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1 Prof. em. Peter-Christian Kunkel Gültstein,16.3.2017 Welche Auswirkungen hat das Bundesteilhabegesetz auf die Jugendhilfe?* A. Zusammenhang zwischen BTHG und Novellierung des SGB VIII Die Schnittstelle zwischen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe (derzeit noch im SGB XII, künftig im SGB IX) und der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a SGB VIII wird durch das Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S.3234) nicht berührt. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) nimmt keine Änderungen an dieser Verteilung vor. Die Zusammenführung der Leistungen für alle behinderten Kinder- und Jugendliche wird als „Große Lösung“ seit Jahren diskutiert. In einem Arbeitsentwurf vom 23.8. 2016 zur Novellierung des SGB VIII ist sogar eine „Größte Lösung“ vorgesehen, die Leistungen für behinderte Kinder und Jugendliche als Teilhabeleistungen mit der Hilfe zur Erziehung in einem Leistungstatbestand zusammenfasst. Die Reformgenese des SGB VIII ist unübersichtlich: am 23.8.2016 wurde ein sog. Arbeitsentwurf (gleichsam ein "postfaktischer Referentenentwurf") vorgelegt, der aber am 9.11.2016 wieder zurückgenommen wurde. Seit 3.2.17 liegt ein (faktischer) Referentenentwurf (KJSG-E)vor, der zum 1.1.2018 Gesetz werden soll. Eine inklusive Lösung ist dort nicht vorgesehen, sondern dem Landesrecht überlassen. Ein Arbeitsprogramm des BMFJSF vom 18.1.2017 sieht lediglich Fachgespräche hierzu bis August 2017 vor. In ihrer Stellungnahme vom 4.11.2016 sprechen sich die Obersten Landesjugendbehörden für die „Große Lösung“ im SGB VIII aus unter dem Vorbehalt, „dass eine Synchronisierung der Regelungsinhalte mit den Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes als dem zukünftigen „Referenzsystem“ der in das Leistungssystem des SGB VIII zu überführenden Eingliederungshilfe erfolgt und deutlich wird, welche inhaltlichen, organisatorischen und finanziellen Änderungen bereits der Umsteuerung der Eingliederungshilfe im Rahmen der Umsetzung des BTHG nach seinem Inkrafttreten geschuldet sein werden“. Im einzelnen sehen sie jedoch noch „größeren Überarbeitungs- und Anpassungsbedarf.“ B. Vergleich von sozialhilferechtlicher und jugendhilferechtlicher Eingliederungshilfe *Skript © Kunkel 2017

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Prof. em. Peter-Christian Kunkel Gültstein,16.3.2017

Welche Auswirkungen hat das Bundesteilhabegesetz auf die Jugendhilfe?*

A. Zusammenhang zwischen BTHG und Novellierung des SGB VIII

Die Schnittstelle zwischen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe (derzeit noch im SGB XII, künftig im SGB IX) und der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a SGB

VIII wird durch das Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S.3234) nicht berührt. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) nimmt keine Änderungen an dieser Verteilung vor. Die

Zusammenführung der Leistungen für alle behinderten Kinder- und Jugendliche wird als

„Große Lösung“ seit Jahren diskutiert. In einem Arbeitsentwurf vom 23.8. 2016 zur Novellierung des SGB VIII ist sogar eine „Größte Lösung“ vorgesehen, die Leistungen für

behinderte Kinder und Jugendliche als Teilhabeleistungen mit der Hilfe zur Erziehung in einem Leistungstatbestand zusammenfasst.

Die Reformgenese des SGB VIII ist unübersichtlich: am 23.8.2016 wurde ein sog. Arbeitsentwurf (gleichsam ein "postfaktischer Referentenentwurf") vorgelegt, der aber am

9.11.2016 wieder zurückgenommen wurde. Seit 3.2.17 liegt ein (faktischer) Referentenentwurf (KJSG-E)vor, der zum 1.1.2018 Gesetz werden soll. Eine inklusive Lösung ist dort nicht vorgesehen, sondern dem Landesrecht überlassen. Ein Arbeitsprogramm des BMFJSF vom 18.1.2017 sieht lediglich Fachgespräche hierzu bis August 2017 vor. In ihrer Stellungnahme vom 4.11.2016 sprechen sich die Obersten Landesjugendbehörden für die „Große Lösung“ im SGB VIII aus unter dem Vorbehalt, „dass eine Synchronisierung der Regelungsinhalte mit den Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes als dem zukünftigen „Referenzsystem“ der in das Leistungssystem des SGB VIII zu überführenden Eingliederungshilfe erfolgt und deutlich wird, welche inhaltlichen, organisatorischen und finanziellen Änderungen bereits der Umsteuerung der Eingliederungshilfe im Rahmen der

Umsetzung des BTHG nach seinem Inkrafttreten geschuldet sein werden“. Im einzelnen sehen sie jedoch noch „größeren Überarbeitungs- und Anpassungsbedarf.“

B. Vergleich von sozialhilferechtlicher und jugendhilferechtlicher Eingliederungshilfe

*Skript © Kunkel 2017

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Übersicht: Eingliederungshilfe nach SGB VIII , SGB XII und SGB IX im Vergleich

Unterscheidungsmerkmale SGB VIII SGB XII * SGB IX (neu)**

1. Leistungsberechtigter

(„Normadressat“) §35a: Minderjähriger;

Handlungsfähigkeit ab 15 J. (§ 36

SGB I: „teilweise Teilmündigkeit“)

§ 53: behinderter Mensch,

Minderjähriger mit

Handlungsfähigkeit ab 15 J. (§36

SGB I: „teilweise Teilmündigkeit“)

§ 99 : wie § 53 SGB XII; ab

1.1.23 geändert

2. Tatbestandsvoraussetzungen

(„Zugangsvoraussetzungen“)

a. „wesentlich“

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

_

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

§ 53 Abs. 1 S. 1: wesentlich in

Teilhabefähigkeit eingeschränkt

- - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - -

§ 99 : wie § 53 SGB XII; ab

1.1.23 geändert

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

b. Erfolgsaussicht

______________________________

3. Hilfe für Ausländer

_

______________________________

§ 6 Abs.2: rechtmäßiger Aufenth.(oder Duldung) + g.A.

§ 6 Abs.4 : EU-Recht o.Kinderschutzabkommen

§ 53 Abs. 1 S. 1: Aussicht, dass

Aufgabe der Eingliederungshilfe

erfüllt werden kann

§ 23 Abs.1: nach Ermessen im

Einzelfall bei tats Aufenth.

§ 23 Abs.2: nicht für

Asylbewerber

§ 99 : wie § 53 SGB XII; ab

1.1.23 geändert

§ 100 Abs.1: nach Ermessen

im Einzelfall bei tats Aufenth.

§ 100 Abs.2: nicht für

Asylbewerber

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4 . Rechtsfolge (bei Hilfe f.

