Was uns Modalverben sagen wollen - amor.cms.hu-berlin.deamor.cms.hu-berlin.de/~h2816i3x/Publications/Krifka_Muessen.pdf · Vom Können, Mögen, Müssen – Was uns Modalverben sagen

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  • Vom Knnen, Mgen, Mssen Was uns Modalverben sagen wollen

    Max Joseph 3, 2013-14, S. 32-34Das Magazin der Bayerischen StaatsoperThema: Wie ich wurde, was ich bin. Weil ich doch muss.

    Manfred Krifka

    Der Linguist als Papageno. Den Honigpapagei traf Manfred Krifka auf Ambrym im Sdpazifik, wo er ein Dokumentationsprojekt zurErforschung kleiner bedrohter Sprachen leitet. Das Libretto derZauberflte lieferte dem Direktor des Zentrums fr AllgemeineSprachwissenschaft und Professor an der Humboldt-Universitt dieBeispiele fr seinen Beitrag; er beleuchtet darin die Herkunft unddie vielfltigen Bedeutungen der spielzeitbestimmenden Modalver-ben knnen und mssen

    Was mssen heit, erscheint in der modernen Welt nur allzu klar. Um aber die ganze Di-mension von einem Modalverb wie diesem zu erfassen und auch noch zu wissen, wie eswurde, was es ist ist die profunde Expertise eines Sprachwissenschaftlers wie ManfredKrifka ein Muss.

    Kunst kommt nicht von Knnen, sondern von Mssen! Als Knstler hatte Arnold Schn-berg sicher recht, wenn er die auf Herder zurckgehende Sentenz Kunst kommt von Kn-nen im expressionistischen Sinn zurckweist und durch eine neue ersetzt. Sprachlich hater hier aber gegen den Strich gebrstet, denn natrlich sind Kunst und Knnen etymolo-gisch verwandt: Beide sind vom Althochdeutschen kunnan, knnen abgeleitet, das auchKennen und Wissen bedeutet auch die Kunde leitet sich von dieser Wurzel ab.

    Zur Muse braucht man Mue Das mag wohl stimmen, obwohl auch die Arbeit oft mit ei-nem Lied auf den Lippen besser von der Hand geht. Aber sprachwissenschaftlich gesehensind die Muse und die Mue falsche Freunde. Die , die griechischen Schutzgttin-nen der Knste, haben nichts mit der Mue zu tun.

    Aber Mue und Mssen, die doch wohl in unserer Vorstellung so entgegengesetzt sindwie Urlaub und Arbeit, entstammen derselben sprachlichen Wurzel. Das althochdeutscheWort muoa, damals schon mit der heutigen Bedeutung freie Zeit, Bequemlichkeit, ist di-rekt mit dem Verb muoan in der Lage sein, knnen, mgen, drfen verwandt. Wer Muehat, der ist nicht von auen getrieben, der ist in der Lage, etwas zu tun er kann es aberauch lassen.

    Ganz offensichtlich hat sich da die Bedeutung des Modalverbs muoan in den letzten tau-send Jahren grundlegend gendert, whrend die Mue unttig, wie man sie eben sosieht sich selbst treu geblieben ist. Aber warum musste muoan zu mssen werden?Einen Hinweis kann man sich erhoffen, wenn man hrt, dass auch Ma und Messen zumselben Stamm gehren: Es ist das, was einem zugehrt, was einem zugemessen ist. Indiesem Raum kann man sich zum einen frei bewegen, doch andererseits ist er von auenbegrenzt. Diese Dialektik von Freiheit und Pflicht ist es doch auch, aus der Kunst entsteht.Also dann doch: Kunst braucht Mue, und sie braucht Mssen.

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  • Schnbergs Diktum, das sich in seinem Aufsatz Probleme des Kunstunterrichts von 1911findet, bekommt durch diese Dialektik eine neue Bedeutung: Hat Schnberg damit zu-nchst die innere Notwendigkeit des Knstlers gemeint, die aus der Mue des Knstlersentsteht, so kann man in der wenig spter entstandenen Kompositionstechnik die uereNotwendigkeit sehen, die er sich auferlegt, also das Mssen im Sinne einer objektiviertenPflicht, der sich der Komponist unterwirft.

