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1 Was können Führungskräfte vom Theater lernen? „Die ganze Welt ist eine Bühne, und wir sind nichts als Marionetten.“ (W. Shakespeare: Wie es Euch gefällt ) Als R EGISSEUR bin ich mit den verschiedensten Führungsaufgaben konfrontiert. Einerseits stehe ich in der Verantwortung gegenüber dem Intendanten, dem Budget und dem Publikum. Anderseits habe ich diverse Mitarbeiter mit verschiedensten Ansprüchen zu führen: den künstlerischen Mitarbeiterstab, Dramaturgie, Ausstattung, Musiker etc., die Techniker und natürlich die Schauspieler. Gerade letztere wollen einerseits sehr genau geführt werden, anderseits darf ich ihre eigene Kreativität nicht beschneiden, wenn ich deren optimale Möglichkeiten voll ausschöpfen will. Über all dem steht meine Vision, was ich mit dem Thema, mit dem Stück erzählen möchte. Projektmanagement im besten Sinne. Die Arbeit des Regisseurs im Spannungsfeld Theater entspricht also ziemlich genau den Aufgaben eines M ANAGERS , der das kreative Potential einer Truppe zum großen Ganzen zusammenfügt. Die S PIEL -M ETAPHER durchzieht unser ganzes Leben. Ein guter Spieler kann mit den aggressiven Kräften, die in einem konfliktreichen Feld zwangsläufig aufkommen, gut umgehen. Er hat vielleicht sogar Spaß daran, geht „locker“, also nicht blind aggressiv in diese Kämpfe. Er verliert nicht die Nerven. Ein guter Spieler behält die Übersicht. Selbst im Kampfsport ist die Strategie entscheidend. Vielleicht kann man sogar behaupten, dass die Fähigkeit zu spielen die grundlegendste soziale Kompetenz darstellt. Wenn in einem Konfliktfall die Fronten verhärtet sind, kann man neue Aspekte ins Spiel bringen, die den Prozess wieder in Gang bringen. Neue Spielräume tun sich auf. Anstatt eine Szene zu machen, distanziere ich mich innerlich von dem Geschehen und werde zum Regisseur. Im Alltag sind diverse Auftritte in Meetings und Besprechungsszenen zu bewältigen. Ich verschaffe mir einen guten, also wirkungsvollen Auftritt, werde gesehen und gehört. Die Performance kann alles entscheiden. Meine Argumentation erscheint im richtigen Licht. Auch aus der T HEATERLITERATUR ist viel über Hierarchie und Beziehungen, Konkurrenz und Macht zu lernen, denn die Dramatiker, allen voran Schiller und Shakespeare, haben den Stoff exemplarisch analysiert. Wettbewerb und Kündigungen, Fusion und Übernahme: die Arbeitswelt steckt voller Schlachten und Tragödien. Welche Rolle fällt mir zu? Bin ich König oder Narr? Oder muss ich gar wie König Lear entdecken, dass ich am Ende weniger habe, als der Narr?

Was können Führungskräfte vom Theater lernen

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Einführung zum Thema: Führungskräfte und Theater

