21
Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir dagegen tun können Übersichten und Strategien zur psycho-physischen Gesundheit Bearbeitet von Christoph Brechtel 1. Auflage 2014. Taschenbuch. 216 S. Paperback ISBN 978 3 8495 9127 4 Format (B x L): 12 x 19 cm Gewicht: 233 g Weitere Fachgebiete > Psychologie > Psychotherapie / Klinische Psychologie schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir dagegen tunkönnen

Übersichten und Strategien zur psycho-physischen Gesundheit

Bearbeitet vonChristoph Brechtel

1. Auflage 2014. Taschenbuch. 216 S. PaperbackISBN 978 3 8495 9127 4

Format (B x L): 12 x 19 cmGewicht: 233 g

Weitere Fachgebiete > Psychologie > Psychotherapie / Klinische Psychologie

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

als 8 Millionen Produkte.

Page 2: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

1

Page 3: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

2

Mein herzlicher Dank gilt Eva Vornberger und BerndSchätzle, die beide viel Zeit für das Lektorat investiertund mir darüber hinaus viele inhaltliche Anregungenzum Manuskript gegeben haben.

Page 4: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

3

Christoph Brechtel

Was Stress und Burnoutmit uns machen undwas wir dagegen tun

können

Übersichten und Strategien zur psycho-physischen Gesundheit

Page 5: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

4

www.tredition.de

© 2014 Christoph Brechtel

Umschlaggestaltung: Sarah Brechtel

Foto: Laura Brechtel

Lektorat: Bernd Schätzle, Eva Vornberger

Verlag: tredition GmbH, Hamburg978-3-8495-9127-4 (Paperback)978-3-8495-9232-5 (Hardcover)978-3-8495-9233-2 (e-Book)

Printed in Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrecht-lich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung

des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt ins-

besondere für die elektronische oder sonstige Verviel-fältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche

Zugänglichmachung.

Page 6: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

5

Inhaltsverzeichnis

Zu diesem Buch...................................................7

Historisches: Von der Belastung zumBurnout ...............................................................10

Stress....................................................................24

Das Stress-Modell.............................................32Die Orientierungsreaktion....................................... 43Die Aktivierungsreaktion........................................ 47Die Anpassungsreaktion ......................................... 53Die Überforderungsreaktion................................... 56Die Erschöpfungsreaktion....................................... 60

Burnout ...............................................................68

Stressbewältigung ............................................76Wahrnehmen............................................................. 78Vorbeugen ................................................................. 89Stabilisieren ............................................................. 127

Maßnahmen .....................................................135Veränderung der Stressoren ................................. 137

Die somatischen Methoden ..........................151Allgemeine medizinische Hinweise..................... 151Tai-Chi...................................................................... 160Qigong...................................................................... 162Eutonie ..................................................................... 163Muskuläres Tiefentraining .................................... 163Yoga .......................................................................... 165

Page 7: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

6

Die kognitiven Methoden.............................167Positive Selbstinstruktion ...................................... 170Umstrukturierung negativer Gedanken.............. 170Vorstellung positiver Verhaltensweisen ............. 171Autogenes Training................................................ 174Meditation................................................................ 177Fantasiereisen.......................................................... 180Mindmachines......................................................... 181Cyberspace............................................................... 183

Die emotionalen Methoden..........................185Emotionaler Ausgleich........................................... 185Empathie-Training.................................................. 186Emotionale Therapie .............................................. 188Emotionale Körpertherapie................................... 188Rational emotive Therapie .................................... 189Ganzheitliche Therapie .......................................... 190

Nachsorgen.......................................................191

Schlussbemerkungen.....................................195

Literaturverzeichnis .......................................196

Abbildungsverzeichnis .................................199

Stichwortverzeichnis......................................200Über den Autor ....................................................... 211

Page 8: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

7

Zu diesem Buch

Stress gehört zum Leben, war schon immer daund wird es immer geben.

