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Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee Januar 2014 Synthesebericht Untersuchungsperiode 2011-2012 Autoren: Beat von Siebenthal, FIWI Daniel Bernet, FI Ueli Ochsenbein, GBL Auftraggeber: AWA Amt für Wasser und Abfall / Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur / Fischereiinspektorat (FI)

Weiterführende Untersuchungen zu den ... · Saxitoxine sind Nervengifte, die von bestimmten Phytoplankton-Arten gebildet werden. Via Zooplankton können sich die Gifte dann in planktonfressenden

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Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

Januar 2014 Synthesebericht Untersuchungsperiode 2011-2012

Autoren: Beat von Siebenthal, FIWI Daniel Bernet, FI Ueli Ochsenbein, GBL

Auftraggeber: AWA Amt für Wasser und Abfall / Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur / Fischereiinspektorat (FI)

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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IMPRESSUM

Auftraggeber

AWA Amt für Wasser und Abfall / Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur / Fischereiinspektorat (FI)

Projektleitungsteam

Ueli Ochsenbein, AWA Amt für Wasser und Abfall / Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) Markus Zeh, AWA Amt für Wasser und Abfall / Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) Jean-Daniel Berset, AWA Amt für Wasser und Abfall / Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) Marcel Zürcher, AWA Amt für Wasser und Abfall / Fachbereich Industrie und Gewerbe Thomas Vuille, LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur / Fischereiinspektorat (FI) Christoph Küng, LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur / Fischereiinspektorat (FI) Daniel Bernet, LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur / Fischereiinspektorat (FI) Helmut Segner, Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI), Vetsuisse Fakultät, Uni Bern Thomas Wahli, Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI), Vetsuisse Fakultät, Uni Bern Beat von Siebenthal, Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI), Vetsuisse Fakultät, Uni Bern Michel Bula, Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI), Vetsuisse Fakultät, Uni Bern Marc Suter, Eawag, Umwelttoxikologie Petra Kunz, Oekotoxzentrum Eawag/EPFL Marion Junghans, Oekotoxzentrum Eawag/EPFL Carlo Largiader, Inselspital Bern, Universitätsinstitut für Klinische Chemie (UKC)

Weitere Autoren oder mitbeteiligte Institutionen der Teilprojekte

Artur Kirchhofer, Daniela Eichenberger, WFN Andrea Schifferli, René Schönenberger, Rita Krumscheid, Inge Werner, Umwelttoxikologie Eawag und

Oekotoxzentrum Eawag/EPFL Marc-André Avondet, Labor Spiez, Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS Andreas Thomann, ZOBA, Institut für Veterinärbakteriologie, Universität Bern Dr. Bernd Köllner, Sabine Weber, Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald-Insel Riems Zitiervorschlag:

Von Siebenthal B., Bernet D., Ochsenbein U. (2014): Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee. Synthesebericht Untersuchungsperiode 2011-2012. Im Auftrag des AWA Amt für Wasser und Abfall / Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) und des LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur / Fischereiinspektorat (FI). 44 S.

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Inhaltsverzeichnis

1 ZUSAMMENFASSUNG ........................................................................................................................ 4

2 EINLEITUNG ........................................................................................................................................ 9 2.1 Ausgangslage ......................................................................................................................................................... 9 2.2 Behörden werden aktiv (Untersuchungsperiode 2003-2008) ....................................................................... 9 2.3 Vielschichtige und häufige Veränderungen bei Felchen im Thunersee ........................................................ 9 2.4 Die Suche nach den Ursachen ............................................................................................................................ 10 2.5 Veränderungen werden durch Nahrung der Fische (Zooplankton) ausgelöst .......................................... 11 2.6 Dysregulation des Immunsystems und Hinweise auf Autoimmunerkrankung ............................................. 12 2.7 Doch Wasserinhaltsstoffe als Ursache? ............................................................................................................ 12 2.8 Weiterführende Abklärungen: Untersuchungsperiode 2011–13 ............................................................... 13 2.9 Situationsanalyse und weiterführende Grundlagenbeschaffungen ............................................................ 13 2.10 Ursachenanalysen.............................................................................................................................................. 13 2.11 Literatur ............................................................................................................................................................... 14

3 ZUSAMMENSTELLUNG DER TEILPROJEKTE ...................................................................................... 15 3.1 Teilprojekt 1: „Zusammenstellung Literatur zu Gonadenveränderungen bei Felchen“ ........................... 15 3.2 Teilprojekt 2: „Routinemonitoring Felchen 2001 – 2012“ ........................................................................... 16 3.3 Teilprojekt 3: „Laichplatzmonitoring 2011“ .................................................................................................... 18 3.4 Teilprojekt 4: „Routinemonitoring Plankton“ .................................................................................................... 20 3.5 Teilprojekt 5: „Charakterisierung des verfütterten Planktons“ .................................................................... 22 3.6 Teilprojekt 6: „Reversibilität der Gonadenveränderungen“ ....................................................................... 24 3.7 Teilprojekt 7: „Bakteriologie von veränderten Gonaden aus Laichplatzmonitoring“ ............................ 25 3.8 Teilprojekt 8: „Gramfärbungen historisches Gonadenmaterial“ ................................................................ 26 3.9 Teilprojekt 9: „Autoimmunerkrankung“ ............................................................................................................ 27 3.10 Teilprojekt 10: „Chemisch-bioanalytische Planktonanalysen“ .................................................................. 31 3.11 Teilprojekt 11: „Planktonuntersuchung auf Saxitoxine“ ............................................................................. 35 3.12 Teilprojekt 12: „Gutachten NEAT-Chemikalien“ .......................................................................................... 36 3.13 Teilprojekt 13: „Inventar Einleitungen in den Thunersee“ .......................................................................... 39 3.14 Teilprojekt 14: „Chemisches Monitoring Thunersee“ ................................................................................... 41

4 SCHLUSSFOLGERUNGEN & EMPFEHLUNGEN ................................................................................... 42 4.1 Schlussfolgerungen ............................................................................................................................................... 42 4.2 Empfehlungen ........................................................................................................................................................ 44

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1 ZUSAMMENFASSUNG

Seit dem Jahr 2000 werden bei Felchen aus dem Thunersee Veränderungen an deren Gonaden beobachtet. Diese sind hinsichtlich der Ausprägung und Häufigkeit schweizweit einzigartig. Die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern beauftragte 2001 das Fischereiinspektorat mit der Leitung spezieller Untersuchungen. Spezialisten verschiedener Fachstellen und Universitäten führten in den Folgejahren aufwändige Untersuchungen durch. Die Ergebnisse wurden im Jahr 2008 in einem ersten Abschlussbericht „Veränderte Geschlechtsorgane bei Thunerseefelchen“ veröffentlicht. Die Forscher konnten unter anderem nachweisen, dass das von den Felchen gefressene Plankton aus dem Thunersee eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung der Veränderungen spielt. Es fanden sich zudem Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung als mögliche Ursache der Gonadenveränderungen. Die Frage nach den eigentlichen Ursachen der Gonadenveränderungen der Felchen im Thunersee blieb jedoch unbeantwortet.

Das öffentliche Interesse an der Problematik ist nach wie vor gross. Der Thunersee dient indirekt als Trinkwasserlieferant für über 400‘000 Personen. Im Auftrag der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion (BVE) und der Volkswirtschaftsdirektion (VOL) wurden im Frühjahr 2011 für eine Zweijahresperiode weiterführende Untersuchungen gestartet. Es handelt sich dabei um Projekte die a) zeitnah realisiert werden konnten, b) wesentliche Erkenntnisse bei der Identifizierung möglicher Ursachen bzw. bei der Erklärung des Krankheitsgeschehens versprachen und c) finanziell tragbar waren. Die Ziele der insgesamt 14 Teilprojekte (TP) waren das Zusammentragen des bisherigen Kenntnisstandes, die Beantwortung von offenen Fragen in Bezug auf bisherige Untersuchungen und die Erforschung möglicher immunologischer und chemischer Auslösefaktoren. Die Resultate werden im Folgenden tabellarisch wiedergegeben:

Situationsanalyse und weitergehende Grundlagenbeschaffung

TP1 Bisheriger Kenntnisstand S. 15

Es existieren zahlreiche Berichte und Publikationen, die im Rahmen der bisherigen Untersuchungen zum Thema Felchengonaden Thunersee entstanden sind. Diese wurden erfasst, katalogisiert und liegen in elektronischer Form vor.

TP2 Häufigkeit Gonadenveränderungen im Thunersee S. 16

TP3 Monatliche Untersuchungen von Felchen im Thunersee zeigen, dass seit dem Jahr 2010 deutlich weniger Tiere mit Gonadenveränderungen gefangen werden als in den Vorjahren. Spezialuntersuchungen bei laichreifen Brienzlig konnten diese Tendenz bestätigen. Die auslösende Komponente im See scheint also seit einigen Jahren abzunehmen. Eine Altersanalyse der im Rahmen des Laichplatzmonitorings gefangenen Tiere ergab, dass überwiegend ältere Tiere, d.h. aus der Altersklasse der 4- bis 5-Jährigen bzw. der Jahrgänge 2006 – 2007, von den Veränderungen betroffen waren. Somit scheint die Abnahme der auslösenden Komponente ca. 2008 begonnen zu haben. Es handelt sich dabei um eine neue, grundsätzlich positive Wendung in der Problematik der Gonadenveränderungen. Da die Ursachen für die Entstehung der Gonadenveränderungen nicht geklärt sind, bleiben jedoch die Hintergründe für den seit 2010 beobachteten Rückgang der Häufigkeit ungelöst.

S. 18

TP4 Planktonzusammensetzung im Thunersee S. 20

Das Phyto- und Zooplankton des Thunersees wird im Rahmen eines andauernden Monitoringprogrammes ständig untersucht. Daraus ergeben sich keine Hinweise auf eine wesentliche Änderung der Artenzusammensetzung und der Artenanteile im Thunersee-Plankton seit dem Auftreten der Gonadenveränderungen bei Felchen bis heute. Ein diesbezüglicher Zusammenhang scheint unwahrscheinlich.

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TP5 Charakterisierung des im Laborversuchs verfütterten Planktons S. 22

Frühere Laborversuche mit Felchen belegten einen kausalen Zusammenhang zwischen der Anbildung von Gonadenveränderungen und dem Verfüttern von Zooplankton aus dem Thunersee. Formalin-fixierte Proben des in diesem Versuch verfütterten Planktons wurden zur Artbestimmung aufbewahrt. Besagte Proben wurden mit Routinemonitoring-Planktonproben aus derselben Fangperiode verglichen und auf allfällige Unterschiede untersucht. Es fanden sich keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich Artenzusammensetzung und Artenanteile. Das verfütterte Plankton war somit repräsentativ für das damalige Planktonangebot im See. Es fanden sich auch keine Hinweise darauf, dass die für die Gonadenveränderungen verantwortliche Komponente mit einer einzelnen, bestimmten Planktonart in Verbindung stehen könnte.

TP6 Reversibilität der Gonadenveränderungen S. 24

Im Rahmen der bisherigen Untersuchungen stellte sich die Frage, ob Felchen mit veränderten Gonaden das Potential haben, die Veränderungen wieder zurückzubilden wenn der auslösende Faktor (d.h. das Thunersee-Plankton) wegfällt. Diese Fragestellung wurde in einem weiteren Versuch getestet. Die Ergebnisse dieses Versuches lassen eine Rückbildung von einstmals angebildeten Gonadenveränderungen als unwahrscheinlich erscheinen und sprechen somit ein Regenerationspotenzial bzw. eine Reversibilität des Prozesses ab.

Ursachenforschung

TP7 Bakterielle Infektionen? S. 25

TP8 Bakteriologische Spezialuntersuchungen an Felchengonaden mit Veränderungen (Probenmaterial von TP3) und Spezialfärbungen an Formalin-fixiertem Gonadenmaterial von veränderten und unveränderten Felchen hatten zum Ziel, allfällige bakterielle Ätiologien der Gonadenveränderungen abzuklären. Keiner der beiden Versuche lieferte jedoch Hinweise oder Verdachtsmomente auf eine bakterielle Infektion als mögliche Ursache der Gonadenveränderungen bei Thunersee-Felchen.

S. 26

TP9 Autoimmunerkrankung? S. 27

Dieses Teilprojekt stellt einen Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchungen dar. Ziel war die Abklärung, ob es sich bei den Gonadenveränderungen um eine Autoimmunerkrankung handelt. Hierbei begab man sich auf methodisches Neuland. Es musste zuerst ein geeignetes Testsystem entwickelt werden. Eine Autoimmunreaktion geht mit einem erhöhten Titer an spezifischen Antikörpern (Immunglobulin M; IgM) einher. Erste Priorität bei der Entwicklung des Testsystems hatte somit die Herstellung bzw. Charakterisierung eines Antikörpers zum Nachweis von Felchen-IgM. Basierend auf diesem Antikörper wurden verschiedene Ansätze zum Nachweis von antigen-gebundenem Felchen-IgM ausgetestet. Mit der Charakterisierung eines monoklonalen Antikörpers (mAk) zum Nachweis von antigengebundenem Felchen-IgM gelang ein erster wichtiger Schritt bei der Methodenentwicklung. Der mAk wurde zur Entwicklung von zwei verschiedenen Testansätzen verwendet: einem Verfahren basierend auf der Immunhistochemie und einem Spermien-Agglutinationstest bzw. einem Cytospin-Verfahren. Die Testläufe für beide Nachweisverfahren verliefen jedoch unbefriedigend: es waren jeweils keine Unterschiede zwischen den Proben von veränderten und denjenigen von unveränderten Felchen feststellbar. Dies könnte einerseits daran liegen, dass in den verwendeten Proben von veränderten Tieren (Positiv-Proben) tatsächlich kein spezifisches IgM bzw. keine Antigen-IgM-Komplexe vorhanden waren. Es ist aber auch möglich, dass die

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Positiv-Proben aufgrund unsachgemässer Lagerung unbrauchbar geworden waren. Zur Weiterführung der Methodenentwicklung wären somit frische Positiv-Proben unerlässlich gewesen. Diese standen aber zur damaligen Zeit nicht zur Verfügung. Die beiden Nachweisverfahren konnten daher nicht validiert werden. Parallel zur Methodenentwicklung wurde ein Laborversuch mit seestämmigen Felchen gestartet, denen Plankton aus dem Thunersee oder aber Plankton aus dem Bielersee gefüttert wurde. Dieser Versuch diente der Gewinnung von geeignetem Probenmaterial, um die Autoimmunhypothese nach erfolgter Testentwicklung (s.o.) überprüfen zu können. Da die die Testsysteme jedoch nicht fertig entwickelt werden konnten, war eine Messung der Proben aus diesem Laborversuch nicht möglich. Die Autoimmunhypothese kann somit anhand der durchgeführten Arbeiten weder bestätigt noch verworfen werden.

