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Warum Männer nicht nebeneinander pinkeln wollen

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Walter Schmidt

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Leseprobe aus:

Walter Schmidt

Warum Männer nicht nebeneinanderpinkeln wollen

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Wenn wir unser Büro einrichten oder einen Parkplatzsuchen, wenn wir wandern oder vor einem Feuer im voll-besetzten Kino fliehen, wenn uns auf einer Party Fremdeansprechen oder wir Aufzug fahren, dann kommen immerunser Raumerleben, unsere Orientierung und unser Sinnfür Grenzen und Distanzen ins Spiel. Wir fühlen unswohl oder unbehaglich, nicht selten entsteht Streit. Wal-ter Schmidt klärt die populärsten Fragen der räumlichenPsychologie und zeigt: Wir verhalten uns oft noch so, alslebten wir in der Steinzeit. Sogar unser Bett platzieren wir,als fürchteten wir uns noch immer vor einem Bären, derunsere Höhle für sich haben will …

Walter Schmidt, Jahrgang 1965, ist freier Journalist, Autorund Kulturlandschaftsführer. Nach seinem Geographie-studium in Saarbrücken und Vancouver absolvierte er dieHenri-Nannen-Schule und arbeitete u. a. als Pressespre-cher für den BUND. Für sein Buch «Dicker Hals und kalteFüße» (2011) erhielt er den Publizistik-Preis der StiftungGesundheit. Bei Rowohlt erschien von ihm «Morgenstundist ungesund. Unsere Sprichwörter auf dem Prüfstand»(2012). Mehr Infos unter: www.schmidt-walter.de

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Walter Schmidt

Warum Männernicht nebeneinander

pinkeln wollenund andere Rätsel der räumlichen Psychologie

Mit Illustrationen von Oliver Weiss

Rowohlt Taschenbuch Verlag

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Originalausgabe

Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag,

Reinbek bei Hamburg, August 2013

Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH,

Reinbek bei Hamburg

Redaktion Tobias Schumacher-Hernández

Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München

(Abbildung: FinePic, München)

Satz Proforma PostScript (InDesign)

Gesamtherstellung CPI – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

ISBN 978 3 499 62996 9

Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier

Lux Cream liefert Stora Enso, Finnland.

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Für Paula, Peter und Franz

in großer Dankbarkeit, dass es euch damals gab.

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Inhalt

1. Unterwegs im Raum 11

2. Wie wir unser Revier verteidigen 17

Warum wir nicht runter zum Chef müssen 19

Weshalb der Boss so schwer erreichbar ist 24

Wie wir unseren Platz markieren 29

Warum Frauen sich im Job abgrenzen sollten 36

Wie wir mit zu großer Nähe umgehen 39

Warum wir im Sitzen mehr Abstand brauchen 50

Wie Sex und Küsse Seitensprünge erschweren 52

Warum wir Sitzplätze reservieren 55

Was uns am Stammtisch reizt 58

Warum wir auf unserem Stuhl beharren 62

Weshalb wir uns mit Nachbarn streiten 64

3. Wie wir uns zurechtfinden 70

Warum die Herren vorangehen 71

Wie Frauen und Männer sich orientieren 74

Wieso wir im Kreis umherirren 84

Was uns vom rechten Weg abbringt 87

Wodurch Gebäude uns verwirren 91

Wieso wir kein «südliches Ohr» haben 94

Warum wir in Kirchen schleichen und flüstern 96

4. Wie wir Gefahren begegnen 99

Weshalb wir in Panik der Masse folgen 99

Wie man Flüchtende lenkt 105

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Wieso wir um Bettler einen Bogen machen 108

