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Ab 500 n. Chr. haben sich die regionalen Klein- königtümer überlebt. Die Herrscher aus Huari, Tiwanaku und Chimor formen große Territorial- reiche. Ob mit Gewalt oder Diplomatie – darüber streiten die Gelehrten. Jedenfalls forcieren sie Kolonie- und Straßenbau, exportieren ihre Archi- tektur und Religion und herrschen über viele Völker, alles wird von einer Zentrale aus gesteuert: Die Idee des Imperialismus ist geboren. |||||||||||||| |||||||||||||| |||||||||||||| |||||||||||||| |||||||||||||| |||||||||||||| |||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| Wegbereiter der Inka

Wegbereiter der inka - Spektrum.de · 2011-02-17 · gekennzeichnet, die ihren imperialen Anspruch via Religion mit Waffengewalt durchsetzten, Kolonien gründeten, Straßen bauten

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1 1 0 D a s G o l D e n e Z e i ta lt e r 1 1 1D a s r ä t s e l i s t G e l ö s t – D i e n a Z c a - l i n i e n

##091_Altiplano_Unwetter## (AUFMACHER)##

ab 500 n. chr. haben sich die regionalen Klein-

königtümer überlebt. Die Herrscher aus Huari,

tiwanaku und chimor formen große territorial-

reiche. ob mit Gewalt oder Diplomatie – darüber

streiten die Gelehrten. Jedenfalls forcieren sie

Kolonie- und straßenbau, exportieren ihre archi-

tektur und religion und herrschen über viele

Völker, alles wird von einer Zentrale aus gesteuert:

Die idee des imperialismus ist geboren.

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Wegbereiter der inka

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1 1 2 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 1 3t i W a n a K u u n D H u a r i – D i e e r s t e n i m p e r i a l i s t e n ?

|

tiwanaku und Huari – die ersten

imperialisten?

Die Grenzbeamten sind unwillig, wenn der Besucher

aus Peru kommend nur für einen Tag nach Bolivien

einreisen will, manchmal verweigern sie sogar die

Ein reise. Moderne Grenzziehungen vertragen sich

nicht mit antiken Kulturen. Das Ziel, die große ar­

chäologische Stätte Tiwanaku (auch Tihuanaco),

liegt nur rund 50 km hinter der Grenze auf heute bo­

livianischem Boden. Vor 1500 Jahren aber bestimm­

ten die Herrscher im Hochland (Altiplano) des Titi­

cacasees die altperuanischen Geschicke. Zumindest

hatten sie erheblichen Einfluss auf die Entwicklun­

gen nach dem Niedergang der glänzenden Regional­

kulturen, die mit den Namen Paracas­Nazca im Sü­

den und Moche im Norden verbunden sind.

Im gleichen Atemzug mit Tiwanaku wird stets

Huari (auch Wari) genannt. Beide sollen expansive

Reiche mit imperialem Anspruch gewesen sein. In

der Zeitspanne zwischen etwa 500 und 1000 n. Chr.

dominierten die beiden Aufsteiger das Andengebiet

vom äußersten Norden über Cuzco bis Nazca (Hua­

ri) und Südperu mit Teilen Boliviens bis Nordchile

(Tiwanaku). Sie werden als zentralistische Staaten

gekennzeichnet, die ihren imperialen Anspruch via

Religion mit Waffengewalt durchsetzten, Kolonien

gründeten, Straßen bauten und missliebige Stämme

umsiedelten. Die imperiale Ideologie, das Straßen­

netz, die monumentalen Bildwerke und die zentra ­

le Verwaltung der beiden Großmächte übernahmen

später die Inka. Katalysator für den Aufstieg von Hu­

ari und Tiwanaku waren vermutlich mehrere Klima­

stürze an der Küste zwischen 500 und 600 n. Chr.

Eine lang anhaltende Dürre zerbrach dort die religiös

motivierte Übereinkunft zwischen Eliten und Volk;

die theokratischen Systeme kollabierten.

Das Huari­Reich begann um 800 n. Chr. zu schwä­

cheln und ist um 900 n. Chr. nicht mehr fassbar. Die

Gründe für den Niedergang sind noch ungeklärt. Ti­

wanaku hielt sich länger, bis etwa 1100 n. Chr., und

wurde ebenfalls aus bislang ungeklärtem Anlass um

1300 n. Chr. endgültig aufgegeben. Die Inka glorifi­

zierten Tiwanaku Jahrhunderte später als die Heimat

ihrer Ahnen.

So weit im Schnelldurchgang ein paar Eckpunk­

te, die jedoch nicht felsenfest wie die Monolithen in

Tiwanaku verankert sind. Denn über die Huari und

die Leute von Tiwanaku weiß man heute so viel,

besser: so wenig, wie über die Nazca und Moche vor

30 Jahren. Nach den ersten Forschungen zu Beginn

des vorigen Jahrhunderts folgte lange Zeit gar nichts,

andere Themen und Aufstandsbewegungen (Der

Leuch tende Pfad) lenkten die Wissenschaftler in an­

dere Ecken der Andenregion. Seit etwa zehn Jahren

sind Archäologen verstärkt, aber sehr punktuell in

den Huari­ und Tiwanaku­Gebieten unterwegs; hier

sind in den nächsten Jahren neue Erkenntnisse zu er­

warten. Bis jetzt aber gilt: Nicht einmal die landläufi­

ge Chronologie ist ausreichend gesichert – sie beruht

weitgehend auf kunsthistorischen Stilvergleichen von

Keramiksequenzen. Schauen wir nach den archäolo­

gischen Tatsächlichkeiten.

tiwanaku – Zentrum am titicacasee

Das weltberühmte „Sonnentor“ in Tiwanaku ist groß,

wirkt aber trotz seiner 3 m × 3,75 m in der Gesamtan­

lage des Kultkomplexes Kalasasaya zu klein. Es steht

ziemlich verloren in der Nordwestecke der umfriede­

ten Plattform, vermutlich stand das aus einem Stück

Stein gemeißelte 12­Tonnen­Monument ursprüng­

lich an anderer Stelle. Es ist mit mysteriösen Flach­

reliefs geschmückt, deren Hauptfigur, den „Stabgott“,

wir bereits aus der Chavín­Kultur kennen: Nach 1000

| Der Titicacasee besticht durch die Schönheit seiner

Land schaft. Aber die Luft ist dünn hier auf 4000 m Höhe –

und das Leben hart.

| Das „Sonnentor“ in Tiwanaku vor der malerischen Kulisse der umgebenden

Berglandschaft.

