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Erfolgreich führen im globalen Industriestandard 4.0 Digitalisierung, Globalisierung und der Anstieg von Dynamik und Komplexität in Wertschöpfungsketten stellen klassische Systematiken des Kostenmanagements und Controllings vor neue Herausforderungen. Der Einsatz bisheriger Instrumente insb. des Kostenmanagements zur Identifikation des Erfolgs und Erfolgstreiber von Produkten, Projekten oder Standorten führt vielfach zu einer Scheinrationalität, wodurch wichtige Entscheidungen von Unternehmenslenkern nicht oder falsch getroffen werden. Beides wiederum gefährdet Unternehmen und stellt auch im Zuge der aktuellen konjunkturellen Entwicklung eine Insolvenzgefahr dar. Insofern stellt sich die Frage, welche konkreten Veränderungen notwendig sind, damit Kostenmanager und Controller ihre Aufgaben möglichst effektiv erfüllen? Das neu gegründete Research Center für Performance Management stellt diese Fragestellung mit Blick auf die Veränderung von Systematiken, Werkzeugen wie Berufsbilder in den Mittelpunkt seiner anwendungsorientierten Forschung. Im Gespräch mit Oliver Gaebe, Wirtschaftspresse, erklärt Prof. Boehle, wo die Herausforderungen zur erfolgreichen Führungsunterstützung der Industrie 4.0 liegen und welche neuen Chancen aus der Diskussion für das Controlling erwachsen. 1

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Erfolgreich führen im globalen Industriestandard 4.0

Digitalisierung, Globalisierung und der Anstieg von Dynamik und Komplexität in Wertschöpfungsketten stellen klassische Systematiken des Kostenmanagements und Controllings vor neue Herausforderungen. Der Einsatz bisheriger Instrumente insb. des Kostenmanagements zur Identifikation des Erfolgs und Erfolgstreiber von Produkten, Projekten oder Standorten führt vielfach zu einer Scheinrationalität, wodurch wichtige Entscheidungen von Unternehmenslenkern nicht oder falsch getroffen werden. Beides wiederum gefährdet Unternehmen und stellt auch im Zuge der aktuellen konjunkturellen Entwicklung eine Insolvenzgefahr dar. Insofern stellt sich die Frage, welche konkreten Veränderungen notwendig sind, damit Kostenmanager und Controller ihre Aufgaben möglichst effektiv erfüllen?

Das neu gegründete Research Center für Performance Management stellt diese Fragestellung mit Blick auf die Veränderung von Systematiken, Werkzeugen wie Berufsbilder in den Mittelpunkt seiner anwendungsorientierten Forschung.

Im Gespräch mit Oliver Gaebe, Wirtschaftspresse, erklärt Prof. Boehle, wo die Herausforderungen zur erfolgreichen Führungsunterstützung der Industrie 4.0 liegen und welche neuen Chancen aus der Diskussion für das Controlling erwachsen.

Oliver Gaebe: Herr Prof. Boehle, als ich mich mit Ihrem Profil beschäftigt habe, sind mir direkt zwei Punkte ins Auge gefallen: Erstens, der thematische Bezug zwischen kaufmännischem Rechnungswesen mit der IT-Branche, Sie haben viele Jahre bei der DATEV eG gearbeitet. Zweitens, Sie bieten als Hochschulprofessor an der FH Dortmund als eine der wenigen Hochschulen generell

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Lehrveranstaltungen zum Kostenmanagement an. Was motiviert Sie, diese besondere Aufmerksamkeit dem doch speziellen Thema zu widmen?