Warum Kranke sich zu Hause verkriechen 113

Wo unser Bett am sichersten steht 117

Weshalb wir Anschluss an die Gruppe halten 121

Wieso wir nachts schneller laufen 123

Warum Jugendliche im Dunkeln lärmen 125

Was uns an Städten ängstigt 128

5. Weshalb wir so bequem sind 134

Warum wir auf Rolltreppen Wurzeln schlagen 134

Wieso wir Trampelpfade treten 141

Warum Auto-Städte uns das Laufen verleiden 144

Weshalb wir selbst im Gehen essen 149

Wieso wir mit anderen bei Rot loslaufen 153

Warum Partygäste Küchen lieben 156

Weshalb unsere Kultur uns Beine macht 159

6. Wo wir uns wohl fühlen 163

Weshalb wir es lieben, am Fenster zu sitzen 163

Warum Parks und Wälder gut für uns sind 168

Wodurch uns Landschaften gefallen 171

Wieso es uns ans Wasser zieht 179

Warum Männer lieber alleine pinkeln 184

Wieso die Wand im Rücken uns beruhigt 192

Warum Ruhebänke am Waldrand stehen 194

Was uns auf Gipfel lockt 197

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7. Wonach wir uns richten können 204

Warum wir Stau-Hinweise ignorieren können 204

Wie man Warteschlangen den Giftzahn zieht 208

Wo wir uns platzieren – und warum 214

Wieso wir im eigenen Revier souveräner sind 216

Warum uns Raumwechsel vergesslich machen 224

Weshalb man Bummler lieber nicht überholt 226

Warum wir beim Nachdenken gehen sollten 228

8. Schlussendlich:

Weshalb es uns in die Ferne zieht … 237

Quellen und Anmerkungen 239

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1. Unterwegs im Raum 11

1. Unterwegs im Raum

Kennen Sie das? Sie sind zu Gast auf einer Party bei flüchtigenBekannten, gerade frisch eingetroffen und haben am langen Ess-tisch einen der wenigen noch freien Sitzplätze ergattert. Sogar Ihrgefülltes Weinglas haben Sie schon an Ihren Platz gestellt, vorsorg-lich natürlich, denn man weiß ja nie. Doch kaum sind Sie für zweiMinuten ans kalte Buffet entschwunden, um sich den Teller zu fül-len, hat ein Fremder Ihren Platz eingenommen, Ihr Weinglas acht-los zur Seite geschoben und plaudert so vergnügt wie weltvergessenmit Ihrem bisherigen Tischnachbarn. Wie reagieren Sie? – Ach so,Sie schmunzeln nur, nehmen kommentarlos Ihr Glas und machensich erneut auf die Suche nach einem freien Stuhl. Dann sind Sieerstaunlich souverän, Hut ab und Kompliment! Wir anderen abersind irritiert und angesäuert. Das war doch unser Platz! Schließlichstand dort gut erkennbar unser Glas. Hat dieser Schwadroneur dennkeine Augen in der Birne? Mag sein, doch was ist es wirklich, dasuns da so sehr verstimmt?

Wo immer wir laufen oder stehen, liegen oder sitzen, beanspru-chen wir Raum. In vielen Fällen welchen, der uns vertraut ist, den-ken wir nur an unser Büro oder unseren Stammplatz in der Kneipe.Manchmal aber auch Raum, den wir uns erst noch schaffen müssen,mitunter auch erobern. Wir sichern uns Fensterplätze im Gasthaus,reservieren Sitze in der Bahn oder besetzen mit Handtüchern gutplatzierte Sauna-Liegen. Wir errichten Zäune oder montieren einNamensschild an unser frisch erworbenes Haus, damit alle wissen,wer hier wohnt. Selbst unseren Arbeitsplatz gestalten wir so, dasswir uns dort heimisch fühlen – und bitte schön niemand sonst!

