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Mi chael Wies ner Mi chael Wies ner Waldzeit Waldzeit Wälder für Winterthur Wälder für Winterthur

Waldzeit – Wälder für Winterthur

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Eine erste umfassendere Darstellung der Winterthurer Wälder, ihrer Geschichte und ihrer Bedeutung. Neben historischen Betrachtungen kommen im Buch auch aktuelle Fragen zur Sprache. Zum Beispiel: Wie krank ist der Winterthurer Wald wirklich? Oder: Wieviel Wild erträgt unser Wald? Und was heisst eigentlich Naturschutz im Wald?

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Page 1: Waldzeit – Wälder für Winterthur

Michael WiesnerMichael Wiesner

WaldzeitWaldzeitWälder für WinterthurWälder für Winterthur

Page 2: Waldzeit – Wälder für Winterthur

M ichael W iesnerWaldzeit – Wälder für W interthur

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Michael Wiesner

WaldzeitWälder für Winterthur

Naturw issenschaftliche Gesellschaft W interthur

Page 4: Waldzeit – Wälder für Winterthur

StadtwaldWälder für die Stadt 8

KulturwaldSpiegel der Kulturen 24

BuchenwaldIm Reich der Buche 56

EiszeitwaldAuf den Spuren der Eiszeit 78

JagdwaldJagdgründe 84

NaturwaldNaturschutz im Wald 94

ErholungswaldDer Aufschwung beginnt im Wald 108

WanderwaldStreifzüge 116

BlätterwaldLiteraturverzeichnis 128

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HerausgeberNaturw issenschaftliche Gesellschaft W interthur NGW

AutorM ichael W iesner

GestaltungC laude W iesner

KorrektoratSandra Leis

BildnachweisM ichael W iesner: Umschlag, S. 8, 10, 12, 15, 24, 27, 29,33, 39 u., 44 o., 51 u. kl. Bild, 56, 61, 62, 63, 64, 65, 67,68, 69, 70, 71, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 83, 84,87, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102,103, 104, 105, 106, 107, 108, 110, 112, 113, 114, 115,116, 117Bildersammlung Stadtbibliothek W interthur: S. 16, 17, 18,19, 21, 28, 31, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 43, 44 u.,45, 46, 47, 50, 51, 52, 53 o., 54 u., 55 o.Marc Dahinden: S. 55 u.Beat Märki: S. 86

LithosPS-Lasersatz AG , W interthur

DruckPeter Gehring AG , W interthur

© 1997 M ichael W iesner, CH-8404 W interthurNachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.

ISBN 3-9521356-0-7

Wälder für Winterthur

Page 5: Waldzeit – Wälder für Winterthur

Kennen Sie zufällig den Namen des erstenW interthurer Stadtforstmeisters? Nein?Aber vielleicht w issen Sie, wer die W inter-thurer Stadtwälder zeitweise zu einem derweltweit angesehensten Lehr- und For-schungsgebiete gemacht hatte. Und wus-sten Sie auch, dass für die ersten Waldw irt-schaftspläne die landesweit berühmtestenExperten nach W interthur geholt wurden?Oder dass der Wald noch bis weit in unserJahrhundert hinein ein Segen für die Stadt-kasse war?Falls Sie jetzt auf einige schwarze Löcher inihrem Bildungshorizont gestossen sind:Seien Sie getrost. Woher sollten Sie denndie Geschichte unseres Waldes bis in alleDetails kennen? Schliesslich spielen dieW interthurer Wälder in unseren Ge-schichtsbüchern kaum eine Rolle. Undwenn, dann höchstens eine unbedeuten-de. Dabei war ihre Rolle in der Geschichteder Stadt W interthur keineswegs unbe-deutend. Immerhin hingen Gewerbe undBevölkerung der Stadt während Jahrhun-derten am Tropf des Waldes.Diese Abhängigkeit vom Wald und seinenRohstoffen war schliesslich der Grund da -für, dass die W interthurer ihren Waldbesitzwährend Jahrhunderten hegten und pfleg-ten – und ihn ständig vergrösserten.Heute ist W interthur mit rund 39 ProzentWaldanteil die waldreichste Stadt derSchweiz. Grund genug für eine erste um-fassendere Darstellung der W interthurerWälder, ihrer Geschichte und ihrer Bedeu-

tung. Neben historischen Betrachtungenkommen im folgenden auch aktuelle Fra-gen zur Sprache. Zum Beispiel: W ie krankist der W interthurer Wald w irklich? Oder:W ieviel W ild erträgt unser Wald? Und washeisst eigentlich Naturschutz im Wald?Bitte lesen Sie selbst.

Dank

An dieser Stelle danke ich all jenen liebenMenschen, die mir bei der Erarbeitung die-ser Publikation behilflich waren. A llen vor-an meinem Bruder C laude für seine intensi-ve Arbeit an Karten und Gestaltung. Bei derSuche nach historischen Waldbildern stan-den mir Felix Kellermüller und Anna Stiefelvon der Bildersammlung der Stadtbiblio-thek W interthur zur Seite. Für die kritischeDurchsicht des Manuskripts danke ich fer-ner Klaus Felix Kaiser, Hermann Siegerist,Hans Konrad Schmutz, Markus Christen,Peter Lippuner und Reto Gregori. Dankenmöchte ich auch Sandra Leis für die Korrek-turen und allen Firmen und Institutionen,die mit ihrer finanziellen Unterstützung dieHerausgabe dieses Buches ermöglicht ha-ben.Besonderer Dank gebührt schliesslich mei-ner Frau Marianne und meinen KindernM ichi, Valentin und Simon für ihre Geduldund ihre Begleitung auf meinen unzähli-gen Waldspaziergängen.

M ichael W iesner

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Vorwort

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W interthur ist die waldreichste Stadt derSchweiz. Statistisch gesehen ist hier mehrals jeder dritte Quadratmeter mit Wald bedeckt. Oder anders ausgedrückt: DerWald beansprucht fast 39 Prozent desW interthurer Stadtgebiets. Dieser Wald-anteil ist hoch. Das bestätigt ein Blick überdie Stadtgrenzen hinaus: Der durchschnitt-liche Waldanteil im Kanton Zürich liegtbei 28 Prozent. Im Schweizer M ittellandliegt er noch tiefer, nämlich bei rund 24Prozent.In W interthur leben heute rund zehnmal soviele Bäume w ie Menschen. Die Wäldernehmen flächenmässig mehr von der Stadtein als alle Gebäude, Plätze und Strassenzusammen – mehr demnach als das, wasdie Stadt eigentlich zur Stadt macht. Damitkann W interthur landschaftlich gesehen

auch ohne See jeder anderen SchweizerStadt das Wasser reichen. A llein die Flächedes W interthurer Waldes ist grösser als derganze Walensee und mithin so gross, dassdarauf andere Städte – zum Beispiel Genfoder Basel – bequem Platz hätten.Eindrücklich auch eine andere Zahl: Würdeman alle Waldränder in W interthur anein-anderreihen, käme man auf eine Gesamt-länge von 130 Kilometern – das ist mehr alsdie ganze Länge der Thur.

Vom Wald geprägt

Der Wald prägt die W interthurer Land-schaft – eine Landschaft, die sich in diesemJahrhundert so schnell und so radikal ver-ändert hat w ie nie zuvor. Die Stadtvereini-gung 1922, später der W irtschaftsauf-

Wälder für die Stadt

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schwung und das damit verbundene Be-völkerungswachstum führten zu tiefgrei-fenden Veränderungen der Landschafts-struktur: Das Siedlungsgebiet breitete sichaus, Grünflächen verschwanden, und ab-wechslungsreiche Naturräume w ichen As-phaltwüsten und Agrarlandschaften. Das

Niederfeld in Wülflingen zum Beispiel –einst ein vielfältiger Flussraum – gehörtheute zu den an Naturwerten ärmstenLandschaftsräumen der Stadt. Oder dasGebiet nördlich von Hegi: Diese Landschaftist heute vollständig ausgeräumt und aufindustriellen Ackerbau getrimmt.

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Im Zweiten Weltkrieg gerodet: Das Hardholz… …und das zu Hegi gehörende Stahlhölzli

Die Landschaft nördlich von Hegi ist heute vollständig ausgeräumt und arm an Naturwerten

Waldgebiete in W interthur

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der grösste der W interthurer Wälder aus:der Eschenbergwald. Den Abschluss imOsten bilden der Etzbergwald und der Hul-men. Und ganz im Westen der Stadt liegtder Beerenbergwald.Grössere Waldgebiete bedecken zudemdie Talflanken des Dättnau sow ie denBrüelberg und den Wolfensberg. Danebenfinden sich Wälder nördlich von Stadel, ander Grenze zu Zell (Schartegg) und schliess-lich nördlich der Wallrüti in Oberw interthur(Schoren).

Wem gehört der Winterthurer Wald?

Von den rund 26,3 QuadratkilometernW interthurer Waldfläche gehören nahezu16,8 Quadratkilometer – also mehr als dreiFünftel – der Stadt W interthur. Sie besitztneben den zahlreichen Wäldern auf demStadtgebiet auch mehrere Waldgebiete imTösstal: am Kümberg in Turbenthal (1,8Quadratkilometer) und im Gebiet Hornsä-

ge südlich der Rämismühle in der Gemein-de Zell (0,28 Quadratkilometer).Fünf Waldgebiete in W interthur gehörendem Kanton Zürich; sie umfassen eine Flä-che von insgesamt 2,3 Quadratkilometern:Zu den Staatswäldern gehören ganz oderteilweise die Waldgebiete Orbüel, Höh-wald und Holzhuser auf dem Hegiberg, dasGebiet Ebnet in Töss, das Niesenbergholzgegen Kemptthal und eine grössere Flächezw ischen Rossberg und Eschenberg (Bann-halden). Die Staatswälder sind direkt derStaatsforstverwaltung unterstellt.Schliesslich besitzt auch der Bund – genau-er: die SBB – eine Hektare* Wald auf W in-terthurer Stadtgebiet.Die Holzkorporation Oberw interthur kauf-te 1832 dem Kanton Zürich den nordöstli-chen Teil des Lindbergwaldes und etwa 60Hektaren Wald in Ricketw il (Andelbach)

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Immerhin konnten die Wälder dem Druckder Landw irtschaft und der Siedlungsge-biete bis heute weitgehend w iderstehen –allerdings nicht aus eigener Kraft, sonderndank fortschrittlicher Forstgesetze und ei-ner weitsichtigen Bodenpolitik der Stadt.Seit rund 150 Jahren hat sich an der Flächeund der Verteilung der W interthurer Wäl -der wenig geändert. Auf der W ildschenKarte aus der M itte des letzten Jahrhun-derts ist aber zu sehen, dass einige bedeu-tende Waldgebiete erst seit Erscheinen die-ser Karte entstanden oder verschwundensind: Im Leisental oder auf dem Etzberg zumBeispiel dehnten sich vor 150 Jahren an

Stelle der heutigen Wälder noch grössereA c k e r- und Weideflächen aus. Andere r s e i t swar damals die Tössebene in der Mühlaubei Sennhof viel stärker bewaldet als heu-te. Und für die Anbauschlacht im ZweitenWeltkrieg fielen ein grösseres Waldgebietin Wülflingen (Hardholz) und ein kleineresin Hegi (Stahlhölzli) der Axt zum Opfer.Heute umgeben acht grosse Wälder dasW interthurer Siedlungsgebiet (siehe KarteSeite 11). So verschieden diese Waldgebie-te sind, eines haben sie gemeinsam: Sie lie-gen auf Hügeln. Im Norden der Stadt liegtder Lindbergwald. Ihm gegenüber, im Sü-den zw ischen Seen und Töss, dehnt sich

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Wälder bestimmen das Landschaftsbild um Seen: Eschenbergwald (vorne) und Etzbergwald (hinten)

* 1 Quadratkilometer (km2) = 100 Hektaren (ha) =10000 Aren (a) = 1000000 Quadratmeter (m 2)

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W interthur unter anderen auch die WälderEschenberg und Lindberg. A ls 1264 GrafHartmann, der letzte Kyburger Graf, ohneNachkommen starb, fiel das ganze Erbe anseine Schwester, die mit einem Habsburgerverheiratet war. Noch im selben Jahr er-neuerte Graf Rudolf von Habsburg, einNeffe des verstorbenen Kyburger Grafen,das W interthurer Stadtrecht. Dadurch ka-men die W interthurer zum endgültigenNutzungsrecht für den Eschenbergwald.Sie konnten den Eschenbergwald zwarauch früher nutzen, doch bis zur Erneue-rung des Stadtrechts schuldeten sie derObrigkeit dafür eine Abgabe. Ganz andersdie Bauern: Sie konnten seit je ihren Eigen-bedarf unentgeltlich aus den Wäldern derHerrschaft decken. Der neue Stadtbriefräumte dieses Recht allen Bürgerinnen undBürgern der Dorfgemeinde Niederw inter-thur ein. Nun konnten auch sie nach Belie-ben den Eschenbergwald plündern: Holzschlagen, das Vieh weiden lassen oderStreue und Futter sammeln – alles ganzumsonst. Das Jagdrecht indes behielt Ru-dolf von Habsburg – ab 1273 deutscherKönig – für sich.Im Stadtrechtsbrief von 1264 heisst es:«Item der wald genant Eschaberg sol mitdem gemeinen rëchte, daz ze tütsch ge-nëmt w irt gemeinmerch, von nun an für-bass hin in den brûch der genanten stat val-len; in zîlen und marchen, gerëchtigkeitenund burdinen, w ie die bishin von altem hërkunt sint.»Diese Bestimmung war klar: Der Eschen-berg soll in alle Zukunft gemeinmerch – ge-meine Mark oder im weiteren Sinne A ll-mend – der Stadt W interthur sein, das

ab. Diese Waldgebiete waren bis dahin mitNutzungsrechten der Bürger von Oberw in-terthur belastet. Später vergrösserte dieHolzkorporat ion ihren Waldbesitz durchAnkäufe auf die heutige Fläche von 152Hektaren.Der 1836 gegründeten HolzkorporationHegi gehört das 19 Hektaren grosse Wald-stück Schönholz an der Grenze zu W iesen-dangen. Ebenfalls 19 Hektaren umfasstdas am westlichen Wolfensberghang gele-gene Waldgebiet Chilenholz. Seit 1844 istdie Kirchgemeinde Wülflingen vollrechtli-che Eigentümerin dieses Waldgebiets.

Zahlreiche Privatwaldbesitzer

W ie die Gemeindewälder entsprangenauch die Korporationswälder dem Ge-meinschaftswald der traditionellen bäuerli-chen Nutzungsgemeinde. Das Gesetz stelltdie Gemeinde- und Korporationswälderauf die gleiche Stufe. Das heisst: Auch dieHolzkorporationen müssen einen Försterwählen, W irtschaftspläne erarbeiten unddem zuständigen Kreisforstmeister desKantons regelmässig Bericht erstatten. Ne-ben der Stadt, dem Kanton und den Korpo-rationen nennen noch einige hundert Pri-vatpersonen ein mehr oder weniger gros-ses Stück W interthurer Wald ihr eigen.Für Spaziergänger oder Jogger sind die Be-sitzverhältnisse unerheblich. Wem auchimmer ein Stück Wald gehört: A lle dürfenes betreten und darin w ild wachsende Bee-ren pflücken und Pilze* sammeln. Einzig

Gebiete, die zum Schutz des Jungwuchsesrespektive aus Sicherheits- oder aus Natur-schutzgründen abgesperrt sind, dürfennicht betreten werden.

Wurzeln im 13. Jahrhundert

Das grösste zusammenhängende Waldge-biet in der Stadt W interthur ist der Eschen-bergwald. Seine Ausdehnung beträgt heu-te rund 7,6 Quadratkilometer.Auf dem Eschenberg wachsen Eschen; da-her der Name dieses Waldgebietes. Die er-ste Behauptung stimmt, die zweite nichtunbedingt. Zwar könnte durchaus die alt -hochdeutsche Bezeichnung ask (Esche) n a-mengebend gewesen sein. Ebenso könntenaber auch die althochdeutschen Begriffeezzisc (Saatfeld; Ort des Ackerbaus) oderasca (Asche; Rodung durch Feuer) zum Na-men Eschenberg geführt haben. A lle dreiErklärungen ergäben einen Sinn.Der Eschenbergwald bildet historisch gese-hen das Fundament der W i n t e rt h u rer Stadt-waldungen, der Wälder also, die heute derStadt W i n t e rthur gehören . In den Ge-schichtsbüchern taucht der Eschenbergschon früh auf; bereits 1246 wurde derAschaberk urkundlich erwähnt. Unter demGesichtspunkt der Besitzverhältnisse lie-gen die Wurzeln der W interthurer Stadt-wälder also im 13. Jahrhundert. Damalskam die Stadt zwar noch nicht in den Be-sitz dieses Waldgebietes, doch immerhinzum unbestrittenen Nutzungsrecht.Die Kyburger, eines der grossen Herrscher-geschlechter des 13. Jahrhunderts, domi-nierten damals die Region um W interthur,und ihnen gehörten als Stadtherren von

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* Pilzschontage im Kanton Zürich: erster bis zehnter je-des Monats

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unbedeutende Jagdrecht der Obrigkeit.Nur die Höfe blieben vorerst Eigentumfremder Vögte.

Landwirtschaft statt Wald

Der Eschenbergwald war im M ittelalterkleiner als heute. Eigentliche Rodungswel-len hatten den Wald vielerorts weggefegtund ausgedehntes Acker- und Weidelandhinterlassen. Auf der Landkarte von Jo-hann Conrad Gyger aus dem Jahre 1660sind die grossen waldfreien Gebiete aufdem Eschenberg noch deutlich zu sehen.Damals war der Eschenberghof nicht w ie

heute vollständig von Wald umgeben, son-dern mit dem nicht mehr bestehenden HofHäsental bei Sennhof durch Kulturland ver-bunden. Dieses Landw irtschaftsgebiet warmehr als doppelt so gross w ie die heutigeWaldlichtung. Auch die heute bewaldetenTäler Häsental und Leisental waren bis M it-te des letzten Jahrhunderts landw irtschaft-lich genutzte Gebiete.Zug um Zug kaufte die Stadt die zur Kyburgund später zur Stadt Zürich gehörendenHöfe auf dem Eschenberg auf. Diesenstand bis dahin noch immer das Recht zu,im Eschenbergwald zu holzen und ihre Tie-re weiden zu lassen. Von diesen Einschrän-

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heisst gemeines, unverteiltes Gut, das denGesamtinteressen dient. Zu deren Schutzerliess die Stadt Verordnungen: Wer dage-gen verstiess, wurde bestraft.A llerdings war die Stadt nicht alleinigeNutzniesserin des Eschenbergwaldes. Zahl-reiche M itnutzer, darunter natürlich dasHaus Kyburg selbst und die ihm gehören-den Höfe auf dem Eschenberg, bedientensich vorerst nach Lust und Laune aus die-sem Waldgebiet. Zu den Nutzniessern desEschenbergwaldes gehörte lange Zeit auchder Veltemer Weingarten; er bezog ausdiesem Waldgebiet seine Rebstickel – unddas waren nicht wenige: noch Ende des 17.Jahrhunderts rund 7000 Stück pro Jahr.Der Eschenberg wurde der Stadt also nichtgeschenkt, sondern blieb zunächst im Be-sitz Rudolfs von Habsburg und ging dann1452 in den Besitz der neuen Herrschaft,der Stadt Zürich über – mitsamt der Hofge-meinschaft Eschenberg und einigen ande-ren nahe gelegenen Höfen.

Das Jagdrecht blieb w ie schon erwähnt beiKyburg, dann bei Zürich. Für einige Brisanzsorgte die Falkenjagd. Ihretwegen gerietensich Zürich und W interthur im Jahre 1502in die Haare. W interthur bat Habsburg umHilfe – vergeblich: Zürich stellte klar, dassdas Federspiel im Eschenbergwald Sacheder Bürger von Zürich sei. Später verpach-tete die Hauptstadt die Falkenjagd, die bisins 18. Jahrhundert gepflegt wurde, vor al-lem an W interthur. Das war den W inter-thurern indes nicht genug: Sie hatten mitZürich ein Abkommen getroffen, in demihnen innerhalb der Landvogtei Kyb u rg be-stimmte Jagdre v i e re zuerkannt wurden. Zudiesen gehörte ab 1715 auch der Eschen-berg. Weitere zugew iesene Jagdgebietebefanden sich im Lindbergwald.Nach und nach verw ischten sich dieRechtsverhältnisse um den Eschenberg-wald; das w irtschaftlich bedeutende Nut-zungsrecht verfestigte sich zum Eigentum.G leichzeitig verschwand das w irtschaftlich

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Winterthur und der Eschenberg: Karte Von dem Zürichgäu von Jos Murer aus dem Jahre 1566

Die Gyger-Karte aus dem Jahre 1660 zeigt sehr schön die waldfreien Gebiete auf dem Eschenberg

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Ihr unflätiges Benehmen bot immer w iederAnlass zu Strafen durch den Scharfrichter.Einer der Brüder landete 1522 sogar auf demS c h e i t e rhaufen. Drei Jahre später endetenauch die A ltarstatuten in den Flammen: DieReformation legte die Kapelle still. In dieserZeit nahm die Stadt das Bruderhaus in Be-

sitz. Nachdem 1530 der letzte Waldbrudergestorben war, wurde das Bruderhauszum Ruhesitz für Betagte. 1786 wurde dieKapelle abgebrochen, und 1818 wandelte die Stadt das Bruderhaus ins städtischeForsthaus um. Bis 1830 blieb es Wohnsitzdes ersten Stadtforstmeisters Andreas

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kungen wollten sich die W interthurer be-freien: Zw ischen 1520 und 1756 erwarb dieStadt deshalb die Höfe Höngg (1520) undB runnenwinkel (1526) im Westen desE s c h e n b e rgs sow ie die Höfe im Leisental(1520) und im Häsental (1756). Die Hofge-meinschaft Eschenberg schliesslich kamnach und nach ebenfalls in den Besitz W in-terthurs (1598/1699/1725).In den dreissiger Jahren des letzten Jahr-hunderts begann die Stadt diese Gebieteaufzuforsten: Die aufgekauften Höfe ver-schwanden, die entsprechenden Gebäudew u rden abgerissen und das ehema ligeLandw irtschaftsland w ieder zu Wald. Ein-drücklich ist die Aufforstung des alten Bau-erngutes im Leisental 1850: Nach 350 Jah-ren bäuerlicher Nutzung wurde aus diesemLandw irtschaftsgebiet eine für W interthureinmalige Waldlandschaft.Von den meisten Höfen blieb nichts mehrübrig ausser den heute noch gebräuchli-chen Flurnamen. Einzig einen Teil der ehe-

maligen Hofgemeinschaft Eschenberg hatdie Stadt erhalten, zur W irtschaft umge-baut und 1989 mit einem neuen Landw irt-schaftsbetrieb ergänzt.So w ie die Höfe auf dem Eschenberg ver-schwanden auch die Mühle am HinterenChrebsbach und die Burg auf dem Gamser.Sie soll ein Vorposten der Kyburg gewesensein, um den Eingang ins obere Tösstal zusichern. Die gleiche Aufgabe hatte wohlauch die Burg Langenberg, die über demReitplatz stand.

Vom Bruderhaus zum Forsthaus

M itten in einer Waldlichtung im Eschen-bergwald liegt das Bruderhaus, ein ehe-mals kleines Landw irtschaftsgut. WährendJahrhunderten zogen sich gläubige Män-ner – und zw ischenzeitlich auch Frauen –ins Bruderhaus zurück, um da ungestörtGott dienen zu können. Doch die Wald-brüder lebten nicht immer gottesfürchtig:

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Der Hof Leisental um 1810, im Hintergrund die Kyburg (Ölbild von Salomon Brunner, 1778–1848)Wild-Karte 1850: Zum letzten Mal zeigt eine Karte den Hof Leisental und das offene Flussbett der Töss

Das Bruderhaus in der Mitte des letzten Jahrhunderts: Vom städtischen Forsthaus zum Waldwirtshaus

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stet. Der Etzberg war schon im Frühmittel-alter besiedelt. Aus dieser Zeit dürfte auchsein Name stammen: Der erste Besiedlersoll Ezzo gewesen sein. Die Waldlichtungauf dem Etzberg bestand bis M itte des letz-ten Jahrhunderts. Neben Ackerbau undM ilchw irtschaft wurde dort auch etwasRebbau betrieben.Was die Besitzverhältnisse betrifft, so hatder Etzberg eine bewegte Geschichte: Im-mer w ieder wechselten einzelne Gebietedie Hand. Der Etzberg war schon früh imBesitz reicher Familien. Zu ihrem Seelenheilvermachten viele ihre Höfe der Kirche – zuEigentum oder zur Nutzung. Später ver-kauften die zum Teil hoch verschuldetenKirchen diese Besitztümer weiter. So muss-te zum Beispiel das Kloster Petershausenseinen Besitzanteil am Etzberg im Jahr1580 an die Stadt Zürich verkaufen. A ls1825 der letzte Pächter dieses Gutsbe-triebs starb, begann das kantonale Forst-amt mit der Aufforstung des heute noch

bestehenden Staatswaldes auf dem HinterEtzberg. Der Hof auf dem vorderen Etzbergwurde 1847 von der Gemeinde Seen über-nommen und später aufgeforstet.

Waldrodungen im Vogelsang

Im letzten Viertel des vorigen Jahrhundertserlebte die W interthurer Industrie einen ra-santen Aufschwung. In jene Zeit fielenauch die Gründungen von Banken undHandelshäusern und der SchweizerischenUnfallversicherungsgesellschaft. Sie doku-mentieren den Beginn einer florierendenW irtschaft. Die W interthurer Bevölkerungwuchs rasch an – und mit ihr auch der Be-darf an Bau- und Industrieland. Doch ge-nau daran fehlte es allenthalben.Deshalb wollte die Stadt die damaligenWaldgebiete Vogelsang und das südlich da-von gelegene Gulimoos roden. Zwar ver-langte das zürcherische Forstgesetz für Ro-dungen schon damals gleich grosse Ersatz-

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Weinmann. Dann fanden die W i n t e rt h u re r,«es sei nicht gut, dass der Forstmeister dau-ernd unter Bäumen lebe», er müsse auchim Kontakt mit seinen M itbürgern bleiben.Seit 1838 ist das Bruderhaus ein Waldw irts-haus. 1890 legte ein W ildparkverein einGehege an, das die Stadt M itte dieses Jahr-hunderts mitsamt dem Tierbestand über-nahm. 1971 wurde die alte W irtschaft um-gebaut und vergrössert und der kleineLandw irtschaftsbetrieb aufgegeben.