    Das Verb mssen changiert in diesem Sinne. Es kann die von auen auferlegte Pflichtausdrcken. Wenn Tamino und Pamina in der Zauberflte singen:

    Wie bitter sind der Trennung Leiden!Pamina, ich muss wirklich fort!Tamino muss nun wirklich fort!

    dann ist es der uere Zwang, dem sie sich unterwerfen. Wenn aber Pamina whrendder Feuer- und Wasserprobe dem Tamino zuruft:

    Tamino, halt, ich muss dich sehn.

    dann ist es gerade nicht der uere Zwang, der sie treibt es ist ihr ja verboten! son-dern sie versprt einen inneren Drang. Damit sind die Spielarten des Mssens aber nichterschpft. Zum Beispiel klagt Papageno, als ihn die drei Damen zur Rechenschaft rufen:

    Was muss ich denn heute verbrochen haben, dass sie so aufgebracht wider mich sind?

    Hier kann keine uere Regel gemeint sein, die den Papageno zu einem Rechtsbruchbringt, und auch kein inneres Bedrfnis, denn das wrde Papageno ja kennen. Er fragt da-nach, welche Umstnde es so zwingend erscheinen lassen, dass die drei Damen ihm sozusetzen.

    Der Sprachphilosophie ist dieses Changieren des Mssens nicht verborgen geblieben; siehat dafr, und fr andere Modalverben, eine eigene, etwas strrische Begrifflichkeit entwi-ckelt. Wenn es sich auf einen ueren Zwang bezieht, spricht man von der deontischenModalitt. Das knnen die juristischen oder moralischen Normen sein, aber auch die un-abnderlichen Naturgesetze. Wenn es einen inneren Wunsch ausdrckt, dann nennt manes volitiv. Und wenn es die Umstnde anspricht, die uns zu einer Meinung bringen, ist esein epistemisches Modalwort.

    Mehrdeutigkeit in der Sprache ist natrlich allenthalben anzutreffen. Die Note ist nicht nurein musikalisches Zeichen, sondern auch ein Geldschein, eine schriftliche Mitteilung undeine Zensur. Aber im Falle von mssen ist es anders, denn man findet ein hnliches Be-deutungsspektrum auch bei anderen Modalwrtern. Tamino etwa fragt die drei Knaben:

    Ihr holden Kleinen sagt mir an, Ob ich Paminen retten kann.

    und meint damit, ob es die Regeln zulassen, Pamina zu retten. Wenn Papageno plappert:

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  • Nicht wahr Tamino, ich kann auch schweigen, wenns seyn muss.

    dann sagt er, dass es seinem inneren Wesen mglich ist, auch mal still zu sein, wenn esdie ueren Regeln so erzwingen. Und wenn Papageno und Papagena singen:

    Wenn dann die kleinen um sie spielen,Die Eltern gleiche Freude fhlen,Sich ihres Ebenbildes freun.O welch ein Glck kann grsser seyn?

    dann fragen sie, ob es nach dem allgemeinen Wissen ein greres Glck als eigeneKinder gibt. Beim Knnen gibt es noch eine weitere charakteristische Verwendung, diesich an einem Auftritt der drei Damen zeigen lsst:

    Lat uns zu unsrer Frstinn eilen, Ihr diese Nachricht zu ertheilen. Vieleicht, da dieser schne Mann Die vorge Ruh ihr geben kann.

    Hier geht es um die Fhigkeiten, die Dispositionen von Tamino. Diese Verwendung ist esnatrlich, die das Knnen mit der Kunst in Zusammenhang bringt.

