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Lehr- und Forschungsgebiet Germanistische Sprachwissenschaft Prof. Dr. Thomas Niehr / Andreas Corr, M.A. Warum der Dativ doch nicht dem Genitiv sein Tod ist Über typische Irrtümer der Sprachkritik

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Lehr- und Forschungsgebiet Germanistische Sprachwissenschaft Prof. Dr. Thomas Niehr / Andreas Corr, M.A.

Warum der Dativ doch nicht dem Genitiv sein Tod ist

Über typische Irrtümer der Sprachkritik

Lehr- und Forschungsgebiet Germanistische Sprachwissenschaft Prof. Dr. Thomas Niehr / Andreas Corr, M.A.

1 Sprachkritik – Was ist das überhaupt?

2 Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

3 … und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

4 Leben wir in einer Zeit des Sprachverfalls?

Lehr- und Forschungsgebiet Germanistische Sprachwissenschaft Prof. Dr. Thomas Niehr / Andreas Corr, M.A.

1 Sprachkritik – Was ist das überhaupt?

2 Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

3 … und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

4 Leben wir in einer Zeit des Sprachverfalls?

Lehr- und Forschungsgebiet Germanistische Sprachwissenschaft Prof. Dr. Thomas Niehr / Andreas Corr, M.A.

Sprachkritik – Was ist das überhaupt?

Sprach-kritik

Lehr- und Forschungsgebiet Germanistische Sprachwissenschaft Prof. Dr. Thomas Niehr / Andreas Corr, M.A.

1 Sprachkritik – Was ist das überhaupt?

2 Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

3 … und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

4 Leben wir in einer Zeit des Sprachverfalls?

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Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

1872 Daniel Sanders (Kurzgefaßtes) Wörterbuch der Hauptschwierigkeiten in der deutschen Sprache

1880 Hans Paul Frhr. von Wolzogen Über Verrottung und Errettung der deutschen Sprache

1891 Gustav Wustmann Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen

1901 Oskar Weise Deutsche Sprach- und Stillehre

1911 Eduard Engel Deutsche Stilkunst

1944 Ludwig Reiners Deutsche Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa

2002 Ferdinand Urbanek Gutes Deutsch heute. Vorstöße und Verstöße der deutschen Gegenwartssprache

2004 Klaus Mackowiak Die 101 häufigsten Fehler im Deutschen und wie man sie vermeidet

2009 Wolf Schneider Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde

(vgl. hierzu insbesondere: Kilian/Niehr/Schiewe 2010: 56ff.)

WIR SIND SPRACHPÄPSTE!

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Verein Deutsche Sprache e.V.

Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

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Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

(Die Zeit 27/2010)

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Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

(Der Spiegel 40/2006)

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„Die deutsche Sprache wird so schlampig gesprochen und geschrieben wie wohl nie zuvor.“

(Schreiber 2006: 182)

„Verkürzung, Vereinfachung, Vergröberung bilden die Trias einer gespenstischen Abwärtsdynamik der gesprochenen und geschriebenen Sprache.“

(ebd.: 184)

Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

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Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

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Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod

„So wurden die Radiohörer im deutschsprachigen Raum daran erinnert, dass man in Bayern »wegen dir« sagen kann, dass die richtige Form aber »deinetwegen« lautet. Denn was Udo Jürgens singt, ist immer bestes Hochdeutsch. Ein Jahr lang ging er mit »Deinetwegen« auf Tournee, ein beispielloser Kreuzzug für die Rettung des Genitivs.“

(Sick 2004: 15)

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Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

Trügerischer Schein des Scheinbaren

„In den wenigsten Fällen, in denen scheinbar gebraucht wird, ist scheinbar auch wirklich gemeint. Sätze wie »Das ist ihm scheinbar egal« oder »Scheinbar weiß es keiner« sind zwar häufig zu hören, doch leider – meistens – falsch. Richtig muss es heißen: »Das ist ihm anscheinend egal« und »Anscheinend weiß es keiner«.“

(Sick 2004: 140)

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Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

Was meint eigentlich Halloween?

„Worte, Zeichen und Ereignisse haben keine Meinung, sondern eine Bedeutung. Wer »that means« mit »das meint« übersetzt, ist sich des Bedeutungsunterschiedes zwischen »Bedeutung« (engl. »meaning«) und »Meinung« (engl. »opinion«) offenbar nicht bewusst.“

(Sick 2009: 78f.)

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2 Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

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… und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

19. Jahrhundert:

beim Könige, im Regimente, dem Inhalte nach, im Kriege …

20./21. Jahrhundert:

beim König , dem Inhalt nach, dem Sinn nach

aber:

in diesem Sinne, im Sande verlaufen, das Kind mit dem Bade ausschütten

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… und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

• Eduard Engel (1911): Der Genitiv ist der „meistmißhandelte Beugefall“.

• Ludwig Reiners (1951): „Rettet den Genitiv!“

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… und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

• sich einer Sache erinnern / sich an eine Sache erinnern;

• sich einer Sache annehmen / sich um eine Sache kümmern;

• ein Glas Weines / ein Glas Wein.