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Was können Führungskräfte vom Theater lernen? „Die ganze Welt ist eine Bühne, und wir sind nichts als Marionetten.“ (W . Shakespeare: Wie es Euch gefä l l t) Als R E G I S S E U R bin ich mit den verschiedensten Führungsaufgaben konfrontiert. Einerseits stehe ich in der Verantwortung gegenüber dem Intendanten, dem Budget und dem Publikum. Anderseits habe ich diverse Mitarbeiter mit verschiedensten Ansprüchen zu führen: den künstlerischen Mitarbeiterstab, Dramaturgie, Ausstattung, Musiker etc., die Techniker und natürl ich die Schauspieler. Gerade letztere wollen einerseits sehr genau geführt werden, anderseits darf ich ihre eigene Kreativität nicht beschneiden, wenn ich deren optimale Möglichkeiten voll ausschöpfen wil l. Über all dem steht meine Vision, was ich mit dem Thema, mit dem Stück erzählen möchte. Projektmanagement im besten Sinne. Die Arbeit des Regisseurs im Spannungsfeld Theater entspricht also ziemlich genau den Aufgaben eines M A N A G E R S , der das kreative Potential einer Truppe zum großen Ganzen zusammenfügt. Die S P I E L -ME T A P H E R durchzieht unser ganzes Leben. Ein guter Spieler kann mit den aggressiven Kräften, die in einem konfliktreichen Feld zwangsläuf ig aufkommen, gut umgehen. Er hat vielleicht sogar Spaß daran, geht „ locker“, also nicht bl ind aggressiv in diese Kämpfe. Er verl iert nicht die Nerven. Ein guter Spieler behält die Übersicht. Selbst im Kampfsport ist die Strategie entscheidend. Viel leicht kann man sogar behaupten, dass die Fähigkeit zu spielen die grundlegendste soziale Kompetenz darstel lt. Wenn in einem Konfliktfall die Fronten verhärtet sind, kann man neue Aspekte ins Spiel bringen, die den Prozess wieder in Gang bringen. Neue Spielräume tun sich auf. Anstatt eine Szene zu machen, distanziere ich mich innerl ich von dem Geschehen und werde zum Regisseur. Im Alltag sind diverse Auftri tte in Meetings und Besprechungsszenen zu bewält igen. Ich verschaffe mir einen guten, also wirkungsvollen Auftr i tt, werde gesehen und gehört. Die Performance kann alles entscheiden. Meine Argumentation erscheint im richtigen Licht. Auch aus der T H E A T E R L I T E R A T U R ist viel über Hierarchie und Beziehungen, Konkurrenz und Macht zu lernen, denn die Dramatiker, allen voran Schil ler und Shakespeare, haben den Stoff exemplarisch analysiert. Wettbewerb und Kündigungen, Fusion und Übernahme: die Arbeitswelt steckt voller Schlachten und Tragödien. Welche Rolle fällt mir zu? Bin ich König oder Narr? Oder muss ich gar wie König Lear entdecken, dass ich am Ende weniger habe, als der Narr?

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LEAR Es ist unser Wille, von unserm Alter al le Sorgen und Geschäfte abzuschütteln, sie jüngeren Kräften zu vertraun, dass unbelastet wir dem Tod entgegen kriechen.

Foto : König Lear I nszen ie rung W . Gerber am Theat e r Augsburg 2004

LEAR wi l l se inen Töchtern vorzei t ig se in Imper ium, d ie königl iche Firma, übergeben. Sein Verte i lungspr inzip k l ingt s impel. Der Tochter, d ie den Vater am meisten l iebt , so l l der größte Tei l überschr ieben werden. Unseel ige Verknüpfung von Liebe und Macht . LEAR Nennst du mich Narr, Junge? NARR Alle deine andern Titel hast du weggeschenkt, mit diesem

bist du geboren. Das Problem des Königs: er nimmt sich zu ernst, bis es zu spät ist. Die Weisheit des Narren: er stell t die Welt der Wirklichkeit spielerisch auf den Kopf. Er zeigt: Ihr seid die wirkl ichen Narren, ich aber spiele diese Rolle nur – wissend, dass es eine Rolle ist. Es sol l hier nicht ein weiteres E X P E R T E NW I S S E N Z U M T H E M A F Ü H R E N versprochen werden, das man in sein Handwerksköfferchen stecken kann. Es soll nicht vorgegaukelt werden, alle Probleme lösen zu können, die Führen zwangsläuf ig mit sich bringt, das als ein Handeln mit hoher Komplexität anzusehen ist, welches oft mehr mit Steuern von Dilemmata zu tun hat als mit logisch durchgestylten Rezepten. Da ist nicht selten die Fähigkeit zum Improvisieren und kreatives Management gefordert. Diese Talente kann man beim Theaterspielen entdecken und fördern.

