8
(Aus dem Kinderkrankenhause der Stadt Berlin.) Weitere Erfahrungen mit Masernrekonvaleszentenserum. Yon Peter Kutter. Mit 1 Abbildung im Text. (Eingegangen am 26. Juni 1923.) Seit dem Berichte im 30. Band dieser Zeitschrift hatten Wit welter reichlich Ge]egenheit, das 1)egkwitzsche Veffahren in unserer Anstalt anzuwenden, und zwar im allgemeinen mit dem gleichen Effolge wie frfiher. Aber w~hrend wir in der ersten Reihe bei fund 145 Kindern nut wenige Entt~iuschungen erlebt batten, war das in der Fo]ge erheblich hi~ufiger der Fail. Be~ 225 Kindern kam es 28 real, also bei immerhin 12,4~/o zu keiner oder nur zu einer unvollkommenen Schutzwirkung. Nach genauer ~berprii/lmg handelt es sich dabei zu einem Teile nicht um wirkliche, sondern nur urn scheinbare, d.h. durch irgendwelche Yerfehlungen gegen die richtige Handhabung des Veffahrens ver- schuldete Mi~erfolge, genau so wie sie bei unseren ersten Nachprfifungen vorgekommea sind. Die neue ~J_itteilung bezweckt im wesentlichen, auf diese ffir die praktische Durchffihrung der Schutzimpfung wichtigen Vorkommnisse n~her einzugehen. Zun~chst mSge aut: etwas mehr ~ul3erliches aufmerksam gemacht werden, das fiir /s Krippen und Heime wichtig ist. Ereignet sich au] einer Station ein fflasern]all, so sind nicht nurdle ungemaserte~ Zimmergenossen des Erkrankten der so/ortigen Schutzimp/unff zu unter- ziehen, 8ondern, wenn irgend mb'glich, sdmtliche ungemaserten Kinder der ganzen Abteilung, auch wenn sie mit dem Ersterkrankten nicht in Beriihrung gekommen sind und in entfernten Riiumen ]iegen. Bei der grol~en F!fichtigkeit des Maserngiftes erstreckt sich die Gef~hrdung fiber die n~chste Umgebung des ersten Falles hinaus. Tritt dann bei Unterlassung der allgemeinen Schutzimpfung der n~chste Fall in einem anderen Zimmer mit nicht Geschiitzten auf, so ist man nicht in der Lage, die Inkubationsverh~ltnisSe zuverl~ssig zu beurteilen und da- mit die Schutzdosis zu berechnen. Manehe Kinder befinden sich dann vielleicht schon in einem vorgeschrittenem Abschnitt der Inkubation, wo die Schutzimpfung oder wenigstens die einfaehe Dosls des Serums nicht mehr wirken kann. Fiir die rudimenr und abortiven Masem

Weitere Erfahrungen mit Masernrekonvaleszentenserum

Embed Size (px)

Citation preview

(Aus dem Kinderkrankenhause der Stadt Berlin.)

Weitere Erfahrungen mit Masernrekonvaleszentenserum.

Yon Peter Kutter.

Mit 1 A b b i l d u n g im Text .

(Eingegangen am 26. Juni 1923.)

Seit dem Berichte im 30. Band dieser Zeitschrift hat ten Wit welter reichlich Ge]egenheit, das 1)egkwitzsche Veffahren in unserer Anstalt anzuwenden, und zwar im allgemeinen mit dem gleichen Effolge wie frfiher. Aber w~hrend wir in der ersten Reihe bei fund 145 Kindern nu t wenige Entt~iuschungen erlebt batten, war das in der Fo]ge erheblich hi~ufiger der Fail. Be~ 225 Kindern kam es 28 real, also bei immerhin 12,4~/o zu keiner oder nur zu einer unvollkommenen Schutzwirkung. Nach genauer ~berprii/lmg handelt es sich dabei zu einem Teile nicht um wirkliche, sondern nur urn scheinbare, d .h . durch irgendwelche Yerfehlungen gegen die richtige Handhabung des Veffahrens ver- schuldete Mi~erfolge, genau so wie sie bei unseren ersten Nachprfifungen vorgekommea sind. Die neue ~J_itteilung bezweckt im wesentlichen, auf diese ffir die praktische Durchffihrung der Schutzimpfung wichtigen Vorkommnisse n~her einzugehen.

