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RAHMEN DER KRISE ZfCM | Controlling & Management Sonderheft 1 | 2010 19 Thorsten Sellhorn/Stefan Hahn/Maximilian Müller Einleitung Obwohl sich derzeit Anzeichen für eine nachhaltige Erholung mehren, sind die Folgen der globalen Finanz- und Wirt- schaftskrise auch in der Rechnungslegung deutlich sichtbar. So war vor allem die fair value-Bewertung von Finanztiteln nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) als prozyklisch wirkender „Krisenverstärker“ ausgemacht worden (vgl. etwa Bieg et al. 2008). Entsprechend formierte sich mächtiger Widerstand ge- gen das International Accounting Stan- dards Board (IASB). Mit dem Drohpoten- zial, ihm das Mandat für die Entwicklung der europaweit geltenden Bilanzierungs- regeln zu entziehen, zwingen mächtige Interessengruppen das IASB, die IFRS grundlegend zu überarbeiten. Konzeptio- nelle Argumente gehen im Spiel der poli- tischen Kräfte unter. Rechnungslegung jedoch, die nicht mehr das Ziel der trans- parenten Informationsvermittlung ver- folgt, sondern kaum verhohlenen Partiku- larinteressen dient, kann ihre Hauptauf- gabe, den Individual- und Funktionenschutz am Kapitalmarkt, nicht erfüllen. Wir wollen im Folgenden kritisch be- leuchten, inwiefern Rechnungslegung ei- ne prozyklische Wirkung entfaltet hat und wie das IASB auf die Krise reagiert. Diese Fragen erscheinen für Controller relevant, denn einerseits wird seit einigen Jahren eine fortschreitende Konvergenz von in- ternem und externem Rechnungswesen beobachtet (vgl. Simons/Weißenberger 2008). Andererseits könnten die nachfol- gend skizzierten Umwälzungen in der Rechnungslegung über ihre Verhaltensan- reize auch die Realwirtschaft als Ganzes betreffen. Hat die Rechnungslegung die Krise begünstigt? Für eine Beurteilung der erhobenen Vor- würfe gegenüber der fair value-Bilanzie- rung sind zunächst die Transmissionsme- chanismen des behaupteten prozyklischen Effekts genauer zu betrachten. Stiegen in einem wirtschaftlichen Aufschwung die Marktpreise von Finanztiteln über die ur- sprünglichen Anschaffungskosten hinaus, so konnten diese unrealisierten Wertzu- wächse nach dem relevanten International Accounting Standard (IAS) 39 durch die Bewertung zum fair value Einzug in die IFRS-Abschlüsse halten. IAS 39 legt im Wesentlichen drei Bewertungskategorien für finanzielle Vermögenswerte fest (vgl. Pellens et al. 2008, 542 ff.): Finanzielle Vermögenswerte, die ergeb- niswirksam zum fair value folgebewertet werden (hierzu zählt insbesondere der Handelsbestand der Banken), zur Veräußerung verfügbare finanzielle Vermögenswerte, deren fair value-Ände- rungen direkt im Eigenkapital erfasst werden, und bis zur Endfälligkeit gehaltene finanzielle Vermögenswerte sowie Ausleihungen und Forderungen, die zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden. Vor allem die Finanztitel im Handelsbe- stand der Banken haben von steigenden Marktpreisen profitiert, denn diese erhöh- ten den Gewinn, was in Zeiten des Auf- schwungs niemanden störte: weder die Manager, deren Boni sich aus diesen un- realisierten Gewinnen speisten, noch die Aktionäre, die ihrerseits von steigenden Aktienkursen profitierten. Selbst die Real- wirtschaft hatte Vorteile: Steigendes bilan- zielles Eigenkapital versetzte die Banken in die Lage, ihre Kreditvergabe auszudehnen und damit auch riskantere Engagements einzugehen. Mit Einsetzen der Finanzkrise kehrte sich der Markttrend um. Die Kurse stürz- ten ab und die fair value-Bilanzierung führ- te zu höheren Abschreibungsvolumina, als dies bei einer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten der Fall gewesen wä- re (vgl. Bieg et al. 2008). Die hieraus fol- genden Eigenkapitalminderungen zwan- gen die Banken, ihre Aktiva zu reduzieren. Die resultierenden Notverkäufe entfalteten negative Rückkopplungen auf die Markt- preise, was weitere Abschreibungen nach sich zog – ein Teufelskreis. Ist aber die fair value-Bilanzierung für diese destabilisierende Wirkung ursäch- lich? Nach dem Rahmenkonzept des IASB (Abs. 12) haben IFRS-Abschlüsse die pri- märe Aufgabe, entscheidungsrelevante In- formationen für Investoren bereitzustellen. Grundsätzlich kann eine Bewertung zum Wechselwirkungen von Finanzkrise und Rechnungslegung Autoren Prof. Dr. Thorsten Sellhorn ist Inhaber des Lehr- stuhls für Externes Rechnungswesen, www.whu.edu/accounting, an der WHU – Otto Beisheim School of Management, Burgplatz 2, 56179 Vallendar, thorsten.sellhorn@whu. edu Dipl.-Ök. Stefan Hahn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- stuhl für Externes Rechnungswesen an der WHU – Otto Beisheim School of Manage- ment, Burgplatz 2, 56179 Vallendar, [email protected] Dipl.-Kfm. Maximilian Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- stuhl für Externes Rechnungswesen an der WHU – Otto Beisheim School of Manage- ment, Burgplatz 2, 56179 Vallendar, [email protected]

