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Beit Jala /besetztes palästinensisches West-Jordanland. Cremisan ist Palästinas Italien am Rande von Bethlehems Nachbarstadt Beit Jala. Hier, auf etwa 900 Höhenmetern erwartet Amer Kardosh die Gruppe aus Bayern, die sich schon Wochen zuvor via E-Mail angekündigt hat. Seit dem Tod von Pater Luciano ist er sozusagen der Öffentlichkeitsreferent. Schon ist er samt seinem Kollegen Ibrahim zur Stelle und begrüßt die knapp 30 Pilger auf Arabisch und Englisch. Die beiden Palästinenser möchten die Weinprobe im Freien beginnen – mit Blick über die Terrassen, das Tal und die israelisch-jüdische Siedlung Gilo. Wein aus Palästina Die Salesianer Don Boscos produzieren dank italienischer Entwicklungshilfe ganz neue Weine Der Öffentlichkeitsreferent zeigt zuerst auf den Weinkeller und einen kleinen Weinberg, macht dann eine ausholende Armbewegung und erklärt: „Dieses ganze Gebiet, auch das letzte Stück, das Sie im Bus gefahren sind, wird durch den Mauerbau von Beit Jala ab- geschnitten werden.“ Etwas betreten ob dieser Worte betreten die Touristen den Verkostungsraum, einen ehemaligen Stall. Amer Kardosh erklärt zunächst Grund- sätzliches: Dass man im Winter das Regenwasser in Zisternen auffange, um damit in den heißen Sommern die Wein- stöcke zu wässern. Dann kommt der geschichtliche Teil: Der Name Cremi- san kommt von der Traubensorte Zani, die bis heute zwischen Bethlehem und Hebron angebaut wird. Cremisan heißt also Weinberg von Zani-Trauben. Da die klostereigenen Weinberge in Beit Jala und Beit Jemal (zwischen Jerusa- lem und Tel Aviv) nicht ausreichen, ist man schon immer zum Zukauf von Trauben gezwungen gewesen. Dabouki – eine einzigartige Rebsorte „Nun werden wir einen orientalischen, ja einen palästinensischen Wein verkos- ten“, leitet Amer Kardosh zur Weinprobe über, zu der er eigens aus dem über 150 Kilometer entfernten Nazareth an- gereist ist. „Er heißt Dabouki, das ist der arabische Name der Rebsorte. Wir haben sie an einer italienischen Univer- sität untersuchen lassen. Herauskam, dass die DNA der Rebe sich von allen anderen erheblich unterscheidet, sie ist einzigartig.“

Wein aus Palästina - Wein aus Cremisan · Ibrahim, der in der Verwaltung des Wein-guts arbeitet. „Es geht langsam bergauf“, ... E inP roz sb ach tu Ö - r e ich ,d nNam t w

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Page 1: Wein aus Palästina - Wein aus Cremisan · Ibrahim, der in der Verwaltung des Wein-guts arbeitet. „Es geht langsam bergauf“, ... E inP roz sb ach tu Ö - r e ich ,d nNam t w

Beit Jala/besetztes palästinensisches West-Jordanland. Cremisan ist Palästinas Italien am Rande von Bethlehems Nachbarstadt Beit Jala.

Hier, auf etwa 900 Höhenmetern erwartet Amer Kardosh die Gruppe aus Bayern, die sich schon Wochen zuvor via E-Mail angekündigt hat. Seit dem Tod von Pater Luciano ist er sozusagen der Öffentlichkeitsreferent. Schon ist er samt seinem Kollegen Ibrahim

zur Stelle und begrüßt die knapp 30 Pilger auf Arabisch und Englisch. Die beiden Palästinenser möchten die Weinprobe im Freien beginnen – mit Blick über

die Terrassen, das Tal und die israelisch-jüdische Siedlung Gilo.

Wein aus PalästinaDie Salesianer Don Boscos

produzieren dank italienischer Entwicklungshilfe ganz neue Weine

Der Öffentlichkeitsreferent zeigt zuerstauf den Weinkeller und einen kleinenWeinberg, macht dann eine ausholendeArmbewegung und erklärt: „Diesesganze Gebiet, auch das letzte Stück,das Sie im Bus gefahren sind, wirddurch den Mauerbau von Beit Jala ab-geschnitten werden.“ Etwas betretenob dieser Worte betreten die Touristenden Verkostungsraum, einen ehemaligenStall.