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Führen führt zu STRESS . Viele Führungskräfte werden sagen, das gehört zu meinem Job, dafür bekomme ich mein Gehalt, das möglichst hoch angesetzt, gerne auch als Schmerzensgeld angesehen wird. Schmerzen, die noch immer zum Ehrenkodex eines Managers zu gehören scheinen, der Selbstausbeut-ung bis zum burn out als Selbstverständlichkeit ansieht. Das Bewusstsein, eine Führungsrolle zu spielen, als Chef, Regisseur, Trainer, als Poli t iker etc., also zu wissen, dass man sich in einem klar def inierten (Spiel - ) Feld bewegt, kann helfen, sich abzugrenzen. Der Stress gehört zu meiner Rolle und nicht zu meiner Person. Ich muss also Formen und vielleicht Rituale f inden, wie ich den Stress an seinem Ort, z.B. dem Arbeitsplatz, lassen kann. Die großen A’s: Authentizität Nur authentische Führung ist erfolgreiche Führung. Aber Denis Diderot hat bereits auf die Paradoxie der A U T H E N T I Z I T Ä T hingewiesen. „Man sagt, ein Redner taugt mehr, wenn er sich erhitzt, wenn er in Zorn gerät. Das bestreite ich. Es ist besser, wenn er den Zorn nachahmt. Die Schauspieler machen Eindruck auf das Publikum nicht wenn sie wutentbrannt sind, sondern wenn sie einen Wutausbruch gut spielen. Übertriebene Empfindsamkeit macht mittelmäßige Schauspieler.“ (Diderot : Das Paradox über den Schauspie ler . ) Der Zuschauer erlebt den Schauspieler als glaubhaft (authentisch), wenn er seine Rolle bewusst spielt. Wenn er jedoch seine privaten Gefühle auf der Bühne ausbreitet, wird das Publikum peinlich berührt sein und ihm nicht glauben. Die Anekdote, dass das Publikum bei einem realen Herzinfarkt eines Darstel lers auf der Bühne gelacht haben soll , weil es an eine komische Darstel lung glaubte, unterstreicht dieses Phänomen. „Solange der Mensch, in seinem physischen Zustande, die Sinnenwelt bloß leidend in sich aufnimmt, bloß empfindet, ist er auch noch völ l ig eins mit derselben, und eben weil er selbst bloß Welt ist, so ist für ihn noch keine Welt. Erst wenn er in seinem ästhetischen Stande sie außer sich stel lt oder betrachtet, sondert sich seine Persönlichkeit von ihr ab, und es erscheint ihm eine Welt, weil er aufgehört hat, mit derselben eins auszumachen“. (F. Schi l ler : Über d ie äs thet ische Erziehung des Menschen in e iner Reihe von Br iefen/25.Br ief) Es gi lt also zu unterscheiden zwischen privat und persönlich. Wir wollen möglichst wenig aus dem Privatleben unseres Chefs wissen, aber wenn er seine Persönlichkeit zeigt, kann er uns faszinieren und motivieren. Eine wicht ige Voraussetzung für diese Selbstdarstellung ist die (ironische) Selbst-Distanz, denn diese schafft den inneren Raum, sich authentisch öffentlich ausdrücken zu können.

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Ambiguitätstoleranz Noch ein schöner Begrif f , der die Fähigkeit meint, W idersprüche aushalten zu können, z.B. mit unfert igen Lösungen arbeiten zu können, ohne permanent frustr iert, also blockiert zu sein. Diese Fähigkeit entspricht nicht unbedingt dem normalen Anforderungsprof il einer Führungskraft, die auf schnelle (kostensparende) Lösungen bedacht ist . Unlösbarkeiten kommen in diesem Weltbi ld oft nicht vor. Sie sollen Macher, Entscheider, Treiber sein und behandeln emotionale und kommunikative Probleme wie technische. Erwartet werden eindeutige Ursache-Wirkungs-Ketten und klare Lösungsvorschläge. Autonomie Ist eine wichtige Voraussetzung für das Kreieren von möglichst tragfähigen Lösungsvorschlägen. Aber auch die Autonomie muss in einem ambivalenten Spannungsfeld gesehen werden. Einerseits brauche ich Freiheit um selbst bestimmt handeln zu können, anderseits gerät völl ige Freiheit ohne Ordnung und Regeln zum Chaos. Absolute Sicherheit aber führt zum zwanghaft-bürokratischen Kältetod. Diese Ambivalenz stel lt einen weiteren Stressfaktor für Führungskräfte dar. Autorität Die V O R G E S E T Z T E N -R O L L E ist hervorgehoben und wicht ig. Die Führungskraft nimmt die Posit ion der Autorität ein. Sie darf nie vergessen, dass sie für die Mitarbeiter immer auch eine Projektions-f läche für die Übertragung unref lekt ierter Autoritätskonflikte darstel lt. Häufige Verhaltensweisen der Mitarbeiter wie Anpassung, Trotz, Sich-Benachteil igt-Fühlen, Beleidigt-Sein, Immer-die-Schuld-Haben, Nie-die-Schuld-Haben, Nichts-mit–dem-Chef-zu-tun-haben-Wollen und andere bekannte Spiele aus der Arbeitswelt werden dann gerne auf Sach- und Inhaltsfragen verschoben. Die Mitarbeiter-Rolle hat die Tendenz, regressive Entwicklungen zu fördern und den Chef zu idealisieren: „Er soll es r ichten, er muss es doch wissen“. Diese Idealisierung kann dann später in die Vernichtung des Idols umschlagen. Der Mitarbeiter lauert darauf, den idealisierten Chef wieder vom Thron zu stoßen. Dieses Spiel mit unbewussten Schattenf iguren im Hintergrund, den idealisierten Elternf iguren, kann bei vielen Vorgesetzten zu Überforderungsgefühlen und Versagens-ängsten führen, die gerne überspielt werden, denn Führungskräfte sollen keine „Schwächen“ zeigen. Um nicht in diese Spiele hinein gezogen zu werden, ist es sehr wichtig, sich abgrenzen zu können und am Feierabend seine Rolle wieder in der Garderobe abgeben zu können. Man muss sich Möglichkeiten verschaffen, diese Übertragungen im Privatleben abzuarbeiten, sei es durch ein stabi les Privatleben, ehrl iche Freunde, aber auch durch ein seriöses Coaching.