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1 1 4 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 1 5t i W a n a K u u n D H u a r i – D i e e r s t e n i m p e r i a l i s t e n ?

Jahren ist er in Tiwanaku angekommen. In der an­

deren Ecke steht seit einiger Zeit der sogenannte

Mönch, eine blockartige Menschenstatue mit etwas

derangierten Gesichtszügen. Im Zentrum der Zere­

monialanlage hat diese kantige Figur in dem nach

seinem bolivianischen Entdecker genannten „Ponce­

Monolithen“ ihr Pendant. Die fast 4 m hohe Statue

empfing die durch das große Tor hereinkommenden,

die Stufen emporsteigenden Pilger. Die Gestalt trägt

über den ganzen steinernen Körper verwirrende Or­

namente, in denen sich neugierige Blicke leicht ver­

irren.

Die gewaltigste Stele von Tiwanaku, der „Ben­

nett­Monolith“, lässt sich im örtlichen Museum be­

wundern. Sie stand in dem vertieften Hof außerhalb

der Kultplattform. Nach 70 Jahren Exil in La Paz ist

der über 7 m große Koloss 2002 in seine Heimat zu­

rückgekehrt. Ihren Namen hat die Figur vom amerika­

nischen Entdecker; die Bolivianer nennen sie lie ber

„Pachamama“, die „Große Mutter“. Ob die beiden

Schwergewichte – massig, eckig, einschüchternd –

Götter, Herrscher oder Würdenträger darstellten, ist

unbekannt. Die tonnenschweren Blöcke stammen

aus einem 300 km entfernten Steinbruch.

Die gesamte erhöhte Zeremonialplattform misst

rund 130 m im Quadrat und ist von einer beeindru­

ckenden Steinmauer umgeben, die in regelmäßigen

Abständen von 5 m hohen Monolithen akzentuiert

wird. Da müssen einmal mehr Giganten oder Außer­

irdische am Werk gewesen sein. Ein grandioser Blick

ergibt sich, wenn man über den vertieften Hof hin­

weg Richtung Kalasasaya schaut: Dann grüßt oder

droht Pachamama durch das Eingangstor.

Den besten Blick auf das riesige Geviert hat man

von der angrenzenden Tempelpyramide Akapana.

Vor einigen Jahren war sie noch das, was sie symbo­

lisieren sollte – ein Berg, ein völlig konturloser, ero­

dierter Sand­ und Lehmhaufen, in dem man nicht

einmal mit viel Fantasie irgendwelche menschlichen

Aktivitäten erkennen konnte. Jetzt macht die freige­

legte dunkelbraune Flanke Steinstrukturen und Ter­

rassen sichtbar und lässt allmählich ein Bauwerk mit

meterhohen und ­dicken Sandsteingrundmauern er­

stehen. Man kann gespannt sein, was sich dort in den

kommenden Jahren herausschält. Ein Soldat wacht

auf der Kuppe des halb ausgegrabenen, immer noch

17 m hohen Pyramidenhügels darüber, dass der Be­

sucher nicht vom Pfad der touristischen Tugend ab­

weicht und wegen erhoffter besserer Einsicht an die

Kante tritt.

Von hier oben erfasst man auch die Gesamtanla­

ge des Kultbereichs – die Terrassierung der Pyramide,

die große Ritualplattform mit ihrer gigantischen

Mauer und dem eingetieften viereckigen Platz davor.

Dessen Innenmauern sind mit Steinköpfen gespickt,

die zum Großteil bis zur Unkenntlichkeit verwittert

sind. Sie erinnern an Chavín de Huántar. Und so weit

das Laienauge blicken kann, erkennt man noch viel­

fältige Strukturen in der Landschaft, die mehr sind als

formlose natürliche Hügel. In die ser schönen, aber

menschenunfreundlichen 4000­m­Hoch ebene ist erst

ein einziffriger Bruchteil des an tiken Erbes ausgegra­

ben. Tiwanaku soll für das bit ter arme Bolivien das

werden, was die Inka für Peru sind – Identifikations­

punkt und Touristenmagnet. Die UNESCO hat den

Gesamtkomplex im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe

geadelt.

Bis zu blauen Bergen weit im Hintergrund soll

sich die Siedlung erstreckt haben. An den Kultbezirk

schlossen sich weiträumig landwirtschaftliche Flä­

chen an, aus denen die Tiwanaku­Bauern den Über­

schuss erwirtschafteten, ohne den eine komplexe

Gesellschaft mit Arbeitsteilung, Eliten und Expansi­

onsgelüsten nicht entstehen kann. 500 000 Menschen

sollen sie ernährt haben können. Ein ausgeklügeltes

Bewässerungssystem war dazu unerlässlich. Dieses

Wassernetz hatte einen weiteren Zweck: Es spei ­

cher te die Sonnenwärme und gab sie nachts wieder

ab. Dadurch entstand ein Mikroklima über den

Feldern, das ein Erfrieren der Pflanzen in der ei sigen

Höhe verhinderte. Den anderen Teil des Wohlstands

lieferten die Händler, die mit riesigen Lama­Karawa­

nen das schon bestehende Fernhandelsnetz an die

Küste, ins östliche Tiefland Amazoniens, nach Cuzco

und Chile nutzten und ausbauten. Über Herrscher

und Volk, Kultur und Sozialgefüge aber weiß man

kaum etwas. Die Archäologen fanden bislang nur ein

unberaubtes Grab, in dem eine Edelfrau mit Kupfer­

schmuck, einer Türkis­Lapislazuli­Halskette, einer

| Herrscher, Priester,

Gott? – die heute

„Ponce-Monolith“ ge-

nannte Figur begrüßte

vor über 1000 Jahren

die Pilger am Eingang

des zentralen Heilig-

tums von Tiwanaku.

| „Der Mönch“, die

zweite Großskulptur

im Hauptheiligtum

von Tiwanaku, scheint

die jetzt angelaufene

Ausgrabung der Tem-

pelpyramide Akapana

hinter sich zu über-

wachen.