TP10 Chemisch- bioanalytische Planktonanalysen S. 31

Thunersee-Plankton ist an der Entstehung der Gonadenveränderungen bei den Felchen massgeblich beteiligt. Welche Stoffe bzw. Komponenten im Plankton dafür genau verantwortlich sind, blieb bisher unklar. Zwar konnte in Thunersee-Planktonextrakten mittels in vitro Tests bereits östrogene Aktivität nachgewiesen werden, eine ausführliche chemisch-bioanalytische Analyse des Planktons wurde bis jetzt jedoch noch nicht durchgeführt. Im Jahr 2012 wurden deshalb vom Oekotoxzentrum Eawag/EPFL und der Abteilung für Umwelttoxikologie der Eawag historische und aktuelle Proben von potentiell effektauslösendem und nicht-auslösendem Plankton mit Hilfe verschiedener ökotoxikologischer Tests auf hormonelle Aktivität untersucht. Zudem wurden Fraktionen des potentiell effektauslösenden Planktons mittels eines weiteren Verfahrens (chemische Non-Target Analytik) auf mögliche problematische Substanzen getestet. Diese ökotoxikologischen Tests ergaben, dass eine Beteiligung von 1androgenaktiven, 2anti-androgenaktiven oder 3PPAR-aktivierenden Substanzen bei der Entstehung der Gonadenveränderungen unwahrscheinlich ist. Über mögliche Auswirkungen östrogenaktiver Substanzen konnten aufgrund methodischer Probleme keine verlässlichen Aussagen gemacht werden. Mit Hilfe des analytischen Non-Target Screenings konnte eine Reihe verdächtiger Stoffe im Plankton identifiziert werden. Über deren mögliche endokrine Wirkung ist jedoch kaum etwas bekannt.

1Androgenaktive Substanzen = Substanzen, die an die Androgen-Rezeptoren binden und so das natürliche männliche Sexualhormon Testosteron imitieren können. 2Anti-androgenaktive Substanzen = Substanzen, die an die Androgen-Rezeptoren binden und dadurch die Bindung von Testosteron verhindern können. 3PPAR-aktivierende Substanzen = Substanzen, die an die Peroxisom-Proliferator-aktivierten Rezeptoren (kurz: PPARs) binden und diese aktivieren können. PPARs regulieren die Expression von Genen, die u.a. Effekte auf gewisse Stoffwechselprozesse haben können.

TP11 Planktonuntersuchung auf Saxitoxin S. 35

Saxitoxine sind Nervengifte, die von bestimmten Phytoplankton-Arten gebildet werden. Via Zooplankton können sich die Gifte dann in planktonfressenden Wassertierarten anreichern. Es ist somit denkbar, dass im Zooplankton enthaltene Saxitoxine für die Auslösung der bei Thunersee-Felchen beobachteten Gonadenveränderungen verantwortlich sein könnten. Zur Abklärung dieser Hypothese wurden verschiedene historische und aktuelle Gefrierplankton-Proben aus dem Thuner- und Bielersee durch das Labor Spiez auf Saxitoxine untersucht. Es konnten jedoch in keiner der untersuchten Proben Saxitoxine oder Saxitoxinderivate nachgewiesen werden.

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TP12 Gutachten NEAT-Chemikalien S. 36

Als potentielle Quelle möglicher Problemstoffe war zu Beginn der 2000er-Jahre unter anderem die NEAT-Tunnelbaustelle im Gespräch. Ein 2005 erstelltes Gutachten zu den beim Tunnelbau verwendeten Bauchemikalien und Sprengstoffen kam zum Schluss, dass keiner der eingesetzten Stoffe in für aquatische Organismen problematischen Mengen hätte in den Thunersee gelangen können. Die Risikobewertung von 2005 wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen nochmals unter Einbezug neuster ökotoxikologischer Erkenntnisse überprüft. Nebst dem bisher gewählten expositionsbasierten Ansatz wurde für die Neubeurteilung auch ein effektbasierter Ansatz verfolgt. Dabei sind die Erkenntnisse aus dem letzten Gutachten von 2005 weitestgehend bestätigt worden. Mit dem effektbasierten Ansatz konnten zwar mehrere potentiell kritische Stoffe identifiziert werden. Es fanden sich jedoch keine Substanzen, die bioakkumulativ sind und direkt oder indirekt das Potential haben, die beobachteten Gonadenveränderungen auszulösen. Trotzdem ist nicht auszuschliessen, dass gewisse Stoffkombinationen bzw. Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stoffen zur Auslösung der Gonadenveränderungen beigetragen haben könnten.

TP13 Inventar Einleitungen in den Thunersee S. 39

Auf der Suche nach weiteren Quellen potentieller Problemstoffe wurde mit Hilfe des Industrie- und Gewerbekatasters (IGK) unter Einbezug verschiedener Selektionskriterien eine Liste von gewässerschutzrelevanten Betrieben erstellt. Für die auf diese Weise gefundenen Betriebe wurde überprüft, ob sie bei der Entstehung der Gonadenveränderungen allenfalls hätten eine Rolle spielen können. Dabei wurden nebst der NEAT-Tunnelbaustelle noch drei weitere Betriebe identifiziert (ein Hersteller für Nitrozellulose, eine Mülldeponie und ein Betonfabrikant). Keiner schien jedoch während der fraglichen Zeitspanne kritische Stoffe in Konzentrationen in den Thunersee eingeleitet zu haben, die für aquatische Organismen hätten zu Problemen führen können.

TP14 Chemisches Monitoring Thunersee S. 41

Um einen Eindruck bezüglich der Sauberkeit des Thunersee-Wassers zu erhalten, wurden vom Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) Wasserproben (Tiefenprofile) aus dem Thunersee mittels Multi-Target Screening auf 80 verschiedene Mikroverunreinigungen getestet. Die Untersuchungen ergaben, dass das Thunerseewasser sehr sauber ist und beinahe Trinkwasserqualität aufweist. Es ergaben sich keine Verdachtsmomente.

Die Situationsanalyse erbrachte neue Erkenntnisse zum Krankheitsgeschehen im Thunersee. Die Gonadenveränderungen bei den Felchen im Thunersee sind seit dem Jahr 2010 rückläufig. Der Anteil betroffener Männchen hat signifikant abgenommen. Dies ist als neue, gute Wendung im ganzen Phänomen der Thunerseefelchen zu betrachten. Identifikationsanalysen des Thunerseeplanktons ergaben keine Hinweise, dass die Gonadenveränderungen der Felchen in Zusammenhang mit im Laufe des letzten Jahrzehnts erfolgten Veränderungen in der Artenzusammensetzung des Thunerseeplanktons (neue Arten, andere Zusammensetzungen) stehen. Experimentelle Aufzuchtversuche mit Felchen geben zudem keine Hinweise, dass einmal erworbene Gonadenveränderungen rückgebildet werden können, wenn von der Verfütterung von Zooplankton aus dem Thunersee auf andere Futterquellen umgestellt wird.

Bei der Ursachenanalyse konnten hingegen keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden. Zum einen haben sich bei mehreren Abklärungen keine Hinweise oder weitere Verdachtsmomente auf einen kausalen Zusammenhang mit den Gonadenveränderungen ergeben (Bakteriologie negativ, Saxitoxine negativ, Industrie-Einleitungen unverdächtig, keine androgene, anti-androgene oder Peroxisom-Proliferations-aktivierende Potentiale; keine bekannten Mikroverunreinigungen im Thunerseewasser in relevanten

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Konzentrationen). Zum anderen traten bei einigen Untersuchungen methodische Probleme auf, die verlässliche Aussagen verunmöglichten (Autoimmunhypothese; östrogenes Potenzial des Zooplanktons).

Trotz Fehlens von wissenschaftlichen Beweisen, bleiben bei der NEAT-Tunnelbaustelle aufgrund der zeitlichen Übereinstimmung Verdachtsmomente bestehen. Als vorbeugende Massnahme sollte in Zukunft dem Eintrag von Chemikalien aus Grossbaustellen in Gewässer stärkere Beachtung geschenkt werden.

Die Ursachen für die Gonadenveränderungen bleiben nach wie vor im Dunkeln.

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2 EINLEITUNG

2.1 Ausgangslage Ab dem Jahr 2000 haben Berufsfischer des Thunersees in ihren Fängen vermehrt Felchen mit veränderten Gonaden (= Geschlechtsorganen) festgestellt. Weder für die Ausprägungen noch für das gehäufte Auftreten der Veränderungen gab es eine Erklärung. Das Phänomen erregte bald als „Rätsel vom Thunersee“ grosses nationales und internationales Medieninteresse. Als kurz nach dem ersten Auftreten des Phänomens bekannt wurde, dass die Schweizer Armee während der 20er- bis 60er-Jahre grosse Mengen an alter Munition (ca. 4‘600 Tonnen) im Thunersee versenkt hatte, kam der Verdacht auf, dass allenfalls Umweltschadstoffe für die Auslösung der Gonadenveränderungen verantwortlich sein könnten. In diesem Zusammenhang geriet auch die NEAT-Tunnelbaustelle am Lötschberg unter Verdacht, weil deren Baustellenabwässer seit 1994 via Kander in den Thunersee eingeleitet wurden. Da der Thunersee indirekt (über Aare-Uferfiltrat) als Trinkwasserlieferant für über 400‘000 Personen dient und für die ganze Region von grosser ökonomischer Bedeutung ist, schürte das mögliche Vorkommen von Keimbahn-schädigenden Substanzen im See verständlicherweise Ängste in der Bevölkerung und Unsicherheiten in der lokalen Fischerei- und Tourismusbranche. Darf man das Thunersee-Wasser noch trinken? Dürfen Fische aus dem See noch gegessen werden? Und kann man noch gefahrlos im See baden? Nebst der gesellschaftlichen Relevanz erlangte das Phänomen auch politische Brisanz, wurde doch die Forderung nach einer aufwändigen und kostspieligen Bergung der versenkten Munition immer lauter.

2.2 Behörden werden aktiv (Untersuchungsperiode 2003-2008) Die Behörden waren somit gefordert. Geeignete Abklärungen und Massnahmen mussten eingeleitet werden. Die Volkswirtschaftsdirektion gab dem Fischereiinspektorat (FI) des Kantons Bern den Auftrag, die Ursachen für das Auftreten der Veränderungen zu erforschen. Des Weiteren musste die Relevanz des Phänomens für die menschliche Gesundheit abgeklärt und allfällige Massnahmen zur Erhaltung der Gesundheit von Mensch und Tier ausgearbeitet werden. Schnell war klar, dass hierfür nur ein interdisziplinärer Ansatz zielführend sein würde. Somit wurde 2003 eine Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlern, Behördenvertretern und Sport- und Berufsfischern gegründet. Unter Beteiligung von Wissenschaftlern und Experten aus verschiedensten Fachbereichen, initiierte die Gruppe 20 Teilprojekte. Die Ergebnisse dieser Abklärungen wurden vom Fischereiinspektorat im Jahr 2008 in einem Abschlussbericht veröffentlicht.

2.3 Vielschichtige und häufige Veränderungen bei Felchen im Thunersee Die Untersuchung des Phänomens der Gonadenveränderungen umfasste einerseits epidemiologische Abklärungen und anderseits eine intensive Ursachenforschung.

Im Rahmen der epidemiologischen Abklärungen musste das Phänomen zuerst einmal detailliert beschrieben werden. Des Weiteren war von Interesse, ob das Auftreten der Deformationen geschlechts- und/oder altersabhängig ist, und ob alle Felchenarten gleichermassen betroffen sind. Danach wurde überprüft, ob die charakteristischen Veränderungen auch bei Felchen aus den benachbarten Seen im selben Gewässersystem zu finden sind (d.h. im Brienzer- und im Bielersee).

Im Rahmen intensiver Untersuchungen von Thunersee-Felchen konnten 6 verschiedene Arten von Gonadenveränderungen beschrieben werden: Verwachsungen der Gonaden mit dem Bauchfell und der seitlichen Muskulatur, Asymmetrie der Gonadenstränge, Atrophie/Aplasie (d.h. Verkümmerung/Nichtausbildung) einzelner oder beider Gonadenstränge, Unterteilungen der einzelnen Stränge in mehrere Loben, Einschnürungen der Gonadenstränge und Zwitterbildungen. Intensive Beprobungen der Felchenpopulationen im Brienzer- und Bielersee ergaben, dass Einschnürungen und

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Asymmetrien auch bei Felchen aus diesen Seen vorkommen. Daraus wurde gefolgert, dass diese beiden Veränderungstypen offenbar Teil der natürlichen Variabilität in der Morphologie von Felchengonaden sind. Verwachsungen, Atrophien/Aplasien, Unterteilungen und Zwitterbildungen wurden jedoch in dieser Häufigkeit und Ausprägung signifikant häufiger bei Felchen im Thunersee gefunden. Diese Veränderungstypen sind somit charakteristisch für das Phänomen im Thunersee. Auch das Alter und Geschlecht der Tiere haben einen Einfluss auf die Häufigkeit der Veränderungen (es sind v.a. Männchen betroffen). Des Weiteren waren nicht alle im Thunersee vorkommenden Felchenformen gleichermassen von dem Phänomen betroffen. So wiesen z.B. die Brienzlig-Populationen sehr hohe Anteile an veränderten Tieren auf. Dagegen kamen Gonadenveränderungen beim Albock weniger häufig vor. Diese Erkenntnis war insofern wichtig, als nur der Albock zu Besatzzwecken in der Fischzucht erbrütet und im See besetzt wird. Somit konnte ausgeschlossen werden, dass suboptimale Erbrütungsmethoden zu vermehrten Auftreten der Veränderungen geführt haben könnten.

