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WAS IST NEOTTIGLOSSA LINEOLATA MLS. R. 18523 (HEM. HET. PENTATOMIDAE) Von EDUARD WAGNER Mit 9 Abbildungen im Text Eingegangen am 28. Februar 1954 Es gibt wohl kaum eine Heteropteren-Art, die von den Autoren der letzten 100 Jahre so unterschiedlich aufgefatlt worden ist wie Neottiglossa lineolata MLS. R. Die Art wurde 18 52 von MULSANT-REY als Aeliodes liHeolata beschrieben. Aber bereits 1878 machte PUTON in seiner Synopsis die Art zur Abart und nannte sic Neortiglossa inflexa var. lineolata M. R. Diesem Vorgehen schloD sich HUEBER 1893 an. Auch OSCHANIN folgt noch 1906 diesem Beispiel, aber 1912 fuhrt er Neottiglossa lineolata MLS. R. wieder als selbstandige Art auf. Diese Anderung in der Auffassung geht vermutlich auf HORVATH zuruck, der 1901 N. lineolata wieder zur Art machte. OSCHANIN (1912) indentifizierte dann auch noch N. lineolata mit der 1903 von JAKOVLEFF beschriebenen N. cowipta. Aber auch diese Auffassung wurde 1925 von STICHEL wiederum gdndert. der die Art nunmehr als N. pwsilla .var. lineolata auffiihrte, vermutlich beeinflu& von GULDE. Demzufolge findet sich in dem Werk von GULDE, das 1934 nach seinem Tode herausgegeben wurde, die gleiche Auffassung. Ihr ist man dann bis heute ge- folgt. Sie ist aber falsch. wie eine eingehende Untersuchung und der Vergleih mit N. pusilla GMEL. ergaben. N. lineolata MLS. R. ist eine gute Art. Der Grund fur die Verwirrung, die hier ohne Zweifel bestanden hat, liegt einerseits in der geringen Klarheit der MULSANT-REYschen Beschreibung, andererseits aber darin, datl man zur Trennung beider Arten lediglich ein Farbungsmerkmal benutzte: die Farbung der Unterseite des Abdomens. Dies Merkmal ist unzulanglich, weil es a d bei der anderen Art, N. pwsilla, nicht selten Tiere gibt, bei denen die Bauch- mitte zwar dunkel ist, zwischen ihr und dem gleichfalls dunklen Seitenrand aber ein mehr oder weniger heller Streifen liegt. Das ist aber gerade die fiir N. lineolata als Artmerkmal angefiihrte Farbung. Es gibt aber eine Anzahl guter Unter- scheidungsmerkmale zwischen beiden Arten. Sie sollen in den folgenden Zeilen aufgezeigt werden: Betrachtet man den Kopf von oben (Fig. I), so ist dieser bei N. lineolata deut- lich spitzer und nach vorn gleichmatlig verjungt, wahrend er bei N. pusilla stumpfer, im hinteren Teil mehr parallelseitig und im vorderen Teil starker ver- jiingt ist. Die Kopfseiten sind daher bei N. pusilla in der Mitte fast winklig ge- bogen, wahrend sie bei N. lineolata nur schwach gekrummt sind; auch liegt hier die Krummungsstelle dem Auge weit naher, und die Kopfseiten sind vor dem

Was ist Neottiglossa Lineolata Mls. R. 1852? (HEM. HET. PENTATOMIDAE)

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Page 1: Was ist Neottiglossa Lineolata Mls. R. 1852? (HEM. HET. PENTATOMIDAE)

WAS IST NEOTTIGLOSSA LINEOLATA MLS. R. 18523 (HEM. HET. PENTATOMIDAE)