Wechselwirkungen von Finanzkrise und Rechnungslegung

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RAHMEN DER KRISE

ZfCM | Controlling & Management Sonderheft 1 | 2010 19

Thorsten Sellhorn/Stefan Hahn/Maximilian Müller

Einleitung

Obwohl sich derzeit Anzeichen für eine nachhaltige Erholung mehren, sind die Folgen der globalen Finanz- und Wirt-schaftskrise auch in der Rechnungslegung deutlich sichtbar. So war vor allem die fair value-Bewertung von Finanztiteln nach den International Financial Reporting

Standards (IFRS) als prozyklisch wirkender „Krisenverstärker“ ausgemacht worden (vgl. etwa Bieg et al. 2008). Entsprechend formierte sich mächtiger Widerstand ge-gen das International Accounting Stan-dards Board (IASB). Mit dem Drohpoten-zial, ihm das Mandat für die Entwicklung der europaweit geltenden Bilanzierungs-regeln zu entziehen, zwingen mächtige Interessengruppen das IASB, die IFRS grundlegend zu überarbeiten. Konzeptio-nelle Argumente gehen im Spiel der poli-tischen Kräfte unter. Rechnungslegung jedoch, die nicht mehr das Ziel der trans-parenten Informationsvermittlung ver-folgt, sondern kaum verhohlenen Partiku-larinteressen dient, kann ihre Hauptauf-gabe, den Individual- und Funktionenschutz am Kapitalmarkt, nicht erfüllen.

Wir wollen im Folgenden kritisch be-leuchten, inwiefern Rechnungslegung ei-ne prozyklische Wirkung entfaltet hat und wie das IASB auf die Krise reagiert. Diese Fragen erscheinen für Controller relevant, denn einerseits wird seit einigen Jahren eine fortschreitende Konvergenz von in-ternem und externem Rechnungswesen beobachtet (vgl. Simons/Weißenberger 2008). Andererseits könnten die nachfol-gend skizzierten Umwälzungen in der Rechnungslegung über ihre Verhaltensan-reize auch die Realwirtschaft als Ganzes betreffen.

Hat die Rechnungslegung die Krise begünstigt?

Für eine Beurteilung der erhobenen Vor-würfe gegenüber der fair value-Bilanzie-rung sind zunächst die Transmissionsme-chanismen des behaupteten prozyklischen Effekts genauer zu betrachten. Stiegen in einem wirtschaftlichen Aufschwung die Marktpreise von Finanztiteln über die ur-sprünglichen Anschaffungskosten hinaus, so konnten diese unrealisierten Wertzu-wächse nach dem relevanten International Accounting Standard (IAS) 39 durch die Bewertung zum fair value Einzug in die

IFRS-Abschlüsse halten. IAS 39 legt im Wesentlichen drei Bewertungskategorien für finanzielle Vermögenswerte fest (vgl. Pellens et al. 2008, 542 ff.):

Finanzielle Vermögenswerte, die ergeb-niswirksam zum fair value folgebewertet werden (hierzu zählt insbesondere der Handelsbestand der Banken), zur Veräußerung verfügbare finanzielle Vermögenswerte, deren fair value-Ände-rungen direkt im Eigenkapital erfasst werden, und bis zur Endfälligkeit gehaltene finanzielle Vermögenswerte sowie Ausleihungen und Forderungen, die zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden.