Abb. 1: Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee. a) Zwitter: Ovarielles Gewebe (O) und Hodengewebe (H) befinden sich auf demselben Strang. b) Verwachsungen: eingewachsenes Ovarienpaket in der Muskulatur. c) Unterteilungen: Die Hodenstränge sind unterteilt in mehrere Loben (rote Pfeile), die durch den Hodenstrang miteinander verbunden sind. d) Einschnürungen: Die Hodenstränge sind eingeschnürt. Die entstandenen Loben sind jedoch nicht räumlich voneinander getrennt. e) Asymmetrische Ovarien. f) Fehlen des einen Gonadenstrangs (Aplasie). Oben: Bei einem Männchen fehlt der linke Hoden. Unten: Bei einem Weibchen ist nur das linke Ovar vorhanden.

2.4 Die Suche nach den Ursachen Auf der Suche nach möglichen Ursachen für das Auftreten des Phänomens wurden sowohl umweltbedingte Einflüsse (z.B. Umweltschadstoffe aus Rückständen der versenkten Munition oder der NEAT-Baustelle, Krankheitserreger, kontaminiertes/suboptimales Futter, etc.) wie auch genetische Faktoren (z.B. Hybridisierung, Inzucht, etc.) in Betracht gezogen. Die im Rahmen der Ursachenforschung durchgeführten Untersuchungen lieferten wichtige Erkenntnisse. So konnten aufgrund der Resultate einige verdächtige Faktoren von der Liste möglicher Auslöser der Veränderungen gestrichen werden. Es konnte gezeigt werden, dass weder eine kürzlich zurückliegende Hybridisierung zwischen zwei Felchenformen noch Inzuchteffekte für das Phänomen verantwortlich zu sein scheinen. Ebenso waren die Veränderungen nicht vererbbar. Die Gonadendeformationen schienen auch nicht im direkten Zusammenhang mit hormonaktiven Stoffen zu stehen. Chemische Wasseranalysen und Expositionsversuche (d.h. Aufzuchtversuche, in denen

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Abb. 2: Frisch geschlüpfter, wenige Stunden alter Felchen-Brütling

Felchen-Jungstadien während ihrer Entwicklung verschiedenen Sprengstoffkomponenten und Bauchemikalien ausgesetzt wurden) lieferten zudem keinerlei Hinweise auf eine direkte negative Beeinflussung der Felchen durch die versenkte Munition oder die NEAT-Abwässer.

2.5 Veränderungen werden durch Nahrung der Fische (Zooplankton) ausgelöst

Ein entscheidender Durchbruch gelang mit Hilfe eines Aufzuchtversuches, in dem Felchen aus dem Bielersee (d.h. aus einem See, der nicht von dem Phänomen betroffen ist) entweder mit Thunersee-Plankton oder mit kommerziellem Trockenfutter aufgezogen wurden. Die Studie ergab, dass Felchen, die mit Thunersee-Plankton gefüttert wurden, signifikant häufiger Gonadenveränderungen ausgebildet hatten als diejenigen die mit Trockenfutter aufgezogen worden waren. Das Thunersee-Plankton schien also auslösendes Potential zu haben bzw. eine entscheidende Rolle bei der Induktion der Gonadenveränderungen zu spielen.

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2.6 Dysregulation des Immunsystems und Hinweise auf Autoimmunerkrankung

Genexpressionsanalysen mittels der modernen Microarray-Technik lieferten weitere wegweisende Erkenntnisse. So wurde bei Felchen mit Gonadenveränderungen eine Dysregulation des Immunsystems festgestellt, was auf induzierten Stress hinwies. Die bei den veränderten Tieren gefundenen Expressionsmuster hatten zudem Ähnlichkeit mit Mustern, die bei Säugern typisch sind für eine Autoimmunerkrankung. Diese Ergebnisse führten zu der Hypothese, dass eine chronische Autoimmunerkrankung die Ursache für die Gonadenveränderungen sein könnte, möglicherweise ausgelöst durch einen über das Plankton aufgenommenen unbekannten Inhaltsstoff.

2.7 Doch Wasserinhaltsstoffe als Ursache? Im 2008 erschienenen Abschlussbericht des Fischereiinspektorats zu den 2003 initiierten 20 Teilprojekten konnte somit festgehalten werden, dass das den Thunersee-Felchen als Nahrung dienende Zooplankton eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Phänomens spielt. Die genaue Ursache bzw. welche Faktoren via Plankton auf die Felchen einwirken und schlussendlich die Veränderungen auslösen, war aber nach wie vor unklar: handelt es sich um angereicherte Schadstoffe? Sind die Veränderungen Ausdruck einer Mangelerscheinung, weil dem Plankton irgendeine wichtige Komponente fehlt? Oder dient das Plankton gar als Vektor für einen unbekannten Krankheitserreger? Insbesondere die Möglichkeit von angereicherten Umweltschadstoffen als Ursache für die Veränderungen sorgte in der Bevölkerung nach wie vor für Beunruhigung. Die Behörden standen deshalb weiterhin unter Druck, die Ursachen für das Phänomen zu klären und geeignete Empfehlungen zum Umgang mit der Situation abzugeben.

Abb. 3: Untersuchung von Felchen und Entnahme von Proben

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2.8 Weiterführende Abklärungen: Untersuchungsperiode 2011–13 Im Jahr 2009 wurde in einer neu zusammengestellten Arbeitsgruppe bestehend aus Vertretern der kantonalen Behörden (AWA/Gewässer- und Bodenschutzlabor und LANAT/Fischereiinspektorat) und aus Wissenschaftlern (Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin, Eawag, Institut für Klinische Chemie, Inselspital Bern und Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern) eine Auslegeordnung möglicher Folgeuntersuchungen gemacht. Anschliessend wurde ein Kickoff-Papier erarbeitet, in dem unter anderem eine Priorisierung der zusammengetragenen Projekte vorgenommen wurde. Erste Priorität erhielten Projekte, die als zeitnah realisierbar erachtet wurden, die das Potential hatten Ursachen für das Phänomen zu identifizieren und die mit bescheidenen finanziellen Mitteln realisierbar waren. 14 Teilprojekte wurden zur Durchführung empfohlen. Mit den angenommenen Projekten sollte die Problematik von verschiedenen Seiten her beleuchtet werden.

2.9 Situationsanalyse und weiterführende Grundlagenbeschaffungen Mit einer Zusammenstellung der Literatur zum Thema Gonadenveränderungen bei Felchen wird der bisherige Kenntnisstand zum Phänomen zusammengetragen. Mit der Weiterführung des Felchen-Routinemonitoringprogrammes und mit Hilfe von Sonderfängen auf den beiden bekannten Brienzlig-Laichplätzen im Thunersee werden die aktuellen Daten zur Häufigkeit der Veränderungen bei den Felchen ermittelt und mit den Daten aus früheren Jahren verglichen. Die Weiterführung des Plankton-Routinemonitorings wiederum zeigt auf, ob während der vergangenen Jahre eine Veränderung bei der Zusammensetzung des Zooplanktons stattgefunden hat.

Zwei weitere Teilprojekte knüpfen nahtlos an Versuche aus der letzten Untersuchungsperiode 2003-2008 an und dienen somit der weiterführenden Grundlagenbeschaffung. Im ersten der beiden wird die mögliche Reversibilität der Gonadenveränderungen überprüft. Bei einem Langzeit-Aufzuchtversuch sind Felchen während mehrerer Jahre mit Thunersee-Plankton aufgezogen worden und hatten deshalb Gonadenveränderungen ausgebildet. Eine Umstellung der Tiere auf kommerzielles Trockenfutter sollte nun zeigen, ob sich die Veränderungen wieder zurückbilden können, wenn der auslösende Faktor wegfällt. Im zweiten Teilprojekt werden Proben des im oben erwähnten Aufzuchtversuch verfütterten Planktons in Bezug auf Artenzusammensetzung und –anteile analysiert und die Ergebnisse mit den Plankton-Monitoringdaten aus dem Thunersee während der gleichen Fangperiode verglichen.

2.10 Ursachenanalysen Drei weitere Projekte klären allfällige immunologische Ursachen für die Entstehung von Gonadenveränderungen ab. Mit dem ersten dieser drei Projekte wird die während der letzten Untersuchungsreihe aufgestellte Autoimmunhypothese verifiziert. Dazu sollen im Rahmen einer veterinärmedizinischen Dissertation in einem ersten Schritt die benötigten Antikörper charakterisiert und die Testverfahren entwickelt werden. Parallel dazu werden mit Hilfe eines experimentellen Fütterungsversuches mit wildlebenden Felchen aus dem Bielersee die für den Nachweis der Hypothese erforderlichen Proben generiert werden.

Die beiden anderen Teilprojekte überprüfen, ob eine bakterielle Infektion als Ursache für die Gonadenveränderungen in Frage kommt.

Die letzten fünf Teilprojekte dienen der Suche nach möglichen chemischen Ursachenfaktoren. In den ersten beiden werden historische Planktonproben (mit erwiesenermassen auslösendem Potential) sowie rezentes Zooplankton aus dem Thuner- und Bielersee mit chemischen und bioanalytischen Methoden untersucht. Im Rahmen eines weiteren Teilprojektes wird das im Jahr 2005 erstellte Gutachten über die beim NEAT-Tunnelbau verwendeten Chemikalien nochmals unter Einbezug neuster Erkenntnisse kritisch geprüft. Zur Identifizierung weiterer potentiell kritischer Stoffe und derer Quellen werden in einem vierten Teilprojekt

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Abb. 4: Blutentnahme bei einem Felchen

mittels des Industrie- und Gewerbekatasters (IGK) Betriebe ausfindig gemacht werden, die aufgrund ihrer Einleitungen in den Thunersee in Bezug auf die Auslösung der Gonadenveränderungen relevant sein könnten. Schliesslich wird im Rahmen eines Monitoringprogrammes das Thunersee-Wasser über einen längeren Zeitraum hinweg chemisch analysiert bzw. auf das Vorhandensein von Mikroverunreinigungen untersucht.

Die beschriebenen Projekte wurden nach der Fassung des Regierungsratsbeschlusses vom 11.05.2011 in Angriff genommen und während der Jahre 2011 und 2012 durchgeführt. Finanziert wurden sie je zur Hälfte durch das AWA/Gewässer- und Bodenschutzlabor und das LANAT/Fischereiinspektorat. Der vorliegende Bericht liefert einen Überblick über die durchgeführten Untersuchungen, fasst die einzelnen Teilprojekte zusammen und endet mit den wichtigsten Schlussfolgerungen sowie Empfehlungen für das weitere Vorgehen.

2.11 Literatur Verschiedene Autoren (2008). Veränderte Geschlechtsorgane beim Thunerseefelchen. Abschlussbericht

(Dokumentenmappe). Fischereiinspektorat des Kantons Bern.

Bernet D, Bittner D (2009). Das Rätsel vom Thunersee – Neun Jahre epidemiologische und ätiologische Abklärungen zu anormalen Veränderungen der Geschlechtsorgane bei Felchen (Coregonus lavaretus). Bericht. Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI), Institut für Tierpathologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern & Abteilung für Populationsgenetik (CMPG), Institut für Evolution und Ökologie, Universität Bern.

Bernet D, Bittner D, Berset J-D, Friedli P, Küng C, Largiadèr C, Ochsenbein U, Segner H, Zeh M (2009). Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee – Kickoff-Papier – Rückblick auf 9 Jahre intensive Forschung und Vorschläge für weiterführende Abklärungen. Bericht. Verschiedene Institutionen.

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3 ZUSAMMENSTELLUNG DER TEILPROJEKTE

3.1 Teilprojekt 1: „Zusammenstellung Literatur zu Gonadenveränderungen bei Felchen“

Organisation AWA/Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL)

Ziel

Erstellen einer Liste der wichtigsten im Zusammenhang mit den Gonadenveränderungen bei Felchen generierten Publikationen; Zusammentragen der wichtigsten Dokumente in elektronischer Form.

Projektbeschrieb

Im Rahmen der bisherigen Abklärungen zur Untersuchung der Gonadenveränderungen bei Felchen wurden zahlreiche Publikationen generiert. Bis anhin wurden diese Publikationen jedoch noch nie katalogisiert. Das GBL hat deshalb eine entsprechende Übersichtsliste erstellt und die wichtigsten Dokumente in elektronischer Form zusammengetragen.

Zeitrahmen, Stand

Das Projekt ist abgeschlossen

Resultate & Schlussfolgerungen

Der Katalog ist erstellt und alle wesentlichen Publikationen liegen im PDF-Format vor.

Berichte, Publikationen

Liste & PDF-Sammlung (CD)

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3.2 Teilprojekt 2: „Routinemonitoring Felchen 2001 – 2012“ Organisation

Abb. 5: Beprobung von 25 Fischen bei einem Berufsfischer

Fischereiinspektorat des Kantons Bern (FI)

Ziel

Aufzeichnung und Beurteilung des zeitlichen Verlaufs der Häufigkeiten von Gonadenveränderungen bei männlichen Felchen im Thunersee.

Projektbeschrieb

Zur langfristigen Überwachung der Felchenbestände in den 3 grossen Berner Seen (Thuner-, Brienzer- und Bielersee) führt das Fischereiinspektorat des Kantons Bern seit 1984 ein Routinemonitoring durch. Im Rahmen dieses Programms werden monatlich 25 Fische aus regulären Berufsfischer-Fängen beprobt (fangrepräsentative Stichproben). Nebst der Bestimmung von Länge, Gewicht, Alter und Felchenform, werden dabei seit 2001 vor allem auch die Gonaden hinsichtlich auffälliger Veränderungen makroskopisch beurteilt.

Basierend auf den Daten des Routinemonitoringprogramms, wurde in diesem Teilprojekt die mittelfristige Entwicklung des Phänomens von 2001 bis 2012 beschrieben. Da die Monatsmonitoringdaten auf eine deutliche Veränderung der Situation ab 2010 hinwiesen, wurde zudem die Häufigkeit der Gonadenveränderungen für die Jahre 2010 bis 2012 detailliert analysiert.

Da die Gonadenveränderungen bei männlichen Felchen in der Regel stärker ausgeprägt sind, wurden in dieser Studie nur männliche Tiere berücksichtigt.

MESSPARAMETER, METHODEN

Monatliche Beurteilung von fangrepräsentativen Stichproben (jeweils 25 Tiere) aus Berufsfischerfängen. Berücksichtigte Parameter: Geschlecht Gonadenbeschaffenheit (normale Gonaden, Zwitterstadien, Verwachsungen, Unterteilungen oder

fehlende Gonaden) Bestimmung der Häufigkeit der Gonadenveränderungen über die Zeit basierend auf den

Monatsmonitoringdaten.