Das Thema, das Reden und Schreiben darüber,gibt es auch schon einige Jahrzehnte. Als "Vater derStressforschung" gilt der Endokrinologe Hans Selye,der sich mit den physiologischen Auswirkungenvon Stress schon 1936 beschäftigte. 1976 wurdeFrederick Vester (Biochemiker und Umweltexper-te) zum Bestsellerautor ("Phänomen Stress") und2008 beschäftigten sich TV-Sender mit dem "neu-en" Thema. Ich selbst habe 1979 über die psycholo-gischen Auswirkungen von Stress geschrieben("Bio-Relax") und mich 2011 ("Burnout Prevention")mit den Zusammenhängen von Persönlichkeits-merkmalen und Burnout beschäftigt. Auch 2013habe ich in meinem Buch "Wer wir sind und wieandere uns sehen" ein ausführliches Kapitel überStress und Burnout eingefügt.

Es ist also ein Thema, das immer wieder "hoch-kommt". Besonders in den letzten Jahren, als derBegriff "Burnout" aufkam, was eine Art "Endstadi-um" langfristiger und multipler Überforderungdurch Stress darstellt. Seit sich Prominente offenzur Diagnose "Burnout" bekannten, wird das The-ma unter großer Beteiligung aller Medien auch inder breiten Öffentlichkeit diskutiert.

Page 9: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

8

Obwohl in der Medizin stetig (vor allem techno-logische) Fortschritte erzielt werden, scheint sichStress eher auszubreiten als abzumildern. Wiekommt das? Wieso bekommt man diese "Epide-mie" nicht in den Griff?

Weil es nicht ausreicht, den "Patienten" zu ku-rieren. Es handelt sich nicht nur um ein "inneresGeschehen" des Individuums, sondern wird durchvielfältige und andauernde äußere Anforderungendes Alltags ausgelöst, die man als unvermeidbarenAnspruch akzeptiert, dem man genügen will odermuss.

Burnout ist der Endzustand einer langen Ent-wicklungslinie, die mit Frust und Desillusionie-rung beginnt und schlimmstenfalls mit dem Todendet. Dabei wird Burnout nicht einmal alsKrankheit gesehen, sondern gilt im ICD-10 ("Inter-national Code of Deceases") als ein "Problem der Le-bensbewältigung". Häufig wird die Diagnose"Burnout" mit Depression verwechselt, da einigeSymptome (z.B. Apathie) ähnlich sind.

Tatsächlich handelt es sich um ein sehr komple-xes Syndrom, das nicht nur den gesamten Men-schen betrifft (Körper, Geist und Psyche), sondernman muss dabei auch sozialpolitische Aspekte der"modernen" Leistungsgesellschaft sowie die per-sönlichen Einstellungen berücksichtigen, um dasProblem an der Wurzel zu packen.

Page 10: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

9

Stattdessen sprießen "Burnout-Kliniken" wiePilze aus dem Boden, die die Symptome behan-deln und die weitreichenden und komplexen Ur-sachen vernachlässigen. Das wäre genauso, als obman entlang der Autobahn Unfallkliniken errich-ten würde, statt die Autobahnen und Fahrzeugesicherer zu machen.

Burnout ist (wie übrigens "normaler Stress" auch)ein gesellschaftliches Problem, nicht nur ein indi-viduelles. Da sehr oft die "Leistungsträger" unsererGesellschaft davon betroffen sind, hat man dies inden Medien schönfärberisch die "Krankheit der Sie-ger" genannt. Als ob das ein Trost wäre oder etwasBesonderes!

In Wirklichkeit ist es die dramatische Konse-quenz eines langwierigen Überforderungsprozes-ses, welcher ursprünglich durch äußere und inne-re, meist alltägliche und oft unterschätzte Stress-faktoren ausgelöst wird.

Wie sich dieses Phänomen entwickelt, wie esunseren Organismus verändert und was wir dage-gen tun können, ist Gegenstand dieses Buches.

Page 11: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

10

Historisches: Von der Belastung zumBurnout

Ich gehe mal ganz weit zurück. Noch vor dieZeit, als es Menschen gab. Gab es da schon Stress?

Es gibt ja viele (auch skurrile) Theorien, wiesodie Saurier ausgestorben sind. Wirklich wissen tutdas keiner. "Beweise" kann man nur rekonstruie-ren und Schlüsse daraus ziehen.