Von EDUARD WAGNER

Mit 9 Abbildungen im Text

Eingegangen am 28. Februar 1954

Es gibt wohl kaum eine Heteropteren-Art, die von den Autoren der letzten 100 Jahre so unterschiedlich aufgefatlt worden ist wie Neottiglossa lineolata MLS. R. Die Art wurde 1 8 52 von MULSANT-REY als Aeliodes liHeolata beschrieben. Aber bereits 1878 machte PUTON in seiner Synopsis die Art zur Abart und nannte sic Neortiglossa inflexa var. lineolata M. R. Diesem Vorgehen schloD sich HUEBER 1893 an. Auch OSCHANIN folgt noch 1906 diesem Beispiel, aber 1912 fuhrt er Neottiglossa lineolata MLS. R. wieder als selbstandige Art auf. Diese Anderung in der Auffassung geht vermutlich auf HORVATH zuruck, der 1901 N. lineolata wieder zur Art machte. OSCHANIN (1912) indentifizierte dann auch noch N. lineolata mit der 1903 von JAKOVLEFF beschriebenen N. cowipta. Aber auch diese Auffassung wurde 1925 von STICHEL wiederum gdndert. der die Art nunmehr als N . pwsilla .var. lineolata auffiihrte, vermutlich beeinflu& von GULDE. Demzufolge findet sich in dem Werk von GULDE, das 1934 nach seinem Tode herausgegeben wurde, die gleiche Auffassung. Ihr ist man dann bis heute ge- folgt. Sie ist aber falsch. wie eine eingehende Untersuchung und der Vergleih mit N. pusilla GMEL. ergaben. N . lineolata MLS. R. ist eine gute Art. Der Grund fur die Verwirrung, die hier ohne Zweifel bestanden hat, liegt einerseits in der geringen Klarheit der MULSANT-REYschen Beschreibung, andererseits aber darin, datl man zur Trennung beider Arten lediglich ein Farbungsmerkmal benutzte: die Farbung der Unterseite des Abdomens. Dies Merkmal ist unzulanglich, weil es a d bei der anderen Art, N. pwsilla, nicht selten Tiere gibt, bei denen die Bauch- mitte zwar dunkel ist, zwischen ihr und dem gleichfalls dunklen Seitenrand aber ein mehr oder weniger heller Streifen liegt. Das ist aber gerade die fiir N . lineolata als Artmerkmal angefiihrte Farbung. Es gibt aber eine Anzahl guter Unter- scheidungsmerkmale zwischen beiden Arten. Sie sollen in den folgenden Zeilen aufgezeigt werden:

Betrachtet man den Kopf von oben (Fig. I), so ist dieser bei N . lineolata deut- lich spitzer und nach vorn gleichmatlig verjungt, wahrend er bei N. pusilla stumpfer, im hinteren Teil mehr parallelseitig und im vorderen Teil starker ver- jiingt ist. Die Kopfseiten sind daher bei N . pusilla in der Mitte fast winklig ge- bogen, wahrend sie bei N. lineolata nur schwach gekrummt sind; auch liegt hier die Krummungsstelle dem Auge weit naher, und die Kopfseiten sind vor dem

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118 Deutschr Entomologische Zeitshrift N. F. 1, Heft 1/11, 1954

Auge l e i h t geschweift. Der Kopf ist bei N . linedata fast 15mal so breit wie lang, und der Sheitel ist 4,4--5,0mal so breit wie das groDere Auge. Bei N . pu- silln sind die Kopfseiten nur vor der Mitte leicht geschweift, der Kopf ist nur 1,3--1,4mal so breit wie lang und der Scheitel 5,4-6,0mal so .breit wie das weit kleinere Auge. Betrachtet man den Kopf von der Seite (Fig. 2), so ersheint

,

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Abb. 1-5. Neortiglossa l i t d a t a MLS. R. (oben) und N . pusilla GMEL. (unten): 1. Kopf, Dorsal-, 2 . Lateralansicht. 3 . Fiihler. 4. Genitalsegment 8 Ventral-, 5 . Dorsalansiht. - Abb. 6 , 7. N. lilieolata MLS. R. (links) und N. purilla GMEL.

(rechts): 6 . Parameren, 7 . Genitalsegment 0.

sein oberer Rand bei lineolata vom Hinterrand bis zur Spitze ziemlkh gleih- tnaDig gewolbt, die Seitenrander der Wangen sind dick und wulstig und ihre Spitze daher breit gerundet. Die Wangenplatten sind gerundet und stehen nach tlnten nur wenig vor. Bei N. pctsilla ist der obere Rand in der Mitte fast winklig gebogen, die Seitenrander der Wangen sind shmaler und ihre Spitze ist d a n k e r ; die Wangenplatten stehen stark und winklig vor. Auch in den Langenverhalt- nissen der Fiihlerglieder (Fig. 3) zeigen sich deutliche Untershiede, insbeson- dere beim 3. Glied. Bei N . lineolara ist das 3. Glied 0,82-0,83mal so lang wie das 2., das 4. Glied 1,6--1,7mal so lang wie das 3., und das 5. Glied 1,34 bis 1,36mal so lang wie das 4. Bei N. pirsilla ist das 3. Glied 0,65-0,70mal so lang wie das 2., das 4. 1,93--1,96mal so lang wie das 3., und das 5. sogar 1,50--1,60mal so lang wie das 4.

Audv im Bau der Genitalien zeigen sich deutliche Unterschiede. Das Genital- segment des 6' ist bei Betrachtung von unten (Fig. 4) bei N. lineolara stark ge-