Deutsche)

a. Verpflichtungsgrad

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - -

b. Umfang

____________________________

5. Kostenbeteiligung

a. Kostenbeitrag

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Mussleistung mit Rechtsanspruch

(§ 35a)

- - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - -

wie § 54 SGB XII und §§

26,33,41,55 SGB IX (ab 1.1. 18 :§§

28-35,90 und §§ 109-116 SGB

IX)__________________________

§ 91 Abs. 1 Nr. 6: bei

vollstationärer Hilfe

§ 91 Abs. 2 Nr. 3: bei teilstationärer

Hilfe

- - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - -

Mussleistung mit Rechtsanspruch

(§ 53)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

§ 54 SGB XII und §§ 26,33,41,55

SGB IX

__________________________

§§ 85, 92

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Mussleistung mit

Rechtsanspruch (§ 99)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

§§ 28 - 35, 42- 63,75 - 84,

109 -116

________________________

§§ 92,135 – 142 :

je nach Leistung

Übergangsregelung in § 150

- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

b. Kostenpflichtiger

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

§ 92 Abs. 1 Nr. 1: Minderjähriger

(nur für vollstationäre Hilfe)

nachrangig (§ 94 Abs. 1 S. 3)

§ 92 Abs. 1 Nr. 5: Eltern (auch für

teilstationäre Hilfe bei

Zusammenleben mit Kind)

§ 19 Abs. 3: Eltern und Kind

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

je nach Leistung

- - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

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c. Umfang nur aus Einkommen (§ 92 Abs. 1,

1a)

Vermögen zwar einzusetzen, aber

geschont (§ 90 Abs. 1 u.

Abs. 3)

„in angemessenem Umfang“ (§ 94

Abs. 1 S. 1)

Eltern nach VO mit Tabelle:

- bei teil- oder vollstationären

Leistungen

- Tabellenbetrag

-mindestens Kindergeld(§ 7)

-höchstens BGB-Unterhaltsbetrag

bei stationärer Hilfe nur in Höhe

der häuslichen Ersparnis

(§ 92 Abs. 2)

§§ 136,137 :Beitrag aus

Einkommen mit

Bezugsgröße aus § 18

SGB IV

§ 142: für Lebensunterhalt nur

häusliche Ersparnis

§ 140 :Eltern auch aus

Vermögen

6. Zuständigkeit

a. sachliche

- - - - -- - -- - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - -

örtlicher Träger (§ 85 Abs. 1)

- - - - -- - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

überörtlicher Träger (§ 97 Abs. 3

Nr. 1; abweichendes Landesrecht

möglich)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Träger der Einglh nach

Landesrecht (§ 94)

- - - -- - - - - - - - -- - - - - - - - - - - -

b. örtliche

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

g.A. der Eltern (§ 86 Abs. 1)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

tatsächlicher Aufenthalt des

Leistungsberechtigten,

bei stationärer Hilfe g.A. (§ 98

gA des Leistungsberechtigten

( § 98)

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Abs. 1, 2),

Fortgeltung der bisherigen

Zuständigkeit bei amb.betreuten

Wohnen(§ 98 Abs. 5)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

- - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - -

c. Zuständigkeitsklärung § 14 SGB IX §14 SGB IX §§ 14,15

7. Hilfe im Ausland nach Ermessen (§ 6 Abs. 3)

HE und LB im Ausland

grundsätzlich kein Anspruch (§ 24

Abs. 1 S. 1), nach § 23 EinglHVO

im Ermessen

grundsätzlich kein Anspruch

(§ 101)

8. Persönliches Budget auf Antrag (§ 35a Abs. 3 i.V.m. § 57

SGB XII i.V.m. §§ 17 Abs. 2, 159

Abs. 5 SGB IX; ab 1.1.18:§ 29 SGB

IX)

auf Antrag (§ 57 SGB XII i.V.m.

§§ 17 Abs. 2, 159 Abs. 5 SGB IX) § 29

9. Wunsch- und Wahlrecht § 5 § 9 Abs. 2 § 8

10. Selbstbeschaffung § 36a Abs. 3 nur eingeschränkt (§ 15 Abs. 1 S. 4

u. 5 SGB IX) § 18

11. Hilfeplanung § 36 Gesamtplan (§ 58) §§ 117-122

12 Schutzauftrag bei gewichtigen Anhaltspunkten für

eine Kindeswohlgefährdung

umfassende Pflichten (§ 8a)

Leistungserbringer kann Beratung

beim Jugendamt in Anspruch

nehmen (§ 21 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX)

Empfehlung nach § 26 Abs.2

Nr.10 und Vertragsinhalt nach

§ 38 Abs.1 Nr.7

13. Kostenersatz

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a. durch Erben

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- -

___

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

§ 102

- - - - - - - - - - - - - - - - - ---- - - -

___

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

b. bei schuldhaftem Verhalten

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- -

__

§ 103

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - -

___

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

c. für zu Unrecht erbrachte

Leistungen

§ 50 SGB X § 104 SGB XII u. § 50 SGB X § 50 SGB X

13. Kostenerstattung

a. Fälle

§§ 89, 89e

§§ 102-105 SGB X

§§ 106 – 108

§§ 102-105 SGB X

§ 16

§§ 102 -105 SGB X

b. Umfang

Bagatellgrenze: 1000 € (§ 89f Abs. 2) Bagatellgrenze: 2560 € (§ 110

Abs. 2) § 16

c. Verjährung

§ 113 SGB X § 111 § 113 SGB X

14. Statistik §§ 98 – 103 §§121 – 129 §§ 143 -148

15. Rechtsschutz

a. Rechtsweg

Verwaltungsgericht (§ 40 VwGO) Sozialgericht (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a

SGG)

Sozialgericht (§ 51 Abs. 1

Nr. 6a SGG)

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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - ---- - -- - - -

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - --

b. Beteiligung sozial erfahrener

Personen im Vorverfahren

___

§ 116 Abs. 2 (Abweichung nach

Landesrecht möglich) ____

16. Datenschutz §§ 61 – 68 SGB VIII i.V.m. § 35

SGB I i.V.m. §§ 67 – 85a SGB X:

zusätzlich

besonderer Vertrauensschutz (§ 65

SGB VIII)

§ 35 SGB I, §§ 67 – 85a SGB X §§ 23, 96 Abs.4

§ 35 SGB I, §§ 67 – 85a SGB X

17. Freie Träger

a. Subsidiarität

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- -

-

§ 4

- - - - - - - - --- -- -- - - -- - - - - ---

§ 5

- - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - ---- -

§ 96 Abs.2

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - -

b. Teil des Amtes

mit Jugendhilfeausschuss Teil des

Jugendamts (§§ 70, 71)

___

__

18. Fachlichkeit Fachkraftgebot (§ 72) Fachkraftgebot (§ 6) Fachkraftgebot (§ 97)

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19. Gewährleistungspflicht alle erforderlichen u. geeigneten

Einrichtungen u. Dienste müssen

rechtzeitig, ausreichend und plural

zur Verfügung gestellt werden (§79

Abs.2)

___

Sicherstellungsauftrag (§ 95)

* bis Außerkrafttreten zum 1.1.2020

** ab 1.1.2020

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Übersicht: Zuordnung der Hilfen für behinderte junge Menschen

SGB VIII SGB XII

1. Körperlich behinderte j. M.

a) wesentlich

b) nicht wesentlich

c) von Behinderung bedrohte

Leistungen der Jugendhilfe (außer

§ 35a SGB VIII) soweit, wie nicht

behindertenspezifischer Bedarf

vorliegt, der schon durch

Eingliederungshilfe nach SGB XII

gedeckt ist.

Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe

(§§ 53-60 SGB XII;

Eingliederungshilfe-VO; SGB IX); bei

nicht wesentlicher Behinderung nach Ermessen.

Kein Konkurrenzproblem, da keine

Kongruenz.