Lindbergwald inbegriffen

W ie der Wald auf dem Lindberg ursprüng-lich in den Besitz der Stadt kam, ist nichtbekannt, denn über den Erwerb diesesWaldes liegen keine Akten vor. Zumindestein Teil des Limpergs gehört aber sicher seitdem 13. Jahrhundert der Stadt.Der Lindbergwald war wahrscheinlich schonzur Zeit Rudolfs von Habsburg grösstenteilsin der Waldung Eschenberg inbegriffen. Ent-sprechend kamen die W interthurer eben-falls per Stadtrechtsbrief zum endgültigenNutzungsrecht. Und w ie beim Eschenbergblieben Jagdrecht und Gerichtsbarkeit beimEigentümer; zuerst bei Kyburg, dann beiHabsburg und schliesslich bei Zürich.Immerhin hat die Stadt im vorderen Teil desLindbergs einige Gebiete hinzugekauft: dieHöfe Lörlibad (1527) mit den drei dazuge-hörenden Quellen und Süsenberg (1593).B e reits vor 1478 waren die ehemaligen Lind-berghöfe Ackern, A ltenburg und Lindbergim Besitz der Stadt.Heute gehören der Stadt W interthur dieGebiete Ischluss, Süsenberg, Eichwald, Eich-büel, Römerholz, Weiherholz, Eggenzahn

und Stockbrunnen im westlichen Teil desLindbergwaldes. Im Ostteil besitzt die Holz-korporation Oberw interthur das GebietRütenen-Erlen, und Privaten w iederumgehören Waldparzellen gegen Reutlingenund im Mockentobel.In den Waldgebieten Schönbühl, Egg, Elendund Brudergarten nördlich von Stadel über-nahm die Stadt zahlreiche Parzellen, als sie1598 das Schloss Mörsburg erwarb. Zw i-schen 1903 und 1912 kaufte sie vor allemum die Mörsburg herum weitere Waldpar-zellen auf.

Viehweide am Brüelberg

Über den Kauf des Brüelbergwaldes ist we-nig bekannt. Vermutungen zufolge soll erzur Herrschaft Wülflingen gehört habenund schliesslich vom damaligen Besitzer andie Stadt verkauft worden sein. AndereMutmassungen besagen, dass er als Weide-oder Waldboden von jeher der Stadt ge-hörte. Diese Hypothese erhält Unterstüt-zung durch den Namen Brüelberg. Er sollsich aus dem althochdeutschen broil oderbruil herleiten, womit eine wasserreiche,buschige W iese, Aue oder ein Rasenplatzgemeint ist. Zumindest der untere Teil ge-gen die Eulach war früher eine Viehweide.Die Waldpartie im Westen des Brüelbergsgehörte bis vor 75 Jahren zum Gemeinde-wald Wülflingen. Sie kam mit der Einge-meindung der Vororte 1922 zur Stadt. DieWälder um A lt Wülflingen kaufte die Stadtim Jahre 1760 Oberst Salomon Hirzel ab.W ie zahlreiche andere Waldgebiete in W i n-terthur wurde auch der Etzberg einst land-w i rtschaftlich genutzt und später aufgefor-

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Gyger-Karte von 1660: Höfe auf dem Etzensperg

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damals ohnehin Gebiete in der Region desTössstocks, um durch Aufforstungen diew ilde Töss zu bändigen. Doch aus diesemGeschäft wurde nichts: Der damalige Stadt-forstmeister wehrte sich erf o l g reich gegenden Verkauf des Kümbergwaldes. DiesesWa l d revier hat die Stadt seither durch wei-t e re Ankäufe und Aufforstungen ständigv e rg r ö s s e rt. So auch damals, als für denFriedhof Rosenberg und die Kläran lage HardWald gerodet wurde. Bei der Stadtvere i n i-gung war das Revier Kümberg 150 Hekta-ren gross, heute umfasst es 180 Hektare n .Um für die wachsende Bevölkerung genü-gend Trinkwasserfassungen bereitstellenzu können, begann die Stadt noch im letz-ten Jahrhundert, grundwasserreiche Ge-biete im Tösstal zw ischen Rämismühle undRikon aufzukaufen. So entstand das Stadt-waldrevier Hornsäge, das heute rund 28Hektaren umfasst.Die in jüngerer Zeit wohl bedeutendste Er-weiterung der W interthurer Waldfläche er-

folgte vor 75 Jahren: M it der Eingemein-dung der Vororte im Jahre 1922 vergrös-serte die Stadt W interthur ihren Waldbesitzmit einem Schlag um rund 50 Prozent, von1209 auf 1787 Hektaren.W ie die ehemaligen Vorortsgemeinden vorder Eingemeindung zu ihren Wäldern ka-men, ist nur teilweise dokumentiert. Im-merhin w issen w ir genau, welche Wälderdie Vorortsgemeinden in die Stadtvereini-gung mitbrachten: So gehörten zum dama-ligen Gemeindewald Wülflingen die Wald-gebiete Hard, Beerenberg, Brüelberg undChomberg. Die Gemeinde Veltheim besassdas beachtliche Waldgebiet auf dem Wol-fensberg. Der Gemeinde Seen gehörtendie Waldgebiete Nübrechten und Etzberg,und die Gemeinde Töss besass verschiede-ne kleinere Waldparzellen aus dem frühe-ren Klosterbesitz. Schliesslich bleiben nochdie Waldgebiete Bestlet und Hulmen: Siegehörten den ehemaligen ZivilgemeindenOberseen und Eidberg.

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a u fforstungen. Ob allerdings auch die Stadtfür die geplanten Rodungen im Vogelsangund Gulimoos solche Aufforstungen hättevornehmen müssen, ist unklar. Denn seit1838 hatte die Stadt einen grossen Teil desKulturlandes der Eschenberghöfe und derfrüheren Höfe Häsental und Linsental frei-w illig aufgeforstet – insgesamt mehr als1,4 Quadratkilometer. Ausserdem verlangteauf eidgenössischer Ebene erst das Forstge-setz von 1902 für jede Rodung zw ingendeine Ersatzaufforstung. Und Paul Lang –Stadtforstmeister von 1928 bis 1960 – fol-gerte daraus, dass die Stadt auch ohne Er-satzaufforstungen grössere Flächen hätteroden dürfen.W ie auch immer: Der Stadt war damals vieldaran gelegen, ihren Waldbesitz – immer-hin eine w ichtige Einnahmequelle – nichtzu verkleinern. Sie sah sich deshalb nachzusätzlichen Waldgebieten ausserhalb ih-rer Grenzen um und fand solche auch –oberhalb von Turbenthal im Tösstal.

Die Gemeindeversammlung bewilligte 1873den Kauf der betreffenden Parzellen. DieStadt erwarb also vier Höfe am K ü m b e rg inTurbenthal – mitsamt umliegendem Acker-und W iesland und grösseren, allerdingsheruntergew irtschafteten Waldp a rz e l l e n :insgesamt rund 93 Hektaren. Dieser Kaufals Ersatz für die zur Rodung vorgesehenenWaldgebiete Vogelsang und Gulimoos wur-de vom damaligen Stadtforstmeister KasparWeinmann stark gefördert.Der Wald im Vogelsang wurde schliesslichgerodet, im Gulimoos hingegen blieb erstehen. Die Höfe am Kümberg wurden ab-gerissen und das dortige Gebiet aufgefor-stet. Die Rendite allerdings liess auf sichwarten. Weil das Gebiet während 25 Jah-ren unverändert klein blieb und die Last desNationalbahndebakels schwer drückte,wurden gegen Ende des vergangenenJahrhunderts immer häufiger Stimmenlaut, die einen Verkauf des Kümbergwal-des an den Kanton forderten. Der kaufte

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Seit Jahrhunderten nutzen die W interthu-rer die umliegenden Wälder – der Zeit ent-sprechend auf verschiedene Weise. DerWald als Naturraum hat sich dadurch ver-ändert. Sein Erscheinungsbild war stets einSpiegel der Stadt und des Lebensstils ihrerBewohner. Und vor allem: Es war und istein Sinnbild für das Verhältnis der W inter-thurer zu ihrem Wald.Bereits im 13. Jahrhundert, als die Kybur-ger das Nutzungsrecht für den Eschen-bergwald verbrieften, war dieser gezeich-net von einer starken Übernutzung. Nichtohne Grund kaufte die Stadt viele Land-w irtschaftsgebiete und forstete sie auf: Dieausgeplünderten Wälder vermochten kaummehr den zunehmenden Holzverbrauch zudecken.

Auf dem Holzweg

Schon früh hatten die W interthurer einengrossen Bedarf an Bau- und Brennholz: Ar-chäologen fanden im Keller des Waaghau-ses das Fundament eines Holzhauses, dasvor 1200 gebaut wurde. Und Grabungenan der Marktgasse 44 förderten Überrestevon Holzbauten aus dem 10. bis 13. Jahr-hundert zutage.Für den Bau und Unterhalt ihrer öffentli-chen Gebäude bediente sich die Stadt seitje aus den umliegenden Wäldern. A lleindie mittelalterlichen Festungen brauchtenriesige Mengen Holz, genauso w ie die Kir-chen und Schulen.

Der erste bekannte Rathausbau aus demJahre 1435 war vollständig aus Holz. DerRathausbau von 1782 war zwar ein Stein-bau, dennoch wurde viel Bauholz verwen-det: rund 500 Kubikmeter. Rechnet manmit 1,2 Kubikmeter nutzbarem Bauholz proBaumstamm, entspricht dieser Verbrauchfast 420 Baumstämmen. Noch grösser wardie Holzmenge, die der Bau des neuen Spi-tals am Neumarkt von 1806 verschlang:1100 Kubikmeter oder 920 Baumstämme.Für die Stadt-Metzg, die Schützenhäuserund viele andere öffentliche Gebäude wur-de ebenfalls viel Bauholz verbraucht.Selbstverständlich wurden auch Brücken,Brunnenstöcke und -tröge lange Zeit aus-schliesslich aus Holz gebaut. Viel Holz be-nötigte zudem die Bedeckung des Stadt-kanals. Grössere Mengen Holz verbrauch-ten auch die Mühlen und Badstuben; nichtnur für Bau und Renovationen, sondernauch für das Aufheizen des Wassers.Seit M itte des 15. Jahrhunderts gab es inW interthur den Bürgernutzen: Jeder Haus-halt erhielt jährlich ein Quantum Brenn-holz. Um 1700 betrug der Bürgernutzendrei Klafter – etwa neun Kubikmeter.Weil eine solide Bauweise und der regel-m ä ssige Unterhalt der Privathäuser in derStadt ein militärisches und damit öffentli-ches Anliegen waren, wurde Bauholz langeZeit gratis abgegeben. Holz war währendJahrhunderten so begehrt, dass das städti-sche Bauamt ein lukratives Geschäft mit Holzaus dem eigenen Depot aufziehen konnte.

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Spiegel der Kulturen

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In schlechten Heujahren schneitelten dieBauern Ersatzfutter im Wald. Das heisst: Sieschnitten feine Laubzweige von Ahorn,Linde und Ulme als Futter für Ziegen undSchafe. Zudem nutzten die W interthurer inihrem Haushalt viele nützliche Produkteaus den umliegenden Wäldern: Wacholderfür Rauchfleisch, Eichen- und Fichtenrindefür die Rotgerberei, Harz zum Abdichtender Fässer, für den Wäschesud oder zumBrühen der Schweine, Lindenbast zum Bin-den der Reben, Weidenruten zum Flechtenvon Körben und schliesslich auch trocke-nes Laub für Laubsäcke und als Stallstreue.W ichtig waren auch Heilpflanzen aus demWald. Und wahrscheinlich brannten dieW interthurer schon im 13. JahrhundertHolzkohle. Durch diese Nebennutzungenentzogen die W interthurer ihrem ohnehinschon angeschlagenen Wald zusätzlichw ichtige Nährstoffe.

Im Dickicht der Paragraphen

Vor allem aber der enorme Verbrauch vonBau- und Brennholz w irkte sich schon baldprekär auf den Wald aus – und auf dieStadt. A ls sie nämlich 1313 abgebranntwar, fehlte es nach dem W iederaufbau al-lenthalben an Bauholz. A ls Reaktion darauferliess die Stadt unzählige Verordnungenund Bestimmungen, die nur eines zum Zielhatten: den Holzverbrauch zu mässigenund den Holzvorrat der W interthurer Wäl-der zu steigern. Schon ein halbes Jahr nachder Brandkatastrophe erliess die Stadtre-gierung eine Verordnung, die den Steinbauförderte und den Holzbau vom Ermessendes Rates abhängig machte.

Bis zu einem gew issen Grad ersetzte Holzsogar das Geld als Zahlungsmittel. Noch im19. Jahrh u n d e rt wurden von der Stadt gro s-s e Mengen Holz als Ehrengabe und als Lohnoder als Lohnbestandteil ausbezahlt: an dieM itglieder der Behörden als Ehrengabe – inF o rm sogenannter H e rren- und K o m p e t e n z-b e i g e n – und an Angestellte als Dienstlohn.Auch die Mitglieder des Kleinen und desG rossen Rates, diejenigen des Stadtgerichts,der erste Stadtpfarrer sowie alle Lehre r, För-s t e r, Scharfrichter und Hebammen kamenin den Genuss einer Extra-Portion Holz. Undfür spezielle Anlässe gab’s nochmals Holz:die Schützentanne den Feuerschützen, dieK ü f e rtanne den Küfern bei der Hochzeit,a u s s e rdem die Tannen für den Bau- undHolzamtmann beim Amtsantritt und beimRücktritt und den Müllern schliesslich alled rei Jahre Bauholz für den Unterhalt ihre rWa s s e rr ä d e r. Kleinere Mengen Bre n n h o l zw u rden zudem als Unterstützung an die Ar-men abgegeben. Mittellose W itwen zumBeispiel erhielten die W i t w e n b e i g e n .In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertswurde das Brennholz – etwa 2700 Klafterpro Jahr – den Bezugsberechtigten zumHaus gebracht, das Bau-, Säg- und Nutzholzhingegen wurde auf den Schlägen verkauft.Bis 1860 befriedigte die Stadt ihren Brenn-holzbedarf ausschliesslich aus den eigenenWäldern. So endete mancher Stamm, derdurchaus als Bauholz getaugt hätte, alsBrennholz. Weil die Preise für Bauholz in-des rasch stiegen, beschloss die Gemeinde1860, das für den Bürgernutzen notwen-dige Brennholz in Süddeutschland einzu-kaufen und die als Bauholz verwendbarenStämme künftig zu verkaufen.

Dieser Beschluss brachte schon im folgen-den Jahr ansehnliche Mehreinnahmen indie Stadtkasse. Neben Holz verkaufte dieStadt aus ihren Wäldern auch Harz, Rinde,Pflanzen, Steine und Lehm.

Auch beim Vieh begehrt

Eine bestimmte Form der Waldnutzung warin der Vergangenheit von besonderer Be-deutung: die Waldweide. Davon zeugenFlurnamen w ie Chalberweid, Geissbüel oderChuestelli. Weil die Landw irtschaft nochkeine Stallfütterung kannte, weidete dasVieh auf der A llmend und auf der Brach-zelg, vor allem aber im Wald. Die Waldwei-de war ein fester Bestandteil der Dreifel-derw irtschaft. Schweine, Rinder, Ziegenund Schafe wurden zur Fütterung regel-mässig in den Wald getrieben. Ausserdemwurden im Herbst Eicheln und Buchen-nüsschen als W intervorrat für die Schwei-ne gesammelt. Die freie Waldweide war fürdie Kleinbauern enorm w ichtig, aber sieverschärfte den prekären Zustand derStadtwälder. Die scharfen Hufe der Tiereschädigten die Baumwurzeln und verdich-teten den Waldboden. Die Laubbäume lit-ten besonders stark unter der Waldweide:Ihre saftigen Knospen waren bei den Tierensehr begehrt…

Nützlich und doch schädlich

Auch die Menschen taten sich an den Na-turprodukten aus dem Wald gütlich: Siebeuteten nicht nur Holz aus, sie sammeltenzum Beispiel auch Laubfutter, Gras, Kräu -ter, Pilze, Beeren oder Laubstreu.

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drücklich schwören, keine Rottannen zufällen, wenn die Weisstannen den Zweckauch erfüllten. 1513 schränkte die Stadtdie Abgabe von Tannenholz für Dachschin-deln ein und begann dafür mit der Sub-ventionierung von Tonziegeln. Im Jahre1559 wurde die Aufforstung neu geregelt;wenn ein Waldschlag abgeschlossen war,musste das Gebiet eingezäunt und aufge-forstet werden. Eine Verordnung von 1550sorgte für einen sorgfältigeren Umgangmit dem kostbaren Holz: Untersagt warenzum Beispiel der Verkauf des eigenen Bre n n-holzes, das absichtliche Fernbleiben vonden Terminen, an dem das Holz zugeteiltwurde, der Aufkauf der Rebstecken undder Handel damit oder das Verfaulenlassendes zugeteilten Holzes. Schliesslich verbotder Rat 1641 auch das Harzen im Wald.Um all die städtischen Verordnungen bes-ser durchsetzen zu können, wurde 1667ein Forstamtmann (Holzamtmann) an dieSpitze der Forstverwaltung gewählt.

Beim Holzfällen wurde in jener Zeit immerw ieder gestockt. Das heisst: Arme Bürgerhatten – entgegen den Weisungen des Ra-tes – die beim Fällen übriggebliebenenStumpen mit der Axt aus der Schale ge-hauen, also die Stämme bis zur Wurzel ab-geschlagen und sogar die Wurzelstöckeherausgenommen. Der Rat forderte indesbis ins 19. Jahrhundert, dass die Stämmeaus Rücksicht auf die Verjüngung deutlichüber der Wurzel geschlagen werden. 1833schliesslich wurde das Stocken verboten.Bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts folgtennoch zahlreiche weitere Verordnungenund Erlasse, die allesamt den Pfründen derPrivilegierten an den Kragen gingen. EinigeNutzungsrechte musste die Stadt noch im19. Jahrhundert loskaufen. Bis 1840 warenaber alle bedeutenden Nutzungsrechte un-terbunden. Einzig der Bürgernutzen, alsodie Grat isabgabe von Brennholz an die Bür-g e r, überdauerte die lange Zeit der Regu-lierung und Reglementierung. 1749 wurde

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Aus Angst vor einer drohenden Holznotschuf die Stadt 1346 ihre erste Holzord-nung. Gemäss dieser war das Schlagen vonBauholz im Eschenbergwald ohne behörd-lichen Segen strafbar. Aus der ersten Holz-ordnung geht übrigens hervor, dass bereitsdamals eine Behörde bestand, welche dieStadtwälder beaufsichtigte und verw a l t e t e .Ihr waren sogenannte Holzgeber zugeteilt,die den Bürg e rn das Holz zuweisen mussten.Ab 1463 durften Brenn- und Bauholz nurnoch nach vorheriger Anmeldung und An-weisung bezogen werden. Der Wälder Sat-zung aus diesem Jahr deutete schon da-mals auf eine starke Übernutzung der W in-t e rt h u rer Wälder hin. In dieser Wa l d s a t z u n gwurde erstmals zw ischen Rot- und Weiss-tannen unterschieden. Seit M itte des 15.Jahrhunderts besteht das Amt des Försters.Er hatte allerdings lange Zeit lediglich einePolizeifunktion, erst später kamen admini-strative Funktionen dazu. Das heisst: DerFörster hatte die Aufgabe, den städtischen

Besitz zu wahren. Seine heutige Aufgabe,also die angepasste Waldnutzung und -Be-w i rtschaftung, bekam der Förster erst mitden Anfängen der modernen Waldw irt-schaft gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

Ende Feuer für Gratis-Brennholz

Im Jahre 1481 folgte eine weitere Ein-schränkung der Holzabgabe: Die Stadt strichden Bädern die Gratisbezüge von Bre n n h o l z .1486 verordnete der Rat, den Hochwald imhinteren Teil des Eschenbergs für den Holz-transport zugänglich zu machen und denverbuschten Niederwald im vorderen Teilzu schonen. Der damalige Niederwald wur-de alle 12 bis 15 Jahre geschlagen; er ver-jüngte sich durch Stockausschlag.Aus dem Jahre 1487 stammt die Bestim-mung, wonach an Fremde keine Tannenabgegeben werden dürfen, falls sie dieStadt nicht mit Eichenholz beschenken.Und 1494 mussten die Zimmerleute aus-

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Einblick in den Stadtwald vergangener Zeiten: Stamm an Stamm – stehend und liegend

Stockausschlag bei einer gefällten Hagebuche an der Hinteren Krebsbachstrasse im Eschenbergwald

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in den Wald getrieben werden, und vonden Pferden durften von da an nur noch dieArbeitstiere im Wald weiden. Immer w ie-der zäunten die W i n t e rt h u rer einzelne Wa l d-gebiete auf dem Eschenberg und auf demLindberg ein, um sie gegen das weidendeVieh zu schützen.In der Ho lzordnung von 1749 wurde denPächtern auf dem Eschenberg das Weidender Tiere im Walde verboten. Die Bürgervon W interthur hingegen durften weiter-hin soviel Vieh auf die Weide schicken, w iesie überw i n t e rn konnten; es war indes auchihnen ausdrücklich verboten, Schafe, Stie-re und Pferde in den Wald zur Weid zuschlagen. Endgültig wurde die Waldweideerst Anfang des 19. Jahrh u n d e rts verboten.

Sinkende Nachfrage nach Brennholz

Durch die Revolution von Kohle und Eisenund den Ausbau der Verkehrsverbindun-gen auf Schiene und Strasse gegen M itte

des letzten Jahrhunderts sank die Nach-frage nach Brennholz. Im Zweiten Welt-krieg stieg der Bedarf allerdings nochmalskräftig an. Am Ende des Krieges 1945 wur-den 65 Prozent der gesamten Holzernte inden Stadtwäldern zu Brennholz verarbei-tet. Moderne Ö lheizungen und die Elektri-zität in Küche und Waschraum liessen denBrennholzverbrauch in der Nachkriegszeitindes w ieder auf einen Bruchteil frühererZeiten sinken (siehe Grafik Seite 30).Heute wäre Brennholz mehr als genug vor-handen. Und umweltfreundliche A lternati-ven zu den russenden Dre c k s c h l e u d e rnvon damals gäbe es mittlerweile auch: dieHolzschnitzelheizungen. Weil Holz im Ge-gensatz zum Heizöl eine erneuerbare Ener-gie ist, könnte es in Zukunft w ieder begehrtw e rden. Die Stadtverwaltung selber hat be-reits positive Erfahrungen mit Holzschnit-zelheizungen gemacht: 1985 hat sie beimReitplatz ein Lager für Hackschnitzel einge-richtet und im folgenden W inter eine ersteSchnitzelfeuerung im Schulhaus Hegifeldin Oberw interthur in Betrieb genommen.Kurz darauf folgte eine zweite Schnitzel-feuerung im Schulhaus Rosenau.

Grüne Wirtschaft – rote Zahlen

Rückblickend ist die w irtschaftliche Entw ick-lung W interthurs ohne die Nutzung derumliegenden Wälder kaum vorstellbar. Zubedeutend war der Wald in der Geschichteder Stadt. Noch um 1860 lieferten die Stadt-wälder immerhin ein Viertel der gesamtenB ruttoeinnahmen von W i n t e rt h u r. Und nachdem Nationalbahndebakel von 1878 konn-te sich W interthur vor allem dank seiner

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er zwar auf zwei Klafter reduziert, 1838 je-doch w ieder auf drei Klafter erhöht. Erst1875 wurde der Bürgernutzen durch Ge-meindebeschluss aufgehoben.Die Bedenken um die Holzvorräte wurdenmit der Zeit so gross, dass die Stadt Aus-schau hielt nach einem Ersatzmaterial fürBrennholz. Schon 1717 w ies der Rat auf dieTurben (Torf) als empfehlenswertes, derRuinierung der Waldungen entgegenw ir-kendes Brennmaterial hin. 1735 nahm dieStadt das Turbenstechen im Hettlinger Riedauf, 1748 und 1749 beim Riedhof und beimHof Ruchegg (südöstlich der Mörsburg)und später in Seuzach und Neftenbach.

Forstkommission machte Dampf

1780 setzte die Stadtregierung eine ständi-ge Forstkommission ein; knapp 100 Jahres p ä t e r, 1873 , wurde sie w ieder abge-schafft. Ihr gehörten vorerst je drei M itglie-der des Grossen und des Kleinen Rates so-

w ie der städtische Bauherr und der Forst-amtmann an. Diese Kommission kämpftegegen die zahlreichen waldschädigendenNutzungsrechte und bereitete den Wegvor für eine geregelte Forstw irtschaft. Siesetzte sich zuerst für die massive Ein-schränkung der Bauholzabgabe ein. M itErfolg: Ab 1791 gab es Bauholz nur nochfür die w ichtigsten Gebäudeteile, ab 1806wurde die Abgabe auf ein Drittel und ab1833 auf ein Fünftel des effektiven Bedarfsbeschränkt. Fünf Jahre später, 1838, tratdas neue Forstgesetz in Kraft, das die Bau-holzabgabe vollständig unterband.