Zun~chst mSge aut: etwas mehr ~ul3erliches aufmerksam gemacht werden, das fiir /s Krippen und Heime wichtig ist. Ereignet sich au] einer Station ein fflasern]all, so sind nicht nurdle ungemaserte~ Zimmergenossen des Erkrankten der so/ortigen Schutzimp/unff zu unter- ziehen, 8ondern, wenn irgend mb'glich, sdmtliche ungemaserten Kinder der ganzen Abteilung, auch wenn sie mit dem Ersterkrankten nicht in Beriihrung gekommen sind und in entfernten Riiumen ]iegen. Bei der grol~en F!fichtigkeit des Maserngiftes erstreckt sich die Gef~hrdung fiber die n~chste Umgebung des ersten Falles hinaus. Tri t t dann bei Unterlassung der allgemeinen Schutzimpfung der n~chste Fall in einem anderen Zimmer mit nicht Geschiitzten auf, so ist man nicht in der Lage, die Inkubationsverh~ltnisSe zuverl~ssig zu beurteilen und da- mit die Schutzdosis zu berechnen. Manehe Kinder befinden sich dann vielleicht schon in einem vorgeschrittenem Abschnitt der Inkubation, wo die Schutzimpfung oder wenigstens die einfaehe Dosls des Serums nicht mehr wirken kann. Fiir die rudimenr und abortiven Masem

120 P. Kutter:

gil~ in dleser Beziehung dasselbe wie ffir die typischen, da sie, wie schon in der frfiheren ~/Iitteilungen gesagt, diesen an Infek$iositEt n ichts nachgeben.

I~Iierfiir ein Beispiel:

Auf unserer Keuchhustenabteilung erkrankte am 14. v i i i . 1922 ein bereits sei~ 6 Wochen dort befindliches 3ji~hriges Kind an Masern unbekannter Herkunft. Eine prophylaktisehe Immunisierung anderer Kinder unterblieb, weil das Er- krankte in einem Einzelzimmer gelegen hatte. Schon 5 Tage sparer, am 19. VIII., trat in einem mehrbettigen Zimmer der zweite l%U auf, der offenbar aus derselben QueUe angesteekt war wie der erste. Das konnte ebensogut bei anderen Kindern der 1%11 gewesen sein. In der Tat ereigneten sich dann auch am 21. und 22. VIII. 2 weitere Falle. Die am 19. VIII. vorgenommene Sehutzimpfung, die bei 22 Ungemaserten vorschriftsm~l]ig mit 4 ccm Mischserum vorgcnommen worden war, kam natiirlich bei diesen zweien zu spi~t. Weiterhin traten trotz der Impfung zwisehen dem 27. VIII. und 14. X. noch 8 rudimentare Falle auf, fiber die noch in anderem Zusammenhang zu sprcchcn sein wird.

Die MiBelffolge wegen zu spi~ter Schutz impfung oder ungeni igender Dosis bed i i gen keiner Besprechung. Beachtenswerg dagegen s ind die in dieser lde inen :Endemie sowie "auch bei anderen Gelegenheigen be- obach te ten Versaffer trotz [ri2hzeitigev und 9eni~gend hoch doslerter Schutz. imp/ung. Sind das wirkliche Mif~erfolge der ]~Iethode oder g ib t es noch eine andere Erk l i i rung? I n dieser I-Iinsicht ist der weitere Verlauf der i n l~ede s tehenden Endemie lehrreich, wie i hn die folgende ~lber- sicht vor Augen fiihrt .

Zeit zwisehen Impf. Exan them MSgliche Infek t ionsquel le Fal l am (19. 8.) u. E x a n t h e m am

Kind 1 2 Tage 21. VIII. ,, 2 3 ,, 22. VIII. ,, 3 8 ,, 27. VIII. 14. VIII.' ,, 4 ,, 5

,, 6

,, 7

,, 8

,, 10 ,, 11

16 ,, 4. IX. Kind 1 21. od. 22. VIII. 20 ,, 8. IX. ,, 3 27. VIII. 22 ,, 10.:IX. ,, 3 27. VIII. 28 , 16. IX. ,, 4 4. IX. 42 ,, 30. IX. ,, 7 16. IX. 45 ,, 3. X. ,, 7 16. IX. 54 ,, 12. X. ,, 8 30. IX. 56 ,, 14. X. ,, 8 30. IX.