Vor allem die Finanztitel im Handelsbe-stand der Banken haben von steigenden Marktpreisen profitiert, denn diese erhöh-ten den Gewinn, was in Zeiten des Auf-schwungs niemanden störte: weder die Manager, deren Boni sich aus diesen un-realisierten Gewinnen speisten, noch die Aktionäre, die ihrerseits von steigenden Aktienkursen profitierten. Selbst die Real-wirtschaft hatte Vorteile: Steigendes bilan-zielles Eigenkapital versetzte die Banken in die Lage, ihre Kreditvergabe auszudehnen und damit auch riskantere Engagements einzugehen.

Mit Einsetzen der Finanzkrise kehrte sich der Markttrend um. Die Kurse stürz-ten ab und die fair value-Bilanzierung führ-te zu höheren Abschreibungsvolumina, als dies bei einer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten der Fall gewesen wä-re (vgl. Bieg et al. 2008). Die hieraus fol-genden Eigenkapitalminderungen zwan-gen die Banken, ihre Aktiva zu reduzieren. Die resultierenden Notverkäufe entfalteten negative Rückkopplungen auf die Markt-preise, was weitere Abschreibungen nach sich zog – ein Teufelskreis.

Ist aber die fair value-Bilanzierung für diese destabilisierende Wirkung ursäch-lich? Nach dem Rahmenkonzept des IASB (Abs. 12) haben IFRS-Abschlüsse die pri-märe Aufgabe, entscheidungsrelevante In-formationen für Investoren bereitzustellen. Grundsätzlich kann eine Bewertung zum

Wechselwirkungen von Finanzkrise und Rechnungslegung

Autoren

Prof. Dr. Thorsten Sellhorn

ist Inhaber des Lehr-stuhls für Externes Rechnungswesen,

www.whu.edu/accounting, an der WHU – Otto Beisheim School of Management, Burgplatz 2, 56179 Vallendar, [email protected]

Dipl.-Ök. Stefan Hahn

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr-stuhl für Externes

Rechnungswesen an der WHU – Otto Beisheim School of Manage-ment, Burgplatz 2, 56179 Vallendar, [email protected]

Dipl.-Kfm. Maximilian Müller

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr-stuhl für Externes

Rechnungswesen an der WHU – Otto Beisheim School of Manage-ment, Burgplatz 2, 56179 Vallendar, [email protected]

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fair value die Entscheidungsnützlichkeit der bereitgestellten Informationen erhöhen (vgl. Böcking/Flick 2009). Dies gilt insbe-sondere, wenn fair values aus Preisen abge-leitet werden, die sich auf liquiden Märkten bilden („mark to market“). Liegen solche nicht vor, so muss auf Vergleichspreise oder modellgestützte Werte („mark to model“) zurückgegriffen werden. Hierdurch kön-nen Relevanz und Verlässlichkeit der fair values zurückgehen. Ob allerdings fortge-führte Anschaffungskosten die informa-tivere Alternative sind, ist zweifelhaft.

Problematisch ist die Anwendung des fair value aber vor allem dann, wenn bereit-gestellte Informationen anderen als den vom IASB beabsichtigten Zielen dienen sollen. Dies gilt etwa für die Verknüpfung der regulatorischen Eigenkapitalvor-schriften für Banken gemäß Basel II mit den IFRS (vgl. Dobler/Kuhner 2008). So er-fordert eine aus fair value-Verlusten resul-tierende Verringerung des IFRS-Eigenka-pitals eine Reduktion der risikobehafteten Positionen. Hierdurch entsteht zusätzlicher Verkaufsdruck für die Banken, der das Überangebot an Finanztiteln auf illiquider werdenden Märkten fördert und zu einem weiteren Preisverfall führt.

IFRS-Abschlüsse sind nicht dafür vorge-sehen, über die Messung des Kernkapitals die Kreditvergabekapazität von Banken zu regulieren. Die behaupteten „prozyklischen Effekte“ sind damit nicht direkt auf die fair value-Bewertung zurückzuführen: Die kri-senverstärkende Rückwirkung der aus Transparenzgründen sicherlich gebotenen fair value-Verluste beruht vielmehr darauf, dass die gesunkenen IFRS-Eigenkapitalbe-träge über die Bankenregulierung reale Rechtsfolgen und damit unerwünschte Ne-benwirkungen auslösten, für die sich nun allerdings nicht die Bankenregulierer ver-antworten müssen, sondern das IASB (vgl. Gassen/Fülbier 2009; Pellens/Crasselt/Sell-horn 2009).