2. Geistig behinderte j. M.

a) wesentlich

b) nicht wesentlich

c) von Behinderung bedrohte

wie oben unter 1. wie oben unter 1.

3. Seelisch behinderte j. M.

a) Kinder und Jugendliche

aa) wesentlich

bb) nicht wesentlich

cc) von Behinderung bedrohte

Jugendhilfe mit

(1) Eingliederungshilfe nach §§ 35a,

36-40 SGB VIII i .V.m. SGB XII

i .V.m. SGB IX

vorrangig vor Sozialhilfe (§ 10

Abs.4 S.1 SGB VIII),

(2) zusätzlich Hilfe zur Erziehung,

wenn auch deren

Voraussetzungen nach § 27

Abs.1 SGB VIII vorliegen

(3) sonstigen Leistungen nach SGB VIII (z.B. § 19)

Sozialhilfe insoweit, wie nicht behindertenspezifischer Bedarf vorliegt

b) junge Volljährige Jugendhilfe mit Eingliederungshilfe

wie für Kinder und Jugendliche

(§ 41 Abs.2 SGB VIII)

wie oben

4. Art der Behinderung ist nicht eindeutig feststellbar

vorläufige Hilfe des zuerst

angegangenen Trägers (§ 43 SGB I)

oder Weiterleitung nach § 14 Abs.1

SGB IX

vorläufige Hilfe des zuerst

angegangenen Trägers (§ 43 SGB I)

oder Weiterleitung nach § 14 Abs.1

SGB IX

5. Mehrfachbehinderung Jugendhilfe wegen der seelischen

Behinderung nachrangig gegenüber

der Sozialhilfe wegen der körperlich

oder geistigen Behinderung (§ 10 Abs. 4 S.2 SGB VIII)

vorrangig Sozialhilfe wegen der

körperlichen oder geistigen

Behinderung, nachrangig Jugendhilfe

wegen der seelischen Behinderung

in Bayern nach Art. 64 Abs. 1 AGSG bei

Kongruenz auch Maßnahmen der EglH

für seel. Behinderung nach SGB VIII durch SHT

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6. Lernbehinderung Jugendhilfe nur soweit, wie nicht

behindertenspezifischer Bedarf

vorliegt, der nach SGB XII zu decken

ist.

Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe als

Kann-Leistung (§ 53 Abs.1 S.2 SGB XII),

da nicht wesentliche geistige

Behinderung. Kann-Leistung darf nicht

unter Berufung auf § 10 Abs.1 S.2

SGB VIII versagt werden, da keine

entsprechende Leistung nach dem

SGB VIII vorgesehen ist.

7. Bei Teil leistungsstörungen

(Legasthenie; Dyskalkulie)

oder ADHS

Jugendhilfe mit Eingliederungshilfe

bei Sekundärfolge einer seelischen

Behinderung (nicht bloße Störung;

Teilhabebeeinträchtigung)

Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe

soweit geistige (oder körperliche)

Behinderung; soweit auch seelische

Behinderung (als Folge) vorrangig Sozialhilfe (§ 10 Abs.4 S.2 SGB VIII).

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C. Wie hängen Eingliederungshilfe nach SGB VIII und BTHG zusammen?

I .Struktur des BTHG

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Übersicht : Bundesteilhabegesetz

Art. 1 Art. 2 – 25a Art. 26

(=SGB IX) (Änderungen) (Inkrafttreten)

Teil 1 Teil 2 Teil 3

Allg.Regelungen Bes.Leistungen Schwerbehindertenrecht

(=Eingliederungshilfe)

Kap. 1 -14 Kap. 1 – 11 Kap.1 - 14

(§§ 1 – 89) (§§ 90 – 150) (§§ 151 – 241)

Kap.1: Allg. Kap.1: Allg.

Kap.2:Einl.d.Reha Kap.2: Grunds.

Kap.3:Bedarfsermittl. Kap.3 - 6:Besonderh.einzelner Leistungen

Kap.4:Koordinierung - Med.Reha

Kap.5:Zusammenarbeit - Arbeit

Kap.6:Persönl.Budget, - Bildung

Beratung - Soziale Teilh.

Kap.7:Verträge Kap.7:Gesamtplanung -

Kap.8: BAG Kap.8:Vertragsrecht

Kap.9-13: Leistungen Kap.9:Einkommen, Vermögen

- Med.Reha Kap.10:Statistik

- Arbeit Kap.11:Übergangsregelungen.

- Unterhalt*

- Bildung

- Soziale Teilh.

Kap.14:Verbände,Beirat

* nicht für Jugendhilfe

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II. Teilhabeleistungen nach dem SGB IX-BTHG

Überblick über die Systematik der Teilhabeleistungen im SGB IX

SGB IX

Teil 1 (§§ 1-89) Teil 2 (§§ 90 - 150)

Allgemeine Regelungen für

Menschen mit Behinderungen Eingliederungshilfe

Ziele

Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten Stärkung der Selbstbestimmung

Leistungen zur Teilhabe

Leistungen nach SGB IX Leistungen nach anderen Sozialgesetzen

5 Leistungsgruppen

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Medizinische Teilhabe am (Unterhalts- Teilhabe an Soziale Rehabilitation Arbeitsleben sicherung) Bildung Teilhabe

7 Leistungs(Reha-)träger

Kranken- BA-Arbeit Unfall- Renten- Kriegsopfer- Jugend- Eingl.- Kassen versicherungversicherung versorgung hilfe hilfe

Zuständigkeitsklärung/Leistungskoordinierung

Ausführung der Leistungen

Selbstbeschaffung

Persönliches Budget

Teilhabeberatung

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Reha-Träger

selbst Vertrag mit

anderem Reha-Träger Leistungserbringer behindertem Menschen nach persönl. Budget

frei-gemeinnützige privat-gewerbliche

III. Allgemeines zum BTHG im Verhältnis zum Jugendhilferecht in 10 Punkten

1.Das SGB VIII wird geändert (Art. 9 BTHG):

a. In § 35a Abs.3 SGB VIII wird die Verweisung auf das SGB XII ersetzt

durch die Verweisung auf das SGB IX.

b. In § 10 Abs.4 Satz 1 und 2 SGB VIII wird die Verweisung auf das SGB

XII ersetzt durch die Verweisung auf das SGB IX. c. In § 45 Abs.6 Satz 2 und 4 SGB VIII wird die Verweisung auf das SGB

XII an die geänderte §§ - Folge angepasst. In Satz 6 wurde diese notwendige Anpassung wohl übersehen.

2. Das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG1) ist nicht Teil des SGB VIII. Das BTHG ändert es in Art.19 mit Streichung der Gemeinsamen Servicestellen in § 3 Abs.1 KKG und passt § 3 Abs.2 KKG in Art.20 an das SGB IX an. 3. § 80 SGB IX erklärt § 44 SGB VIII( Betriebserlaubnis) auch für Betreuung volljähriger behinderter Menschen für anwendbar.2

4. Das BTHG trifft keine Regelung zur „Großen Lösung“ .

1 Das KKG ist Art.1 des Bundeskinderschutzgesetzes vom 22.12.2011 (BGBl.I S.2975). 2 Näher hierzu Kunkel/Kunkel, ZfF 2015,224.

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Unabhängig von“ Großer" oder "Kleiner Lösung“ gilt das BTHG für die im

SGB VIII - wie auch immer- geregelte Eingliederungshilfe.