Prof. Boehle: Als ich an der FH Dortmund antrat, war das Thema quasi gesetzt, es hat dort traditionell seine eigene Existenz parallel zum Controlling. Als Betriebswirt war mir klar, dass die Planung, Steuerung und Kontrolle speziell von Kosten eine der entscheidenden Aufgaben für Unternehmen ist, fortlaufend, nicht nur als einmaliges Rationalisierungsprojekt in Krisen. Der unmittelbare Einfluss der Kosten auf den Unternehmenserfolg scheint eine Binsenweisheit zu sein. Komplexer jedoch werden jedoch die Fragen, wie Unternehmen a) den Prozess organisatorisch verstetigen und b) wie unternehmensinterne Verantwortungsbereiche bzgl. Kostensituation und Erfolg eines Unternehmens performen. Und diese Fragen sind nach wie vor nicht trivial, sodass ich diese Themendisziplin für besonders interessant und mehr denn je für zeitgemäß halte. Jene Zahlen lassen sich nicht direkt aus dem externen Rechnungswesen bzw. Jahresabschluss erkennen, sodass eigenständige Instrumente bspw. zur Analyse und Planung von Produkten, Standorten oder Projekten nötig werden. Klassisch schafft die Kosten- und Leistungsrechnung hierbei Abhilfe und zählt damit in der Literatur zum Basisinstrument des Kostenmanagements. An dieser Datengrundlage knüpfen idealerweise verschiedene andere Instrumente des Kostenmanagements und des Controllings an.

Meine ersten Forschungsaktivitäten offenbarten mir einen grundsätzlichen Nachholbedarf. Forschung zum Kostenmanagement sind seit den frühen 2000er Jahren leider rückläufig, obwohl die facettenreichen Fragestellungen in klein, mittelständischen wie großen Konzernen sehr präsent sind. Jede Führungskraft, Entscheider, Manager oder Eigentümer braucht eine differenzierte Erfolgsbetrachtung und -führung. Andererseits ist bisweilen die Bereitschaft in der Praxis gering, in das Thema verstärkt zu investieren, um eine qualitativ hochwertige Erfolgsmessung und –prognose als Führungsunterstützung zu erhalten. Die gesetzlichen Normen zwingen Unternehmen heute dazu, sehr große Aufmerksamkeit auf Daten und Werkzeuge zur Erstellung von Buchhaltung, Jahresabschluss und Steuererklärungen zu legen.

Oliver Gaebe: Nach meinen Erfahrung haben die meisten Unternehmen eine Kosten- und Leistungsrechnung, die gut integriert in ihrem ERP-System diese

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Analysefragen beantwortet: Halten Sie dennoch die bestehenden Kalkulations- und Kostenrechnungswerkzeuge für überholt?

Meine heutige Diagnose kommt zu dem Schluss, dass es zum einen ein instrumentelles Problem und zum anderen ein unternehmenskulturelles Thema ist, welche Wertschätzung und Nutzenpotential das Unternehmen vom Kostenmanagement und Controlling erfährt. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat es massive Veränderungen gegeben, wie Unternehmen ihre Wertschöpfung erzielen. Demgegenüber hat sich das Grundprinzip und die Ausgestaltung der Kosten- und Leistungsrechnung überwiegend nicht verändert und wird in der Literatur scheinbar als ausgereift dargestellt. Der hohe Anteil von Zukaufteile von Herstellern oder eine automatisierte Fertigung sind nur exemplarische Schlagworte für diesen Wandel. Ein kritisch eingestellter Forscher stellt sich schnell die Frage, ob hier ein Nachholbedarf ist und wie dieser aussehen kann? Hat die Kosten- und Leistungsrechnung in der Praxis überhaupt noch den Stellenwert für als eigene Auswertung oder als Basisinstrument für weitergehende Controlling-Instrumente? Wenn Sie diese Frage verneinen, empfehle ich, die Maßnahme des „einfach mal Weglassens“.

Verstärkt wird die Problematik durch die Rahmenbedingungen, dass viele insb. deutsche Unternehmen sich in einem massiven und globalen Kostenwettbewerb sich behaupten müssen. In jenem Umfeld muss ich sehr genau meine Erfolgs- und Misserfolgs-Faktoren kennen, idealerweise, auch in der heutigen Globalisierung, den internationalen Leistungsabstand zum Wettbewerb. Dies ist bisweilen aber selten so. Wenn meine Kosten steigen, kann ich diese in den meisten Märken nicht auf das bisherige Preisniveau aufschlagen, da der Zielpreis durch den globalen Markt bestimmt wird. D.h. die Mehrkosten senkt meine Marge, sofern ich keine anderweitige Kostenkompensation bewirken kann. Und genau an dieser Stelle setzt ein Kostenmanager im Unternehmensbereich Erfolgscontrolling mit seinem Instrumentarium genau an. Auch in diversen Gesprächen mit Beratern wird das geschilderte Erkenntnismustermuster insgesamt bestätigt: Die vorhandenen Systematiken und installierten Softwarelösungen werden effektiv nicht genutzt, um individuelle Kosten- und Leistungsbewertungen und internationale Wettbewerbsvergleiche zur Führungsunterstützung bereitzustellen.