Amer Kardosh erklärt zunächst Grund-sätzliches: Dass man im Winter dasRegenwasser in Zisternen auffange, umdamit in den heißen Sommern die Wein -stöcke zu wässern. Dann kommt dergeschichtliche Teil: Der Name Cremi-san kommt von der Traubensorte Zani,die bis heute zwischen Bethlehem undHebron angebaut wird. Cremisan heißtalso Weinberg von Zani-Trauben. Dadie klostereigenen Weinberge in BeitJala und Beit Jemal (zwischen Jerusa-lem und Tel Aviv) nicht ausreichen, istman schon immer zum Zukauf vonTrauben gezwungen gewesen.

Dabouki – eine einzigartige Rebsorte

„Nun werden wir einen orientalischen,ja einen palästinensischen Wein verkos -ten“, leitet Amer Kardosh zur Weinprobeüber, zu der er eigens aus dem über150 Kilometer entfernten Nazareth an-gereist ist. „Er heißt Dabouki, das istder arabische Name der Rebsorte. Wirhaben sie an einer italienischen Univer-sität untersuchen lassen. Herauskam,dass die DNA der Rebe sich von allenanderen erheblich unterscheidet, sie isteinzigartig.“

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Schon vernimmt die Gruppe ein Plopp –die Flasche eines 2011er-Dabouki istentkorkt. Während Kollege Ibrahim aus-schenkt, erklärt Amer Kardosh, dass esin Palästina keinen Unterschied zwischen Wein- und Tafeltrauben gebe.Das heißt: Alle Trauben für die Wein -vergärung eignen sich bestens zum Ver-zehr und werden auf dem Markt angeboten. „Itfaddal“ – bitte sehr, mitdiesem Wort reichen die beiden Pa -läs tinenser die ersten Gläser. „Bitte rie-chen Sie zuerst!“, sagt Amer Kardosh.Ein Deutscher möchte gleich wissen,wie „zum Wohl“ auf Arabisch heißt:„Kasak“ (Dein Glas) oder „SaHtak“ lau-tet die Antwort.

Diesen und auch den nächsten Weinhat man erst seit drei Jahren im Sorti-ment. Sie sind Kreationen von WinzerAndrea, der Pater Ermenegildo nach40-jähriger Tätigkeit ablöste und quasials italienischer Wein-Entwicklungs -helfer in Cremisan mitarbeitete; mittler-weile ist bereits Andreas Nachfolger vorOrt. „Drei Jahre sind im Wein geschäftgar nichts. Wir sind also noch in derTestphase“, gesteht Amer Kardosh undwünscht sich daher Rückmeldungenund Urteile.

Im anschließenden Gespräch kommtzwangsläufig die Vergangenheit zurSprache und damit der israelisch-paläs -tinensische Konflikt. In den „goldenenZeiten produzierten wir eine halbe Milli-on Flaschen im Jahr.“ Das waren die1990er-Jahre.

Dann brach im September 2000 die 2. Intifada aus, der zweite Palästinen -ser aufstand. Die Herstellung sackte auf jährlich 200 000 Flaschen ab. Die Gründe waren Straßensperren, Aus-gangssperren, Beschuss mit der Folge,dass Israelis nicht mehr in palästinen -s isches Gebiet fahren durften. Vorherdagegen war man in Cremisan an der-art lange israelische Autokolonnen amSchabbat (Samstag) gewöhnt, dassman mit den Einnahmen eines einzigenSamstags die Löhne für eine ganzeWoche ausbezahlen konnte. Werdendiese Zeiten zurückkommen?

Langsam geht es bergauf

„Jetzt sind wir mittendrin in der Revolu-tion.“ Mit diesen Worten springt AmerKardosh in die Jetztzeit. Mit Revolutionmeint er die radikale Neuausrichtungund Modernisierung der Weinkellereiund Produktion, die Neubepflanzungder Weinberge und vor allem die Tatsa-che, dass erstmals in der GeschichteCremisans keine Kleriker, sondernLaien Wein herstellen. Letztere kamenauch auf die Idee der Weinverkostungen,auch das ein Novum.

