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57 MMW-Fortschr. Med. Nr. 4 / 2013 (155. Jg.) FORTBILDUNG SERIE _ Wunden, die über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen trotz fachge- rechter Wundbehandlung nicht heilen, bezeichnet man als chronische Wunden [1]. Häufig können in solchen Fällen therapiebedürftige Grunderkrankungen bestehen. Bei fehlender Wundheilungs- tendenz ist es daher von großer Bedeu- tung, die Ätiologie der Wunde selbst so- wie mögliche Ursachen einer Wundhei- lungsstörung zu identifizieren, damit zugrundeliegende Probleme behoben und die Voraussetzungen für die Wund- heilung verbessert werden können. Anamnese und Untersuchung Bereits durch die Anamnese und die kli- nische Untersuchung lassen sich we- sentliche Informationen zur Wunde er- fragen: Zeitraum seit Auftreten der Wunde Auftreten und Ursachen Verlauf und Heilungstendenz Schmerz Aussehen, Veränderungen Geruch bisherige Wundbehandlung. Auch aktuelle Beschwerden, bekann- te Vorerkrankungen sowie bestehende Risikofaktoren und Symptome, die die Chronischen Wunden liegt meist eine Störung der Gewebeperfusion zugrunde. Worauf diese zurückzuführen ist, lässt sich in der Regel durch wenige diagnostische Schritte feststellen. Auch wenn es meist nicht gelingt, die Ursache zu beseitigen, können in vielen Fällen die Voraussetzungen für die Wundheilung verbessert werden. Gangrän, Ulkus, Dekubitus Warum Wunden nicht heilen wollen Wundheilung beeinträchtigen können, sollten gezielt erfragt werden. Insbeson- dere sollte man sich bei der Erst - untersuchung auf die in Tabelle 1 ge- nannten Aspekte konzentrieren. Beurteilung der Wunde Folgende Eigenschaften fließen in die Beurteilung ein: Lokalisation (exponierte Stellen, inter- triginöse Räume, knöcherne Strukturen), Dr. med. Tanja Herrler Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Campus Großhadern und Campus Innenstadt, Klinik für Allgemeine, Unfall-, Hand- und Plastische Chirurgie, Klinikum der Universität München, Ludwig-Maximilians-Universität München Koautoren: Prof. Dr. med. Riccardo Giunta, Dr. med. Timm Oliver Engelhardt, Ludwig-Maximilians-Universität München Ausdehnung in Fläche und Tiefe (Ku- tis, Subkutis, Faszie, Muskulatur, Kno- chen), Wundbeschaffenheit (Geruch, Feuch- tigkeitsgehalt, Nekrose, Granulationsge- webe, Auflagerungen/Beläge am Wund- grund, Fremdkörper) sowie Umgebungsreaktionen (Temperatur, Rötung, Pigmentierungen, Satelliten- läsionen, Ödem). Die klinische Klassifikation der Wunde ist zur Erfassung des Ausgangsbe- fundes und Einschätzung des Therapie- verlaufs essenziell. Die gängigsten Klassifikationen sind die Einteilung nach der Tiefenausdehnung nach Da- niel (Grad 1 bis 4) und die Stadienein- teilung nach Seiler (Stadium A bis C), Abb. 1a und b Vaskuläre Ursachen chronischer Wunden: Gangrän bei PAVK (li.), typische Wunde bei chronisch-venöser Insuffizienz (re.). © H. S. Füeßl © Klaus Rose

Warum Wunden nicht heilen wollen

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57MMW-Fortschr. Med. Nr. 4 / 2013 (155. Jg.)

FORTBILDUNG–SERIE

_ Wunden, die über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen trotz fachge-rechter Wundbehandlung nicht heilen, bezeichnet man als chronische Wunden [1]. Häufig können in solchen Fällen therapiebedürftige Grunderkrankungen bestehen. Bei fehlender Wundheilungs-tendenz ist es daher von großer Bedeu-tung, die Ätiologie der Wunde selbst so-wie mögliche Ursachen einer Wundhei-lungsstörung zu identifizieren, damit zugrundeliegende Probleme behoben und die Voraussetzungen für die Wund-heilung verbessert werden können.