Wann immer wir uns Lebensraum aneignen, geschieht daszudem nicht zufällig am ausgewählten Ort. Wir bewegen uns dort-hin, wo wir uns behaglich fühlen, und meiden Orte der Gefahr unddes Unwohlseins, wie übrigens alle Tiere auch. Über unser Ver-

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halten regulieren wir zudem den Abstand zu anderen Menschen,laden sie zum Näherkommen ein oder halten sie auf Distanz. Wannimmer wir das (oder vieles andere) tun, haben wir gute Gründedafür, auch wenn sie uns meistens nicht bewusst sind. Wir machenall das jedenfalls nicht einfach so. Was wir tun, ist pure Psychologie.Und Biologie natürlich auch, denn unsere Vorfahren – nennen wirsie stark vereinfacht: die Steinzeitmenschen – stecken uns nochimmer gehörig in den Knochen. Und wohl oder wehe auch imGehirn.

Unsere Altvordern führten ein hartes Leben. Tagtäglich hattensie mit Angriffen wilder Tiere zu rechnen, mit schlimmen Ver-letzungen beim Jagen oder beim Fällen von Bäumen. Nahrungs-mangel, Krankheiten und harsche Kälte konnten das Aus für siebedeuten. Auch der Kontakt zu fremden Menschengruppen endetebisweilen tödlich, mit dem Verlust wertvoller Güter oder dem Raubvon Frauen, wie beim «Massaker von Talheim» vor 7000 Jahren, alsnahe dem heutigen Heilbronn mindestens 34 Menschen getötetwurden, darunter 16 Kinder.1 Auch im 21. Jahrhundert verhaltenwir uns in vielem so, als lebten wir noch damals, obwohl wir dasnatürlich gerne von uns weisen. Auch unsere Sinne arbeiten imWesentlichen noch so wie jene der Steinzeitmenschen. Sie brau-chen ein Beispiel? Aber gerne.

Ein sicherer Platz zum Leben

Versetzen wir uns kurz an einen Strand, einen hübschen aus fei-nem Sand an der Küste der Nordsee. Es ist Sommer, ein warmer Tagbeginnt, und unser Traumstrand füllt sich allmählich. Auch mitIhnen übrigens, denn Sie und Ihre Familie sind jetzt in den Ferienund wollen heute baden. Sofort stellt sich für Sie die Frage: Wobreiten Sie Ihre Badematten und Handtücher aus, welches ist diebeste Stelle, wenigstens aber eine gute, die Ihnen und Ihren Liebengefällt? Noch ist der Strand nicht überfüllt, doch Sie wissen, das

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wird sich schnell ändern. Zu nah ans Meer dürfen Sie nicht, dennspäter wird die Flut heranrauschen (Sie sorgen also vor). Zu weit wegvom schwappenden Wasser wollen Sie allerdings auch nicht liegen,weil Sie dann Ihre Kinder nicht mehr im Blick haben, wenn diesematschen wollen oder in die Wellen hüpfen (Sie sorgen sich also um

Ihre Nachkommen, damit Ihre Gene weiterleben). Sich irgendwie in derMitte zwischen Dünen und Brandung zu platzieren, klingt nacheiner guten Idee, aber dort werden bald die meisten Badegäste lie-gen, folglich wird es eng (Sie wollen sich Konkurrenz vom Leib halten).Und allzu weit zum Kiosk laufen möchten Sie nachher auch nicht,wenn Sie Lust auf ein Eis haben oder Ihre Kinder eine Limo begeh-ren (Sie möchten also mit Ihren Kräften haushalten).

Endlich entdecken Sie eine saubere und noch dazu windge-schützte Stelle (Sie beugen demnach Krankheiten vor), aber dort lagernbereits drei finstere Gesellen mit geöffneten Bierflaschen, denen Sienicht so recht über den Weg trauen (Sie gehen riskanten und überflüs-

sigen Konflikten aus dem Weg). Und Ihren Wagen mit den Wertsachen,drüben an der Strandpromenade, würden Sie auch gerne im Blickbehalten (Sie möchten Ihre Ressourcen schützen, für die Sie hart gearbei-