Der Begriff der Eingliederungshilfe im SGB IX beschränkt sich auf die (alte)

Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, wie sich aus § 99 SGB IX ergibt. Da der

Jugendhilfeträger aber zugleich („janusköpfig“) Reha-Träger ist, ist das

Eingliederungshilferecht in Teil 2 des SGB IX auch auf ihn anzuwenden.

5. Das BTHG ist im Wesentlichen (Art.1) eine Neuregelung des SGB IX.

6. Das SGB IX (neu) umfasst 3 Teile:

1.Teil : Allgemeine Regelungen für Menschen mit Behinderungen

2. Teil : Besondere Leistungen (Eingliederungshilfe)

(3. Teil : Schwerbehindertenrecht).

7. Begriff der Behinderung ( § 2 SGB IX)

a . Erweiterung um Sinnesbehinderung

b. Teilhabebeeinträchtigung wird neu formuliert („ in Wechselwirkung mit

einstellungs-und umweltbedingten Barrieren“)

c .Inhaltlich ändert sich in Verbindung mit § 99 SGB IX bis zum 1.1.20233 nichts

an der Zweistufigkeit des Begriffs.

8. Die Eingliederungshilfe wird mit den Fachleistungen aus dem SGB XII

entfernt. Der Unterhalt wird weiterhin im SGB XII im Rahmen der Hilfe zum

Lebensunterhalt geregelt ( § 93 Abs.1 SGB IX).Dies gilt aber nur für

Volljährige; für Kinder und Jugendliche erfolgt keine Trennung zwischen

Fachleistung und Lebensunterhalt, wie sich aus § 134 SGB IX ergibt.4

9. Die Leistungen zur Teilhabe werden in fünf Leistungsgruppen

eingeteilt (§ 5 SGB IX).

Die sieben Träger dieser Leistungsgruppen (Reha-Träger) nennt § 6

Abs. 1 SGB IX, in

Nr.6 die Jugendhilfeträger für Leistungen zur

a. Medizinischen Reha

3 Ab 1.1.2023 gilt ein neuer Begriff der Behinderung mit dem dann geänderten § 99 SGB IX (Art. 25a BTHG). 4 Siehe Begründung des Gesetzentwurfs vom 26.4.2016 zu § 134 SGB IX auf S.301.

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17

b. Teilhabe am Arbeitsleben

c. Teilhabe an Bildung

d. Sozialen Teilhabe.

10. Das Jugendamt wird gleichsam janusköpfig tätig: als Organ des Trägers

der Jugendhilfe und des Reha-Trägers. Es erbringt Leistungen nach § 35a

SGB VIII und solche nach Teil 1 und Teil 2 SGB IX. Deren Verhältnis

zueinander regelt § 7 SGB IX.

Die „integrierte“ Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und

Jugendliche nach SGB VIII und SGB IX

Jugendamt

Jugendhilfeträger Reha-Träger

Eingliederungshilfe

nach § 35a SGB VIII

(Anspruchsgrundlage)

i.V.m. Annexen zu

+

1. Leistungen

(§§4,42-63,75-84,102,109-116 SGB IX)

- Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII) 2.Teilhabeplanverfahren(§§19-22SGB IX)

- Zuständigkeit (§§ 85,86 SGB VIII) 3.Persönl.Budget (§ 29 SGB IX)

- Kostenbeteiligung (§ 91 SGB VIII) 4.Teilhabeberatung (§ 32 SGB IX)

- Leistungsvereinbarung (§78a SGB VIII) 5 .Aufgabe d.Egh (§ 90 SGB IX)

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IV. Rangfolge der Regelungen nach § 7 SGB IX

§ 7 SGB IX bestimmt eine Rangfolge der Regelungen („Ampel“):

(1) Zunächst gelten die allgemeinen Regelungen in Teil 1 SGB IX auch für

die Jugendhilfe ( Abs.1 S.1 HS 1).

(2) Bei Abweichungen von Teil 1 im SGB VIII oder in Teil 2 SGB IX

(Eingliederungshilfe) haben die abweichenden Regelungen („relativen“)

Vorrang (Abs.1 S.1 HS 2).

(3) Unabhängig von einer Abweichung von Teil 1 gelten (von

vornherein) vorrangig die Regelungen der

- Zuständigkeit und

- Tatbestandsvoraussetzungen

der Eingliederungshilfe im SGB VIII oder in SGB IX (Abs.1 S.2).

(4) „Abweichungsfest“ sind die Regelungen in Teil 1 zur

- Einleitung der Reha von Amts wegen ( §§ 9 bis 11 SGB IX)

- Bedarfsermittlung (§§ 12, 13 SGB IX)

- Koordinierung (§§ 14 bis 24 SGB IX).

Sie haben („absoluten“) Vorrang vor SGB VIII und Teil 2 SGB IX.

V. Konsequenzen für die Jugendhilfe im Einzelnen

1. Für den Begriff der Behinderung gilt § 2 SGB IX.

2. Die Tatbestandsvoraussetzungen einer Teilhabeleistung sind dem

SGB VIII zu entnehmen (§ 35a SGB VIII).

3. Es gilt die Zuständigkeit nach §§ 85, 86,86a,86b,86c,86d,88 SGB VIII;

4. Das Wunsch und Wahlrecht richtet sich nach § 5 SGB VIII.

5. Für die Einleitung der Reha von Amts wegen gelten §§ 9 bis 11 SGB IX; das

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bedeutet aber nicht, dass die Teilhabeleistung selbst von Amts wegen zu

erbringen wäre, sondern nur deren Prüfung

6. Für das Hilfeplanungsverfahren gelten zusätzlich §§ 19,20 SGB IX.

7. Die Selbstbeschaffung richtet sich nach § 36a Abs.3 SGB VIII.

8. Für den Datenschutz gelten (zusätzlich) §§ 23, 96 Abs.4 SGB IX.

9.Für vorläufige Leistungen gilt vorrangig § 86d SGB VIII, weil § 24

SGB IX vom Vorrang zurücktritt.

10. Für das Persönliche Budget gilt § 29 SGB IX i. V.m.VO nach § 30 SGB IX.

11.In Verträgen mit Leistungserbringern, die nicht Reha-Träger sind,

ist das Angebot der Beratung bei Kindeswohlgefährdung

aufzunehmen (§ 38 Abs.1 Nr.7 SGB IX.

12. Assistenzen

- für die Schulassistenz(Schulbegleitung) gilt § 75 SGB IX;

- für die Alltagsassistenz gilt § 78 SGB IX. Diese umfasst nach

Abs.3 auch Leistungen für Eltern mit Behinderungen (dies können

auch Suchtabhängige sein) zur Betreuung ihrer Kinder

(„Elternassistenz“). Eine rechtliche Betreuung nach § 1894 BGB ist

daher nicht erforderlich.5

13. Für Wohnraummaßnahmen gilt § 77 SGB IX.

14. Der Einsatz von Einkommen und Vermögen richtet sich nach §

142 SGB IX, beschränkt sich also auf die häusliche Ersparnis.

15. Für die Leistungsvereinbarungen gilt bei Leistungen an Minderjährige

die Sonderregelung nach § 134 SGB IX. Danach sind in die

Vergütungsvereinbarung auch Verpflegung und Unterkunft aufzunehmen.