Anamnese und UntersuchungBereits durch die Anamnese und die kli-nische Untersuchung lassen sich we-sentliche Informationen zur Wunde er-fragen:■ Zeitraum seit Auftreten der Wunde■ Auftreten und Ursachen■ Verlauf und Heilungstendenz■ Schmerz■ Aussehen, Veränderungen■ Geruch ■ bisherige Wundbehandlung.

Auch aktuelle Beschwerden, bekann-te Vorerkrankungen sowie bestehende Risikofaktoren und Symptome, die die

Chronischen Wunden liegt meist eine Störung der Gewebeper fu sion zugrunde. Worauf diese zurückzuführen ist, lässt sich in der Regel durch wenige diagnostische Schritte feststellen. Auch wenn es meist nicht gelingt, die Ursache zu beseitigen, können in vielen Fällen die Voraussetzungen für die Wundheilung verbessert werden.

Gangrän, Ulkus, Dekubitus

Warum Wunden nicht heilen wollen

Wundheilung beeinträchtigen können, sollten gezielt erfragt werden. Insbeson-dere sollte man sich bei der Erst-untersuchung auf die in Tabelle 1 ge-nannten Aspekte konzentrieren.

Beurteilung der WundeFolgende Eigenschaften fließen in die Beurteilung ein: ■ Lokalisation (exponierte Stellen, inter-triginöse Räume, knöcherne Strukturen),

Dr. med. Tanja HerrlerHandchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Campus Großhadern und Campus Innenstadt, Klinik für Allgemeine, Unfall-, Hand- und Plastische Chirurgie, Klinikum der Universität München, Ludwig-Maximilians-Universität München

Koautoren: Prof. Dr. med. Riccardo Giunta, Dr. med. Timm Oliver Engelhardt, Ludwig-Maximilians-Universität München

■ Ausdehnung in Fläche und Tiefe (Ku-tis, Subkutis, Faszie, Muskulatur, Kno-chen),■ Wundbeschaffenheit (Geruch, Feuch-tigkeitsgehalt, Nekrose, Granulationsge-webe, Auflagerungen/Beläge am Wund-grund, Fremdkörper) sowie ■ Umgebungsreaktionen (Temperatur, Rötung, Pigmentierungen, Satelliten-läsionen, Ödem). Die klinische Klassifikation der Wunde ist zur Erfassung des Ausgangsbe-fundes und Einschätzung des Therapie-verlaufs essenziell. Die gängigsten Klassifika tio nen sind die Einteilung nach der Tiefenausdehnung nach Da-niel (Grad 1 bis 4) und die Stadienein-teilung nach Seiler (Stadium A bis C),

Abb. 1a und b Vaskuläre Ursachen chronischer Wunden: Gangrän bei PAVK (li.), typische Wunde bei chronisch-venöser Insuffizienz (re.).

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ähnlich wie dies bei Brandverlet-zungen geschieht [2].

WeichteilverhältnisseIn der klinischen Untersuchung gibt be-reits das erste Erscheinungsbild der Haut (Gewebeturgor, Farbe, Atrophie-zeichen, Temperatur, und Behaarung, Feuchtigkeit) Hinweise auf zugrundelie-gende Probleme. Palpatorisch und aus-kultatorisch lässt sich der Gefäßstatus orientierend feststellen. Bei Störung der arteriellen Versorgung zeigt sich die Haut eher atrophisch, kühl und blass (Abb. 1, li.). Hyperpigmentierun gen und Ödeme sind als Zeichen einer venösen Problematik zu werten (Abb. 1, re.). Auch die Intensität des Wundschmerzes kann für die Diagnosestellung hilfreich sein.

SensibilitätDie Erfassung der Oberflächensensibili-tät ist wichtig, weil bei Pa tienten mit einem eingeschränkten Empfinden für Druck, Temperatur und Schmerz Wun-den unbemerkt entstehen können. Dies geschieht insbesondere bei übermäßiger Belastung (z. B. Dekubitalulkus, Abb. 2), aber auch bei thermischen Läsionen

(z.B. Brandverletzung durch Berühren heißer Oberflächen).

Weiterführende Diagnostik

Laborchemische UntersuchungenBlutuntersuchungen können metabo-lische Störungen (z.B. Blutzuckerspiegel, Serumkreatinin und -harnstoff, Elektro-lyte), Malnutrition (Albumin, Vitamin

B12, Folsäure, Eisen), eine Infektion (Blutbild, CRP) bzw. eine Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis aufdecken.