Goldmaske, einem Spiegel und einem Duftfläsch­

chen aus Blei beigesetzt war.

Ein Zentrum wie Tiwanaku belegt ohne Zweifel

eine entwickelte Gesellschaft. Eine solche Gemein­

schaft braucht eine Ideologie, eine allgemeinverbind­

liche Religion, ein Selbstverständnis oder wie immer

man gemeinschaftsstärkende Aktivitäten bezeichnen

will – aber muss sich ein solches Reich quasi naturge­

geben durch Expansionswut auszeichnen? Die ar­

chäologischen Belege für eine kriegerische Ausbrei­

tung Tiwanakus gibt es – zumindest bislang – nicht.

Und die anderen Indizien sind auch nicht gerade be­

tonhart: Der Fernhandel war überaus erfolgreich – er

muss nicht zwingend militärisch abgestützt worden

sein. Der „Stabgott“ taucht plötzlich in weiten Berei­

chen Perus auf – die Verbreitung einer einheitlichen

Religion muss aber ebenfalls nicht kriegerisch durch­

setzt worden sein.

Huari – das Diktat des rechten Winkels

Forsche Formulierungen machen misstrauisch, wie

diese: „In etwa demselben Zeitraum, in dem das

Tiwanaku­Reich die südlichen Anden dominierte,

setzte sich in der Bergregion Mittel­ und Südperus

ein rück sichtslos auf Expansion ausgerichteter Staat

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1 1 6 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 1 7t i W a n a K u u n D H u a r i – D i e e r s t e n i m p e r i a l i s t e n ?

durch. […] Die Ausdehnung erfolgte mit Waffen­

gewalt […]. Die drastische Entwicklung des Huari­

Imperialismus war eng verbunden mit den neuen

wirtschaftlichen Bedingungen, die durch das sprung­

hafte Wachstum der Hauptstadt zustande kamen.“

Das behauptet ohne näheren Beleg Claudio Cavat­

runci in dem optisch prächtigen Band „Peru. Die Inka

und ihre Vorläufer“ (s. „Mehr zum Thema“). Anita

Cook von der Katholischen Universität in Lima arbei­

tet archäologisch in Cerro Baúl, einer Huari­Enklave

mitten im Tiwanaku­Gebiet, und ist sich nicht so

sicher wie ihr italienischer Kollege: „Wir laufen wie

auf Eierschalen wegen der vielen neuen Fakten, die

so allmählich zutage treten.“

„Wir haben doch immer noch nicht die geringste

Idee über das Alltagsleben in der Huari­Zeit“, sekun­

diert Donna Nash, Archäologin am Field Museum in

Chicago. Seit zwei Jahren sucht sie in Cerro Baúl da­

nach und setzt der Cavatrunci­Meinung ein buntes

Puzzlesteinchen entgegen: Sie fand ausgeraubte Grä­

ber und einen Palast, zwei ethnisch verschiedene

Gruppen von Bewohnern und eine riesige Bierbraue­

rei, eine der ältesten der Andenregion – mitten in der

Fremde. Sie glaubt nicht an eine militärische Erobe­

rung und Unterdrückung in den Huari­Kolonien. Die

Huari waren ihrer Meinung nach viel flexibler und

banden die örtlichen Notablen mit einem Gemisch

aus Einschüchterung, sanfter Nötigung und Charme

in ihr Herrschaftsgebiet ein. Zu den Goodwill­Gesten

gehörten Gelage mit Bier und Rauschmitteln. Ein

letztes derartiges Fest fand offenbar direkt im Sud­

haus statt. Nachdem dort Unmengen Festbier produ­

ziert worden waren, trafen sich mindestens zwei

Dutzend einheimische und Huari­Herren. Jeder trank

aus einem eigenen kostbar bemalten Becher, mit der

letzten Neige wurden die Gefäße auf dem Boden

zerschmettert und die Brauerei angezündet. Kurz da­

nach wurde die ganze Stadt verlassen. So lesen die

Archäologen aus den Ruinen.

Die angeblichen Imperialisten hatten ihre Wur­

zeln im Ort Huari im Gebiet von Ayacucho. Die Stät­

te ist zwar archäologisch dokumentiert, steht aber

selten auf einem Besuchsprogramm, da sie nicht

mehr sehr anschaulich ist. Die antike Stadt platzte,

das lässt sich archäologisch nachweisen, zu einem

bestimmten Zeitpunkt aus allen Nähten, das Bevöl­

kerungswachstum erforderte neue Strategien für

Nahrungserwerb und Zusammenleben.

Im Handwerk laborierten die Huari erfolgreich

mit Innovationen in der Metallurgie, was sie zu den

besten Metallwerkern ihrer Zeit werden ließ. Sie pla­

nierten Straßen und waren Meister in der Anlage von

Terrassen und Bewässerungssystemen. Die Religion

übernahmen die Huari mit lokalen Attributen von

den Tiwanaku, mit denen sie eine Koexistenz aufgrund

einer gleich berechtigten Machtposition pflegten.

An der Architektur sind sie eindeutig dingfest

zu machen: Sie bauten grundsätzlich und strikt im

rechten Winkel. Dieses Baudogma finden die Archäo­

logen nun tatsächlich im 6./7. Jahrhundert n. Chr.

