehnungsquoten vergleichbarer Fachzeitschriften mit ähnlich

hohen Qualitätsansprüchen typischerweise bei 50% liegen.

7) Die Final Papers, welche schließlich aus dem zweistufigen gemeinschaftlichen

Begutachtungsprozess (Collaborative Peer Review) hervorgehen, bieten

den Lesern maximale Qualitätssicherung (Kombination von traditionellem

Peer Review mit interaktiver öffentlicher Diskussion) und maximale

Informationsdichte (Einarbeitung der Kommentare von Gutachtern ebenso wie

von anderen interessierten Wissenschaftlern). Höchste Sichtbarkeit, Qualität

und Anerkennung der in ACP publizierten Final Papers werden sowohl durch

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die Reputation des Journals innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft als

auch durch Zitierstatistiken bestätigt.

Aufgrund der genannten Vorteile gegenüber traditionellen Journalen konnte ACP

innerhalb von nur fünf Jahren an die Spitze aller Zeitschriften seines Fachgebiets

vorstoßen. Laut Journal Citation Report 2005 des Institute of Scientific Information

(ISI) hat ACP den höchsten Journal-Impact-Factor aller 47 Journale des Fachbereichs

„Metorology and Atmospheric Sciences“ und einen der zehn höchsten Werte

unter den mehr als 250 Journalen der Fachbereiche „Environmental Sciences“ und

„Geosciences“. Angesichts dieses Erfolgs haben die EGU und ihr wissenschaftlicher

Dienstleister bzw. Verlag Copernicus (www.copernicus.org) in den vergangenen

Jahren bereits vier neue interaktive Open-Access-Zeitschriften mit Collaborative

Peer Review gestartet, die sich ähnlich erfolgreich entwickeln (Biogeosciences, Climate

of the Past, e-Earth, Ocean Science), und eine bereits zuvor existierende Zeitschrift auf

das neue Konzept umgestellt (Hydrology and Earth System Sciences). Der Neustart

bzw. die Umstellung weiterer geowissenschaftlicher Fachzeitschriften nach diesem

Muster ist in Vorbereitung.

Das interaktive Open-Access-Publikationskonzept (Interactive Open Access

Publishing) wurde mittlerweile auch in andere wissenschaftlichen Disziplinen

übertragen (z.B. in Biotechnologie und Ökonomie) und kann flexibel sowohl auf

existierende Fachzeitschriften angewandt als auch auf großskalige Open-Access-

Publikationssysteme (z.B. arXive.org) ausgedehnt werden.5

Daher erscheint es nicht nur wünschenswert, sondern auch realistisch, dass die

öffentliche Fachbegutachtung mit interaktiver Diskussion (Collaborative Peer

Review) sich bereits in naher Zukunft zum Standard der Qualitätssicherung im

wissenschaftlichen Publikationswesen entwickelt, und die traditionelle, nicht-

öffentliche Fachbegutachtung (Peer Review) in dieser Rolle ablöst.

Einführung und Verbreitung von Open Access und Collaborative Peer Review

dienen nicht nur der Verbesserung von wissenschaftlicher Kommunikation und

Qualitätssicherung, sondern lassen darüber hinaus eine substantielle Förderung

und Beschleunigung des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts

erwarten. Sie bieten die Grundlage zur effizienten Nutzung, Mehrung, und

Aufrechterhaltung wissenschaftlicher Information als globales Gemeingut (Global

5 Ulrich Pöschl: Collaborative Peer Review and Quality Assurance. E-Journal Summit.

National Academy of Sciences, a.a.O.; ders: Open Access, Public Peer Review and Inter-

active Discussion for Improved Scientifi c Communication & Quality Assurance), a.a.O.

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Information Commons)6. Zudem kann und soll das Konzept gemeinschaftlicher

und öffentlicher Begutachtung, Diskussion und Dokumentation als Musterbeispiel

für rationale und transparente Verfahren zur Lösung komplexer Fragen, Probleme

und Auseinandersetzungen dienen, d.h. als Modell für die Weiterentwicklung der

Strukturen, Mechanismen und Prozesse von Kommunikation und Entscheidungs-

findung in Gesell schaft und Politik.