Man karm ihn so deuten, dab die Infekt. ion re_it den gewShnlichen 14t~gigen In t e rva l l en ket tenfSrmig weiCerging; d a n a wi~re ein EinfluB der I m p f u n g n u r i n der rudimenti~ren Ausbi ldung der ~Fi~lle zu sehen. Man ka lm den atfffallend schleplaenden Gang der Endemie u n d das ~eh len einer mehr explosiven, du tch mehrere gleichzeitige ~i~lle ge- kennze ichne ten Ausbre i tung auch so auffassen, dab die I m p f u n g n ich t n u r die Schwere der K r a n k h e i t minderte , sondern auch den Ausbruch welt fiber das fibliche Mai3 h inaus verzSgerte, l t l be iden FMlen w~re ein wenigstens teilweiser MiBerfolg festzusteUen. E ine dr i t te MSglichkeit,

Weitero Erfahrungen mit Masornrokonvaleszentenserum. 121

n&mlich dab alle Kinder vor dem 19. VIII . irdiziert waren, die Impfung also bei allen in einen zu spt~t~n Inkubationstermin ficl, um die Krank- heit v611ig zu verhtiten, scheint z u gezwungen. In diesem Falle ht~tte nur ein scheinbarer Mil3erfolg der ~/Iethode vorgelegen.

DaB die in Betracht gezogene Verlingerung der Maserninkubation dutch die Sehutzimpfung tats~chlich bewirk~ werden kann wird schon durch die Hgufigkeit langer Inkubationen bei geimpften Kindem wahrscheinlich gemacht. Dies hat berei~s .Degkwitz bei reehtzeitig, aber mit zu geringen Mengen behandeltenKindem beobaehtet. Wit selbst sahen es bei Gebrauch yon Serum, das nur yon einem Rekonvaleszenten stammte und sctlon am 6. Tage der Rekonvaleszenz ent- nommen worden war. Das betreffende Kind wurde wegen eines masernt~hnliehen Aussehlages am 1. u auf der Masernstation aufgenommen, dor~ nach Be- richtigung der Diagnose sofort mit einer Schutzeinheit geimpft, am 14. VIH. yon der Mutter symptomfrei herausgeholt und am 23. VIII. mit rudiment&ten Masern wieder vorgezeigt.

Einen ganz parallelen Verlauf nahm eine kleine Endemie auf unserer Hautstation. Am 11. VI. 1922 erkrankte 1 Kind an Masern. Am 13. VI., also erst am 6. Inkubationstage, Schutzimpfung der 4 noch un- gemaserten Kinder mit 4 ccm Mischserum (am 9. Rekonvalcszenztage ent- nommen). 2 Kinder blieben masernfrei, 2 dagegen erkrankten an rudi- mentiiren atypischen Masern, und zwar Kind E. H. erst am 7. VII. , also 27 Tage spiiter. Inzwischen ereignete sich aber am 25. VI. ein 2. Masern- tall, der dieses Kind E. It . wahrscheinlich angesteckt haben dtiffte.

Von Interesse erscheint auch der Verlauf bei dem 2. Kinde, das 2mal schutzgeimpft wurde. Das erstemal am 9. I I I . 1922, am 5. Inku. bationstage, mit 10 ccm Erwachsenenscrum. Damals keine Erkrankung. Die 2. Impfung erfolgte, wie schon erwiihnt, am 13. VI. 1922 mit 4 ccm Mischserum am 6. Inkubationstage. Nun am 25. VI. abortive Masern. Die Ansteckung erfolgte also wahrscheinlich erst am 13. VI., d .h . 14 Tage vorher, und vermutiich diirft.e das Kind alas erstemal gar nicht m i t dem Maseruvirus in Beriihrung gekommen sein. Es k6nnte aber auch die Annahme gemacht werden, dab alas Erwachsenenserum doch schtitzte, dag aber bei einer erneuten Ansteckung im 0rganismus nicht mehr so viel AntikSrper vorhanden waren, um eine lgeuinfektion zu verhiiten.

Endlich sei noch eine ]3eobachLung auf unserer inneren Station erwihnt. Am 6. :XI. 1922 1. Masernfall. Am selben Tage noch Schutz- impfung yon 3 ungemaserten Kindern mit 5 ccm Serum. 2 Kinder blieben masernfrei. Das 3. Kind bekam am 26. XI., also 20 Tage nach der Schutzimpfung, rudimentt~re Masern. Auch hier entweder ver. spitetes Auftreten oder aber es erfolgte die Ansteckung erst am i5. XI. , an welchem Tage inzwischen ein 2. Masernfall alfftrat.