Ende der Waldweide

Um den Wald zu schonen, erliess die Stadtschon früh Verordnungen über die Wald-weide. Ein erstes Weideverbot für die Scha-fe und Ziegen im Wald stammt bereits ausdem Jahre 1482. Ab 1693 durften Stiere,Schafe und Ziegen überhaupt nicht mehr

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Holzmagazin Reitplatzstrasse

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Waldes im heutigen Sinn nicht stattgefun-den hat. Die durch Schläge entstandenenLichtungen wurden sich selber überlassen,bis das nachgewachsene Holz schlagreifwar. Immerhin ist die starke Förderung vonNadelbäumen schon früh belegt: Der Plandes Eschenbergs des Artillerie-Collegiumsvon 1758 zeigt bereits grosse Flächen vonNadelbaumbeständen. Und der Lindberg-wald bestand 1760 sogar fast ausschliess-lich aus Nadelbäumen – vor allem aus Rot-tannen (Fichten). Auch auf dem Brüelbergwar die Fichte damals sehr häufig.Bereits im ausgehenden M ittelalter warendie Wälder in W interthur zu einem grossenTeil ausgeplündert: Der übliche Waldtypwar damals der M ittelwald.M ittelwälder wurden zweischichtig be-w irtschaftet. W ill heissen: Einzelne grosseEichen wurden stehengelassen; sie liefer-ten Bauholz und Schweinef u t t e r. Der Un-t e rwuchs mit Buchen und anderen Laub-bäumen hingegen wurde alle zehn bis dre i s-sig Jahre auf den Stock zurückgeschlagen.Einige Gebiete jedoch, etwa der vord e re Te i ldes Eschenbergs, bestanden schon im 15.J a h rh u n d e rt lediglich noch aus U n t e rh o l z .D iese sogenannten N i e d e rw ä l d e r waren inW interthur recht häufig. Die zahlreichenErlasse und Verordnungen zum Schutz derWälder begannen jedoch nach und nachzu greifen. Bis M itte des 18. J a h rh u n d e rt sverschwanden d ie Niederwälder aus W i n-t e rt h u r. Einzig der Schlosshofwald bestandnoch etwas länger aus Niederwald.Bis Ende des 18. Jahrhunderts entw ickeltesich in W interthur eine Waldbautechnik,d ie aus kleinf läch igen Kah lsch lägen be-stand. Diese wurden sich selbst überlassen,

der Jungwuchs indes mit Zäunen gegendas weidende Vieh geschützt. Das waldbau-liche Vorgehen war damals ähnlich einemSchirmschlag: Die Baumbestände wurdenzuerst aufgelockert und dann bis auf weni-ge Einzelbäume kahlgeschlagen. Von die-sen sogenannten Überständern aus konn-ten sich die kahlen Flächen durch Samen-befall w ieder verjüngen. Im zweiten unddritten Viertel des 18. Jahrhunderts wurdengrosse Teile des Eschenbergs und des L i n d-b e rgs auf diese Art regelmässig kahlge-schlagen. Bereits damals fanden sich Spure nvon künstlichen Kulturen, sowohl im Eschen-b e rgwald als auch im Lindberg w a l d .

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Wälder über Wasser halten. Der Stadtwaldbildete sogar einen Hauptposten in derPfandschaft gegenüber den Gläubigern derNationalbahnschuld. Noch bis weit in diedreissiger Jahre dieses Jahrhunderts hineinwaren die Wälder für die Stadt eine w ichti-ge Einnahmequelle.Weil aber das Holz im Ausland bald einmalbilliger zu haben war und die Löhne hierstark anstiegen, gingen die einst stolzen Er-träge der städtischen Forstverwaltung raschzurück. Nach den Sturmschäden von 1967kam das Forstamt immer stärker in die ro-ten Zahlen. Zu einer negativen Bilanz ver-half in den beiden vergangenen Jahrzehn-ten ausserdem ein an sich wertvoller Wer-tewandel in der Waldw irtschaft: weg vomreinen Holzertragsdenken und hin zu einerg e s a m t w i rtschaft li chen Betrachtung derökologischen und gemeinnützigen Funktio-nen des Waldes. Dennoch sind die w irt-schaftlichen Leistungen der Stadtwälderauch heute noch beachtlich: Sie liefern im

Durchschnitt jedes Jahr rund 14 000 Kubik-meter Nutzholz und 6000 Kubikmeter Pa-pier-, Industrie- und Brennholz.Die Kosten allerdings sind enorm: Bereits1987 überstiegen die Ausgaben des Forst-betriebs dessen Einnahmen um 835000Franken. 1995 dann kletterte das Defizitauf 2 M illionen Franken. Und für das Jahr1997 rechnet der städtische Forstbetrieb garmit einem Aufwandüberschuss von fast2,2 M illionen Franken. Rund ein Drittel da-von machen alleine die gemeinw irtschaft-lichen Leistungen aus; Leistungen also, dieforstlich nicht notwendig, aber dennochim Interesse der Öffentlichkeit sind.

Forstwirtschaft im Wandel der Zeiten

Über die Bew irtschaftung der W interthurerWälder in frühesten Zeiten lässt sich heutenur mehr spekulieren; entsprechende Aktensind nicht vorhanden. Unbestritten ist aber,dass eine Pflege und Bew irtschaftung des

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Ehemaliger Mittelwald am Beerenberg

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v e rmessen: 1836 unterbreitete der Geome-ter Jakob Melchior Ziegler der damaligenForstkommission das erste Flächen-Fach-werk über den Eschenbergwald. Die reinenNadelbaumbestände nahmen zu jener Zeit77 Prozent, die gemischten Bestände 7 undder M ittelwald 16 Prozent der Fläche ein.Aus dem Jahre 1836 stammt auch der ersteW irtschaftsplan (heute: Betriebsplan) fürden Eschenberg. Er stützte sich auf einekonsequente Einteilung in Reviere und Ab-teilungen und blieb bis 1847 in Kraft. Seinw ichtigstes Ziel: die Erhaltung grosser Holz-vorräte durch Ertragsabrechnung. Für diePflege und den Unterhalt der Stadtwälder

wurde das Wegnetz – vor allem im Eschen-bergwald – deshalb massiv ausgebaut.«Auf welche Weise kann, mit Rücksicht aufLage und Beschaffenheit des Bodens, dernachhaltige Ertrag der Waldung am zweck-mässigsten gesteigert , das überstehendeHolz beseitigt und dem Areal das bestmög-liche Interesse gesichert werden?» Diese Fra-ge der Forstkommission sollte ein w issen-schaftliches Gutachten beantworten. DerStadtrat beauftragte deshalb 1847 die Her-ren Arnsberger, Grossherzoglicher Badi-scher Oberforstrat in Karlsruhe, Rietmann,Forstverwalter in St. Gallen, und Kasthofer,alt Regierungsrat und Oberforstmeister in

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Diese Art von Kahlschlagbetrieb w ich zu-nehmend rationelleren Betriebsformen. Dergesamte Holzvorrat sollte künftig genaueingeteilt und geplant werden. Den An-stoss zu einer geregelten Forstw irtschaftgaben schliesslich grössere W indwurfschä-den und die Borkenkäferinvasionen von1803 und 1807.

Der erste Wirtschaftsplan

1813 wurde Andreas Weinmann zum erstenForstmeister der Stadt gewählt. M it ihmbegann die Zeit der Grosskahlschläge undanschliessender Anpflanzung, stellenweiseverbunden mi t landw irtschaft licher Zw i-schennutzung.In Anlehnung an den landw irtschaftlichenAckerbau wurde ein Waldgebiet jeweils inrechteckige Flächen, in sogenannte Hiebs-züge, eingeteilt und die Bestände inner-halb dieser Hiebszüge von Ost nach West,also gegen die übliche W indrichtung, re g e l-

mässig kahlgeschlagen. Die Breite dieserSchlagflächen betrug um 1820 etwa 30 Me-ter und nahm bis 1870 kontinuierlich bisauf 140 Meter zu. Entsprechend nahm auchdie Grösse der Schlagflächen stetig zu, voneiner Hektare auf drei Hektaren.M it solchen aneinandergereihten Kahl-schlägen deckte die Stadt W interthur ihrengesamten Holzbedarf. Die Schläge wurdenkünstlich aufgeforstet, wobei vor allem Rot-tannen gepflanzt wurden. So entstandenreine, künstliche Nadelholzforste.Diese neue Waldbautechnik – heute etwasrespektlos Fichtenackerbau genannt –stammte aus Deutschland, wo sich dieSchweizer Forstleute mangels eigenerHochschulen ausbilden liessen.Nach 1830 wurden die Stadtwälder syste-mat isch und streng planmässig bew irt-schaftet. Dadurch wurden sie zu bedeu-tenden Geldquellen für die Stadt.Zw ischen 1836 und 1842 wurden derEschenberg und der Lindberg geometrisch

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Situationsplan des Waldes Eschenberg 1836: Aufgenommen und gezeichnet von Jakob Melchior Ziegler

Pflanzschule um 1896 (Eschenberg): Nach einem Kahlschlag wurde vor allem mit Rottannen bestockt

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denlockerung anfänglich positiv auf dasWachstum junger Baumbestände aus. Erstspäter sah man auch die Kehrseite der Me-daille: Krüppelwuchs, Frost- und Enger-lingsschäden. 1882 wurde diese Wald-nutzung stark eingeschränkt und wenigeJahre später abgeschafft.Ebenfalls gegen Ende des letzten Jahrhun-derts wurden entlang der gutbesuchtenWaldwege Laubbaum-A lleen gepflanzt –zwecks Verschönerung des Waldes.

Beginn der modernen Waldwirtschaft

1860 wurde Kaspar Weinmann Nachfolgerseines Vaters Andreas Weinmann. M it sei-ner Amtszeit begann die moderne, auf dieErgebnisse der W issenschaft abgestützteWaldbew irtschaftung. Zwei Jahre nachWeinmanns Amtsantritt präsentierte sichder ganze Stadtwald als Hochwald. Einzigder Wald am Tössrain w ies damals denCharakter eines M ittelwaldes auf. Doch

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Bern mit einer entsprechenden Untersu-chung. Sie erstellten über die gesamtenStadtwaldungen ein Gutachten mit Be-triebsplan.In ihrem Bericht billigten die drei Expertendie bisherige Waldw irtschaft, lehnten diebeantragte stellenweise Umwandlung inM ittelwald ab und empfahlen den 100jäh-rigen Umtrieb. Das heisst: Die Waldbestän-de sol lten innerha lb e ines Jahrh u n d e rt svollständig erneuert werden. Ihr Gutach-ten ergänzten sie durch einen W irtschafts-plan, der die Nutzung des Waldes nach ei-nem relativ strengen Schlagplan vorsah.Der W irtschaftsplan, der übrigens sofort inKraft trat, stellte die Regel auf: allmählicherAbtrieb und natürliche Verjüngung. Aus-serdem forderte er, die Weisstanne zu be-günstigen und Kahlschläge nur noch aus-nahmsweise zuzulassen.Soweit die Theorie – die Praxis sah andersaus: Der Kahlschlag blieb die übliche Formder Holzernte.

In den ersten 15 Jahren, also bis 1862, er-folgte die Verjüngung sehr langsam. Anvielen Stellen wurde auf Schläge verzichtet.An anderen hingegen wurden schlechte Be-stände vorzeitig geschlagen – im grossenund ganzen eine allmähliche qualitativeVerbesserung des Waldzustandes.

Zwischen Karotten und Kartoffeln

In der Zeit zw ischen 1850 und 1870 hattedie landw irtschaftliche Zw ischennutzungder Schlagflächen eine grosse Bedeutung.Dieser sogenannte Waldfeldbau dauertegewöhnlich vier Jahre: im ersten Jahr aufder ganzen Fläche und in den drei folgen-den nur noch zw ischen den gepflanztenB a u m re ihen . Im ersten Jahr konnten diePächter pflanzen, was sie wollten, im zwei-ten und dritten Jahr Hackfrüchte – zum Bei-spiel Kartoffeln und Karotten – und im letz-ten sch liessl ich nur noch Getreide . DieseZw ischennutzung w irkte sich dank der Bo-

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Tössrain um 1896: Anstatt wilde Auenlandschaft begradigter Fluss und Nadelbäume in Reih und Glied

auch der sollte bald in einen Hochwaldüberführt werden. Reine Bestände vonLaubbäumen waren damals nirgends vor-handen, hingegen dominierten vielerortsdie Nadelbäume. In diesen meist künstlichaufgeforsteten Nadelbaumbeständen wardie Rottanne am stärksten vertreten.Unter dem Titel Beschreibung und W irt-schaftsplan über die Stadtwaldungen vonW interthur erschien im August 1862 einn e u e r, damals richtungweisender Plan überdie künftige Bewirtschaftung der Stadtwäl-d e r. D ie drei Autoren, Oberf o r s t m e i s t e rElias Landolt aus Zürich, Forstmeister W il-helm Friedrich Hertenstein von Kyburg undStadtforstmeister Kaspar Weinmann, setz-ten darin folgende Schwerpunkte:– Erzeugung möglichst grosser Mengen

von brauchbarem Holz– Sicherung des Waldes gegen Gefahren

von aussen– Erhaltung und Äufnung des Stamm-

kapitals

Panorama vom Bäumli 1888: Auffallend sind die grossen Kahlschlagflächen auf dem Eschenberg

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14. Den ertragsreichen Nebennutzungenist die nötige Beachtung zu schenken,indes nur soweit, als sie die Produktioneiner möglichst grossen und brauchba-ren Holzmasse nicht einschränkt.

Den Stadtwald mit Exoten garniert

Gegen Ende des letzten Jahrhunderts weh-te ein neuer W ind durch die W interthurerStadtwälder: Zu den einheimischen Baum-arten gesellten sich plötzlich Abertausendevon Exoten. Verantwortlich dafür: Max Si-ber, der letzte Vertreter der Kahlschlagw irt-schaft. Siber war Stadtforstmeister von 1894bis 1899. Er hoffte, mit einem Kunstgriffdie Produktionsleistung des W interthurerWaldes massiv steigern zu können und gar-nierte ihn mit über zwei Dutzend exotischenBaumarten – aus Nordamerika, aus demwestlichen M ittelmeergebiet, aus dem Uralund aus Sibirien (Douglasien, Weymouth-föhren, Sitkafichten, Sequoien usw .).

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Weil dieser Plan grosse Ausw irkungen aufdie W interthurer Forstw irtschaft hatte,lohnt sich hier ein Blick auf die w ichtigsten,stark gekürzten Grundsätze:1. A lle Stadtwälder sind als Hochwald mit

einer durchschnittlichen Umtriebszeitvon hundert Jahren zu behandeln oderin solche zu überführen.

2. A llgemein sind gemischte Beständeanzustreben. Den Hauptbestand sol-len aber Rot- und Weisstannen bilden.Die Laubbaumarten sollen höchstenszwanzig Prozent Anteil erreichen.

3. Die Hiebe sollen für jeden Waldteilmöglichst regelmässig erfolgen.

4. A ls Regel gilt der Kahlschlag.5. A lle Kahlschläge sind künstlich aufzu-

forsten . Gute Böden so l len landw irt-schaftlich zw ischengenutzt werden.

6. Bei der Naturverjüngung durch allmäh-lichen Abtrieb sind die Schläge dunkelzu halten und nach erfolgter Besamungsofort zu lichten.

7. Jungwüchse sind sorgfältig zu pflegen.8. Das pro j e k t i e rte Wegnetz ist bis zur Vo l l-

endung zu realisieren.9. Die Nutzung unterliegt dem Prinzip der

Nachha ltigkeit: Die Nutzung darf denZuwachs nicht übersteigen.

10. Die Anwendung dieses Prinzips iststreng zu kontrollieren.

11. Die Jahreserträge an Holz sollen mög -lichst gleichmässig sein.

12. Der Bew irtschafter bestimmt über: Rei-henfolge der Hiebe, Verjüngungsdau-er, M ischungsverhältnisse bei der Auf-forstung, Säuberungen und Durchfor-stungen und Ve rvo llständigung desWegnetzes. Er hat ausserdem auf diePflanzung von Eichen, vor allem im Lind-bergwald, zu achten.

13. Im ersten Jahrzehnt des Planes soll dieHauptnutzung 2650 Klafter nicht über-steigen (unter Hauptnutzung verstehtman die entnommene Holzmasse ausmindestens 60jährigen Beständen).

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Ackerbau in der Forstwirtschaft: Kahlschlag 1894 und 1895 in der Waldebni (Eschenberg) Pflanzschule in der Waldebni 1896: Viele tausend Rottannen für den Winterthurer Stadtwald

Mammutbäume an der Unteren Weiherstrasse

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Noch im 19. Jahrhundert zeitigte die ein-seitige Rottannenw irtschaft schwerw ie-gende Folgen: Krankheiten, Stürme,Schneedruck und Borkenkäferinvasionensetzten den reinen, gleichaltrigen Rottan-nenwäldern derart zu, dass viele Bäumefrühzeitig gefällt werden mussten.Wohl deshalb folgte um die Jahrhundert-wende eine gründliche Kursänderung, ein-geleitet durch den damaligen Stadtforst-meister Friedrich Arnold: Der Kah lsch lagwurde endgültig durch den Femelschlagersetzt . Sein Zie l: mehr Rücksicht auf dieNaturverjüngung und eine naturgerech-tere Bew irtschaftung der Wälder.

Geistiger Vater dieser neuartigen Wald-baulehre war der Münchner Professor KarlGayer (1822–1907). Er plädierte für den Fe-melschlag mit ungleichaltrigen, gemischtenBeständen. Der Wald soll aus Gruppen zu-sammengesetzt sein, die ihrerseits aus ver-sch iedenen Baumarten in unterschied li-chem A lter bestehen. Der Femelschlag ver-jüngt den Wald also gruppenweise.W ie keine andere Bew irtschaftungsformberücksichtigt der Femelschlag ein mög-l ichst grosses Spektrum von Baumart e n .Die vorhandenen Bäume sollen sich mög-lichst natürlich verjüngen. Nur dort, wo kei-ne Naturverjüngung aufkommt oder wo ei-

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Sibers Hoffnung war eine Zeiterscheinung,die keineswegs auf W interthur beschränktwar: Schon 1850 berichtete der ehemaligeBerner Kantonsoberförster Karl Kasthoferüber seine Kulturversuche mit fremdenHolzarten. Er führte sie nach 1810 in derUmgebung von Interlaken durch. Auch ananderen Orten erfolgten in der zweitenHälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche An-bauversuche mit allen möglichen exoti-schen Baumarten.Zwar wurden im W interthurer Wald schonfrüher vereinzelt Weymouthföhren, Akazi-en und Schwarz f ö h ren gepflanzt. Doch un-ter Siber waren es ganze Legionen von Exo-ten: Gegen 100000 fremdländi sche Jung-bäume wurden um die Jahrhundertwendein den W interthurer Wald gepflanzt. Zw i-schen 1896 und 1902 war jeder zehnte ge-pflanzte Baum ausländischer Provenienz; imRekordjahr 1898 war es gar jeder fünfte.Doch die Euphorie w ich bald herber Ent-täuschung: W irtschaftlich war nämlich ein-

zig die grüne Douglasie von Bedeutung.Auf guten Böden liefert sie mehr Holz alsjede einheimische Baumart.In den ersten Amtsjahren seines Nachfol-gers Friedrich Arnold wurden die Pflanzun-gen noch fortgesetzt. Wahrscheinlich wur-den aber vor allem die noch von Siber hervorhandenen Jungbäumchen verwendet.Denn die Zahl der gepflanzten Exotennahm rasch ab; nach 1910 wurden fast kei-ne fremden Baumarten mehr gepflanzt.Fast alle der damals gepflanzten exoti-schen Baumarten sind inzw ischen aus denW interthurer Wäldern w ieder verschwun-den. Viele waren für die hiesigen Standorteschlicht ungeeignet und anfällig aufKrankhe iten und Schäd linge . Zwar triff tm a n auch heute noch auf einzelne fremdeBaumarten – etwa auf die Weymouthföh-re südlich des Bru d e rhauses oder den M a m-mutbaum bei den Walcheweihern – dochsind diese weder w irtschaftlich noch öko-logisch von Bedeutung.

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Forstleute auf dem Waldumgang um 1906: Forstamtmann Ernst (3.v.l.), Stadtforstmeister Arnold (4.v.l.)

Typisches Femelschlagbild um die Jahrhundertwende: Verjüngungsgruppe von 100jährigen Tannen

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streift, w ird allerdings feststellen, dass die-se Bestände vielerorts bereits aufgelockertwurden, damit allmählich eine natürlicheVerjüngung standortgerechter Baumartenmöglich w ird.Die W interthurer Stadtwälder sind heute inneun Reviere e ingetei lt . Für jedes Revier

w ird alle zehn Jahre ein neuer Betriebsplanerarbeitet, der von der kantonalen Volks-w i rt s c h a f t s d i rekt ion genehmigt werd e nmuss. In diesen Betriebsplänen sind alle An-gaben über den Holzvorrat, Zuwachs, Nut-zungen und die künftige Behandlung derWälder enthalten. Bei der Festsetzung der

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ne neue Baumart angesiedelt werden soll,w e rden Jungbäume gepf lanzt. Um dieschönsten Bäume zu begünstigen, werdendie schärfsten Konkurrenten gefällt. Im Ge-gensatz zum Kahlschlag und anschliessen-der Aufforstung auf grossen Flächen gehtder Femelschlag von kleinen Gruppen aus,welche allmählich erweitert werden. Ur-sprünglich schritt diese Verjüngungsart nursehr langsam voran. Das kam vor allem den-jen igen Baumarten entgegen , d ie im Ju-gendstadium problemlos Schatten ertra-gen: den Buchen, Rot- und Weisstannen.In der Amtsze it Friedrich Arnolds trat dasEidgenössische Forstgesetz in Kraft, dasden Kahlschlag und die Waldweide verbot.A rnolds Nachfolger Paul Lang passte denFemelschlag schliesslich denjenigen Baum-arten an, die als Jungbäume auf viel Lichtangew iesen sind. Diese Bew irtschaftungs-art behielt bis heute ihre Gültigkeit, wobeies immer w ieder zu leichten Änderungenbezüglich Baumartenwahl kam.

Zw ischen den beiden Weltkriegen warendie städtischen Forstleute vor allem damitbeschäftigt , die Feh ler zu korr i g i e ren , dieman Anfang Jahrhundert mit der einseiti-gen Förderung der Weisstanne gemachthatte. Diesbezüglich hat sich die W inter-thurer Forstgeschichte in diesem Jahrhun-dert w iederholt: Auch mit den heutigenBetriebsplänen versucht man, die Folgender Fehleinschätzungen früherer Jahrzehn-te auszubügeln. A llerdings ist heute nichtdie Weisstanne das Sorgenkind, sonderndie an vielen Stellen anzutreffenden künst-lichen Fichtenmonokulturen, die in densechziger und siebziger Jahren dieses Jahr-hunderts angelegt wurden. Diese Bestän-de sind heute das ganze Jahr über dunkel,monoton und artenarm. Sie sind anfälligauf Sturm- und Insektenschäden und ber-gen ausserdem die Gefahr, dass der Bodend u rch die Fichten-Nadelstreu versauert unddamit seine hohe Fruchtbarkeit verliert.Wer heute durch die W interthurer Wälder

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Waldarbeit 1949/1950: Vor der Mechanisierung der Holzernte beschwerlich und gefährlich

Handarbeit in den Nachkriegsjahren: Holzschlag mit Beil und Zwei-Mann-Hobelzahnsäge

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Arbeitspferd ökologisch und ökonomischeine sinnvolle A lternative zur grossflächigenmaschinellen Holzernte. Denn: SchwereMaschinen sind im Wald nicht unproble-matisch – sie können durch ihr Gew ichtden Boden verdichten und damit dessenD u rchlüftung und Fruchtbarke it bee in-trächtigen. Ausserdem können durch Fahr-lässigkeit bei der maschinellen Holzernteauch lebende Bäume in M itleidenschaftgezogen werden. Maschinen sind für denTransport von dünnen Baumstämmen re-lativ teuer und belasten die Luft. Die För-derung von Arbeitspferden ist deshalb einw ichtiger Schritt auf dem Weg zu einer öko-logischen Waldbew irtschaftung. Rentabelist der Pferdeeinsatz allerdings nur in Kom-bination mit Maschinen. Was für den Men-schen zu schwer und für eine grosse Ma-schine unverhältnismässig ist, lässt sich mitdem Pferd elegant, waldschonend, zeit-sparend und w irtschaftlich transportieren.Zw ischen 1987 und 1996 hat der städti-

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jährlichen Nutzung w ird berücksichtigt,dass nur der Zuwachs geschlagen oder mitanderen Worten der Zins vom Kapital ge-nutzt werden darf. Der Begriff für dieses ansich altbekannte Prinzip aus der Forstw irt-schaft ist heute in aller Munde: nachhaltigeNutzung der natürlichen Ressourcen.Die regelmässigen Revisionen der W irt-schaftspläne bedingen einerseits, dass derWaldzustand permanent überwacht w ird,und sie ermöglichen andererseits, dass all-fällige Fehler in der Bew irtschaftung recht-zeitig korrigiert werden können.

Aufs richtige Pferd setzen

In die W interthurer Waldw irtschaft hat imLaufe der Zeit natürlich auch die TechnikEinzug gehalten: Ende der fünfziger Jahrew ichen die bis dahin gebräuchliche Axt, dieWaldsäge und das Schäleisen der Ein-mann-Motorsäge und der Hand-Entrin-dungsmaschine – und diese w iederum der

fahrbaren Entrindungsmaschine. Die Me-chanisierung und Rationalisierung der Forst-w irtschaft ermöglichte zunehmend, Holz-e rnten und Räumungen nach Stürm e nschnell, effizient und günstig zu erledigen.Der Transport dünner Stämme vom Schlagzum Wegrand geschah noch bis in die fünf-ziger Jahre auf den Schultern der Waldar-beiter. Das schwere Holz hingegen wurdemit Pferden aus Landw irtschaft und Fuhr-haltereien an die Strassen geschleift. DiePferdehaltung wurde aber unrentabel, undschon bald setzte man Traktoren ein. Weildiese aber für den Einsatz im Wald nur b e-dingt geeignet sind, hat man sie durch ge-ländegängige Forstschlepper ersetzt.Seit Ende der achtziger Jahre kommen Pfer-de in den W interthurer Wäldern w iederhäufiger zum Einsatz. Inzw ischen hat mannämlich die Vorteile des Hafermotors neuentdeckt: Pferde arbeiten nicht nur wald-schonend und zeitsparend, sondern auchkostengünstig. Richtig eingesetzt ist das

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Moderne Seilwinde im Hegibergwald 1997

Arbeitspferd im Eschenbergwald 1986

Windfall vom 12./13. Dezember 1929: Grössere Schäden in den Monokulturen auf dem Etzberg

Schneedruckschäden von 1919 im Lindbergwald

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mehr geschwächte Bäume vorhanden sind.Bei Masseninvasionen befällt er auch gesun-de Bäume. Am schnellsten breitet er sichnatürlich in Wäldern aus, in denen die Rot-tanne häufig oder sogar vorherrschend ist.Im Jahre 1947 untersuchte der damaligeStadtforstadjunkt Kurt Madliger eine be-fallene 120jährige Rottanne im Lindberg-wald. Resultat: Auf diesem Baum lebtenbereits so viele Borkenkäfer, dass schon ih-re nächste Generation eine ganze HektareRottannenwald hätte vernichten können.Doch zu dieser Epidemie kam es nicht, denndas Forstamt reagierte prompt: GesundeRottannen wurden – sozusagen als Köder –

gefällt und liegengelassen. Die Borkenkä-fer befielen die liegenden Stämme und ver-mehrten sich unter der Rinde rasch. Dannwurden diese Stämme geschält und dieRinden verbrannt. Auf diese Art konnte dasForstamt sämtliche Herde vernichten.Es wäre falsch, den Borkenkäfer als Wald-zerstörer zu bezeichnen. Ein Schädling istder Borkenkäfer nur in Bezug auf das Nutz-holz. Dem Wald an sich schadet er nicht. ImGegenteil: Er gehört ins Ökosystem Wald.Vielmehr liegt der Kern des Borkenkäfer-problems heute in den grossflächigen,strukturarmen Rottannenwäldern.