Daneben steht auch die Nutzung von Zweckgesellschaften (special purpose entities, SPE) in der Kritik. Eine SPE verfolgt ein eng definiertes Ziel zugunsten eines Sponsors (vgl. Pellens/Streckenbach/Sellhorn 2003). Zum Beispiel gründet eine Bank eine SPE, die von ihr langfristige Hypothekenkredite erwirbt und sich durch die Ausgabe kurzfris-tiger Wertpapiere refinanziert. Aus Sicht der Informationsfunktion – und nach der ein-schlägigen Interpretation SIC 12 – ist eine Aufnahme der SPE in den IFRS-Konzernab-schluss notwendig, wenn der Sponsor (die Bank) die SPE beherrscht, also die Mehrheit

der Risiken und Chancen an der SPE trägt. Diese Beherrschung wurde von den Banken hinsichtlich zahlreicher SPE verneint (vgl. Küting/Gattung 2007, S. 398).

Oft verbleibt aber ein Teil des Ausfallri-sikos bei der Bank, um den Anlegern der SPE einen Investitionsanreiz zu geben. Hierzu werden der SPE Kreditlinien ein-geräumt, mit denen sich die Bank bei Li-quiditätsproblemen der SPE verpflichtet, die Rückzahlung fälliger Wertpapiere zu gewährleisten (vgl. Lüdenbach 2009, Rz. 203 – 206). Solche Kreditlinien werden oft lediglich als Eventualverbindlichkeit im Anhang angegeben, sofern die Ausfall-wahrscheinlichkeit zwar kleiner als 50 %, aber noch bedeutend ist. In der Krise kam es zu einer systematischen Unterschät-zung der Ausfallrisiken, wodurch die In-anspruchnahme nach Eintritt von Refi-nanzierungsproblemen der SPE einen für viele Abschlussleser überraschenden pro-zyklischen Effekt entfaltete. Auch hier war jedoch nicht die Rechnungslegung ur-sächlich für die Krise. Vielmehr haben das risikofreudige Geschäftsgebaren der Ban-ken und ihre Ermessensausübung in Rechnungslegungs- und Publizitätsfragen erhebliche Risiken geschaffen und zum Teil bewusst verschleiert.

Wie wirkt die Krise auf die Rechnungslegung zurück?

Wie im vorigen Abschnitt beschrieben, wird die Finanzkrise zum Anlass genom-men, das IASB mit zum Teil unberechtigter Kritik zu überziehen. Angloamerikanische Kommentatoren sprechen hier von einem „shooting the messenger“-Phänomen (Eco-nomist 2009). Es wurde vehement die For-derung erhoben, die kritisierten Rech-nungslegungsnormen zu ändern.

Kurzfristige AuswirkungenAm 13.10.2008, rund einen Monat nach der Lehman Brothers-Insolvenz, gab das IASB den IAS 39-Änderungsstandard „Re-classification of Financial Assets“ bekannt. Dieser ermöglicht es den betroffenen Ban-ken, die fair value-Bewertung für im Han-delsbestand und zur Veräußerung gehal-tene Kreditforderungen auszusetzen und diese fortan zu fortgeführten Anschaf-fungskosten zu bewerten. Ein Wechsel zwi-schen den beiden Wertmaßstäben konnte rückwirkend zum 01.07.2008 erfolgen. Diese Nichtberücksichtigung von fair va-lue-Verlusten steht dem handelsrechtlichen

Vorsichtsprinzip diametral entgegen: Vor der Krise eintretende unrealisierte Ge-winne wurden vereinnahmt, spätere Ver-luste konnten jedoch vermieden werden (vgl. Schildbach 2008).

Der Änderungsstandard ist bemerkens-wert, weil er nicht nur der vom IASB bis da-to vertretenen konzeptionellen Überzeu-gung entgegensteht, sondern zudem in Re-kordzeit sowohl das üblicherweise mehrere Monate bis Jahre in Anspruch nehmende Standardsetzungsverfahren des IASB als auch den normalerweise ebenfalls langwie-rigen Endorsement-Prozess der EU durch-lief. Es handelte sich hierbei um eine Not-operation, zu der sich das IASB angesichts einer politischen Bedrohung seiner Da-seinsberechtigung genötigt sah. Sie stellt die Unabhängigkeit des Standardsetters massiv in Frage.