Z u r Erkl~irungder Mi]3er[oIge auf unserer Keuchhustenstation k6nnen wir die Besqhaffenheit des Serums nicht anschuldigen. Es

122 P. Kutter:

war ein ]YIischserum yon guten AntikSrperbildner, dos vorschrifts- m'~Big entnommen und in frischem Zustande verwendet wurde. HJer- fiir spricht ouch die Tatsache, dab neu~ufgenommene Kinder, die sofort am Aufnahmetag mit demselben Serum schutzgeimpft walrden, alle masernfrei blieben.

Siod mauche Kinder, insbesondere Keuchhustenkranke, besonders masernempf~nglieh, so da~ die iibliche Schutzdosis nicht geniigt ? Wir beabsichtigen, dies praktisch auszuproben.

DaB diese aborbiven 2r sehr, kontagiSs sind, kommt bei den erw~hnten l~ l lea erneut zum Ausdruck. Wir erinnern in diesem Zu- sammenhange an eine schwere ]VLaseruepidemie, die .wir frfiher zu be- obachten Gelegenheit hat ten und die damals ihren Ausgang nahm yon einem verschleierten, nicht erkannten Fall, der als einziges vet . dachtiges Zeichen in der kritisehen Zeit (nach 14 Tagen) lediglich eine ein paar Tage andauernde ~ieberperiode zeigte.

Eine gleichartige Beobachtung der letzten Zeit war die ~olgende: In einem Helm spritzten ~vir 6 masernilffizierbe Kinder im Alter yon 2- -3 Jahren am 3. Inkubationstage mit 4 ccm Mischserum. Da yon der beobaehtenden Schwester keiner]ei verd~cht]ge Zeichen bemerkt wurden, legte sie 12 Tage sparer ein noeh ungemasertes Kind aus einem anderen Saul zu diesen schutzgeimpft.en ]~indern. Dieses Kind erkrankte nun nach 14 Tagen prompt an schweren Maseru. Es hat te dabei keinerlei Gelegenheit, sich anderswo mit Masern zu infizieren. Es ist also genaueste Beobachtung der geimpften Kinder notwendig, um vor unliebsamen ~3berraschungen verschon6 zu bleiben.

Ansehliel]end sei noch kurz fiber 2 Gruppen yon Kindern ,berichte~, bei denen wiederum Versager notiert sind, die aber bei genauerer Analyse sieh nur als scheinbare Mil~effolge entpuppten und die einen vollen El~olg yon vornherein nieht garantierten.

a) Auf unserer Isolierbaracke t r a t am 27. II . 1923 ein Maseriffall auf. Am 1. I I I . , also erst am 6. Inlcubation, tage erhielten 2 noch un- gemaserte Kinder 4 ccm Mischserum. Am 17. und 19. I I I . erkrankten beide Kinder an Masern; das eine an abortiven Masern mit Temperatur- anstieg bis 39~6 -- ohne Kopliks und ohne Enanthein. Das andere zeigte wohl Kopliks und ein Enanthem, dagegen ein sehr schwaeh ausgebildetes Exanthem, dos nur im Gesieht lokalisiert blieb.

b) Kind V. wurde mit einem masern~hnlichem Ery them auf der Masernstation aufgenommen. Es handelte sich um ein ganz fliiehtiges Exanthem ohne sonstige katarrhalischen Erscheinungen (Schwitz- exanthem). . Am selben Tage noch Schutzimpfung mit 1 Schutzeinheit. Das Serum stammte dieses ]Vial aber nur yon 1 Rekonv~leszenten! Das Kind selbst blieb unter den fibrigen Masernkindern. l~aeh 17 Tagen abor t ive Masem ohne Komplikationen. Wir lernen also daraus:

Weitere Er[ahrungen mit Masernrekonvaleszentenserum. 123

1. Stammt das Serum v0n nut 1 l~ekofivaleszenten, so is$ ein sicherer Erfolg nur zu erwarten bei Verabreichung einer doppelten Sehutz, einhEit.