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Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich Verständnis und Handeln eines proaktiven Kostenmanagements nicht im ausreichenden Maße bisher in Unternehmen im verankert ist. Dieser Ansatz geht von einem kontinuierlichen analysieren und gestalten von sicheren ergebnis- und zielorientierten Strategien und Aktivitäten aus, um in der Konsequenz spontane, immer sehr teure harte ad-hoch-Rationalisierungsmaßnahmen oder den Wettbewerbsverlust als ultima-ratio zu vermeiden. Entsprechend setzt ein proaktiver Ansatz einen hohen Anspruch an die eingesetzten Instrumente und Aufgaben eines Kostenmanagers. Beispiele sind Dashboards mit Echtzeitdatengrundlage und der Möglichkeit verschiedene Szenarien zu bilden oder auch Self-Service-Portale.

Große Konzerne haben hohe Projektbudgets individuelle Lösungen um jenen Kostenmanagementansatz zu initiieren, für den Mittelstand fehlen schnelle Lösungen in geringer Komplexität. Kernproblem ist, dass die Logik der klassischen Kosten- und Leistungsrechnung hier nicht ausreicht, da deren Datengrundlage das externe Rechnungswesen ist. Werden diese dennoch genutzt, basieren jene Analyse auf Vergangenheitsdaten, was Gegenwartsanalysen z.B. in Krisen- oder Verhandlungssituationen mit Zulieferern limitiert und den Diskurs über Zukunftsszenarien vermeidet.

„Hier braucht es dringend neue Antworten und Lösungen der Industrie 4.0“

Oliver Gaebe: Kunden suchen heute weltweit nach dem ‚besten‘ Lieferanten, gerade auch in Bezug auf die Preise. Um als Unternehmen in diesem Marktumfeld vorhanden Effizienzmargen zu erkennen, braucht es relevante wie verlässliche Führungs- und Entscheidungsinformationen. Wie kann nun die neue gegründete Forschungsgruppe dabei helfen?

Prof. Boehle: Wir möchten das Thema, die skizzierte insolvenzgefährdende Problemstellung stärker als bislang in den Vordergrund stellen. Eine Diskussion, die Absatz, Absatzpreis sowie pauschale Kostenkürzungen in das Analysezentrum fokussiert, ist viel zu kurz gedacht. Vielmehr ist das Verständnis der Kostenstrukturen in Unternehmen sowie die Ursache-Wirkungsketten zwischen Kostenarten und Absatzmengen für erkenntnisreiche Analysen wichtig. Folglich

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braucht es aktuelle und valide Studien, um diese Erkenntnisse aus bisherigen Untersuchungen und Praxiserfahrungen mit aktuellen Rahmenbedingungen und Herausforderungen zusammenzuführen. Dazu ist die Digitalisierung einer der zentralen Treiber, der die Aufgaben und Anforderungsprofile jener Stelleninhaber neu ausrichten wird. Ich sehe dies als unsere Chance und Gelegenheit, hier aktiv mitzugestalten und Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Zielgruppen der Unternehmen zu erforschen.