Um die genannten Perspektiven möglichst rasch und umfassend zu realisieren, sind

für Institutionen der Wissenschaftspolitik, -förderung und -administration folgende

Maßnahmen angezeigt:

1) Sicherstellung des freien Zugangs (Open Access) zu Publikationen aus öffentlich

geförderten wissenschaftlichen Projekten durch verpflichtende Regelungen für

Förderungsempfänger.

2) Unterstützung von Autoren und Verlagen/Dienstleistungsunternehmen bei

der Implementierung von Open Access, insbesondere durch Umwandlung von

Subskriptions-Budgets öffentlicher Forschungs- und Bildungseinrichtungen in

Fonds zur Deckung von Open-Access-Publikationskosten (z.B.: Subskriptions-

Budget-Umwidmungen von 20–30% pro Jahr; Publikationskosten-Deckung

von 2000,-- pro Jahr und Wissenschaftler in öffentlichen Forschungs-

einrichtungen; Bereitstellung zusätzlicher Publikationsmittel im Rahmen von

Forschungsprojekten und Entwicklungshilfemaßnahmen).

3) Förderung und Forderung verbesserter Qualitätssicherungs- und Evaluierungs-

methoden im Wissenschaftsbetrieb, insbesondere durch öffentliche Begutachtung

und interaktive Diskussion (z.B.: Erfassung und höhere Bewertung von

Publikationen mit öffentlicher Begutachtung gegenüber solchen mit nicht-

öffentlicher oder ohne Begutachtung; Implementierung von Diskussionsforen

in neuen und existierenden Fachzeitschriften; Weiterentwicklung von

Zitierstatistiken und Ergänzung durch Kommentierungsstatistiken; Unterstützung

und Anerkennung von Gutachtertätigkeiten).

6 P. A. David, P. F. Uhlir: Creating the Information Commons for e-Science: Toward

Institutional Policies and Guidelines for Action. Paris 2005, URL: www.codataweb.

org/UNESCOmtg/proceedings1.html.

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DIE AUTORINNEN UND AUTOREN

Thomas Aigner, Dr. phil, Studium der Musikwissenschaft in Wien, seit 2000 Lei-

ter der Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus.

Stefan Alker, Mag. phil., Studium der Germanistik in Wien, Universitäts-

bibliothek Wien, Projekt Provenienzforschung.

Roland Alton-Scheidl, DI Dr. techn., Studium der Informatik und Medienkunst,

seit 2003 an der Fachhochschule Vorarlberg, Leitung der Studiengänge Medien-

gestaltung und InterMedia, Leiter des Kompetenznetzwerks Mediengestaltung,

F & E-Koordination.

Manfred Antoni, Dr. rer. pol., Studium der Betriebswirtschaftslehre und der

Soziologie in Mannheim und Göttingen, bis März 2007 Geschäftsführer John

Wiley & Sons GmbH.

Monika Bargmann, Mag. (FH), Bibliothekarin und wissenschaftliche Assistentin

am Fachhochschulstudiengang Informationsberufe in Eisenstadt.

Bruno Bauer, Mag. phil, Studium der Geschichtswissenschaften in Wien,

Leiter der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien,

Chefredakteur von GMS Medizin – Bibliothek – Information.

Michaela Brodl, Mag. phil., Studium der Volkskunde und Kunstgeschichte

in Wien, Leiterin des Archivs des Österreichischen Volksliedwerkes sowie der

Arbeitsgruppe „Digitalisierung von analogen Tondokumenten“ der

Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.

Stephan Büttner, Diplom-Physiker, Dr. phil., Prof., Studium der Physik,

Professor für Digitale Medien an der Fachhochschule Potsdam, Fachbereich

Informationswissenschaften.

Olaf Eigenbrodt, M.A., MA (LIS), Studium der Neuen Deutschen

Philologie, Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Bochum und

Münster, seit 2005 Baureferent der Universitätsbibliothek der Humboldt-

Universität zu Berlin, Lehrbeauftragter am Institut für Bibliotheks- und

Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Christian Enichlmayr, Dr. phil., Studium der Kommunikationswissenschaften und

Psychologie in Salzburg, seit 1999 Leiter der Oberösterreichischen

Landesbibliothek.