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Is t LEAR jetzt verrück t geworden oder hat er jetzt den tota len Durchbl ick? LEAR Jeder Zoll ein König! Wie? Verrückt? Um zu sehen, wie ’s

zugeht auf der Welt braucht man keine Augen, sondern Ohren! Sieh, wie der Richter da den kleinen Dieb fert ig macht! Und jetzt passt auf: Bäumchen, Bäumchen wechsle dich! Wer ist der Richter, wer der Dieb? Schickt mir den Arzt. Ich bin hirnrissig.

Anstand & Charakter Ich behaupte, dass unser aller Leben, auch das so genannte seriöse beruf liche und auch die Polit ik, nur zu einem sehr geringen Teil vom Faktischen. wissenschaftl ich Bewiesenen bestimmt wird. Vielmehr folgen wir unseren Gefühlen, Ahnungen, Intuit ionen. Auf dieser Ebene der Kommunikation reagieren wir auf unbewusste Signale. Wir lassen uns leiten von Menschen mit Charisma, Ausstrahlung, von deren Visionen. Als Führungskräfte sind wir auf darauf angewiesen, einerseits zu überzeugen, aber manchmal auch zu ver-führen. Es ist unsere moralische Verantwortung, dass wir diese Macht nicht missbräuchlich verwenden, sondern verantwortungsvoll damit umgehen.