2. 4 cem Mischserum erst am 6. Inkubationstage injizier~, schiitzen nicht in alien Fallen vor der Erkrankung. Auch hier ist die doppelte Schutzeinheit zu geben. Auch Deglcwitz gElang es nur bei Ver- abreichung yon 6--7 c c m m i t Sicherheit vor der Erkrankung zu schfitzen.

Dabei m6ehte ich erw~hnen, dal3 wir meistens bei Ausbruch des Exanthems annehmen, die Kinder im selben Saal befinden sich im 4. Inkubationstage. Es ist aber zu erw~gen, ob dieser Termin fiir manche Fiflle nicht etwas zu knapp bemessen ist. Kleinschmidt besitzt sichere Beobachtungen fiber ~ber t ragung der l~Iasern 5 Tage vor Ausbruch des Ausschlages und schl~gt vor, um sicher zu gehen, um diese Zeit bereits die doppelte I)osis zu verwEnden.

Wie lange der Sehutz andauem kann, effahren .wir aus den Be- obachtungen der eingangs erwKhnten ]~[asernepidemie auf unserer KEuchhustenstation. 2 Monate nach der Schutzimpfung war die Im- munitht der KindEr noch so groin, dal~ trotz des Zusammenseins mit masernkranken Kindern keine Neuerkrankungen vorkamen. -- Bei einem friiher mi~geteiltEn Fall war die Schutzwirkung nach 3x/2 Monaten schon erloschen. Bei 2 Kindern unserer Tuberkulosestation war der Schutz nach 9 Monaten noch so groB, dab sie bei einer erneuten An- steckungsm~iglichkeit nicht erkrankten. Erst kfirzlich beobachteten wit welter 1 Fall bei einem Kinde, das vor 41/~ l~onaten mit 4 ECru l~Iiseh- serum erfolgreich immunisiert wurde, dann aber am 28. I I . mi$ typischen )l[asern auf die ]Viasernstation eingeliefErt wurde, Auf Grund dieser :Effahrungen scheint es doch zweifelhaft, ob es gelingEn wird, die Er- krankung his ins .spatere Kindesalter zu verschieben. Auch die Be- obachtungen yon Relche, Manchot und Torday beweisen uns, dab die Infektion manchmal doch schon friiher haften kann. -- Vermut- lich spielen hier , wie oben schon erw~hnt, individueUe Faktoren noch mit.

Hun noch einige Bemerkungen fiber den Verlau] der Tuberkulose nach. abgeschwdehten Masern. Schon Degkwitz beriihrt kurz diese Frage. Wir hatten Gelegenheit, an 3 Kindern Beobachtungen bieriiber anzustellen:

Am 28. VIII. Masernfall auf der Tuberkuloses~ation. Am 29. VIII. SchuCz- impfung yon 14 ungemaserten Kindern mit z.T. 5, z.T. 4 cem Mischserum. 12 Kinder blieben masernfrei; 2 Kinder erkran~ten am 11. IX. an rudiment~ren :Masem. Eines dieser Kinder hatte einen derben barton Netztumor. Unmittelbar nach dem Ausbrueh des Exa~thems kommt es zu einer wesentHchen Ver-

124 P. Kutter:

sehlimmerung, der Banch wird wieder druekempfindlieh, dabei Gewich~sab~mhme und erhebliche Inaplaetenz. Ober den VerlauI der Temperatur orlentier$ nachstehende Skizze:

,x ~ P,~q~,e:1[ l

" ~ ' ' 36 o

2.rque ! [ Pif~el

t

Abb. 1.

45. 2z. 22. ~1 I I I l l I I I I

A

/I A

Von Interesse ist noch das Verhalten einer Ektebin- und der Pirquelsehen Reaktion. Eine am 5. VIII. gemachte und bereits abgeblaBte Ektebinreaktion wird bei Ausbrueh des rudiment/~ren Ausschlages deutlich wieder positiv, w/iJarend der Pirquet negativist und erst anfangs September wieder positiv wird.

Bei dem zweiten Kinde, das ebenfalls wegen einer Netztuberkulose auf Station lag, jetzt aber kliniseh geheflt war und vor der Entlassung stand, iibten die abor- riven Masem keinerlei EinfluI3 auf den Verlauf aus. Auch bier war der Pirque~ w~hrend des Exanthemstadiums negativ.