Längerfristige AuswirkungenDie Finanzkrise hat die Agenda des IASB auch langfristig geprägt. Zu seinen „Finan-cial Crisis related projects“ (www.iasb.org) gehören Projekte

zur Neuregelung des Konsolidierungs-kreises, vor allem vor dem Hintergrund der SPE-Problematik, zur Frage, wann finanzielle Vermögens-werte ausgebucht werden dürfen, zu Richtlinien bezüglich der fair value-Bewertung, sowiezur Reform von IAS 39.

Von besonderer Bedeutung ist hier sicher-lich das letztgenannte Projekt: Die Bilan-zierung von Finanzinstrumenten, die bis-her vornehmlich IAS 39 unterlag, soll künftig hinsichtlich Klassifikation und Bewertung, Wertminderung und Siche-rungsbilanzierung neu geregelt werden. Zur ersten Projektphase hat das IASB im November 2009 den Standard IFRS 9, Finanzinstrumente, veröffentlicht. Nach IFRS 9 sind allein Gläubigerpapiere mit vertraglich vereinbarten Zins- und Til-gungszahlungen, die das Unternehmen bis zur Rückzahlung zu halten beabsichtigt, zu fortgeführten Anschaffungskosten zu be-werten. Alle anderen Finanztitel unterlie-gen auch zukünftig der in der Finanzkrise kritisierten fair value-Bewertung. Wie be-reits IAS 39 sieht auch IFRS 9 eine ergeb-niswirksame und eine ergebnisneutrale Va-riante der fair value-Bewertung vor, wobei letztere strategischen Eigenkapitalbeteili-gungen vorbehalten ist.

Es ist unklar, ob IFRS 9 die beabsichtig-te Verringerung der Komplexität im Be-reich der Bilanzierung von Finanzinstru-

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menten tatsächlich erreichen wird. Immer-hin ergibt sich eine Reduktion auf nunmehr nur noch drei Bewertungskategorien – ei-ne weniger als nach IAS 39. Bei der Ermitt-lung des fair value selbst soll der Standard-entwurf „Fair Value Measurement“ von Mai 2009, für den in der zweiten Jahres-hälfte 2010 ein endgültiger Standard ge-plant ist, die Anwender und Wirtschafts-prüfer konzeptionell unterstützen.

Im Rahmen des Standardentwurfs (ED) 10, Consolidated Financial Statements, sol-len die Regelungen zur Konsolidierung von Tochterunternehmen – und insbesondere SPE – überarbeitet werden. Dabei wird der Beherrschungsbegriff (control) neu definiert: Es geht um die Möglichkeit eines Unterneh-mens, die Aktivitäten eines anderen Unter-nehmens zu bestimmen (power), um aus die-sen Rückflüsse (returns) zu generieren. An-hand von sechs Kriterien ist eine Beherrschung zu prüfen, wobei noch unklar ist, welche Implikationen für die Einbezie-hung von SPE sich hieraus ergeben werden.

Fazit und Ausblick

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise zieht Controlling-relevante Konsequenzen nach sich, zu denen auch Veränderungen in der Regulierung des externen Rech-nungswesens gehören. Der vorliegende Beitrag hat sich auf die IFRS konzentriert, weil diese während der Krise im Mittel-punkt der Kritik standen. Während diese Kritik, die sich vor allem an der behaupte-ten prozyklischen Wirkung der fair value-Bilanzierung entzündete, zunächst relati-viert wurde, gab der zweite Teil des Beitrags einen Überblick über Änderungen inner-halb der IFRS, die sich im Zuge der regula-torischen Aufarbeitung der Krise ergeben.

Weniger direkte Ausstrahlungswirkun-gen hatte die Finanzkrise aber auch auf ein Regelwerk, das deutschen Controllern deutlich näher steht: Dem im Frühjahr ver-abschiedeten Bilanzrechtsmodernisierungs-gesetz (BilMoG) gingen hitzige Diskussi-onen voraus. Die an der fair value-Bilanzie-rung geübte Kritik hat auch das BilMoG nicht unbeeinflusst gelassen. Zahlreiche geplante Annäherungen an die IFRS sind im finalen Gesetz nicht mehr zu finden. So ist etwa die fair value-Bewertung von Fi-nanzaktiva nunmehr auf den Handels-bestand von Banken beschränkt.