5 Zu dieser Problematik näher Kunkel, FPR 2009,561.

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VI. Im Besonderen

1. Begriff der Behinderung

§ 2 SGB IX definiert den Begriff neu in Anlehnung an die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).

a. Die Beeinträchtigungen werden (scheinbar) erweitert um Sinnesbeeinträchtigungen.

Aus der Begründung des Gesetzentwurfs vom 26.4.2016 ergibt sich, dass damit

keine Ausweitung verbunden sein , sondern nur eine Anpassung an die UN-BRK

erfolgen soll. Gemeint sind -wie bisher – körperliche Beeinträchtigungen.

b. Ebenfalls wie bisher muss eine Abweichung vom typischen Alterszustand vorliegen.

c. Auch die Zweistufigkeit des Begriffs bleibt unverändert.

d. Neu aber ist, dass eine Teilhabebeeinträchtigung von einer „Wechselwirkung“

abhängig gemacht wird, die dann vorliegt, wenn die Interaktion zwischen dem

Individuum und seiner Umwelt gestört oder nicht entwickelt ist.

e. Im Unterschied zu § 35a Abs.1a SGB VIII ist nicht geregelt, wer nach welchem

Maßstab die Altersabweichung festzustellen hat

Ab 1.1.2023 gilt ein wiederum neuer Begriff nach § 99 SGB IX. Danach ist die Teilhabebeeinträchtigung in einer größeren Anzahl von 9 Lebensbereichen festzustellen.

Die Einschränkung muss in erheblichem Ausmaß vorliegen; das entspricht der

Wesentlichkeit der Behinderung in § 53 SGB XII a.F.

Da sich der Begriff der Behinderung in § 2 SGB IX von dem in § 35a SGB VIII

unterscheidet, ist der Vorrang nach § 7 SGB IX zu bestimmen (s. o. IV). Nach § 7 Abs.1

S. 2 SGB IX richten sich die Voraussetzungen für eine Leistung nach dem spezie llen

Leistungsgesetz, hier also nach dem SGB VIII. Eine (materielle)

Tatbestandsvoraussetzung der Eingliederungshilfe ist das Vorliegen einer Behinderung,

sodass man annehmen könnte, es gälte der Begriff nach § 35a SGB VIII. Aus der

Begründung des Gesetzentwurfs ergibt sich aber , dass der Begriff der Behinderung den

„Leistungsvoraussetzungen“ vorgelagert ein soll. Daher gilt auch für die

Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII der Begriff des § 2 SGB IX. Für die Praxis

wird es eine Herausforderung sein, mit diesem sperrigen Begriff umzugehen.

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2. Zuständigkeitsklärung

Das SGB IX enthält keine Zuständigkeitsregelung für den Jugendhilfeträger. Sowohl die

Regelung der sachlichen Zuständigkeit in § 85 SGB VIII als auch die der örtlichen

Zuständigkeit in § 86 SGB VIII bleibt unberührt, wie § 7 S. 2 SGB IX ausdrücklich

hervorhebt. Insbesondere ist § 14 SGB IX keine Zuständigkeitsregelung, sondern eine

Verfahrensregelung zur Klärung der Zuständigkeit. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX

muss der Träger der öffentlichen Jugendhilfe innerhalb von zwei Wochen seine

Zuständigkeit feststellen. Diese Feststellung ist kein (feststellender) Verwaltungsakt gem.

§ 31 SGB X, da diese Feststellung ohne Außenwirkung getroffen wird. Etwas anderes gilt

nur, wenn die Feststellung dem Antragsteller in Form eines Bescheids mitgeteilt wird.

Geht also ein Antrag auf eine Teilhabeleistung i.S.d. § 4 SGB IX beim Jugendamt ein, hat es zunächst seine sachliche Zuständigkeit gem. § 85 Abs. 1 SGB VIII und dann seine

örtliche Zuständigkeit nach § 86 SGB VIII für eine Eingliederungshilfe gem. § 35a

SGB VIII zu prüfen. Die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit kann aber nur erfolgen,

wenn der Träger zunächst festgestellt hat, dass eine seelische Behinderung vorliegt. Die

Prüfung dieser (materiellen) Tatbestandsvoraussetzung muss also der (formellen)

Zuständigkeitsprüfung vorausgehen. Dies ergibt sich auch aus § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IX.

Kommt das Jugendamt bei dieser Vorprüfung der sachlichen Zuständigkeit zum Ergebnis,

dass keine seelische, sondern eine körperliche oder geistige Behinderung vorliegt, muss

es den Antrag unverzüglich nach seiner Feststellung (d.h. entsprechend § 121 BGB ohne

schuldhaftes Zögern), also möglicherweise auch schon vor Ablauf der 2-Wochen-Frist

dem Sozialhilfeträger als Rehabilitationsträger zuleiten (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Dies

regelt schon § 16 Abs. 2 S. 1 SGB I, der gem. § 37 S. 2 SGB I dem § 14 SGB IX

vorginge; § 14 Abs. 5 schließt dies aber aus. Kommt das Jugendamt zum Ergebnis, dass

keine Behinderung, sondern ein Erziehungsdefizit vorliegt, das Hilfe zur Erziehung gem. § 27 SGB VIII erforderlich macht, ist das Jugendamt nicht als Organ des

Rehabilitationsträgers, sondern als Organ des Jugendhilfeträgers für diese Leistung

zuständig. Wird ein Antrag beispielsweise auf Übernahme der Kosten einer

Legasthenie-Therapie gestellt, ist die Klärung der Ursache dieser Teilleistungsstörung

wahrscheinlich innerhalb von zwei Wochen nicht möglich. Gem. § 14 Abs. 1 S. 3 soll der

Antrag dann unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet werden, der die Leistung

ohne Rücksicht auf die Ursache erbringt. Unklar ist, wer das sein soll. Einen

Rehabilitationsträger, der eine Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache der Behinderung

zu erbringen hätte, gibt es nicht, da jede Leistung von der Art der Behinderung, diese aber

wiederum von der Ursache der Behinderung abhängig ist. Der Relativsatz in Satz 3 kann

auch als Imperativ gegenüber dem in Satz 2 genannten Zuleitungsadressaten verstanden

werden. Welcher Rehabilitationsträger aber als Zuleitungsadressat in Betracht kommt,

kann von dem zuerst angegangenen Rehabilitationsträger erst festgestellt werden, wenn

die Ursache der Behinderung geklärt ist.

Ist die örtliche Zuständigkeit des örtlichen Jugendhilfeträgers nicht geklärt, muss gem.

§ 86d SGB VIII immer der Jugendhilfeträger vorläufig tätig werden, in dessen Bereich

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sich das behinderte Kind oder der behinderte Jugendliche tatsächlich aufhält. Dies gilt unabhängig davon, bei welchem Jugendhilfeträger ein Antrag eingegangen ist und auch

unabhängig davon, ob er den Antrag weitergeleitet hat oder nicht. Die Regelung des § 86d

hat gem. § 37 S. 1 SGB I Vorrang vor der des § 43 SGB I. § 43 SGB I bleibt aber von

Bedeutung für den Fall, dass der sachlich zuständige Träger nicht leistet. Dann hat der

sachlich unzuständige örtliche Träger eine vorläufige Leistungspflicht.