„Die Kleriker waren nicht bereit, Grup-pen zu empfangen“, erklärt Amer Kar-dosh. Er und seine Kollegen leisteten

Überzeugungsarbeit – mit Erfolg. Etwazwei bis drei Gruppen pro Monat habeman im letzten Jahr zu Gast gehabt,darunter viele deutsche. Diese werden,so glaubt Amer Kardosh, via Mund -propaganda Cremisan bekannt machenund den Weinverkauf weiter ankurbeln.

Mittlerweile ist die Jahresproduktion auf280 000 Flaschen hochgeklettert, weißIbrahim, der in der Verwaltung des Wein -guts arbeitet. „Es geht langsam bergauf“,versichert sein Kollege, wobei sich wieüberall in der Welt der Rotwein besserverkaufe als der Weiße. In Cremisan ist

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„Langsam geht der Absatz wieder nach oben“, freuen sich Amer Kardosh (links) und sein Kollege Ibrahim.

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das Verhältnis etwa 80 zu 20. „Wein be-deutet für die Menschen hier automa-tisch Rotwein.“ In Israel und Palästinatrinke man übrigens im Sommer eherBier und Cola. Mit entsprechenden Veranstaltungen will man dem entge-genwirken.

Nun wartet der zweite Wein, auch er einweißer, auf die Besuchergruppe: einHamdani Jandali mit 13 Prozent Alkohol– eine Cuvée-Kreation. „Sie werden denUnterschied zum ersten gleich schme -cken“, prophezeit Amer Kardosh. DerWein erntet nicht nur anerkennendesNicken, sondern auch hörbares Lob.„Die Cremisan-Weine sind edler gewor-

den“, meint einer, der sich offenbar aus-kennt. Kein Wunder, dass sich dieserWein von allen Cremisan-Weinen ambesten verkauft.

„Welchen der beiden Weine bevorzugenFrauen?“ lautet die Frage ins Publikum.„Den zweiten”, meinen einige Frauen.Der Öffentlichkeitsmann stimmt zu undnennt gleich den Grund: „Wegen desZuckergehaltes von vier Gramm proLiter.“ Ob Muslime in Palästina auchWein trinken, möchte ein Tourist wissen.„Ja, aber nicht vor anderen.“ HerzhaftesLachen macht sich breit. Die Stimmungim Verkostungsraum ist längst heitergeworden.

Die dritte Rebsorte Baladi bedeutet einheimisch, lokal. Wieder bittet AmerKardosh um eine Riechprobe. Frage ausdem Publikum: „Lagern Sie in Eichen-fässern?“ Nein lautet die Antwort. Dassei nicht der italienische Stil, der Weinreift vielmehr in Stahlfässern. Zu guterLetzt wird der Cabernet Sauvignon kredenzt. Amer Kardosh sagt dazu nur,der schmecke je nach Region unter-schiedlich. Dann preist er ein weiteresCremisanerzeugnis an, den „einzigar -tigen Brandy, der 20 bis 25 Jahre in Eichenfässern“ reift.

Vom Erlös aus dem Weinverkauf wird auch die Technische Schule der Salesianer betrieben.

Cremisan ist Palästinas Italien am Rande von Betlehems Nachbarstadt Beit Jala.

Gegenwärtig befindet sich das Weingutin einer radikalen Neuausrichtung. Die ersten Weine von Winzer Andrea, der Pater Ermenegildo nach 40-jährigerTätigkeit ablöste, sind seit einiger Zeit im Handel.

Ein „größeres Problem“ – und nun ist man wieder beim Konflikt – nenntAmer Kardosh die eingeschränkte „Be-wegungsfreiheit des Weines“ aufgrundvon israelischen Armeekontrollpunktenund Straßensperren. Deshalb habe manein Lager in Nazareth eingerichtet, umbei einer Abriegelung der palästinen -sischen Gebiete weiterhin den isra -elischen Markt beliefern und ins Aus-land exportieren zu können. Zeitweisekamen selbst christliche Gästehäuser inJerusalems Altstadt, keine zehn Kilo-meter entfernt, nicht an den Wein ausCremisan und boten deshalb südame -rikanischen an.

Israelische Trennmauer

Weiteres Bauchweh bringt nun die israelische Trennmauer mit sich. Siewird voraussichtlich durch das Geländeder Salesianer verlaufen und Cremisanvon einem benachbarten Frauenkonventsowie von Beit Jala und Bethlehem abtrennen. Palästinensische Familienwerden dadurch ihr Land verlieren.