über all im mittleren und nördlichen Peru. Die Pyra­

midenarchitektur der Moche hatte ausgedient. Pikil­

lacta bei Cuzco, Viracochapampa in den Nordanden,

Chimú Capac im zentralandinen Supe­Tal und Cerro

Baúl im südlichen Moquegua­Tal sind archäologisch

eindeutig Huari­Siedlungen. Da wohnten, handelten,

verwalteten und herrschten ganz ohne Zweifel Leu ­

te aus Huari, sie prägten die Landstriche mit ihrer

Wirtschaft, Administration, Religion und Lebensart.

Daraus ist aber nicht abzulesen, dass dafür Krieger­

kolonnen unterwegs waren. Nur die Niederlassung

im Supe­Tal war befestigt.

Dies bleibt ein Mysterium der andinen Archäo­

logie: Es gibt Unmengen blutrünstiger Darstellungen

auf Keramik, Plastik, Wandgemälden und ­reliefs von

Tod, Opfer und Gewalt, aber es gibt bislang keinen

einzigen archäologischen Fingerzeig auf eine tatsäch­

liche kriegerische Konfrontation. Schlachtfelder sind

schwer zu finden. Richtig – aber Brandschichten in

Siedlungen wären klar nachzuweisen. Jeweils gegen

Ende einer Epoche wurden im Andengebiet wehr­

hafte Siedlungen gebaut. Richtig – aber eine Festung,

wie etwa Chanquillo (s. S.143), auf einer Anhöhe,

ohne Hinterland und Wasserversorgung war eher ein

virtuelles denn ein wirkliches Wehrwerk und hatte

vielleicht doch eine andere Funktion?

Bei den Tiwanaku und Huari sind noch zu viele

Fragen offen, um zu einer einigermaßen einver­

nehmlichen Darstellung ihres Lebens und Wirkens

zu kommen. Und wie rasant sich in der Archäologie

Kenntnisstand und damit Interpretationsmöglichkei­

ten ändern, lässt sich sehr schön am Beispiel Huari

ablesen: Die Spanier notierten zwar Tiwanaku, weil

die Inka ihnen von dem Ort im Altiplano als ihrem

mythischen Ursprungsplatz erzählt hatten. Huari

aber kam bei den Inka nicht vor, also auch nicht bei

den Spaniern. Bis in die vierziger Jahre des letzten

Jahrhunderts gab es Huari in der wissenschaftlichen

Diskussion nicht, das Phänomen lief unter dem Be­

griff „Küsten­Tiwanaku“ mit.

| Wo Technik nicht

viel gegen Natur aus-

richten kann, um die

Lebensbedingungen

zu verbessern, sind

Traditionen besonders

langlebig.

| Blick über den vertieften Hof von Tiwanaku mit seinen Stelen und Kopfplastiken

in der Wand hinauf auf den Eingang des Zentralheiligtums Kalasasaya mit dem

„Ponce-Monolithen“. Auch vor über 1000 Jahren wurde auf Wirkung hin gebaut.

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1 1 8 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 1 9s i c á n u n D c H i m ú – e i n e G l a n Z V o l l e r e n a i s s a n c e

|sicán und chimú –

eine glanzvolle renaissance

Der Niedergang der Tiwanaku und Huari als Hege­

monialmächte brachte – ähnlich wie beim Zerfall der

Chavín­Kultur – eine regionale Aufsplit terung, ein­

hergehend mit einer wirtschaftlichen und kulturellen

Stagnation vor allem im Süden und im Hochland, die

Urbanität ging verloren. Im Norden kam es mit der

Sicán­Lambayeque­Kultur zu einer kurzen, heftig

auflodernden Renaissance glanzvol ler Zeiten. Die

neue Idee von einem völkerübergrei fenden Imperi­

um, regiert von einer Zentrale, wurde zwar zunächst

verdrängt und verdeckt, aber sie war geboren und

nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Das bleibt das

Verdienst der Leute von Tiwanaku und Huari.

Einige Elemente der Huari übernahmen die

Kunst handwerker von Sicán; gepaart mit Motiven

der untergangenen Moche­Kultur schufen sie mit lo­

kalen Ideen und eigenem Stilempfinden eine unver­

wechselbare Ausdrucksform. Vor allem in der Metall­

verarbeitung erreichten sie einsame Meisterschaft.

Fast alles, was bei uns unter „Inka­Gold“ firmiert,

stammt von den Sicán­Kunsthandwerkern. Das wird

erst mit den fortschreiten den archäologischen Aus­

grabungen deutlich, die die Kostbarkeiten in und mit

ihrem Umfeld aufdecken. Die bisher bekannten Stü­

cke in Museen und aus dem Kunsthandel stammten

alle aus kontextlosen Raubgrabungen und wurden

mangels besseren Wissens den Inka zugeschlagen.

Die Sicán­Goldschmiede beherrschten verschiedene

Legierungen aus Gold, Silber und Kupfer und konn­

ten das Gold zu 0,07 mm dünnen Blechen hämmern,

die sie zu dreidimensional figural verzierten Masken

und Schmuckstücken verarbeiteten. Keramik war ih­

nen dagegen nicht so wichtig.

Der Beginn der Sicán­Kultur (nicht zu verwech­

seln mit der weiter südlich ansässigen und älteren

Sipán­Kultur!) wird um 750 n. Chr. angesetzt, ihm

folgt ab 900 n. Chr. die mittlere Periode, die Klassik.

Obwohl sich die Sicán­Kultur hauptsächlich im La­

Leche­Tal manifestiert, wird sie – nach dem benach­

barten Flusstal – auch Lambayeque­Kultur genannt.

Im heutigen „Archäologischen und Ökologischen

Reservat von Poma“ in der Region Batán Grande

klotzten die Sicán­Leute weit über 30 Plattformpyra­

miden ins Tal. Von Erosion und 50 Jahren Raubgräbe­

rei mit Bulldozern verunstaltet, bieten die künstli­

chen Berge heute einen traurigen Anblick, wenn sie

denn überhaupt noch als Bauwerke zu erkennen

sind. Die archäologische Stätte Sicán selbst zählt ein

Dutzend Pyramiden und war das Kultzentrum der

Region.