    Den deontischen, volitiven, dispositionellen und epistemischen Verwendungen von Modal-verben unterliegt eine hnliche Logik. Dies war schon lnger bekannt, doch richtig erklrthat es ihnen ein 17-jhriges Wunderkind. In seinem ersten wissenschaftlichen Artikel zeig-te der amerikanische Philosoph Saul Kripke, dass es sich dabei stets um die Logik vonWrtern wie alle und es gibt handelt, also um das, was man in der Logik Quantifikationnennt. Wenn Tamino sagt: Ich muss fort! dann meint er: Unter allen Umstnden, die denueren Regeln gem sind, gilt: Ich gehe fort. Ein Ich kann bleiben! htte hingegen ge-sagt: Es gibt Umstnde, die den ueren Regeln gem sind, in denen ich bleibe. Ganzhnlich kann man auch die anderen Spielarten der Modalwrter verstehen. Nur sind es beiden volitiven Modalwrtern die Umstnde, welche den Wnschen einer Person, und beiden dispositionellen die, welche ihren Fhigkeiten gem sind. Und bei den epistemischensind es die Umstnde, welche mit dem Wissen des Sprechers vereinbar sind. Wenn ich imRadio ein paar Phrasen eines mir fremden Musikstcks aufschnappe und sage: Dasmuss Schnberg sein dann meine ich: Zu allen Umstnden, die mit meinem Wissenvertrglich sind, ist dies Musik von Schnberg. Sage ich: Das kann Schnberg sein dann meine ich, es gibt solche Umstnde, unter denen dies Schnberg ist. Voil diescheinbaren Kapriolen der Sprache schienen auf logische Weise erklrt.

    Kripkes jugendlicher Geniestreich hatte Auswirkungen auch auf die sprachwissen-schaftliche Bedeutungslehre. Mssen und Knnen sind nicht die einzigen Modalverben dazu gehren mindestens auch noch Drfen, Mgen, Sollen und Wollen. Interessanter-weise haben diese Wrter hneln sich diese Wrter nicht nur in ihrer Bedeutung, sondernhaben auch eine Formeigenschaft gemeinsam: Die Formen fr die erste und dritte Personlauten nmlich gleich, zum Beispiel ich muss sie muss. Darin unterscheiden sie sich vonden anderen Verben in der Gegenwartsform: ich singe sie singt. Aber es ist eine Eigen-schaft, die wir in der Vergangenheitsform finden: ich sang sie sang. Und tatschlich gin-gen die Modalverben aus Prteritumformen hervor und schleppen dieses Erbteil noch im-mer mit sich herum. Es gibt auch andere Verben, die in die Klasse der Modalverben drn-

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  • gen, wie brauchen, und die passen sich chamleonartig ihnen an. So sagt man schon mal:Er brauch nicht kommen und lsst das t wegfallen.

    Die deutschen Modalverben haben in den letzten 1250 Jahren soweit reichen die Doku-mente des Deutschen zurck recht abenteuerliche Entwicklungen mitgemacht. Dies haterstmals der bedeutende dnische Germanist Gunnar Bech in einem bahnbrechendenWerk aus dem Jahr 1951 gezeigt. Neuere Arbeiten, vor allem durch die hannoveranischeGermanistin Gabriele Diewald, haben Bechs Befunde verfeinert und die von ihm aufge-zeigten Vernderungen in den Rahmen der Grammatikalisierung gestellt. Darunter ver-steht man eine systematische Vernderung von konkreten Inhaltswrtern zu oftmals ab-strakten Bedeutungsbausteinen, ein Prozess, der beispielsweise aus dem Teil das -tel inViertel machte, oder aus dem Verb ausrechnen die Partikel, die in dem Schlagertitel Aus-gerechnet Bananen! auftritt.

    In der ltesten Sprachstufe des Deutschen hat es nur drei Modalverben gegeben: sculansollen fr die ueren Gesetze, wellen wollen fr die inneren Bedrfnisse, und muganmgen fr die innere Fhigkeit. Die anderen drei, thurfan drfen und unsere schon be-kannten kunnan und muoan sind Newcomer, jedenfalls unter den Modalverben. Erstereshatte im Althochdeutschen die Bedeutung bedrftig sein und ist verwandt mit darben. Diebeiden letzteren sind uns ja schon vertraut sie kommen aus kennen, wissen und Gele-genheit, Mue zu etwas haben.