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rundet, seine Seiten konvergieren nach vorn nur wenig. Die Seitenecken sind breit gerundet, der Hinterrand ist ziemlich gerade und zeigt in der Mitte nur eine kleine Einbuchtung. Bei N . pusilla konvergieren die Seiten nach vorn recht stark, die Seitenecken sind fast spitz, und der Hinterrand tragt neben der mittle- ren Einbuchtung zwei kleine Hocker. Bei Betrachtung des Segments von oben (Fig. 5) erkennt man die gleichen Unterschiede in der Gestalt des Segments. Die Genitaloffnung ist bei N. liHeolata in der Mitte des oberen Randes tief eingebuchtet, wahrend beiderseits dieser Einbuchtung der Rand stark vorgewolbt und schwielig verdickt ist. Bei N . pusilla ist diese Einbuchtung nur flach und die Vorwiilbung des Randes neben ihr viel geringer und nicht so stark verdickt. Die Parameren sind bizarr geformt. Sie zeigen distal zwei Fortsatze. Bei N . lirzeolata (Fig. 61 sind beide Fortsatze an der Spitze gekrummt, der langere ist distal blattartig und abgerundet, der kurzere, seitliche trigt eine kleine, dunkle, stark gekrummte Spitze. Bei N . pttsilfa (Fig. 7) sind die beiden Fortsatze fast gerade, der langere ist kraftig, distal spitz und hat neben der Spitze no& einen kraftigen Hocker; der seitlihe Fortsatz hat distal eine fast gerade, kraftige Spitze. Der Penis ist bei N. pusilla weit grol3er und die Vesika distal viel linger.

Auch die Genitalsegmente der 99 zeigen deutliche Unterschiede. Bei N. lineo- lata (Fig. 8) sind sie fast dreieckig, die beiden Lappen des 7. Segments sind klein, dreieckig und ragen kaum uber die Mitte nach oben, die Gonapophysen des 8. Segments sind in der Mitte einander stark genahert. Bei N. pusilla (Fig. 9 ) sind die Genitalsegmente grooer, fast U-formig, die Lappen des 7. Segments sind grofl, fast viereckig und ragen weit uber die Mitte nach oben, die Gonapo- physen des S. Segments stehen distal viel weiter auseinander.

Angesichts dieser deutlichen Unterschiede kann kein Zweifel daran bestehen, dafl hier zwei gute Arten vorliegen, die sich nach den folgenden Merkmalen trennen lassen:

Seiten des Kopfes

Wangenplatten

durchschnittliche Lange der Fuhlerglieder

Genitalsegment des 6 ~-

Genitalsegment des

Auge

N . [ineolata MLS. R.

GleichmaBig konvergierend, vor den Augen leicht geschweift,

dickwulsrig

wenig vorstehend, abgerundet

27 : 40 : 3 3 : 56 : 76

Seiten gerundet, Seitenecken ab- gerundet, oberer Rand neben der

Einbuchtung ohne Zahne

V-formig, Lappen des 7. Seg- ments etwa bis mr Mitte nach

oben reichend

gri8, Scheitel 4,4--5.0 x so breit wie das Auge

N. pusilla GMEL.

Hinten kaum konvergierend, vorn starker konvergierend, in der Mitte fast winklig, vor den Augen nicht geschweift, ziemlidi

flach

stark vorstehend, eckig

28 : 36 : 26 : 5 1 : 79

Seiten konvergierend, Seiten- ecken spitz, oberer Rand neben der Einbuchtung mit 2 Zahnen

U-formig, Lappen des 7. Seg- ments weit iiber die Mitte hin-

aus nach oben reichend

klein, Scheitel 5 . 5 4 . 0 x so breit wie das Auge

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Die Verbreitung der beiden Arten erscheint gleichfalls sehr bemerkenswert. N . heo la ta MLS. R. sah ih bisher nur aus Siidfrankreich: Basses Alpes (Digne), Alpes maritimes (La Siagne bei Cannes, La Nouvelle); wahrend N . pwsflla GMEL. eine weitere Verbreitung hat und in ganz Nord- und Mitteleuropa gefunden wurde. Aus Frankreih lagen mir Stiicke der Art a m Albi (Hte. Garonne) und Bort vor.

L i t e r a t u r : MULSANT-REY: Histoire Naturelle des Punaises, I (Pentatomidae), Lyon 1852, p. 149. PUTON. A,: Synopse des Hem. Het. de France, 11, Paris 1878, p. 48. QSCHANIN, B.: Verz. d. Palaarkt. Hem. I, St. Petersburg 1906, p. 92. -, Katalog der Palaarkt. Hem. I, Berlin 1912, p. 11.

HORVATH. G.: Ann. Mus. Nat. Hung. I, 1901, p. 155. JAKOVLEFF, B.: Horae SOC. Ent. Ross. XXXVI, 1903, p. 327/29. STICHEL, W.: Illustr. Best. Tab. d. deutsch. Wanz. I, Berlin 1925, p, 22 . GULDE, J.: Die Wanzen Mittehuropas 111, Frankfurt a. M. 1934, p. 124. DE SEABRA, A. F.: Sinopse d. Hem. Het. d. Portugal, p. 116. VIDAL, I.: Hem. Afr. d. Nord. Mem. SOC. Scien. Nat. Maroc XLVIII, 1949, p. 147.

Anschrift des Verfassers: Eduard Wagner, Hamburg-Lgh. I. Moorrye 103.