Ist das Waldsterben tot?

Im Betriebsp lan für das Stadtwa ldre v i e rE s c h e n b e rg hatte 1976 der damalige Stadt-forstmeister Diethelm Steiner auf ein eigen-artiges Phänomen hingew iesen: das Weiss-tannensterben. Steiner suchte die Gründebei einer falschen waldbaulichen Behand-lung der Weisstanne. Anfang der achtzigerJahre hatte er immer häufiger ähnlicheKrankhe itsbi lder be i anderen Baumart e nfestgestellt. Zu einem Zeitpunkt, wo auchandere Schweizer Forstleute in ihren Wäl-dern ein bis dahin kaum bekanntes Phäno-men entdeckten: das Waldsterben. DieseErscheinung war für viele neu, ihre Ursacheunbekannt und ihr Ausmass kaum ab-schätzbar. In der Folge gingen Schrek-kensbilder von serbelnden Bäumen durchden Blätterwald. In Vorträgen, Artikeln undB ü c h e rn wurde leidenschaft lich vor demg rossf läch igen Absterben des SchweizerWa ldes gewarnt. Über d ie Ursachen warman sich relativ rasch einig: Die L u f t s c h a d-

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sche Forstbetrieb den Einsatz von Pferdenin den Stadtwäldern von 50 auf 517 Ar-beitsstunden steigern können. Heute ge-hört der kombinierte Einsatz von Maschi-nen und Pferden in den Stadtwäldern be-reits zum Standard: Die Pferde schleifen diegefällten und entasteten Baumstämme auseinem Umkreis von etwa 50 Metern zu densogenannten Rückegassen, wo sie von ei-nem Forwarder eingesammelt und ab-transportiert werden. Daneben setzt derstädtische Forstbetrieb immer häufigerMobilseilkranen – für den Holztransport imsteilen Gelände – und moderne Vollernterein. Solche Vollernter erledigen fast alles ineinem Zug: Fällen, Entasten, Ablängen unddas sortimentweise Ablegen der Stämme.

Schon manchen Sturm überlebt

Die W interthurer Wälder wurden immerw ieder von schweren Stürmen he imge-sucht. In den Jahren 1919, 1930, 1967 und1975 zum Beispiel verwüsteten schwereStürme beachtliche Teile der W interthurerStadtwälder. 1967 fielen etwa 30000 Ku-bikmeter Fallholz an – rund doppelt sovielw ie die damalige Jahresnutzung.Besonders eindrücklich aber war der Orkanim Februar 1990: Damals wütete über wei-ten Teilen Europas der JahrhundertsturmVivian. Auch die W interthurer Stadtwälderw u rden von ihm nicht verschont: Innert zweiTagen fegte Vivian über 8000 KubikmeterHolz zu Boden – immerhin rund 40 Prozentder damaligen Jahresnutzung.S t ü rme ganz anderer Art waren die Borken-käferinvasionen, die gelegentlich den W i n-t e rt h u rer Stadtwäldern zusetzten. Die Nach-

wehen der einseitigen Rottannenw irt s c h a f tvergangener Zeiten w irkten noch bis indieses Jahrhundert: So suchte in den Nach-kriegsjahren der gefürchtete grosse Fichten-borkenkäfer ( B u c h d rucker) die W i n t e rt h u re rStadtwälder heim: Während ihm anders-wo in Europa regelmässig Tausende vonH e k t aren Wald zum Opfer fielen, waren d i eInvasionen von 1946 bis 1949 die erstennach mehr als einem Jahrh u n d e rt. Der 4 bis5 , 5 M illimeter lange, dunkle Käfer ist einSekundärschädling. Das heisst: Er befälltliegende oder stehende Rottannen, die be-reits krank oder am Absterben sind. Der Bor-kenkäfer breitet sich um so rascher aus, je

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Schälen und Verbrennen von Rinde 1947

Rindenstück mit Borkenkäferbrut 1947

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zentrationen und andere aggressive Luft-schadstoffe setzten den Wäldern derart zu,dass 1992 bereits drei von vier Bäumen imKanton Zürich zumindest leicht geschädigtwaren. Bis 1995 sank der Anteil der zumin-dest leicht geschädigten Bäume w ieder aufetwa 63 Prozent. Je nach W itterung undS c h a d s t o ffkonzentrationen könnte der An-teil der geschädigten Bäume in den kom-menden Jahren w ieder zunehmen.Leicht geschädigt heisst übrigens: Verlustvon mindestens 15 Prozent der Nadeln oderBlätter. Gemäss internationaler Konventiongelten heute aber erst Bäume mit einerKronenverlichtung von mehr als 25 Prozentals geschädigt. Bäume in den Schadstufenbis 25 Prozent Kronenverlichtung gelten so-mit als gesund. Wendet man diesen Kunst-griff auch auf den W interthurer Wald an,so geht es ihm statistisch gesehen natürlichviel besser als oben dargestellt.Vor wenigen Jahren haben Waldforscherein neues Phänomen entdeckt: das soge-

nannte Zuwachsparadoxon. W ill heissen:Der angeblich schwer angeschlagene Waldwuchs in den beiden vergangenen Jahr-zehnten so schnell w ie noch nie. Ein W i d e r-spruch? Nein, sagen die Experten. Studienhätten nämlich gezeigt, dass zwischen Kro-nenverlichtung und Zuwachs kein Zusam-menhang bestehe . D ie Ursachen für dasschnellere Wachstum sind noch nicht ge-klärt. Diskutiert werden zurzeit drei Hypo-thesen: D ü n g e e ffekte d u rch Luftverschmut-zung, g e s t e i g e rte Photosyntheseleistunga u f g rund höheren Kohlendioxid-Geha ltsder Luft und schliesslich die positiven Aus-w irkungen des Waldweide-Verbots.

Zehn Forstmeister für die Stadt

In W interthur gibt es seit 1813 ein Stadt-forstamt. Neun Männer waren seither imAmt des W interthurer Stadtforstmeisters,der zehnte, der 34jährige Beat Kunz, w irdes Anfang August 1997 antreten.

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stoffe und der saure Regen mussten demWald unbarmherzig zugesetzt haben. Dasbrachte Bewegung in die Politik: Noch imHerbst 1984 wurde eine eidgenössischeVolksinitiative Kampf dem Waldsterben lan-ciert. Anderthalb Jahre später folgte unterdem Titel Rettet unsere Wälder eine zwei-te Volksinitiative. Beide Initiativen erlittenjedoch Schiffbruch – bereits im Unterschrif-tenstadium. Inzw ischen sind viele Stim-men, die sich noch M itte der achtziger Jah-re für den Schutz des Waldes stark ge-macht haben, w ieder verstummt. Und inden Schweizer Medien ist das Waldsterbenheute kaum mehr ein Thema.Ein Blick auf die Zustandsentw icklung desW interthurer Waldes zeigt aber, dass dieIntensität öffentlicher Wa l d s t e r b e n sd e b a t-ten kein Gradmesser für den Gesundheits-zustand des Waldes ist.

Untersuchungen am Patienten Wald

Um den Gesundheitszustand der W inter-thurer Wälder festzustellen, wurden imSommer 1984 Infrarotaufnahmengemacht.Fazit: 73 Prozent der Bäume im W interthu-rer Stadtwald waren noch gesund, 21 Pro-zent kränklich, 5 Prozent krank und 1 Pro-zent absterbend.In den darauf folgenden Jahren hat sich derZustand verschlechtert: Die Stichprobenauf-nahmen von 1986 im ganzen Kanton zeig-ten, dass nur noch ein Drittel aller Bäumegesund war. Knapp die Hälfte war schwachgeschädigt, und 18 Prozent w iesen bereitsmittelstarke Schäden auf. Stark gelitten hat-ten inzw ischen vor allem die Laubbäume:Zw ischen 1985 und 1986 haben die ge-

schädigten Laubbäume von 25 auf 65 Pro-zent zugenommen. Steiner fand 1986 diestark geschädigten Baumbestände imEschenbergwald vor allem an den Süd-west- und Nordwest-Hängen – also gegendie Hauptw indrichtung – und auf Kuppen.Eine plausible Erklärung für Steiners Be-obachtungen lieferten später Schadstoff-messungen und Flechtenkartierungen, diein den am stärksten geschädigten Waldge-bieten übereinstimmend eine stärkere Luft-verschmutzung konstatierten.

Auf und ab mit der Gesundheit

Im folgenden Jahr besserte sich die Situationin den Stadtwäldern für die Weisstannen,Rottannen und Eschen. Hingegen traten anF ö h ren, Lärchen, Ahornbäumen und Eichenvermehrt Schäden auf.Eine Besserung zeichnete sich 1988 und1989 ab. Zwar war der W interthurer Waldkeineswegs w ieder gesund, doch günstigeW itterungsbedingungen liessen den Anteilder zumindest schwach geschädigten Bäu-me von 58 im Jahre 1986 auf 43 Prozent imJ a h re 1989 zurückgehen. Nur: Der Anteil dergeschädigten Bäume sei noch immer viel zuhoch und er könne sich zudem auch rasche rhöhen, warnte der städtische Forstbetriebdamals. Das war schon im folgenden Jahrder Fall: Der Anteil der geschädigten Bäu-me stieg w ieder auf 59 Prozent. Dem Waldging es also w ieder gleich schlecht wie 1987.Die Nadelbäume waren dabei schlechterdran als die Laubbäume.Noch dramatischer stieg der Anteil geschä-digter Bäume in den Jahren 1991 und 1992.Warme trockene Sommer, hohe Ozonkon-

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dungsmöglichkeit gab es damals für ange-hende Schweizer Forstingenieure nicht,denn die ETH Zürich, wo die Forstexpertenheute ausgebildet werden, gab es nochnicht. Nach seiner Ausbildung übernahmder 19jährige Kaspar Weinmann die Stelledes Stadtforstadjunkten. Er war damit Ge-hilfe und Stellvertreter seines Vaters. In die-ser Ära We i n m a n n w u rden vie le Pf lanz-gärten angelegt, zahlreiche Waldstrassengebaut, die Töss im Leisental eingedämmtund grosse Gebiete um den Eschenberg-hof aufgeforstet.Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt hatteKaspar Weinmann mit seinen Studienkolle-gen Elias Landolt und W ilhelm Friedrich Her-tenstein den wegweisenden Plan über dieB e w i rtschaftung der Stadtwälder erarbeitet– mitunter ein Ausdruck für die moderne,auf die Ergebnisse der W issenschaft abge-stützte Waldw irtschaft. Landolt war der er-ste Professor für Forstw irtschaft am neuge-gründeten Eidgenössischen Polytechnikum

in Zürich, gleichzeitig Oberf o r s tmeister desKantons Zürich und Inhaber einer gleich-nam igen We inhandlung in der Stadt Zü-rich. Hertenstein wurde später zum Bundes-rat gewählt. Erfolglos kämpfte Kaspar Wein-mann in den siebziger Jahren des letztenJ a h rh u n d e rts gegen die Rodung des Wa l d-

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Andreas Weinmann (1813–1861)*Zum ersten Stadtforstmeister von W inter-thur wurde 1813 Andreas Weinmann ge-wählt. Der damals 20jährige hatte bereitseinige Vermessungen durchgeführt. Von1818 bis 1830 wohnte Weinmann imBruderhaus. In seiner Amtszeit entstandder erste W irtschaftsplan für den Wald aufdem Eschenberg. Grössere Waldrodungenfanden in der vor allem durch Grosskahl-schläge geprägten Amtszeit Weinmannsnicht statt. Hingegen wurden kleinereParzellen verkauft oder für den Bau der

Nordostbahn abgetreten. Weinmann hattegrosse Verdienste um die Verbesserungder forstlichen Verhältnisse im Eschenberg-wald. Er trat Anfang 1861 zurück und starbbereits ein halbes Jahr später.

Kaspar Weinmann (1861–1888)In die Fussstapfen von Andreas Weinmanntrat sein Sohn Kaspar. Er kam 1827 im Bru-derhaus zur Welt. Kaspar Weinmann stu-dierte Forstw irtschaft, zuerst in Hohenheimbei Stuttgart, dann in Tharandt bei Dres-den. Seine gesamte Ausbildung absolvier-te er in Deutschland; daher seine Vorliebefür den Kahlschlag. Eine andere Ausbil-

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Kaspar Weinmann (geb. 1827, gest. 1888)

Aus der Zeit um die Jahrhundertwende: Gedenkstein für Kaspar Weinmann an der Sandgrubenstrasse

Familienfoto 1850: Andreas Weinmann (vorne rechts, geb. 1792) mit Frau Margarete und PflegetochterEmma Sulzberger, Tochter Elisabetha Sulzberger-Weinmann (hinten), Schwiegersohn Heinrich Sulzberger

* In Klammern ist die jeweilige Amtszeit angegeben

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oder im Meiengstell (Eschenbergwald) bei-spielsweise stammen alle aus Sibers Amts-zeit. Er starb 1899 nach nur fünf Amtsjahen.

Friedrich Arnold (1899–1928)Auf Siber folgte der wohl berühmtesteStadtforstmeister: Friedrich Arnold. Er hat

sich weltweit einen Namen gemacht als er-ster Waldbauer, der konsequent mit Natur-verjüngung und Femelschlag gearbeitethatte – und vor allem: der damit auch Er-folg hatte. Er war es also, der in W interthurden Kahlschlag von einem Tag auf den an-deren durch den Femelschlag ersetzte. Dasbrauchte damals eine gehörige Portion M u tund Überzeugungskraft . Arno ld brachtenicht nur die alten Stadtwaldreviere, son-dern auch die angeschlagenen ehemaligenGemeindewälder, die nach der Stadtverei-nigung unter seine Fittiche kamen, innertKürze auf Vordermann. Rückblickend hat-te Arnolds Femelschlagtechnik allerdings ei-

nen Makel: Er bevorzugte zu stark die We i s s-tanne. Trotzdem: Unter Arnold sind die W i n-terthurer Stadtwälder im In- und Auslandzu einem der angesehensten Lehr- und Ve r-suchsgebiete geworden, das Jahr für Jahrvon W issenschaftern und Praktikern aus al-ler Welt besucht wurde. Nach seinem Tod1928 erschien in der Schweizerischen Zeit-schrift für Forstwesen ein Nachruf auf Ar-nold. Darin heisst es unter andere m : Unteraller Wahrung der ökonomischen Anforde-rungen war Arnold doch stets darauf be-dacht, bei seinen w irtschaftlichen M a s s-regeln auch die natürliche Wa l d s c h ö n h e i t z uf ö rd e rn, und es ist ihm denn auch gel u n g e n ,die W i n t e rt h u rer Waldungen in verh ä l t n i s-mässig kurzer Zeit und scheinbar müheloszu einem grossen Park umzuwandeln.

Paul Lang (1928 –1960)Unter dem neuen Stadtforstmeister PaulLang fiel Arnolds Weisstannen-Naturverjün-gung zum Teil der Trieblaus zum Opfer.

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gebietes Vogelsang. Immerhin wehrte ersich aber erf o l g reich gegen den Verkauf desK ü m b e rgwaldes. Weinmann starb 1888.

Theodor Felber (1888 –1894)Der dritte Stadtforstmeister, Theodor Fel-ber, hatte eine kurze Amtszeit. Auch er war

ein Vertreter der Kahlschlagw irtschaft. A l-lerdings lehnte Felber die einseitige, schab-lonenhafte Anwendung sächsischer undpreussischer Bew irtschaftungsmethodenab. Vor seiner Wahl nach W interthur hatteFelber reichlich Praxiserfahrung gesam-melt: Er war Geometer bei der Katasterver-messung des Kantons Solothurn, Oberför-ster des Kreises W illisau/Entlebuch, Ober-förster der Oberallmendkorporation Schwyzund Kantonsoberförster beider Appenzell.Im öffentlichen Leben spielte Felber einebedeutende Rolle: Er bekleidete zahlreicheÄmter und war landesweit als Experte inGesetzesfragen sow ie in forstpolitischen,

forstästhetischen und volksw irtschaftli-chen Angelegenheiten geschätzt. Ihmwurde unter anderem eine kraftvolle Per-sönlichkeit, eine glänzende Rednergabe,Patriotismus und Begeisterung für allesSchöne und Edle attestiert. Bekannt wurdeFelber auch als Forstästhet. So hatte er zumBeispiel in W interthur Spazierwege um dieWalcheweiher angelegt und sie liebevollmit Zäunen aus krummem Birkenholz ge-schmückt. Schon sechs Jahre nach seinemAmtsantritt wurde Felber 1894 zum Pro-fessor für Forsteinrichtung ans Eidgenössi-sche Polytechnikum gewählt.

Max Siber (1894–1899)Felbers Nachfolger, Max Siber, war vor sei-ner Wahl zum neuen Stadtforstmeister vielgereist und weltweit tätig gewesen. So warer zum Beispiel Plantagenleiter in Sumatra.Kein Wunder also, dass Siber ausserordent-lich Gefallen an exotischen Baumarten fand.Die Mammutbäume bei den Wa l c h e w e i h e rn

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Max Siber (gest. 1899)

Friedrich Arnold (geb. 1856, gest. 1928)Theodor Felber (geb. 1849, gest. 1924)

Paul Lang (geb. 1894, gest. 1983)

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ger Jahren, vor allem aber in den Achtzigernwurden immer häufiger Stimmen laut, dieeinen stärkeren Einbezug des Naturschutz-gedankens in die Forstw irtschaft ford e r-ten. Immer länger werdende Listen von aus-sterbenden Tier- und Pflanzenarten habendie Seele von Naturfreunden empfindlichgetroffen. Kein Wunder also, dass der Na-turschutz in der Amtszeit Siegerists einengrossen Stellenwert hatte: Bereits in densiebziger Jahren setzte er sich, damals nochals Adjunkt, für den Schutz von Amphibienund Wasserinsekten ein. Er förderte mass-geblich die Realisierung zahlreicher Nass-s t a n d o rte in den W i n t e rt h u rer Wä ldern .Erst kürzlich w ieder, 1995 und 1996, wur-den unter Siegerist im unteren Hangento-bel im Eschenbergwald zwei neue Amphi-bienweiher angelegt (siehe Bild Seite 100).Ein weiterer Schwerpunkt von SiegeristsTätigkeit waren die Massnahmen zur För-derung standortgerechter Baumarten undder konsequenten Naturverjüngung.

Ernst Krebs

An dieser Stelle darf einer nicht vergessenwerden, der zwar nie W interthurer Stadt-forstmeister war, sich aber dennoch weitüber die Stadtgrenzen hinaus einen Na-men gemacht hat als hervorragender Ken-ner der hiesigen Wälder und als unermüd-licher Kämpfer für den Erhalt einer intaktenUmwelt: Ernst Krebs (1903 bis 1 9 9 6 ) .Der Forstingenieur aus Töss war zw ischen1936 und 1939 als Stadtforstadjunkt auchim Dienste des damaligen W interthurerForstamtes tätig. Anschliessend wurde erzum Kreisforstmeister in Bülach und W in-

terthur gewählt, und ab 1960 bis zu seinerPensionierung 1968 war Krebs Oberforst -meister des Kantons Zürich.A ls begnadeter Autor und als geistreicherRedner kämpfte Ernst Krebs auch nach sei-ner Pensionierung noch bis ins hohe A lterhartnäckig für den Schutz der Natur.

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Schliesslich passte Lang den Femelschlag andie Bedürfnisse derjenigen Baumarten an,die im Jugendstadium auf Licht angew iesensind. Lang erlebte als Forstmeister die Kri -senjahre mit den Sorgen des Holzabsatzesund d ie Kriegsze it m it den befoh lenenÜbernutzungen. In seiner Amtszeit erfolgteder Wechsel von der Handarbeit zur Mecha-nisierung der Holzernte.

Kurt Madliger (1960–1974)Nachfolger von Paul Lang wurde Kurt Mad-liger, der schon seit 1944 als Adjunkt in derF o r s t v e rwaltung tätig war. 1960 wurde erzum W interthurer Stadtforstmeister g e-wäh lt . Seine Amtszeit war geze ichnetvom Rutsch des Forstbetriebs in die rotenZahlen und von der etwas einseitigen För-d e rung der Rottanne. W ie kaum ein andere rStadtforstmeister vor ihm verstand es Mad-l i g e r, die Erkenntnisse der Forstw irtschaftund die Bedeutung der W interthurer Wäl-der an ein breites Publikum heranzutragen.

1974 wurde Kurt Madliger zum Konserva-tor der Naturw issenschaftlichen Samm-lungen gewählt.

Diethelm Steiner (1974 –1987)Madligers Nachfolger, Diethelm Steiner,gehört zusammen mit dem heute amtie-

renden Hermann Siegerist zu den beideneinzigen noch lebenden W interthurer Stadt-forstmeistern. Unter Steiner wurde aus demForstamt der Stadt W interthur 1987 derStädtische Forstbetrieb. Die Amtszeit Stei-ners war von drei Phänomenen geprägt:von der zunehmenden Bedeutung derWohlfahrtsfunktionen des Waldes, vomstärkeren Einbezug des Naturschutzes indie Waldw irtschaft und vom Waldsterben.

Hermann Siegerist (1988 –1997)M it allen drei Zeiterscheinungen hatte sichauch sein Nachfolger, Hermann Siegerist,auseinanderzusetzen. Schon in den siebzi-

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Diethelm Steiner (geb. 1922)

Hermann Siegerist (geb. 1932)

Kurt Madliger (geb. 1918, gest. 1992)

Ernst Krebs 92jährig (geb. 1903, gest. 1996)

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Jede Lebensgemeinschaft w ird durch ihreUmwelt geprägt. Den Wald prägen natür-liche Umwelteinflüsse w ie Temperatur, Nie-derschlag, Sonneneinstrahlung, Hangnei-gung, Gestein oder Bodenbeschaffenheit.Unter ähnlichen Umwelteinflüssen gedei-hen von Natur aus ähnliche Pflanzenge-meinschaften. Solche für einen bestimmtenStandort typische Gemeinschaften nenntman Pflanzengesellschaften oder Waldge-sellschaften. Zu einer Waldgesellschaft ge-hören neben den Bäumen auch die Sträu-cher und natürlich die Bodenpflanzen mit-samt den Farnen und den Moosen. Anhandder Bodenpflanzen und der Bodenbeschaf-fenheit kann man feststellen, welche Baum-arten von Natur aus wachsen würden. EineWaldgesellschaft beschreibt lediglich diepotentielle natürliche Vegetation, nicht dentatsächlich vorhandenen Baumbestand.Auf dem Gebiet der Stadt W interthur kom-men über 40 verschiedene Waldgesell-schaften vor (siehe Tabelle Seite 58); diemeisten gehören zu den Buchenwäldern.Kein Wunder, denn auf den hiesigen Bö-den ist die Buche am konkurrenzfähigstengegenüber anderen Baumarten. Hier kannsie bisweilen Reinbestände ausbilden. Jenach Bodenbeschaffenheit gesellen sich zurBuche andere Laubbäume: im feuchteren,eher kalkhaltigen Bereich beispielsweiseder Bergahorn, die Esche oder die Bergul-me, auf feucht-sauren Böden hingegen dieW interlinde oder die Hagebuche. Auf ehertrockeneren Böden findet man neben der

Buche verschiedene Eichenarten, die Mehl-beere oder w iederum die Hagebuche. Beiextremen Bodenverhältnissen ist die Buchenicht mehr konkurrenzfähig. Sie w ird ab-gelöst durch die Schwarzerle, die Esche, dieBirke oder die Föhre. Solche extreme S t a n d-orte mit den entsprechend seltenen Wald-gesellschaften gibt es auch in W interthur.Ohne menschliche Eingriffe entw ickelnsich an den meisten Standorten in W inter-thur sommergrüne Laubmischwälder, dievon der Buche dominiert werden.Neben den lokalen Gegebenheiten im Ge-lände, w ie etwa Neigung und W indexposi-tion, sind in W interthur vor allem der Ge-steinsuntergrund und die Bodenbeschaf-fenheit ausschlaggebend für die Vielfaltder Waldgesellschaften.Der Gesteinsuntergrund bildet die Grund-lage des Oberbodens, auf dem schliesslichdie Pflanzendecke wächst. Seine Zusam-mensetzung beeinflusst den Nährstoffge-halt und den Wasserhaushalt des Bodensund damit auch die Waldgesellschaft.Die oberste Gesteinsschicht ist in W inter-thur vielerorts die Obere Süsswassermolas-se, das älteste aller hier vorhandenen Ober-flächengesteine. So zum Beispiel an denSüdhängen des Lindbergs und des Eschen-bergs, aber auch am Nordhang des Dätt-nau, am Brüelberg und sogar auf demHochplateau des Eschenbergs. Weil Molas-se aus verschiedenen Ausgangsgesteinen(Mergel, Sandstein und vereinzelt Nagel-fluhbänder) besteht, findet sich auf ihr ein

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Im Reich der Buche

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Die grösste Vielfalt an Waldgesellschaftenweist der Eschenbergwald auf. 38 verschie-dene Gesellschaften sind in diesem 7,6Quadratkilometer grossen Waldgebiet ver-treten. Zum Vergleich: Im Lindbergwaldkommen nicht einmal halb so viele Gesell-schaften vor. Doch die Vielfalt des Eschen-bergs täuscht: Ganze zwei Drittel der Wald-fläche nehmen alleine die Waldhirsen-Bu-chenwälder ein. In keinem anderen Gebietin W interthur erreichen diese Waldgesell-schaften eine solche Ausdehnung. ImEschenbergwald hingegen kommen siefast überall vor: Beinahe der gesamte Nord-hang zw ischen der Breiti und dem Paradisbesteht aus Wa l d h i r s e n - B u c h e n w a l d - S t a n d-orten; sie fehlen eigentlich nur an heissenund sehr trockenen oder an feuchten La-gen: an den Südhängen gegen die Tösshinunter, im Leisental und an vernässtenStellen auf dem Hochplateau, zum Beispielin der Umgebung des Gebietes Riet. DieWaldhirsen-Buchenwälder wachsen bevor-zugt auf tiefgründigen, weder stark saurennoch sehr kalkreichen Braunerde-Böden,wobei sie je nach Bodenbeschaffenheitunterschiedliche Varianten ausbilden. DieBaumschicht ist ausserordentlich kräftigund hoch; die Bodenvegetation ist rechtüppig. Häufig bestimmen die Farne dasWaldbild, so der Gewöhnliche Waldfarn,der Gelappte Schildfarn oder der Eichen-farn. Diese Farne können indes auch völligfehlen. Auch den Geissbart findet manhäufig in diesen Wäldern. Die w ichtigsteBaumart ist natürlich die Buche. Danebenkommen aber auch Weisstanne, Rottanne,Bergahorn und Esche in dieser Gesellschaftziemlich häufig vor. W ichtige Sträucher sind

breites Spektrum verschiedener Waldge-sellschaften. Ansonsten stammen hier dieobersten geologischen Schichten vorw ie-gend aus der letzten Eiszeit: In den Talbö-den bestehen sie aus würm e i s z e i t l i c h e nS c h o t t e rn und auf den Hüge ln überw i e-gend aus Moränenmaterial.