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… und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

anscheinend wie es scheint, dem Augenschein, Anschein nach; offenbar

scheinbar I. aufgrund einer Täuschung wirklich, als Tatsache erscheinend, aber in Wahrheit nicht wirklich gegeben

II. (ugs.) anscheinend: sie hat es scheinbar vergessen; er sucht scheinbar Streit

(vgl. Duden Deutsches Universalwörterbuch)

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… und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

that means = das bedeutet

kommunizieren = in Verbindung stehen / sich verständigen, miteinander sprechen / mitteilen / die Kommunion empfangen

realisieren = verwirklichen / erkennen, einsehen begreifen

toll = (veraltet) sich aufgrund einer Psychose auffällig benehmend / (veraltet) tollwütig / ungewöhnlich, unglaublich / (ugs.) großartig, prächtig / (ugs.) sehr groß, stark / (ugs.) schlimm / (ugs.) ausgelassen und wild

(vgl. Duden Deutsches Universalwörterbuch)

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1 Sprachkritik – Was ist das überhaupt?

2 Die Angst vor Sprachverfall – Ein paar Beispiele …

3 … und was die Sprachwissenschaft dazu sagt

4 Leben wir in einer Zeit des Sprachverfalls?

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Leben wir in einer Zeit des Sprachverfalls?

„Wer vom Sprachverfall spricht oder ähnliche abwertende Begriffe benutzt, meint meist alle sprachlichen Veränderungen, die ihm missfallen, und vielen Menschen missfallen nahezu alle Veränderungen, denen sie sich bewusst sind. [...] Man weiß natürlich, dass sich die Sprache entwickelt hat und dass sie sich auch weiter entwickeln wird, aber während der eigenen Lebenszeit sollte sie möglichst konstant bleiben.“

(Hoberg 2009: 30)

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„Eine lebende Sprache lässt sich nicht auf ein immergültiges [sic!], fest zementiertes Regelwerk reduzieren. Sie ist in ständigem Wandel und passt sich veränderten Bedingungen und neuen Einflüssen an. Darüber hinaus gibt es oft mehr als eine mögliche Form. Wer nur die Kriterien richtig oder falsch kennt, stößt schnell an seine Grenzen, denn in vielen Fällen gilt sowohl das eine als auch das andere.“

(Sick 2004: 12)

Leben wir in einer Zeit des Sprachverfalls?

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Denkler, Markus/Meer, Dorothee (2008): Die deutsche Sprache baumelt völlig orientierungslos vor sich hin – Die ‚Verlotterung‘ der deutschen Sprache und die Sprachwissenschaft. In: Denkler, Markus et al. [Hrsg.]: Frischwärts und unkaputtbar. Sprachverfall oder Sprachwandel im Deutschen. Münster: Aschendorff, S.13-35.

Heringer, Hans Jürgen: Sprachkritik – die Fortsetzung der Politik mit besseren Mitteln. In: Ders. [Hrsg.] (1988): Holzfeuer im hölzernen Ofen. Aufsätze zur politischen Sprachkritik. 2. Auflage. Tübingen: Narr, S.3-34.

Hoberg, Rudolf (2002): Braucht die Öffentlichkeit die Sprachwissenschaft? In: Spitzmüller, Jürgen et al. [Hrsg.] (2002): Streitfall Sprache. Sprachkritik als angewandte Linguistik? Mit einer Auswahlbibliographie zur Sprachkritik (1990 bis Frühjahr 2002). Bremen: Hempen Verlag, S.19-37.

Hoberg, Rudolf (2009): Die deutsche Sprache wächst, blüht und gedeiht. In: Domke, Christine/Kilian, Jörg [Hrsg.]: Name: Deutsch, Alter: 1200, Befund: gesund! Essays zum Zustand und zum Gebrauch der deutschen Sprache. Bielefeld: Aisthesis, S.24-34.

Kilian, Jörg/Niehr, Thomas/Schiewe, Jürgen (2010): Sprachkritik. Ansätze und Methoden der kritischen Sprachbetrachtung. Berlin, New York: de Gruyter.

Meinunger, André (2008): Sick of Sick. Ein Streifzug durch die Sprache als Antwort auf den »Zwiebelfisch«. Berlin: Kulturverlag Kadmos.

Niehr, Thomas (2002): Linguistische Anmerkungen zu einer populären Anglizismen-Kritik. Oder: Von der notwendig erfolglos bleibenden Suche nach dem treffenderen deutschen Ausdruck. Online im Internet: URL: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/germ1/mitarbeiter/niehr/anglizismen.html [Stand: 11.11.2010].

Polenz, Peter von (2000): Sprachgeschichte und Sprachkritik. Jahrbuch 2000 der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege und Reinheit der deutschen Sprache. Schliengen: Edition Argus.

Schiewe, Jürgen (1998): Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart. München: Beck.

Schneider, Jan Georg (2005): Was ist ein sprachlicher Fehler? Anmerkungen zu populärer Sprachkritik am Beispiel der Kolumnensammlung von Bastian Sick. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 2, S.154-177.

Schreiber, Mathias (2006): Deutsch for sale. In: Der Spiegel 40, S.182-198.

Sick, Bastian (2004): Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache. 9. Auflage. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Sick, Bastian (2009): Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Folge 4. Das Allerneueste aus dem Irrgarten der deutschen Sprache. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Spitzmüller, Jürgen (2007): Sprache und Identität. Warum die Anglizismen die Gemüter erhitzen. In: Muttersprache 3, S.185-198.

Literatur zum Thema

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Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen

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