ZEITRAHMEN, STAND

2001 – 2012; Das Routinemonitoring wird im bisherigen Rahmen weitergeführt.

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Resultate & Schlussfolgerungen

Die Häufigkeit von Gonadenveränderungen variiert von Monat zu Monat sehr stark. Sie reicht von 0% (z.B. Oktober 2001) bis 90% (Juli 2004). Dies hängt mit modulierenden Faktoren wie Formenzugehörigkeit, Alter und Jahrgang der Felchen zusammen.

Seit dem Jahr 2010 ist ein Rückgang der Gonadenveränderungen zu erkennen. In den Jahren 2010 und 2011 zeigten signifikant weniger Felchen-Männchen veränderte Gonaden (je 5%) als in allen vorangegangen Jahren seit Beginn der Beobachtungen (18% [2006] bis 40% [2004]). Auch 2012 war der Anteil veränderter Felchen mit 10% unterdurchschnittlich, wenn gleich nicht statistisch signifikant (Abbildung 6).

Genau 10 Jahre nach den ersten Beobachtungen, scheint im Jahr 2010 eine Trendumkehr bei den Gonadenveränderungen der Felchen im Thunersee erkennbar zu sein. Die Gonadenveränderungen gingen im Vergleich mit den Vorjahren deutlich zurück.

Die Ursachen des Rückgangs bleiben in Unkenntnis der auslösenden Faktoren für die Gonadenveränderungen im Dunkeln. Es ist davon auszugehen, dass der/die über das Zooplankton wirkende(n) Faktor(en) in den letzten 3 Jahren weniger vorhanden gewesen war(en), oder weniger gewirkt hat/haben. Da sich die Gonadenveränderungen mehrheitlich während der Pubertät manifestieren, d.h. bei 1+ Fischen, müsste diese Änderung im Plankton ca. im Jahr 2008 eingesetzt haben.

Da der in dieser Studie ermittelte Rückgang an veränderten Tieren auf relativ kleinen Stichprobengrössen basiert und überdies die Häufigkeit der gefundenen Gonadenveränderungen wie oben erwähnt von zahlreichen Faktoren wie der Felchenform, dem Geschlecht, dem Alter und dem Jahrgang der beprobten Tiere abhängig ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Ergebnis durch ungünstig zusammengesetzte Stichproben beeinflusst wurde.

Ausblick

Um keine wichtigen Entwicklungen bezüglich der Häufigkeit der Gonadenveränderungen und der zeitlichen Weiterentwicklung des Phänomens zu verpassen, wird das Routinemonitoringprogramm fortgesetzt.

Berichte, Publikationen

Bernet, D (2012). Routinemonitoring Felchen 2001 – 2012. Schlussbericht. Fischereiinspektorat des Kantons Bern.

Abb. 6: Häufigkeit von Gonadenveränderungen bei männlichen Felchen im Thunersee seit Beginn der Datenerhebungen, summiert nach Fangjahr. Das Streuungsmass repräsentiert das 95% Vertrauensintervall der Binomialverteilung. In den Jahren 2010 und 2011 wurden signifikant weniger männliche Felchen mit veränderten Gonaden gefangen als in allen Vorjahren seit Beginn der Gonadenuntersuchungen.

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3.3 Teilprojekt 3: „Laichplatzmonitoring 2011“ Organisation

Fischereiinspektorat des Kantons Bern (FI)

Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI), Vetsuisse Fakultät, Universität Bern

Ziel

Verifizierung der Befunde aus dem Routinemonitoring und Beurteilung der zeitlichen Entwicklung der Häufigkeit von veränderten Tieren auf den Laichplätzen.

Abb. 7: Nummerierte Felchen, bereit zur Entnahme der Proben

Projektbeschrieb

Seit dem Jahr 2010 wurden im Rahmen des monatlichen Felchen-Routinemonitorings im Thunersee deutlich weniger Tiere mit Gonadenveränderungen gefangen als in den Vorjahren (siehe Teilprojekt „Routinemonitoring Felchen 2001 – 2012“). Dieser Befund basiert auf relativ kleinen Stichproben (jeweils 25 Fische pro Monat) und könnte durch ungünstige Stichprobenzusammensetzungen beeinflusst sein. Um verlässlichere Aussagen bezüglich eines allfälligen Rückgangs der Gonadenveränderungen machen zu können, wurde deshalb eine gezielte Beprobung der am stärksten betroffenen Felchenformen mit ausreichend grossen Stichproben als unerlässlich erachtet.

Am stärksten von dem Phänomen betroffen ist die Felchenform „Brienzlig“. Im Jahr 2011 wurden deshalb während der Laichzeit der Brienzlig (Anfang September) zwei bekannte Brienzlig-Laichplätze (Merligen und Faulensee) gezielt befischt. Pro Laichplatz wurden 300 Tiere beprobt und auf das Vorhandensein von Gonadenveränderungen untersucht. Die Ergebnisse wurden dann mit den Monatsmonitoringdaten verglichen. Beide Laichplätze wurden bereits in den Jahren 2005 und 2006 beprobt. Dadurch wird ein Vergleich der alten und neuen Laichplatzmonitoringdaten möglich.

Messparameter, Methoden

Gezielter Fang, Beprobung und Beurteilung von 600 Brienzlig auf 2 Laichplätzen (300 Tiere pro Laichplatz) während der Laichperiode. Berücksichtigte Parameter: Länge, Gewicht, Alter, Geschlecht und Gonadenbeschaffenheit.

Vergleich der Laichplatzmonitoringdaten mit den Daten aus dem monatlichen Routinemonitoring. Vergleich der alten und neuen Laichplatzmonitoringdaten. Berechnung Anteil veränderter Tiere pro Altersklasse.

Zeitrahmen, Stand

2005, 2006 und 2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

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Resultate & Schlussfolgerungen

Die Befunde aus dem Laichplatzmonitoring bestätigen den im Monatsmonitoring beobachteten Rückgang der Gonadenveränderungen: es fanden sich deutlich weniger veränderte Tiere als noch in den Jahren 2005 und 2006 (Abbildung 8). Die Veränderungen traten am häufigsten bei den ältesten Tieren auf (Altersklasse der 4- bis 5-jährigen bzw. Jahrgänge 2006 bis 2007). Daraus lässt sich schliessen, dass der/die über das Plankton einwirkende(n) Faktor(en) seit ca. 2008 im See entweder in geringeren Mengen vorliegt/vorliegen oder in seiner/ihrer Wirkung nachgelassen hat/haben.

Ausblick

Zurzeit ist kein weiteres Laichplatzmonitoring vorgesehen. Sollten jedoch die Daten aus dem Monatsmonitoring zeigen, dass die Gonadenveränderungen wieder zunehmen, könnte kurzfristig ein neues Laichplatzmonitoring geplant werden.

Berichte, Publikationen

Bernet, D (2012). Sonderfänge Laichplatzbeprobung 2011. Schlussbericht. Fischereiinspektorat des Kantons Bern.

Abb. 8: Häufigkeit der Gonadenver-änderungen bei den beprobten Brienzlig an den beiden Laichplätzen Merligen und Faulensee, aufgeteilt nach Geschlechtern. Das Streuungsmass stellt das 95% Konfidenzintervall der binomialen Verteilung dar.

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3.4 Teilprojekt 4: „Routinemonitoring Plankton“ Organisation

Abb. 8: Heben der Planktonnetze durch Mitarbeiter des GBL

Gewässer- und Bodenschutzlabor, Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern (AWA)

Ziel

Vergleich aktueller Planktonproben (2011 und 2012) mit Daten aus den Vorjahren; Überprüfung eines allfälligen Zusammenhangs zwischen der Häufigkeit der Gonadenveränderungen und der Planktonzusammensetzung.

Projektbeschrieb

Seit dem Jahr 1994 führt das GBL in den drei grossen Berner Seen (Thuner- Brienzer- und Bielersee) ein Plankton-Routinemonitoring durch. Dabei wird monatlich aus jedem See eine Mischprobe gezogen, für das Zooplankton aus 0-100 m, für das Phytoplankton aus 0-20 m (1994 – 2011) bzw. 0-40 m (ab 2012).

Im Rahmen einer zwischen 2005 und 2007 durchgeführten Studie konnte gezeigt werden, dass das Plankton aus dem Thunersee bei der Entstehung der bei Felchen beobachteten Gonadenveränderungen eine entscheidende Rolle spielt. Es ist aber noch unklar, welche Aspekte des Planktons dafür verantwortlich sind.

Da seit 2010 deutlich weniger Felchen mit deformierten Gonaden gefangen wurden als während der Vorjahre (siehe auch Teilprojekte „Routinemonitoring Felchen 2001 – 2012“ und „Laichplatzmonitoring 2011“), wurde untersucht, ob der Rückgang an Tieren mit deformierten Gonaden allenfalls mit einer kürzlich erfolgten Veränderung der Artenzusammensetzung und/oder der Artenverhältnisse des Thunersee-Planktons einher ging.

Messparameter, Methoden

Monatliche Proben; Zooplankton aus 0-100 m (Netzprobe, Maschenweite 95 µm), Phytoplankton aus 0-20 bzw. 0-40 m (Mischprobe).

Vergleich der Planktonzusammensetzung in 2011 und 2012 mit Daten aus den Vorjahren.

Zeitrahmen, Stand

2011 – 2012; Das Projekt wird im bisherigen Rahmen weitergeführt.

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Resultate & Schlussfolgerungen Bezüglich der Zusammensetzung des Zooplanktons gab es 2011 und 2012 keine wesentlichen Veränderungen verglichen mit den Vorjahren. Dafür hat sich die Zusammensetzung des Phytoplanktons zwischen 2011 und 2012 leicht verändert. Die Veränderungen könnten aber wetterbedingt zustande gekommen sein. Die oben erwähnte Umstellung auf einen neuen Tiefenbereich bei den Beprobungen (neu 0-40 m anstatt wie bisher 0-20 m) könnte dabei jedoch auch eine Rolle gespielt haben.

Fazit: Das den Felchen als Nahrung dienende Zooplankton ist in seiner Zusammensetzung über die vergangenen Jahre weitestgehend gleich geblieben. Es fanden sich keinerlei Hinweise, dass der seit 2010 zu beobachtende Rückgang an veränderten Felchen mit einer während des fraglichen Zeitraumes erfolgten Veränderung der Zooplankton-Zusammensetzung hätte einhergehen können.

Ausblick

Das Plankton-Routinemonitoring wird im bisherigen Rahmen fortgesetzt.

Berichte, Publikationen

Entwicklung des Phyto- und Crustaceenplanktons (März 2009). Bericht des Amts für Wasser und Abfall, Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL); Download: http://www.be.ch/awa > Gewässerqualität > Seen

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3.5 Teilprojekt 5: „Charakterisierung des verfütter ten Planktons“ Organisation

Abb. 9: Daphnie unter der Stereolupe

WFN – Wasser Fisch Natur, Dr. A. Kirchhofer, Murtenstrasse 52, 3205 Gümmenen (Planktonbestimmung)

AWA/Gewässer- und Bodenschutzlabor (Planktonfang)

Fischereiinspektorat (Planktonfang)

Ziel

Charakterisierung von Thunersee-Planktonproben mit erwiesenermassen auslösendem Potential hinsichtlich Artenzusammensetzung und Artenanteile; Vergleich dieser Proben mit Planktonproben aus den Routinemonitoring-Probezügen der entsprechenden Fangperiode.

Projektbeschrieb

Im Rahmen eines Aufzuchtversuches wurden junge Felchen vom Zeitpunkt der ersten Nahrungsaufnahme an während 3 Jahren, von 2006 bis 2008, mit Thunersee-Plankton aufgezogen. Dabei wurde festgestellt, dass die Fütterung mit Thunersee-Plankton bei den Tieren Gonadenveränderungen auslösen kann.

Von demjenigen Plankton, welches im Frühjahr 2008 gefangen und im Laufe desselben Jahres verfüttert wurde, sind jeweils von jedem Fang-Tag auch Proben in Formalin fixiert worden. Vom Plankton das während der ersten beiden Jahre, d.h. 2006 und 2007, verfüttert wurde, sind keine Proben aufbewahrt worden. Im Jahr 2011 wurde dem Büro WFN – Wasser Fisch Natur der Auftrag erteilt, diese Planktonproben hinsichtlich Artenzusammensetzung und Artenanteile zu charakterisieren.

Es wurden insgesamt 24 Proben analysiert, die zwischen dem 18. März und 1. Juni 2008 im Thunersee gezogen wurden. Für jede Probe wurden die Artenzusammensetzung und die Artenanteile bestimmt und es wurde untersucht, inwiefern sich diese im Verlauf der Fangperiode verändert haben. Schliesslich wurden die Artenzusammensetzungen und Artenanteile noch mit den Proben aus den entsprechenden Monaten des Routinemonitorings vom GBL verglichen.

Messparameter, Methoden

Bestimmung und Auszählung der verschiedenen Planktonarten in 24 Planktonproben. Vergleich der Ergebnisse zwischen den einzelnen Proben (d.h. Fangdaten). Vergleich der Ergebnisse mit den Resultaten der entsprechenden Monatsproben des GBL

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Zeitrahmen, Stand

Planktonfänge: Frühling 2008, Planktonuntersuchung: 2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

Die Artenzusammensetzung und die zeitliche Veränderung der Zusammensetzung des für die Felchenaufzucht verwendeten Planktons waren vergleichbar mit denjenigen aus den Routineproben des GBL. Es gab allerdings auch Unterschiede: So war zum Beispiel der Anteil an Nauplien und Copepoditen im Futterplankton tiefer als in den Routineproben. Die Unterschiede sind jedoch mit den unterschiedlichen Fangmethoden und Fangwerkzeugen erklärbar (Horizontalzüge in 0 - 10 m Tiefe mit grösserer Netzmaschenweite vs. Vertikalzüge aus 100 m Tiefe mit engerer Maschenweite).

Das 2008 im Rahmen des Aufzuchtversuches verfütterte Plankton ist somit repräsentativ für das zur damaligen Zeit im Thunersee vorhandene Planktonangebot. Es fanden sich zudem keinerlei Hinweise, dass der/die für die Gonadenveränderungen verantwortliche(n) Faktor(en) mit einer bestimmten Planktonart in Verbindung stehen könnte.