Entscheidende Grenzschicht

So w ie sich unter ähnlichen Bedingungenähnliche Pflanzengesellschaften einstellen,so entstehen unter ähnlichen Bedingun-gen ähnliche Böden. Und die sind mitunterw ichtige Standortfaktoren für die Waldge-sellschaften. Der Boden ist die Grenzschichtzw ischen der Gesteinsschicht und der obers-ten Schicht von totem Pflanzenmaterial –und mithin eine M ischung aus beidem.Der häufigste Bodentyp in W interthur istdie Braunerde. Dieser ton- und nährstoff-reiche Boden ist typisch für das ausgegli-chene Klima. In der Braunerde sind Humus

und M ineralien gut vermischt, die Frucht-barkeit ist entsprechend hoch. Je nach Ge-stein und Hangneigung sind die W inter-thurer Braunerdeböden mehr oder wenigerstark kalkhaltig. Saure Braunerden sind hiereher die Ausnahme. Typische Waldgesell -schaften auf Braunerden sind etwa dieWaldmeister-Buchenwälder.Auf Kuppen und an Steilhängen sind dieRendzina-Böden verbreitet. Sie sind weni -ger tiefgründig als die Braunerden, und dasMuttergestein tritt bisweilen an die Ober-fläche. Auf Rendzina-Böden kommt zumBeispiel der am Eschenberg-Südhang rela-tiv häufige Lungenkraut-Buchenwald vor.In Mulden und Hangfusslagen stehen vieleBöden ständig unter dem Einfluss vonGrund-, Hang- oder Stauwasser; sie sinddeshalb dauernd feucht. Das sind die typi-schen Standorte der Eschenmischwälder.Solche Standorte finden sich zum Beispiel inden Bachtobeln des Leisentals und an feuch-ten Stellen auf dem Eschenbergplateau.

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Immenblatt. Die steile Hanglage ist typischfür diese Gesellschaft: Sie gedeiht an schat-tigen und luftfeuchten Hängen, wo ständigetwas feiner Schutt nachrieselt. Die w ich-tigsten Baumarten sind neben der Buchedie Sommerlinde, der Bergahorn und dieEsche. Bingelkraut, Waldmeister, Maiglöck-

chen, Immenblatt und Schwalbenwurzkennzeichnen die Bodenvegetation.Gegenüber der Grüenau zw ischen derBahnlinie und der Töss tauchen noch Restedes Ulmen-Eschen-Auenwaldes auf. Diesist der einzige Standort dieser Waldgesell-schaft in W interthur. Sie ist Bestandteil derunteren Stufe von Hartholzauen und hateinst die Flussauen im Schweizer M ittel-land geprägt. Heute sind gut ausgebildeteUlmen-Eschenwälder sehr selten gewor-den. Der nährstoffreiche Boden kann zeit-weilig oberflächlich austrocknen. Der Bu-che ist es hier zu nass, hingegen bilden dieEschen, Bergulmen, Schwarzerle und Stiel-eiche hochaufragende lichte Bestände. Ha-sel, Pfaffenhütchen und Hornstrauch sindin der Strauchschicht solcher Wälder oft zufinden. A ls häufigste Bodenpflanzen kom-men W interschachtelhalm, Rasenschmie-le, Geissfuss oder Goldnessel vor.Ein grosser Hangrutsch am Gamser hat1995 den dortigen Orchideen-Föhrenwald

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vor allem die Himbeere, der Schwarze Ho-lunder und die Schwarze Heckenkirsche.Die Bodenvegetation besteht hauptsächlichaus Waldmeister, Waldveilchen, Waldhirse,Goldnessel, Einbeere, Buschw indröschen,Sauerklee und aus Behaarter Hainsimse.Für W interthurer Verhältnisse recht häufigtreten auf dem Eschenberg auch die Zwei-blatt-Eschenmischwälder auf. Sie sind aufdauernd oder zeitweise feuchte, nährstoff-reiche und lehmige Böden angew iesen, w iesie kleinflächig an vielen Orten auf demHochplateau vorkommen: in flachen Mul-den oder entlang von Bächen. Grössere Flä-chen von Zweiblatt-Eschenmischwäldernfinden sich im Gebiet Riet, vor allem aberim Leisental. Sie bilden hier die grössten zu-sammenhängenden Flächen auf dem Stadt-gebiet. Sporadische Überflutung und per-manenter Kontakt mit dem Grundwasserc h a r a kt e r i s i e ren die Zweib latt-Eschenmisch-w ä l d e r als Bestandteil der Hartholzaue. DerBuche ist es im Zweiblatt-Eschenmischwald

bereits zu feucht, sie fehlt in diesen Wäl-dern vollständig; nur dort, wo der Bodendurch Entwässerung, Absenkung desGrundwassers oder durch Flussverbauun-gen austrocknet, kann sie sich halten. Hin-gegen kommen neben der Esche auch Berg-ahorn, Stieleiche, Bergulme, Kirschbaumund die Hagebuche vor. Insgesamt machendie Zweiblatt-Eschenmischwälder mehr alsein Zehntel der Fläche des Eschenbergwal-des aus. Regional einzigartig sind die Zwei-blatt-Eschenmischwälder auf Auenböden.Sie kommen in der ganzen Grossregion nurin W in terthur vor – vor allem im Leisental.Hier sind sie allerdings wegen der Tösskor-rektion nicht typisch ausgebildet. Eine klei-nere Fläche befindet sich auch am tiefstenPunkt der Stadt bei der Kläranlage Hard.Eine Waldgesellschaft, die im M ittellandselten ist und in W interthur nur gerade aufzwei kleinen Flächen im Gebiet Chalber-weid am Osthang des Gamsers auftaucht,ist der Linden-Zahnwurz-Buchenwald mit

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Goldnessel im Lindbergwald

Buschwindröschen im BrüelbergwaldSauerklee im Brüelbergwald

Leisental: Für diesen Standort typischer lichter Zweiblatt-Eschenmischwald mit Weisser Segge

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tragreiche Fichtenmonokulturen umgewan-delt. Heute besteht der Eschenbergwald zufast zwei Dritteln aus Nadelbäumen, wobeidie Fichte am häufigsten vorkommt. Die äl-teren Baumbestände auf den ehemaligenausgedehnten Kahlschlagflächen des letz-ten Jahrhunderts nehmen noch immer ei-nen grossen Anteil ein.

Rottannenwald auf dem Lindberg

Auf dem Eschenberg machen die Waldhir-sen-Buchenwälder w ie erwähnt zwei Drit-tel der Waldfläche aus. Ganz anders auf demLindberg: Dort kommen diese Wälder über-haupt nicht vor. Dafür besteht fast der gan-ze Lindbergwald aus Waldmeister-Buchen-wäldern: Rund 85 Prozent des Lindbergssind mit diesen Wäldern bedeckt. Die Wald-meister-Buchenwälder sind die häufigstenWaldgesellschaften des Schweizer M ittel-landes. Sie entstehen auf mehr oder weni-ger neutralen, frischen und nährstoffrei-chen Böden über Molassegesteinen undMoränen. Die charakteristischen Baumar-ten dieser Waldgesellschaft sind die Buche,die Stiel- und die Traubeneiche, die Hage-buche, der Kirschbaum, die Esche, derBerg- und der Feldahorn, die Weisstanneund die W interlinde. Das natürliche Bilddes Waldmeister-Buchenwaldes als kräfti-ger Buchenmischwald mit starken geradenStämmen ist im Lindberg an vielen Ortendurch den grossflächigen Anbau der Rottan-ne stark verzerrt worden. Abwechslungs-reiche Waldbilder findet man aber immernoch, zum Beispiel im südlicheren Teil desLindbergwaldes. Waldmeister, Buschw ind-röschen, Goldnessel, Einbeere oder Sauer-

– eine bei uns seltene Waldgesellschaft – inM itleidenschaft gezogen. Ein zweiterOrchideen-Föhrenwald-Standort liegt di-rekt über dem Reitplatz. Diese lichtenFöhrenwälder findet man typischerweiseauf steilen, mergeligen Böden mit starkwechselndem Wassergehalt.Zuoberst auf dem Chüeferbuck, wo die Bu-chen etwas weniger hoch werden und oftkrumm wachsen, taucht eine weitere, beiuns ebenfalls seltene Waldgesellschaft auf:der Waldhainsimsen-Buchenwald. DieserWald wächst auf sauren, trockenen Bödenin Kuppenlagen. Die vorherrschende Baum-art ist die Buche. Daneben treten auchTraubeneichen und gelegentlich Föhrenauf. Während die Krautpflanzen eher spär-lich erscheinen, ist die Moosschicht auf-fällig stark entw ickelt.Die auf dem Eschenberg häufigsten Wald-gesellschaften, die Waldhirsen-Buchenwäl-der, wurden wegen ihrer ausgezeichnetenProduktivität an vielen Orten in reine, er-

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Hangrutsch am Gamser 1995 (Aufnahme 1996)

Hangwald am Gamser (Eschenberg): Lungenkraut-Buchenwald mit Immenblatt

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lange Zeit gehätschelt – mit dem Resultat,dass die Rottannen auf den nährstoffrei-chen und ökologisch stabilen Standortender Waldmeister-Buchenwälder massiv Ter-rain zulegten und noch heute den Lind-bergwald dominieren. Die Zahl der Nadel-bäume wurde aber in den letzten Jahrensowohl im Stadtwald als auch im Korpora-tionswald verringert und muss in den kom-menden Jahren wohl noch weiter reduziertwerden. Ein Blick auf die Verjüngungsflä-chen lässt hoffen: Heute machen die Laub-baumarten in diesen Flächen 82 Prozentaus. Am stärksten vertreten ist übrigens dieEiche, die wegen fehlender Samenbäumehäufig angepflanzt werden muss.Die Pflanzenwelt im Lindbergwald warw iederholt Gegenstand w issenschaftlicherUntersuchungen. M it gutem Grund, dennim Lindbergwald kommen so viele fremdeKraut- und Strauchpflanzen vor w ie in kei-nem anderen Waldgebiet der Stadt. 22 nichteinheimische Arten aus 16 Gattungen ha-

ben Botaniker in den siebziger und achtzigerJahren hier gefunden. Diese Pflanzen sindgrösstenteils Kulturflüchter, Arten also, dieaus den nahen Gärten, dem Friedhof Ro-senberg oder dem Volg-Versuchsgarten ver-w i l d e rten. Einige fremde Pf lanzenart e nkommen im Lindbergwald besonders häu-

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klee gehören zu den häufigsten Begleit-pflanzen der Waldmeister-Buchenwälder.Selten sind hingegen die Moose. Auch dieWaldmeister-Buchenwälder bilden je nachBodentyp verschiedene Varianten aus.Wo es im Lindbergwald für die Buche zufeucht w ird, findet man verstreut denAhorn-Eschenwald. Dieser Laubmischwaldist ebenfalls äusserst kräftig und hoch-stämmig. Auffälligstes Merkmal: Die Bu-che fehlt gänzlich, dafür gedeihen Berg-ahorn und Eschen. Die Krautschicht ist sehrüppig und besteht zum Beispiel aus Kohl-distel, W iesen-Schaumkraut, Engelwurz,Hängesegge, Hexenkraut, Waldziest, Wald-segge, Wurmfarn oder Waldmeister.Auf den feuchten bis nassen Stellen ent-lang der Bäche wachsen der Seggen-Bach-eschenwald, der Zweiblatt-Eschenmisch-wald oder der Traubenkirschen-Eschen-wald. Der Seggen-Bacheschenwald ist leichtan der üppigen, durch Riesenschachtelhalmund Sumpfdotterblume geprägten Kraut-

schicht zu erkennen. Eine Waldgesellschaft,die zum Beispiel am Eschenberg-Südhangebenfalls häufiger vorkommt als im Lind-bergwald, ist der Lungenkraut-Buchenwaldmit Immenblatt. Dieser lichte Buchenwaldweist eine stark entw ickelte Strauchschichtmit Liguster, Rotem Hartriegel, wolligemSchneeball, Schwarzdorn, Seidelbast undBerberitze auf. In der Krautschicht wach-sen Bingelkraut, Waldmeister, Süsse Wolfs-milch, Frühlingsplatterbse, Immenblatt,Schlaffe Segge und Bergsegge. DieseWaldgesellschaft gedeiht auf eher merge-ligen, trockenen oder zeitweise austrock-nenden Böden. An trockeneren Stellen fin-det man auch den Weissseggen-Buchen-wald und den Bergseggen-Buchenwald.Dominierende Baumart im Lindbergwaldist heute nicht – w ie von den Waldgesell-schaften her zu erwarten – die Buche, son-dern die standortfremde Fichte. Kein Wun-der, denn die schnellwachsende und ertrag-reiche Fichte wurde von der Forstw irtschaft

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Seidelbast am Furtrain (Dättnau/Rumstal)

Artenarme Fichtenmonokultur im Lindbergwald nach durchgeführter Entastungsaktion

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orten. Die heutigen Bestände sind jedochvon den natürlichen Waldgesellschaftenweit entfernt. Immerhin tauchen im Süd-west-Teil an der Grenze zw ischen demStadtwald und dem Chilenholz – dem Wald-teil der Kirchgemeinde Wülflingen – einigeseltenere, ökologisch wertvolle und relativgut ausgebildete Waldgesellschaften auf.So findet man zum Beispiel am Steilhangbei der Chöpfi den einzigen Geissklee-Föhrenwald-Standort in der ganzen Gross-region W interthur. Der lichte, ornitho-logisch wertvolle Geissklee-Föhrenwaldwächst an warmen, südexponierten Schot-terhängen. In dieser Pioniergesellschaft

ehemaliger Trockenw iesen sind Waldföh-ren, Maulbeerbäume und Elsbeeren vertre-ten. Neben dem seltenen Geissklee wach-sen in der Strauchschicht auch Wacholderund der Wollige Schneeball. Die Kraut-schicht besteht vor allem aus Erdseggen,Blutrotem Storchenschnabel, Hufeisenkleeoder Küchenschelle.In keinem anderen Waldgebiet W inter-thurs kommt die Föhre so häufig vor w ie imWolfensbergwald. In den dreissiger Jahrendieses Jahrhunderts machten die Föhrenim Stadtwald Wolfensberg über sechzigProzent des Baumbestandes aus; heutesind es noch rund dreissig Prozent. Von der

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fig vor, so der Sommerflieder oder dieZwergmispel. Der häufigste Exot im Lind-bergwald aber ist die Mahonie. Sie ist imwestlichen Teil ebenso zahlreich w ie dieeinheimische Stechpalme.Ähnliche Verhältnisse w ie auf dem Lind-berg finden w ir auf dem Brüelberg. Auch

hier stellen die Waldmeister-Buchenwald-Standorte den mit Abstand grössten Anteildieses relativ wenig abwechslungsreichenWa ldgeb ietes. Nur ein knappes Dutzendverschiedene Waldgesellschaften kommenim Brüelbergwald vor. An wenigen, trocke-neren Stellen am Ost- und am Westhangwachsen Lungenkraut-Buchenwälder undauf einer kleinen Fläche am Westhang derBergseggen-Buchenwald. Die Wälder aufdem Brüelberg sind verhältnismässig na-turnah und altersmässig ausgeglichen. DieLaubbäume machen heute fast zwei Dritteldes gesamten Vorrates aus und lassen sichleicht natürlich verjüngen. Der Anteil derstandortfremden und ökologisch proble-matischen Baumarten ist eher klein.

Pionierwald am Wolfensberg

W ie Brüelberg und Lindberg besteht auchder Wo l f e n s b e rg fast ausschliesslich aus denhäufigen Waldmeister-Buchenwald-Stand-

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Stechpalme beim Grasboden (Hulmen) Föhrenwald bei der Chöpfi (Wolfensberg)

Echtes Springkraut am Hinteren Chrebsbach

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Kennzeichnend für die Krautschicht sindneben der eher häufigen Bergsegge auchMaiglöckchen, Immenblatt, Bingelkraut,Nickendes Perlgras, Schwalbenwurz, Weis-se Segge oder sogar das Waldvögelein.Am Beerenberg-Westhang findet sich aus-serdem ein Juwel der besonderen Art: dereinzige Kronw icken-Eichenmischwald inder ganzen Region W interthur. Dieser sub-mediterran anmutende, niedere und lichteEichenmischwald hat seinen Standort auftrockenen, ka lkreichen Böden an warm e nSteilhängen und auf Felskuppen.Natürlich gedeihen auch hier die typischenKalksträucher zu denen sich Liguster,

Strauchw icke oder Purgier-Kreuzdorn ge-sellen. In der Krautschicht findet man dieÄstige Graslilie, die pfirsichblättrige G lok-kenblume, die Erdsegge, die Strauss-Wu-cherblume, den Blutroten Storchenschna-bel, die Hirschwurz, den Echten Gamander,der Hügel-Klee oder den Purpur-Klee.Der für Reptilien und zahlreiche Insekten-arten wertvolle Kronw icken-Eichenmisch-wald-Standort ist hochgradig schützens-wert. Seine Ausdehnung am Beerenberg-Westhang ist mit 0,25 Hektaren allerdingssehr bescheiden.Im Ost- und Nordteil des Beere n b e rgs findensich zahlreiche Standorte von Waldmeister-

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Abnahme der Föhre profitierte übrigensdie Fichte, die heute den Wolfensbergwalddominiert. Insgesamt ist hier der Anteil derNadelbäume höher als in jedem anderenTeil des W interthurer Stadtwaldes.

Rossberg: Reich an Laubbäumen

In den Wäldern südlich von Töss – beimRossberg zw ischen der Töss und der Auto-bahn und in den Gebieten Meisholz, Hellund Steigholz auf der anderen Seite der Au-tobahn gegen Brütten hinauf dominierenw ieder die Waldmeister-Buchenwald- undetwas weniger ausgeprägt die Waldhirsen-Buchenwald-Standorte. Auf den feuchtenbis nassen Stellen entlang der Töss k o m -men relativ häufig die Zweiblatt-Eschen-mischwälder vor. Andere Nassstellen in die-sem südlichsten Waldgebiet der Stadt neh-men Ahorn-Eschenwald- und Bachseg-gen-Eschenwald-Standorte ein. Die ehertrockenen Stellen sind gelegentlich Stand-

orte des Lungenkraut-Buchenwaldes mitImmenblatt, des Bergseggen-Buchenwal-des oder des Eiben-Buchenwaldes. Die zu-letzt genannte Gesellschaft hat zahlreicheStandorte weiter westlich im Dättnau.Der Wald im Gebiet Bannhalden-Rossberg-Steigholz ist recht naturnah. Die standort-gerechten Laubbäume sind heute für W in-terthurer Verhältnisse überdurchschnittlichhäufig vertreten, der Anteil der ökologischproblematischen Baumarten ist hingegensehr klein. Nur gegen die Töss hinunter, imGebiet Bannhalden, ist der Anteil standort-fremder Baumarten immer noch hoch.

Juwel am Beerenberg

Der Beerenberg zw ischen Niederfeld undRumstal ist ein einzigartiges Mosaik ver-schiedener Waldstandorte. Während hierdie Waldhirsen-Buchenwälder – w ie imLindbergwald – gänzlich fehlen, dominie-ren flächenmässig die Wa l d m e i s t e r- B u c h e n-wald-Standorte. Daneben gibt es aber eineFülle von selteneren Waldgesellschaften. Ve-getationskundlich besonders interessant istder schnell austrocknende mergelige West-hang. Dort sind die Bergseggen-Buchen-wald- und die Lungenkraut- Buchenwald-Standorte stark vertreten. Im Bergseggen-Buchenwald sind die Buche und dieTraubeneiche die wohl w ichtigsten Baum-arten. Es kommen darin aber auch Eschen,Bergahorn, Hagebuche, Kirschbaum, Els-beere und der Mehlbeerbaum vor. In derStrauchschicht wachsen neben den aufKalk typischen Sträuchern Liguster, Wolli-ger Schneeball, Hornstrauch oder Feld-Ro-se auch die Berberitze und der Seidelbast.

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Waldveilchen im Eschenbergwald

Buchenwald am Westhang des Beerenbergs

Kronwicken-Eichenmischwald am Beerenberg

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Buchenwäldern, Lungenkraut-Buchenwäl-dern mit Immenblatt, des Aronstab-Buchen-waldes und des typischen Lungenkraut-Bu-chenwaldes. Diese Gesellschaften kommenim Beere n b e rgwald, vor allem aber im öst-l ich gelegenen Hardholz bei der Kläranlageso zahlreich vor w ie in keinem anderenWaldgebiet in W interthur. Die in diesem Hal-lenwald dominierende Buche bildet starke,gerade Stämme. Nicht selten sind in sol-chen Wäldern Esche, Bergahorn, Trauben-eiche oder Kirschbaum anzutreffen. In derüppigen Krautschicht kommen einige Pflan-zen so häufig vor, dass sie regelrechte Tep-piche bilden: etwa das Bingelkraut oderder Waldmeister. Auch häufige Frühlings-blüher w ie das Buschw indröschen, dasLungenkraut oder die Frühlingsplatterbsekommen hier vor. Weitere seltene Gesell-schaften sind an eher trockenen Stellen derWeissseggen-Buchenwald und der Eiben-Buchenwald. Auf den feuchten bis nassenStandorten findet man Ahorn-Eschenwäl-der oder Seggen-Bacheschenwälder. DerB e e re n b e rg ist relativ naturnah und orn i t h o-logisch wertvoll: Spuren der ehemaligenM ittelwälder blieben bis heute erhalten.

Eiben im Dättnau

Zu den W interthurer Gebieten mit demgrössten Reichtum an verschiedenen Wald-standorten gehört das Dättnau. Die Molas-sehänge gegen Chomberg und Ebnet wei-sen eine grosse Vielfalt an kleinräumigenabwechslungsreichen Strukturen auf. W ie-derum nehmen die Waldmeister-Buchen-wald-Standorte den flächenmässig gröss-ten Anteil ein. Auf den eher trockenen Bö-

den sind die Lungenkraut-Buchenwäldermit Immenblatt, der typische Lungenkraut-Buchenwald und der Bergseggen-Bu-chenwald relativ häufig. Gelegentlich fin-det man auch den Weissseggen-Buchen-wald. Die feuchteren Stellen werden w ieandernorts auf dem Stadtgebiet von Ahorn-Eschenwald und Seggen-Bacheschenwaldeingenommen. Einen für W interthurer Ver-hältnisse überdurchschnittlich hohen An-teil nimmt der Aronstab-Buchenwald ein.In diesem üppigen Hallen-Buchenmisch-wald mit Eschen und Bergahorn findet maneine kaum entw ickelte Strauchschicht. ImFrühling wuchert der Bärlauch, dann sindnur noch wenige Kräuter vorhanden: so derAronstab, das Bingelkraut, die Gundelrebeoder der Waldziest. Den Aronstab-Buchen-wald findet man auf feuchten, ton-, nähr-stoff- und basenreichen Böden.Zu den naturkundlich besonders interessan-ten Gebieten gehört der Dättnauer Berg.Über dem heutigen Naturschutzgebiet fin-den sich einige kleinere Inseln von Pfeifen-gras-Föhrenwald. Diese Waldgesellschafttaucht auch auf der rechten, der südwest-orientierten Talflanke etwas südlich vonHoh Wülflingen auf. Sonst aber kommt siein keiner anderen Gegend der Stadt vor. Imoffenen, oft fast lückigen Pfeifengras-Föh-renwald gedeiht eine reichhaltige Kraut-schicht, die vor allem vom spätblühendenPfeifengras dominiert w ird. In dieser Ge-sellschaft tritt gelegentlich auch der Mehl-beerbaum auf. Neben Liguster und ande-ren Kalksträuchern kommt hier auch dieBerberitze vor. Die trockenen, mergeligenSteilhänge im Dättnau sind typischeFöhrenstandorte, hier ist die Buche nicht

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Sonnendurchfluteter Hangwald im Ebnet (Dättnau): Waldmeister-Buchenwald mit Hornstrauch

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Die beiden kleinen Waldgebiete Schorenund Eichwäldli sind ausgesprochene Wald-meister-Buchenwald-Standorte. Freilich fin-det sich westlich der Deponie Riet, ganz inder Nähe des Quartiers Wallrüti, auch einStandort des in der ganzen Nordostschweizextrem seltenen Traubenkirschen-Eschen-waldes. In diesem sumpfigen Wald auf stau-nassen Mulden ist eine deutliche Trennungzw ischen der Baumschicht, die aus Escheund Schwarzerle besteht, und dem vor al-lem aus Traubenkirsche bestehenden Un-terwuchs auszumachen. Sumpfdotterblu-me, Spierstaude, Waldb inse oder Wa l d-schachte lhalm sind typ ische, ton- undnährstoffzeigende Krautpflanzen des Trau-benkirschen-Eschenwaldes.Diese Gesellschaft findet sich übrigens innaturnaher Form auch im Elend, nördlichder Mörsburg. Ansonsten besteht das Ge-biet Elend, w ie auch das benachbarte Eggund die noch auf dem Stadtgebiet liegen-den Teile des Eschbergs, vorw iegend ausrecht typisch ausgebildeten Waldmeister-und Waldhirsen-Buchenwaldstandorten.