§ 14 Abs. 2 SGB IX regelt die Pflicht zur unverzüglichen Bedarfsfeststellung, also zur

Feststellung, welche Leistungen in welchem Umfang notwendig sind. Diese Pflicht hat

der zuerst angegangene Rehabilitationsträger, wenn er den Antrag nicht innerhalb der

2-Wochen-Frist des Absatzes 1 weitergeleitet hat. Dabei ist es unerheblich, warum die

Weiterleitung unterblieben ist. Sie kann unterblieben sein, weil der zuerst angegangene

Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit festgestellt hat, aber auch, obwohl er seine

Unzuständigkeit festgestellt und dennoch den Antrag nicht unverzüglich weitergeleitet

hat. Im letzteren Fall muss er die Leistung als unzuständiger Leistungsträger erbringen

(leistender Reha-Träger). Er kann Erstattung seiner Aufwendungen vom zuständigen Leistungsträger verlangen (§ 16 Abs.1 SGB IX).Die Feststellung des

Rehabilitationsbedarfs muss innerhalb von 3 Wochen nach Antragseingang erfolgen (§ 14

Abs. 2 S. 2 SGB IX). Liegt ein Gutachten noch nicht vor, ist es aber notwendig, um den

Rehabilitationsbedarf feststellen zu können, muss dieses Gutachten in dem nach § 17

SGB IX geregelten Verfahren unverzüglich eingeholt werden. Das Gutachten muss in 2

Wochen erstellt werden (§ 17 Abs.2 S.1 SGB IX). Innerhalb von 2 Wochen nach Eingang

des Gutachtens muss dann die Entscheidung über Art und Umfang der Leistung getroffen

werden (§ 14 Abs.2 S.3 SGB IX) Diese Entscheidung ist ein Verwaltungsakt. Schon

vorher kann die Grundentscheidung über die Gewährung von Hilfe – ebenfalls durch

Verwaltungsakt – dem Hilfesuchenden mitgeteilt werden; vorgeschrieben ist dies

allerdings nicht. Über den Antrag muss also spätestens in 6 Wochen entschieden sein.

Wie das aber mit der zeitaufwändigen Gesamtplanung nach §§ 117 -122 SGB IX gelingen

soll, ist unerfindlich.

Für die Berechnung der in § 14 SGB IX genannten Fristen gilt § 26 SGB X i.V.m.

§§ 187-193 BGB. Im Unterschied zu § 14 SGB IX regelt § 15 SGB IX nicht einen Fall

ungeklärter Zuständigkeit, sondern die Zuständigkeit mehrerer Reha-Träger.

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Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX für JA

2 Wochen

Abs.1 S.1

Falls Ja unzuständig oder Feststellung innerhalb von 2 Wochen nicht möglich: Weiterleitung unverzüglich an

Abs.1 S.2 u.3 Abs.2 S.1

§17 Abs.1

^ Abs. 2 S.2 Abs.2 S.3

§17 Abs.2

2 Wochen Abs.2 S.3

Eingang Leistungsantrag

Feststellung der sachlichen (§ 85 SGB VIII) und örtlichen (§ 86 SGB VIII) Zuständigkeit

einschl. des Nachrangs (§ 10 SGB VIII)

Falls zuständig oder unverzügliche Weiterleitung unterblieben ist: unverzügliche Feststellung des Rehabedarfs durch JA als erstbefasstem Träger (leistender Reha-Tr)

(subj.) zuständigen Rehaträger

(=zweibefasster). Dort unverzügl. Feststellung d. Rehabedarfs

Wird zweitbefasster Träger nicht

tätig, muss JA als erstbefasster

Träger vorläufig leisten gem. § 86d

SGB VIII (bei örtl. Unzuständigkeit)

oder § 43 SGB I (bei sachl. Unzuständigkeit)

Falls hierfür kein

(weiteres) Gutachten

notwendig:

Leistungsbescheid

innerhalb von 3 Wochen nach Antragseingang

Falls Gutachten

notwendig:

unverzüglich

Beauftragung

eines

Sachverständigen (Dreiervorschlag)

Erstellung des Gutachtens in 2

Wochen

Leistungsbescheid

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3. Gesamtplanung

§ 36 SGB VIII gilt für die Hilfeplanung auch der Eingliederungshilfe. Weit darüber

hinaus aber gehen die Vorschriften zur Hilfeplanung in §§ 19 – 22 (Teilhabeplan) und §§

117 -122 SGB IX (Gesamtplan), die geradezu ein Planungsexzess sind und von

Planungsbesessenheit zeugen. Die Praxis wird den Planungsmarathon sicher dankbar

begrüßen! Die Prozessqualität des Planungsverfahrens steht wohl in keinem

angemessenen Verhältnis zu dessen Ergebnisqualität.

Ein (schriftlicher)Teilhabeplan ist nach § 19 SGB IX vom leistenden Reha-Träger i.S.v.§ 14 Abs.2 SGB IX aufzustellen, wenn diversifizierte Leistungen erforderlich sind. Das

sind „gemischte Leistungen“ eines Reha-Trägers aus den verschiedenen

Leistungsgruppen des § 5 SGB IX oder Leistungen einer Leistungsgruppe, die aber

mehreren Reha-Trägern nach § 6 SGB IX zugeordnet sind. Unabhängig von diesen

Voraussetzungen ist ein Teilhabeplan aber auch dann aufzustellen, wenn ein

Leistungsberechtigter i.S.d.§ 99 SGB IX dies wünscht (§ 19 Abs.2 S.3 SGB IX). Der Plan

enthält(nur) die in Absatz 2 enumerativ genannten 11 Punkte, ausdrücklich (in Nr.7) auch

die Berücksichtigung des Wunsch-und Wahlrechts.

Während die Aufstellung des Teilhabeplans eine Pflicht des leistenden Reha-Trägers ist,

steht es in seinem Ermessen, eine Teilhabeplankonferenz nach § 20 SGB IX

einzuberufen.

Hinzu kommen die Vorschriften für die Gesamtplanung in Kap.7 in Teil 2 SGB IX, die

in den Teilhabeplan zu integrieren sind (§ 21 S.1 SGB IX). Dies gilt aber nicht für den

Träger der Jugendhilfe, für den (stattdessen) ergänzend das Hilfeplanverfahren § 36 SGB VIII gilt (§ 21 S.2 SGB IX). Der Wortlaut des § 21 S.2 SGB IX ist zwar nicht eindeutig,

weil er § 36 SGB VIII als – weitere- Ergänzung zuließe; praktische Gründe sprechen

aber gegen eine solches Planungsmonster.

Das bedeutet für die Jugendhilfe :

- bei der Bedarfsermittlung (nach § 36 Abs.2 SGB VIII) müssen zusätzlich §§ 12 und

13 SGB IX berücksichtigt werden;

- für den Hilfeplan nach § 36 Abs.2 SGB VIII ist zusätzlich § 19 SGB IX mit allen11

Inhalten zu beachten;

- für die Hilfeplanplankonferenz nach § 36 Abs.2 SGB VIII gilt zusätzlich § 20 SGB

IX;

- bei der Beteiligung Dritter nach § 36 Abs.2 SGB VIII ist auch § 22 SGB IX zu

beachten;

- die Begutachtung richtet sich nach § 17 SGB IX ( Dreiervorschlag)

- es besteht zusätzlich zur Beratung nach § 36 Abs.1 SGB VIII Anspruch auf

die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung nach § 32 IX.