„In Summe schaffen wir die erforderliche Aufmerksamkeit für ein proaktives kontinuierliches Kostenmanagement.“

Schließlich benötigt jedes Unternehmen ein modernes Kostenmanagement und sollte laufend Instrumente und gelebte Datenerhebungs- und Analyseprozesse hinterfragen. Doch was passiert, wenn sich nichts ändert? Massive Probleme in konjunkturellen wie strukturellen Krisensituationen können die Folge ineffektiver Führungsunterstützungsfunktion sein. Schließlich wirkt jedes Instrumentarium eben auch als Frühwarnsystem. Prognosen zufolge zeichnet sich aktuell in vielen Branchen ein konjunktureller Abschwung ab. Insofern können Sie unsere Aufklärungsarbeit ebenso als Weckruf an Unternehmen verstehen, ihren Status-Quo zu diagnostizieren.

„Für viele Unternehmen wird die Zeit knapp.“

Sind Unternehmen gerade hier nicht gut aufgestellt, schlimmer noch, rationalisieren diese Unternehmen die Kapazitäten des Kostenmanagements als eine der ersten Krisenbewältigungsstrategien, werden falsche Maßnahmenpakete beschlossen, die am Ende der Wirkungskette zum Insolvenztatbestand führen können. Zusammengefasst gibt die Forschungsgruppe dem Thema eine Plattform für Exploration, Diskurs und Innovation, quasi ein Gesicht.

Oliver Gaebe: Wie ist es Ihrer Ansicht nach zu der von Ihnen beschriebenen Lücke zwischen unternehmerischen Veränderungen und mitunter tradierten Analyse- und Kalkulationsinstrumenten gekommen? Warum stehen wir heute da, wo wir stehen?

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Prof. Boehle: Firmen haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf die Einführung, Bewirtschaftung und Weiterentwicklung komplexer ERP-Systeme schlicht konzentriert. Auch wenn diese Systeme in einem hohen Maße an individualisierbar und erweiterbar sind, geben diese nun einmal einen bestimmten Regelprozess vor, der wiederum die Arbeitsabläufe und damit den Workload von Mitarbeitern bestimmt. Vielleicht lässt sich ergänzen, dass durch die Normenkonformität, Zwecke und einheitliche Sprache im externen Rechnungswesen die softwareseitige Definition von Instrumenten und Prozessen wesentlich einfacher ist. Hier hat man qua Gesetz Orientierung. Demgegenüber sind Kalkulationen und Ergebnisrechnungen nicht gesetzlich definiert, sodass dessen Ausrichtung sehr zweckspezifisch ist. Durchaus gibt es auch Lösungsansätze in uns bekannter Anwendungssoftware oder Workarrounds, um die instrumentelle Lücke zu schließen. Statt der Optimierung bestehender Kalkulationslösungen fehlen nach wie vor große, effektive Lösungen. Mit Blick aus der Vogelperspektive ist dies aber keine echte Option, sondern vergrößert das Komplexitäts- und Transparenz-Problem weiter. Aus der praktisch heute schwer beherrschbaren Datenkomplexität der Finanzbuchhaltung in ERP-Systemen sichere Führungs- und Entscheidungsinformationen abzuleiten ist praktisch sehr schwierig geworden.

Mit meinen Ausführungen zu den Instrumenten geht daher auch ein verzerrtes Controlling-Verständnis in den Unternehmen einher. Wir erkennen aus unserer empirischen Forschung, dass der Controller als Business-Partner, womit – neben der Datenerhebung insb. die Datenaufbereitung, Analyse und Kommunikation zur Vorbereitung zielsetzungsgerechter Entscheidungen subsumiert wird, leider nicht im ausreichenden Maße gelebt wird.

Dies bestätigen bspw. Forschungserkenntnisse der WHU Zukunftsstudien von Schäffer/Weber, 2015, 2017. Exemplarisch zu nennen sind Aufgabenschwerpunkte in der Datenerhebung als auch die Unterstützung und Aufbereitung von Buchhaltung, Jahresabschluss und Kosten- und Leistungsrechnung. Insofern bedarf es Ursachenklärung für diese Diskrepanz zwischen Literatur und Praxis, möglichst differenziert nach verschiedenen Zielgruppen. Gleichwohl sollten wir mit diesem Erkenntniswissen nach vorne schauen und zielgruppenspezifische Gestaltungsempfehlungen für unsere Fachdisziplin anbieten.