Wertvolle Standorte in Seen

Die Waldgebiete im Osten der Stadt – dasheisst: östlich der Tösstalbahnlinie bis zurStadtgrenze – bestehen zu mehr als derHälfte aus Waldmeister-Buchenwäldern.Die im Eschenberg so häufigen Waldhirsen-Buchenwälder hingegen machen hier nichteinmal 20 Prozent aus.Die Laubmischwälder im Gebiet Forbüel-rain-Howart-Nübruch zw ischen Mulchlin-gen und der Tösstalbahnlinie sind für die Vo-gelwelt besonders wertvoll. Der südwest-

bis südorientierte, rasch austrocknendemergelige Molassehang ist ein idealerS t a n d o rt für den We i s s s e g g e n - B u c h e n w a l d,in dem neben der Buche auch Traubenei-che, Esche, Bergahorn, Hagebuche, Kirsche,Elsbeere oder der Mehlbeerbaum auftre-ten. Typische Begleitpflanzen des We i s s s e g-

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mehr konkurrenzfähig. Der artenreiche Pfei-fengras-Föhrenwald bietet Lebensraum fürviele seltene Tier- und Pflanzenarten undzählt zu den hochgradig schützenswertenWaldgesellschaften.Während die zumeist hochproduktivenWaldmeister-Buchenwald-Standorte im un-

teren Teil des Dättnauer Bergs von derForstw irtschaft genutzt und entsprechendverändert wurden, blieben die oberen Ge-biete entlang der Stadtgrenze bis heute na-hezu unverfälscht. Diese steilen mergeli-gen Mo lassehänge beherrscht eine imübrigen Stadtgebiet weniger häufige Gesell-schaft: der Eiben-Buchenwald. Fast die ge-samte linke Talflanke des Dättnaus ist imoberen Teil mit einem zusammenhängen-den Eiben-Buchenwald bewachsen. In kei-nem anderen Stadtgebiet erreicht diese Ge-sellschaft eine derart grosse Ausdehnung.Eine grössere Fläche nimmt die Gesellschaftnoch zwischen Hoh Wülflingen und Alt W ü l flingen ein. Ansonsten finden sich aufdem Stadtgebiet nur kleinere inselartigeVorkommen. In dieser von Buche, Berg-ahorn und Eibe dominierten Gesellschaftwächst eine grasreiche Krautschicht mitbuntem Reitgras, Schlaffer Segge, Berg-Flockenblume, Bingelkraut, Einbeere oderWa l d m e i s t e r. Nur dort , wo die Eibe einendichten Bestand bildet, ist der Boden kahlund dunkelbraun. Die Eibe ist heute schonrelativ selten und wegen des Rehverbissesmittelfristig vom Aussterben bedro h t .

Kostbarkeit im Schoren

Der Wald im ganzen Talzug Dättnau-Neu-burg-Rumstal ist wegen der oft schlechtenZugänglichkeit an den meisten Orten rechtnaturnah. Nur in den flacheren Gebietenoben auf dem Chomberg ist heute der An-teil standortfremder Baumarten zu hoch.Grund: In den Jahren 1967 und 1975 wur-den die damaligen W indwurfflächen ein-seitig mit Rottannen bepflanzt.

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Herbstlicher Buchenmischwald am HulmenTraubenkirschen-Eschenwald im Schoren

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und Lorbeer-Seidelbast. In der reich ent-w ickelten Krautschicht gedeihen viele Früh-jahrsblüher. Meistens beherrscht das Bin-gelkraut das Waldbild. Daneben kommenaber auch Lungenkraut, Buschw indröschen,Waldmeister, Frühlingsplatterbse, Waldseg-ge, Goldnessel, Nickendes Perlgras, Ge-wöhnliche Akelei, Türkenbund, Aronstabund Haselwurz vor. A llerdings ist die Kraut-und Strauchschicht in Hanglagen oft auchartenarm und mager. Auf mergeligen trok-kenen Böden, zum Beispiel am Südosthangdes Hulmen nordöstlich von Eidberg, fin-den sich nicht selten die Lungenkraut-Bu-chenwälder mit Immenblatt. Sie unterschei-den sich vom typischen Lungenkraut-Bu-chenwald durch die eher lichte, nicht sehrwüchsige Erscheinungsform und die starke,manchmal zu niederem Dickicht entw ik-kelte Strauchschicht. Das Bingelkraut kanngelegentlich ganz fehlen.Der Anteil der Zahnwurz-Buchenwälder inder Region Seen-Hegi ist recht hoch. Die wei-ten, oft klassisch ausgeprägten Buchenwäl-der findet man an luftfeuchten, kalkrei-chen Schattenhängen, so zum Beispiel imBestlet zw ischen Ricketw il und Oberseenoder im Hell gegen den Hinter Etzberg. Ver-schiedene Holunder-Arten und der Lor-beer-Seidelbast kennzeichnen die Strauch-schicht, während in der Krautschicht je nachStandort neben Fieder- und Finger-Zahn-wurz w iederum Bingelkraut, Waldmeister,Einbeere, Türkenbund, Waldsegge, Bär-lauch, Aronstab und Gelappter Schildfarnvorkommen. Im Bestlet ist der Wald zu ei-nem grossen Teil recht naturnah.Mehr als die Hälfte des Waldes im Ostender Stadt ist traditionell Eigentum privater

Waldbesitzer oder der Korporation Ober-w interthur. Vielerorts, zum Beispiel am Etz-berg, sind weite Teile – insbesondere diesehr zahlreichen Privatwaldparzellen – mitstandortfremden Nadelbäumen bestockt.Auch im Stadtwald sind diese problemati-schen Baumarten klar übervertreten.

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gen-Buchenwaldes sind neben den kenn-zeichnenden Kalksträuchern die Berberitzeund der Lorbeerstrauch. In der meist reich-haltigen Krautschicht findet man Maiglöck-chen, Immenblatt, Bingelkraut, NickendesPerlgras, Schwalbenwurz, Weisse Segge,Waldvögelein oder Schlaffe Segge.Wo der Boden im Gebiet Howart-Forbüel-rain zeitweilig stark austrocknet, wächst derOrchideen-Föhrenwald. Auf diesem extre-men Standort hat die Buche keine Chancemehr, hingegen sind hier Föhre und Mehl-beerbaum in ihrem Element. Die Strauch-schicht ist reich: Zu den typischen Kalk-sträuchern w ie Liguster, Wolliger Schnee-ball, Hornstrauch, Feldrose und Seidelbastgesellt sich die Berberitze. Für diesen Stand-ort charakteristische Bodenpflanzen sindetwa die Bergsegge, die Schlaffe Segge,das Pfeifengras, die Fiederzwenke, dieBreitblättrige Sumpfwurz und das bunteReitgras. Den Orchideen-Föhrenwald fin-det man auch an anderen Orten in diesem

Waldgebiet – beispielsweise am Sädelrainzw ischen Ricketw il und Oberseen, am Süd-hang des Hulmen oder am Hegiberg.

Viele standortfremde Baumarten

Zahlreiche Standorte im grossen Waldge-biet zw ischen Orbüel und Heidertal gehö-ren zu den typischen Kalkbuchenwald-Ge-sellschaften, den Lungenkraut-Buchenwäl-dern. Auf den fruchtbaren, kalkreichenMoränen der letzten Eiszeit finden die beiuns verbreiteten Waldgesellschaften idealeBedingungen. Der typische Lungenkraut-Buchenwald bildet ziemlich wüchsige Hal-lenwälder, in denen die dominante Buchestarke, gerade Stämme bildet. Neben derBuche bietet dieser Standort auch derEsche, dem Bergahorn, der Traubeneicheund dem Kirschbaum einen Lebensraum.Die Krautschicht besteht vorw iegend ausHornstrauch, Weissdorn, Wolligem Schnee-ball, Gewöhnlichem Seidelbast, Liguster

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Monotoner Tannenwald am Hegiberg; im Vordergrund ein Lichtschlag

Winterlicher Waldmeister-Buchenwald im Orbüel

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W ie das natürliche Pflanzenkleid der W in-terthurer Landschaft ohne das Zutun desMenschen heute aussehen würde, darüberw issen w ir recht gut Bescheid. Über weiteFlächen würde sich hier ein Laubwald aus-breiten, der von der Buche beherrscht wä-re. Nur auf extrem trockenen, nassen, sau-ren oder basischen Standorten müsste dieBuche anderen Baumarten Platz machen.Jenen Baumarten, die auf die jeweiligenVerhältnisse spezialisiert und damit gegen-über der Buche konkurrenzfähiger sind.Auch davon, w ie die Gegend um W inter-thur vor einigen hundert Jahren ausgese-hen hat, können w ir uns dank historischerDokumente, Gemälde und Stiche eine rela-tiv genaue Vorstellung machen.W ie aber hat unsere Landschaft vor länge-rer Zeit ausgesehen – zum Beispiel vor10000 Jahren, als es bei uns noch keinemenschlichen Kulturen gab? Aus jener Zeitgibt es natürlich keine Dokumente. Aber:Die Natur hat zahlreiche Zeugen hinterlas-sen. Und die W issenschaft hat M ittel undWege gefunden, die Aussagen dieser Zeu-gen so zu interpretieren, dass sie sich zu zu-sammenhängenden Geschichten und Be-schreibungen verbinden lassen.Solche Zeugen wurden auch in W interthurgefunden. Zum Beispiel im Dättnau: Hier,im Talboden zw ischen den Hängen vonChomberg und Ebnet, wurden schon imletzten Jahrhundert urzeitliche Bäume ent-deckt. Es handelte sich überw iegend umFöhren, die Tausende von Jahren im Boden

überdauerten und bei ihrer Ausgrabungvor etwas mehr als zwanzig Jahren er-staunlich gut erhalten waren – so gut, dasssie noch nach Harz rochen. Diese Föhrenwaren zusammen mit Birken Teil eines Wal-des, der nach dem Rückzug der G letscherden Talboden des Dättnaus bedeckte.Die Geschichte dieses Waldes gibt einenEinblick in einen w inzigen Ausschnitt auseiner Zeit, in der die W interthurer Land-schaft und damit die Grundlage der Wäl-der geformt wurde. Und: Sie zeichnet einBild von der Entw icklung der damaligenPflanzendecke und des damaligen Klimas.

Von der Abflussrinne zum Trockental

Die entscheidende Phase in der landschaft-lichen Entw icklung des Dättnaus nahm voretwa 18000 Jahren ihren Anfang – mittenin der Würmeiszeit. Damals erreichten dieG letscher ihre maximale Ausdehnung. DasGebiet der heutigen Stadt W interthur lagunter den mächtigen Eismassen des Rhein-Bodensee-G letschers.Von Süden und Südwesten her war gleich-zeitig der Rhein-Linth-G letscher bis gegendie Region W interthur vorgestossen. BeiBrütten oder bei Rossberg mussten sichdiese beiden G letscher berührt haben.A ls dann die Temperaturen stiegen und sichdie G letscher langsam zurückzuziehen be-gannen, wälzten sich ihre Schmelzwasser-ströme dem Eisrand entlang, flossen einst-weilen zusammen und schürften tiefe Ker-

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Auf den Spuren der Eiszeit

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ben in die Landschaft. Damals zog sich derEisrand des Rhein-Bodensee-G letschers vonEidberg-Iberg nach Sennhof und von dortaus dem Eschenberg ent lang zur Steig-mühle und schliesslich durchs Dättnau undRumstal nach Pfungen ins untere Tösstal.Zu jener Zeit entstanden neue Schmelzwas-ser-Abflussrinnen: das Leisental und dasDättnau. Im Dättnau ritzte sich das Wa s s e r170 Meter t ief in d ie Obere Süsswasser-molasse ein.Erst als sich die G letscher noch weiter zu-rückzogen, flossen die Schmelzwasserströ-me von der Steigmühle durchs Schlosstalüber Wülflingen ins untere Tösstal. So ent-

stand das heutige Flussbett der Töss, wäh-rend das Dättnau und das Rumstal zu Trok-kentälern wurden.A ls Überbleibsel der G letscher blieb an denHängen des Dättnaus vorerst Moränenma-terial liegen. Nach und nach rutschte es inden Talgrund ab, genauso w ie Sandstein-stücke und Mergel aus der Molasse. Da-durch wurde das Dättnau w ieder um sech-zig Meter aufgefüllt. In den oberstenSchichten dieser Auffüllung reicherten sichgrosse Mengen Lehm an. Die oberste, etwazehn Meter dicke Schicht des DättnauerTalbodens besteht heute praktisch nur ausLehm.Zw ischen 1968 bis 1988 hatte die FirmaKeller Ziegeleien in Pfungen diese Lehm-vorkommen im grossen Stil abgebaut. DerLehmabbau in einer Grube nördlich vonDättnau förderte denn auch die fossilenFöhren zutage, die vor etwa 10000 Jahrenim Dättnau wuchsen. Und bei genaueremHinschauen tauchten noch weitere Urzeit-Relikte auf: Die Lehmschichten enthieltenzum Beispiel auch Reste von Birken, dieebenfalls aus jener Zeit stammten. DieseBirken waren allerdings deutlich schlechtererhalten als die Föhren.Neben Birken- und Föhren-Stümpfen wur-den in den Lehmschichten auch Astreste,Rindenstücke, Föhrenzapfen, Blütenstaub,Schneckenschalen und sogar Knochenteilevon W irbeltieren entdeckt. Die Betrachtungdieser Fundstücke ergibt ein recht genauesBild dessen, was in jener Zeit geschah.Vor etwa 15000 Jahren verliessen die G let-scher endgültig die Region W interthur. Esdauerte noch mehr als 2000 Jahre, bis einedeutliche Erwärmung einsetzte. Dann aber

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A U F D E N S P U R E N D E R E I S Z E I T

Dättnau: Einst vom eiszeitlichen Wald bedeckt Föhren-Birkenbruchwald im Naturschutzgebiet Wildert (Illnau): So sah wohl der Dättnauer Wald aus

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Dank dieser Relikte aus der Späteiszeitkonnten das damalige Klima und seine Ve r-ä n d e rungen re k o n s t ru i e rt werden . DieFundstelle im Dättnau hat übrigens in Fach-kreisen weltweit Beachtung gefunden.Nachdem in den siebziger Jahren der Lehm-abbau abgeschlossen und die fossilen Bäu-me ausgegraben waren, entstand in der in-zw ischen wassergefüllten Grube allmäh-lich ein Refugium für Amphibien, Vögelund Insekten.Deshalb wurde für die Lehmgrube DättnauEnde der siebziger Jahre ein Naturschutz-inventar erstellt; seit Anfang der achtzigerJahre gilt sie als Naturschutzobjekt von über-

regionaler Bedeutung. Durch einen Land-abtausch Ende der achtziger Jahre kam dieehemalige Lehmgrube in den Besitz derStadt W interthur.Im Jahre 1992 liess die Stadt das Gebiet fürfast eine halbe M illion Franken umgestal-ten, um an diesem Ort bessere Lebens-bedingungen für bedrohte Tier- und Pflan-zenarten zu schaffen.Diese Investition zahlte sich für die Naturrasch aus: Innerhalb kurzer Zeit wandertenzahlreiche Tier- und Pflanzenarten ein – un-ter ihnen sogar einige Arten, die auf derRoten Liste der bedrohten Tier- und Pflan-zenarten stehen.

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breitete sich auf dem Talboden des Dätt-naus – w ie im ganzen Schweizer M ittel-land – für eine kurze Zeit eine Kältesteppemit Sträuchern w ie Wacholder, Sanddornund Wermut aus.

Birke als Pionierbaumart

In dieser frühesten nacheiszeitlichen Wär-mephase vor etwa 12400 Jahren wander-ten auch die ersten Baumarten ein. Der er-ste Pionierbaum, der das Dättnau besiedel-te, war die Birke. Kein Wunder, denn dieBirke ist zwar lichthungrig, ansonsten aberextrem bescheiden in ihren Ansprüchen.Und vor allem: Sie ist der frosthärteste Laub-baum. In Skandinavien kann man deshalbreinen Birkenwäldern begegnen. Anders beiuns: Hier erscheint die schnellwachsende,silberweiss berindete Birke nur als Pionier-art in Laubmischwäldern auf sauren, nähr-stoffarmen Böden, als Pionierbaum in sub-alpinen Nadelwäldern oder in nasssaurenHochmoorrandwäldern.Im Dättnau konnten sich die Birken als vor-herrschende Baumart nicht lange halten, siewurden bald von den Föhren ins Unterholzverdrängt. Innerhalb eines Vierteljahrhun-derts entw ickelte die Föhre einen lichtenBestand – mit der Birke im Unterholz.Auch die Föhre ist extrem genügsam undbesiedelt noch heute zahlreiche extremeund gegensätzliche Standorte, wo sie an-deren Baumarten überlegen ist. So tauchtdie Föhre zum Beispiel sowohl auf trocken-heissen Felskämmen als auch auf nass-sau-ren Frostmulden von Hochmooren auf.Ihrer Anpassungsfähigkeit verdankt dieFöhre ihre weite Verbreitung: Sie ist heute

die weitverbreiteste Baumart Eurasiens.Im späteiszeitlichen Wald im Dättnautauchten neben Föhren und Birken verein-zelt auch Weiden auf. Der Wald wuchswahrscheinlich nur auf dem geschützten,ökologisch günstigen Talboden, denn überdie felsigen Hänge und Kuppen fegte stetsein eisiger, waldfeindlicher W ind.Der Birken-Föhrenwald im Dättnau starbschon bald w ieder ab, denn vor etwa10800 Jahren wurde es erneut kalt – nichtmehr so kalt allerdings, dass sich die G let-scher nochmals ins M ittelland hätten aus-breiten können.In dieser Phase entw ickelte sich w iederumeine kältesteppenartige Vegetation, w ie siebei uns noch heute in den Bergen über derWaldgrenze vorkommt. Diese letzte Kalt-phase dauerte nur etwa 800 Jahre, dann –vor etwa 10000 Jahren – wurde das Klimazusehends waldfreundlicher. W iederumwanderten Bäume ins Dättnau ein – zuerstBirken, dann Föhren.

Investition in die Natur

Auch diesmal konnte sich der Föhren-Bir-kenwald im Dättnau nicht lange halten,denn das Klima wurde bald so mild, dass sie den Buchen-Eichenmischwäldern, dievor etwa 9000 Jahren einwanderten, wei-chen mussten.In den rund zweitausend Jahren, in denendie Föhren und Birken zeitweilig das Dätt-nau besiedelten, wurden die Bäume durchÜberschwemmungen und den bereits er-wähnten Hanglehm teilweise einsedimen-tiert – das heisst: luftdicht in Lehm verpacktund damit für die Nachwelt konserviert.

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A U F D E N S P U R E N D E R E I S Z E I T

Die ehemalige Lehmgrube im Dättnau: Heute ein Naturschutzgebiet von überregionaler Bedeutung

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Für viele W ildtiere w ird’s eng in unserermonotonen Kulturlandschaft. EntwässerteFeuchtgebiete, regul i e rte F lussläufe, gero-dete Hecken- und Ufergehölze, begradig-te Waldränder, ausgeräumte Agrarland-schaften und zubetonierte Grünräume:Die menschlichen Eingriffe der letztenJahrzehnte haben die natürlichen Lebens-räume vieler w ild lebender Tierarten starkeingeschränkt.Geradezu verheerend w irkte sich die jünge-re Landschaftsentw icklung auf den Feld-hasen aus: Seine Bestände sind in den letz-ten 30 Jahren regelrecht eingebrochen.Heute leben in vielen Gebieten der Schweiznur noch fünf Hasen pro Quadratkilome-ter. Weil die Hasenpopulationen heute anden meisten Orten eine kritische Dichte er-reicht haben, verbieten immer mehr Kan-tone die Jagd auf Meister Lampe, und vieleJäger verzichten freiw illig auf den Ab-schuss. Trotzdem muss befürchtet werden,dass der Feld hase vielerorts verschw indet.A ls ursprünglicher Steppenbewohner kannder Hase kaum in den Wald ausweichen.Ganz anders das Reh: Es hat sich vom Feld-tier zum Waldtier entw ickelt. Auch andereTierarten weichen mehr und mehr in denWald aus. Von den 83 in der Schweiz vor-kommenden Säugetierarten lebt mehr alsdie Hälfte regelmässig im Wald. Bekanntsind vor allem die grösseren Arten der ein-heimischen Waldfauna: Hirsch, Reh, W ild-schwein, Fuchs, Dachs, Hase oder Baum-marder. Von Bedeutung in der W interthurer

Jagd ist vor allem das Haarw ild, also Reh,Fuchs, Rothirsch und Dachs. Kaum mehrvon Belang ist hingegen das Federw ild.Das Vorkommen der meisten Tierarten imWald hängt vom Vorhandensein passenderStrukturen oder spezieller Pflanzenartenab. Der Baum- oder Edelmarder zum Bei-spiel, ein dämmerungs- und nachtaktiverRäuber, lebt sowohl in Nadelwäldern alsauch in Laub- oder in M ischwäldern; er istdiesbezüglich nicht wählerisch. Anderer-seits braucht er ausgedehnte und unge-störte Wälder, die überdies ausreichendviele grosse Baumhöhlen aufweisen. Erstellt also gleichzeitig sehr hohe Ansprüchean seinen Lebensraum. Der Baummarderist – ganz anders als der verwandte Stein -marder – ein Kulturflüchter, den man nurselten im Freiland sieht. In W interthurkommt er in fast allen Waldgebieten vor.Der Baummarder ist übrigens eines dernoch wenigen w ild lebenden Raubtiere inder Schweiz. Die einst verbreiteten grossenRaubtiere Bär, Wolf und Luchs wurden1870 (Wolf), 1904 (Bär) und 1909 (Luchs)ausgerottet. Immerhin ist der Luchs dankeinem umfangreichen W iederansiedlungs-projekt, das in den siebziger Jahren gestar-tet wurde, in verschiedenen Schweizer Kan-tonen w ieder heimisch. Auch der Wolfkönnte schon bald w ieder zur einheimi-schen Tierwelt gehören; viele Anzeichensprechen für seine baldige Rückkehr ausItalien in die Schweizer A lpen. Die Ausrot-tung der grossen Raubtiere w ie Wolf und

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Jagdgründe

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den vorübergehend weniger Tiere geschos-sen. So oder so: Das Reh gehört zusammenmit dem Fuchs zu den meistgeschossenenTieren in den W interthurer Wäldern.Zu den heutigen Feinden des Rehw ilds ge-hören die Hunde und vor allem der Stras-senverkehr: Im Kanton Zürich fallen Jahr fürJahr weit über 1000 Rehe der Blechlaw inezum Opfer. Das heisst: Fast jedes zehnteReh im Kanton Zürich stirbt auf der Strasse.Beachtlich ist auch die Zahl der Rehe, dievon Hunden gerissen werden: Jährlich en-den im ganzen Kanton etwa 120 Rehe alsBeute von w ildernden Hunden. Auch in ei-nigen Waldgebieten W interthurs sind w il-dernde Hunde zu einer ernsthaften Gefahrfür die Rehpopulationen geworden. KeinWunder, in der Stadt W interthur leben et-wa dreimal so viele Hunde w ie Rehe: 1995waren hier 2130 Hunde registriert.W ie das Reh war auch der Rothirsch um dieJahrhundertwende praktisch ausgerottet.Er wanderte ab 1915 aus Voralberg und

dem Tirol w ieder in die Schweiz ein und er-reichte vor rund vier Jahrzehnten auch dieRegion W interthur. A ls Standw ild ist derRothirsch auf dem Eschenberg, dem Ross-berg und am Hegiberg anzutreffen.Die Bestände in W interthur sind heute rechthoch, teilweise so hoch, dass das ökologi-sche G leichgew icht gestört ist. Die Forst-w irtschaft sieht sich deshalb immer w iedermit W ildschäden konfrontiert. Um solchenSchäden vorzubeugen, mussten etwa 1995rund 300 Einzelbäume im Stadtwald, vorallem Fichten, Eschen und Bergahorne, miteinem speziellen Kunststoffnetz gegen dasSchälen durch Hirsche geschützt werden,

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Luchs war ein starker Eingriff in den Haus-halt der Natur. M it diesen Tierarten ver-schwanden die natürlichen Feinde der Huf-tiere und damit w ichtige natürliche Regu-latoren. Heute übernehmen deshalb Jägerdie Aufgabe des Raubw ildes und sorgenfür die Bestandesregulierung.In den W interthurer Wäldern waren diew ild lebenden Huftiere längst nicht immerso häufig w ie heute. Die meisten Arten wa-ren Ende des letzten Jahrhunderts wegenstarker Bejagung kurz vor dem Aussterbenoder bereits ausgerottet. Erst die Einfüh-rung eines neuen eidgenössischen Jagd-gesetzes brachte die Wende.Das Reh zum Beispiel war bei uns noch vorhundert Jahren äusserst selten – es über-lebte die Jahrhundertwende nur in kleinenRestbeständen, die sich dank starker Be-schränkung der Jagd rasch erholten: Heu-te leben in der Schweiz rund 120000 Re-he. Damit ist das Reh die häufigste dergrösseren einheimischen W ildarten. Auch

in den W interthurer Wäldern ist das Rehheute sehr häufig: Auf Stadtgebiet dürftenetwa 700 bis 800 Tiere leben.W ie Fuchs, Dachs, Hase und Marderkommt das Reh in allen Waldgebieten derStadt vor. Einzig im Brüelbergwald konntesich keine Rehpopulation halten. In einigenWaldgebieten W interthurs bestehen hin-gegen Rehdichten von mehr als 40 Tierenpro Quadratkilometer. Im Durchschnitt al-lerdings leben in den W interthurer Wäl-dern nur rund 25 bis 30 Tiere pro Quadrat-kilometer – was aber immer noch einerrelativ hohen Dichte entspricht.Ausreichende Äsungs- und Deckungsmög-lichkeiten, w ie sie die heutige Waldbew irt-schaftung mit dem angestrebten stufigenBestandesaufbau und vielen kleinflächigenNaturverjüngungen schafft, w irken sichauf den Rehbestand günstig aus.In jüngerer Zeit haben die Rehbestände ineinigen Waldgebieten W interthurs w iederetwas abgenommen; entsprechend wer-

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Salzlecke auf dem HulmenRehbock im Eschenbergwald: Um die Jahrhundertwende wegen starker Bejagung beinahe ausgerottet

Äsungsflächen: Waldlichtung auf dem Lindberg

Page 46: Waldzeit – Wälder für Winterthur

stände w ieder deutlich zu – parallel zu denzunehmenden Flächen von kultiviertemMais, dem bevorzugten Futter des Schwarz-w ildes. Die Schäden, die W ildschweine vor-ab in Maiskulturen und Kartoffeläcker an-richten können, sind enorm. A llerdings wer-den diese Schäden den betroffenen Bauernaus dem kantonalen W ildschadenfonds ver-gütet. Vielfach bleibt den Betroffenen nichtsanderes übrig, als die Felder zum Schutzgegen W ildschweine einzuzäunen. M it so-genannten Ablenkfütterungen im Wald ver-suchen Jäger, die W ildschweine von denlandw irtschaftlichen Kulturen fernzuhalten.Weil W ildschweine nachtaktiv sind, lassen

sie sich kaum zählen. Aber die stark wach-senden Bestände zeigen sich in der Jagd-statistik: 1974 etwa schossen SchweizerJäger landesweit nur rund 200 W ild-schweine, 1993 erlegten sie bereits über2300 Tiere. In W interthur gehören die W ild-schweine heute – vor allem im Norden derStadt – zum Wechselw ild. Im Weinlandhingegen sind sie bereits sesshaft gewor-den. Gut möglich, dass das W ildschweinauch in W interthur bald zum Standw ildgehört. A llerdings erschwert die Autobahnum W interthur das Vordringen der scheu-en Borstentiere in die Waldgebiete im Sü -den der Stadt.Sehr zahlreich lebt in W interthur der Fuchs;hier kommt er in allen Waldgebieten vor. Erist ein perfekter Kulturfolger und taucht spo-radisch in einzelnen Stadtquartieren auf, woer sich unter anderem auch am Hauskeh-richt gütlich tut. Im Ökosystem Wald erfülltder Fuchs die Aufgabe des Gesundheits-polizisten: Er erbeutet kranke und schwa-che Tiere und frisst Aas. Seine Nahrungs-palette reicht vom Rehkitz über Hasen undMäuse bis zu Würmern, Insekten und Obst.Der Fuchsbestand hat in den letzten Jahrenstark zugenommen. Das belegen unter an-derem die Zahlen in der Jagdstatistik desBundesamtes für Umwelt, Wald und Land-schaft: 1984 wurden landesweit rund11400 Füchse geschossen, 1993 waren esbereits 40993 Tiere. In der Schweiz dürftenheute etwa 120000 Füchse leben, Tendenzzunehmend. Dank Schutzimpfungen mitKödern hat man heute in der Schweiz dieTollwut, deren Hauptüberträger bei ihremAusbruch der Fuchs war, im Griff. Noch vordreissig Jahren war die Tollwut bei uns der-

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und fast 800 Bäume mussten mit Draht-körben geschützt werden.Im Eschenbergwald erscheint gelegentlichauch die Gemse, jedoch nur als Wechsel-w ild. Das heisst: Sie taucht in diesem Wald-gebiet sporadisch auf, wandert aber auchw ieder ab. Wahrscheinlich kommt sie ausdem Tösstal, denn am Schauenberg undam Tösstock leben heute einige DutzendGemsen. Noch um die Jahrhundertwendewaren die Gemsen im Kanton Zürich vomAussterben bedroht. Vor allem seit Anfangder achtziger Jahre hat der Bestand derGemsen stark zugenommen.Zu den ältesten Jagdtieren gehört hierzu-lande das W ildschwein: Knochenfunde inHöhlen belegen die Jagd auf das Schwarz-w ild seit der A ltsteinzeit (600000 bis 30000v. Chr.). Vor einigen Jahrzehnten noch wardas W ildschwein im Schweizer M ittellandselten. Bisweilen kamen einzelne Tiere ausdem angrenzenden Ausland in die Schweiz.Seit etwa 20 Jahren jedoch nehmen die Be-

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Wildschutzmassnahmen bei den Walcheweihern Wildschutzmassnahmen im Hegibergwald

Fütterungsstelle auf dem Hulmen: Jäger sorgen dafür, dass das Wild im Winter über die Runden kommt

Page 47: Waldzeit – Wälder für Winterthur

ganzen Kanton oder Teile davon gültig ist.Die Stadt W interthur ist in fünf Jagdreviereeingeteilt: Mörsburg (5 Pächter), Lindberg(5 Pächter), Beere n b e rg (6 Pächter), Eschen-berg (7 Pächter) und Hegiberg (8 Pächter).Diese Reviere werden von der Stadt an dieM itglieder der entsprechenden Jagdgesell-schaften verpachtet.