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Werte bringen Mehrwert. Zwei Schlüsselwörter bi lden die Säulen, auf denen dieses Führungskonzept steht: Anstand und Charakter. Bei nicht wenigen Managern ist da heute etwas völl ig durcheinander geraten: „Da sind zu viele superaktive, egozentrische, berechnende und aggressive Manager. Ihr Wertesystem stimmt nicht. Geldgier, Größen-wahn und Machtbesessenheit halten sie für Qualitäten …und weil viele Unternehmen nichts anderes sind als der verlängerte Schatten des Mannes oder der Frau an der Spitze, so ist bald das ganze Schif f so wie der Käpt’n: ein Freibeuter in eigener Sache. Der Fisch beginnt am Kopf zu st inken.“ (W olf Lot ter in brand e ins, Hef t 02 – 2006) Wenn wir ein Team haben, das das Spiel kennt, also die Regeln und die einzelnen Rollen, wird es das Risiko, das jedes Spiel mit sich bringt, bereitwil l ig mitspielen. Viel leicht lassen sie sich vom Spielführer mitreißen, wenn sie ihm glauben, dass er in dem Spiel auch mitspielt, also etwas wagt. An diesem Punkt zerstören verantwortungslose Manager, die für ihr Versagen auch noch fürstl ich abgefunden werden, das Spiel. Sie spielen unfair, sind gedopt und das führt zu totaler Demotivat ion. Die Ackermann-Geste spiegelt den Effenberg-Finger. Beides sind Rückfälle in die Zeiten der Urhorde. Ästhetische Erziehung Laut Schil ler wird die menschliche Ambivalenz zwischen Sinnl ichkeit und Vernunft, Anschauung und Denken, der „Person“ und seinem „Zustand, dem Formtrieb (moral ischer Nötigung) und dem Stoff trieb (tr iebhafter Begierde) erst durch die Tätigkeit eines dritten Triebes aufgehoben: dem SP I E L T R I E B , der dem Menschen „die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt und ihn von al lem, was Zwang heißt entbindet“ . „Es gehört also zu den wichtigsten Aufgaben der Kultur, den Menschen auch schon in seinem bloß physischen Leben der Form zu unterwerfen und ihn, soweit das Reich der Schönheit nur immer reichen kann, ästhetisch zu machen, weil nur aus dem ästhetischen, nicht aber aus dem physischen Zustand der moralische sich entwickeln kann“. (F. Schi l ler : Über d ie ästhet ische Erziehung des Menschen in e iner Reihe von Br iefen/23.Br ief) Wer A sagt muss auch B sagen: Am besten L E R N E N U N D T R A I N I E R E N wir, indem wir wie die Kinder vorurtei lslos Spielsituationen und Rollen ausprobieren. Freiheit und Glück bedeuten auch, spielerisch, also vor allem ohne Angst vor ernsten Konsequenzen das Leben erforschen zu können. Damit diese Haltung möglich ist, brauchen wir einen geschützten Raum des Vertrauens und klar def inierte Regeln. Das Erlernen von Regeln ist nicht immer schmerzfrei. W ir erinnern uns, es war nicht einfach als Kind zu lernen, dass man nicht schummeln

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darf, und dass man auch mal verl ieren können muss, wenn wir mit Partnern spielen wollen. Hier erlernen wir, mehr oder weniger gut, die so genannte F R U S T R A T I O N S T O L E R A N Z . Vom Ursprung der Kultur im Spiel Der Kulturhistoriker J. Huizinga stellt in seinem Buch „Homo ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ die Bedeutung des Spiels für die Menschwerdung dar. Er betont, dass das Spiel immer auf Freiwil l igkeit beruht. Niemand kann zum Spielen gezwungen werden, aber die Spielregeln müssen anerkannt werden. Das Spiel hat Ähnlichkeiten mit dem Kult und dem Religiösen, denn es bedarf eines Ethos der höheren Ernsthaftigkeit (Fairness), wir sprechen ja auch vom „heil igen Ernst“ im Spiel, obwohl das Phänomen Spiel eigentlich im Gegensatz zum Ernst steht. Der Ernst (ernest, ernust, eornost = Streit, Kampf) ist def iniert als Abwesenheit von Spiel, wohingegen das Spiel den Ernst durchaus mit einschließen kann. Das Spiel ist demnach der höher stehende Term. Die Wissenschaft und die Kunst sieht Huizinga als spezielle Formen des Spiels, ebenso natürl ich die Polit ik und die Wirtschaft. Demnach übernehmen Führungskräfte bestimmte Rollen in diesem Spiel. Ich behaupte, dass immer dann, wenn der Spielcharakter vol lkommen verloren geht und nur noch die so genannte Realpolit ik und Sachzwänge unser Handeln best immen, die Alarmglocken läuten soll ten. Dann läuft etwas schief und wir sol lten versuchen, wieder auf Distanz zum Problem zu gehen, um neue Spielräume zu entdecken. Weiter def iniert Huizinga das Spiel in Opposit ion zum „gewöhnlichen, eigentl ichen Leben“. Es ist in letzter Konsequenz überf lüssig, man muss es nicht machen, und genau da liegt seine Freiheit. Sehr wicht ig auch die Abgeschlossenheit, Begrenztheit und v.a. dessen Wiederholbarkeit. Diese drei Merkmale machen das Spiel zu einer beobachtbaren und damit besonders wertvollen Tätigkeit. Daraus ergibt sich die Möglichkeit des P R O B E H A N D E L N S . Man kann etwas ausprobieren, ohne gleich ernsthafte Konsequenzen befürchten zu müssen. Ein ideales Lernfeld. Status-Spiele Der W E T T B EW E R B , das „Sich-Messen-Wollen“ kann man durchaus als ein Grundbedürfnis vieler Menschen ansehen, das auch in der Tierwelt zu beobachten ist. Wie stark dieses Bedürfnis bei einzelnen Menschen ausgeprägt ist, ist natürl ich sehr verschieden. Konkurrenz kommt vom lateinischen „con currare“, was soviel bedeutet wie „miteinander laufen“. Ein Spiel macht uns dann am meisten Spaß, wenn wir uns mit Gegnern messen, die uns ebenbürt ig sind. Wir erlernen dabei auch das Hoch- und Tiefstatusspiel.