Aber ich habe tatsächlich mal von einer Theoriegehört, die besagt, dass Stress eine der Hauptursa-chen für das Aussterben der Saurier hätte seinkönnen. Untersuchungen an Dinosaurierfunden inSüdfrankreich und Nordspanien bestätigten einenVerdacht: Die Saurier starben bereits vor der Ge-burt, nämlich im Ei! Unter dem Elektronenraster-mikroskop konnte der Tod im Ei bestätigt werden.Da bei den gefundenen Eierschalen (60 MillionenJahre alt) die Kalkdepots, die bei normaler Ent-wicklung das Skelett bilden, unbenutzt waren,musste das Embryo schon tot sein, bevor es sichentwickeln konnte. Ältere Eierschalen, derenKalkdepots aufgebraucht waren, aus denen alsojunge Saurier geschlüpft sind, wurden ebenfallsuntersucht. Der Unterschied zwischen beiden Eier-schalen lag in deren Dicke. Der Tod im Ei erfolgteaufgrund von zu dünnen Schalen und zu großenPoren, also durch Austrocknen in der Sonne, diebei dickeren Schalen das Ei ausgebrütet hätte. Die

Page 12: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

11

Forscher haben vermutet, dass zu dünne Schalennicht nur durch Nahrungsmangel sondern auchdurch Stress entstehen. Mängel in der Ernährungkann man ausschließen. Biologen glauben zu wis-sen, dass die betreffenden Fundgebiete zur fragli-chen Zeit überaus fruchtbar waren. Durch üppigeVegetation konnten sich die Saurier sogar in idea-ler Weise vermehren. Es kamen weitere Saurierfa-milien hinzu, die durch die ungünstigen Lebens-bedingungen der nördlichen Landschaften in diesüdlichen, fruchtbaren Gebiete auswanderten. Bises schließlich dort Saurier dicht an dicht gab, alsoeine sehr hohe Populationsdichte und damit Stress.

Diese Annahme steht natürlich in Konkurrenzzu vielen anderen Theorien. Aber auch wenn dieseTheorie wahr ist, erklärt sie nicht, wieso Stress dieEierschalen dünner macht. Es bleibt also eine Ver-mutung.

Allerdings entstehen Stress und Burnout auchbei uns in dicht besiedelten Zivilisationen eher alsauf dem weiten Land.

Der Begriff "Stress" stammt übrigens aus derPhysik. Er misst den Spannungszustand von Me-tallen während der Werkstoffprüfung. Der ausUngarn stammende, in Wien geborene Arzt HansSelye (1907-1982), der in Österreich und Kanadaarbeitete und sich schon in den 30er Jahren mitdem Thema auseinandersetzte, übernahm diesenphysikalischen Begriff als "innere Anspannung"

Page 13: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

12

beim Menschen und schenkte so der ganzen Weltein neues Wort.

Er hatte aber gar nicht danach gesucht! Er hoff-te, ein neues, bisher unentdecktes Hormon zu fin-den. Stattdessen fand er "Stress".

Bei vielen seiner Patienten diagnostizierte er so-genannte unspezifische Syndrome wie z.B. Fieber,Unwohlsein, Schlafstörungen, belegte Zunge, Ap-petitlosigkeit, Schmerzen in Muskeln und Gelen-ken; Symptome also, die nicht irgendeiner spezifi-schen Krankheit zuzuordnen waren. Er fasste dieseÜberlastungserscheinungen (denn darum handeltees sich) als "Syndrom des einfachen Krankseins" zu-sammen.

Dieses Syndrom sollte Hans Selye noch ein Le-ben lang begleiten. Er erkannte, dass nicht jederStress krank macht. Deshalb unterschied er zwi-schen Eu-Stress und Dis-Stress, also gutem undschlechtem Stress.

Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregendund leistungssteigernd. Er bringt uns dazu, neueSituationen zu meistern, uns weiter zu entwickeln,neue Problemlösungen zu erarbeiten, also unser"Verhaltensrepertoire" zu erweitern und unserÜberleben auch in schwierigen Situationen zu si-chern. Der "schlechte" Stress wirkt leistungshem-mend und blockiert. Er lähmt unsere Aktivität undbedroht unsere körperliche und geistige Gesund-heit.

Page 14: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

13

Diese Unterscheidung wurde aber nicht auf-rechterhalten, denn jeder Eu-Stress kann zum Dis-Stress werden und umgekehrt. Das hängt von derDosis ab.