Wild und Wald im Gleichgewicht?

In den Zuständigkeitsbereich der Jäger ge-hören neben der eigentlichen Jagd auchW ildunfäl le , W ildschäden und W i l d s c h a-d e n - Ve rhütungsmassnahmen, Fütteru n-gen, Salzlecken oder Jagdeinrichtungen.Zu diesen gehören etwa die klassischenHochsitze, auf denen sich die Jäger auf dieLauer legen. Auf Stadtgebiet gibt es nochetwa 25 solcher Hochsitze. Immer häufigeraber greifen moderne Jäger zu mobilenHochsitzen aus Leichtmetall. Diese lassensich leicht aufstellen und w ieder abbauen. Welche Arten wann gejagt werden dürfen,steht im eidgenössischen Jagdgesetz, wo-bei die kantonalen Gesetze weitere Ein-schränkungen erlassen können. Für diemeisten Tierarten gibt es Schonzeiten, indenen sie nicht gejagt werden dürfen.Diese richten sich meist nach den artspezi-fischen, jahreszeitlich unterschiedlichenAktivitäten.In stark frequentierten Naherholungsge-bieten gelten in W interthur zusätzlich zuden Schonzeiten eingeschränkte Jagdzei-ten. Konkret: Im nordwestlichen Teil desEschenbergwaldes darf am schulfreien M itt-wochnachmittag und am Samstag nachacht Uhr morgens nicht gejagt werden; das

art verbreitet, dass das W interthurer Ge-sundheitsamt nach dem Tod von sechzehnFüchsen und drei Schafen 1968 als Not-massnahme 166 Fuchs- und Dachsbautenauf Stadtgebiet begasen liess.Ähnlich w ie der Fuchs hat auch der Dachsin den letzten Jahren Terrain zulegen kön-nen. So gibt es heute bei uns rund dreimal so viele Dachse w ie noch vor zehn Jahren.Die Jagd in W interthur w ird nach den gel-tenden Gesetzen von Bund und Kanton alsRevierjagd durchgeführt: Mehrere Jägerschliessen sich zu einer Jagdgesellschaft zu-sammen und pachten für acht Jahre einJagdrevier, in dem ausschliesslich sie undihre Gäste jagen dürfen. Ausser im KantonZürich gibt es die Revierjagd auch in denKantonen Aargau, Basel-Landschaft, Ba-sel-Stadt, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen,Solothurn und Thurgau. A lle anderen Kan-tone kennen die Patentjagd: Wer be-stimmte Bedingungen erfüllt, kann ein Jah-res-Jagdpatent erwerben, das für einen

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Dachs: In unserer Region heute rund dreimal so häufig wie noch vor zehn Jahren

Bewohnter Dachsbau nördlich der Mörsburg

Page 48: Waldzeit – Wälder für Winterthur

Denn: Die Lebensverhältnisse für das W ildhaben sich stark verbessert – dank desÜbergangs zu einer möglichst naturnahenWaldbew irtschaftung mit stufig aufgebau-ten Beständen, vielen kleinflächigen Natur-verjüngungen einheimischer, standortge-rechter Baumarten und starker Kronen-dachauflichtungen. Schutzmassnahmendürften in Zukunft wohl in immer ge-ringerem Ausmass notwendig werden.Folgende Massnahmen w irken sich positivauf das W ild-Wald-G leichgew icht aus: – die Extensivierung der Landw irtschaft

und die Schaffung von Kleinstrukturenw ie Hecken und Ufergehölz,

– das Vermindern und Lenken der Störun-gen aller Art, welche die moderne Ge-sellschaft im Lebensraum des W ildesverursacht – zum Beispiel: Sperrzeitenfür Grossanlässe in der Fortpflanzungs-zeit oder Fusswege auf wenige Waldge-bieten beschränken –,

– die Verbesserung des Äsungsangebotesdurch die Förderung von naturnahen,abwechslungsreichen und stufig aufge-bauten Wäldern, die zurückhaltendePflege des Jungwuchses, die Erhaltungder Kraut- und Strauchvegetation undschliesslich die Pflanzung von Weichhöl-zern zum Fegen und Abfressen.

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Risiko für Erholungssuchende wäre zu gross.Die gleichen Einschränkungen gelten imsüdöstlichen Teil des Lindbergwaldes, umA lt Wülflingen und schliesslich im vorderenEtzberg. Daneben gibt es in W interthurauch W ildschongebiete – Gebiete, in de-nen überhaupt nicht gejagt werden darf.Dazu gehören etwa der gesamte Brüel-berg, die Waldlichtung Bruderhaus oderder Heiligberg.Rehe und Hirsche führen in W interthur ge-legentlich zu Schäden im Wald, vor allemzu Verbiss-, Feg- und Schälschäden. Diesevariieren allerdings stark – je nach Waldge-b i e t . Ä s u n g s a n g e b o t , Wa ldaufbau, Fe ld-

Wald-Verteilung, Störungen des W ildes undBejagung spielen dabei eine w ichtige Rolle.Anders als etwa W ildschweine sind Reheund Hirsche ausschliesslich Pflanzenfresser,wobei das Reh in Sachen Nahrung beson-ders anspruchsvoll ist: Es wählt sein Futter,zum Beispiel Gras, Kräuter oder Knospen,sehr selektiv aus.Weil im strukturarmen Freiland das Nah-rungsangebot gering ist und Störungenhäufig sind, weicht das Reh notgedrungen

in den Wald aus. Dadurch belastet es die -sen Lebensraum stark: Das gezielte Abfres-sen proteinreicher Jungtriebe von Tanne,Eibe, Föhre, Esche, Ahorn, Kirsche, Lindeund Eiche kann zu einer Selektion führen.Die Weisstanne und die erwähnten Laub-bäume werden im Wettbewerb mit denverbissfesteren Fichten und Buchen starkbenachteiligt. Auch das Fegen des Reh-bocks, also das Abstossen der Basthaut, anbestimmten Baumarten belastet einzelneBäume stark. Und schliesslich kann auchdas Schälen durch Hirsche zu einer Auslesevon Baumarten führen.Nicht nur die Rehe, auch das Rotw ild rich-tet in W interthur zunehmend Schäden an– vor allem im Eschenbergwald. SolcheSchäden beschränken sich nicht mehr aufdie eher abgelegenen Waldgebiete im hin-teren Teil, sondern treten seit einigen Jah-ren auch in den jüngeren Nadel- und Laub-baumbeständen bis nahe dem Vogelsangauf – also nur wenige hundert Meter vonden Wohnquartieren entfernt.Die Einzäunung der Verjüngungsflächen istnoch an vielen Orten unumgänglich. ImLindbergwald zum Beispiel haben die zur-zeit vielen tausend Jungeichen nur hinterdem G itterzaun eine Überlebenschance.Zumindest in stadtnahen Gebieten liegtaber eine Einzäunung grösserer Waldflä-chen zum Schutz der Naturverjüngungenkaum drin, weil der freie Zugang für Erho-lungssuchende zu stark eingeschränkt wür-de. In solchen Fällen hilft oft nur die Ge-duld, den Erfolg einer Naturverjüngung ab-zuwarten.A llerdings hat sich die W ildschadensitua-tion in den letzten Jahren etwas entspannt.

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J A G D G R Ü N D E

Schonzeiten in Winterthur

Rothirsch 1. Februar bis 31. Juli

W ildschwein 1. Februar bis 30. Juni

Reh 1. Januar bis 1. Mai

Gemse 1. Januar bis 31. Juli

Hase 1. Januar bis 30. September

Fuchs 1. März bis 15. Juni

Dachs 16. Januar bis 15. Juni

Baummarder 16. Februar bis 31. August

Lindbergwald: Zurückhaltende Pflege des Jungwuchses fördert Äsungs- und Deckungsangbot fürs Wild

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Jede fünfte Pflanzenart der Region W inter-thur ist eine Waldpflanze. Von diesen Pflan-zen ist fast jede dritte Art gefährdet o d e rb e reits ausgestorben. Dieser Anteil hört s i c him Ve rgleich m it unseren Magerw i e s e n b e-scheiden an, denn von den Magerw i e s e n-pflanzen unserer Region sind bereits sieb-zig Prozent aller Arten gefährdet oder aus-gestorben. Nicht viel besser sieht die Lagefür unsere Sumpfpflanzen aus: 65 Proz e n tsind gefährdet oder ausgestorben.Nur: Der beschönigende Vergleich mit an-deren Lebensräumen verhehlt nicht, dassbei uns auch der Anteil der bedrohten Wald-pflanzen ausserordentlich hoch ist. Wäh-rend nämlich gesamtschweizerisch nur achtProzent der Waldpflanzen gefährdet oderausgestorben sind, gehören hier 31 Prozentaller Waldpflanzen zu dieser Kategorie.Damit weist unsere Region die meisten be-drohten Waldpflanzenarten in der g a n z e nSchweiz auf. Die Gründe hierfür sind viel-schichtig; sie reichen von Lebensraumver-lust über Ausgraben und Pflücken seltenerArten bis hin zum hohen W ildbestand.Besonders schwer haben es bei uns dielichtbedürftigen Waldpflanzen – vor allemdeshalb, weil landschaftsdynamische Ere i g-n isse w ie zum Beispiel Erd rutsche , Über-schwemmungen oder Waldbrände seltengeworden sind. Auch die jahrhundertelan-ge, intensive und einseitig auf Ertrag aus-gerichtete Wa l d b e w i rtschaftung sow ie dieVe rarmung des Kulturlandes an Hecken undFeldgehölzen hat zur Gefährdung zahlrei-

cher Waldpflanzen geführt. Und in dennoch häufigen, fast reinen, dunklen M o n o-k u l t u ren der W i rtschaftswälder hat die ur-sprüngliche Flora der Laubmischwäldero h n ehin keine Chance.Ein w ichtiger Grund, weshalb die lichtbe-d ü rft igen Waldpflanzen stark gefährd e tsind, ist ausserdem die Aufgabe der tradi-tionellen Nutzungsformen in den ehemali-gen Nieder- und M ittelwäldern. Die starreB e w i rtschaftung dieser stark genutzten Kul-t u rwälder veränderte das ursprüngliche Bilddes von Buchen beherrschten Urw a l d e sgrundlegend – zum G lück für viele Insek-ten- und Vogelarten. Der heute gefährde-te M ittelspecht zum Beispiel hatte von derUmwandlung der Buchenurwälder in M it-telwälder und der Förderung der Eichenstark profitiert. Die mächtigen Eichen mitihrem lichten Kronendach boten dem M it-telspecht ideale Bedingungen. A ls die M it-telwaldbew irtschaftung Anfang dieses Jahr-hunderts aufgegeben wurde, verdunkel-ten sich die ehemaligen M ittelwälder beimÜbergang zu den heutigen Hochwäldernnach und nach. Das w irkte sich für vieleTier- und Pflanzenarten verheerend aus.Auch der M ittelspecht geriet arg unterDruck. So arg, dass er heute auf der RotenListe der gefährdeten Tierarten figuriert.Aus dem W interthurer Waldbild ist der M it-telspecht verschwunden. Hingegen brüteter noch in den ausgedehnten Eichenwäl-dern im nördlichen Kantonsteil. Immerhinfordert das Naturschutzkonzept der Stadt

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Naturschutz im Wald

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– Dynamik: Die natürliche Entw icklung desWaldes w ird zugelassen. Das bedingt,dass geeignete Waldgebiete von jegli-cher menschlicher Nutzung ausgeschlos-sen werden. Diese Waldgebiete werdenzeitlich unbeschränkt einzig den Ein-flüssen und Kräften der Natur überlas-sen – unabhängig von der Artenvielfalt.

Das Naturschutzkonzept der Stadt W in-terthur von 1994 formuliert für den Waldfolgendes Hauptziel:– Erhaltung der Artenvielfalt aller natür-

lich vorkommenden Waldgesellschaftenund Wa l d f o rmat ionen in flächendek-kend naturnahen Wäldern.

M it welchen konkreten Massnahmen lässtsich dieses Ziel erreichen? W ie kann dieArtenvielfalt erhalten – oder noch besser:gefördert – werden?G leichförmigkeit von Waldstrukturen ver-hindert weitgehend das Aufkommen einernatürlichen Artenvielfalt. Immerhin werdendie Wälder in W interthur heute so bew irt-schaftet, dass ein vielschichtiger Waldauf-bau entstehen kann, der einer Vielfalt vonLebensformen ideale Entw icklungsmög-lichkeiten bietet.

Waldränder: Vielfältige Lebensräume

Eine grosse Chance für die Natur sind dau-ernd vernässte Stellen im Wald. Dort stelltsich im Laufe der Zeit eine spezialisiertePflanzengesellschaft ein, die allerdingsnach Trockenlegungen w ieder verschw in-det. Grössere vernässte Stellen wurden inder Vergangenheit etwa im Eschenberg-wald durch ein Netz von Gräben entwäs-sert und damit dauerhaft verändert.

W interthur, einzelne ehemalige M ittelwäl-der, so zum Beispiel auf dem Beerenberg,w ieder in Richtung M ittelwald zu bew irt-schaften. Das gäbe auch dem M ittelspechtw ieder eine Chance.Selbst der an sich waldschädigende Wei-debetrieb schuf für einige lichtbedürftigePflanzenarten neue Lebensräume. A ls dieWaldweide aus den W interthurer Wäldernverbannt wurde, verschwanden auch licht-bedürftige Pflanzenarten – und mit ihnenzahlreiche Tierarten.Gute Bedingungen für das Aufkommen ei-ner lichthungrigen Pioniervegetation erga-ben sich früher aus den häufigen Erdrut-schen in den lichten Steilhangwäldern ent-lang der Flüsse. Solche Rutsche rissenimmer w ieder die dunkle Walddecke aufund brachten Licht auf den kargen Wald-boden. Heute sind diese Wälder dicht ge-wachsen und die Böden stärker entw ickelt,stabilisiert und nährstoffreicher. Rutschun-gen finden nur noch sehr selten statt.

Dementsprechend selten sind heute andiesen Stellen die Lichtpflanzen. Kaumbessere Überlebenschancen bieten heutedie Waldränder; sie sind vielerorts begra-digt und bilden eine scharfe Grenzlinie zw i-schen dunklem Wald und intensiv genutz-tem Kulturland.

Naturschutz verschieden betrachtet

Für eine grosse Artenvielfalt ist weniger dasVorkommen bestimmter Waldgesellschaf-ten aussch laggebend , a ls vielmehr derReichtum an verschiedenen Waldformenund -strukturen. Naturschutz im Wald be-deutet grundsätzlich zweierlei:– Artenvielfalt: Die natürliche Vielfalt von

Pflanzen, Tieren und Lebensräumen w irdgefördert und erhalten. Das bedingt teil-weise massive und auf bestimmte Tier-und Pflanzenarten ausgerichtete Pfle-geeingriffe, damit sich diese Arten an-siedeln und halten können.

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Monotonie im Lindbergwald: Solche Wälder sind arm an Strukturen und an Tier- und Pflanzenarten

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W interthur heute relativ spärlich vertretensind, ist nicht zuletzt auf den Mangel an ge-stuften Waldrändern zurückzuführen. Unddie geschlossenen, dunklen W irtschafts-wälder sind ohnehin keine geeigneten Le-bensräume für Heuschrecken. Deshalb soll-ten die Waldränder in Zukunft vermehrt zustufigen, gebüschreichen und ausgebuch-teten Randpartien ausgelichtet werden.Vor allem die in W interthur häufigen süd-exponierten Waldränder weisen ein grossesNaturpotential auf. Hier könnten sich baldgrössere Reptilienpopulationen entw ickeln.

Neue Lebensräume für Amphibien

M it gezielten Eingriffen im Sinne des Na-turschutzes können im Wald viele neue Le-bensräume und Brutstätten für Tiere undPflanzen geschaffen werden. Zwei Beispie-le für solche Eingriffe wurden bereits er-wähnt: die Auflockerung dichter Waldbe-stände und das periodische Zurückschnei-

den der Waldränder. Ein anderes Beispiel istdie Schaffung neuer Nassstandorte alsLaichgewässer für Amphibien und Wasser-insekten. In W interthur wurden vor allemAnfang der siebziger Jahre einige solchebedeutende Lebensräume geschaffen.Zw ischen 1971 und 1974 entstanden inden W interthurer Wäldern nicht wenigerals sieben neue Teiche oder Weiher. Schonkurze Zeit nach ihrer Entstehung wurdensie von zahlreichen Amphibienarten w ieGrasfröschen, Erdkröten, Gelbbauchunken,Bergmolchen, Wasserfröschen oder Ge-burtshelferkröten besiedelt. G leichzeitigfand sich eine Vielzahl von Insektenartenein: Gross- und Kleinlibellen, Rücken-schw immer, Ruderwanzen, Wasserläuferoder verschiedene Wasserkäferarten. In-nert weniger Jahre breiteten sich im undam Wasser zahlreiche Pflanzenarten aus.Die Vielfalt von Tierarten im Wald w ird ofteingeschränkt durch ein zu dichtes Weg-netz. Denn: Waldstrassen können zu mas-

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A ls Übergangszonen zw ischen W iese undWald stellen Waldränder einen vielfältigenLebensraum für Kräuter und Sträucher, vorallem aber für Vögel, Kleinsäuger, Insektenund Reptilien dar. Von Natur aus sind siestufig ausgebildet und weisen einen brei-ten Strauchgürtel sow ie einen vorgelager-

ten Krautsaum auf. Leider sind heute vieleWaldränder in W interthur begradigt undbilden eine scharfe und artenarme Grenzezum intensiv bew irtschafteten Kulturland.Dabei wären gerade sie w ichtige Lebens-räume für Insekten w ie zum Beispiel Heu-schrecken. Dass die Waldheuschrecken in

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E s c h e n b e rg: Saum zwischen Strasse und Wald als Lebensraum für lichtbedürftige Ti e r- und Pflanzenart e n

Lindberg: Dieser Strassenrand lässt sich maschinell pflegen – für Fauna und Flora ist er wertlos Unterwegs angetroffen: Ein Grasfroschpaar auf dem Weg zu den Walcheweihern (Lindbergwald)

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siven Störungen im Lebensraum Wald füh-ren. Einerseits zerschneiden und isolierensie Lebensräume von Tieren, und anderer-seits erleichtern sie Erholungssuchendendas Vordringen in abgelegene, bisher we-nig gestörte Waldgebiete. Bereits stark er-schlossene Waldgebiete finden sich etwaauf dem Brüelberg. A ls eigentliche Über-erschliessung muss die hohe Waldstrassen-dichte im Eschenbergwald und im Lind-bergwald bezeichnet werden. M it neuenErschliessungskonzepten können Besu-cherströme von empfindlichen Lebensräu-men ferngehalten werden, um damit we-nigstens in Teilgebieten die Störungen derSäugetier- und Vogelfauna auf ein erträgli-ches Mass zu reduzieren.

Laubbäume fördern

Das Ziel des naturnahen Waldbaus ist es,neben dem stufigen Aufbau eine M ischungvon Baumarten zu erreichen, die möglichstartenreich, aufeinander abgestimmt unddem Standort angepasst ist. Deshalb müs-sen bei der Naturverjüngung in erster Liniedie standortgerechten Baumarten begün-stigt werden – das heisst: diejenigen Baum-arten, die von Natur aus dort wachsen wür-den. An den meisten Standorten sind diesverschiedene Laubbäume: neben der do-minierenden Buche die Esche, der Ahorn,der Kirschbaum, die W interlinde oder dieEiche. Laubbäume zu fördern heisst aberauch, den Anteil der Nadelbäume konse-quent zu reduzieren. Der Anteil der Rot-tannen und Föhren ist heute noch in zahl-reichen Waldgebieten W interthurs viel zuhoch. Je nach Standort kann jedoch die

Rottanne als sogenannte Gastbaumart wei-terhin mehr oder weniger häufig vorhan-den sein, ohne negative Ausw irkungen aufdie Stabilität und die Artenvielfalt eines Be-standes. An geeigneten Standorten könnenauch Weisstannen und Föhren gefördertwerden. Die Artenvielfalt kann zusätzlich

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N A T U R S C H U T Z I M W A L D

Einer der beiden neuen Amphibienweiher im unteren Hangentobel (Eschenbergwald) Lichter Mischwald auf dem Lindberg

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weichholzreiche Jungwald wächst inner-halb von Jahrzehnten zu einem Hochwaldheran. Nach einigen Jahrzehnten Stabilitätbeginnt die natürliche A ltersphase, in derdie Vitalität der alternden Bäume nach-lässt. Schliesslich folgt die alt- und totholz-reiche Zerfallsphase, einzelne Bäume oderkleinere Bestände brechen gänzlich zu-sammen. Jetzt fällt w ieder Sonnenlicht aufden Waldboden, wodurch sich lichthungri-ge Pionierarten der Tier- und Pflanzenweltrasch ausbreiten und damit eine neue Run-de der Waldentw icklung einläuten können.Dieser Entw icklungszyklus kann je nachWaldgesellschaft einige hundert Jahre dau-ern; das natürliche A lter der Bäume liegtweit über dem w irtschaftlichen Optimum.Für die Artenvielfalt besonders w ichtig sinddie ungestörte Pionier- und die Zerfallspha-se eines Waldes. In der Pionierphase ist diereiche Kraut- und Strauchschicht Lebens-raum für viele Tier- und Pflanzenarten. Undin der Zerfallsphase ist es das reichlich vor-

handene A lt- und Totholz, das w iederum ei-ner grossen Palette von Tier- und Pflanzen-arten Nahrung und Unterschlupf bietet.Um die natürliche Entw icklung unserer Wäl-der zu fördern, sollten geeignete Waldge-b iete ausgeschieden und von jegl ichermenschlicher Nutzung ausgeschlossen wer-den. Solche Gebiete können mehrere klei-nere, nahe beieinanderliegende Waldinselnsein oder aber grössere zusammenhängen-de und möglichst ungestörte Waldreserva-te. Das kantonale Naturschutzkonzept emp-fiehlt ausdrücklich solche Waldreservate inder Grössenordnung von insgesamt zehnProzent der gesamten Waldfläche des Kan-

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erhöht werden, indem seltenere und öko-logisch wertvolle Baumarten w ie Eibe, Birke,Mehl-, Els- oder Vogelbeere gefördert wer-den. Für die Insekten- und Vogelwelt be-sonders wertvoll ist die Eiche. Sie w ird des-halb an geeigneten Orten gezielt gefördert.Besonders schonende Bew irtschaftung istbei den selteneren Waldgesellschaften an-gesagt: Sie gehören zu den wenigen Rück-zugsgebieten von Tier- und Pflanzenarten,die sich auf extreme Bedingungen speziali-siert haben und deshalb selten sind. Durchkurzsichtige Waldnutzung oder falsche Be-w irtschaftungsmassnahmen können dieseArten für immer verschw inden.Die artenreichsten Waldgesellschaften inW interthur sind nicht etwa die häufigenWaldmeister-Buchenwälder oder Waldhir-sen-Buchenwälder, obwohl auch sie einecharakteristische Fauna und Flora aufwei-sen. Viel mehr Arten leben aber zum Beispielin den wärmeliebenden, lichten Föhren-wäldern im Dättnau oder am Beerenberg.