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Die Fachzeitschrift Unternehmensrechnung und Controlling hat mit Ihrem Sonderheft 1/2017 „neue Weg in der Kalkulation“ einen wichtigen Impuls zur Diskussion angeregt, den es nun zu intensivieren und aufrecht zu erhalten gilt.

Oliver Gaebe: Wieso halten Sie die typischen und bewährten Instrumente im Kostenmanagement konkret für problembehaftet? Können Sie uns dazu Beispiele geben? Sie haben sich schließlich über sehr viele Jahre in Unternehmen wie in Softwareprodukten zum Rechnungswesen bewährt.

Prof. Boehle: Ich sehe hier technische, quasi handwerkliche Herausforderungen an die bisherige Systematik als auch große Chancen in der Erweiterung der Analyseperspektive des Werkzeuges an sich. Ein erstes Beispiel ist die Kostenbewertung von Auslastungsveränderungen zu nennen. Obwohl gerade Auslastungsreduzierungen zu den Hauptkostentreibern zählen, wird dieser Parameter in den Instrumenten der bisherigen Fachliteratur nicht im ausreichenden Maße beachtet. Um letzteres zu erreichen, sind die bisher nicht vorhandene Szenario-Fähigkeit und Datenaktualität wichtige Anforderungen.

„Die Vergangenheitsorientierung passt nicht zu den Anforderungen der Führungsunterstützung gegenwarts- bzw. zukunftsbezogener Entscheidungen.“

Eine Kostenbewertung von Auslastungsveränderung ist mit der bisherigen Grundlogik theoretisch wie praktisch ausgeschlossen. Dies darf nicht weiter akzeptiert werden. Nur um hier ein besseres Verständnis für die zwingend notwendigen Änderungen zu bekommen ‚Eine 30%- Auslastungsreduzierung ca. verzehnfacht die Höhe der Gemeinkostenaufschläge‘.

Weiteres identifiziertes Diskussionspotential stellen die Kalkulationsgrößen Herstellkosten und Selbstkosten dar, welche die Praxis durch andere Kalkulationsschritte und Zwischengrößen substituiert hat. Abschließend ist bei der Berechnung der Gemeinkostenzuschlagssätze der einbezogene Beschäftigungsgrad zu hinterfragen. So sollte die Absatzleistung von den installierten Kapazitäten unterschieden werden, da nur über ersterer jene

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Unternehmenskosten erwirtschaftet werden. Folglich ermöglicht diese Differenzierung erst die Bewertung und Berücksichtigung der Verlustleistung.

Neben diesen technischen Aspekten möchte ich noch zur Erweiterung der Analyseperspektive kommen. Die Erfolgsanalyse mittels Kosten- und Leistungsrechnung ist im hohen Maße unternehmensindividuell ausgestaltet. Mögliche Analysen beziehen sich auf den Zeit- und Plan-Ist-Vergleich. Im Zuge des globalen Wettbewerbs der Unternehmen kann die Outside-In-Perspektive neue Fragestellungen und Analyseperspektiven bereitstellen, um sich nicht nur mit seinen eigenen Daten und Analyse zu beschäftigten. Unternehmen müssen sich heute in einem globalen Umfeld wettbewerbsfähig aufstellen.

Das Value-Benchmarking als Controlling-Instrument hat Potential, intensiver als bisher mit bestehenden unternehmensinternen Datenanalysen zu verzahnen und gleichzusetzen. Jedoch scheuen viele Unternehmen genau diesen Aspekt, da sie durch Offenbarung den Verlust wettbewerbsrelevanter Informationen fürchten. Hier schafft Digitalisierung neue methodische Potentiale, um Wettbewerbsanalysen und internationale Leistungsvergleiche als Vergleichsmaßstab hinzuzuziehen und gleichzeitig die Vorbehalte der Unternehmen zu berücksichtigen. Eines unserer Forschungsfelder zielt auf diese innovativen Werkzeuge ab, um ein systematisch und strukturell periodisches Value-Benchmarking mit den Daten der Kosten- und Leistungsrechnung möglichst zu kombinieren.