Berichte, Publikationen

Kirchhofer, A, Eichenberger, D (2011). Zooplankton Thunersee – Artenzusammensetzung des Felchenfutters im Frühjahr 2008. Bericht im Auftrag des Gewässer- und Bodenschutzlabors (GBL), Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern (AWA)

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3.6 Teilprojekt 6: „Reversibilität der Gonadenveränderungen“ Organisation

Abb. 10: Probenahme der Felchen aus dem Aufzuchtversuch

Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern

Fischereiinspektorat des Kantons Bern

Ziel

Überprüfung, ob Felchen mit veränderten Gonaden das Potential haben, die Veränderungen wieder zurückzubilden, wenn der auslösende Faktor (d.h. das Plankton) wegfällt.

Projektbeschrieb

Die Studie wurde im Anschluss an einen dreijährigen Aufzuchtversuch durchgeführt, der aufgezeigt hatte, dass bei Felchen durch die Fütterung mit Plankton aus dem Thunersee Gonadenveränderungen ausgelöst werden können. Felchen aus diesem Versuch, von denen ein hoher Anteil Gonadenveränderungen ausgebildet hatte, wurden von Plankton auf kommerzielles Trockenfutter umgestellt und für weitere zwei Jahre unter dem neuen Futterregime aufgezogen. Ein Jahr bzw. zwei Jahre nach Futterumstellung wurden die Tiere beprobt und auf Gonadenveränderungen untersucht.

Messparameter, Methoden

Aufzucht von Felchen mit Thunersee-Plankton während der ersten drei Lebensjahre. Anschliessende Umstellung auf kommerzielles Trockenfutter (2008). Weiterführung Aufzucht mit Trockenfutter für weitere zwei Jahre. Beprobung der Tiere und Beurteilung der Gonaden nach dem 1. und 2. Jahr nach Futterumstellung.

Zeitrahmen, Stand

2008 – 2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

Nach dem 1. Jahr war ein leichter, jedoch statistisch nicht signifikanter Rückgang von veränderten Tieren feststellbar. Nach dem 2. Jahr erfuhr der Anteil an veränderten Tieren keine weitere Abnahme und blieb auf dem Niveau des Vorjahres. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Felchen mit Gonadenveränderungen das Potential haben, die Veränderungen nach Wegfall des auslösenden Faktors wieder zurückzubilden.

Berichte, Publikationen

Bernet, D (2012). Reversibilität der Veränderungen – Gibt es ein Potential für Felchen, sich von den Gonadenveränderungen zu erholen? Schlussbericht. Fischereiinspektorat des Kantons Bern (FI).

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3.7 Teilprojekt 7: „Bakteriologie von veränder ten Gonaden aus Laichplatzmonitoring“

Organisation

Abb. 11: Kultivierung der Proben auf einer Blut-Agar-Platte

Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI)

Zentrum für Zoonosen, bakterielle Tierkrankheiten und Antibiotikaresistenz (ZOBA)

Fischereiinspektorat des Kantons Bern (FI)

Ziel

Überprüfung der Möglichkeit einer bakteriellen Infektion als Ursache für die Gonadenveränderungen mittels Spezial-Bakteriologie.

Projektbeschrieb

Im Rahmen der bisherigen Abklärungen zu möglichen Ursachen für die Entstehung von Gonadenveränderungen bei Felchen wurden Gonadenproben auch bakteriologisch untersucht. Dabei fanden sich keine Hinweise auf eine bakterielle Infektion als mögliche Ursache der Deformationen. Für die bakteriellen Untersuchungen wurden allerdings nur die üblichen Blut- und Brolac-Agarplatten verwendet. Mit diesen Nährmedien können jedoch bestimmte potentiell problematische Bakterien (z.B. Mycoplasmen und Nokardien) nicht kultiviert werden. In Zusammenarbeit mit dem ZOBA wurden daher Nativproben von veränderten Gonaden (aus Fischen des Laichplatzmonitorings von 2011; siehe Teilprojekt „Laichplatzmonitoring“) auf Spezialagarplatten inkubiert. Für die gewachsenen Kolonien wurde eine Keimidentifikation durchgeführt.

Messparameter, Methoden

Entnahme von Nativproben von veränderten Gonaden im Rahmen des Laichplatzmonitorings von 2011.

Kultivierung der Gonadenproben auf Spezialagar und anschliessende Keimidentifikation.

Zeitrahmen, Stand

2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

Es konnten keine Mycoplasmen und/oder Nokardien nachgewiesen werden. Die stattdessen gefundenen anaeroben Bakterien Propionibacterium aknes (grampositive, kokkoide Stäbchen) sind keine fischspezifischen Erreger. Da die Probenahme unter Feldbedingungen stattfand und somit nicht steril gearbeitet werden konnte, ist denkbar, dass es sich bei den gefundenen Keimen um verarbeitungsbedingte Verunreinigungen handelt. Weil die Bakterien jedoch auch intrazellulär vorkamen, stellt der Befund eventuell doch mehr als eine simple Verunreinigung dar. Um die Relevanz des Befundes zu prüfen, empfahl das ZOBA von historischen, Formalin-fixierten Gonadenproben histologische Schnitte herstellen zu lassen und davon Gramfärbungen anzufertigen (siehe Teilprojekt „Gramfärbungen historisches Gonadenmaterial“).

Berichte, Publikationen

ZOBA-Prüfbericht 11/115872

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3.8 Teilprojekt 8: „Gramfärbungen historisches Gonadenmaterial“ Organisation

Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI)

Ziel

Untersuchung von Formalin-fixierten Proben von veränderten und unveränderten Felchengonaden auf grampositive Bakterien bzw. Überprüfung der Relevanz des Befundes aus dem Teilprojekt „Bakteriologie von veränderten Gonaden aus Laichplatzmonitoring“.

Abb. 13: Gramfärbung an nativem Probenmaterial

Projektbeschrieb

Wie vom Zentrum für Zoonosen, bakterielle Tierkrankheiten und Antibiotikaresistenz (ZOBA) vorgeschlagen (siehe Teilprojekt „Bakteriologie von veränderten Gonaden aus Laichplatzmonitoring“), wurden am FIWI von 6 veränderten und 6 unveränderten Formalin-fixierten Felchengonaden histologische Schnitte und Gramfärbungen angefertigt. Die gefärbten Schnitte wurden unter dem Lichtmikroskop auf das Vorhandensein von grampositiven Stäbchen überprüft.

Messparameter, Methoden

Herstellung von histologischen Schnitten von Formalin-fixierten Proben von veränderten und unveränderten Gonaden.

Anfertigung von Gramfärbungen der histologischen Schnitte.

Zeitrahmen, Stand

2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

Es konnten weder in den veränderten noch in den unveränderten Gonaden grampositive Stäbchen nachgewiesen werden. Es deutet somit nichts darauf hin, dass die im Rahmen des Teilprojektes „Spezial-Bakteriologie von veränderten Gonaden aus Laichplatzmonitoring“ gefundenen grampositiven Stäbchen im Zusammenhang mit den Gonadenveränderungen stehen könnten.

Berichte, Publikationen

keine

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3.9 Teilprojekt 9: „Autoimmunerkrankung“ Organisation

Abb. 14: M. Bula beim Pipettieren der Proben

Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI), Vetsuisse Fakultät, Universität Bern

Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), Gruppe Köllner, Greifswald – Insel Riems, Deutschland

Inselspital Bern, Universitätsinstitut für Klinische Chemie UKC

Ziel

Verifizierung der Autoimmunhypothese bzw. Entwicklung und Anwendung eines Testsystems zum Nachweis von Autoantikörpern.

Projektbeschrieb

David Bittner hat in seiner Doktorarbeit bei männlichen Felchen mit normalen und veränderten Hoden Transkriptionsanalysen verschiedener funktionaler Gengruppen durchgeführt. Aus den Resultaten dieser Studie ergaben sich Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung als mögliche Ursache für die Gonadenveränderungen. Gemäss der aufgestellten Hypothese müsste sich die Autoimmunreaktion gegen die Geschlechtsorgane richten, als Folge einer Störung der Blut–Geschlechtsorgan-Schranke. Falls die Autoimmunerkrankung für die Auslösung der Veränderungen verantwortlich ist, müssten sich im Serum der veränderten Tiere vermehrt Antikörper (Immunglobulin M; IgM) finden lassen, die gegen Gonadenstrukturen und/oder Keimzellen (Spermien oder Eizellen) gerichtet sind (Autoantikörper). Ein Nachweis solcher Antikörper war bisher allerdings nicht direkt möglich, da weder gegen Felchen IgM gerichtete Antikörper noch eine geeignete Nachweismethode zur Verfügung standen. Beides ist Voraussetzung, um die Autoimmunhypothese zu prüfen.

Nebst einem geeigneten Nachweisverfahren braucht es zur Verifizierung der Hypothese auch Serum- und Gonadenproben von veränderten und unveränderten Felchen. Da unklar ist, in welchem Stadium eine allfällige Autoimmunerkrankung am besten nachgewiesen werden könnte, sollten möglichst Proben aus allen wesentlichen Stadien des Krankheitsgeschehens vorliegen. Bei den Veränderungen, die bei Wildfischen im Thunersee gefunden werden, handelt es sich aber höchstwahrscheinlich meist bereits um die chronische Phase der Erkrankung, in der allfällige entzündliche und immunologische Prozesse vermutlich bereits nicht mehr nachgewiesen werden können. Proben aus verschiedenen Krankheitsstadien zu erheben ist nur möglich, wenn diese unterschiedlichen Stadien gezielt provoziert werden. Dies kann im Rahmen eines Aufzuchtversuches erreicht werden, wenn anfänglich unveränderte Felchen über einen längeren Zeitraum dem auslösenden Faktor ausgesetzt werden, d.h. via Fütterung mit dem nachweislich Veränderungen auslösenden Thunersee-Plankton.

Die Verifizierung der Autoimmunhypothese wurde am Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI) im Rahmen einer veterinärmedizinischen Dissertation in Angriff genommen. Dazu wurde zweigleisig vorgegangen:

1.) Es musste ein monoklonaler Antikörper (mAk) zum Nachweis von Felchen-IgM identifiziert werden, um basierend auf diesem mAk ein neues Testsystem zu entwickeln, mit der die Autoimmunhypothese überprüft werden kann. Zur Entwicklung des Testsystems waren zwei verschiedene methodologische Ansätze geplant: der erste basierte auf der Immunhistochemie-Methode. Dabei ging man von der

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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Annahme aus, dass die gegen körpereigene Strukturen gerichteten Antikörper (Autoantikörper) gegen Gonadengewebe gerichtet sind. In veränderten Gonaden sollten somit gebundene Autoantikörper vorliegen, welche mittels dem mAk nachgewiesen werden könnten. Der zweite Ansatz basierte auf einem Spermien-Agglutinationstest bzw. Cytospin-Verfahren. Dabei wurde vorausgesetzt, dass die Autoantikörper gegen Spermien gerichtet sind. Gemäss dieser Annahme sollten die im Serum von veränderten Felchen enthaltenen Autoantikörper (IgM) bei Kontakt mit Spermien Komplexe bilden, die wiederum mittels dem mAk nachgewiesen werden könnten.

2.) Es wurde ein experimenteller Hälterungs- und Fütterungsversuch mit wildlebenden Felchen durchgeführt. Dieser Versuch diente zur Gewinnung von Probenmaterial, um die Autoimmunhypothese zu untersuchen. Dazu wurden subadulte Felchen mit der Angel aus dem Bielersee gefangen und in Rundbecken am Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin gehältert. Die Fische wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe wurde mit Plankton aus dem Thunersee gefüttert (= Plankton mit auslösendem Potential). Die andere Gruppe erhielt Bielersee-Plankton (= Plankton ohne auslösendes Potential). Die Fische wurden während mehrerer Monate aufgezogen, periodisch beprobt und die Gonaden makroskopisch und histologisch beurteilt. Zur eigentlichen Verifizierung der Autoimmunhypothese war geplant, nach erfolgreicher Testentwicklung (siehe Punkt 1), die im Rahmen des Aufzuchtversuches gewonnenen Serum- und Gonadenproben mittels der oben beschriebenen Testverfahren zu analysieren.

Messparameter, Methoden

Charakterisierung mAk & Entwicklung Testsystem: Eigenentwicklung und Charakterisierung von mAk mittels ELISA und Western Blot. Charakterisierung eines kommerziell erhältlichen mAk (mAk f11) mittels ELISA und Western Blot. Entwicklung eines Protokolls zum Nachweis von antigengebundenen Autoantikörpern (Felchen-IgM)

mittels Immunhistochemie (IHC). Entwicklung eines Protokolls zum Nachweis von antigengebundenen Autoantikörpern (Felchen-IgM)

mittels Spermien-Agglutinationstest bzw. Cytospin-Verfahren.

Hälterungs- und Fütterungsversuch Fang von wildlebenden subadulten (d.h. > 1+) Felchen aus dem Bielersee (Anglerfang). Aufzucht der Tiere am FIWI während 9 Monaten in 2 Gruppen: Gruppe 1: mit Plankton aus dem Thunersee gefüttert Gruppe 2: mit Plankton aus dem Bielersee gefüttert

Periodische Beprobung beider Gruppen (jeweils 10 Tiere pro Probenahme und Gruppe). Ablauf: Messen & Wägen Blutentnahme zur späteren Serumgewinnung Makroskopische Beurteilung der Gonaden (normal, Zwitterstadien, Verwachsungen, Unterteilungen

oder fehlend) Gonadenentnahme zur anschliessenden histologischen Untersuchung Entnahme weiterer Organe (Kopfniere, Leber und Milz) für allfällige weiterführende

Untersuchungen Vergleich der makroskopischen und histologischen Gonadenveränderungen zwischen den einzelnen

Probenahmen und zwischen den beiden Gruppen.

Zeitrahmen, Stand

2011 – 2013; Das Projekt ist abgeschlossen.

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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Resultate & Schlussfolgerungen

CHARAKTERISIERUNG MAK

Die am Friedrich-Loeffler-Institut in Riems (Deutschland) selber entwickelten mAk mussten leider verworfen werden, da die Reaktion mit Felchen IgM zu unspezifisch war. Eine spezifische Reaktion wurde jedoch mit dem kommerziell erhältlichen mAk f11 erzielt: es konnte gezeigt werden, dass der mAk f11 zum Nachweis von antigengebundenem Felchen-IgM gut geeignet ist. Der mAk f11 konnte somit zur Entwicklung der oben beschriebenen Testsysteme verwendet werden.