Der 3. Fall betrifft einen 8j~hrigen elenden Jungen mit Pertussis und Hilus- driisentuberkulose. Ein Tag vor seiner Aufnahme, am 14. VIII., erster Maser~fal! auf der Station. Am 5. Tage seines Hierseins zweiter Masernfall. 5etz~ erst effolgt die Sehutzimpfung. Abet schon am 27. VIH., also 8 Tage post injecVionem beginnt eine 6 Tage andauernde l?ieberperiode, allerdings ohne Exanthem, die aber viel- leieht im Sinne yon abortiven 1Vfasern gedeutet werden kann. Der Pirquet, der aus diagnostisehen Griinden gemaeht wurde, war am 30. VIII. deutlich + . Etwa 14 Tage sp~ter, am 15. IX., erkrankte das Kind erneut mit Fiebersteigerung an einem typischen kleinfleckigen Masemexanthem. An beiden Unterarmen sind die pirquetisierten Stellen wieder stark gerStet; diese R6tung beginnt erst am 20. IX. abzublassen. Hingegen ist an diesem Tage (20. IX.) eine versps Reak~ion am reehten Oberarm aufgetreten, wo am 16. IX. mit Alttuberkulin geimpft wurde.

Wie haben wir uns nun dies Wiederaufflammen des Pirquet und der Ektebin- reaktion zu erkl~ren ?

Nach iilteren und neueren Untersuehungen wissen wir, dab ein abgeblaBter Pirquet wieder deutlieh positiv wird, wenn man die versehiedenen unspezifischen S~offe, wie Bakterientoxine, Caseosan, Asthmolysin einspritzt (Sorgo, Rolly, L6we u.a.). Bei Tuberkul6sen besteht ja tiberhaupt, wie neuerdings Usbeck an unserer Anstalb wieder best~itigt hat, eine ganz besondere ~berempfindliehkeit der Haut. Kiirzlich beobachteten wir, dab bei einem Varieellenrash ein ]~ngst abgeklungener Pirquet wieder stark + wurde.

SehlieBlich mfissen je tz t noch einige F~lle e rw~hnt werden, wo voUst~indige gereager vor]iegen, d . h . wo vorschriftsm~Big vorgegangen "

Weitere Erfahrungen mit Masernrekonvaleszentenserura. 125

wurde und bei denen irgendein ]~influf~ der prophylaktischen Impfung iiberhaup~ nicht zu erkennen war; bei 6 zu verschiedenen Zeiten be- handelten, nieht besonders schwerkranken Kindern traten prompt t 2m14 Tage nach der Impfung typische Masern auf, wahrend das Serum bei anderen gleichzeitig gespritzten Kindern die Masern ver- hiitete. Vielleieht dal3 bei diesen Kindern die Infektion sehon friiher haftete und die Dosis einer Sehutzeinheit infolgedessen zu klein be- messen war.

Mit Erwachsenenserum wurden die Versuche bis jetzt nur in kleinem Mal~e fortgesetzt. Im ganzen wurden 15 Kinder schutzgeimpft. Das Serum stammte bei 3 Kinderu yon der eigenen Mutter; die iibrigen erhielten Serum yon -~rzten der Anstalt. Die Dosis schwankt zwischen 6 und 15 ccm; sie wurde am 4. Inkubationstage injiziert. ~berraschender- weise wurde nur in 1 Falle 1 Versager notiei~; 1 Fall scheidet aus, da das 'Exanthem schon 7 Tage naeh der Injektion auftrat, die Injektion also zu spat erfolgte. Degkwitz machte ahnlich gute Effahrungen; bei Jhm wurde die Erkrankung entweder ganz verhiitet oder zum mindesten aber abgeschwacht. Wir m6chten also die Injektion mit Erwachsenen- serum in F~llen, wo Rekonvaleszentenserum night zur Verfiigung steht, anempfehlen und raten, nach dem Vorschlage Rietschels das Serum der Mutter zu verwenden.

Erw~hnenswert scheinen mir in diesem Zusammenhange die Be- obachtungen, die Galli mit P]erdeseruminjektionen machte. Es gelang ihm, yon 24 Kindern, die einer sicheren Infektion ausgesetzt waren, alle bis auf eines vor der Erkrankung zu sehi i tzen. Ebenso blieben 5 maseruinfizierte Kinder masernfrei, die mit Dilphtherieserum vor- behandelt wurden. Auf Grund dieser Erfahrungen ist die l~rage zu klaren, ob nicht jedes art]remde Serum geeignet ist, den Schutz zu gew~hrleisten (zit. nach Schneider, Zentralbl. f. d. ges. Kinderheilk. 14, H. 3).