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Der englische Theatermacher Keith Johnstone, der den „Theatersport“ kreierte, eine Form von Improvisat ionstheater, in dem zwei Teams gegeneinander antreten und zu verschiedenen Themen improvisieren, hat die Terminologie vom S T A T U S S P I E L eingeführt. Wenn zwei Menschen aneinander vorbeigehen wollen, ohne zusammen zu stoßen, müssen sie schnell und meistens unbewusst ihren jeweiligen Status klären. Dass zwei Menschen absolut den gleichen Status haben, kommt so gut wie nie vor, außer wenn sie gezwungen sind, identische und beschränkte Bewegungen auszuführen (Chöre, beim mil itärischen Dril l etc.). Freunde machen den Status zum Spiel; sie beleidigen einander, ohne es ernst zu meinen, oder verneigen sich im Spaß voreinander. Das ist viel leicht eine Erklärung für das Phänomen, warum uns einerseits jahrelang Bekannte fremd bleiben können, während wir mit spielerischen Menschen spontan Freundschaft schl ießen. Auf den Brettern der Bühne, die ja die Welt bedeuten, geht es wie im wirklichen Leben darum, dieses Statusspiel zu spielen. Wer führt, wer dominiert die Szene und wie macht er das? Die führende Person bestimmt den Raum. Es gibt immer nur einen bestimmten Platz für den Thron des Königs oder den Chefsessel. Sie benimmt sich meistens entspannter und ihre Körpersprache strahlt Gelassenheit aus. Sie gibt das Sprechtempo vor, spricht in längeren Bögen, antwortet nicht schnell und gehetzt, sondern nimmt sich das Recht zu längeren Pausen. Die innere Steuerung für diese Ausstrahlung von Ruhe ist der Atem. Wir sagen von besonders erfolgreichen Menschen: der hat einen langen Atem. Einige der wichtigsten Statussignale werden durch die Augen vermittelt. W ir halten den Blickkontakt, wenn wir dominieren möchten. Die Wichtigkeit der K Ö R P E R S P R A C H E , wenn wir unsere intellektuellen Meisterleistungen an den Mann bzw. an die Frau bringen wollen, hat Melanie Gieschen in ihrem Text ausführl ich dargelegt. Aber wo wird die Körpersprache nun gesehen? Auf der Bühne des täglichen Lebens. Da tanzen wir unseren täglichen Gesellschaftstanz, wissentl ich und unwissentl ich. Dabei eine gute Figur zu machen, kann man lernen. In der Atem- und Sprechtechnik und im Körpertraining erlernt der Schauspieler Techniken, wie er diese Prozesse bewusst steuern kann, um die jeweil ige Rolle glaubhaft zu verkörpern. Der Zuschauer kann das Resultat dieser Arbeit auf der Bühne sehen und viel leicht erkennt er gewisse Muster, wie sie auch in seinem Leben vorkommen. Den größeren Erkenntnis- und damit Lerngewinn hat er natürl ich dann, wenn er sich getraut diese Übungen selber auszuprobieren. Daraus sind viele Seminare für Führungskräfte entstanden. Nun ergeht es dem Übenden nicht anders als dem Schauspielschüler: erst wenn die Technik unsichtbar wird, also das Erlernte zum unbewussten Repertoire gehört, wirkt die Darstel lung glaubhaft. Diesen Weg, vom naiv, „aus dem Bauch heraus“ Handelnden zum bewusst Lernenden, bis hin zum Meister seiner Kunst, hat Kleist in dem Aufsatz „Über das Marionettentheater“ beschrieben:

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„Nun, mein vortreff l icher Freund,“ sagte Herr C., „wir sehen, dass in dem Maße, als die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie immer strahlender und herrschender hervortr itt: so f indet sich, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, dass sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewusstsein hat, d.h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott. „Mithin“, sagte ich ein wenig zerstreut, „müssten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufal len?“ „Allerdings“, antwortete er, „das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.“

