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Was ist eigentlich ein Wahn?

Was ist eigentlich ein Wahn? Dr. Samuel Pfeifer, Klinik Sonnenhalde Riehen

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Was ist eigentlich ein Wahn?

Dr. Samuel Pfeifer, Klinik Sonnenhalde Riehen

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Drei Beispiele zur Einleitung

Herr A.: ist überzeugt, sein Schlaf werde gestört durch Funkleitsystem des Flughafens. Sobald die Geräte angeschaltet würden, vernimmt er ein dumpfes Sirren des „Luftlinienleitnetzes“ (10 km entfernt).

Frau B: hat den Eindruck, Nachbarn dringen in ihrer Abwesenheit in die Wohnung ein. In die Schuhsohlen wurde ein Gift geträufelt. Sie spürt ein Brennen in den Fusssohlen – das ist der Beweis.

Frau C: Der Friede im Nahen Osten braucht einen neuen Impuls. Sie verspürt den Auftrag, nach Israel zu reisen und mit führenden Politikern zu sprechen.

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Zwischen Wahn und Wirklichkeit

Warum haben wir dieses Thema gewählt?

Nicht jede ungewöhnliche Wahrnehmung und Erfahrung ist mit einer Schizophrenie gleichzusetzen

Breites Spektrum von Aberglaube, Glaube, Wahn.

Breites Spektrum von Betreuungskonzepten: Neurobiologie, Soteria, Angehörigenbegleitung.

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Wahnkriterien nach C. Scharfetter

a) Wahn ist eine Privatwirklichkeit. Krankhaft darf man das erst nennen, wenn es die Lebensführung behindert (kulturelle und soziale Relativität).

b) Wahn ist eine ganz persönlich gültige, starre Überzeugung von der eigenen Lebenswirklichkeit.– „Wahn ist ein Wissen, kein vertrauendes Glauben.“

c) Wahn ist eine lebensbestimmende Wirklichkeit – er beeinflusst das Erleben und Verhalten eines Menschen.

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Wahn isoliert und entfremdet

d) Wahn ist eine private Wirklichkeitsüberzeugung.– An der besonderen eigenen Überzeugung wird

festgehalten, auch wenn der Wahn im Widerspruch zur mitmenschlich-kommunikablen Wirklichkeit, zur eigenen Vorerfahrung und zur Erfahrung gesunder Mitmenschen steht.

– „Wahn ist eine Störung der Mitweltlichkeit des Menschen.“

e) Wahn ist eine Überzeugung, die isoliert und entfremdet.

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„Es geht immer um mich!“

Im Wahn dreht sich die Welt um die einzelne Person.– „Es geht immer um mich.“

– Die grosse Welt hat plötzlich einen ganz eigenen, sehr persönlichen Bezug zum Betroffenen.

– „Ich bin schuld am Tod von Lady Diana!“

– „Ich bin berufen, Grosses zu vollbringen!“

– „Mir werden verborgene Dinge durch Zeichen offenbart.“

– Wahnstimmung: Alarmstimmung – „Es ist etwas los“, Stimmung des Betroffenseins, der Unheimlichkeit, der angstvollen Erwartung, des Misstrauens („etwas stimmt da nicht!“

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Kulturell geprägte Wahninhalte

Folgende Themen sind am stärksten kulturell geprägt:

Schuld Liebe / Sex Religion Schädigung Wirtschaft Technologie Politik

Nach einer Studie, die Wahninhalte in Soeul, Shanghai und Taipeh verglich (Kim 2001).

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Kriterien des Wahns

a) Unkorrigierbarkeit der objektiv befremdlichen Überzeugung

b) Überzeugung bedarf keinerlei Beweises

c) Krankhafter Ich-Bezug

Wahn-Formen – Wahnidee (-einfall, -vorstellung): keine gestörten

Wahrnehmungen!

– Wahnwahrnehmung: wahnhafte Interpretation von Wahrnehmungen

– Wahnerinnerung: nachträglicher Einbau von Erinnerungen in Wahnsystem durch Uminterpretation

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Wahnvarianten

Bedeutungswahn ("Alle hatten Tränen in den Augen, als ob sie von meiner Not wüssten....")

Beziehungswahn ("Meinetwegen wird die Strasse aufgerissen")

Beeinträchtigungswahn ("Überall Schikanen") Verfolgungswahn ("Komplott gegen mich") Liebeswahn (meist bei Frauen: Überzeugung von best.

Person geliebt zu werden) Größenwahn Kleinheitswahn mit Themen

• hypochondrischer Wahn • Verschuldungswahn • Versündigungswahn • Verarmungswahn • Vergiftungswahn

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Glaube vs. Wahn

Glaube Wahn

Gruppenverankerung

Gemeinschaft

Zulassen von Zweifel Vertrauen

Inhalt oft transzendent

Psychopathologisch unauffällig

Singularität

Vereinsamung, fehlende Kommunikation

Unkorrigierbarkeit

Vertrauensverlust

Inhalt oft bedrohlich

Weitere psychopatho-logische Auffällig-keiten.

Nach Haenel 1983

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Aberglaube, Glaube, Wahn

Aberglaube ist die Vorstellung, durch gewisse Einstellungen und Handlungen Unheil abzuwenden oder umgekehrt Heil herbeiführen zu können. Zentraler Mechanismus ist die Projektion, die keine klare Trennung zwischen der eigenen Person und der (belebten oder unbelebten) Umwelt vornimmt.

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Psychodynamik des Wahns

Ein Wahn ist immer „funktional-final“

Der Wahn hat eine Funktion – Instrument der Selbstrettung

Der Wahn hat einen Zweck – er gibt Bedeutung und Sinn

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Wahnwahrnehmung und Interpretation

Am Anfang des Wahns steht praktisch immer eine Wahnwahrnehmung (auditive, visuelle oder somatische Halluzination)

Diese verlangt nach einer Interpretation: WER steckt dahinter? WARUM geschieht das mir (Kausalität)? WELCHEN SINN macht die

Wahrnehmung? WELCHEN ZWECK hat sie (Finalität)?

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Ein Modell

Halluzination:“Du bist Dreck.Bring Dich um!”

Wahrnehmung

STIMME

Interpretation

KULTUR

WARUM?

Was habe ich falsch gemacht?

WER?

Jemand, der mir schaden will?

Dazu kommen die Kriterien nach Jaspers

- Überzeugung

- Unkorrigierbarkeit

- krankhafter Ich-Bezug

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„Das Verhalten Schizophrener ist nie schlechthin verrückt oder unsinnig,

sondern es hat einen Sinn, eine Aufgabe. Diesen Sinn – die

Funktion, die das Verhalten für die Patienten hat – müssen wir

herauszufinden versuchen, wenn wir vor der Frage stehen, wie wir

diesen Menschen am besten helfen“

(Scharfetter, 1981, S.55).

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The End

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