Sebastian Eschenbach, Prof. (FH) Mag. Dr. rer. soc. oec., Dr. rer. nat.,

Studium der Betriebswirtschaft und Psychologie in Wien und Klagenfurt, Leiter

des Bachelor-Studiengangs Informationsberufe und des Master-Studiengangs

Angewandtes Wissensmanagement an der Fachhochschule in Eisenstadt.

Susanne Eschwé, Dr. phil., Studium der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte

in Wien, Leiterin der Universitätsbibliothek der Universität für Musik und dar-

stellende Kunst in Wien.

Arnd Frederichs, Dipl.-Ing. (FH), Studium der Verlagsherstellung in Leipzig,

Brockhaus Duden Neue Medien GmbH, Mannheim, Produktmanager.

Gabriele Fröschl, Dr. phil., Studium der Geschichte in Wien, Österreichische

Mediathek, Metadatenerfassung und Benutzung, Webprojekte, Projektplanung.

Winfried Gödert, Prof. Dipl.-Math., Studium der Mathematik und Physik

in Dortmund, Fachreferent an der Universitätsbibliothek Kaiserslautern,

Lehrtätigkeit an den Fachhochschulen Hamburg und Köln.

Joachim Griesbaum, M.A., Dipl.Inf.-Wiss., Studium der Politikwissenschaft,

Finanzwissenschaft und Geschichte in Freiburg im Breisgau, Studium der

Informationswissenschaft in Konstanz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am

Lehrstuhl Informationswissenschaft an der Universität Konstanz.

Heimo Gruber, Bibliothekar der büchereien wien, Koordinator des „Arbeitskreises

kritischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare im Renner-Institut (KRIBIBI)“.

Jürg Hagmann, lic. Phil. I, Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und

Staatsrecht in Bern, Novartis Basel, Global Records Manager.

Manfred Hauer, M.A., Dipl.Inf.-Wiss., AGI – Information Management

Consultants, Neustadt/Weinstraße.

Markus Heindl, derzeit Studium Lehramt Informatik und Informatikmanage-

ment und Psychologie, Philosophie und Pädagogik an der Universität Wien, seit

2002 Universitätsbibliothek für Bodenkultur in Wien.

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Wilhelm Hilpert, Dr. rer. nat., Studium der Chemie in München, Bayerische

Staatsbibliothek, Leiter der Abteilung Benutzungsdienste.

Ulrich Hohoff, Dr. phil., Mag. art., Studium Neuere Deutsche Philologie, Philo-

sophie und Theaterwissenschaft in München, Universitätsbibliothek Augsburg,

Leiter, stellv. Vors. des Vereins Deutscher Bibliothekare (VDB).

Rainer Hubert, Hofrat Dr. phil., Studium der Zeitgeschichte in Wien, Leiter der

Österreichischen Mediathek des Technischen Museums Wien,

Vorsitzender der „Medienarchive Austria“.

Roman Hummel, Dr. phil., Univ.-Prof., Studium der Kommunikationswissen-

schaft in Wien und Berlin, Leiter der Abteilung Journalistik des Fachbereichs

Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg.

Christian Jahl, seit 2001 Leiter der Hauptbücherei der büchereien wien.

Hans-Christian Jetter, M.Sc., Studium des Information Engineering an der

Universität Konstanz, Universität Konstanz, Projektleiter MedioVis in der

Arbeitsgruppe Mensch–Computer-Interaktion.

Manfred Kammerer, Dr. phil., seit 2003 Leiter der Universitätsbibliothek

Mozarteum in Salzburg.

Adalbert Kirchgäßner, Dipl.-Kfm., Dr. rer. pol., Studium der Betriebswirtschafts-

lehre und Mathematik, Bibliothek der Universität Konstanz, Leiter der

Bearbeitungsabteilung und Erwerbungsleiter.

Andreas Klingenberg, Diplom-Informationswirt (FH), Studium Informations-

management in Hannover, S(kim) Service | Kommunikation Information Medien

der Fachhochschule Lippe und Höxter, Bibliothek Detmold, 2. Vorsitzender des

Vereins INFOKOS – Informationskompetenz für Schüler e. V.