Auch die Auenwälder würden von Naturaus eine grosse Artenvielfalt aufweisen:Durch die natürlich Dynamik entsteht einkleinräumig wechselndes Mosaik von Wald,Saum, Feucht- und Trockenstandorten. M itperiodischen Auflichtungen kann verhindertwerden, dass sich lichtbedürftige Waldge-sellschaften wegen der fehlenden natürli-chen Landschaftsdynamik zu dunklen Tan-nen-Buchenwäldern entw ickeln.Ebenfalls schonend müssen die ehemaligenM ittelwälder – zum Beispiel am Beere n b e rg –behandelt werden: Wenn mit gezieltenEingriffen die stärksten Bäume w ieder be-günstigt werden, könnte sich der ehemali-ge Artenreichtum typischer M ittelwälderbald w ieder einstellen. Die Kraut- und dieStrauchschicht würden mit wärmelieben-den Arten bereichert. Das bedingt eine teil-weise Rückkehr zu den traditionellen Nut-zungsformen vergangener Jahrhunderte.Von Natur aus durchläuft ein Wald ver-schiedene Phasen der Entw icklung: Der

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Föhrenwald Ebnet: Regelmässige Lichtschläge (hier letztmals 1995) fördern lichthungrige Krautpflanzen

Abgestorbener Baum im Leisental

Moospolster auf Totholz im luftfeuchten Leisental

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den. A llerdings darf das liegengelasseneHolz den Boden nicht derart dicht be-decken, dass keine Krautpflanzen mehraufkommen. Das Zusammentragen zu Ast-haufen ist deshalb eine zwar wenig ästhe-tische, aber ökologisch wertvolle Lösung.

Dunkler Buchenwald: Ein Märchen?

Dass in einem von Nutzung und Bew irt-schaftung ausgeschlossenen Waldgebietbei uns immer ein einziger dunkler, arten-armer Buchenwald entstehen würde – einehäufig geäusserte Befürchtung –, muss nachdem heutigen Stand des W issens in der Öko-

log ie stark bezwe ifelt werden . V i e l m e h rdürfte sich ein Mosaik unterschiedlicherWaldstrukturen herausbilden, das zumin-dest auf den feuchten, trockenen, sauren,basischen, steilen oder sumpfigen Extrem-standorten ausgeprägt in Erscheinung tritt.So entstünde in diesen unbew irtschaftetenGebieten ein kleinräumig wechselndes undvon unterschiedlicher Fauna und Flora be-gleitetes Patchwork von jungen und alten,lichten und dunklen Baumbeständen.A ls Ergänzung zu den erwähnten Waldin-seln, die vollständig sich selbst überlassenwerden, sollten an geeigneten Orten auchKahlschläge durchgeführt werden. SolcheRäumungen w irken sich für den Natur-schutz interessanterweise kaum nachteili-ger aus als etwa kleinflächige Verjüngun-gen. Denn: Kahlschläge bringen w iederLicht und Wärme auf den Boden und leiteneine neue Entw icklungsphase mit einer viel-fältigen Pioniervegetation ein. Diese lockteine Vi e l z a h l wärmeliebender Insekten w ie

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tons. W ichtig ist in jedem Fall die Einschrän-kung der Nutzung, bis hin zum Ve rzicht jeg-licher Bew irtschaftungs- und Pflegemass-nahmen. Geeignet für solche Waldreserva-te sind sicherlich die in W interthur häufigenSteilhangwälder, in denen sich eine Bew irt-schaftung ohnehin nicht rechnet: am Gam-ser, am Dättnauerberg oder am Chom-berg. Tatsächlich w ird zum Beispiel eine Flä-che von sechs Hektaren am Osthang desGamser seit zwanzig Jahren nicht mehr be-w irtschaftet. Höhlenbrüter w ie etwa diestark gefährdete Hohltaube, der Schwarz-specht oder die Dohle sind auf Tot- und A lt-holz angew iesen, vor allem aber auf alte

Buchen. A lle drei Vogelarten brüten übri-gens in einem A ltbuchenbestand im Geiss-bühl, südwestlich des Bruderhauses.Auch in anderen Gebieten des Stadtwaldeshat der Forstbetrieb in letzter Zeit etliche A lt-und Totholzinseln ausgeschieden. In diesenWaldgebieten werden alte und tote Bäumekonsequent stehengelassen – bis sie umfal-len und vermodern. A lt- und Totholz bieteteiner Vielzahl von Pflanzen, Pilzen, holzbe-wohnenden Insekten – insbesondere Kä-fern und Hautflüglern – und höhlenbrü-tenden Vögeln Nahrung und Unterschlupf.Der Anteil der über 160jährigen Bäume inden W interthurer Wäldern dürfte im Be-reich von wenigen Promillen liegen. Geradedeshalb ist es für die Artenvielfalt bes o n-ders w icht ig , verm e h rt A ltho lz inse ln aus-zuscheiden und den Totholzanteil in allenWaldgebieten generell zu erhöhen. Daskann dadurch erreicht werden, dass abge-storbene, umgeworfene oder gefällte Bäu-me zum Teil nicht mehr weggeräumt wer-

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Totholz als Lebensraum für Käfer und Wespen

Hier war ein Specht am Werk… Grosses Ochsenauge im Brüelbergwald

In Waldschlägen häufig: Acker-Kratzdistel

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gen des Eschenbergs und der Kyburg, wo-bei es im Talboden häufig zu Überschwem-mungen kam. Heute fliesst die Töss in ei-nem engen Korsett. Würde der Wald imLeisental sich selbst überlassen, ohnegleichzeitig das künstliche Flussbett zu öff-nen, würde sich früher oder später eine Ver-dunkelung des Waldes und damit eine Ver-armung von Fauna und Flora einstellen.Denn: Ohne die Dynamik des Flusses ent -stehen hier kaum neue Pionierstandorte.Immerhin sorgen Erdrutsche an den Steil-hängen gelegentlich für neue Pionier-lebensräume. Soll auch im Talboden dieVielfalt an lichtbedürftigen Pflanzen- undTierarten geför dert werden, kommen vorallem zwei Massnahmen in Frage:– Die Töss w ird aus ihrem Korsett befreit.

Sie kann dadurch, zumindest abschnitts-weise, w ieder frei mäandrieren. Damitkommt erneut eine natürliche Dynamikin eine Auenlandschaft, in der von Na-tur aus immer w ieder neue lichte Pio-nierstandorte für seltene Tier- und Pflan-zenarten entstehen.

– Die Töss bleibt begradigt oder w ird nurlangsam und stufenweise renaturiert. Indiesem Fall müssen die Forstleute denWald vorderhand periodisch und scho-nend auflockern, um so wenigstens ei-ne künstliche Dynamik zu erzeugen.

Die Renaturierung der Töss ist heute Ge-genstand intensiver Diskussionen. Natur-schutzkreise, namentlich die aus verschie -denen Organisationen zusammengesetzteInteressensgemeinschaft Pro Töss, fordernheute die Befreiung der Töss aus ihremkünstlichen Flussbett. Die Stadtverwaltunghingegen möchte vorläufig nichts von ei-

ner solchen Massnahme w issen – nicht zu-letzt aus Sorge um die hervorragendenGrundwasservorkommen, die die städti-schen Wasserwerke seit 1925 intensiv nut-zen. Hingegen hat der städtische Forstbe-trieb schon vor einigen Jahren eine starkeDurchforstung der Waldbestände im Lei-sental eingeleitet und damit auch bereitserste Erfolge erzielt. In den lichten Wald-partien wurden in den letzten Jahren zweibei uns sehr seltene Schmetterlingsartenentdeckt: der M ilchfleck und der Waldteu-fel. Ausserdem gedeihen im Leisental ver-schiedene Orchideen- und andere seltenePflanzenarten.

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zum Beispiel Schmetterlinge an. Aber auchVögel finden sich auf solchen Flächen ein.Sobald die Jungbäume eine bestimmteGrösse erreicht haben und genügend Schat-ten werfen, w ird die Pioniervegetation w ie-der verschw inden – und mit ihr die ent-sprechende Fauna. Die Verjüngungsflä-chen eignen sich also nur wenige Jahrelang als Biotope für diese Lebensgemein-schaft. Durch immer neue Schläge könnenPionierarten gezielt gefördert werden. Dengleichen Effekt haben starke Durchforstun-gen in stabilen Laubbaum- und Föhrenbe-ständen. Ein schönes Beispiel hierfür ist derLichtschlag, den der städtische Forstbetrieb1995 zw ischen Ebnet und Hoh Wülflingendurchgeführt hat. Damit kann die mit sel -tenen Lichtarten bereicherte Bodenflora ge-fördert werden. Zur Flora lichter Föhrenwäl-der gehören etwa Orchideen.In den W interthurer Wäldern leben überdreissig verschiedene Schmetterlingsarten,darunter auch einige seltene Arten w iezum Beispiel der Grosse Schillerfalter oderder Waldteufel. Diese Schmetterlinge habennur eine Chance, wenn im Wald immerw ieder trockene, lichtdurchflutete Kahl-flächen vorkommen. Auch einige boden-brütende Vo g e l a rten des offenen und halb-offenen Kulturlandes w ie etwa der Baum-pieper besiedeln solche Kahlflächen.Naturschutz im Wald braucht keineswegsmit grossem Aufwand verbunden zu sein.Beispiel: Waldbäche. Wo immer möglichsollen Waldbäche unverbaut bleiben.Wenn dazu noch auf dunkle Fichtenmono-kulturen in Bachnähe verzichtet w ird, fin-den feuchtigkeits- und lichtliebende Kräu-ter und Insekten – zum Beispiel Libellen –

neuen Lebensraum. Ein enormes Naturpo-tential weisen die Wälder entlang der Tössauf: Weil der Fluss aber im letzten Jahr-hundert begradigt wurde, sind viele selteneTier- und Pflanzenarten der Hart- undWeichholzauen verschwunden.Das Leisental ist ein hervorragendes Bei-spiel für den heutigen Mangel an Land-schaftsdynamik. Einst war es eine w ildeAuenlandschaft, später ein Landw irt-schaftsgebiet, heute immerhin eine ein-malige Waldlandschaft: Bis zur Korrektion1877 hatte die Töss zw ischen Kyburg-brücke und Reitplatz keinen geregeltenLauf. Sie pendelte zw ischen den Steilhän-

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N A T U R S C H U T Z I M W A L D

Begradigt: Tössabschnitt im Leisental

Verbaut: Hinterer Chrebsbach im Eschenberg w a l d

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Die Bedeutung des Waldes für die StadtW interthur hat sich im Laufe der Zeit ver-ändert: Lange Zeit war die höchstmöglicheRendite fast alleiniger Massstab allen forst-w irtschaftlichen Strebens. Was primär in-teressierte, war das Quantum an nutzba-rem Holz, kaum der Zustand des Waldes alsLebensraum.Seit einigen Jahrzehnten ist man sich zu-nehmend der komplexen Aufgaben be-wusst, die der Wald für die Stadt und Ag-glomeration erfüllt. Dementsprechend w irdheute ein Grossteil der W interthurer Wäl-der – insbesondere die Stadt- und die Staats-wälder – nach dem Prinzip der Multifunk -tionalität bew irtschaftet. Das heisst: DieBew irtschaftung berücksichtigt möglichstviele Waldfunktionen gleichzeitig. Zu diesenWaldfunktionen gehören neben der reinenNutzfunktion auch die Schutzfunktion unddie Erholungs- oder Wohlfahrtsfunktion.Diese Waldfunktionen sind heute nichtmehr voneinander zu trennen. Ihr Wertlässt sich – im Gegensatz zum Holzertrag –kaum in Franken und Rappen ausdrücken.Sicher ist jedenfalls, dass Erholungs- undSchutzwert der Wälder den reinen Holzer-trag bei weitem übertreffen. Die w irt-schaftliche Bedeutung der W interthurer

Wälder hat in den vergangenen Jahrzehn-ten stark abgenommen. Grund: Die Wald-bew irtschaftung ist heute ein reines Ver-lustgeschäft.Dafür rücken immer neue Werte der Wäl-der in den Vordergrund, deren Profiteurenicht mehr die Besitzer sind, sondern mehrund mehr die A llgemeinheit. Ein anschau-liches Beispiel dafür sind die Schutzwälderin den law inengefährdeten Bergtälern:Viele dieser Täler wären ohne den Schutzder Bannwälder kaum bewohnbar.

Schutz vor ökologischen Gefahren

Auch im Schweizer M ittelland erfüllen dieWälder w ichtige Aufgaben zum Schutz vonMenschen, Tieren und Pflanzen. A llerdingssteht weniger der Schutz vor Law inen, Stein-schlägen, W ildbächen oder Erdrutschen imVordergrund, als vielmehr der Schutz vorden ökologischen Gefahren, die unserehochindustrialisierte Zivilisation mit sichbringt. Die Ausbreitung und Verdichtungder Siedlungsgebiete, der zunehmende mo-torisierte Verkehr und die Rationalisierungder Landw irtschaft haben den Wald zu ei-ner eigentlichen Schutzinsel für Pflanzenund Tiere werden lassen. Aber auch stress-

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Der Aufschwung beginnt im Wald

«Vorläufig trifft es zwar noch nicht zu, dass der Wald die grosse Nervenheilanstalt derMenschheit darstellt, aber er könnte es noch werden.»

Paul Lang, W interthurer Stadtforstmeister 1928 –1960

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versickern, fliessen nämlich in W inter-thur Jahr für Jahr viele M illionen Kubik-meter Niederschlagswasser oberflächlichab und verschw inden in der Kanalisation.

– Der Wald ist ein grosses Wasserreservoir.Dank der lockeren Struktur und dem fei-nen Netz von Hohlräumen, Wurzel- undWurmkanälen kann er grosse MengenWasser speichern und anschliessendnatürlich gefiltert an die Quellen unddas Grundwasser abgeben. Selbst inSteilhangwäldern kann alles Nieder-schlags- und Schmelzwasser restlos imBoden versickern.

Während in früheren Jahrhunderten dasQuellwasser für die W interthurer Trinkwas-serversorgung genügte, mussten schon imletzten Jahrhundert wegen des gestiegenenWasserbedarfs zahlreiche Grundwasservor-kommen angezapft werden. Heute liegt derAnteil des Quellwassers an der gesamtenTrinkwasseraufbereitung im Bereich von we-nigen Prozenten. Der ganze Rest stammtaus verschiedenen Grundwasservorkom-men. Unermesslich wertvoll ist deshalb dieFilterw irkung gesunder, stabiler Waldbö-den. Die Grundwasserströme in den Schot-terschichten unter dem Stadtgebiet und un-ter der Töss weisen eine sehr gute Qualitätauf, was nicht zuletzt auf die ausgedehn-ten Waldgebiete zurückzuführen ist.Ein natürlicher Filter ist der Wald nicht nurfür das Wasser, sondern auch für die Luft.Die W interthurer Stadtluft ist seit Jahr-zehnten durch Abgase, Lösungsmittel, Russund Staub verschmutzt. Zeitweise so stark,dass vor allem Kinder und ältere Menschenvermehrt unter Atemwegserkrankungen lei-den. Um so w ichtiger sind deshalb die um-

liegenden Wälder, denn sie leisten einenw ichtigen Beitrag zur Reinigung der Luft.Sie bremsen die W indgeschw indigkeit ab,wodurch vor allem schwerere Staubteilchenabsinken. Eine Hektare Wald kann pro Jahrmehrere Dutzend Tonnen Staub und Russaus der Luft herausfiltern. Waldluft ist dennauch viel weniger mit Staub und Russ bela-stet als die Stadtluft.Nicht zuletzt spielen Wälder die entschei-dende Rolle im Sauerstoffkreislauf der Na-tur: Die Atmung von Menschen und Tierenund die Verbrennung in Motoren, Heizun-gen, Schmelzöfen oder Verbrennungsanla-gen brauchen riesige Mengen von Sauer-stoff. Diesen Sauerstoff liefern die Wälder.Vereinfacht ausgedrückt, nehmen die Bäu-me aus der Luft das Kohlendioxid auf, dasbei der Atmung und Ve r b rennung entsteht,und verwandeln es mit Hilfe von Sonnen-licht und Wasser in Sauerstoff. Im Wald oderin Waldnähe ist deshalb die Luft reicher anlebensnotwendigem Sauerstoff als zum Bei-spiel in der Innenstadt.

Entspannung im W interthurer Wald

Das Stadtleben kann an die Gesundheit ge-hen: Der A lltag mit Lärm und Hektik, um-geben von Klimaanlagen und Kunstlicht,zerrt an den Nerven. Viele Stadtbewohne-rinnen und -bewohner sind dadurch derartgestresst, dass sie unter ernsthaften Ge-sundheitsstörungen w ie zum Beispiel er-höhtem Blutdruck, Schlafstörungen oderHerzproblemen leiden. Dadurch lässt ihrephysische und psychische W iderstandskraftund ihre Leistungsfähigkeit nach. Wohltu-end w irkt da die Stille des Waldes. In sau-

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geplagte Städterinnen und Städter suchenim Wald mehr und mehr Erholung vom A ll-tag mit Lärm, Hektik und Abgasen. Im wei-teren Sinne sind also auch die W interthurerWälder eigentliche Schutzwä lder geword e n .

Wälder gliedern die Landschaft

In unserer Landschaft haben Wälder einew ichtige Funktion als Strukturelemente:Sie gliedern und gestalten das Landschafts-bild. Dafür braucht es nicht nur grosse, ge-schlossene Waldgebiete; auch kleine Wa l d-parzellen, Feld- und Bachufergehölze undHecken haben als Strukturelemente eineökologische Qualität, die weit über ihreflächenmässige Bedeutung hinausgeht.Heute ist der Wald sowohl in seiner Aus-dehnung als auch in seiner räumlichen Ver-teilung von Gesetzes wegen geschützt.Damit ist der Wald eines der wenigen Land-schaftselemente, die eine sichere Zukunfthaben. Seine Bedeutung als naturnaher

Lebensraum w ird um so grösser, je mehrsich die Siedlungsgebiete ausdehnen.Wälder stabilisieren das ökologische G leich-gew icht. Weil sie natürlicherweise eine gros-se genetische Vielfalt an Tieren- und Pflan-zenarten aufweisen, gehören sie zu den ak-tivsten biologisch-ökologischen Elementenund tragen wesentlich zur Erhaltung dernatürlichen Stoff- und Energiekreisläufe bei.Damit bilden sie als Gegenpol zu den aus-geräumten Agrarlandschaften w ichtige Re-fugien für viele Tier- und Pflanzenarten.Zur stabilisierenden W irkung des Waldesgehört auch der günstige Einfluss auf dennatürlichen Wasserhaushalt:– Der Wald reguliert die Wasserführung

von Flüssen und Bächen und verhindertdamit die Gefahr von Überschwem-mungen. Vor dem Hintergrund der zu-nehmenden Versiegelung der W interthu-rer Böden mit Asphalt und Beton ist die-se regulierende W irkung der Wälderbesonders w ichtig. Anstatt im Boden zu

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Wälder als Landschaftselemente: Blick vom Eschenberg gegen Oberwinterthur und den Lindbergwald

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tierten Erholungswäldern auf dem Eschen-berg, dem Lindberg und dem Brüelbergattraktive Fusswege angelegt.An den zahlreichen Aussichtspunkten undAussichtslagen laden zudem unzähligeSitzbänke und Feuerstellen zum Verweilenein. Weitere w ichtige und vielbesuchte Er-

holungseinrichtungen sind etwa die Kin-derspielplätze bei den Walcheweihern undbeim Bruderhaus, natürlich der W ildparkBruderhaus, der Waldlehrpfad, der Find-lingslehrpfad, die Vita-Parcours im Eschen-berg- und im Hegibergwald und schliess-lich der Fitnessparcours im Lindberg. Be-

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erstoffreicher Luft können hier die Städte-rinnen und Städter w ieder richtig durchat-men und neue Energie tanken. Kein Wun-der also, dass jedes Wochenende Tausendevon W interthurerinnen und W interthurernin die umliegenden Wälder pilgern, um sichdort zu entspannen und zu erholen.Je dichter die Menschen beieinander leben,desto w ichtiger werden die umliegendenWälder als Naherholungsräume. Die W in-terthurer Wälder sind dafür besonders ge-eignet: Von allen Stadtquartieren aus er-reicht man zu Fuss innert weniger M inuteneines der umliegenden Waldgebiete.Von der steigenden Beliebtheit des Waldesals Ort der Entspannung und der Erholungzeugen auch die besonders seit Anfang die-ses Jahrhunderts stetig gestiegenen Ausga-ben für Erholungseinrichtungen.Schon in den dreissiger Jahren hat dieStadtverwaltung zwei Reitwege im Eschen-berg und im Lindberg angelegt. Ausser-dem hat sie vor allem in den stark frequen-

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F i t n e s s p a rcours Lindberg: Möblierung des Wa l d e s

Aktive Erholung im Lindbergwald: Lauftraining an frischer Luft und in ruhiger, naturnaher Umgebung Mufflons im Wildpark Bruderhaus: Eine von vielen Attraktionen für Ausflüglerinnen und Ausflügler

Spielplatz beim Restaurant «Bruderhaus»: Umgeben von einer imposanten Waldkulisse

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Für Kinder und Jugendliche, die in der Stadtaufwachsen, ist der Wald als Erholungs-und Erlebnisraum besonders w ichtig. Dieshaben Anfang der neunziger Jahre auchjunge W interthurer Naturw issenschafterin-nen und Naturw issenschafter erkannt. Siegründeten einen Verein, den sie Waldschu-le W interthur genannt haben und dessenZiel es ist, Kindern, Jugendlichen und Er-wachsenen die Natur, vor allem aber denWald auf spielerische und erlebnisreicheWeise näherzubringen. Dass diese Art vonNaturkunde und -erkundung heute einechtes Bedürfnis ist, beweisen die Teilneh-merzahlen: Jahr für Jahr besuchen mehre-re hundert Kinder und Erwachsene die vonder Waldschule W interthur professionelldurchgeführten Veranstaltungen w ie Wald-exkursionen, Vorträge und kulturelle An-lässe rund ums Thema Wald.Die Erholungs- und Erlebnismöglichkeitenin der Natur werden in Zukunft noch w ich-tiger werden, denn mit zunehmender Be-völkerungs- und Siedlungsdichte steigt derErholungsdruck auf die umliegenden Na-turräume. Und damit steigt natürlich auchdie Bedeutung intakter, vielfältiger und na-turnaher Wälder für die Erholung und dieGesundheit der städtischen Bevölkerung.Heute leben in W interthur auf jedem Qua-dratkilometer rund 1323 Menschen, imJahre 1836 waren es noch 178. Betrachtetman nur die überbaute Fläche der Stadt, soleben heute auf jedem Quadratkilometer5630 Menschen.Nimmt man nun an, dass in Zukunft dieZersiedelung der Landschaft weitergehenw ird, die Verkehrsströme zunehmen, dieLandw irtschaft intensiver und die Sied-

lungsgebiete dichter werden und dabei dienaturnahen Grünräume aus der Stadt ver-drängen, lässt sich bereits heute das uner-messliche Erholungsbedürfnis der kommen-den Generationen erahnen. Ganz selbstver-ständlich w ird dann der bedingungsloseSchutz intakter Naturräume in Stadtnähe.

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sondere Attraktion für Ausflüglerinnen undAusflügler sind die Aussichtstürme auf demEschenberg (591 m.ü.M .) und auf demBrüelberg (546 m.ü.M .).

Geringer Pro-Kopf-Anteil

Zwar ist der Anteil des Waldes an der Ge-samtfläche der Stadt W interthur verglichenmit anderen Städten überdurchschnittlichhoch, doch dieser Waldanteil erscheint in ei-nem anderen Licht, wenn man ihn auf dieWohnbevölkerung bezieht. Der Waldanteilpro Kopf liegt nämlich in W interthur mitrund 2,95 Aren oder 295 Quadratmeternnicht nur weit unter dem schweizerischenDurchschnitt von 17,55 Aren pro Kopf,sondern sogar noch deutlich unter demkantonalen M ittel von 4,09 Aren. Diese Be-rechnung mag als unnütze Zahlenspielereierscheinen. Sie bekommt aber in unsererzunehmend freizeitorientierten Gesellschafteine grosse Bedeutung.

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Beim Bruderhaus: Findlingslehrpfad der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Winterthur NGW

Grütli-Waldpfad: Nummer 3, die Waldföhre

Zum Eschenberg: Schilderwald beim Bruderhaus

«Für Parkanlagen auf teurem städtischemBoden verlangt kein Mensch eine finanziel-le Rendite. Darum sollten auch die Waldun-gen mehr vom Standpunkt der Nützlichkeitfür den Menschen betrachtet werden.»Paul Lang, Stadtforstmeister 1928 –1960

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ermuntern, diese Waldbilder aufzuspürenund zu erleben. Betrachten Sie die abgebil-deten Karten und die angegebenen Stich-worte lediglich als Möglichkeiten. ÄndernSie Ihre Strecke nach Lust und Laune – hal-ten sie aber stets Augen, Nase und Ohrenoffen. Sie werden auf kleinstem Raum ei-ner Vielzahl von Tieren und Pflanzen mitunterschiedlichen Sinnen begegnen. Dabeiwerden Sie mehr erfahren als alles, was Siein Büchern lesen können.

Den Wald kann man beschreiben – in Wortund Bild. In seiner ganzen Dimension aberlässt er sich nicht auf Gedrucktes reduzie-ren. Das Wechselspiel von Licht und Schat-ten, die reiche Palette von Farben und For-men, die Fülle von Gerüchen und Tönen, alldas w ird nur erlebbar in der freien Natur.Die W interthurer Wälder bieten eine un-glaubliche Vielfalt an unterschiedlichenWaldbildern. Die folgenden zehn Streifzü-ge sollen Sie, liebe Leserin und lieber Leser,

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Streifzüge

Naturschutzgebiet Dättnau: Zu jeder Jahreszeit ein lohnendes Ausflugsziel (siehe Karte Seite 119)