tet haben). Wo also, bitte schön, rammen Sie denn nun Ihren Son-nenschirm in den Sand (und schaffen so einen behaglichen Lagerplatz)?Ihre Kinder quengeln schon, und Sie wägen das Für und Wider nochimmer ab. Bis Sie dann schließlich doch einen vertretbaren Kom-promiss finden. Sie greifen zur Schaufel und graben eine Sandburg,die ebenfalls den Wind abschirmt und andere Badende auf Abstandhält. Auch wenn Ihnen das jetzt nicht bewusst gewesen ist, hattenbis dahin all Ihre Überlegungen damit zu tun, dass schon Ihre Vor-fahren möglichst sicher überleben wollten.2

Nicht jeder Tag ist zum Baden geeignet, doch tagtäglich müssenwir raumpsychologische Entscheidungen treffen: Laufen wir mitanderen Menschen bei Rot über die Straße? Welchen Weg schlagenwir ein? Wie nähern wir uns Fremden? Sollen wir beim Chef unse-

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ren Wunsch nach einem Eckbüro anmelden, weil doch der andereAbteilungsleiter sich längst auch eines gesichert hat? Welche Bot-schaft würde unser Verzicht darauf aussenden – und welche dasersehnte Büro mit seinen vier großen Fenstern? «Alle unsere Sin-neswerkzeuge, unser letztes Körperorgan, alle Funktionen der Orga-nismen sind auf Raumnutzung eingestellt», schrieb der SchweizerBergführer Charles Widmer vor fast hundert Jahren.3 Und er hatterecht damit, denn wir sind Wesen der räumlichen Bewegung, odergenauer: Wir sollten welche sein. Mit einem Körper, der zum Gehenund Laufen wie geschaffen ist, verbringen wir heute etwa neunZehntel unserer Lebenszeit in Gebäuden, und das auch noch meis-tens sitzend oder liegend.4 Unsere Sprache verrät noch, dass dieseinmal anders war: Da ist vom Lebensweg die Rede, der sich auf demSofa oder im Bett kaum bewältigen lässt. Da erkundigen wir unsnach dem Ergehen anderer Menschen und schlagen eine beruflicheLaufbahn ein. Wir geraten auf die schiefe Bahn oder kommen vomrechten Weg ab. Und nicht selten werden wir im Leben auch in die

Irre geführt. Schade eigentlich, dass wir solche Stubenhocker gewor-den sind. Für unsere Gedankengänge ist das gar nicht gut, wie wirnoch sehen werden, und für Körper und Seele schon gar nicht.

Durch dieses Buch jedenfalls können Sie nach Lust und Launestreifen. Beginnen Sie vorne oder in der Mitte oder wo auch immerSie wollen. Gehen Sie auf Entdeckungsreise auf dem weiten Feldder räumlichen Psychologie. Sie werden höchstwahrscheinlich sichselbst, Verwandte oder Freunde wiedererkennen in manchem, wasSie dort finden. Ein aus der Zeit gefallener Steinzeitmensch sind Siedeshalb noch lange nicht.

Wem soll ich bloß danken?

Am besten all jenen, die meine vielen Fragen beantwortet habenund deren Bücher, Artikel und Studien ich lesen durfte. Wer immerin diesem Buch mit einem Zitat auftaucht, das nicht durch eine

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Quelle belegt ist, hat mit mir gesprochen oder meine Fragen schrift-lich beantwortet. Hervorheben möchte ich die Evolutionspsycholo-gen Harald Euler und Benjamin Lange sowie den NatursoziologenRainer Brämer. Ihrer Geduld und ihrer Bereitschaft, mir Auskünftezu gewähren, gebührt mein besonders herzlicher Dank. Erwähntsei auch der Psychologe und Bergführer Martin Schwiersch, denmeine Frage, was uns auf Berge treibt, dazu angestiftet hat, eineneigenen kleinen Aufsatz über das Gipfelgefühl zu verfassen. Das hatmich sehr gefreut.

Walter SchmidtBonn, im April 2013