FAZ-Korrespondent Hans-Christian Röß -ler schrieb am 11. Februar 2013 in seinem Beitrag „Eine Mauer zwischen

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Klöstern“: „Das Land von fast 60 in derMehrzahl christlichen Familien wirdnach dem Bau der Sperranlage auf derisraelischen Seite liegen.“ Dann wäredie weitere Existenz der Don Bosco-Schule der Salesianerinnen ebenso ge-fährdet wie die traditionelle Prozession,die alljährlich im Mai zu Ehren der Gottesmutter Maria von Cremisan nachBeit Jala führt.

Mehr als die Hälfte der Olivenbäumevon Beit Jala stehen im Cremisantal,das Öl gilt als eines der feinsten in ganzPalästina. Nachdem der Ort bereits vorJahrzehnten fast 70 Prozent seinesLandes für die Errichtung der israelisch-jüdischen Siedlungen Gilo und Har Giloverloren hat, wäre ein weiterer Land -verlust quasi der Todesstoß.

Um auf ihre Lage aufmerksam zu ma-chen, feiern die einheimischen ChristenBeit Jalas mit ihrem römisch-katholi-schen Pfarrer Ibrahim Shomali seit übereinem Jahr jeden Freitag eine Messe im Cremisantal. „Sollen die Israelis dieMauer doch auf ihrem Gebiet errichten.Diese Grundstücke gehören Christen“,sagt Pfarrer Shomali in der FrankfurterAllgemeinen Zeitung. Er selbst nimmtder israelischen Regierung den Sicher-heitsaspekt in diesem Fall nicht ab. Er und viele andere, darunter AnwaltGhiath Nasser, befürchten, dass Gilound Har Gilo ausgebaut werden sollen,sodass sie eines Tages zusammen-wachsen. Andere wollen von israeli-schen Plänen für ein Naherholungs -gebiet wissen.

Das katholische Menschenrechts -zentrum St. Yves in Jerusalem kämpftbereits seit Langem juristisch für eineVerlegung der Mauer und den Erhaltdes Tales von Cremisan und bittet imInternet um Unterstützung der Petition.

Einen Tag vor der Weinverkostung derbayerischen Pilger wurde vor dem Magistratsgericht in Tel Aviv der FallCremisan erneut verhandelt. Anwesendwaren neben Pfarrer Shomali und dem

Bürgermeister von Beit Jala auchGrundstücksbesitzer, Mitarbeiter derdeutschen und französischen Botschaftsowie Weihbischof und GeneralvikarWilliam Al-Shomali.

Eine Prozessbeobachterin aus Öster-reich, die ihren Namen nicht nennen will,fasst die Verhandlung so zusammen:„Am 12. Februar fand die letzte Anhö-rung vor einem speziellen Komitee fürKlagen gegen die Mauer statt, eine An-hörung, die meines Erachtens jeglicheObjektivität vonseiten der israelischenRichterin vermissen ließ.“ Hinter vorge-haltener Hand beschreibt sie mit demWort „Farce“ diese Verhandlung. Ein Urteil in diesem nun ins achte Jahr gehenden Prozess wird im Oktober er-wartet.

Bis dahin heißt es Abwarten und Weintrinken. Über einen ausgezeichnetenverfügt Cremisan ja inzwischen. Und:Die Männer der vollen Lager in Cremi-

san würde es freuen. Die TechnischeSchule der Salesianer, die vom Wein -erlös betrieben wird, auch. �

Durch den Mauerbau wird Cremisan von einem benachbarten Frauenkonvent sowie von Beit Jala und Betlehem abgeschnitten werden.

Johannes Zang

Johannes Zang hat fast neun Jahre in Israelund den besetztenpalästinen sischen Gebieten gelebt und gearbeitet. Zwischen2005 und 2008 berichteteer aus Ost-Jerusalem für mehr als ein Dutzenddeutschsprachiger Zeitungen und Magazine, darunter Zeit online und die KNA. Zur Leipziger Buchmesse 2013 erschien sein zweites Buch: Gaza – ganz nah,ganz fern ...

Als Reiseleiter hat er mehr als 25 Gruppen nachIsrael, Palästina, Jordanien und in den Sinai begleitet. Er lebt mit seiner Ehefrau und den beiden Töchtern in seinem Heimatort Goldbachbei Aschaffenburg.