An der einst 40 m hohen Pyramide Huaca Loro

im Sicán­Komplex grub sich der japanische Archäo­

loge Izumi Shimada von der Southern Illinois Uni­

versity jahrelang durch Lehm und Sand; 20 „normale“

Gräber hatte er bis 1991 schon freigelegt. Auf der

Suche nach einer unberaubten Elitebestattung stu­

dierte er die Löcher der Grabräuber genau, redete mit

vielen der weiterhin tätigen „Huaqueros“ und kreiste

einen strategischen Punkt neben einem alten Raub­

schacht für seinen Versuch ein. Das sensationelle Er­

gebnis beschreibt er lapidar im Ausstellungskatalog

„Sicán – Ein Fürstengrab in Alt­Peru“ (s. „Mehr zum

Thema“): „Das Grab entging den huaqueros lediglich

um einen knappen Meter. […] Als Hauptbestattung

fand sich eine erwachsene männliche Person von ho­

hem Rang, die fast zwölf Meter unter dem heutigen

Gehhorizont niedergelegt worden war. Der Körper

lag ungefähr in der Mitte des vertikalen Schachts […].

Das Skelett war von rund 1,2 Tonnen Grabbeigaben

[…] umgeben.“ Izumi Shimada hatte den „Lord von

Sicán“ gefunden. 1,2 Tonnen sind 1200 Kilogramm,

so viel wie ein großes Mittelklasseauto.

Der Mann war etwa 50 Jahre alt, wurde von

zwei Frauen und zwei Knaben in die andere Welt be­

gleitet und lag in einer seltsamen Haltung in der Gru­

be: mit angezogenen Beinen, dem Kopf nach unten,

aber einem um 180 Grad wieder nach oben gedreh­

ten Gesicht mit Goldmaske. Auf den Mantel, in den

er eingehüllt wurde, waren 2000 kleine Goldplätt­

chen aufgenäht – eine nervenaufreibende Fummelar­

beit, die zu bergen. Die Aufzählung der Grabbei­

gaben geht über mehrere Seiten, hier nur noch ein

Detail: Die Brust des Toten war bedeckt mit einer

10 cm dicken Schicht kleiner Perlen. Der daraus ab­

zuleitende Brustschmuck bestand aus Türkis, So ­

dalit, Amethyst, Quarzkristall, rosafarbenem Kalzit,

weißem und blassgrünem Fluorit, rötlich braunem

Achat, Bernstein und Spondylusmuscheln – welch

ein Anblick bei Lebzeiten!

Seither hat der mit einer peruanischen Verdienst­

medaille geehrte Archäologie­Professor weitere Grä­

ber, darunter auch weibliche Elitebestattungen, frei­

gelegt und unter anderem erstmals mehrere mit der

Sicán­Gottheit geschmückte Opfermesser (tumi) ans

Licht der Neuzeit gefördert. Vor allem aber glaubt er

mit seinen Funden an der Huaca Loro nachweisen

zu können, dass die Pyramide nachträglich über al ­

len Gräbern errichtet wurde. In Walter Alvas Huaca

Rajada in Sipán sind die verschiedenen Be stattungen

vermutlich nachträglich in die bestehende Lehmzie­

gelplattform eingetieft worden. Hier, bei der Huaca

Loro, wurde die Adobe­Pyramide wie ein riesiger

Grabstein über die Beerdigungsschächte gebaut – ein

Hinweis auf einen starken Ahnenkult, so Izumi

Shimada. Mindestens 20­mal kamen Einwohner und

Pilger hierher, feierten mit ihren Ahnen und brachten

Opfergaben.

Irgendwann während oder nach einer 30­jähri­

gen Dürreperiode, die 1020 n. Chr. begann, wurden

die Tempel auf den Huacas in Sicán niedergebrannt.

Der „Lord von Sicán“ und seine Gefolgsleute hat ­

ten ihre Aufgabe, Übel abzuwehren, nicht erfüllt.

Die Wohnsiedlungen blieben bestehen. Abrupt ver­

schwand auch die Darstellung des zentralen Sicán­

Gottes. Mehrere verheerende El Niños besorgten

dann wohl den Rest. Um 1100 n. Chr. verlagerten

sich die Aktivitäten der Sicán­Kultur ins 5 km west­

lich gelegene Túcume. Dort sind insgesamt über zwei

Dutzend heilige Pyramiden angesiedelt, die größte

Dichte in der Region. Doch auch hier haben Wind,

Wetter und Schatzsucher gewütet. Die einst sicher

| Rückgriff auf glanzvolle Zeiten: Die Sicán-Künstler mischten wie bei dieser pracht-

vollen Maske mit aufwendigem Kopfputz Moche-Elemente mit eigenem Stilempfinden.

| Die Kunst der

Goldschmiede erreich-

te bei den Sicán und

Chimú einen ein-

samen Höhepunkt,

fast alles was unter

„Inka-Gold“ firmiert,

stammt von ihnen.

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1 2 0 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 2 1s i c á n u n D c H i m ú – e i n e G l a n Z V o l l e r e n a i s s a n c e

imposanten Gebäude sind nur noch riesige, aber

klägliche Haufen.

Am Cerro La Raya, dem Hausberg von Túcume,

liegt die zerfließende Ruine Huaca Larga. Mit ihren

700 m × 280 m ist sie der größte Lehmziegelkomplex

Nordperus – doppelt so lang wie die Huaca del Sol

und auch noch um einiges breiter. Der Besucher kann

sie sich von ferne ansehen, näherer Zutritt ist verbo­

ten. Auch Nachrichten über archäologische Arbeiten

dringen nicht an die Öffentlichkeit, offizielle Infor­

mationen im Internet oder zum Mitnehmen in Form

von Broschüren oder Berichten gibt es ebenfalls nicht.