ENTWICKLUNG TESTSYSTEM: IMMUNHISTOCHEMIE

Für die Entwicklung des Immunhistochemie-Protokolles wurde aus einem früheren Versuch stammendes formalinfixiertes Gonadenmaterial von veränderten und unveränderten Felchen verwendet.

Es fanden sich keine Unterschiede zwischen veränderten und unveränderten Tieren, d.h. weder bei den veränderten noch bei den unveränderten Gonaden kam es zu Bindungsreaktionen mit dem mAk. Dies könnte einerseits bedeuten, dass im Gewebe der veränderten Gonaden keine gebundenen Autoantikörper (Felchen-IgM) vorhanden waren. Es ist jedoch anderseits auch möglich, dass das verwendete Gewebe nach der langen Fixationszeit nicht mehr geeignet war für den Test.

Da frisches Gonadenmaterial von veränderten und unveränderten Tieren nicht mehr zur Verfügung stand, konnte das Testsystem nicht validiert werden. Eine Messung der Proben aus dem Aufzuchtversuch war somit nicht möglich bzw. nicht sinnvoll.

ENTWICKLUNG TESTSYSTEM: AGGLUTINATIONSTEST BZW. CYTOSPIN-METHODE

Für die Entwicklung des Spermien-Agglutinationstests bzw. der Cytospin-Methode wurden Spermien von Felchen aus dem Neuenburgersee sowie aus einem früheren Versuch stammende Seren von veränderten (Positiv-Seren) und unveränderten (Negativ-Seren) Felchen verwendet.

Es fanden sich keine Unterschiede zwischen den Seren von veränderten und unveränderten Felchen bzw. es konnten weder in den mit Positiv-Seren noch in den mit Negativ-Seren behandelten Spermien-Proben mittels Immunfluoreszenzmikroskopie Signale nachgewiesen werden. Dies könnte einerseits bedeuten, dass in den Positiv-Proben kein gegen Spermien gerichtetes IgM enthalten war. Anderseits wäre es aber auch möglich, dass die Serumproben aufgrund unsachgemässer Lagerung (wiederholtes Auftauen und Wiedereinfrieren) unbrauchbar waren.

Da frische Seren von veränderten und unveränderten Tieren nicht mehr zur Verfügung standen, konnte das Testsystem nicht validiert werden. Eine Messung der Proben aus dem Aufzuchtversuch war somit nicht möglich bzw. nicht sinnvoll.

HÄLTERUNGS- UND FÜTTERUNGSVERSUCH

Da oben erwähnte methodische Testsysteme nicht validiert werden konnten, konnten die erhobenen Proben aus dem Aufzuchtversuch nicht gemessen werden. Die Gonaden dieser Tiere wurden jedoch makroskopisch und histologisch untersucht.

Bei keinem der im Rahmen des verkürzten Aufzuchtversuches beprobten Fische wurden makroskopisch sichtbare Gonadenveränderungen gefunden. In den histologischen Untersuchungen wurden die beiden Behandlungsgruppen in Bezug auf das Vorhandensein von Entzündungszellen im Gonadengewebe miteinander verglichen (dabei wurden nur Lymphozyten berücksichtigt). Dabei fanden sich wider Erwarten mehr Lymphozyten-Herde in den Gonaden der Tiere aus der Bielersee-Gruppe. Die Unterschiede zwischen den Gruppen waren jedoch sehr gering. Zudem war bei keiner der beiden

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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Gruppen im Verlauf der Probennahmen ein klarer Anstieg oder Abfall der Lymphozyten-Dichte zu vermerken. Dies lässt vermuten, dass die Unterschiede bereits zu Beginn des Experimentes bestanden hatten und nicht fütterungs- oder haltungsbedingt waren.

Fazit

Die Autoimmunhypothese kann weder bestätigt noch verworfen werden. Mit beiden Testverfahren konnten keine gebundenen Autoantikörper nachgewiesen werden. Dies kann einerseits daran liegen, dass tatsächlich keine Autoantikörper vorhanden waren. Anderseits könnte aber auch das alte Probenmaterial unbrauchbar gewesen sein.

Ausblick

Zur verlässlichen Abklärung der Autoimmunhypothese müssten die beschriebenen Verfahren zum Nachweis von antigengebundenem Felchen-IgM weiterentwickelt werden. Für die Methodenentwicklung müssten jedoch zuerst neue Positivproben (= Seren und Gonadenmaterial von veränderten Felchen) beschafft werden. Da die Anzahl an veränderten Tieren im Thunersee seit 2010 jedoch stark abgenommen hat (siehe auch Teilprojekte „Routinemonitoring Felchen 2001 – 2012“ und „Laichplatzmonitoring 2011“), wird die Beschaffung von ausreichenden Mengen an Probenmaterial schwierig.

Berichte, Publikationen

Bula, M (2012). Gonad alterations in whitefish (Coregonus sp.) of Lake Thun: Investigations to test for a possible autoimmune response. Dissertation (Englisch). Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin, Institut für Tierpathologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern.

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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3.10 Teilprojekt 10: „Chemisch-bioanalytische Planktonanalysen“ Organisation

Abb. 15: Messung der aufgeschlossenen Planktonproben mittels LC-MS/MS

Fischereiinspektorat des Kantons Bern: Planktonfang

AWA/Gewässer- und Bodenschutzlabor (Planktonfang)

Oekotoxzentrum Eawag/EPFL (Probenaufbereitung & -analyse)

Abteilung Umwelttoxikologie, Eawag (Probenaufbereitung & -analyse)

Ziel

Ermittlung der endokrinen Aktivität von historischen und aktuellen Planktonproben aus dem Thuner- und Bielersee und die allfällige Identifizierung der dafür verantwortlichen Stoffe.

Projektbeschrieb

Bisherige Studien haben gezeigt, dass das Plankton aus dem Thunersee eine wichtige Rolle bei der Auslösung bzw. Entstehung der Gonadenveränderungen zu spielen scheint: in Aufzuchtversuchen zeigten Felchen, welche mit Thunersee-Plankton gefüttert wurden, signifikant mehr der charakteristischen Gonadenveränderungen als Felchen, welche mit Bielersee-Plankton oder mit Trockenfutter aufgezogen wurden. Da zudem Extrakte von Thuner- und Brienzersee-Plankton in verschiedenen in vitro Tests östrogene Aktivität gezeigt hatten (Bernet et al. 2008; Liedtke et al. 2009; Bruderer 2009; Richle 2008), kam der Verdacht auf, dass hormonaktive Stoffe an der Entstehung der Gonadenveränderungen beteiligt sein könnten. Eine ausführliche chemisch-bioanalytische Untersuchung des Planktons stand bislang noch aus.

Ziel dieses Teilprojektes war somit die Bestimmung der endokrinen Aktivität von Plankton aus dem Thuner- und Bielersee und, wenn möglich, die Identifizierung der dafür verantwortlichen Substanzen. Dazu wurden historische und aktuelle Proben von potentiell effektauslösendem und nicht-auslösendem Plankton mittels ökotoxikologischer Tests auf hormonelle Aktivität untersucht. Zudem wurden Fraktionen des potentiell effektauslösenden Planktons mittels chemischer Non-Target Analytik auf mögliche problematische Substanzen getestet.

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Messparameter, Methoden

Zur Messung der hormonellen Aktivität:

Vier verschiedene CALUX® (Chemically Activated LUciferase gene eXpression) Assays: AR-CALUX® (Nachweis androgenaktiver Substanzen, die als Agonisten an den Androgen-Rezeptor

binden und so das natürliche männliche Sexualhormon Testosteron imitieren können) Anti-AR-CALUX® (Nachweis anti-androgener Substanzen, die als Antagonisten an den Androgen-

Rezeptor binden können und so die Bindung von Testosteron verhindern können) PPAR-CALUX® (Nachweis hormonaktiver Substanzen, die an die Peroxisom-Proliferator-aktivierten

Rezeptoren (kurz: PPARs) binden und diese aktivieren können; PPAR-aktivierende Substanzen können u.a. Fettstoffwechsel, Blutfettwerte und Mutagenität/Carcinogenität beeinflussen)

ER-CALUX® (Nachweis östrogenaktiver Substanzen, die an den Östrogenrezeptor binden und so die Wirkung des natürlichen weiblichen Hormons Östradiol imitieren können)

YES (Yeast Estrogen Screen) Assay (Nachweis östrogenaktiver Substanzen, die an den Östrogenrezeptor binden und so die Wirkung des natürlichen weiblichen Hormons Östradiol imitieren können)

Analytisches Non-Target Screening:

Probenmessung mittels LC-MS/MS (Kopplung eines Flüssigchromatographie-Trennsystems an ein hochauflösendes Tandem-Massenspektrometer)

Datenauswertung mit gerätespezifischer Software

Planktonaufschluss mit drei verschiedenen Methoden:

Probenaufschluss mittels Ultraschall, Fraktionierung mittels HPLC Probenaufschluss mittels Ultraschall, Aufkonzentration mittels Lyophilisierung Probenaufschluss mittels Mörsern, Aufkonzentration und Extraktion mittels Festphasenextraktion

Zeitrahmen, Stand

Probenahmen: 2005, 2006, 2008, 2011; Probenverarbeitung: 2012 & 2013; Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

Ökotoxikologische Tests

Mit den durchgeführten Tests konnte keine androgene, anti-androgene sowie PPAR-Aktivität im Plankton nachgewiesen werden. Bezüglich östrogener Aktivität können zum jetzigen Zeitpunkt keine verlässlichen Angaben gemacht werden. Der Planktonaufschluss erwies sich als äusserst schwierig und bei allen drei Aufschlussverfahren kam es während der Extraktions- und/oder Aufkonzentrationsschritte zu östrogenen Kontaminationen, vermutlich aufgrund suboptimaler Verbrauchsmaterialien (z.B. potentiell hormonaktiver Substanzen im Parafilm). Somit konnten die im Rahmen bisheriger Studien ermittelten östrogenen Aktivitäten weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.

Nebst den obenerwähnten Kontaminationen während der Planktonaufschlüsse, stiess man im Laufe dieser Studie auch noch auf eine Reihe weiterer Probleme, welche die Interpretation der aktuellen Resultate und deren Vergleich mit den Ergebnissen aus bisherigen Studien erschweren. Zu den kritischsten Punkten gehören:

die je nach Probenahme unterschiedlichen Probenahmegefässe, welche teilweise potentiell

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hormonaktive Substanzen enthielten; das unterschiedliche Alter der Proben (Lagerung während 2-8 Jahren, teilweise mit wiederholtem

Auftauen); die unterschiedliche Aufarbeitung der Proben (seit 2008 wurde die Methode für den

Planktonaufschluss bei jeder Untersuchung leicht verändert); die während der verschiedenen Studien aufgearbeiteten Proben wurden unterschiedlich genau

quantifiziert und die Konzentrationsfaktoren der untersuchten Proben sind nicht mehr nachvollziehbar. Dies erschwert den Vergleich der Proben anhand der gemessenen EEQ-Werte;

in bisherigen Studien wurden bisher nie Procedural Blanks für die Probenaufbereitung mitgeführt (Procedural Blank = reine Bidestwasser-Probe, welche vor der Untersuchung im Test die gleichen Prozessschritte durchläuft wie die Planktonproben). In der aktuellen Studie wurde die östrogene Kontamination erst aufgrund der hohen östrogenen Aktivität in den Procedural Blanks entdeckt.

Fazit: Es ist unwahrscheinlich, dass androgenaktive, anti-androgenaktive oder PPAR-aktivierende Substanzen für die Gonadenveränderungen verantwortlich sind, da in den Planktonextrakten keine entsprechende Aktivität gemessen wurde. Über mögliche Auswirkungen östrogenaktiver Substanzen können aufgrund östrogener Kontaminationen keine verlässlichen Aussagen gemacht werden. Die Resultate sind aber auch aufgrund anderer Unsicherheiten schwer interpretierbar.

Für zukünftige vergleichbare Studien müsste das Planktonaufschlussverfahren weiter perfektioniert und standardisiert werden. Zudem sollten die in dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse bezüglich Probenaufbewahrung bei zukünftigen Probenahmen unbedingt berücksichtigt werden.

Analytisches Non-Target Screening

Im analytischen Non-Target Screening wurden im aktuellen Thunersee-Plankton mehrere Stoffe identifiziert, die im Kontrollplankton (Bielersee-Plankton) kaum oder gar nicht vorhanden waren: Phenylacetamid/Benzylformamid, Glutamat (oder ein Strukturisomer davon) und zwei weitere Summenformeln, die auf polyzyklische Systeme schliessen lassen. Glutamat ist potentiell hormonaktiv. Über die anderen gefundenen Stoffe gibt es keine Hinweise bezüglich möglicher endokriner Aktivitäten.

Nebst den bereits erwähnten Substanzen, wurde auch Tributylphosphat identifiziert. Dieses wird als Entschäumer in Betonverflüssiger eingesetzt und hat ein hohes Bioakkumulationspotential. Über mögliche hormonelle Aktivitäten von Tributylphosphat ist zwar nichts bekannt, es weist jedoch eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem hormonaktiven Tributylzinn auf. Die Rolle von Tributylphosphat bei der Auslösung der Gonadenveränderungen ist jedoch insofern fraglich, als dass die Substanz sowohl in den Thunersee- wie auch in den Kontrollproben nachgewiesen werden konnte.

Fazit: Es konnten mehrere verdächtige Stoffe identifiziert werden, über deren mögliche endokrine Aktivitäten jedoch nur sehr wenig bekannt ist. Die fraglichen Stoffe sollten in einem Screening mit verschiedenen in vitro Rezeptorbindungstests untersucht werden.

Des Weiteren sollten auch die Auswirkungen von Co-Expositionen mit verschiedenen Substanzen erforscht werden, z.B. von Tributylphosphat und Aluminium (Aluminium wurde in potentiell effektrelevanten Konzentrationen in den Thunersee eingeleitet und steht im Verdacht endokrin wirksam zu sein). Eine mögliche Komplexbildung dieser beiden Substanzen könnte ökotoxikologisch von Bedeutung sein.

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Berichte, Publikationen

Kunz P, Schifferli A, Schönenberger R, Krumscheid R, Suter M und Werner I (2013). Thunersee-Felchen Projekt: Untersuchung auf hormonelle Wirkungen. Studie im Auftrag des GBL und des FI BE. Schweizerisches Zentrum für angewandte Ökotoxikologie, Eawag-EPFL, Dübendorf.