Neben den beschriebenen Konsequen-zen deuten sich im Nachhall der Finanzkri-se jedoch weitere Auswirkungen für die

Zukunft der Rechnungslegung an, die über die fortschreitende Konvergenz von inter-nem und externem Rechnungswesen auch in Controlling und wertorientierte Unter-nehmensführung hineinwirken könnten.

Zum einen droht der alleinige Fokus auf krisenbezogene Bilanzierungsfragen auch mittelfristig die personellen Ressourcen des IASB und anderer Regulierer zu bin-den. Hierdurch werden andere wichtige Projekte verzögert. Beispielhaft genannt sei hier das seit Jahren aktive Projekt zur Über-arbeitung des IASB-Rahmenkonzepts, von dessen konzeptionellen Vorentscheidungen die interne Konsistenz des IFRS-Gebäudes entscheidend abhängt, und das möglichst vor Verabschiedung weiterer Einzelstan-dards abgeschlossen werden sollte. Weitere bedeutende Themen auf der IASB-Agenda wie die Ertragsrealisation, die Darstellung des Abschlusses sowie die Bilanzierung von Pensionsverpflichtungen und Leasingver-hältnissen treten leider ebenfalls in den Hintergrund.

Zum anderen ist eine Politisierung der Rechnungslegungsregulierung insgesamt zu befürchten. An der Rechnungslegung interessierte Gruppen dürften – gestärkt und motiviert durch jüngste „Erfolge“ – ih-re Einflussnahme auf das IASB beibehalten oder sogar intensivieren. Hierdurch wird es schwieriger, Sachargumente und konzepti-onelle Konsistenz von politischen Forde-rungen abzuschirmen. Notmaßnahmen wie die Erleichterungsregel „Reclassifica-tion of Financial Assets“ beeinträchtigen Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des IASB und sind ohne Reputationsschaden nicht beliebig oft wiederholbar. Viel steht auf dem Spiel: Nimmt der Kapitalmarkt das IASB nicht mehr als Hüter einer konzep-tionell fundierten, investororientierten Rechnungslegung, sondern als willfähriges Instrument politischer Interessen wahr, so verlieren die IFRS insgesamt an Akzeptanz – nicht zuletzt auch in den USA, wo ihre Einführung seit längerem diskutiert wird.

LiteraturBieg, H./Bofinger, P./Küting, K./Kußmaul, H./

Waschbusch, G./Weber, C.-P.: Die Saarbrücker Ini-tiative gegen den Fair Value, in: Der Betrieb 61. Jg. (2008), Heft 47, S. 2549 – 2552.

Böcking, H.-J./Flick, C.: Die Saarbrücker Initiati-ve gegen den Fair Value. Erwiderung von Prof. Dr. Hans-Joachim Böcking und Dr. Caroline Flick, in: Der Betrieb, 62. Jg. (2009), Heft 5, S. 185 – 188.

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Economist: Messenger, Shot – Accounting rules are under attack. Standard-setters should defend them. Politicians and banks should back off. April 8, 2009.

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Küting, K./Gattung, A.: Zweckgesellschaften als Tochterunternehmen nach SIC-12 – Bestim-mung und Konsolidierung, in: Zeitschrift für inter-nationale und kapitalmarktorientierte Rechnungs-legung, 7. Jg. (2007), Heft 7 – 8, S. 397 – 408.

Lüdenbach, N.: § 28 Finanzinstrumente, in: Lüdenbach, N./Hoffmann, W.-D. (Hrsg.), Haufe IFRS-Kommentar, Freiburg 2009.

Pellens, B./Crasselt, N./Sellhorn, T.: Corporate Governance und Rechnungslegung, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 61. Jg. (2009), Heft 1, S. 102 – 113.

Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J./Sellhorn, T.: Internationale Rechnungslegung, 7. Aufl., Stutt-gart 2008.

Pellens, B./Streckenbach, J./Sellhorn, T.: Neue Abgrenzungskriterien für den Konsolidierungs-kreis – Zur Bilanzierung von Zweckgesellschaft nach FIN 46, in: Zeitschrift für internationale und kapitalmarktorientierte Rechnungslegung, 3. Jg. (2003), Heft 4, S. 191 – 194.

Schildbach, T.: Was bringt die Lockerung der IFRS für Finanzinstrumente?, in: Deutsches Steuer-recht, 46. Jg. (2008), Heft 49, S. 2381 – 2385.

Simons, D./Weißenberger, B. E.: Die Konver-genz von externem und internem Rechnungs-wesen, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 60. Jg. (2008), Heft 2, S. 137 – 162.

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