Seit 2004 soll es einen privaten Sponsor für die Stätte

geben, was in Peru immer ein Hoffnungsschimmer

dafür ist, dass sich tatsächlich etwas tut. Aber ein

Masterplan zur Rettung der Anlage ist bislang nicht

bekannt geworden. Es ist für den neugierigen Besu­

cher überaus frustrierend zu sehen, wie hier ein gro­

ßes Erbe schmählich vertan wird. Man möchte doch

wissen, was es mit diesem nun wirklich gigantischen

„Gebäude“ auf sich hat, welchen Zweck erfüllte es,

was passierte dort? Und was soll mit dem antiken

Erbstück geschehen?

Nach den Sicán­Leuten nutzten die Chimú­Er­

oberer das Túcume­Gelände und bauten es um. Auch

die Inka waren da. Und die Spanier sollen auf den

Plattformen riesige Feuer entfacht haben, um die

heidnischen Tempel zu zerstören und den Anwoh­

nern klarzumachen, dass sich hier tatsächlich der

Eingang zum Fegefeuer befand, wie der indigene Na­

me „Purgutario“ nahelegte.

Die aktuellen archäologischen Nachrichten kom­

men aus dem Nachbartal Lambayeque. Dafür sprin­

gen wir auch noch einmal rund 300 Jahre, zum Be­

ginn der Sicán­Kultur, zurück. Denn im Kultkomplex

Huaca Chotuna, dem ältesten im Sicán­Herzland,

so meldet Carlos Wester, gibt es nicht nur farbige

Wandgemälde von Opferungen und neuerdings eine

reale Opferstätte von 33 Frauen, sondern auch den

heiligen Tempel des Naymlab. Der peruanische Ar­

chäologe und Direktor des Brüning­Museums in

Lam beyeque: „Rund 100 Jahre hatten Archäologen

das Ziel, die mögliche Verbindung zwischen Legende

und archäologischem Befund zu finden.“ Er ist über­

zeugt, mit seiner Ausgrabung diesen direkten Bezug

zur mythischen Gründerfigur der Sicán­Kultur her­

gestellt zu haben. Nach dem Mythos kam am Ende

der Moche­Periode ein überaus prächtig gekleideter

Fremder auf einem Floß, mit viel Gefolge übers Meer

an die Gestade und errichtete das Reich von Sicán. Er

und seine Söhne bauten viele Pyramiden und mach­

ten Landstrich und Leute reich und mächtig. Die Fi­

gur auf dem tumi, dem Opfermesser aus den Sicán­

Elitegräbern, soll nicht nur den obersten Gott Sicáns,

sondern auch den ersten König darstellen.

Die schon in den achtziger Jahren des letzten

Jahr hunderts teilweise freigelegten frappierenden

Fres ken in der Huaca Chotuna waren für Carlos Wes­

ter und seine 50 Männer der Wegweiser, dem sie

während ihrer achtmonatigen Grabung folgten. Mit

nur kleinem Grabungsgerät schaufelten sie vorsich ­

tig den Dünensand fort und stießen schon bald auf

klare Mauerstrukturen und Holzbalken. „Einige Me­

ter darunter“, berichtet Wester, „fanden wir einen

Thron in allerbestem Zustand, ganz dicht an der

Pyramide. Der wurde mit Sicherheit benutzt von je­

mandem, der die politische, religiöse oder militäri­

sche Macht seiner Zeit verkörperte.“ Bernd Schmelz,

Wissenschaftlicher Leiter im Museum für Völkerkun­

de Hamburg, ist vor Jahren für das ZDF dem Mythos

nachgegangen (s. „Mehr zum Thema“) und bekräf­

tigt auf Nachfrage: „Der Mythos hat sicher einen real

historischen Hintergrund. Und die archäologischen

Nachrichten dazu verdichten sich ja zusehends.“

Jetzt fehlt nur noch das Grab des Naymlab – und

Peru steht Kopf.

chimú – die letzten vor den inka

Einen mythischen Urkönig hatten auch die Chimú.

Der hieß Taycanamo, kam auf einem Balsa­Floß

übers Meer und begründete in Chimor im Moche­Tal

eine stolze Dynastie. Das Grundmuster ist also das

gleiche: Edler Mann von außerhalb bringt Kultur in

unterentwickeltes Land. So schildern es auch die spa­

nischen Quellen. Allerdings beruhen diese einige

Jahrhunderte später aufgezeichneten Beschreibungen

allein auf den Berichten der Inka, die sich ja ei ­

nen ähnlichen Kulturauftrag gezimmert hatten. Wie

weit hier dynastische Selbstüberhöhungspropaganda

das gewollte Bild prägt, kann nicht abschließend

| Ein typisches

Sicán-Ritualmesser

mit dem Abbild eines

Gottes oder des

Herrschers.

| Der Riesenkom-

plex von Túcume mit

zwei Dutzend Tempel-

pyramiden war das

Rückzugsgebiet der

Sicán-Kultur. Dem

Areal droht der aber-

malige Untergang

durch moderne Bebau-

ung und fehlende

Schutz maßnahmen.

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1 2 2 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 2 3s i c á n u n D c H i m ú – e i n e G l a n Z V o l l e r e n a i s s a n c e

entschieden werden. Viele Wissenschaftler weisen

zum Beispiel auf die kulturelle Kontinuität im Mo­

che­Tal hin: In Keramik, Ikonographie und Architek­

tur gibt es nach den archäologischen Funden so viele

Ähnlichkeiten, dass manche das „späte Moche“ als

„frühes Chimú“ bezeichnen. Die Chimú­Kultur wäre

demnach eine zeitverzögerte Anknüpfung an die

glanzvollen Moche­Zeiten. Ein möglicher, ebenfalls

diskutierter Einfluss der expansiven Huari­Kultur auf

die Chimú wird nach der momentanen Lesart als

eher marginal angesehen.

Wie dem auch sei: Um 1250 n. Chr. etablierte

sich an der Nordküste mit den Chimú – zunächst auf

den Raum Trujillo beschränkt – eine neue Macht.

Ihre beiden heute unübersehbaren Manifestationen

sind die Festung Paramonga und die Hauptstadt Chan

Chan. Beide gehören zum touristischen Muss und

lohnen durchaus einen Besuch. Paramonga markiert

den südlichsten Punkt des Chimú­Reiches, im Nor­

den reichte das Einflussgebiet weit über Chan Chan

hinaus bis nach Ecuador.