Bernet D, Liedtke A, Bittner D, Eggen RIL, Kipfer S, Küng C, Largiader CR, Suter MJ-F, Wahli T, Segner H (2008). Gonadal malformations in whitefish from Lake Thun: Defining the case and evaluating the role of EDCs. Chimia 62(5): 383-388.

Bruderer T (2009). Indentifikation östrogener Verbindungen im Plankton von Thuner- und Brienzersee. Master Thesis, ETH Zürich und Eawag.

Liedtke A, Schönenberger R, Eggen RIL und Suter MJ-F (2009). Internal exposure of whitefish (Coregonus lavaretus) to estrogens. Aquatic Toxicology, 93: 158-165.

Richle P (2008). Biotest geleitete Identifikation von östrogenen Verbindungen im Zooplankton aus dem Thunersee. Bachelor Thesis, ZHAW Wädenswil und Eawag.

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3.11 Teilprojekt 11: „Planktonuntersuchung auf Saxitoxine“ Organisation

Labor Spiez, Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS

Fischereiinspektorat des Kantons Bern

Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin

Ziel

Untersuchung von historischen und aktuellen gefrorenen Planktonproben aus dem Thuner- und Bielersee auf Saxitoxine bzw. Saxitoxinderivate.

Abb. 16: Chemische Strukturformel von Saxitoxin

Projektbeschrieb

Saxitoxine sind Nervengifte, die von bestimmten Phytoplankton-Arten gebildet werden können. Via Zooplankton können sich die Gifte in planktonfressenden Wassertierarten (z.B. Muscheln) anreichern. Als bekannt wurde, dass das Plankton aus dem Thunersee eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Gonadenveränderungen spielt, stellte man sich unter anderem die Frage, ob dafür allenfalls im Plankton enthaltene Saxitoxine verantwortlich sein könnten. Zur Abklärung dieser Hypothese wurden historische und aktuelle gefrorene Planktonproben aus dem Thuner- und Bielersee durch das Labor Spiez auf Saxitoxine untersucht.

Messparameter, Methoden

Bestimmung von Saxitoxin und Decarbamoylsaxitoxin in Gefrierplankton-Proben nach DIN EN 14526 (akkreditiertes Verfahren im Labor Spiez, L 054 211 00).

Screening nach weiteren Saxitoxinderivaten.

Zeitrahmen, Stand

2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

In keiner der untersuchten Planktonproben konnten Saxitoxine bzw. irgendwelche Saxitoxinderivate nachgewiesen werden (Nachweisgrenze: 10 µg/kg). Es fanden sich somit keinerlei Hinweise, dass Saxitoxine via Plankton auf die Felchen einwirken und dadurch die Gonadenveränderungen auslösen könnten.

Berichte, Publikationen

Prüfbericht Nr. 2011-T004, Labor Spiez, Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS

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3.12 Teilprojekt 12: „Gutachten NEAT-Chemikalien“ Organisation Oekotoxzentrum Eawag/EPFL

Ziel

Verifizierung bzw. Aktualisierung der Risikobewertung aus dem Jahr 2005 unter Einbezug neuster (öko)-toxikologischer Erkenntnisse.

Projektbeschrieb

Im Jahr 2005 wurde im Auftrag des Gewässer- und Bodenschutzlabors von der Firma BMG Engineering AG in Zusammenarbeit mit der Agroscope FWA Wädenswil eine Liste der während des NEAT-Tunnelbaus verwendeten Chemikalien erstellt. Des Weiteren wurde für diese Stoffe mittels einer Stoffflussmodellierung (Vergleich von hypothetischen „worst case“ Konzentrationen (= Predicted Environmental Concentration PEC) mit Konzentrationen, die für aquatische Organismen als unbedenklich gelten (= Predicted No Effect Concentration PNEC)) eine Risikoabschätzung vorgenommen. Die Gutachter kamen damals zum Schluss, dass keiner der betrachteten Stoffe in ausreichend hohen Konzentrationen hätte in den See gelangt sein können, um dort negative Auswirkungen auf aquatische Organismen zu haben.

Da die NEAT-Tunnelbaustelle jedoch nach wie vor als verdächtig gilt, wurde vom GBL angeregt, die Risikobewertung aus dem Jahr 2005 unter Einbezug neuster (öko-)toxikologischer Erkenntnisse zu aktualisieren. Zusätzlich sollte der für das erste Gutachten gewählte expositionsbasierte Ansatz durch einen effektbasierten Ansatz ergänzt werden, d.h. in der Literatur sollte für alle betrachteten Stoffe nach potentiell relevanten Effekten gesucht werden (für die Herleitung der im expositionsbasierten Ansatz verwendeten Qualitätskriterien liegt der Fokus vor allem auf Effekten, die Auswirkungen auf Populationsebene haben können. Die bei Thunersee-Felchen beobachteten Gonadenveränderungen schienen aber auf das Populationswachstum keinen wesentlichen Einfluss zu haben. Im effektbasierten Ansatz soll nun deshalb nach weiteren potentiell kritischen Effekten gesucht werden). Folgende Effekte wurden berücksichtigt: Bindung an den Östrogenrezeptor, östrogene/anti-androgene Wirkungen, histopathologische oder morphologische Veränderungen, Beeinflussung des Immunsystems und Bioakkumulationspotential.

Messparameter, Methoden

Datenbanksuche nach neuen PNECs bzw. Qualitätskriterien (Environmental Quality Standards EQS) für alle beim Tunnelbau eingesetzten Substanzen (auch für Stoffe, die in der letzten Studie unter der festgelegten Relevanzschwelle von 10 ng/l (im Kanderausfluss) lagen).

Qualitative Datenrecherche (d.h. Suche nach relevanten Effekten für die Stoffe aus der Liste von 2005) basierend auf der OECD QSAR Toolbox. Verwendete Suchkriterien:

Östrogenrezeptorbindung Effekte auf Reproduktion aquatischer Organismen Effekte auf die Entwicklung Physiologische Effekte Morphologische und histopathologische Befunde Hormonelle Aktivität Immunotoxizität Erkenntnisse bez. Bioakkumulation

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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Zeitrahmen, Stand

Es wurden alle zwischen 1994 und 2004 eingesetzten Chemikalien berücksichtigt.

Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

Datenbanksuche nach neuen PNEC/EQS

Es wurden nur für sehr wenige Substanzen neue PNECs bzw. EQS gefunden (für einige verdächtige Substanzen, z.B. Oxiran, konnten auch nach wie vor überhaupt keine PNECs oder EQS gefunden werden). Alles in allem führte die Aktualisierung der PNEC/EQS weder für die verwendeten Sprengmittel noch für die eingesetzten Bauchemikalien zu neuen Erkenntnissen. Interpretiert man die „worst case“ Modellierung von 2005 nach neusten Erkenntnissen, so hätte während des fraglichen Zeitraums allenfalls Aluminium in ökotoxikologisch relevanten Konzentrationen im Gewässer vorkommen können (die Konzentrationen wären allerdings eher für Algen als für Fische kritisch gewesen).

Qualitative Datenrecherche nach relevanten Effekten

Mittels der Beurteilung der Stoffe in Bezug auf ihr Potential, relevante Effekte auslösen zu können (d.h. Effekte, die im Zusammenhang mit den Gonadenveränderungen stehen könnten), konnten mehrere verdächtige Substanzen identifiziert werden: Nonylphenol, Bisphenol A und verschiedene eingesetzte Erdölkomponenten können gemäss Literatur immunotoxisch wirken. Für Nonylphenol und Bisphenol A wurden zudem auch endokrine Effekte beschrieben. Für Bisphenol A wurde allerdings in der letzten Studie nur die Konzentration des Reaktionsproduktes mit Epichlorhydrin modelliert. Es ist somit unklar, ob Bisphenol A überhaupt von der NEAT-Baustelle via Kander in den Thunersee gelangen konnte.

Nonylphenol und die oben erwähnten Erdölkomponenten gelten als bioakkumulierend und können zudem über die Nahrungskette angereichert werden. Eine Anreicherung im Plankton wäre somit für diese Stoffe denkbar. Allerdings wurde lediglich die Erdölkomponente “Highly refined mineral oil (DMSO-extract<35), IP346” bereits in den 1990er-Jahren auf der NEAT-Baustelle eingesetzt. Nonylphenol wurde erst 2003 zum ersten Mal verwendet. Da jedoch die Gonadenveränderungen bei Felchen bereits seit dem Jahr 2000 beobachtet wurden, gilt eine Beteiligung von Nonylphenol an deren Entstehung als eher unwahrscheinlich (vorausgesetzt der Stoff hätte nicht auch noch aus anderen Quellen in die Kander und/oder den Thunersee gelangen können).

Drei weitere Substanzen mit Bioakkumulationspotential, die alle bereits 1994 zum ersten Mal eingesetzt wurden, sind Tributylphosphat, (Dinatrium-2,2‘(oder3,3‘)-oxybis(5(oder2))-dodecylbenzol-sulfonat und Dinatriumdodecyl(sulfonatophenoxy)benzolsulfonat. Für alle drei ist jedoch eine Anreicherung über die Nahrungskette (Biomagnifikation) eher unwahrscheinlich. Die beiden letztgenannten Stoffe sind sich sehr ähnlich und erinnern entfernt an Dioxin (gewisse Dioxinverbindungen gelten als starke Umweltgifte. Sie sind unter anderem für ihre teratogene (fruchtschädigende) Wirkung bekannt. Des Weiteren können sie verschiedene Stoffwechselstörungen verursachen). Ihr Bioakkumulationspotenzial wurde jedoch vermutlich aufgrund der verwendeten Bestimmungsmethode überschätzt. Tributylphosphat hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Tributylzinn (TBT), einer Substanz für die bereits endokrine Effekte beschrieben wurden. Konkrete Informationen bezüglich Ökotoxizität und Abbauverhalten konnten jedoch für keine der drei Substanzen gefunden werden. Somit können bezüglich ihrer möglichen Rolle bei der Entstehung der Gonadenveränderungen zum jetzigen Zeitpunkt keine verlässlichen Angaben gemacht werden.

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Fazit:

Im Zuge der Literaturrecherche sind keine Stoffe identifiziert worden, die bioakkumulativ sind und direkt oder indirekt das Potential haben, Störungen bei der Entwicklung der Gonaden zu verursachen bzw. die beobachteten Gonadenveränderungen auszulösen. Es muss aber erwähnt werden, dass etliche der begutachteten Studien zur Stoffbeurteilung hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen auf die Gonadenentwicklung nicht optimal geeignet waren (einige Expositionsstudien mit Fischen dauerten z.B. nicht lange genug oder es fand nach Versuchsabschluss gar keine Untersuchung der Gonaden statt). Des Weiteren kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine für den Thunersee einzigartige Stoffkombination bzw. Wechselwirkung zwischen verschiedenen Stoffen zur Auslösung der Gonadenveränderungen geführt haben könnte. Ausserdem muss darauf hingewiesen werden, dass 36 Bauchemikalien nicht genau identifiziert und somit auch nicht weiter betrachtet werden konnten.

Empfehlungen:

Basierend auf Erkenntnissen dieser Studie und gemäss Vorsorgeprinzip wird empfohlen, die Belastung des Thunersees mit Nonylphenol, Bisphenol A und Erdölkomponenten so gering wie möglich zu halten (für all diese Substanzen wurden entweder ein Bioakkumulationspotential und/oder andere relevante Effekte beschrieben). Des Weiteren sollten für alle in dieser Studie als verdächtig eingestuften Stoffe weitere Abklärungen durchgeführt werden (Einbezug der Stoffe in die chemische Planktonanalyse, weitere Recherchen bezüglich Ökotoxizität und Abbauverhalten, mögliche Auswirkungen von Co-Expositionen, etc.). Für Tributylphosphat sollte insbesondere eine mögliche endokrine Wirkung untersucht werden. Des Weiteren sollte abgeklärt werden, ob es die Aufnahme von Aluminium in Fische beeinflussen kann.

Berichte, Publikationen

Junghans M, Kunz P (2013). Gutachten zur Ökotoxizität der beim Bau des NEAT Tunnels eingesetzten Bauchemikalien und Sprengmittel. Endbericht. Studie im Auftrag des Gewässer- und Bodenschutzlabors (GBL; Amt für Wasser und Abfall (AWA) des Kantons Bern) und des Fischereiinspektorates des Kantons Bern. Schweizerisches Zentrum für angewandte Ökotoxikologie, Eawag-EPFL, Dübendorf.

Brem D, Gälli R (2005). Beurteilung des Einsatzes von Bauchemikalien beim Bau der NEAT am Lötschberg - Stoffflussanalyse und grobe Abschätzung der ökologischen Risiken. Kurzbericht.

Brem D, Gälli R (2005). Beurteilung des Einsatzes von Sprengmitteln beim Bau der NEAT am Lötschberg - Stofflussanalyse und grobe Abschätzung der ökologischen Risiken. Kurzbericht.

Brem D, Gälli R (2006). Zusätzliche Arbeiten und Analysen zu den Berichten: Sprengmittel- und Bauchemikalieneinsatz auf der NEAT-Baustelle. Kurzbericht.

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3.13 Teilprojekt 13: „Inventar Einleitungen in den Thunersee“ Organisation AWA Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern, Fachbereich Industrie, Gewerbe, Tankanlagen

Ziel

Identifizierung von Betrieben, die aufgrund ihrer Einleitungen in den Thunersee in Bezug auf die Auslösung der Gonadenveränderungen relevant sein könnten.

Projektbeschrieb

Mittels dem Industrie- und Gewerbekataster (IGK) wurden alle gewässerschutzrelevanten Betriebe im Einzugsgebiet des Thunersees selektioniert. Um den Kreis weiter einzuengen, wurden innerhalb der ersten Auswahl

- die störfallrelevanten Betriebe ausgewählt, d.h. diejenigen Betriebe, bei denen die Möglichkeit besteht/bestand, dass umweltfremde Substanzen direkt oder indirekt in den Thunersee gelangen können/konnten resp.

- alle registrierten Unfälle, Störfälle und Zwischenfälle in Betrieben zwischen den Jahren 1990 und 2011 betrachtet.

Aus der Summe dieser Betriebe wurden diejenigen gestrichen, mit Branchen, die auch im Einzugsgebiet von anderen Seen liegen sowie alle Betriebe mit Stör- und Zwischenfällen ohne Emission in ein Oberflächengewässer. Die übriggebliebenen Betriebe wurden genauer begutachtet und ggf. persönlich inspiziert. Dabei standen folgende Aspekte im Vordergrund:

Beurteilung der Kanalisationspläne der Betriebsareale Begutachtung der Umschlag- und Lagerplätze für wassergefährdende Stoffe und Flüssigkeiten Kennenlernen aller Arbeitsprozesse mit Anfall von betrieblichen Abwässern (inkl. Datum der In- resp.