Bakteriologie und ProbeexzisionDas Erregerspektrum kann durch die Entnahme eines mikrobiologischen Ab-strichs unter sterilen Bedingungen be-stimmt und ein Antibiogramm erstellt werden. Unter Umständen ist zur Ab-klärung einer tiefen bakteriellen Inva-sion die Gewinnung von Material mit-tels repräsentativer Probeexzision oder Stanzbiopsie aus der Wunde einschließ-lich des Randwalls sinnvoll. Darüber hi-naus kann auf diese Weise eine poten-zielle Neoplasie als Ursache identifiziert werden.

Bildgebende Diagnostik Die bildgebenden Verfahren richten sich nach der Fragestellung. Zur Abklärung knöcherner Pathologien ist eine röntge-nologische Untersuchung sinnvoll, die auf eine Osteomyelitis hinweisen kann und ggf. durch eine Computertomogra-fie (CT) bzw. Magnetresonanztomogra-fie (MRT) ergänzt werden muss.

Zur bildgebenden Gefäßdiagnostik gehören neben anderen angiografischen Untersuchungen auch die farbkodierte Duplexsonografie. Aufgrund der feh-lenden Invasivität und breiten Verfüg-barkeit ist diese insbesondere bei größe-

Tabelle 1

Mögliche Ursachen einer gestörten Wundheilung

Risikofaktoren Patientenalter

Eingeschränkte Mobilität

Nikotinabusus

Medikamente (Immunsuppressiva, Chemotherapeutika)

Polyneuropathie

Gefäßerkrankungen Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)

Chronisch venöse Insuffizienz (Varikosis, Z.n. Thrombose )

Vaskulitiden

Stoffwechselstörungen Metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus

Nieren- und Lebererkrankungen

Hinweise auf Malnutrition

Inflammation Infektionen

Allergien

Noxen/ Traumata Trauma- oder strahlentherapiebedingte Gefäßschädigungen

Kontakt mit chemischen Substanzen

Abb. 2 Dekubitalulkus an typischer Lokalisation.

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Clinically Important Differential Diagnosis of Chronic Wounds

Chronic wound – impaired wound re-pair – differential diagnosis

Keywords

Die Wundheilung ist ein multifaktoriel-les Geschehen. Für einen erfolgreichen zeit- und kosteneffizienten Therapie-verlauf ist die differentialdiagnostische Abklärung von chronischen Wunden. die Behandlung ihrer Ursachen und die Identifikation von zusätzlichen Risiko-faktoren von großer Bedeutung. Darauf basierend kann eine kontrollierte kon-servative Behandlung oder individuelle z. B. plastisch-chirurgische Therapie (Defektdeckung durch Hauttrans-plantation bis hin zu gestielten oder freien Lappenplastiken) durchgeführt werden, welche die Behandlungszeit enorm verkürzen kann. Begleitend können eine Patientenschulung und Prophylaxemaßnahmen eingeleitet werden. Die erfolgreiche Behandlung chronischer Wunden ist in den meisten Fällen das diagnostische und therapeu-tische Zusammenspiel von verschie-densten Fachdisziplinen und erfordert eine intensive Mitarbeit des Patienten.

Fazit für die Praxis

ren Gefäßen das Mittel der ersten Wahl, jedoch in der Aussagekraft untersu-cherabhängig. Bei ausgeprägten Öde-men ist die Lymphsequenzszintigrafie zur Feststellung einer Lymphabflussstö-rung wegweisend [3].

Differenzialdiagnosen chronischer WundenChronische Wunden können nach Trau-ma oder spontan auftreten und werden am häufigsten durch eine Störung der Gewebeperfusion bedingt, die direkte vaskuläre Ursachen haben, aber auch se-kundär auftreten kann.

Vaskuläre UrsachenEine arterielle Perfusionsstörung, aber auch venöse Gefäßprobleme können zu einer Minderversorgung des Gewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen führen [4]. Die chronisch-venöse Insuffizienz z.B. nach Phlebothrombose oder bei Va-rikosis stellt die häufigste Ursache für chronische Wunden dar [5, 6]. Bei den venösen Ursachen spielt pathophysiolo-gisch die schwellungsbedingt erhöhte Diffusionsstrecke bei gleichzeitig kom-promittierter Mikrozirkulation eine Rolle [7].