Dies ist keine wirklich neue Erkenntnis: SchonHippokrates, der antike griechische Arzt (auf dendie Mediziner jahrhundertelang den "hippokrati-schen Eid" geschworen haben), sagte: "Gift ist eineFrage der Dosis." Aber auch ein völliges Ausschal-ten von Stress ist Stress.

In einem Anti-Stress-Experiment wurden ge-sunde, kräftige Studenten ins Bett gesteckt. DerRaum war luxuriös ausgestattet und schalldichtisoliert. Die Verpflegung war gut, und die Ver-suchspersonen durften nichts tun, außer in absolutstressreduzierter Umgebung faulenzen. EinTraum-Job? Auf keinen Fall!

Ergebnis: Sämtliche Versuchspersonen erkrank-ten. Bereits nach sechs Wochen waren einige vonihnen nicht mehr in der Lage, länger als 3 Minutenohne fremde Hilfe zu stehen. Dies lag sicherlichauch an den langen Liegezeiten, erklärt aber nichtdie unterschiedlichen Erkrankungen. Es kann alsonicht sinnvoll sein, stressfreie Zonen zu schaffen(falls das überhaupt möglich wäre). Auch die Ver-suche, absolut schallisolierte Großraumbüros zuschaffen, wurden nicht zuletzt aus diesen Gründenaufgegeben.

Page 15: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

14

Es gibt auch die Vermutung, dass unsere hoch-entwickelte Zivilisation und Technologie zu einerVerkümmerung von geistigen und seelischen Fä-higkeiten und Eigenschaften führen könnte. Geis-tige Fähigkeiten aus Zeitaltern, in denen dasGleichgewicht zwischen Stress und Entspannungnoch gewahrt blieb, sind doch immer wieder ver-blüffend:

Da schreibt Blaise Pascal (1623-1662) mit 12 Jah-ren eine Abhandlung über den Schall, liest die"Elemente" von Euklid und schreibt mit 16 Jahrenein Traktat über Kegelschnitte, von dem die Zeit-genossen sagen, es stelle alle Werke auf diesemGebiet seit Archimedes in den Schatten.

Agrippa D´Aubigné (1552-1630) spricht mitsechs Jahren fließend griechisch, lateinisch, hebrä-isch und ist noch nicht acht Jahre alt, als er Platonvom Urtext ins Französische übersetzt.

Johann Strauß komponiert mit sechs JahrenPolkas, Walzer und Klavierstücke.

Julius Caesar kann Gedichte und ganze Dra-men, die er nur einmal hörte, aufsagen.

Wolfgang Amadeus Mozart hört in der Peters-kirche eine Messe, deren Noten damals vom Vati-kan geheim gehalten wurden, und schreibt zuhau-se die gesamte Partitur aus dem Gedächtnis nie-der. Schon damals war es also schwierig mit dem"Copyright".

Page 16: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

15

Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.Nun müsste man annehmen, dass - je mehr Leutelesen und schreiben lernten - die Liste solcherHöchstleistungen immer länger werden würde.Dem ist aber nicht so. Es besteht Veranlassung zufragen, ob wir vielleicht - trotz Computer undHightech - von Generation zu Generation allmäh-lich geistig-seelisch verarmen. Die gefühlsmäßigeVerarmung wird gerade in den letzten Jahrzehntenimmer deutlicher. Freunde brauchen Zuwendungund Aufmerksamkeit, bekommen aber "Likes" und"Dislikes", und Beziehungen werden per SMS(Short Message Service = Kurznachrichtendienst)beendet.

Es kann natürlich auch daran liegen, dass "un-sere moderne Welt" viel komplizierter und kom-plexer geworden ist (man spricht ja von "Reizüber-flutung"), sodass unser Hirn andere Prioritätensetzt als damals. Um die Anforderungen unseresAlltags zu meistern, ist es vielleicht wichtiger, einSmartphone souverän bedienen zu können, alsGedichte aufzusagen. Unser Gehirn könnte beides!