W'ie Degkwitz schon friiher feststellte und w i r e s durch unsere Naehpriifungen bestatigen konnten, sind die mit Rekonvaleszenten- serum behandelten Kinder, wenigstens dieJenigen , denerl das Serum nach stat tgehabter Infektion injiziert wurde, aktiv immunisiert.

Dal~ es sich tats~ehlich um eine aktive Immunisierung handelt und d a b nicht das stark verdiinnte Serum die Schutzwirkung ver- ursacht, laBt sich. nun leieht dadurch beweisen, dal~ man gesunden, nicht infizierten Kindern R.-Serum einspritzt und die sehiitzende Kraf t des Serum dieser Kinder 7 Tage naeh der Einspritzung feststellt. Schiitzt dieses Serum bei maserninfizierten Kindern nicht vor der Erkrankung, so ist damit der indirekte Beweis einer aktiven Immun- k6rperbildung bei den infizierten I~indern gegeben. Unsere in dieser Hinsicht angestellten Yersuche sind noch n i ch t abgesehlossen.

126 Peter Kutter: Weitere Erfahrungen mit Masernrekonvaleszentenserum.

Ich fasse die Ergebnisse unserer Beobachtungen kurz zusammen: 1. Die Impfung is~ effo]greich, wenn sTdtestens am Tage des Exan-

themausbruches beim infizierten Kinde 1 Schu~zeinheit eines Misch- serums injizier~ wird. Injektionen am 5. und 6. Inkuba t ions tage er- fordern die Verabreichung yon 7 ccm (2 Schutzeinheiten).

2. Die Isolierung eines masernkranken Kindes geniigt nicht zur Verhiitung der Ausbreitung der Infek~ion. Es hat t rotzdem die Schutz- impfung sdmtlicher noch ungemasertern Kinder der Station spStestens am 4. Inkubationstage zu effolgen, sonst gelingt es nicht, die Epidemie im Keime zu ersticken. Auch ist die Feststellung der Inkubationszeit nicht mehr bestimmi mSglich und scheinbare ~iBerfolge erkl~ren sich aus diesem Grunde.

3. Keuchhustenkranke Kleinkinder bediiffen vielleicht einer er- hShten Sehutzdosis.

4. Eine VerIiingerung der Inlcubatlonszeit durch die Schutzimpfung kommt vor; scheinbare Yerl~ngerungea kbm]en a b e r auch vielleicht durch spiitere Infektionen yon lelchten, abortlven M_~sern ihren Aus- gang nehmen.

5. Diesen abortiven Masern is$ deshalb besondere Beaehtung zu schen- ken; sie erfordern dieselben Schutzmal3nahmen wie die /~ypischen ~asern. Auch scheinen sie den Yerlauf der Tuberlzulose in ungfinstigem Sinne zu beeinflussen und wie bei den gewShnlichen Masern t r i t t ein Abfal]en der Tuberkulinreaktion auf. Die Reak~ionsfi~higkei~ erscheint fiir etwa 1 Woche auf ein Minimum herabgesetzt und kommt dann allm~hlich wieder .

6. Bei Verwendung yon Serum, das nur yon 1 Rekonvaleszentea s tammt , ist~ die doTpelte Schutzeinheit zu verabreichen.

7. Die Dauer des Impfschutzes ist verschieden. Wir beobachteten ErlSschen naeh 31/~ und 4z/u Monaten, andererseits Immunitht noch nach 9 Monaten. Es erseheint fraglieh, ob es gelingen wird, (lie In- fektion bis ins spdtere YAndesalter zu verschieben.

8. Die scheinbar giinstigen Erfahrungen mit Erwachsenen~erum fordern zu einer vermehrten Anwendung dieses Serums, besonders des Serums der Mutter auf.

9. Durch Vergleich der sehfitzenden Kraft des Serums infizierter und nichtinfizierter schutzgeiml~fter Kinder ist der Anteil der aktiv- immunisatorischen Leistung des KSrpers zu ersehen.

Berlin N, Kaiser und Kaiserln Friedrich-Kinderkrankenhaus. "