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- die in § 36 SGB VIII geforderte Einbeziehung des Arztes geht über dessen

Einbeziehung nach §§ 13,19,20 SGB IX hinaus, da er nach § 36 Abs. 3 SGB VIII nicht

nur bei der Feststellung des Bedarfs, sondern auch bei der Aufstellung und Änderung des

Hilfeplans sowie bei der Durchführung der Hilfe mitwirken muss;

- von der medizinischen Bedarfsfeststellung unberührt bleibt hingegen das

Hilfeplanungsverfahren, soweit es das Zusammenwirken mit Kind und

Personensorgeberechtigten betrifft. Abweichend von § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX kann der

Leistungsbescheid erst ergehen, wenn auch die Mitwirkung des

Personensorgeberechtigten und des Kindes stattgefunden hat;

- § 14 Abs. 2 SGB IX wirkt als „Beschleuniger“ für das Hilfeplanungsverfahren nach

§ 36 SGB VIII, was in der Praxis große Probleme bereitet. Im Verhältnis zu § 14 SGB IX

ist § 36 SGB VIII keine abweichende Regelung i.S.v. § 7 S. 1 SGB IX, weil § 36

SGB VIII keine Regelung von Fristen enthält. Für die Feststellung des Bedarfs gilt somit

§ 14 SGB IX zusätzlich zu § 36 SGB VIII.

4. Selbstbeschaffung von Leistungen

In der Jugendhilfe gibt es grundsätzlich kein Selbstbeschaffungsrecht. Dies folgt

insbesondere daraus, dass es in der Jugendhilfe keine rein finanziellen Leistungen gibt,

sondern immer nur erziehungsakzessorisch Ausnahmsweise kann der

Leistungsberechtigte sich aber die (erziehungsakzessorischen) Leistungen selbst beschaffen, wenn die Voraussetzungen nach § 36a Abs.3 SGB VIII vorliegen, also bei

einem sog. Systemversagen, das dann anzunehmen ist, wenn der Jugendhilfeträger trotz

Antragstellung nicht rechtzeitig Hilfe leistet und ein unaufschiebbarer Bedarf vorliegt.

Auch § 18 SGB IX regelt ein ( beschränktes) Selbstbeschaffungsrecht. Dieses hätte nach

§ 7 Abs.2 SGB IX den Vorrang vor § 36a Abs.3 SGB VIII. § 18 Abs.7 SGB IX schließt

aber die Geltung des § 18 SGB IX in der Jugendhilfe aus.

Nicht zu verwechseln ist die Selbstbeschaffung mit dem persönlichen Budget nach § 29

SGB IX. Diese Form der Leistungserbringung setzt voraus, dass der Rehabilitationsträger

einen Bedarf festgestellt hat, für den er dann ein Budget bemessen kann .

5. Wunsch- und Wahlrecht

Das Wunsch- und Wahlrecht ist in § 8 SGB IX und –zusätzlich für die Eingliederungshilfe- in § 104 Abs.2 - 4 SGB IX abweichend von § 5 SGB VIII geregelt.

Gem. § 7 S. 1 SGB IX gilt somit § 5 SGB VIII vorrangig. In § 8 Abs. 1 S. 2 HS.2 SGB IX

wird allerdings auf die Geltung des § 33 SGB I eigens hingewiesen. Dieser wiederum gilt

vorrangig vor § 5 SGB VIII, wie § 37 S. 2 SGB I regelt. Da sich eine inhaltliche Kollision

zwischen § 33 SGB I und § 5 SGB VIII nicht ergibt, bleibt es bei der mit § 5 SGB VIII

getroffenen Regelung des Wunsch- und Wahlrechts für die Jugendhilfe. Für die

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Eingliederungshilfe ist das Wunsch- und Wahlrecht in § 36 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB VIII wiederum spezieller gegenüber § 5 SGB VIII geregelt. Wenn § 8 Abs. 1 S. 3 SGB IX

fordert, dass den besonderen Bedürfnissen behinderter Kinder Rechnung zu tragen ist,

kann dies als vorsorglicher Hinweis verstanden werden, der bei der Auslegung des

unbestimmten Rechtsbegriffs „unverhältnismäßige Mehrkosten“ in § 5 Abs.2 SGB VIII

zu beachten ist. Auch § 104 Abs.3 SGB IX ist bei der Auslegung zu berücksichtigen.

6. Persönliches Budget Das Persönliche Budget muss nicht mehr trägerübergreifend sein, sondern kann

auch von einem einzelnen Leistungsträger erbracht werden (§ 29 Abs.1 S.4 SGB IX). Notwendig ist ein Antrag des Leistungsberechtigten beim leistenden

Reha-Träger i.S. d.§ 14 Abs.2 S.1 SGB IX. Notwendig ist eine Zielvereinbarung mit den in § 29 Abs.4 SGB IX genannten Inhalten.

Eine Verordnung regelt Näheres zu Inhalt und Verfahren (§ 30 SGB IX).

7. Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung

Ergänzend zu den bestehenden Beratungspflichten der Reha-Träger (z,B. nach § 14 SGB I) ist eine Teilhabeberatung einzurichten (§ 32 Abs.1 SGB IX). Sie soll eine Beratung schon im Vorfeld eines Antrags ermöglichen, kann aber auch in der

Teilhabeplanung oder während der laufenden Hilfe erfolgen. Inhalt der Beratung sind die Teilhabeleistungen, aber nicht Beratung über Widerspruch und Klage.Mit

dem Rechtsdienstleistungsgesetz ist sie insoweit vereinbar. Die Beratung muss unabhängig von ökonomischen und haushaltsrechtlichen

Interessen der Leistungsträger und Leistungserbringer erfolgen. Die Beratung von Betroffenen für Betroffene ( „Peer Counseling“) ist besonders zu berücksichtigen

( § 32 Abs.3 SGB IX). Die Reha-Träger müssen im Rahmen ihrer Beratungspflicht nach § 14 SGB I auf

dieses (für sie, insb. den Kämmerer, unbequeme) Beratungsangebot hinweisen. Unterlassen sie dies, kann das eine Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB sein,

die zum Schadensersatz verpflichtet. Auf die Beratung besteht ein Rechtsanspruch. Jeder Reha-Träger ist dafür verantwortlich, dass die Beratung in Anspruch

genommen werden kann. Selbst einzurichten hat der Reha-Träger eine Beratungsstelle aber nicht, weil das der Unabhängigkeit der Beratung widerspräche. Der Bund fördert die Beratung mit einer Förderrichtlinie - allerdings

nur befristet bis Ende 2020 (§ 32 Abs.3 und 4 SGB IX).

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Die Sicherung der Beratung wird dadurch erreicht, dass Sozialarbeiter, Jugendleiter, Erzieher, Lehrer und andere „ Wächter“ die Personensorgeberechtigten auf eine mögliche Behinderung des Kindes und auf das

Beratungsangebot hinweisen müssen (§ 34 Abs.2 SGB IX). Die Personensorgeberechtigten müssen dann im Regelfall („sollen“) die Beratung nach

§32 SGB IX in Anspruch nehmen (§ 33 SGB IX). Tun sie es nicht, kann das eine Gefährdung des Kindeswohls i.S.d.§ 8a SGB VIII sein, die das Familiengericht

nach § 1666 BGB auf den Plan ruft. Die Anrufung des FamG kann durch das Jugendamt, aber auch durch die in § 34 SGB IX genannten „Wächter“ erfolgen

(§ 24 FamFG). 8. Berichtspflichten

Die umfangreichen Berichtspflichten nach § 41 SGB IX sollen die Zusammenarbeit der Reha-Träger und das Reha-Leistungsgeschehen transparenter

machen sowie Evaluation und Steuerung ermöglichen. Damit soll die Effektivität der Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB IX erhöht werden.