Aber es entwickelt sich so, wie wir es benutzen.Und das hängt von unserer Motivation ab unddavon, was wir für wichtiger halten. Also lieberSmartphone anstatt Gedächtnistraining? UnserGedächtnis liegt ja inzwischen eh auf der Festplat-te oder wir googeln, wenn wir Informationenbrauchen. Und - ehrlich gesagt - Wikipedia ist da

Page 17: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

16

vielleicht sogar präziser als unsere subjektive Er-innerung.

Was hat das mit Stress zu tun?Viel!Wenn wir uns (bewusst oder unbewusst) dafür

entscheiden, dass uns etwas wichtiger ist als etwasanderes, dass ein Ziel eine höhere Wertigkeit hatals ein anderes, z.B. wenn uns gesellschaftlicheAnerkennung und Erfolg wichtiger sind als diephilosophische Betrachtung über den Sinn desLebens, dann setzen wir alles daran, dieses Ziel zuerreichen. Und sind auch bereit, dafür einen hohenPreis zu bezahlen. Auch wenn es uns überfordert.

Wenn wir darüber hinaus in unserer Einstel-lung durch Gesellschaft, Familie und Freunde un-terstützt und akzeptiert werden, kommen wir auchnicht auf die Idee, unser Handeln infrage zu stel-len. Dass z.B. bei Politiker- oder Managerkarrierendie Familie zurückstehen muss, wird in unsererGesellschaft als tolerierbare Konsequenz gesehen("Ja, wie soll es denn auch anders gehen?"). Selbst dieEhefrau sagt: "Ich halte meinem Mann den Rückenfrei!" und bezahlt dafür auch einen hohen Preis.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Ich willdamit nicht sagen, dass derjenige, der Stress hat,selbst daran schuld sei. Das wäre eine grobe undunzulässige Vereinfachung. Manche Entscheidun-gen darüber, wie man sein Leben führt, trifft mannicht aus einer Laune heraus. Es gibt Sachzwänge,

Page 18: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

17

nicht bedachte Konsequenzen, Erwartungen ande-rer, die man erfüllen will, und die Einstellung,dass man etwas Begonnenes auch zu Ende bringen"muss". Oft bleibt dabei kaum Zeit zu reflektieren,was man da eigentlich tut.

Und nicht zu unterschätzen ist dabei, was inunserer Gesellschaft als "normal" gilt. In diesemWort steckt der Begriff "Norm". Daran hat mansich zu halten! Sich nicht an diese Erwartungenund Anforderungen zu halten, ist auch Stress.

Und wenn (im schlimmsten Fall) die Karrierenicht funktioniert, weil man die geforderten Leis-tungen nicht oder nicht mehr erbringen kann, dieFamilie auseinanderbricht und die ursprünglicheBegeisterung für den Job sich schleichend in Frust-ration und Resignation verändert, dann stellt manfest, dass es zu spät ist, hier noch etwas zu korri-gieren.

Das alles gilt nicht nur für die "großen" Karrie-ren. Auch bei anderen Jobs, die weniger in derÖffentlichkeit stehen, tickt die Uhr.

Seit der Erfindung der Maschine, also seit demIndustriezeitalter, rast die Zeit schneller, weil wirimmer mehr in kürzerer Zeit bewältigen wollen.Und erst ab da werden krankmachende Auswir-kungen von Stress als "Belastungssyndrom" zumThema in der Medizin.

Während sich unsere Biologie nach jahrtausen-dealten Gesetzen der Genetik und Evolution ver-

Page 19: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

18

ändert, befindet sich die technologische Entwick-lung auf der Überholspur. Klar sind wir damitüberfordert! Denn wir entwickeln uns von derSteinzeit bis heute nur allmählich von Generationzu Generation weiter. Es scheint zwar inzwischenetwas schneller zu gehen, weil sich vor allem jungeLeute fix anpassen, und sich auch alte Menschenneue Verhaltensweisen aneignen können (wenn siedazu bereit sind). Die junge Generation kann ein-händig mit dem Daumen in großer Geschwindig-keit SMS tippen. Das versuchen ältere Menschennicht mal. Der Teil des Gehirns, der hierzu denDaumen von jugendlichen SMS-Schreibern steuert,ist doppelt so groß wie der von Erwachsenen, diedas nicht tun. Man müsste also nicht bis zur nächs-ten Generation warten. Man kann sich durch in-tensives Training völlig neue Fähigkeiten beibrin-gen. Man muss nur auf die Idee kommen und eswollen. Wie schon oben erwähnt: Unser Hirn ent-wickelt sich so, wie wir es benutzen.