Oliver Kohl-Frey, M.A., Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschafts-

lehre in Mannheim und Florenz, Bibliothek der Universität Konstanz, Fachrefe-

rent für Politik, Verwaltungswissenschaft und Zeitgeschichte, Projektkoordinator

Informationskompetenz.

Christina Köstner, Dr. phil., Studium der Germanistik und Romanistik in Wien

und Turin, Universitätsbibliothek Wien, Projekt Provenienzforschung.

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Thomas Leibnitz, Dr. phil., Studium von Musikwissenschaft und Germanistik in

Wien, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Direktor der Musiksammlung.

Dirk Lewandowski, Prof. Dr., Studium Bibliothekswesen in Stuttgart, Philosophie

und Informationswissenschaft in Düsseldorf, Hochschule für Angewandte Wissen-

schaften Hamburg, Professor für Information Research & Information Retrieval.

Anke Märk-Bürmann, Dipl. Bibliothekarin und Gymnasiallehrerin,

Mitarbeiterin der Akademie für Leseförderung der Stiftung Lesen an

der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover.

Peter Mayr, Mag. (FH), Studium am Fachhochschulstudiengang

Informationsberufe in Eisenstadt, hbz – Hochschulbibliothekszentrum

des Landes Nordrhein-Westfalen, Gruppe Portale.

Günter Olensky, Dr. med. vet., Studium der Veterinärmedizin in Wien,

Leiter des Multimedialen Informations- und Kommunikationszentrums

(MIK – Universitätsbibliothek, Medienzentrum, Zentraler Informatikdienst)

der Veterinärmedizinischen Universität in Wien.

Ulrich Pöschl, Dipl.-Ing. Dr. techn, Studium der Technischen Chemie,

Max-Planck-Institut für Chemie, Forschungsgruppenleiter.

Harald Reiterer, Prof. Dr., Studium der Betriebsinformatik an der Universität

Wien, Habilitation an der Universität Wien im Fachgebiet Mensch–Maschine-

Interaktion, Universität Konstanz, Leiter der Arbeitsgruppe Mensch–

Computer-Interaktion.

Robert Schiller, Mag. phil., Studium der Philosophie und Musikwissenschaft in

Graz, Direktor der Universitätsbibliothek der Universität für Musik und

darstellende Kunst in Graz.

Werner Schöggl, Mag. phil., Lehrer und Leiter der Arbeitsgruppe multimediale

Schulbibliotheken im Auftrag des Unterrichtsministeriums und der Servicestelle

für Schulbibliotheken an AHS am Pädagogischen Institut der Stadt Wien.

Jan Steinberg, Dipl.-Bibl. (FH), Studium der Informations- und Kommunikati-

onswissenschaften, Fachrichtung Bibliothek, Team Digitale Bibliothek im Biblio-

theksservice-Zentrum Baden-Württemberg, Projekte InfoDesk, Portale.

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Markus Stumpf, Mag. phil., Studium der Völkerkunde und Publizistik in Wien,

Universitätsbibliothek Wien, Leiter der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte

und Osteuropäische Geschichte.

Wilfried Sühl-Strohmenger, Dr. phil, Studium der Pädagogik, Politik, Germani-

stik und Geschichte in Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek Freiburg im

Breisgau, Leiter der Dezernate „Bibliothekssystem“ und „Informationsdienste,

Kompetenz- und Lernzentrum“, Lehrtätigkeit an den Universitäten Freiburg,

Innsbruck und Wien.

Margot Werner, Mag. phil., Studium der Geschichte und Deutschen

Philologie in Wien, Österreichische Nationalbibliothek in Wien, Provenienz-

forschung und Archiv.

Helmut Windinger, Dr. phil., Studium der Politikwissenschaft und Kunstge-

schichte in Salzburg, seit 2007 Leiter der Stadtbibliothek Salzburg.

Stefan Winkler, Dipl.Inf.-Wiss., Studium der Informationswissenschaft an der

Universität Konstanz, Graduiertenkolleg „Infrastruktur für den elektronischen

Markt“ an der TU Darmstadt, Team Digitale Bibliothek im Bibliotheksservice-

Zentrum Baden-Württemberg, Projekt InfoDesk.

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