Zu den vaskulären Ursachen von chronischen Wunden gehören auch Stö-rungen des Lymphabflusses, die zu Lymph ödemen führen können, sowie autoimmune Vaskulitiden (u.a. Pyoder-

Abb. 3 Malum perforans – typische Manifestation einer diabetischen Polyneuropathie.

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ma gangraenosum, Hashimoto-Erkran-kung, CREST-Syndrom).

Übermäßige Druckbelastung als UrsacheDurch übermäßige Belastung einer Körperregion können infolge gestörter Mikrozirkulation Ulzera entstehen. In diesem Zusammenhang sind insbeson-dere Patienten gefährdet, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind bzw. an Polyneuropathie leiden.

Vor allem bei bettlägrigen geriat-rischen Patienten und Querschnittsge-lähmten besteht ein erhöhtes Risiko für Dekubitalulzera [8]. Besonders gefähr-det sind auch Patienten mit diabetischer Polyneuropathie (Abb. 3), da neben den Empfindungsstörungen häufig zusätz-lich auch Mikro- und Makroangiopa-thien bestehen.

Infektiöse, neoplastische und radiogene UrsachenTherapieresistenten Wunden ohne Hei-lungstendenz können auch enzündliche oder neoplastische Ursachen zugrunde liegen. Der Nachweis von Bakterien er-möglicht die Abgrenzung zu sterilen Entzündungen beispielsweise infolge Radiatio oder Fremdkörpern (z. B. Fa-dengranulom, traumatische Inokulati-on). Um die Befunde abzusichern, emp-fiehlt es sich, Probematerial zur mikro-biologischen Abklärung einzusenden.

Zu den infektbedingten Ursachen chronischer Wunden zählt insbesondere auch die Osteomyelitis, die ausgeprägte Ulzerationen mit Fistelgängen hervor-rufen kann. Bei Malignität unterliegt das weitere Vorgehen onkologischen Thera-pieprinzipien. Die Entscheidung über Therapieindikation und –reihenfolge ist bei Nachweis eines malignen Tumors mit Hautbeteiligung vielgestaltig, so dass sie individuell je nach Tumorentität und Stadium der Erkrankung erfolgen muss.

Literatur unter mmw.de

Für die Verfasser:Dr. med. Tanja HerrlerHandchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Campus Großhadern und Cam-pus InnenstadtKlinik für Allgemeine, Unfall-, Hand- und Plastische Chirurgie, Campus InnenstadtKlinikum der Ludwig-Maximilians-Universi-tät München Marchioninistr. 15D-81377 MünchenE-Mail: [email protected].

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Literatur

1. S3-Leitlinie 091-001 „Lokaltherapie chronischer Wunden bei den Risiken CVI, PAVK und Diabe-tes mellitus“, Stand Juni 2012

2. Seiler WO, Stahelin HB. [Complication of bed rest. with special emphasis on prevention and treatment of decubitus ulcers (author's transl)]. Schweiz Rundsch Med Prax. 1979 Apr 17;68(16):505-14.

3. Weiss M, Baumeister RG, Hahn K. Dynamic lymph flow imaging in patients with oedema of the lower limb for evaluation of the functional outcome after autologous lymph vessel trans-plantation: an 8-year follow-up study. Eur J Nucl Med Mol Imaging. 2003 Feb;30(2):202-6.

4. Aust MC, Spies M, Guggenheim M, Gohritz A, Kall S, Rosenthal H, et al. Lower limb revascularisa-tion preceding surgical wound coverage - an interdisciplinary algorithm for chronic wound closure. Journal of plastic, reconstructive & aes-thetic surgery : JPRAS. 2008 Aug;61(8):925-33.

5. Pannier-Fischer F, Rabe E. [Epidemiology of chro-nic venous diseases]]. Der Hautarzt; Zeitschrift fur Dermatologie, Venerologie, und verwandte Gebiete. 2003 Nov;54(11):1037-44.

6. Spear M. Venous ulcers-an evidence-based up-date. Plast Surg Nurs. 2012 Oct;32(4):185-8.

7. Junger M, Steins A, Hahn M, Hafner HM. Mi-crocirculatory dysfunction in chronic venous insufficiency (CVI). Microcirculation. 2000;7(6 Pt 2):S3-12.

8. Berlowitz DR, Wilking SV. Risk factors for pressure sores. A comparison of cross-sectional and cohort-derived data. Journal of the American Geriatrics Society. 1989 Nov;37(11):1043-50.