Zu bedenken ist aber, dass der technologischeFortschritt von der Entwicklung des Gaslichts biszur bemannten Weltraumstation nicht einmal zweiGenerationen benötigte. Und wir sind sogar schoneinen Schritt weiter: Die Weltraumstation ISS (In-ternational Space Station) interessiert heute kaummehr jemanden. Zu alt! So schnell und komplexverändert sich unsere Biologie nun leider dochnicht.

Page 20: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

19

Hinzu kommt, dass Menschen offensichtlich be-reit sind, sich unterzuordnen und sich quälen zulassen. Wer die in jüngster Zeit veröffentlichtenReportagen über die real existierende Unterdrü-ckung von Arbeitern und Angestellten bei Ama-zon, Zalando, Burger King oder auch bei Textilfab-riken und Elektronik-Herstellern im Ausland ver-folgt hat, der mag sich wundern, dass so etwasüberhaupt (und dann auch noch in Deutschland!)möglich ist. So eine systematische Unterdrückungund Ausbeutung muss man sich doch nicht gefal-len lassen!

Doch! Wenn man keine andere Wahl hat.

Viele dieser Menschen haben nur die Alternati-ve, sich entweder zu unterwerfen oder arbeitsloszu sein. Auch hier spielt die Stressreaktion eineRolle: Überleben sichern durch Anpassung. Wennsich alle anderen das gefallen lassen und sich kei-ner wehrt und auch keine Hilfe von außen zu er-warten ist, dann ist das halt so. Normal! "Revoluti-on" ist zwar der letzte Ausweg, aber nicht immernachhaltig erfolgreich. Also lieber anpassen undnicht aufmucken ("Das bringt ja eh nix!"). Außen-stehende würden sich das "nie" gefallen lassen...Bis sie selbst in eine solche Situation geraten.

Aber mal ehrlich: Sind wir nicht alle irgendwiein einem Hamsterrad, wenn auch nicht in solcheiner dramatischen Weise? Oder tun Sie aus-schließlich nur das, was Ihnen Spaß macht? JedenTag? Falls ja, dann sind Sie in einer beneidenswer-

Page 21: Was Stress und Burnout mit uns machen und was wir … stammende, in Wien geborene Arzt Hans Selye (1907-1982), ... Der "gute" Stress ist vitalisierend, d.h. anregend und leistungssteigernd

20

ten Lage und brauchen sich um das Thema Stress(vorerst) keine Gedanken machen.

Selbst wer einen "Traumberuf" hat und darinauch erfolgreich ist, kann sich nach einigen Jahrendurch die tägliche Routine gelangweilt oder ge-stresst fühlen. Auch wenn die Tätigkeit selbst sehrbefriedigend ist, sind da noch die Kollegen, Vorge-setzten, Kunden oder Familie und Freunde, dieeinen mit ihren Ansprüchen stressen können.

Ich kenne einige Personen, die darüber klagen,dass sie die falsche Berufswahl getroffen hätten. Sohat einer, der Medizin studierte, sich nie vorstellenkönnen, wie der ärztliche Alltag in einer Klinikoder Praxis tatsächlich aussieht. Dass da kaum Zeitbleibt, um etwas für sich selbst zu tun. Dass maneinige Leidensgeschichten auch nach Feierabendnicht mehr aus dem Kopf bekommt. Dagegen sindTV-Serien wie "Emergency Room" oder "In allerFreundschaft" pure Romantik.

Oder der Rechtsanwalt, der viel lieber freischaf-fender Künstler geworden wäre, aber auf Druckder Familie Jura studierte und die Kanzlei seinesVaters übernahm. Sich tagtäglich mit juristischenFragen zu beschäftigen, als Klagevertreter oderVerteidiger sich mit seinen Fachkollegen in eineAuseinandersetzung zu begeben, das alles ist pu-rer Stress für ihn -unabhängig davon, dass es Sinnmacht, was er tut und er damit erfolgreich ist. Dasser dafür einen hohen Stundensatz kassiert, ist fürihn nur ein belangloses Trostpflaster.