Die etwas zu glatt restaurierte, hoch aufragende

Lehmziegelfestung Paramonga liegt 140 km nördlich

von Lima und besticht nicht nur durch die Wucht des

Baukörpers, sondern auch – wenn man denn hinauf­

gestiegen ist – durch den Blick auf das nahe Meer,

beinahe scheint es den Fuß der Festung zu um­

spülen.

Die wichtigere und größere Anlage ist das eben­

falls am Meer gelegene Konglomerat Chan Chan im

Norden. Das ganze Ausmaß der Stadt erschließt sich

allein im Luftbild – 6 km2 lassen sich am Boden nicht

verifizieren, zumal bis zu 10 m hohe Mauern den

Blick einengen. Die Stadt besteht aus zehn ummau­

erten und in sich abgeschlossenen Arealen. Diese

„Palast“ oder auch „Zitadelle“ genannten Komplexe

dehnen sich jeweils auf 300 bis 600 m Länge und 200

bis 500 m Breite. Sie haben einen großen repräsen­

tativen Eingangshof, in dem man sich gut offizielle Empfänge und Zeremonien vorstellen kann. Ein Ge­

wirr von Straßen führt labyrinthartig ins Palast innere

mit Brunnen, Höfen, Wasserreservoir, Küchenhöfen,

„Vorratskammern“, Audienzräumen und Bestat­

tungsplattform. Verengte Gänge, schmal wie Ein­

bahngassen, verbinden die einzelnen Teile. Sie sind

offensichtlich so angelegt, dass Unberufene in die Ir­

re geführt werden, manche enden blind vor einer

Mauer.

Diese Anlage kann man sich fußermüdend und

staubig im für den Tourismus hergerichteten „Tschu­

di­Palast“ erlaufen; die flächigen Lehmreliefs und die

windfangenden Lochmauern lockern das gelb­braune

Einerlei der Mauern und Podeste auf. Die Lehm reliefs

in Chan Chan dienten hauptsächlich als Baudekora­

tion und hatten nicht mehr die dämonisch­rituelle

Bedeutung wie in der Moche­Zeit. Ihre Motive sind

kühl und geometrisch oder entstammen dem mari­

nen Umfeld – also Fische, Krebse, Spondylusmu­

scheln und Vögel. Es macht Spaß, die kleinen Figuren

in den Winkeln des Mauerwerks aufzuspüren.

Ein Teil der Residenz ist inzwischen unter

Schutz dächern gesichert, die Lehmarchitektur aber

bleibt höchst anfällig. Vermutlich ist das 6 km2 um­

fassende Chan Chan, seit 1986 Weltkulturerbe, auf

Dauer nicht zu retten, die Stätte steht auf der Roten

Liste des gefährdeten Welterbes. Der El Niño von

2009 hat wieder so viel zerstört, dass die Restaurie­

rungstrupps trotz beträchtlicher finanzieller Mittel

nicht Schritt halten können. Dabei stellte ein zufälli­

ger Fund – durch El Niño freigelegt – handfest unter

Beweis, dass Chan Chan noch lange nicht erforscht

ist: In einer Mauer kamen mehrere gut erhaltene

Holzfiguren zum Vorschein, die in ihrer Art einzig­

artig sind. Sie sind knapp 1 m groß, mehrfarbig be­

malt und hielten Spondylusmuscheln in den Händen.

Damit heben sie sich von den sonst üblichen, waf­

fentragenden Wächterfiguren der Anlage ab. Ihre

Nasen und die Muscheln wurden bewusst zerschla­

gen, sicherlich ein angeordneter Akt der Zerstörung

und Verdammnis.

Die Paläste wurden zeitlich nacheinander und

aneinander gebaut, was der Interpretation entspricht,

dass sie Residenz jeweils eines Königs gewesen sind.

Nach dem Tod des Herrschers ließ sich der Nachfol­

ger sein eigenes Palastareal einrichten, die alte Resi­

denz blieb als Gesamtkomplex und Wirtschaftsein­

heit erhalten und wurde als gigantischer Ahnenschrein

gepflegt. Ähnliches finden wir später bei den Inka in

Cuzco wieder.

| Kurz vor den Toren Limas errichteten die Chimú ihre Festung Paramonga als

südlichsten Punkt ihrer Expansion; im Norden reichte ihr Reichsgebiet bis nach Süd-

ecuador. Die Inka griffen auf viele Errungenschaften der Chimú zurück, etwa auf

deren Straßennetz.

| Die ausgedehnte

Chimú-Hauptstadt

Chan Chan mit ihrer

Lehmziegelarchitektur

ist trotz neuer Schutz-

dächer kaum zu ret-

ten. Letztens hat El

Niño wieder schwere

Schäden angerichtet.

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1 2 4 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 2 5s i c á n u n D c H i m ú – e i n e G l a n Z V o l l e r e n a i s s a n c e

Generell wandelt sich die Chimú­Architektur

von der hoch aufstrebenden Bauweise der Moche­

Kultur zu flächig ausgedehnten Anlagen. Die Moche­

Pyramiden dienten dem Kult, die Chimú­Paläste

offensichtlich administrativ­herrschaftlichen Zwe­

cken. Die Umfassungsmauern in Chan Chan ver­

sperrten den Blick auf wichtige Bauten und die Akti­

vitäten, die dort zelebriert wurden: „Die da unten“

hatten keinen Einblick mehr in das, was „die da

oben“ ta ten – eine Absonderung, wie wir sie schon

beim Umbau in Sechín Bajo zweieinhalbtausend

Jahre zuvor kennengelernt haben.