Die Jugendhilfeträger melden die Daten jährlich ab 1.1.2018 über die oberste Landesjugendbehörde an die BAG für Rehabilitation. Deren Bericht ist erstmals 2019 zu veröffentlichen.

9. Datenschutz Jedes neue Gesetz hübscht sich mit einem Datenschutz –Make up auf, obwohl die

zahlreich vorhandenen Datenschutzregelungen ausreichen würden, wenn sie angewandt

würden.. Das SGB IX enthält solche in § 23 und in § 96 Abs.4. Jugendämter müssen

somit befürchten, dass sich dadurch der „Datenschutz-Flickenteppich“ noch vergrößert.

Da die Rehabilitationsträger alle auch Sozialleistungsträger sind, gilt für sie der

Datenschutz nach § 35 SGB I i.V.m. §§ 67 bis 85a SGB X und – für den

Jugendhilfeträger – i.V.m. §§ 61 bis 68 SGB VIII. § 23 Abs. 3 SGB IX bestimmt

ausdrücklich, dass diese datenschutzrechtlichen Regelungen unberührt bleiben. Dies gilt

allerdings nur in Bezug auf die Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX und die

Erstellung des Teilhabeplans nach § 19 SGB IX. Die dabei notwendigen

Datenübermittlungen sind zulässig gem. § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X, wobei die

Einschränkungen aus §§ 64 Abs. 2 und 65 SGB VIII zu beachten sind.

Für die Verträge mit den Leistungserbringern enthält § 96 Abs.4 die zusätzliche Verpflichtung, in die Vereinbarung mit dem Leistungserbringer (in der Jugendhilfe nach

§ 78b SGB VIII) eine Datenschutzregelung aufzunehmen. Für die Leistungserbringung

durch freie Träger ergibt sich diese Pflicht schon aus der datenschutzrechtlichen

Garantenstellung nach § 61 Abs. 3 SGB VIII. Für die Leistungserbringung durch

privat-gewerbliche Rehabilitationsdienste und – einrichtungen ergibt sich deren

Geheimhaltungspflicht schon aufgrund des § 78 Abs. 1 S. 2 SGB X, wenn ihnen Daten

vom Jugendhilfeträger übermittelt worden sind. § 96 Abs.4 SGB IX hat daher

eigenständige Bedeutung nur für den Datenschutz bei privat-gewerblichen Trägern in

Bezug auf solche Sozialdaten, die ihnen nicht von einem Sozialleistungsträger übermittelt

worden sind.

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D. Inkrafttreten

Art.26 „stückelt“ gleichsam das „Inkrafttreten des Inkrafttretens “des BTHG ( Art.1 BTHG) und der dementsprechenden Änderungen in anderen Gesetzen (Art. 2 - 25a

BTHG) in 5 Zeiträume von 2016 bis 2023.

Zum 1.1.2018 tritt das BTHG mit Art.1 (SGB IX) zunächst nur mit Teil 1 in Kraft und das ( alte) SGB IX außer Kraft. Teil 2 mit dem Eingliederungshilferecht tritt erst zum

1.1.2020 in Kraft (mit Ausnahme der Bestimmungen zum Vertragsrecht). Der Personenkreis der Leistungsberechtigten schließlich wird erst zum 1.1.2023 nach

Evaluation der Auswirkungen der geplanten Änderungen (neu) bestimmt .Einzelne Änderungen (zum Schwerbehindertenrecht) sind noch 2016, andere ( Erhöhung des Schonbetrags; Führungszeugnis für Mitarbeiter in Einrichtungen) schon 2017 in Kraft

getreten .Die Anpassungen im SGB VIII (§§ 10 Abs.4, 35a Abs.3, 45 Abs.6 SGB VIII) erfolgen zum 1.1.2018. Das Eingliederungshilferecht tritt zum 1.1.2020 in Kraft; die

Eingliederungshilfe nach dem SGB XII entfällt.

Nur Spezialisten werden sich in diesem Irrgarten zurecht finden. Der Gesetzgeber selbst hat sich wohl verirrt, wenn er die Änderung des § 35a Abs.3 SGB VIII zum 1.1.2018 auch auf Vorschriften des SGB IX in Teil 2 bezieht, die erst am 1.1.2020 in Kraft treten.

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Schaubild : Inkrafttreten des BTHG in 5 Stufen

1.1.2023

1.1.2020 (Art.26 Abs.5)

1.1.2018 (Art.26 Abs.4) Art.25a mit

d.Bestimmung d. Leistungsberechtigt-

en in § 99 SGB IX.

1.1.2017

(Art.26 Abs.1)

1.Aus Art.1 Teil 2 Eingliederungs- hilferecht (außer Vertragsrecht in

Kap.8) 2.Wegfall der Einglhilfe nach SGB XII mit Art.13. 3.Aus Art.6 Anpassungen im SGB V. 4. Aus Art.10 Anpassungen im SGB XI. 5. Art.13 d. Änd.d. SGB XII z. Jahr 2020 u.a.: Vertragsrecht (§§ 75 -81) Beschränkung d.Einkommens- Einsatzes ( § 92). 6.Art.15 m.Anpass.im BVG. 7. Art. 20 m. Anpass. u. a.im - SGG - SGB X (§§ 64-116) -AsylbLG (§ 2 Abs.1) - KKG (§ 3 Abs.2) 8.Außerkraft- setzung der EinglhilfeVO

30.12.2016

(Art.26 Abs.3)

1. BTHG tritt in

Kraft (außer Einglh), SGB IX u. Budget-VO

treten außer Kraft.

2.Regelungen zur Gesamtplanung

im SGB XII mit Art.12.

2. Frühförd.VO neu mit Art.23.

3. EinglhilfeVO neu mit Art.21

4.Anpassungen

im SGB VIII(§§ 10 Abs.4,

35a Abs.3, 45 Abs.6)

5.Anpassungen

im SGB I (§§ 28a,29)

durch Art.3.

(Art.26 Abs.2)

Art.11 mit Änd. des

1. SGB XII z.

Vermögen (§§ 60a, 66a)

Führungs-

Zeugnis (§ 75)

2.UmsatzstG

1. Art.2 mit Änd. des

SGB IX zur Gestaltung

des Übergangs-rechts

2017.

2.Art.7 m. Änd. im SGB VI

3.Art.18 m.

Änd. i. Zusammen-hang mit

d. Änd. in Art.2

4. Art.22 (Werkstatt-

MVO)

5.Art.25 Abs.2 (Um- setzungs-

Begleitung)

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Übersicht : Änderungen der Eingliederungshilfe im SGB XII in 3 Stufen

2017 2018 2020

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1. Schonvermögen 1.Übergangsregelungen für Eglh 1.Eglh in §§ 53 bis 60

( § 60a SGB XII) 2. Verweis in § 54 SGB XII auf SGB XII entfällt u.

2.Führungszeugnis §§ 26,55 SGB IX a.F. wird ersetzt durch

(§ 75 SGB XII) 3.Ersetzen des Gesamtplans Eglh nach SGB IX Teil 2

durch Gesamtplanverfahren 2.Hilfe z.LU f.Mj.nach

in §§ 141 – 145 SGB XII § 27c SGB XII

3.Mehrbedarfe nach

§ 42b SGB XII