    Am Titel des Heftes knnen wir die Schattierungen der modalen Verwendungen durchde-klinieren: Weil ich doch muss. Objektiv deontisch verstanden, knnen wir abmildern: Weilich doch muss / kann / darf. Subjektiv volitiv verstanden, lautet die Reihe: Weil ich dochmuss / will / mag / mchte der dahinterstehende subjektive Drang wird immer schw-cher.

    Schnbergs Bonmot Kunst komme nicht von Knnen, sondern von Mssen hat eben-falls mit dem subjektiven Kern der Modalitt zu tun. Schnberg hat ja wohl nicht gemeint,es gbe ein Gesetz, das dem Knstler nicht nur erlaubt, sondern ihn sogar verpflichtet,Kunst zu machen. Er spielt vielmehr mit dem dispositionellen Knnen und dem volitivenMssen oder ist es vielleicht gar ein naturgesetzliches Mssen? Wenn man das Mssenaber auf die Komponiertechnik bezieht, dann ist daraus eine deontische Behauptung ge-worden.

    Eine andere bekannte Abwandlung des Herderschen Diktums soll auf den BhnenautorLudwig Fulda zurckgehen, der 1894 in einem eher mediokren Gedicht schrieb: Kunstkommt von Knnen, nicht von Wollen: Sonst hie es ,Wulst. wobei sich letztes Wort aufSchwulst reimte. Auch hier werden das dispositionelle Knnen und das volitive Wollen, ge-genbergestellt aber natrlich gerade anders als bei Schnberg wird das Knnen betontund nicht das Wollen.

    Die Verschiebungen in der Verwendung der Modalwrter unterliegen einem auch sonst be-kannten Sog: Von den inneren Umstnden zu den ueren, also von der volitiven zurdeontischen Bedeutung. Erst am Ende seit dem 15. Jahrhundert kommt der epistemi-sche Gebrauch dazu. Heute sind die epistemischen Verwendungen besonders vielfltigund erlauben uns, den Grund fr eine Behauptung sehr fein von absoluter Gewissheit biszur bloen Mglichkeit abzuschattieren: Das muss / kann / knnte / drfte / sollte Schn-berg sein. Mit Das mag Schnberg sein sagen wir: Wir haben keine Evidenz dafr, dass

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  • es nicht Schnberg ist, und protestieren mithin nicht gegen diese Behauptung. Mit Dassoll Schnberg sein meinen wir: Man sagt, das sei Schnberg, ich selbst bernehme dafraber keine Verantwortung. Und mit Schnberg will dieses Stck komponiert habendrcken wir aus, dass Schnberg behauptet, dieses Stck komponiert zu haben, und deu-ten an, dass wir dem eher keinen Glauben schenken. Es gibt noch weitere Mglichkeiten,die Art der Gewissheit auszudrcken: Mit Modalpartikeln wie wohl, ja oder doch, und mitAdverbien wie vielleicht, sicherlich oder mglicherweise da steckt natrlich das mgendrin. Sogar das Adjektiv laut ist zum epistemischen Wort geworden, wenn wir sagen: Lautihr ist das Schnberg.

    Das System der Modalausdrcke hat sich also nicht nur verndert es ist auch wesentlichreicher geworden, gerade bei der Mglichkeit, unsere Aussagen epistemisch zu frben. Dakann man sich durchaus fragen: Warum dieser Aufwand? Warum folgen wir nicht Mattus5,37: Eure Rede aber sei: Ja! Ja! Nein! Nein! Was darber ist, das ist vom bel. Viel -leicht, weil unsere Gesellschaft und der Informationsflu in ihr so vielfltig geworden ist,weil wir so viel mit Leuten reden, die wir nicht gut kennen, weil wir so vieles aus zweiteroder dritter Hand wissen oder zu wissen glauben?

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