Nach den Spanier­Inka­Berichten gab es bis zur

Eroberung durch die Inka elf Chimú­Könige, danach

bis in die spanische Zeit noch einmal zehn. Die Wis­

senschaft hat diese 21 Herrscher noch nicht eindeu ­

tig nachweisen können. Der Chronist Cieza de León

charakterisiert sie unvorteilhaft: „Die Herren waren

sehr lasterhaft und Freunde des Vergnügens; sie lie­

ßen sich auf den Schultern ihrer Vasallen tragen. Sie

besaßen viele Frauen und waren reich an Gold, Sil­

ber, Edelsteinen, Kleidung und Vieh. Sie umgaben

sich mit Pomp; ihnen gingen Gaukler und Spaßma­

cher voran. Sie hatten viele Religionen.“ Den immen­

sen Reichtum der Chan­Chan­Könige illustriert der

Bericht des Spaniers Garci­Gutiérrez de Toledo, der

aus einer kleinen Chan­Chan­Pyramide immense

Schätze holte, allein das Gold brachte 500 Kilo ­

gramm auf die Waage. Die Chimú­Könige wurden

innerhalb ihres Palastareals bestattet. Da die Gräber

allesamt ausgeraubt sind, kann über die Ausstattung

nichts mehr gesagt werden. Übrig ließen die Grab­

räuber die Überreste der mitbestatteten jungen Frau­

en, die dem Toten reichgeschmückt ins andere Leben

folgen mussten.

Im weiteren Umkreis der Palastanlagen lebte

und arbeitete das Volk in schlichten Behausungen,

die mühsam nachzuweisen sind. Durch den Anbau

von Mais, Kürbis, Erdnuss, Obst und Bohnen sorgte

es für die landwirtschaftlichen Grundlagen des Staa­

tes. Die ausgedehnten Anbauflächen wurden durch

ein weitverzweigtes Bewässerungssystem fruchtbar

gehalten. Die Kanäle waren bis zu 4 m tief und 6 m

breit, Bodensenken wurden mit bis zu 18 m hohen

Aufschüttungen überbrückt. Ein Kanal leitete über

70 km Wasser aus dem Chicama­ ins Moche­Tal. In

der Metallurgie waren die Chimú­Handwerker offen­

bar so herausragend, dass zum Beispiel ihre Gold­

schmiede um 1470 nach der Eroberung durch die

Inka nach Cuzco deportiert wurden. In den Zitadel­

len legten nun Bauern ihre Gärten an, die pflege ­

in tensiven Bewässerungskanäle verfielen, Chan Chan

wurde kurz nach Ankunft der Spanier endgültig auf­

gegeben, die Region versandete.

Rund 200 Jahre zuvor hatten die Chimú nach der

Stabilisierung ihrer Herrschaft in Chan Chan mit der

Eroberung der umliegenden Täler begonnen. Da es

aus dieser Zeit keine schriftlichen Nachrichten gibt,

rekonstruieren die Wissenschaftler die imperiale Aus­

dehnung der Chimú aus einer Zusammenschau frü­

her spanischer Aufzeichnungen und archäologischer

Befunde. Demnach gab es zwei Expansionswellen:

eine nach Norden bis an die ecuadorianische Gren ­

ze und eine nach Süden bis vor die Tore Limas. Die

erste Welle soll militärisch, die zweite eher mit

Droh gebärden erfolgt sein. Die Zentralgewalt lag in

Chan Chan. Mit einem Netz von Verwaltungszent­

ren wurden die einverleibten Regionen kontrolliert.

Dort über nahmen Chimú­„Beamte“ die Administra­

tion oder lokale Fürsten als Vasallen Chan Chans.

Für die „diplomatische Eroberung“ zumindest des

Südens spricht, dass die dortigen Völker die Chimú

in ihrem späteren Kampf gegen die Inka unterstütz­

ten. Für fast 200 Jahre war das Chimú­Imperium

das größte frühgeschichtliche Staatswesen Perus und

Chan Chan mit geschätzten 60 000 Einwohnern die

größte Stadt ihrer Zeit.

Über Gründe der Chimú­Expansion wird an­

haltend diskutiert, zwei Theorien stehen nebenein­

an der: Zum einen sollen heftige El Niños die Land­

wirt schaft und ihre (Bewässerungs­)Installationen

mehrfach und so schwer geschädigt haben, dass eine

Reparatur nicht mehr möglich war. Dadurch seien

die Chimú gezwungen worden, neues Land, neue

Ressourcen und zusätzliche Arbeitskräfte zu gewin­

nen – wie auch immer. Die andere Fraktion sieht

die Erbteilung als Ursache: Die Schätze des verstor­

be nen Königs blieben weiterhin sein Eigentum und

wurden für Kult und Unterhalt in seinem Palast ver­

wahrt. Deshalb musste sich der neue Herrscher durch

Kriegs züge seinen eigenen Reichtum schaffen – oh ­

ne den auch er keine Gefolgsleute um sich scharen

konnte. Eine erfolgreiche Expansionspolitik war da­

für das einzige Mittel.

Auch bei den Chimú gilt wie bei den Huari und

Tiwanaku­Leuten: Es gibt keine eindeutigen archäo­

logischen Belege für Kriege, auch wenn die meisten

Chronisten von grausamen Kämpfen berichten. Er­

bittert waren die Kämpfe zwischen den Chimú und

den aufstrebenden Inka. Die Leute aus dem Hoch­

land um Cuzco siegten, 1470 wurde der letzte Chi­

mú­Herrscher nach Cuzco gebracht, wo er mit einer

Tochter des Inka verheiratet wurde. Die Inka plün­

derten Stadt und Land und siedelten viele der Be­

wohner in andere Regionen ihres Reiches um – der

Imperialismus war tatsächlich in den Anden ange­

kommen. Das letzte Kapitel der vorspanischen Ge­

schichte Perus begann.

| Chan Chan ist für Überraschungen gut: Kürzlich spülten

heftige Regenfälle bislang völlig unbekannte Holzfiguren in

Wandnischen frei.

| Gefällig rekonstruierte Torsituation in Chan Chan mit Wächterfiguren.

| Die Motive der

Wandreliefs und Bau-

dekorationen in Chan

Chan stammen aus

dem marinen Umfeld:

Vögel, Fische, Krebse,

Muscheln – es wird

fleißig restauriert.