Ausserbetriebnahme der Anlagen innerhalb des Zeitraums 1990 – 2011) Kenntnis erlangen über die Art der Ableitung, abgeleitete Mengen und die möglichen

Zusammensetzungen der Abwässer Eruierung aller Störfälle mit Ableitung von „kontaminiertem Abwasser“ in ein Oberflächengewässer

ab 1990

Messparameter, Methoden

Auswahl aller gewässerschutzrelevanten Betriebe im Einzugsgebiet des Thunersees mittels IGK Auswahl aller störfallrelevanten Betriebe innerhalb erster Auswahl Begutachtung aller registrierten Unfälle/Störfälle/Zwischenfälle seit 1990 innerhalb erster Auswahl Persönliche Inspektion (falls nötig/möglich)

Zeitrahmen, Stand

1990 – 2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

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Resultate & Schlussfolgerungen

Von den 1‘500 gewässerschutzrelevanten Betrieben im Einzugsgebiet des Thunersees wurden 20 als störfallrelevant eingestuft. Weiter gab es in der fraglichen Zeit insgesamt 35 Unfälle, Störfälle oder Zwischenfälle in diversen Betrieben. Nach der Eliminierung aller Betriebe mit Branchen, die auch im Einzugsgebiet von anderen Seen liegen sowie. aller Betriebe mit Stör- und Zwischenfälle ohne Emission in ein Oberflächengewässer, blieben schliesslich noch 4 Betriebe übrig (Namen aus Datenschutzgründen nicht genannt). Es sind dies ein Hersteller von Nitrozellulose;

eine Mülldeponie;

ein Betonfabrikant;

eine Tunnelgrossbaustelle. Der Nitrozellulose-Herstellungsbetrieb wurde besucht und kontrolliert. Dabei wurde festgestellt, dass die Nitrateinleitungen in die Kander recht hoch sind (ca. 500 Tonnen pro Jahr). Diverse Abklärungen haben jedoch ergeben, dass die diesbezüglichen Anlagen immer noch dem heutigen Stand der Technik entsprechen. Auch die Nitrateinleitungen entsprechen den Anforderungen im Modulstufenkonzept des BAFU. Im Sediment der Kander wurde eine leicht erhöhte Chrombelastung festgestellt. Bedeutende Unfälle oder Störfälle im Betrieb traten innerhalb der fraglichen Zeitspanne keine auf. Die Mülldeponie wurde nicht besucht. Ein Studium der Akten ergab jedoch keine Hinweise auf verdächtige Stoffe, die während der fraglichen Periode in die Kander hätten gelangen können. In einer Betonfabrikationsanlage ist im Juni 2000 offenbar durch ein Versehen eine kleinere Menge Sikanol Mischöl (ein Betonzusatzmittel) via Holzetbach in den Thunersee gelangt. Der Betrieb konnte nicht mehr inspiziert werden, da dieser seine Anlagen im Jahr 2007 eingestellt hat. Über weitere verdächtige Einleitungen in den Thunersee gibt es für den fraglichen Zeitraum keine Hinweise. An der Tunnelbaustelle wurden bereits durch andere Stellen/Institutionen umfangreiche Abklärungen durchgeführt. Ein 2005 erstelltes Gutachten zu den beim Tunnelbau eingesetzten Chemikalien wurde nochmals überprüft. Dabei konnten jedoch keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gewonnen werden. Es bleibt zu erwähnen, dass die Auswahl der relevanten Betriebe möglicherweise etwas zu eng gefasst war. Es wurden beispielsweise sämtliche Branchen weggestrichen, die auch im Einzugsgebiet anderer Seen liegen. Felchen mit Gonadenveränderungen wurden jedoch auch in anderen Seen beobachtet. Aus finanziellen Gründen konnten in jenen Seen jedoch keine Monitoringprogramme gestartet werden.

Ausblick

Es wurde mit der Ausarbeitung von Massnahmen begonnen, mit deren Hilfe Bauchemikalien für zukünftige Projekte besser erfasst werden können. Ausserdem ist das AWA in der Kommission zur Überarbeitung der SIA-Empfehlung 431 „Entwässerung von Baustellen“ vertreten. Dabei wird insbesondere dem Thema „Umgang mit Bauchemikalien und Sprengmitteln auf Baustellen“ grössere Beachtung geschenkt.

Berichte, Publikationen

Zürcher, M (2011). Beurteilung der Einleitungen von umweltfremden Substanzen aus Industrie und Gewerbe im Einzugsgebiet des Thunersees. Zwischenbericht. Nicht öffentlich. Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern (AWA), Fachbereich Industrie, Gewerbe, Tankanlagen.

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Seite 41

3.14 Teilprojekt 14: „Chemisches Monitoring Thunersee“ Organisation

Abb. 17: Entnahme von Wasserproben aus dem Thunersee

Gewässer- und Bodenschutzlabor, Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern (AWA)

Ziel

Bestimmung der Wasserqualität des Thuner- und Brienzersees in Bezug auf Mikroverunreinigungen.

Projektbeschrieb

Validierung einer LC-MS/MS-Analysenmethode für die Bestimmung von Mikroverunreinigungen (z.B. Pestizide, Medikamente, Industriechemikalien) in Seewasser. Die Methode umfasste ca. 80 wichtige Substanzen.

Untersuchung des Seewassers von Thuner- und Brienzersee auf diese ausgewählten Mikroverunreinigungen.

Messparameter, Methoden

Entnahme von Wasserproben im Thuner- und Brienzersee (Tiefenprofile) im Februar, Juni und Oktober 2011.

Analyse der Seewasserproben (Multi Target-Screening) mit Hilfe der oben beschriebenen Methode

Zeitrahmen, Stand

2011; Das Projekt ist abgeschlossen.

Resultate & Schlussfolgerungen

Der Thuner- und der Brienzersee sind sehr sauber. Beide Seen weisen beinahe Trinkwasserqualität auf. Die Mehrzahl der getesteten Substanzen lag unterhalb der Nachweisgrenze. Nur Koffein, Metformin und Benzotriazol waren deutlich nachweisbar. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise, dass diese drei Mikroverunreinigungen eine schädigende Wirkung auf aquatische Organismen haben könnten.

Ausblick

Die chemische Überwachung des Thunersees wird in angepasster Form weitergeführt.

Berichte, Publikationen

keine

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4 SCHLUSSFOLGERUNGEN & EMPFEHLUNGEN

4.1 Schlussfolgerungen Seit 2010 hat die Anzahl an veränderten Felchen im Thunersee stark abgenommen. Die Gründe hierfür sind unklar. Da die Planktonzusammensetzung im Thunersee während der letzten Jahre nahezu unverändert blieb, scheint die Abnahme aber zumindest nicht mit Veränderungen hinsichtlich Artenzusammensetzung oder Artenanteilen des Planktons in Verbindung zu stehen. Bei Voraussagen zur weiteren Entwicklung der Häufigkeit der Gonadenveränderungen ist jedoch Vorsicht geboten. Um gesicherte Aussagen machen zu können, müssen mindestens 5-Jahresperioden betrachtet werden. Das Felchen-Routinemonitoring wird deshalb weitergeführt. Sollte die Anzahl an veränderten Tieren im Laufe der nächsten Jahre wieder ansteigen, sind weitere Spezial-Untersuchungen angezeigt (z.B. Laichplatzmonitoring).

Bei der Suche nach möglichen Ursachen für die Auslösung der Gonadenveränderungen wurden sowohl immunologische wie auch chemische Faktoren berücksichtigt. Hinsichtlich der Untersuchung möglicher immunologischer Auslösefaktoren stand die Verifizierung der Autoimmunhypothese im Vordergrund. Die Autoimmunhypothese konnte jedoch anhand der durchgeführten Arbeiten weder bestätigt noch verworfen werden. Bei der Entwicklung eines geeigneten Nachweisverfahrens wurde in vielen Bereichen Neuland betreten. Mit Rückschlägen und Verzögerungen musste deshalb gerechnet werden. Die grundsätzliche Methodik zum Nachweis einer Autoimmunerkrankung steht nun zur Verfügung. Zur weiteren Abklärung müssten die verschiedenen Testsysteme jedoch noch verfeinert bzw. fertig entwickelt werden. Für die weitere Testentwicklung sind aber unbedingt frische Positivseren nötig. In Anbetracht dessen, dass zurzeit im Thunersee nur noch wenige Felchen mit Gonadenveränderungen gefunden werden, ist die Beschaffung solcher Seren erschwert.

Die parallel zur Abklärung der Autoimmunhypothese durchgeführten bakteriellen Untersuchungen an veränderten Felchengonaden lieferten keinen Hinweis auf bakterielle Ursachen. Es ist unwahrscheinlich, dass ein bakterieller Erreger für die Auslösung der Gonadenveränderungen in Frage kommt.

Bei der Suche nach möglichen chemischen Auslösefaktoren lag der Schwerpunkt auf den chemisch-bioanalytischen Planktonanalysen. Mit den ökotoxikologischen Tests zum Nachweis endokriner Aktivität konnte in keinem der Planktonextrakte androgene, anti-androgene oder PPAR-Aktivität gemessen werden. Androgenaktive, anti-androgenaktive und PPAR-aktivierende Substanzen können somit höchstwahrscheinlich als mögliche Auslöser für die Gonadenveränderungen ausgeschlossen werden. In Bezug auf allfällige im Plankton enthaltene östrogenaktive Substanzen können aufgrund methodischer Probleme bei der Probenaufbereitung zum jetzigen Zeitpunkt keine verlässlichen Angaben gemacht werden. Im Rahmen des 2008 abgeschlossenen Nationalen Forschungsprogramms „Hormonaktive Stoffe“ (NFP50) fanden sich jedoch keine Hinweise, dass hormonaktive Stoffe für die Thunersee-typischen Gonadenveränderungen bei Felchen verantwortlich sein könnten.

Die Relevanz der im analytischen Non-Target Screening identifizierten verdächtigen Substanzen ist noch unklar. Zur Bestimmung allfälliger endokriner Aktivitäten sollten diese mittels verschiedener in vitro Rezeptorbindungstests analysiert werden.

Aufgrund einer zusätzlichen Planktonanalyse auf Saxitoxine durch das Labor Spiez fanden sich keinerlei Hinweise, dass Saxitoxine für die Auslösung der Gonadenveränderungen verantwortlich sein könnten.

Im Rahmen der Neubeurteilung der beim NEAT-Tunnelbau verwendeten Chemikalien fanden sich keine Stoffe, die bioakkumulativ sind und, basierend auf dem heutigen Stand des Wissens, direkt oder indirekt das Potential haben, die beobachteten Gonadenveränderungen auszulösen. Die Erkenntnisse aus dem ersten Gutachten von 2005 konnten somit weitestgehend bestätigt werden.

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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Obschon wissenschaftliche Beweise fehlen, bleiben bei der NEAT-Tunnelbaustelle rein aufgrund der zeitlichen Übereinstimmung bestimmte Verdachtsmomente bestehen. Das Phänomen der Gonadenveränderungen bei den Felchen des Thunersees trat einige Jahre nach Beginn der Bauarbeiten zum ersten Mal auf und flacht nun 4 Jahre nach Beendigung der Bauaktivitäten wieder ab. Als vorbeugende Massnahme sollte in Zukunft dem Eintrag von Chemikalien aus Grossbaustellen in Gewässer stärkere Beachtung geschenkt werden.

Das chemische Monitoring ergab, dass das Thunersee-Wasser (zumindest momentan) sehr sauber ist und (bereits ungefiltert) beinahe Trinkwasserqualität aufweist.

Weiterführende Untersuchungen zu den Gonadenveränderungen bei Felchen aus dem Thunersee

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4.2 Empfehlungen Strategische Empfehlungen

Das Felchen-Routinemonitoring im Thunersee sollte weitergeführt werden. Nebst der Klärung von Bewirtschaftungsfragen, kann dadurch sichergestellt werden, dass keine wichtigen Entwicklungen hinsichtlich der Häufigkeit der Gonadenveränderungen verpasst werden.

Sollte die Anzahl an veränderten Tieren im Laufe der nächsten ca. 5 Jahre wieder ansteigen, müsste zur Absicherung der Befunde erneut ein Laichplatzmonitoring durchgeführt werden.

Da nach wie vor unklar ist, welche Faktoren im Thunersee-Plankton die Gonadenveränderungen auslösen können, sollten auch die Artenzusammensetzung und Artenanteile des Planktons weiter überwacht werden. Das Plankton-Routinemonitoring sollte deshalb ebenfalls fortgesetzt werden.

Das periodische Monitoring von Mikroverunreinigungen ist im Sinne der Früherkennung von (öko- und humantoxikologischen) nachteiligen Wirkungen weiterzuführen. Die Überwachung der Wasserqualität ist insbesondere im Hinblick auf die Trinkwasserversorgung wichtig (der Thunersee ist indirekt Trinkwasserlieferant für über 400‘000 Konsumenten).

Bei zukünftigen Stoffbeurteilungen sollten vermehrt auch mögliche Einflüsse von Stoffkombinationen bzw. Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stoffen berücksichtigt werden.

In Zukunft sollte dem Eintrag von Chemikalien aus Grossbaustellen in Gewässer stärkere Beachtung geschenkt werden.

Methodisch-analytische Empfehlungen

Vor der Weiterverfolgung der Autoimmunhypothese müsste weiter in die Methodenentwicklung investiert werden. Für die Weiterentwicklung der Testverfahren müsste frisches Probenmaterial von veränderten und unveränderten Felchen beschafft werden.

Hinsichtlich zukünftiger chemisch-bioanalytischer Planktonanalysen sollte das Plankton-aufschlussverfahren perfektioniert werden.

Bei der Aufbewahrung des für die Analysen vorgesehenen Planktons ist darauf zu achten, dass nur Gefässe aus Materialien verwendet werden, die keine endokrin-aktiven Substanzen enthalten.

Die mittels analytischem Non-Target Screening identifizierten verdächtigen Substanzen sollten hinsichtlich allfälliger endokriner Aktivitäten mittels verschiedener in vitro Rezeptorbindungstests analysiert werden.