Das B i ld ents tammt meiner Ham let - Inszen ierung am Landes theat er Neus t re l i t z 1998

HAMLET Die Welt ist aus den Fugen: Schmach und Gram, dass ich

zur Welt, sie einzurichten kam! Tyrannei der Intimität Wer sich für eine umfassende Untersuchung über die Metapher „D IE

WELT IST EINE BÜHNE“ interessiert, dem sei weiter die Lektüre von „Verfall und Ende des öffentl ichen Lebens – Die Tyrannei der Int imität“ von Richard Sennett sehr empfohlen. Er stellt die Geschichte dieser Metapher in der abendländischen Kultur dar, von Platons „theatrum mundi“, in dessen Schrif t „Der Staat“, das Leben der Menschen als ein von Göttern aufgeführtes Puppenspiel erscheint, über Petronius’ „Satyricon“ zu Balzacs „comedie humain“, für den die Menschen „Maskenwesen“ darstel len, die die Gesellschaftsbühne bevölkern.

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Beim Rollenspiel geht es um ein der jeweiligen Situation angemessenes Verhalten. Das Spiel erzeugt Energie für den öffentlichen Ausdruck, während der Narzissmus, der hinter der dauernden Selbst-Enthüllung steht, die Energie schwächt. „Je mehr sich eine Person auf die Authentizität ihres Fühlens statt auf den objektiven Gehalt dessen, was sie fühlt, konzentriert, je mehr Subjektivität zum Selbstzweck wird, desto weniger vermag sie, expressiv zu sein.“ „Wir al le spielen Theater“, so heißt auch ein Buch des Soziologen E. Goffmann, einem weiteren Klassiker. Er betont aber auch, dass dies ein rhetorisches Manöver darstel lt, einen dramaturgischen Trick. Der wirkliche Schauspieler kann am Ende der Darstellung seine Rolle abgeben. Kein Zuschauer wird ihn hundertprozentig mit seiner Rolle identif izieren, obwohl er auch den „Hit ler“ nur gut spielen kann, wenn er bei sich seine Anteile dieser Figur entdeckt. Auf der realen Bühne des Lebens wollen wir aber gerade, dass man uns mit unseren Rollen, als Ehepartner, Chef oder Mitarbeiter usw. identif iziert, dass man uns glaubt. Ich hoffe, ich habe aufgezeigt, dass die Wahrnehmung der Dialektik von Sein und Schein, uns auch im Alltag und im Berufsleben Wahlfreiheiten geben kann. Wenn ich weiß, dass ich eine Rolle spiele, kann ich mich auch ihr gemäß verhalten. Diese kreative Anpassung bedeutet S O Z I A L E

K O M P E T E N Z . „Denn um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz, der in diesem Augenblicke viel leicht paradox erscheint, wird eine große und t iefe Bedeutung erhalten, wenn wir erst dahin gekommen sein werden, ihn auf dem doppelten Ernst der Pfl icht und des Schicksals anzuwenden; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigeren Lebenskunst tragen“. (F . Schi l ler : Über d ie ästhet ische Erziehung des Menschen in e iner Reihe von Br iefen/15.Br ief) Literatur Denis Diderot Das Paradox über den Schauspieler 1770-1773

Programmhef t zu SCHILLER der staat l ichen Schauspie lbühnen Ber l in 1985/86

Klaus Eidenschink Führen ist Stress in Gestal tTherapie Hef t2/2002 Edi t ion humanist ische Psychologie Julius Fast Körpersprache Rowohl t

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Erving Goffmann Wir alle spielen Theater P iper Johan Huizinga Homo ludens Rowohlt Keith Johnston Improvisation und Theater Alexander Ver lag Theaterspiele A lexander Ver lag Heinrich von Kleist Über das Marionettentheater Sämtl .W erke: W ink ler Wolf Lotter Goodby Johnny brand eins :W ir tschaf tsmagazin02/2006 Friedrich Schil ler Über die ästhet ische Erziehung des Menschen in

einer Reihe von Briefen Sämtl. W erke: Hanser Ver lag Richard Sennett Verfal l und Ende des öffentl ichen Lebens Die Tyrannei der Intimität S. F ischer Ver lag