Oliver Gaebe: Dies klingt alles sehr ambitioniert. Was passiert, wenn Unternehmen ihre bisherigen Instrumente weiterhin einsetzen und folglich nichts passiert?

Prof. Boehle: Ich muss es so hart sagen, wie es ist.

„Diese Unternehmen agieren mit den bisherigen Lösungen mit einem latenten Insolvenzrisiko.“

Die hohen Wachstumsraten der vergangenen Jahre sind endlich. Faktisch hat das Wachstum das von mir beschriebene Kernproblem verschleiert. Unbequeme

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Fragen zur Erklärung der Gemeinkostenzuschläge und anderen Kalkulationsannahmen waren scheinbar nicht notwendig. Die Folge ist, dass wieder das Handeln eines reaktiven Kostenmanagements folgen wird. Für Unternehmen wird es natürlich sehr viel teurer, ad-hoc-Projekte aufzusetzen und zu realisieren anstatt kontinuierlich an seiner Performance auf Basis sicherer Zielgrößen zu arbeiten. Entscheider müssen grundsätzlich laufend wie valide wissen, welchen Gewinn oder Verlustbeitrag ihre Produkte in der vorhandenen oder einer möglichen Unternehmenssituation haben und wie sie im Wettbewerbskontext aufgestellt sind. Daraus lassen sich Entscheidungen, Strategien und Aktivitäten ableiten, um Investitionen in Potentialbereiche zu steuern sowie den Fortbestand der Gesellschaft aufrecht zu erhalten oder gefährdende Entwicklungen früh zu erkennen.

Da ist man sehr schnell bei dem unangenehmen Thema der privaten Haftung. Allein dieser Aspekt der Thematik sollte schon Selbstantrieb für die Unternehmensführung sein, den angesprochenen Investitionsstau im internen Rechnungswesen weit oben in der To-Do-Liste zu stellen. Wer heute z.B. den internationalen Leistungsabstand zu seinem vorhandenen oder möglichen Wettbewerber nicht kennt, agiert fahrlässig und riskiert sein anvertrautes Unternehmen.Oliver Gaebe: Was ist zusammenfassend Ihre zentrale Empfehlung für Unternehmen?

Prof. Boehle: Jeder Kostenmanager, Kalkulator, Controller, Eigentümer und Entscheider von Unternehmen mit international denkenden und agieren Lieferanten und Kunden sollte sich dringend mit diesem Thema auseinandersetzen.

Wir unterstützen die Praxis durch ein Angebot mit unterschiedlichen Dienstleistungen. Dies betrifft zum einen die Kollaboration durch verschiedene Austauschformate sowie den Aufbau und Durchführung von Studien bzw. Gutachten. Hier sind wir auch aus eigenem Forschungsantrieb an der Zusammenarbeit mit Unternehmen und anderen Forschern besonders interessiert. Unsere Ausrichtung ist klar die anwendungsorientierte Forschung.

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„Bspw. bieten wir Workshops wie die neu entwickelte Wettbewerbs- und Leistungsdiagnose 2020 an.“

Letztere hat zum Ziel, die vorhandene Leistungsfähigkeit festzustellen und diese mit dem Wettbewerb zu vergleichen. Ergebnis ist z.B. der ALKO- Leistungsfaktor und die heute zentral wichtige Leistungs- und Zielgröße ‚Internationaler Leistungsabstand‘. Zusätzlich wird die vorhandene Kalkulationsgüte der eingesetzten Systeme analysiert, sowie die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Werkzeuge in Bezug auf Ergebnissicherheit, Simulations- und Reaktionsfähigkeit. Ein letzter Diagnosepunkt ist die Analyse von Reibungspunkten, die einer erfolgreichen Zusammenarbeit der unterschiedlichen Unternehmensbereiche im Wege stehen. Darauf aufbauend werden unternehmensindividuelle Handlungsempfehlungen erarbeitet.

„Insofern ist auch für traditionelle Kostenmanager und Controller noch nicht aller Tage Abend.“

Oliver Gaebe: Vielen Dank für das interessante Gespräch mit Ihnen und viel Erfolg mit demResearch Center für Performance Management.

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